Der grü­ne »Geist«. Zur ver­gan­ge­nen Na­tio­nal­rats­wahl und der Kri­tik ei­ner Par­tei.

Auf dem Weg zur Ar­beit er­hält ein Be­kann­ter auf ei­ne flap­si­ge Be­mer­kung hin von ei­nem Kol­le­gen die Ant­wort, dass er in ein Gen­der­se­mi­nar ge­hö­re; die Be­mer­kung ist ernst ge­meint und kommt von ei­nem in­tel­li­gen­ten Men­schen. Ei­ni­ge Zeit spä­ter spricht der Bun­des­prä­si­dent der Re­pu­blik Öster­reich, Alex­an­der van der Bel­len, vor Schü­lern zum The­ma »Kopf­tuch«: Der Bun­des­prä­si­dent legt das Pro­blem nicht et­wa ana­ly­tisch vor den Schü­lern dar, er mo­ra­li­siert und ver­mei­det ge­ra­de die­je­ni­gen, die Ur­teil, Grün­de und Be­grün­dung viel­fach su­chen, dar­in zu un­ter­stüt­zen und be­trügt sie da­mit um die Kom­ple­xi­tät und die mit die­ser The­ma­tik zu­sam­men­hän­gen­den Fra­gen. Bei­de Hal­tun­gen ha­ben mit den Grü­nen zu tun, ein­mal ge­hört sie zu ei­nem ih­rer Wäh­ler, ein­mal zu ei­nem ih­rer be­kann­te­sten Ex­po­nen­ten1.

Dies ist kein Zu­fall, die­se Hal­tung scheint zum Kern­be­stand des­sen zu ge­hö­ren, was grün zu sein aus­macht oder was man als grü­nen »Geist« be­zeich­nen könn­te: In sei­nem Kern stellt er sich ge­gen das Ar­gu­ment, ge­gen Be­grün­dun­gen und ge­gen die Aus­ein­an­der­set­zung, er ver­wischt Wi­der­sprü­che und Zwi­schen­tö­ne und rich­tet sich in ei­ner fa­ta­len Selbst­ge­fäl­lig­keit ein2, die Ur­sa­chen und Wir­kun­gen nicht mehr von ein­an­der zu un­ter­schei­den ver­mag. In­so­fern freut es mich, dass die­se Hal­tung und die­se Art und Wei­se Po­li­tik zu »be­grün­den« ab­ge­wählt wur­de. Und mir ist, das wä­re noch hin­zu­zu­fü­gen, je­de noch so res­sen­ti­ment­ge­la­de­ne Mei­nung lie­ber, als ei­ne Ge­sin­nung, die es im Grund­satz ver­mei­det, sich mit ei­nem Ge­gen­über über­haupt erst zu be­schäf­ti­gen oder die ei­ge­nen Wi­der­sprü­che zu er­fas­sen.

Die be­schrie­be­ne Hal­tung konn­te man häu­fig be­ob­ach­ten, z.B. im Um­gang mit Kri­ti­kern aus den ei­ge­nen Rei­hen, et­wa den jun­gen Grü­nen, die letzt­end­lich aus der Par­tei aus­ge­schlos­sen wur­den; öf­fent­lich war der Um­gang in ei­ner üb­len und si­cher­lich ar­ran­gier­ten Sen­dung des ORF, in der drei po­li­tik- und me­di­en­er­fah­re­ne Per­so­nen ei­ne Zwei­und­zwan­zig­jäh­ri­ge nach al­len Re­geln der Kunst zur Schnecke mach­ten, gut zu er­ken­nen3. In ei­ni­gen Ne­ben­sät­zen der Dis­kus­si­on wur­de deut­lich, dass Eva Gla­wi­sch­nig, da­mals noch Bun­des­spre­che­rin der Grü­nen, Herrn Pel­in­ka nicht wi­der­sprach, als die­ser fest­stell­te, dass die Trump­wäh­ler, mit de­nen u.a. FPÖ-Wäh­ler ge­meint wa­ren, nicht zu ih­rer Kli­en­tel ge­hö­ren (oder eben: ge­hö­ren könn­ten). Und wenn man ge­nau hin­hört, dann stell­te Pel­in­ka so­gar fest, dass es Grün­de für de­ren Zorn gibt (aber die­se schei­nen eben kei­ne Re­le­vanz ha­ben zu dür­fen). Ei­ne sol­che Hal­tung muss­te mit den An­sich­ten ei­nes Pe­ter Pilz, der sich ge­ra­de um die­se Wäh­ler be­mü­hen woll­te und noch im­mer will, kol­li­die­ren, ein Kon­flikt der die Grü­nen letzt­end­lich zer­ris­sen hat. Ei­ne dis­kur­si­ve, ar­gu­men­tie­ren­de Hal­tung wür­de sich we­der Grün­den ver­wei­gern, noch die Wi­der­sprü­che, die ein in­ho­mo­ge­nes Mei­nungs­spek­trum in­ner­halb der ei­ge­nen Par­tei not­wen­dig of­fen­bart, un­ter­drücken, ja er­war­ten und mit ih­nen um­ge­hen kön­nen4.

Auch in Sät­zen, die aus der Par­tei­wer­bung stam­men, die viel­leicht mit ei­nem Au­gen­zwin­kern ge­meint sein mö­gen, wie »Bio macht schön« oder »Sei ein Mann: Wähl ei­ne Frau«, zeigt sich die­se mo­ra­li­sche und ei­gent­lich apo­li­ti­sche Grund­hal­tung. Nicht die Sa­che, die ver­tre­ten wird, ist re­le­vant, son­dern das Schö­ne, das Ge­schlecht, das hier für das Rich­ti­ge, näm­lich die un­ter­drück­te Frau, steht. Man kommt über sol­chem und ver­gleich­ba­rem schnell zu ge­fäl­li­gen Ur­tei­len und Ver­ur­tei­lun­gen, wird zu ein­sei­ti­gen To­le­ranz­for­de­run­gen ein­ge­la­den und blind für Ur­sa­chen, für Ver­ste­hen, für an­de­re Sicht­wei­sen, auch was das Ei­ge­ne, das dunk­le Ei­ge­ne und die Fol­gen der ei­ge­nen Po­li­tik, be­trifft: Zu dem selt­sa­men und wi­der­sprüch­li­chem Amal­gam ei­ner lin­ken Bür­ger­lich­keit, die die Grü­nen heu­te5 kenn­zeich­net, pas­sen die Grup­pen- und Seil­schafts­dis­kur­se, die die Grü­nen im Be­son­de­ren, aber kei­nes­wegs nur sie, pfle­gen: Es wird nicht mehr nach der so­zia­len Po­sti­on ge­fragt oder zu­min­dest ei­ne Be­grün­dung ge­ge­ben, son­dern nach ei­ner Grup­pen­zu­ge­hö­rig­keit, die durch Ge­schlecht, kul­tu­rel­le (eth­ni­sche) Zu­ge­hö­rig­keit oder se­xu­el­le Ori­en­tie­rung de­fi­niert wird. Das ist nicht nur dem Dis­kurs der völ­ki­schen Rech­ten we­sens­ver­wandt, es scheint, im ge­ra­de­zu ma­ni­schen Weg­schau­en, in der ein­sei­ti­gen Kri­tik, da­mit ei­ne Erb­sün­de ver­wo­ben zu sein, ei­ne re­li­giö­se, ir­ra­tio­na­le Grun­die­rung, die dem eu­ro­päi­schen Im­pe­ria­lis­mus ent­springt, zu til­gen nur durch ei­ne ent­spre­chen­de Hal­tung (die Schuld oder Be­schmut­zung auf je­den Fall ver­hin­dern will). Tat­säch­lich muss man sich – an­ge­sichts der Grup­pen­dis­kur­se, der Pro­ble­me des is­la­mi­schen Fun­da­men­ta­lis­mus, wie der Fra­ge nach der Ver­schleie­rung – fra­gen, ob die Grü­nen noch auf dem Bo­den der Mo­der­ne ste­hen: Im­mer­hin sind Rech­te wie Pflich­ten und die Ver­ant­wor­tung des Men­schen und Bür­gers in­di­vi­du­ell be­grün­det, sie re­kur­rie­ren we­der auf Kol­lek­ti­ve, noch gel­ten sie für die­se, noch hat Schuld und Ver­ant­wor­tung in­ner­halb ei­nes ra­tio­na­len Po­li­tik­ver­ständ­nis­ses ei­ne hi­sto­risch-kol­lek­ti­ve Di­men­si­on jen­seits der Le­bens­span­ne des In­di­vi­du­ums.

Auch die un­kla­re Po­si­ti­on in den Dis­kus­sio­nen um Asyl und Mi­gra­ti­on sind in ei­ner mo­ra­li­schen Hal­tung zu su­chen, die mit dem Rechts­staat kol­li­diert, des­sen Ver­fas­sung ei­nen Schutz der Staats­gren­zen ex­pli­zit vor­sieht (Eva Gla­wi­sch­nig la­viert in die­sem In­ter­view zwi­schen »dich­te Gren­zen sind ei­ne Il­lu­si­on« und »eine[r] In­fra­struk­tur an der Gren­ze, mit der man Erst­ver­sor­gung und Wei­ter­trans­port or­ga­ni­sie­ren kann«). Dass al­le je­ne, die in die­sem Nicht­ent­schei­den die Ideo­lo­gie ei­ner mul­ti­kul­tu­rel­len Ge­sell­schaft ver­mu­ten, weil nie klar ge­sagt wur­de, ob es um Asyl oder Zu­wan­de­rung geht oder schlicht ei­ne kla­re Po­si­ti­on be­vor­zu­gen, rechts(populistisch) wäh­len wird dann nicht mehr ver­stan­den und die Schuld ein­sei­tig den Dem­ago­gen zu­ge­spro­chen. Dem ver­wandt sind die Dis­kus­sio­nen um Hass­po­stings oder kor­rek­te und zu ver­mei­den­de Be­griff­lich­kei­ten, die auf ei­ne Be­herr­schung des Dis­kur­ses auf an­de­rem We­ge als auf je­nem der Ar­gu­men­te be­ru­hen6.

Ob die Grü­nen je­mals ver­stan­den ha­ben, wes­sen Spiel sie mit­spie­len und wel­chen In­ter­es­sen sie häu­fig die­nen? Durch die skiz­zier­ten Ent­wick­lun­gen und Hal­tun­gen wer­den grund­le­gen­de­re Dis­kur­se über­spielt und ver­drängt, die un­ge­rech­te Ei­gen­tums­ver­hält­nis­se, die Aus­nut­zung von Ar­beits­kräf­ten be­tref­fen und sie ver­wi­schen, die im Hin­ter­grund ste­hen­den Macht­ver­hält­nis­se und ‑ver­strickun­gen, auf in­ter­na­tio­na­ler oder eu­ro­päi­scher Ebe­ne. Die grü­ne Hal­tung zum Na­tio­nal­staat, des­sen Über­holt­heit sie nicht oft ge­nug be­to­nen kön­nen, ist da­für bei­spiel­haft: Er ist im­mer noch, ent­ge­gen an­ders lau­ten­der Über­zeu­gun­gen, ent­schei­dend, weil er die ein­zi­ge In­sti­tu­ti­on ist, die un­se­re Bür­ger­rech­te ga­ran­tiert und um­so be­denk­li­cher ist die ihm auf­ge­drück­te Fremd­be­stim­mung durch po­li­ti­sche und öko­no­mi­sche In­ter­es­sen, die sich von au­ßen ein­schlei­chen oder durch un­de­mo­kra­ti­sche Ver­fah­ren und In­sti­tu­tio­nen be­schlos­sen wer­den. Das Su­pra­na­tio­na­le, scheint ident mit dem Gut­ge­mein­ten, dem Gut­ge­glaub­ten, aber nicht not­wen­di­ger Wei­se mit dem Gu­ten, zu sein: Die grü­ne Grund­hal­tung läuft auf ei­nen su­pra­na­tio­na­len Pa­ter­na­lis­mus, auf ei­nen Au­to­ri­ta­ris­mus hin­aus, der auch zu de­ren un­ein­ge­schränk­ter Vor­lie­be für Re­ge­lun­gen, sei­en sie sprach­li­cher, dis­kur­si­ver oder ge­setz­li­cher Na­tur, passt: In­ter­na­tio­na­le Or­ga­ni­sa­tio­nen wer­den von den Grü­nen nicht dif­fe­ren­ziert kri­ti­siert, son­dern un­ein­ge­schränkt ge­schätzt, wohl weil sie durch­set­zungs­re­le­vant sind: Das Gu­te kommt dann al­ler­dings recht rasch an sein En­de, was sel­ten er­kannt wird, und die Grü­nen er­schei­nen, wenn man nicht Bos­haf­tig­keit un­ter­stel­len will, oft ge­nug als nütz­li­che Idio­ten: So kön­nen nur die Grü­nen auf die Idee kom­men, die OECD, al­so je­ne Or­ga­ni­sa­ti­on, die un­se­re Bil­dungs­sy­ste­me über Pi­sa und den Kom­pe­tenz­be­griff ent­kernt hat und zwar oh­ne je­den de­mo­kra­ti­schen Be­schluss, auch noch zum Schieds­rich­ter über eben­je­nes an­zu­ru­fen.

Am En­de steht dann der ge­rech­te und völ­ker­rechts­wid­ri­ge Krieg, im In­ter­es­se der NATO, in ei­ner Ver­flech­tung mit Ka­pi­tal- und Macht­in­ter­es­sen, oder Kon­flik­te, wie im Fall der Ukrai­ne, ent­ge­gen den ger­ne be­schwo­re­nen eu­ro­päi­schen Frie­dens­be­mü­hun­gen (und auch in der ak­tu­el­len Flücht­lings­kri­se wer­den die In­ter­es­sen, die die­se ver­ur­sa­chen nicht er­kannt und the­ma­ti­siert). In Deutsch­land ha­ben die Grü­nen zwei il­le­ga­le Krie­ge, ge­gen Ser­bi­en (1999) und Af­gha­ni­stan (2001) na­he­zu ge­schlos­sen un­ter­stützt und mo­ra­lisch ge­recht­fer­tigt. Das Er­geb­nis ist, da sich die Nach­fol­ge­re­gie­run­gen da­von nicht ab­ge­setzt ha­ben, dass sich Deutsch­land noch »zag­haft«, aber eben: wie­der an Kampf­ein­sät­zen des We­stens be­tei­ligt, die mit ein Grund für den is­la­mi­schen Ter­ro­ris­mus sind. Und so klingt Frau Fe­li­pe, die mitt­ler­wei­le zu­rück­ge­tre­te­ne Bun­des­spre­che­rin der Grü­nen, im Som­mer­ge­spräch des ORF un­be­hag­lich, als sie die Grü­nen als Frie­dens­par­tei be­zeich­net und Öster­reich nur in frie­dens­si­chern­den UN-Mis­sio­nen se­hen möch­te7.

Ich ha­be mei­ne Zwei­fel, dass die Grü­nen auf ei­nen an­de­ren Weg zu­rück­fin­den wer­den, aber ich las­se mich ger­ne über­ra­schen. Die be­schrie­be­nen Ent­wick­lun­gen und Hal­tun­gen sind kei­nes­falls aus­schließ­lich den Grü­nen ei­gen oder nur ih­nen an­zu­la­sten, und sie wer­den mit dem Aus­schei­den der Grü­nen aus dem öster­rei­chi­schen Par­la­ment auch nicht ver­schwin­den, aber sie tra­ten und tre­ten in ih­nen am deut­lich­sten her­vor.


  1. Der als eine Art abhängig-unabhängiger Kandidat antrat und viele Jahre Bundessprecher der Grünen war 

  2. Ausnahmen ausgenommen; hier soll keinesfalls behauptet werden, dass das auf alle zutrifft oder in jeder politischen Idee sichtbar wird. 

  3. Das, was in der Sendung nicht ausgesprochen wurde, war eine politische Richtungsänderung nach links, die sich die jungen Grünen wohl erhofften und durch Änderungen in den Abstimmungsmodalitäten möglich machen wollten. 

  4. Auch diese, unverständlicher Weise bejubelte, Rede auf dem Grünen Parteitag in Deutschland ist ein weiteres Beispiel. Sie ist in ihrem Wesen nichts anderes als die Reden sogenannter Populisten. 

  5. Ob das einmal anders war, wie gerne behauptet, weiß ich nicht; jedenfalls dauern die gegenwärtigen Zustände seit mindestens 20 Jahren an. 

  6. Etwas, das Bassam Tibi schon vor vielen Jahren beschrieben hat

  7. Sie meint dies sicherlich, wie sie es sagt, dennoch: Man kann nur froh sein, dass die (verbindliche) Volksbefragung zur allgemeinen Wehrpflicht in Österreich im Jahr 2013 für diese ausgegangen ist, denn die Frage nach einem Bündnissystem, nach dem ein reduziertes Heer verlangt, wurde damals natürlich nicht gestellt (und man kann sich vorstellen wohin die Reise auf kurz oder lang gegangen wäre). 

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  1. Vie­len Dank für den in­ter­es­san­ten Bei­trag.

    Als Deut­scher ha­be ich im­mer zwei gra­vie­ren­de Un­ter­schie­de zwi­schen den deut­schen Grü­nen (dG) und den öster­rei­chi­schen Grü­nen (öG) fest­ge­stellt. Zu ei­nen gab es in Öster­reich nie AKWs und ent­spre­chen­de Plä­ne für Wie­der­auf­be­rei­tungs­an­la­gen, usw. Das Mo­bi­li­sie­rungs­po­ten­ti­al war in D un­gleich hö­her, weil man auch mehr Pa­nik er­zeu­gen konn­te (zum Teil ja durch­aus be­rech­tigt). Zum an­de­ren war Öster­reich au­ßen­po­li­tisch sehr lan­ge neu­tral. Al­so auch der Wi­der­stand der dG ge­gen NATO und Dop­pel­be­schluss ent­fiel in Öster­reich. Bei­de Punk­te dürf­ten da­zu bei­getra­gen ha­ben dass nach mei­nen Be­ob­ach­tun­gen die öG nie so stark in der Ge­sell­schaft ver­an­kert wa­ren und sind wie die dG. Die hat­ten nach der Wie­der­ver­ei­ni­gung ei­ne klei­ne Del­le, ka­men dann je­doch 1998 für sie­ben Jah­re end­lich in die Bun­des­re­gie­rung. Hier pass­ten sie sich schnell an; aus der pa­zi­fi­sti­schen Par­tei wur­de ei­ne, die völ­ker­rechts­wid­ri­ge Krie­ge mit un­ter­stütz­te. Ich glau­be, die dG sind ak­tu­ell in 10 von 16 Lan­des­re­gie­run­gen da­bei (in­klu­si­ve Nie­der­sach­sen, wo ge­ra­de neu ge­wählt wur­de); in Ba­den-Würt­tem­berg stel­len sie den Mi­ni­ster­prä­si­den­ten. Ihr Ein­fluss ist nicht nur po­li­tisch sehr hoch son­dern auch längst ge­sell­schaft­lich. In den Me­di­en ha­ben sie über­pro­por­tio­nal vie­le An­hän­ger.

    Bei der BTW 2017 ha­ben die dG so­gar leicht zu­ge­legt, ob­wohl sie lan­ge nur bei knapp 7% la­gen. Ich ken­ne ei­ni­ge Leu­te, die fast schon tra­di­tio­nell grün wäh­len und dann in ih­ren SUV ein­stei­gen. Es hat ein we­nig von Ab­so­lu­ti­on, Grün zu wäh­len. Das schlech­te Ge­wis­sen ban­nen.

    Die in D ins Au­ge ge­fass­te »Jamaika«-Koalition, die vie­len in­zwi­schen längst als ge­si­chert gilt, könn­te mit­tel­fri­stig die Grü­nen vor Pro­ble­men stel­len, weil ih­re Kom­pro­miss­be­reit­schaft voll­stän­dig aus­ge­reizt wer­den wird. Es wä­re nicht das er­ste Mal, dass ei­ne Par­tei nach ei­ner Re­gie­rungs­be­tei­li­gung »ver­brannt« ist.

  2. Ja, wo­bei Zwen­ten­dorf ge­baut wur­de, je­doch nicht in Be­trieb ging. Das war, so­zu­sa­gen, der Grün­dungs­my­thos und, wenn man (ver­prell­ten) grü­nen Alt­po­li­ti­kern glaubt, wa­ren die Be­tei­lig­ten da­mals und in den Jah­ren da­nach an­ders »ge­polt« (ich weiß nicht, ob das stimmt oder hier nicht doch ro­ma­ti­siert wird).

    In­ter­es­sant ist, dass die öster­rei­chi­schen Grü­nen auch in sechs Lan­des­re­gie­run­gen ver­tre­ten sind (wenn ich das jetzt rich­tig im Kopf ha­be), wenn­gleich das ei­ne neue­re Ent­wick­lung ist (klas­sisch ist Ober­öster­reich). Was für Dei­ne The­se spricht, ist, dass seit Hai­ders Auf­stieg zu be­ob­ach­ten­de tak­ti­sche Wäh­len vie­ler Grü­ner, das auch bei die­ser Wahl ei­ne gro­ße Rol­le ge­spielt hat, et­wa 160000 Stim­men gin­gen an die SPÖ (ein Ver­hin­de­rungs­ver­hal­ten, das sich ge­gen »blau« bzw. »schwarz-blau« rich­tet, das dann doch ge­gen ei­ne star­ke Bin­dung an und Über­zeugt­heit von der ei­ge­nen Par­tei spricht; es deu­tet aber wie­der auf ei­ne star­ke mo­ra­li­sche Hal­tung).

  3. Seit 1980 ha­be ich es auf­ge­ge­ben, tak­tisch zu wäh­len. Da­mals wa­ren al­le ge­mä­ssigt Lin­ken ge­gen Franz-Jo­sef Strauß, der für die Uni­ons­par­tei­en als Kanz­ler­kan­di­dat aus­ge­ru­fen war. Der An­ti­po­de war Hel­mut Schmidt. Der war zwar auch bei vie­len SPD-Wäh­lern nicht be­son­ders be­liebt, aber da es ge­gen Strauß ging, war man für ihn. Das Pro­blem war, dass die FDP, mit der die SPD seit 1969 re­gier­te, schwä­chel­te und droh­te an der 5%-Hürde zu schei­tern. Nicht aus­zu­den­ken, wenn Strauß da­durch Bun­des­kanz­ler ge­wor­den wä­re. Al­so wähl­te man »tak­tisch«, d. h. mit der Zweit­stim­me, die über die Ver­tei­lung der Man­da­te im Bun­des­tag ent­schei­det, kreuz­te man die FDP an. Und es klapp­te: Zwar er­reich­ten die Uni­ons-Par­tei­en mit 44,5% mehr als die SPD (42,9%), aber die FDP be­kam 10,6%. SPD und FDP hat­ten al­so ei­ne Mehr­heit. – Was man nicht wuss­te: 1982 wech­sel­te die FDP von der SPD zu der Uni­on – ein glat­ter Wäh­ler­be­trug. Kohl wur­de mit kon­struk­ti­vem Miss­trau­ens­vo­tum Kanz­ler. Das hat man al­so von »tak­ti­scher Wahl«.

    Die Na­gel­pro­be für die dG wird die »Jamaika«-Koalition sein: Wie­viel »Iden­ti­tät« wird ver­lo­ren ge­hen, wenn man sich ei­ner der­art brei­ten po­li­ti­schen Spann­brei­te un­ter­ord­nen muss? Die Ge­fahr ist da­bei we­ni­ger die Mer­kel-Uni­on als die FDP, die in vie­len Po­li­tik­fel­der ab­so­lut kon­trär zu den Grü­nen steht. Wenn das Bünd­nis zu­stan­de kommt aber in der Öf­fent­lich­keit nur als Macht­bünd­nis wahr­ge­nom­men wird, könn­te dies fa­ta­le Fol­gen nicht nur für die dG son­dern auch für das An­se­hen der Po­li­tik ins­ge­samt ha­ben. Das wird viel zu we­nig be­dacht.

  4. Ich wäh­le grund­sätz­lich auch nicht tak­tisch, be­mer­ke aber, dass ich tak­tisch – im Sinn von »was wä­re wenn« – zu über­le­gen be­gin­ne, wenn die Über­ein­stim­mung im All­ge­mei­nen ge­ring ist, ich mich al­so kaum für ei­ne Par­tei ent­schei­den kann.

    Wä­re für Mer­kels stra­te­gi­schen Op­por­tu­nis­mus nicht ei­ne Min­der­heits­re­gie­rung die bes­se­re Lö­sung (man könn­te sich dann, bos­haft ge­spro­chen, je nach Wet­ter­la­ge, die pas­sen­de Mehr­heit su­chen)? — Oh­ne Klub­zwang wä­re es si­cher­lich die in­ter­es­san­te­re (weil we­ni­ger vor­her­seh­ba­re) Lö­sung.