Klin­gel­beu­te

Der Klin­gel­beu­tel war ein läng­li­cher Beu­tel aus ro­tem Samt, mit ei­nem gol­de­nen Glöck­chen an sei­nem un­te­ren En­de, das sich wie ei­ne Wurst zu­sam­men­zog. Er hing vom En­de ei­ner lan­gen höl­zer­nen Stan­ge und schau­kel­te ein we­nig, wenn er sich durch die Kirchen­bankreihen bis zur in der Mit­te sit­zen­den, dort zu­sam­me­ge­kau­er­ten Per­son (das war ich) vor­an­ta­ste­te, wo­bei ...

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Glas­kinn­jour­na­li­sten

Ein Jour­na­list (ich nen­ne ihn X) teilt ei­nen ge­teil­ten FAZ-Bei­­trag ei­nes Freun­des auf Face­book. Die Über­schrift des FAZ-Bei­­trags lau­tet: »Alt­kanz­ler Schrö­der lobt Do­nald Trump«. X fügt bei sei­nem Po­sting auf Face­book noch hin­zu: »Alt68er und Putin­freun­de ste­hen zu­sam­men!« Vie­le Face­­book-Freun­­­de von X kla­gen die Un­dif­fe­ren­ziert­heit des Po­stings an. Kann und darf man ja ma­chen. Aber ...

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Drei klei­ne Hin­wei­se...

...falls noch Le­se­stoff be­nö­tigt wer­den soll­te.

Zum ei­nen auf Frank Ja­kub­ziks Er­zäh­lun­gen »In der mitt­le­ren Ebe­ne«. Statt des dä­mo­ni­schen oder geld­gie­ri­gen Bank­sters und/oder CEO steht hier die mitt­le­re An­ge­stell­ten­ebe­ne im Mit­tel­punkt, die Ver­trieb­ler und Kun­den­dienst­ler in ei­nem (fik­ti­ven) mit­tel­stän­di­schen (aber glo­ba­li­sier­ten) Un­ter­neh­men. Ja­kub­zik ge­lingt es den Fal­len der Iro­nie und des Rea­lis­mus zu ent­kom­men. Er be­schreibt nicht, er er­zählt. Viel­leicht ist es auch fast schon ein Ab­ge­sang auf ei­ne Welt, die es in die­ser Form bald nicht mehr ge­ben wird (Stich­wort: »In­du­strie 4.0«). Und so be­kom­men man­che Ge­schich­ten auch ei­ne leich­te Me­lan­cho­lie. An­de­re hin­ge­gen sind fast (alp-)traumhaft. Ja­kub­zik ver­fügt über ei­ne ve­ri­ta­ble sti­li­sti­sche Spann­brei­te. Mehr dar­über hier.

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Bo­tho Strauß: Oni­rit­ti

Botho Strauß: Oniritti - Höhenbilder
Bo­tho Strauß:
Oni­rit­ti – Hö­hen­bil­der

Un­längst konn­te man le­sen, dass bei der Be­sied­lung des Mars durch Erd­be­woh­ner (op­ti­mi­sti­sche Pla­nun­gen se­hen dies ab 2025 vor) auf Häu­ser ver­zich­tet wer­den muss. Me­teo­ri­ten­schau­er, Sand­stür­me, Temperaturschwan­kungen und Welt­raum­strah­lun­gen ma­chen dies un­mög­lich. Statt­des­sen müss­ten die Erd­lin­ge in La­va­höh­len und ‑kra­tern le­ben, die es auf dem ro­ten Pla­ne­ten auch in grö­sse­rer An­zahl zu ge­ben scheint. Ein be­rühm­ter Ar­chi­tekt hat hier­zu be­reits ent­spre­chen­de Ent­wür­fe vor­ge­legt. Am En­de des ver­mut­lich größ­ten tech­no­lo­gisch-zi­vi­li­sa­to­ri­schen Ak­tes der Mensch­heit wä­re der Ho­mo sa­pi­ens wie­der ein Höh­len­be­woh­ner.

Es ist eher un­wahr­schein­lich, das Bo­tho Strauß beim Schrei­ben sei­nes neu­en Bu­ches »Oni­rit­ti – Höh­len­bil­der« die­ses Bild vor Au­gen hat­te. Er de­fi­niert Oni­rit­ti als »Bild­schrif­ten auf der Höh­len­wand der Nacht«, er­wähnt ei­nen Ge­dan­ken von An­dré Le­roi-Gour­han über die Höh­len­bil­der von Las­caux, schickt den Le­ser gleich zu Be­ginn in das »Un­ter­ir­di­sche Reich Agh­ar­ti« und da­nach nach »Id­le Ci­ty«, dem »Mär­chen­reich der ge­brech­li­chen See­len«, phan­tas­ma­go­riert von »ge­hei­men Grot­ten« und ent­deckt ein »Ha­des­äqui­va­lent«.

Die Höh­le, bei Pla­ton einst Sinn­bild für das un­freie In­di­vi­du­um, ist hier nicht mehr der Ort der Ma­ni­pu­la­ti­on und des (fal­schen) Scheins, son­dern wird zum Exil der letz­ten (den­ken­den) Men­schen um­ge­wer­tet. Er­klomm Za­ra­thu­stra den Berg so haust Strauß in der Höh­le. Die Schat­ten- und Trug­bil­der fin­det er in ei­ner an­de­ren, ei­ner vir­tu­el­len Welt, die die rea­le Welt zu usur­pie­ren droht oder be­reits usur­piert hat. »Schon ver­strickt oder nur ver­netzt« lau­tet denn auch leicht süf­fi­sant ein­mal die Fra­ge. Der Ver­netz­te ist der Ge­fan­ge­ne des 21. Jahr­hun­derts und Rück­zug die neue Bür­ger­pflicht.

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PV

12.30 Uhr, Pres­se­vor­füh­rung (»PV«) in Düs­sel­dorf von Wim Wen­ders’ Film »Die schö­nen Ta­ge von Aran­juez« nach dem Thea­ter­stück von Pe­ter Hand­ke. Ur­sprüng­lich soll­te der Film be­reits im No­vem­ber in die Ki­nos kom­men. Jetzt heisst es 27. Ja­nu­ar. Ein Vor­ab­link ist nicht mög­lich, da er im 3D »Natural-Depth«-Verfahren ge­dreht wur­de. Wie im­mer bin ich zu früh; ...

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Da­ni­el Kehl­mann: Du hät­test ge­hen sol­len

Daniel Kehlmann: Du hättest gehen sollen
Da­ni­el Kehl­mann:
Du hät­test ge­hen sol­len

Ein na­men­lo­ser Dreh­buch­schrei­ber fährt An­fang De­zem­ber mit Frau Su­san­na und der vier­jäh­ri­gen Toch­ter Esther in die Ber­ge. Sie ha­ben über AirBnB ein Haus an­ge­mie­tet. Der Mann muss un­be­dingt die Fort­set­zung sei­ner er­folg­rei­chen Film­ko­mö­die schrei­ben; der Produ­zent sitzt ihm im Nacken. Er lebt mit sei­nen Fi­gu­ren Ja­na und El­la, ent­wirft al­ber­ne Dia­lo­ge, ba­stelt an Beziehungs­problemen. All dies fin­det sich in ei­nem Ta­ge­buch, in dem er ne­ben sei­nen Dreh­buch­ent­wür­fen un­ter­schieds­los auch pri­va­te Din­ge wie die di­ver­sen Strei­te­rei­en mit Su­san­na (die im­mer­hin, im Ge­gen­satz zu ihm, ir­gend­wann ein­mal stu­diert hat) oder die eher put­zig-hilf­lo­sen Dia­lo­ge mit Esther no­tiert.

So wird der Le­ser Zeu­ge des sich fül­len­den Ta­ge­buchs und zu­wei­len ver­schwim­men die Gren­zen zwi­schen Schrei­be­rei und re­al Er­leb­tem. Es ist fast ein Drit­tel der Er­zäh­lung vor­bei, als der Au­tor mit dem Au­to die Ser­pen­ti­nen­stra­sse hin­un­ter ins Dorf in den Ge­mischt­wa­ren­la­den fährt. Nein, es ist kein schö­nes Dorf: ei­ne Stra­ße, ei­ne Kir­che und ge­gen­über der La­den. Al­le Kli­schees, die man von ei­nem Tan­te-Em­ma-La­den ab­seits der Tou­ris­mus­rou­ten in Bay­ern ha­ben kann, wer­den sorg­fäl­tig aus­ge­brei­tet. Der In­ha­ber ist lang­sam, schrul­lig und spricht Dia­lekt. Und der La­den ist teu­er. Vor al­lem aber macht er ein paar my­ste­riö­se An­deu­tun­gen zum Haus, fragt, wie es sich dort wohnt und ob er mit dem Be­sit­zer ge­spro­chen ha­be und rät schließ­lich un­ver­hofft: »Geht schnell weg.« Et­was Ge­heim­nis­um­wit­ter­tes brei­tet sich aus und nach der Rück­kehr vom Dorf­la­den wird das An­we­sen, zu­nächst als ge­räu­mig und fast lu­xu­ri­ös emp­fun­den, schnell zu ei­nem Spuk­haus. Die Toch­ter, die von den El­tern nachts mit ei­ner Vi­deo­ka­me­ra be­ob­ach­tet wird, kann nicht mehr schla­fen und auch Su­san­na fühlt sich un­wohl. Der Er­zäh­ler wird von al­ler­lei Merk­wür­dig­kei­ten er­schüt­tert. Er bleibt bei­spiels­wei­se im Spie­gel un­sicht­bar. Ein gru­se­li­ges Bild ei­ner Frau mit »eng bei­ein­an­der­lie­gen­den Au­gen« ist plötz­lich nicht mehr da. Alp­träu­me ver­ur­sa­chen zit­tern­de Hän­de. Rech­te Win­kel sind nicht mehr 90 Grad, son­dern 100 oder 80. Und wer hat »Geh weg« ins Ta­ge­buch ein­ge­tra­gen? Dann ent­deckt er auch noch auf dem Mo­bil­te­le­fon von Su­san­na zwei­deu­ti­ge SMS ei­nes ge­wis­sen Da­vid.

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Blog­ger sind kei­ne Mar­ke­ting­pup­pen

Und wie­der flammt die Dis­kus­si­on um ei­ne Pro­fes­sio­na­li­sie­rung (die im­mer auch ei­ne Mo­ne­ta­ri­sie­rung sein soll) von Buch­blog­gern auf. Im März ent­deck­te Kar­la Paul in ei­ner »Key-No­te« die »Nai­vi­tät des Feuil­le­tons samt de­rer Re­dak­teu­re« in Be­zug auf Li­te­ra­tur­blog­ger und emp­fahl die­sen, end­lich aus der »Flausch­zo­ne« aus­zu­tre­ten und sich ent­sprechend zu ver­mark­ten. »Der Kauf ist nur ei­nen Klick ent­fernt und die Le­ser ver­trauen Euch längst weit mehr als je­dem Jour­na­li­sten«, so lau­tet denn die Pa­ro­le und am En­de wur­de der schwam­mi­ge Ap­pell vor­ge­bracht »Voll­pro­fis für die lei­den­schaft­li­che Hin­ga­be« an Li­te­ra­tur zu sein.

Wie die­se Pro­fes­sio­na­li­sie­rung ge­nau aus­se­hen soll, blieb im Dun­keln; Vi­sio­nä­re küm­mern sich ja eher sel­ten dar­um, wer den Müll run­ter­bringt. Pauls Käm­mer­lings-Schel­te ist aber nicht nur sug­ge­stiv, son­dern ab­ge­schmackt. Sie läuft dar­auf hin­aus, das Feuil­le­ton durch die Blog­ger­sze­ne er­set­zen zu wol­len. Die Be­deu­tung des Feuil­le­tons sin­ke oh­ne­hin, so Paul. Der Be­fund ist zwar rich­tig, aber die Grün­de hier­für lie­gen nicht dar­in, dass es Blogs gibt, son­dern das in­ner­halb der Kul­tur­sei­ten der klas­si­schen Me­di­en die Kri­te­ri­en zu Gun­sten ei­nes eher tri­via­le­ren Li­te­ra­tur­ver­ständ­nis­ses auf­ge­weicht wur­den. Pauls Ar­gu­men­ta­ti­on hinkt auch da­hin­ge­hend, weil sie (auch rich­ti­ger­wei­se) fest­stellt, dass Blog­ger nicht in Struk­tu­ren des Feuil­le­tons ar­bei­ten. In­so­fern wä­re ja ei­ne di­rek­te Kon­kur­renz (auch in punk­to fi­nan­zi­el­ler Mit­tel) gar nicht vor­han­den.

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Ta­ge und Recht­fer­ti­gun­gen

Die ro­ten Ne­ster von Glut, die sich noch an den Fir­sten der Dä­cher und in den Spit­zen der Pap­peln ge­hal­ten und sich in das Ge­fie­der der vor­über flie­gen­den Krä­hen ge­legt hat­ten, ver­glom­men: Dun­kel­grau und glatt schoss der Fluss, an des­sen, mit Pfla­ster­stei­nen be­fe­stig­ten, Bö­schung ich stand, da­hin, ei­ne mat­te Flä­che, die ich noch vor kur­zem, lang­sam und zäh, wie La­va, mit Wir­beln und Strö­mun­gen, da­hin flie­ßen sah, sil­bern, iri­sie­rend in al­len Ab­stu­fun­gen von Rot, Gelb und Oran­ge, von ei­nem Aus­bruch her­rührend, weit, weit, ent­fernt: Ein Tag wie vie­le an­de­re, ver­fiel und doch war er von ei­nem Reich­tum ge­we­sen, wie man ihn sel­ten ge­winnt. Aus den Bü­schen und dem Was­ser kroch be­reits die Küh­le und von der Er­de stieg das Dun­kel hoch, aber mein Wohl­wol­len blieb: Wie der Tag so die Nacht, dach­te ich, setz­te mich auf die Bank, die ei­ni­ge Schrit­te weit ent­fernt stand, zog die Bei­ne an und schmieg­te mich an die Leh­ne: Was sich so lan­ge an­ge­deu­tet und hin­ge­zo­gen hat­te, war rasch voll­bracht: Die Gleich­för­mig­keit der Schat­ten mach­te sich über­all breit, je­ne an­de­re Welt, mit ih­ren ei­ge­nen Ge­set­zen, dem Ver­lust von Klar­heit und Form, dem Wech­sel der Sin­ne und dem Wa­chen des an­son­sten Schla­fen­den: Mit den letz­ten Strah­len des Lichts ver­fiel auch mein Stau­nen, das nie an die Wie­der­kehr des Glei­chen ge­bun­den war, die nur Teil­nahms­lo­sig­keit und Selbst­ver­ständ­lich­keit zur Fol­ge hat: Mein Stau­nen hat­te im­mer den ein­zel­nen Er­schei­nun­gen und We­sen der Na­tur ge­gol­ten, die da­durch, je­de für sich, aus ihr her­aus­tra­ten und mich an et­was, das ich im Ge­schäft der Ta­ge all­zu leicht und ger­ne ver­gaß, er­in­ner­ten: Un­ver­blümt sind sie in ih­rem Wach­sen, ih­rem Rei­fen oh­ne­hin, in ih­rem Ver­fall noch und ih­rer Wie­der­kehr: Un­ver­blümt ist das Schö­ne, das sich ver­schwen­det, weil es ist, oh­ne für, oh­ne wenn und oh­ne aber: Nicht selbst­ver­ständ­lich wie der Wech­sel der Jah­res­zei­ten oder eben je­ner von Tag und Nacht, nicht so wie das Sei­en­de oder das Le­ben für den­je­ni­gen, der mit­ten in ihm auf­wächst: Un­ver­blümt ist ein Werk oh­ne Plan und Schöp­fer, oh­ne Zu­tun über­haupt.

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