Letz­te Aus­fahrt 2023

Lutz Ra­the­now: Trot­zig lä­cheln und das Welt­all strei­cheln Per Leo: Noch nicht mehr Wolf­gang Her­mann: Der Gar­ten der Zeit Pe­ter Hand­ke: Die Bal­la­de des letz­ten Ga­stes En dé­tail: Lutz Ra­the­now: Trot­zig lä­cheln und das Welt­all strei­cheln Im letz­ten Jahr wur­de der in Je­na ge­bo­re­ne und in­zwi­schen in Ber­lin le­ben­de Lutz Ra­the­now 70 Jah­re alt. Da­zu ...

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Flo­ri­an Il­lies: Zau­ber der Stil­le

Florian Illies: Zauber der Stille
Flo­ri­an Il­lies:
Zau­ber der Stil­le

Der 250. Ge­burts­tag von Cas­par Da­vid Fried­rich, dem Ma­ler der Ro­man­tik schlecht­hin, wirft sei­ne Schat­ten vor­aus. Für 2024 sind gro­ße Aus­stel­lun­gen in Ber­lin, Dres­den, Ham­burg und Fried­richs Ge­burts­stadt Greifs­wald ge­plant. Man ahnt schon die Ber­ge von Po­stern, Kaf­fee­tas­sen, Kühl­schran­kauf­kle­bern und Post­kar­ten in den Mu­se­ums­shops. Da will auch Flo­ri­an Il­lies nicht feh­len, der mit Zau­ber der Stil­le ei­nen im ty­pi­schen Il­lies-Duk­tus ver­fass­ten Band vor­legt, an­ge­kün­digt als »Rei­se durch die Zei­ten«. Um es nicht zu ein­fach zu ma­chen, hat Il­lies kei­ne Chro­no­lo­gie ver­fasst, son­dern sor­tiert sei­ne Hi­stör­chen nach den vier Ele­men­ten Feu­er, Was­ser, Er­de und Luft. Je­dem Ele­ment wird ein (je­weils satt­sam be­kann­tes) Ge­mäl­de vor­an­ge­stellt; mehr als die­se vier Bil­der wer­den nicht ge­zeigt, was zu ei­nem ver­mehr­ten Such­ma­schi­nen­kon­sum beim Le­ser führt.

In Feu­er, dem um­fang­reich­sten Ka­pi­tel, er­fährt man, wie Fried­richs Ge­burts­haus ab­brann­te und lernt ei­ni­ges dar­über, wie häu­fig sei­ne Bil­der Op­fer von Flam­men oder Zer­stö­rung wur­den. Es gibt viel Ku­rio­ses (et­wa als je­mand 1943 sei­ne Fried­rich-Bil­der aus Schutz vor Bom­bar­die­rung in ei­nen Mu­se­ums­kel­ler ver­bringt – und die­se dort we­ni­ge Stun­den spä­ter ver­nich­tet wur­den) und der Au­tor kann es auch in die­sem Buch nicht las­sen, die ge­schil­der­ten Er­eig­nis­se mit an­de­ren, in­kom­pa­ti­blen Vor­fäl­len zu kom­bi­nie­ren. Als et­wa 1931 der Münch­ner Glas­pa­last ab­brennt – dar­un­ter auch Fried­rich-Bil­der – rat­tert die Mög­lich­keits­ma­schi­ne auf Hoch­tou­ren. Denn schließ­lich wohn­te da­mals nicht weit ent­fernt Ge­li Rau­bal, Adolf Hit­lers Nich­te, die, wie der Au­tor flei­ßig nach­ge­schla­gen hat, »drei Mo­na­te nach dem schockie­ren­den Brand….im Al­ter von 23 Jah­ren ein töd­li­ches Feu­er auf sich selbst er­öff­nen« wird. Und wie Tho­mas Mann, der auch zu die­ser Zeit in Mün­chen leb­te, die­ses In­fer­no mit­be­kom­men hat – auch das wis­sen wir nicht. Aber schön, dass wir mal über die­ses Nicht­wis­sen ein biss­chen ge­schrie­ben ha­ben.

Es sind die­se Pas­sa­gen ver­bla­se­ner Pseu­do-Ge­lehr­sam­keit, die ei­nem die­ses Buch ver­lei­den. Si­cher, Fried­rich und Ri­chard Wag­ner hät­ten sich tref­fen kön­nen, weil sie ein­mal im glei­chen Gast­hof lo­gier­ten. Ha­ben sie aber nicht – und selbst wenn: was könn­te man dar­aus ab­lei­ten? Als Fried­rich 1813 vor den fran­zö­si­schen Trup­pen von Dres­den in das klei­ne Städt­chen Krip­pen (heu­te Bad Schand­au) flieht, geht aus­ge­rech­net dort der ver­hass­te Na­po­le­on an Land. Il­lies ist be­gei­stert: Er »muss ihn ge­se­hen ha­ben, aus dem Fen­ster sei­ner Woh­nung oder aus den wal­di­gen Hü­geln.« Ein an­der­mal muss der klei­ne Ort Wiek auf der Halb­in­sel Rü­gen für ei­ne irr­wit­zi­ge Ana­lo­gie her­hal­ten. In Wiek ent­stand, so weiß der Au­tor, in Fried­richs Kopf das Bild Auf dem Seg­ler. Ein Mann und ei­ne Frau – wie ge­wohnt in Rücken­an­sicht – se­geln händ­chen­hal­tend auf ei­nem Schiff. Und knapp 200 Jah­re spä­ter star­tet in Wiek die An­dro­me­da, »ei­ne klei­ne Se­gel­yacht«, aufs »of­fe­ne Meer« und »in der Nä­he von Born­holm« zie­hen dann die Be­sat­zungs­mit­glie­der ih­re Tau­cher­an­zü­ge an und kurz dar­auf sind gro­ße Tei­le der Nord Stream-Pipe­lines zer­stört.

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Tom Kri­sten­sen: Ab­sturz

Tom Kristensen: Absturz
Tom Kri­sten­sen: Ab­sturz

Ole Ja­strau ist 34 Jah­re alt, ver­hei­ra­tet mit Jo­han­ne, hat ei­nen drei­jäh­ri­gen Sohn Oluf, lebt in Ko­pen­ha­gen und re­zen­siert dä­nisch­spra­chi­ge Bü­cher beim »Dag­bla­det«. Es ist Früh­jahr 1929, ein Tag vor ei­ner Wahl zum dä­ni­schen Fol­ke­ting. Die Re­zen­si­ons­exem­pla­re sta­peln sich bei ihm in der Woh­nung; er muss le­sen und vor al­lem schrei­ben, kann sich aber nur schwer kon­zen­trie­ren. Plötz­lich klin­gelt es an der Tür. Zu­nächst er­kennt er den »Kom­mu­ni­sten­ben­gel« Bern­hard San­ders nicht, ver­mut­lich, weil er ihn an sei­ne ei­ge­ne po­li­ti­sche Ver­gan­gen­heit er­in­nert. Er ist in Be­glei­tung ei­nes ge­wis­sen Ste­fan Stef­fen­sen, der ei­gent­lich Ste­fa­ni heißt, und der Sohn ei­ner an­ge­se­he­nen Ko­pen­ha­ge­ner Per­sön­lich­keit ist, des Dich­ters und Apo­the­kers H. C. Ste­fa­ni. Auch Stef­fen­sen scheibt Ge­dich­te.

Die bei­den bit­ten um Asyl für ei­ne Nacht, um ei­ne dro­hen­de Haft­stra­fe we­gen Ver­brei­tung ih­rer kom­mu­ni­sti­schen Zeit­schrift nicht ab­sit­zen zu müs­sen. Ih­re Spe­ku­la­ti­on geht da­hin, dass bei ei­nem Wahl­sieg der So­zi­al­de­mo­kra­ten ei­ne all­ge­mei­ne Am­ne­stie für sol­che Fäl­le aus­ge­spro­chen wer­den dürf­te. Die Gä­ste be­die­nen sich ger­ne und las­sen sich noch lie­ber aus­hal­ten. Ja­strau gilt beim blitz­ge­schei­ten San­ders als Re­ne­gat, der sei­ne ein­sti­gen Idea­le ver­ra­ten ha­be und er läßt kei­ne Ge­le­gen­heit aus, ihm dies mit­zu­tei­len. Ne­ben­bei wird das »Dag­bla­det« als »Lü­gen­blatt« be­zeich­net. Jo­han­ne zeigt sich von dem Be­such nicht be­gei­stert. Sie kocht zwar für die bei­den mit, reist dann je­doch mit Oluf zu den El­tern. Ja­strau geht in die Re­dak­ti­on.

Das ist die Aus­gangs­si­tua­ti­on für Ab­sturz, des 1930 erst­mals ver­öf­fent­lich­ten Ro­mans des dä­ni­schen Schrift­stel­lers Tom Kri­sten­sen (1893–1974), den der Gug­golz-Ver­lag in ei­ner neu­en Über­set­zung von Ul­rich Son­nen­berg her­aus­ge­bracht hat. Kri­sten­sen nahm sich auf den 620 Sei­ten Zeit, viel Zeit. Mit gro­ßer Be­hut­sam­keit wird der Le­ser in die Cha­rak­ter­rol­len, Freund- wie Feind­schaf­ten, Rän­ke­spie­le und Ge­heim­nis­se von Jour­na­li­sten und Ko­pen­ha­ge­ner Kul­tur­schicke­ria her­an­ge­führt. Da ist die »Rat­ten­wa­che« zum Bei­spiel, in der nach Fei­er­abend Re­dak­teu­re die Pa­pier­kör­be ih­rer Kol­le­gen aus­lee­ren, zer­ris­se­ne Zet­tel zu­sam­men­set­zen und auf die­se Art zu­erst an In­for­ma­tio­nen über bri­san­te Re­cher­chen kom­men oder Pri­va­tes von ih­ren Kol­le­gen er­fah­ren. Die äl­te­ren Re­dak­teu­re le­ben häu­fig in pre­kä­ren Ver­hält­nis­sen, sind des­il­lu­sio­niert, dem Al­ko­hol ver­fal­len. Ihr Stamm­lo­kal ist die »Bar des Ar­ti­stes« nebst an­lie­gen­dem Ho­tel, ein Kos­mos, der hin­ter ei­ner schwe­ren, dunk­len Por­tie­re ei­ne an­de­re Welt of­fen­bart, in der die gül­ti­gen Hier­ar­chien und Wert­vor­stel­lun­gen au­ßer Kraft ge­setzt sind. Hier sit­zen nur Män­ner, ei­ni­ge von ih­nen tag­aus, nacht­ein.

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Ei­ne Sa­che des Da­für­hal­tens

Am 22. Ok­to­ber 2023 ver­fass­te ich ei­nen klei­nen Text über den Streit um das Buch Ei­ne Ne­ben­sa­che von Ada­nia Shi­b­li und das Schwei­gen der Au­torin zu den Ein­wän­den. So ganz hat sie dann doch nicht ge­schwie­gen, son­dern ei­nen Ver­bots­an­trag beim Land­ge­richt Ham­burg ge­gen die ta­ges­zei­tung (taz) ge­stellt, die am 10. Ok­to­ber 2023 ei­ne eher ab­leh­nen­de ...

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Jo­seph Roth: Ra­detz­ky­marsch

Ich weiß nicht, wann ich Ra­detz­ky­marsch von Jo­seph Roth das er­ste Mal ge­le­sen ha­be. Es war si­cher­lich ein Bi­blio­theks­exem­plar. Nun al­so, nach vie­len Jah­ren, wie­der (nach die­ser Ver­si­on). Wie so oft er­kann­te man Pas­sa­gen, an­de­re wie­der­um wa­ren ei­nem gänz­lich ent­fal­len. Wie wür­de man die Ge­ne­ra­tio­nen­ge­schich­te der Trot­tas heu­te le­sen und be­ur­tei­len, wenn nicht Jo­seph Roth der Au­tor wä­re? Hat die­ses Buch, um ei­ne (lei­der schein­bar) un­um­gäng­li­che Vo­ka­bel zu ver­wen­den, heu­te noch »Be­stand«? Im­mer wie­der wird es re­fe­ren­ziert. In­zwi­schen gilt fast als ein Do­ku­ment für die Un­aus­weich­lich­keit des Un­ter­gangs der Habs­bur­ger Mon­ar­chie.

Ra­detz­ky­marsch um­fasst drei Ge­ne­ra­tio­nen. Es be­ginnt 1849, als Leut­nant Jo­seph Trot­ta in ei­ner gei­stes­ge­gen­wär­ti­gen Ak­ti­on dem Kai­ser Franz Jo­seph I nach der Schlacht von Sol­fe­ri­no das Le­ben ret­tet, in­dem er im letz­ten Mo­ment den Mon­ar­chen aus der Schuss­bahn ei­nes Sni­pers wirft und da­bei sel­ber an der Schul­ter ver­wun­det wird. Der Kai­ser lässt sich nicht lum­pen, er­hebt sei­nen Le­bens­ret­ter in den Adels­stand (»Frei­herr von Si­pol­je«), be­för­dert ihn zum Haupt­mann und wird spä­ter mit ei­nem üp­pi­gen Bei­trag die Aus­bil­dung von Jo­sephs Sohn fi­nan­zie­ren (was der Ret­ter, wie es heißt, »miß­mu­tig ent­ge­gen« nahm).

Der Grund für den Miss­mut: Er fin­det ei­nes Ta­ges im Schul­buch sei­nes fünf­jäh­ri­gen Soh­nes Franz ei­ne Dar­stel­lung des Ge­sche­hens der Ret­tungs­ak­ti­on, die nicht den Tat­sa­chen ent­spricht. Zwar wird er dort na­ment­lich als Ret­ter er­wähnt, aber den Kai­ser stellt man als he­roi­schen Teil­neh­mer ei­nes Ge­fechts dar. Jo­seph von Trot­ta ist ent­setzt, be­schwert sich bei sei­nem Vor­ge­setz­ten, schreibt ei­nen Brief an das Un­ter­richts­mi­ni­ste­ri­um und als bei­des ver­pufft so­gar an den Kai­ser. Die Ant­wort ist im­mer die glei­che: Man soll doch bit­te die Sa­che nicht so ernst neh­men. In Kin­der­bü­chern wür­de nun mal ver­ein­facht; spä­ter er­folg­ten schon noch Kor­rek­tu­ren. Was na­tür­lich – das wuss­te Jo­seph – nie pas­siert.

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Na­tal­ja Kljut­schar­jo­wa: Ta­ge­buch vom En­de der Welt

Natalja Kljutscharjowa: Tagebuch vom Ende der Welt
Na­tal­ja Kljut­schar­jo­wa:
Ta­ge­buch vom En­de der Welt

Na­tal­ja Kljut­schar­jo­wa ist 41 Jah­re alt, schreibt Ge­dich­te, Thea­ter­stücke, or­ga­ni­siert Per­for­man­ces und gibt Li­te­ra­tur­work­shops. Sie hat zwei Kin­der und lebt in Ja­ros­lawl, ei­ner mehr als tau­send Jah­re al­ten Stadt, 300 km von Mos­kau ent­fernt. Auf dem Bild im so­eben von ihr er­schie­ne­nen Ta­ge­buch vom En­de der Welt sieht man ei­ne nach­denk­lich schau­en­de Frau mit Hoo­die und Le­der­jacke. Nach der Lek­tü­re die­ses von Gan­na-Ma­ria Braun­gardt über­setz­ten Bu­ches von noch nicht ein­mal zwei­hun­dert Sei­ten schwankt man zwi­schen Be­wun­de­rung vor und Angst um die­se Au­torin.

Denn die­se nimmt in ih­rem im Fe­bru­ar 2022 be­gon­ne­nen und ein Jahr spä­ter ab­ge­schlos­se­nen ta­ge­buch­ähn­li­chen No­ti­zen, Be­ob­ach­tun­gen, Er­zäh­lun­gen und selbst­ver­fass­ten Ge­dich­ten kei­ne Rück­sich­ten, am we­nig­sten, wie es scheint, auf sich sel­ber. Die er­ste, die ihr vom Über­fall Russ­lands auf die Ukrai­ne Mit­tei­lung macht ist Li­sa, die Deutsch­leh­re­rin. Kljut­schar­jo­wa kann das zu­nächst nicht glau­ben, ist schockiert. Und so­fort sieht sie sich in ei­ne Recht­fer­ti­gungs­si­tua­ti­on ge­drängt: »Ich bin nicht schuld an dem, was ge­schieht. Ich ha­be die­sen Prä­si­den­ten nicht ge­wählt. […] Ich bin nicht schuld dar­an, dass ich nicht im Ge­fäng­nis sit­ze. Ich bin nicht schuld dar­an, dass ich nicht ins Ge­fäng­nis will. Ich bin nicht schuld dran, dass ich zwei Kin­der ha­be, die al­lein wä­ren, soll­te ich bei ei­ner nicht ge­neh­mig­ten Kund­ge­bung ver­haf­tet wer­den…«

Die­ses von Scham und Dul­dungs­schuld ge­tra­ge­ne Be­kennt­nis wird sie über den ge­sam­ten Zeit­raum im­mer wie­der neu de­fi­nie­ren. Aber sie will auch nicht schwei­gen, will vor sich sel­ber be­stehen, nicht Teil die­ser rus­si­schen Po­li­tik und die­ser le­thar­gi­schen Ge­sell­schaft sein. Mo­na­te spä­ter – man hat sich not­dürf­tig ein­ge­rich­tet mit der Si­tua­ti­on – fragt sie, ob man mit spo­ra­disch or­ga­ni­sier­ten Auf­trit­ten oder Le­sun­gen nicht in Wirk­lich­keit das Sy­stem, »das Bö­se«, stüt­ze, die Il­lu­si­on der Nor­ma­li­tät auf­recht er­hal­te. »Oder wi­der­set­zen wir uns im Ge­gen­teil dem Bö­sen. Zum Bei­spiel, in­dem wir Men­schen ei­ne Atem­pau­se ge­wäh­ren, sie für an­dert­halb Stun­den aus der De­pres­si­on ho­len […], sie dar­an er­in­nern, dass es im Le­ben noch et­was an­de­res gibt als die­se schreck­li­chen Nach­rich­ten, dass es grö­ßer und wei­ter ist als die­ser end­lo­se Alb­traum, und dass es dar­um Hoff­nung gibt, dass er doch nicht end­los wä­ren wird?«

Die Über­le­gung ist nicht neu; sie er­gab sich bei­spiels­wei­se auch in Deutsch­land nach dem Krieg, als Schau­spie­ler und Fil­me­ma­cher der UFA-Zeit (zu­meist vor­sich­tig) be­fragt wur­den, wie sie gu­ten Ge­wis­sens im »Drit­ten Reich« all die­se Fil­me, dar­un­ter wenn nicht Pro­pa­gan­da- so doch Durch­hal­te­fil­me dre­hen konn­ten. Auch sie spra­chen vom Ab­len­ken, von Atem­pau­sen, von »Un­ter­hal­tung«. Aber der Ver­gleich hinkt, hier ist es an­ders, denn Kljut­schar­jo­wa und ih­re Freun­de wol­len nicht ei­ne Mas­se nar­ko­ti­sie­ren – die er­rei­chen sie gar nicht und wenn dies so wä­re, dann wür­den sie vor­her ver­haf­tet -, sie wol­len der Bar­ba­rei die Kunst ge­gen­über­stel­len.

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»Neh­men und Le­sen«

Ludwig Hohl: Die seltsame Wendung
Lud­wig Hohl: Die selt­sa­me Wen­dung

Aus An­lass des 120. Ge­burts­tags von Lud­wig Hohl im näch­sten Jahr ver­öf­fent­licht der Suhr­kamp-Ver­lag un­ter Ku­ra­tie­rung der Lud­wig-Hohl-Stif­tung im Rah­men der Bi­blio­thek Suhr­kamp-Rei­he gleich fünf Tex­te in vier Bü­chern des 1980 ver­stor­be­nen Schwei­zer So­li­tärs. Vier da­von sind bis­her un­ver­öf­fent­lich­te Wer­ke; ei­ner er­schien 1949 vom Dich­ter im Selbst­ver­lag. Wäh­rend Die selt­sa­me Wen­dung als No­vel­le be­zeich­net wur­de, nann­te Hohl die an­de­ren vier »Be­richt«. Die For­schung ru­bri­ziert die fünf Tex­te, ent­stan­den zwi­schen 1929 und 1949, als »ge­schlos­se­ne Grup­pe«.

Lud­wig Hohl, 1904 ge­bo­ren, war, wie Pe­ter Bich­sel ein­mal sag­te, ein Schrift­stel­ler, der das Pech hat­te, zeit sei­nes Le­bens »Ge­heim­tip« zu sein. Der Va­ter war Pfar­rer, die Mut­ter ei­ne Toch­ter ei­nes Pa­pier­fa­bri­kan­ten. Im Ok­to­ber 1924 ver­ließ Hohl mit sei­ner da­ma­li­gen Freun­din fast flucht­ar­tig die als eng emp­fun­de­ne Welt des groß­bür­ger­li­chen El­tern­hau­ses und zog nach Pa­ris. Er leg­te den Vor­na­men Ar­nold – es war der sei­nes Va­ters ab – und nann­te sich fort­an »Lud­wig«. Der jun­ge Hohl ver­stand sich als Künst­ler. Kurz zu­vor wa­ren ei­ni­ge Ge­dich­te von ihm pu­bli­ziert wor­den. Nun al­so in der Me­tro­po­le der Kunst, in Pa­ris, in der Nä­he des Mont­par­nas­se. Aber Hohl fass­te schwer Fuß. Von den El­tern gab es nur un­re­gel­mä­ßig Zu­wen­dun­gen; den Le­bens­un­ter­halt ver­dien­te an­fangs die Freun­din. Er streif­te mit sei­nem No­tiz­buch durch die Bars und Ca­fés und rasch krei­ste auch die Fla­sche.

Er­folg­lo­sig­keit, Al­ko­hol, die Tren­nung von der Freun­din – in die­sem Kli­ma ent­stand Die selt­sa­me Wen­dung im Jahr 1929. Der bio­gra­phi­sche Kon­text ist deut­lich, auch wenn hier, an­ders als in den Be­rich­ten nicht in der Ich-Form, son­dern per­so­nal er­zählt wird. Haupt­fi­gur ist ein na­men­los blei­ben­den Ma­ler, der sich »im Mont­par­nas­se« nie­der­lässt. Zu­nächst wohnt er in ei­nem Ho­tel, be­kommt von ei­nem Ver­wal­ter re­gel­mä­ßig Geld zu­ge­schickt, wel­ches für ei­ne be­stimm­te Zeit rei­chen soll. Spä­ter passt er den Geld­fluss sei­nen bis­wei­len ex­zes­siv aus­ge­leb­ten Be­dürf­nis­sen an, bis schließ­lich nichts mehr vor­han­den ist.

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Pe­ter Slo­ter­di­jk: Zei­len und Ta­ge III

Seit je­her haf­tet Ta­­ge- bzw. No­tiz­buch­schrei­bern ein ge­wis­ser Stoi­zis­mus an: Un­ab­hän­gig von al­len Welt­läu­fen und pri­va­ten Um­ge­bungs­ge­räu­schen set­zen sie sich re­gel­mä­ßig an ei­nen Tisch, um zu schrei­ben, zu re­flek­tie­ren, zu kom­men­tie­ren. Frü­her wur­den Ta­­ge- bzw. No­tiz­bü­cher pro­mi­nen­ter Au­toren zu­meist erst nach de­ren Ab­le­ben pu­bli­ziert. So ver­mied man vor al­lem un­an­ge­neh­me Aus­ein­an­der­set­zun­gen mit Zeit­ge­nos­sen. Ein Man­ko ...

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