Wel­ten und Zei­ten IV

Trans­ver­sa­le Rei­sen durch die Welt der Ro­ma­ne

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»I play bo­th si­des against the midd­le«, ein Satz, der mir von Bob Dy­lan her im Ohr klingt. Im Eng­li­schen al­ler­dings nur – »nur« – ei­ne ge­bräuch­li­che Re­de­wen­dung, die of­fen­bar ei­ne Hal­tung wie Op­por­tu­nis­mus be­zeich­net. Bei mir weckt der Satz ganz an­de­re As­so­zia­tio­nen, er lie­fert ei­ne gu­te Be­schrei­bung des­sen, was ich seit vie­len Jah­ren als Span­nung wert­schät­ze. Das Wort »Span­nung« hat ver­schie­de­ne Be­deu­tungs­nu­an­cen und wird recht un­ter­schied­lich ge­braucht. In letz­ter In­stanz ver­weist das Wort für mich auf den Le­bens­bo­gen, den ein je­der zu be­schrei­ben hat und zu be­schrei­ben sucht, und die­ser wie­der­um ver­bin­det sich mit dem, was Heid­eg­ger »Ent­wurf« nennt: Ent­wurf und Ge­schick, per­sön­li­che Ent­schei­dun­gen und äu­ße­re Be­din­gun­gen er­ge­ben im Zu­sam­men- und Wi­der­spiel den Le­bens­bo­gen. Ro­ma­ne und grö­ße­re Er­zäh­lun­gen ha­ben die­sen Bo­gen im Blick oder als Ho­ri­zont, auch dann, wenn über­haupt nicht von An­fang und En­de die Re­de ist. Im ge­wöhn­li­chen Le­ben ver­lie­ren wir den Ho­ri­zont oft aus den Au­gen; es be­steht auch gar nicht die Not­wen­dig­keit, ihn dau­ernd zu be­den­ken, aber hin und wie­der tut es doch gut.

Bei­de Sei­ten ge­gen die Mit­te spie­len. Die Ex­tre­me in Be­zie­hung set­zen, in Be­zie­hung hal­ten. Das ist doch das Ge­gen­teil vom gol­de­nen Mit­tel­weg, auf dem ei­ner sich durchs Le­ben schwin­delt. So ei­nen Satz zu äu­ßern, be­deu­tet, die Span­nung zu su­chen und In­ten­si­tä­ten zu le­ben. Hat Dy­lan es so ge­meint? Kei­ne Ah­nung. Die Songs des al­ten, nun­mehr über Acht­zig­jäh­ri­gen zeh­ren im­mer häu­fi­ger von Rück­blicken (üb­ri­gens auch die Bü­cher von Pe­ter Hand­ke). Das ist nur na­tür­lich, wir sind, vor al­lem, wenn wir nicht nur äl­ter, son­dern alt wer­den, was wir er­in­nern, und wie wir es er­in­nern (und ob). In Key West (Phi­lo­so­pher Pi­ra­te) nennt Dy­lan drei Dich­ter der Beat­nik-Ge­ne­ra­ti­on, die ihn be­ein­flußt oder zu­min­dest, als er jung war, be­ein­druckt ha­ben: Al­len Gins­berg, Gre­go­ry Cor­so, Jack Ke­rouac (okay, Ke­rouac war ein Er­zäh­ler).

Sol­ches Na­me­drop­ping ge­nügt, um Bil­der und Zu­sam­men­hän­ge auf­leuch­ten zu las­sen. Na­tür­lich muß der Zu­hö­rer oder Le­ser den Kon­text ken­nen, oder schlich­ter ge­sagt: Er muß ir­gend et­was über die Per­so­nen und Or­te wis­sen; am be­sten, er hat et­was mit ih­nen er­lebt, auch wenn es nur das häu­fi­ge An­hö­ren ei­ner LP ist oder die Er­in­ne­rung an Dal­las, wo John F. Ken­ne­dy er­mor­det wur­de. In Mur­der Most Foul, ei­ner sech­zehn­mi­nü­ti­gen Bal­la­de, die um den Prä­si­den­ten­mord von 1963 kreist, tut Dy­lan kaum et­was an­de­res als Na­men Re­vue pas­sie­ren zu las­sen. Ich kann­te nicht al­le – heut­zu­ta­ge kann man sich leicht kun­dig ma­chen –, aber doch ziem­lich vie­le. Ich sa­ge »Bal­la­de«, weil hier tat­säch­lich ei­ne Ge­schich­te er­zählt wird: die Ge­schich­te ei­ner Per­son, die mit­ten im Stru­del war (wie es im Prin­zip je­der ist oder sein kann), und die Ge­schich­te ei­ner Ge­ne­ra­ti­on. Rück­blick, da­von zeh­ren wir; nicht oder nicht mehr von der Zu­kunft. Es kommt dar­auf an, wie die Na­men ge­reiht wer­den. Je nach dem, kann die Evo­ka­ti­ons­kraft so ei­nes Songs stär­ker oder schwä­cher sein. Im Grun­de ge­nom­men hat das Dy­lan im­mer schon so ge­macht, nur daß der In­halt – die Bild­lich­keit – frü­her vi­sio­när und sur­re­al war, in die­sem Sinn: eher nach vor­ne ge­rich­tet. Dylans Bal­la­den wa­ren und sind Li­sten, Li­ta­nei­en (wie beim jun­gen Hand­ke Pu­bli­kums­be­schimp­fung, Selbst­be­zich­ti­gung oder auch Re­a­dy-Ma­des wie die Auf­stel­lung des 1. FC Nürn­berg oder die ja­pa­ni­sche Hit­pa­ra­de, bei­des ir­gend­wann 1968): What did you see, my blue-ey­ed son? – I saw a new­born ba­by, a high­way of dia­monds, a white lad­der

Ge­gen die Mit­te: Als Mit­te zählt nur, was durch die Span­nung zwi­schen den Ex­tre­men er­run­gen ist. Man muß sich den Ex­tre­men erst­mal aus­set­zen, sonst zählt das Sam­meln von Er­fah­run­gen gar nichts. Sol­ches Aus­ge­setzt­sein kann ei­nen auch zer­rei­ßen. Ri­si­ken und Ne­ben­wir­kun­gen des Le­bens.

Ei­gent­lich woll­te ich von et­was an­de­rem, von je­mand an­de­rem spre­chen, der Satz von Dy­lan soll­te nur als Steig­bü­gel die­nen.

Ken­nen Sie Sa­ra Gall­ar­do? – Die­se Fra­ge stell­te mir vor ei­ni­gen Jah­ren ein Lek­tor im Wa­gen­bach Ver­lag, und ich muß­te ver­nei­nen, ich kann­te nur ih­ren Na­men, hat­te nichts von ihr ge­le­sen.

Sa­ra Gall­ar­do wur­de 1931 in Bue­nos Ai­res ge­bo­ren, sie stamm­te aus ei­ner Fa­mi­lie von Po­li­ti­kern, Schrift­stel­lern, Jour­na­li­sten, Ge­lehr­ten (ähn­lich wie Pé­ter Ná­das!) und ver­dien­te sich ihr Brot zeit­le­bens als Jour­na­li­stin. Ihr Ur­ur­groß­va­ter Bar­to­lo­mé Mit­re war der er­ste Prä­si­dent der Re­pu­blik Ar­gen­ti­ni­en. Was heu­te als Na­tio­nal­li­te­ra­tur die­ses Lan­des be­trach­tet wird, geht auf das frü­he 19. Jahr­hun­dert zu­rück, das Vers­epos El Gau­cho Mar­tín Fier­ro gilt als Na­tio­nal­epos. Da­mals, in den An­fän­gen, bil­de­te sich ein spe­zi­el­les Gen­re her­aus, das meist als »li­te­ra­tura de fron­te­ra« be­zeich­net wird, ei­gent­lich Li­te­ra­tur von jen­seits der Gren­ze, wo­mit die weit­läu­fi­gen, von in­di­ge­nen Stäm­men be­wohn­ten Ge­bie­te nach We­sten und Sü­den zu – von Bue­nos Ai­res aus be­trach­tet – ge­meint sind. Der Ro­man Ei­se­juaz von Sa­ra Gall­ar­do ge­hört viel­leicht zu die­sem Gen­re; in den Buch ist, in selt­sa­mem Spa­nisch, die Stim­me ei­nes mat­a­co zu ver­neh­men, ei­nes Ur­ein­woh­ners der Re­gi­on Cha­co im Nor­den Ar­gen­ti­ni­ens, fern von Bue­nos Ai­res. Die­ser mat­a­co, zur christ­li­chen Re­li­gi­on be­kehrt, glaubt die Stim­me des Herrn zu hö­ren und ver­sucht, sich ge­gen die Un­ge­rech­tig­kei­ten der wei­ßen Her­ren zu weh­ren. In der halb an­ar­chi­schen, Chro­no­lo­gien her­aus­for­dern­den Er­zähl­wei­se er­in­nert der Ro­man an je­ne von Wil­liam Faul­k­ner, be­son­ders an Schall und Wahn.

Was ich an die­ser Stel­le sa­gen will – Ei­se­juaz ist ein mu­ster­gül­ti­ges Bei­spiel für ei­ne Er­zähl­li­te­ra­tur, die den Stand­punkt und die Per­spek­ti­ven des ganz An­de­ren ein­nimmt und dar­zu­stel­len ver­sucht. In die­sem Sinn läßt sich der Be­griff »li­te­ra­tura de fron­te­ra« in ei­nem viel wei­te­ren, nicht eth­no­gra­phisch ein­ge­grenz­ten Sinn ver­ste­hen. Es han­delt sich um das Ge­gen­teil des Ich-Ro­mans (shis­hou­setsu in Ja­pan): Schrei­ben als voll­stän­di­ge Los­lö­sung vom Selbst. Ei­ne sol­che Los­lö­sung ist viel­leicht am be­sten durch blo­ßes Zu­hö­ren und Auf­neh­men zu er­rei­chen; wie­wohl die Er­geb­nis­se zei­gen, daß Ge­stal­tung not­wen­dig ist und de­li­rie­ren­de münd­li­che Dis­kur­se – und wel­che wä­ren nicht de­li­rie­rend? – in der Re­gel zer­fal­len wie schlecht ge­kne­te­te Knö­del, wenn man sie ins Koch­was­ser legt. Zu ge­stal­ten wuß­te Sa­ra Gall­ar­do sehr wohl, aber sie hat, als Jour­na­li­stin, zu­nächst ei­ne Rei­se in den Cha­co un­ter­nom­men und Li­san­dro Ve­ga stun­den­lang re­den las­sen und da­bei mit­ge­schrie­ben, um dann, zu­rück in Bue­nos Ai­res, ei­nen Ar­ti­kel über Li­san­do Ve­ga in der Wo­chen­zeit­schrift Con­fir­ma­do zu ver­öf­fent­li­chen. Spä­ter wur­de aus dem Ge­hör­ten und Auf­ge­zeich­ne­ten ein Ro­man. Gall­ar­do hat­te da­für nicht ein­mal den Na­men der Haupt­fi­gur, Li­san­dro Ve­ga, ge­än­dert. Ei­se­juaz ist sein Ruf­na­me; ich weiß nicht, ob er ir­gend­ei­ner re­al exi­stie­ren­den Spra­che an­ge­hört, im Buch wird er als »ese tam­bién« aus­ge­legt, was un­ge­fähr »der an­de­re auch« heißt. Ich glau­be, sol­che Bü­cher schrei­ben sich, wenn man als Au­tor mit Hil­fe von Gott Zu­fall den Fa­den in die Hand und den Ton ins Ohr be­kommt, von selbst. Je­mand an­de­rer schreibt sie. Der An­de­re. Ese tam­bién.

Et­was ähn­li­ches kann man als Au­tor manch­mal mit Kin­der­spra­che und Kin­der­per­spek­ti­ve er­le­ben, wo­bei das Kind un­ter Um­stän­den je­nes ist, das der Au­tor vor vie­len Jah­ren war. Es geht dar­um, über die Gren­ze ins Un­be­kann­te vor­zu­drin­gen. Letzt­lich spre­chen wir hier vom Er­zähl­prin­zip als sol­chem: sich in den an­de­ren hin­ein­ver­set­zen, Iden­ti­täts­gren­zen über­schrei­ten, den Fi­gu­ren fol­gen wie ein un­sicht­ba­rer Geist. Re­spekt – ich sa­ge lie­ber: Ach­tung – vor dem an­de­ren, Ein­füh­lung und Nach­ah­mung, Auf­nah­me von Fremd­ele­men­ten ins Ei­ge­ne: all das schließt sich kei­nes­wegs aus. Er­zäh­len heißt be­reits, kul­tu­rel­le An­eig­nung zu trei­ben. Wer sol­che An­eig­nung ab­lehnt, lehnt das Er­zäh­len ab.

Ich las­se wie­der mal ein paar Na­men fal­len, stel­le un­er­war­te­te Nach­bar­schaf­ten her. Ähn­lich­keits­nach­barn. Ähn­lich­kei­ten und Un­ter­schie­de struk­tu­rie­ren das Den­ken. Nichts ge­gen das Zie­hen von Ver­glei­chen. Die lau­fen dann so­wie­so nicht auf das Glei­che – das Drit­te, ter­ti­um com­pa­ra­tio­nis – hin­aus. Un­ter­wegs, erst un­ter­wegs, ent­deckt man Be­son­der­hei­ten. Und doch auch das Glei­che, zum Bei­spiel zwi­schen Ei­se­juaz und Na­ra­ya­ma bu­shi­ko (von Shi­chi­rou Fu­ka­za­wa), zwei Bü­cher, die auf den er­sten Blick gar nichts ge­mein­sam ha­ben, in Wahr­heit aber doch, denn der er­ste Blick denkt ein­fach nur: Ja­pan und Ar­gen­ti­ni­en, was hat das mit­ein­an­der zu tun.

Für mich und mei­nen x‑ten Blick sehr viel, wenn­gleich nur durch Zu­fall (der ei­ner der wich­tig­sten Hel­fer des Trans­ver­sa­lis­mus ist). Im Na­ra­ya­ma-Buch geht es dar­um, wie in ei­nem Ge­birgs­dorf die Al­ten zum Ster­ben auf ei­nen Berg ge­schafft wer­den. Die Al­ten sind mit die­sem Brauch ein­ver­stan­den, sie schei­nen in Frie­den zu ster­ben. Eu­ro­pä­er mö­gen das für ei­ne ar­chai­sche Sit­te, die Lie­der der Dorf­be­woh­ner für alt­ja­pa­ni­sches Kul­tur­gut hal­ten. Falsch. Fu­ka­za­wa hat – im Un­ter­schied zu Gall­ar­do – al­les er­fun­den. Ge­mein­sam­kei­ten: Das Ro­he und zu­gleich Fein­sin­ni­ge die­ser An­de­ren; das Sen­ti­men­ta­le, die Lied­haf­tig­keit gleich­sam des Den­kens; das Mu­si­ka­li­sche, der Rhyth­mus der Spra­che. Ich den­ke auch an Ab­ge­sang des Kö­nigs, von Yuri Her­rera nä­her zu un­ser un­fein-ro­hen Ge­gen­wart ge­schrie­ben (die Nar­cos in Me­xi­ko!) – noch ei­nes die­ser Bü­cher, von de­nen ein Au­tor in sei­nem Le­ben nur ei­nes schrei­ben kann, nie­mals ei­ne Se­rie, weil es ei­gent­lich der An­de­re ge­schrie­ben hat, und die­ser An­de­re teilt sich sel­ten mit. Ich ken­ne ihn nicht, nie­mand kennt ihn wirk­lich, aber ich glau­be, er ist sehr streng in sei­ner Aus­wahl. Nicht wie die Mu­se, die ziem­lich be­lie­big ir­gend­wen küßt. Ver­rück­te Bü­cher. Neu­lich ist mir Mi­moun von Ra­fa­el Chir­bes in den Sinn ge­kom­men, der Ro­man spielt in Ma­rok­ko. Als ich dem Au­tor ge­gen­über, gut zwan­zig Jah­re ist es her, die­sen sei­nen Erst­ling be­son­ders lob­te, war er pein­lich be­rührt: »Ja, da­mals war ich ziem­lich ver­rückt.« Da­nach ist er ver­nünf­tig ge­wor­den, hat Ar­ti­kel für ei­ne Gour­met-Zeit­schrift (Brot­er­werb) und wohl­ge­ord­ne­te Ge­sell­schafts­ro­ma­ne ge­schrie­ben, aber lei­der nie zu rau­chen auf­ge­hört, was zu sei­nem frü­hen Tod bei­getra­gen hat. Was man halt so nennt, früh. Er starb ge­nau in dem Al­ter, in dem ich jetzt bin. Es wird lang­sam Zeit.

Pa­qui, das un­dank­ba­re eu­ro­ame­ri­ka­ni­sche Arsch­loch in Ei­se­juaz, vom Mat­a­co, der selbst am Hun­ger­tuch nagt, ver­sorgt und am Le­ben er­hal­ten, ist ein Städ­ter, ein In­tel­lek­tu­el­ler wie Ul­rich, der Held des ty­pisch groß­städ­ti­schen Ro­mans Der Mann oh­ne Ei­gen­schaf­ten (Bü­cher wie die zu­letzt ge­nann­ten ste­hen zu die­ser Art von Li­te­ra­tur in un­auf­heb­ba­rem Ge­gen­satz): ei­tel, selbst­be­zo­gen, gries­grä­mig, un­treu, un­dank­bar, rück­sichts­los usw. Die­se Fi­gu­ren ha­ben sehr wohl Ei­gen­schaf­ten, und zwar ei­ne gan­ze Men­ge. Ei­nen Mann oder ei­ne Frau oh­ne Ei­gen­schaf­ten wird es in der Er­zähl­li­te­ra­tur nie­mals ge­ben, das wä­re ei­ne con­tra­di­tio in ad­jec­to. Viel­leicht je­man­den, der sei­ne Ei­gen­schaf­ten, nach­dem sie ihm an­ge­eig­net wor­den sind, los­zu­wer­den ver­sucht, bei die­sem Un­ter­fan­gen kön­nen wir ihn oder sie dann le­send er­le­ben. Je­den­falls, das woll­te ich sa­gen, die­ser Pa­qui ist ein un­an­ge­neh­mer Typ wie je­ner Ul­rich, das Al­ter Ego des un­an­ge­neh­men Ro­bert Mu­sil (sie­he die 1500-Sei­ten-Bio­gra­phie von Karl Co­ri­no).

Ir­gend­wie, aber ich weiß beim be­sten Wil­len nicht wie, er­in­nert mich Ei­se­juaz auch an die Dich­tung Höl­der­lins. Hilft mir je­mand auf die Sprün­ge? Je­mand, ein Schwung­ge­ber, ein Tram­po­lin.

Al­so Ro­man – no­ve­la cor­ta, viel­leicht auf deutsch: klei­ner Ro­man – Ei­se­juaz ist wohl­do­siert, wohl­pro­por­tio­niert, für den Le­ser for­dernd, an­stren­gend, aber auch an­ge­nehm, herz­er­wär­mend. Das, was Li­te­ra­tur sein kann: Ar­beit und Spiel, bei­des in ei­nem, Spiel aus Ar­beit her­vor­ge­hend. Nicht zu groß, nicht zu klein, son­dern. Ei­ne Al­ter­na­ti­ve zum Groß(stadt)roman, zu den An­ge­bern à la Mu­sil. Das al­les viel­leicht oh­ne Ab­sicht der Au­torin, die sich der An­de­re ge­sucht hat. Als hät­te das Buch sich ge­schrie­ben. Oder sei­ne Haupt­fi­gur hat es ge­schrie­ben, die Au­torin hat ihm ihr Ohr ge­lie­hen. Sie­he oben.

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© Leo­pold Fe­der­mair

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  1. This ar­tic­le is about a Ser­bi­an tra­di­ti­on. For other uses of »lapot«, see Lapot (di­sam­bi­gua­ti­on).
    Lapot (Ser­bi­an: лапот, pro­no­un­ced [lâpot][1]) is the le­gen­da­ry prac­ti­ce of se­ni­ci­de in Serbia:[2][3][4] kil­ling one’s par­ents, or other el­der­ly fa­mi­ly mem­bers, on­ce they be­co­me a fi­nan­cial bur­den on the fa­mi­ly. Ac­cor­ding to T. R. Ge­or­ge­vitch (Đorđe­vić), wri­ting in 1918 about the ea­stern high­lands of Ser­bia, in the re­gi­on of Za­ječar, the kil­ling was car­ri­ed out wi­th an axe or stick, and the en­ti­re vil­la­ge was in­vi­ted to at­tend. In so­me places corn mush was put on the head of the vic­tim to make it seem as if the corn, not the fa­mi­ly, was the killer.[5]

    Ge­or­ge­vitch sug­gests that this le­gend may have ori­gi­na­ted in ta­les sur­roun­ding the Ro­man oc­cu­pa­ti­on of lo­cal forts.

    The Ro­mans ... we­re very bel­li­co­se peo­p­le. Their lea­der or­de­red all the hol­ders of the fort up to for­ty ye­ars of age to be ac­ti­ve figh­ters, from for­ty to fif­ty to be guards of the fort, and af­ter fif­ty to be kil­led, be­cau­se they have no mi­li­ta­ry va­lue. Sin­ce that pe­ri­od the old men we­re killed.[5]

    An­thro­po­lo­gist Sen­ka Ko­vač, in a stu­dy on aging, men­ti­ons that the na­me »lapot« is gi­ven to this cu­s­tom of kil­ling the el­der­ly in ea­stern Serbia.[4]

    In a stu­dy pu­blished in 1999, Bo­jan Jo­va­no­vić ar­gues that ear­lier an­thro­po­lo­gists such as Tro­ja­no­vić, Ge­or­ge­vitch, and Ča­j­ka­no­vić had con­fu­sed myth wi­th rea­li­ty and that the well-known sto­ry of a grand­son who had hid­den his grand­fa­ther to pro­tect him from lapot af­ter a bad har­vest, brin­ging him back to the vil­la­ge when the old man’s wis­dom had shown a way to sur­vi­ve, was the ba­sis for estab­li­shing that the old should be re­spec­ted for their know­ledge and wi­se counsel.[6]

    The tra­di­ti­on was the to­pic of the 1972 TV do­cu­dra­ma Legen­da o Lapo­tu (The Le­gend of Lapot) by Goran Pas­kal­je­vić, in which af­ter a bad har­vest, an el­der­ly man who could no lon­ger work was ri­tual­ly slain.[2][7][8][9] The 1992 no­vel Lapot by Ži­vo­jin Pav­lo­vić re­cei­ved the NIN Prize.[10][11] In 2004, Ita­li­an news agen­cy ANSA re­por­ted from Bel­gra­de that an attempt by the Ser­bi­an go­vern­ment to in­tro­du­ce a law re­st­ric­ting free dis­pen­sing of lifes­aving me­di­ci­nes to the over 60s, had be­en de­scri­bed by the Serb me­dia as a ca­se of »lapot«.[12]

  2. Vie­len Dank! Ih­re Es­says sind so an­re­gend, dass ich gleich aus­rücken möch­te, selbst or­tho­go­nal zu Ih­rer trans­ver­sa­len Lek­tü­re ei­ne ho­ri­zon­tal, spi­ral­för­mi­ge Rei­he zu star­ten.

  3. Zum Kom­men­tar von Dra­gan Al­ek­sić: Es ist die Wie­der­ga­be ei­nes eng­li­schen Wi­ki­pe­dia-Ar­ti­kels über »Lapot«, ei­ner einst in Ser­bi­en teil­wei­se prak­ti­zier­ten Form von Se­ni­zid, über­setz­bar et­wa als »Al­ten­tö­tung«. In ei­nem deut­schen Wi­ki­pe­dia-Ar­ti­kel zu die­ser The­ma­tik sind noch in an­de­ren Län­dern prak­ti­zier­te For­men auf­ge­führt.

    Es geht um die Stel­le im Es­say, als von Shi­chi­rou Fu­ka­za­was Buch Na­ra­ya­ma bu­shi­ko die Re­de ist, in dem in ei­nem Ge­birgs­dorf die Al­ten zum Ster­ben auf ei­nen Berg zum Ster­ben ge­schafft wer­den.

  4. @ Dra­gan Al­ek­sic

    Aus dem hier ge­po­ste­ten Wi­ki­pe­dia-Ar­ti­kel geht nicht klar her­vor, ob »lapot« auf rea­le hi­sto­ri­sche Prak­ti­ken zu­rück­geht oder ob das »nur« Le­gen­den sind. Ich neh­me an, letz­te­res. Ich glau­be nicht, daß Fu­ka­za­wa vom ser­bi­schen »lapot« wuß­te; sein Ro­man wur­de 1956 erst­ver­öf­fent­licht. Die Idee, zur Last fal­len­de Al­te zu »ent­sor­gen«, ist in je­dem Fall nicht gar so weit her­ge­holt. In ei­ner stark über­al­ter­ten Ge­sell­schaft wie der ge­gen­wär­ti­gen ja­pa­ni­schen wird sie wie­der vi­ru­lent. Die Re­gis­seu­rin Chie Hay­a­ka­wa hat sie un­längst in ih­rem sehr fein­füh­li­gen Film »Plan 75« auf­ge­grif­fen. (Sie­he da­zu auch mei­nen Ar­ti­kel in der Neu­en Zür­cher: https://www.nzz.ch/feuilleton/japan-ueberaltert-und-kommt-auf-die-idee-beim-ableben-zu-helfen-ld.1698058)

  5. In Deutsch­land gab es 2007 ei­nen dys­to­pisch-uto­pi­schen Fern­seh­film in drei Tei­len, der für Fu­ro­re sorg­te. Schon der Ti­tel 2030 – Auf­stand der Al­ten gab An­lass zur Em­pö­rung. Der Kern des Films be­stand dar­in, wie man mit der Boo­mer­ge­ne­ra­ti­on, die un­zwei­fel­haft um 2030 her­um in Ren­te ge­hen wür­de, um­geht. Schließ­lich wur­den die Al­ten in Bil­lig­hei­me in Afri­ka un­ter­ge­bracht, wo sie ru­hig­ge­stellt wur­den und lang­sam vor sich hin star­ben, oh­ne die Be­völ­ke­rung in Deutsch­land über Ge­bühr zu be­la­sten. Da­hin­ge­hend rich­te­te sich der »Auf­stand«.

    2030 war da­mals noch un­end­lich weit weg; heu­te sind es sechs Jah­re. Es gibt Not­stand in vie­len Al­ten­hei­men, weil kaum mehr Pfle­ge­per­so­nal zur Ver­fü­gung steht. Gleich­zei­tig ist noch gar nicht der Hö­he­punkt er­reicht. Die Po­li­tik drückt sich seit Jahr­zehn­ten vor die­sen Fra­gen und be­schwich­tigt, nicht zu­letzt, weil die­se Al­ters­grup­pe re­le­vant ist für Wah­len. In ei­ni­gen so­zia­len Netz­wer­ken ha­be ich schon »Vor­schlä­ge« ge­le­sen, die in die Rich­tung des Fern­seh­films von 2007 ge­hen. Das kam haupt­säch­lich von jün­ge­ren Ak­ti­vi­sten.

  6. Im Film »Plan 75«, des­sen Hand­lung wohl­ge­merkt Fik­ti­on ist, ver­folgt die Re­gie­rung ein sanf­tes Pro­gramm zur Ent­sor­gung der Al­ten, wo­bei Frei­wil­lig­keit Vor­aus­set­zung ist. Üb­ri­gens hat man auch in Fu­ka­za­was Ro­man den Ein­druck, daß die Al­ten mit ih­rem Ab­trans­port auf den Berg (nicht nach Afri­ka) ein­ver­stan­den sind.

    Ich selbst ge­hö­re nicht zu den Jun­gen, viel­mehr muß ich mich be­reits mit mei­ner ei­ge­nen Ent­sor­gung aus­ein­an­der­set­zen. Ein frei­wil­li­ges, mög­lichst sanf­tes En­de kann ich mir schon vor­stel­len. Nicht in na­her Zu­kunft, kei­ne Angst. Aber wenn ich über 75 bin.

    Mit sol­chen Über­le­gun­gen be­we­ge ich mich in die Ge­gen­rich­tung zu je­nen Tech­no-Mil­li­ar­dä­ren, die die Un­sterb­lich­keit an­stre­ben.

  7. Schon Walt Dis­ney streb­te nach Un­sterb­lich­keit, be­schäf­tig­te sich mit Kryo­nik, d. h. dem Ein­frie­ren nach dem Tod oder auch wo­mög­lich schon zu­vor, um dann ei­ni­ge Jahr­zehn­te spä­ter auf­zu­wa­chen. Er starb an Krebs; ein Ein­frie­ren hät­te nichts ge­hol­fen.

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