Längst ab­ge­kop­pelt

Er­lan­gen, Sonn­tag, 30. Au­gust 2015. 14.00 Uhr. 33 Grad. 35. Er­lan­ger Poe­ten­fest. Ort: Oran­ge­rie. Fünf Men­schen auf dem Po­di­um. Rund 100 Men­schen im Saal, wei­te­re 100 (ge­schätzt) drau­ßen auf der Wie­se, laut­spre­cher­be­schallt. » ‘Elen­des Kum­pel­sy­stem’ – Kri­tik der Kri­tik« ist das The­ma der Dis­kus­si­on mit Ur­su­la März, Re­né Agu­i­gah, Jörg Sun­dermei­er, Flo­ri­an Fe­lix Weyh (als Mo­de­ra­tor) und mir.

Weyh er­öff­ne­te die Dis­kus­si­on. Er wies dar­auf hin, dass die Kri­tik an der Li­te­ra­tur­kri­tik nicht neu sei und dass es et­li­che Bü­cher mit Re­zen­sen­ten­be­schimp­fun­gen ge­be. Der Ti­tel die­ser Dis­kus­si­on war ei­nem Buch­Markt-In­ter­view vom Ja­nu­ar die­ses Jah­res mit Jörg Sun­dermei­er ent­nom­men. Weyh stellt die Teil­neh­mer vor und ver­sprach: »Wir wol­len Ta­che­les re­den« und »die Be­zie­hun­gen un­ter­ein­an­der auf­klä­ren.« Weyh be­gann bei sich selbst zu­erst. Dann ging die Fra­ge »Kön­nen sie mir sa­gen, wen Sie ken­nen und wie Sie die ken­nen?« an Ur­su­la März. Die­se auf Trans­pa­renz zie­len­de Fra­ge, die zur Situations­bestimmung ge­dacht war (Weyh wies dar­auf hin, dass er als frei­er Mit­ar­bei­ter beim Deutsch­land­ra­dio Kul­tur un­ter Um­stän­den mit Ur­su­la März kon­kur­rie­re), war wohl für Frau März zu viel. Ih­re Mi­schung aus Phil­ip­pi­ka und Schimpf­ti­ra­de vom Be­ginn sei hier do­ku­men­tiert (in Fuss­no­ten ste­hen hier­zu mei­ne sub­jek­ti­ven An­mer­kun­gen):

»Das mach ich ger­ne, aber um es mal ganz of­fen zu sa­gen, Sie ha­ben ja ge­sagt wir sol­len Ta­che­les re­den. Ich hal­te es für voll­kom­men sinn­los, für wahn­sin­nig sinn­los. Ich muss es jetzt mal los­wer­den. Ich hal­te auch die­se Ver­an­stal­tung für ein­ein­halb Stun­den ver­ta­ne Zeit. [Rau­nen] Ich be­grün­de es ger­ne. Ich ken­ne al­le die hier sit­zen ir­gend­wie, ja.1 Ich ken­ne auch vie­le Au­toren die hier sind ir­gend­wie.2 Ich ha­be von Al­len mög­li­chen Bü­cher be­spro­chen. Das ist das al­ler­nor­mal­ste in ei­nem Be­rufs­mi­lieu, das man sich ir­gend­wie kennt.3 Dar­über zu spre­chen ist der­art nar­ziss­ti­sche Na­bel­schau, dass ich es schwer er­tra­ge – ich muss es wirk­lich sa­gen. Es ist jetzt die­se hier die 12. Po­di­ums­dis­kus­si­on an der ich teil­neh­me4, die ein The­ma hat. Li­te­ra­tur­be­trieb in der Kri­se, heu­te heißt es Kum­pel­sy­stem, usw usf. Das ist nur…das ist ein Phan­tom­ge­sche­hen, das auf blö­den Res­sen­ti­ments be­ruht, weil wir kei­ne li­te­ra­ri­schen De­bat­ten mehr füh­ren. Wir hät­ten tol­le The­men auch in den näch­sten ein­ein­halb Stun­den über Li­te­ra­tur zu spre­chen5, wir re­den aber seit et­wa 20 Jah­ren über Li­te­ra­tur­be­trieb und mei­net­we­gen ma­chen wir es auch die näch­sten an­dert­halb Stun­den. Ich hal­te es für Quatsch.« [Ver­hal­te­ner Ap­plaus]

»Dann kön­nen jetzt al­le ge­hen«, mein­te Flo­ri­an Fe­lix Weyh und füg­te noch hin­zu: »Frau März, Sie dür­fen na­tür­lich auch ge­hen, wenn Sie das für Quatsch hal­ten.« Weyh wies auf in­ter­ne Ver­hal­tens­richt­li­ni­en bei Deutsch­land­ra­dio Kul­tur hin, die ihn zu­wei­len durch­aus in Grü­beln bräch­ten, was er jetzt noch dür­fe und was nicht. Das er­mun­ter­te Frau März – die nicht ge­hen woll­te (ver­mut­lich um nicht zu­künf­ti­ge En­ga­ge­ments in Er­lan­gen zu ge­fähr­den):

»Das un­ter­streicht aber doch, dass wir es nicht mit ei­nem Kum­pel­sy­stem zu tun ha­ben. Ich hab das auch un­ter­schrie­ben, al­so so­zu­sa­gen die Vor­la­ge für die Dis­kus­si­on, die Herr Sun­dermann6 ge­bo­ten hat lau­tet doch: Der Li­te­ra­tur­be­trieb wird im­mer ma­fio­ti­scher und im­mer kor­rup­ter.7 Die Wahr­heit ist: Sie ha­ben beim Deutsch­land­ra­dio et­was un­ter­schrie­ben, was heißt, »Pass auf, wes­sen Bü­cher Ihr be­sprecht«. Ich ar­bei­te vor al­lem für die Zeit, bin da Pau­scha­li­stin. Da gibt es ei­nen ganz stren­gen Ka­ta­log für Kri­ti­ker und Feuil­le­to­ni­sten, den ich un­ter­schrie­ben ha­be und was wir al­les nicht dür­fen und es wird von Jahr zu Jahr stren­ger. Bei­spiels­wei­se wenn ich ei­nen Au­tor mit sei­nem neu­en Buch in ei­ner Mo­de­ra­ti­on vor­stel­le, so wie ich das am näch­sten Don­ners­tag in Ba­sel tue8, darf ich die­ses Buch nicht mehr re­zen­sie­ren. Das ist ganz schön streng. Vor 20 Jah­ren oder in den 70er, 80er Jah­ren, die of­fen­sicht­lich hier als die glor­rei­che Zeit der Li­te­ra­tur­kri­tik gel­ten9, wur­de das al­les ge­macht. Sie ha­ben jetzt ein Bei­spiel da­für ge­nannt, dass die Li­te­ra­tur, der Li­te­ra­tur­be­trieb ent­kor­rum­pi­siert wird, aber trotz­dem spre­chen wir dar­über, dass er an­geb­lich kor­rup­ter ist. Das fin­de ich sinn­los.«

Es wä­re mü­ssig, den wei­te­ren Ver­lauf der Dis­kus­si­on zu pro­to­kol­lie­ren. Jörg Sun­dermei­er schwäch­te sei­ne »Kumpelsystem«-Formulierung ab, wies auf die Emo­tio­na­li­tät der In­ter­view-Si­tua­ti­on hin und be­merk­te, dass er in zwei Ar­ti­keln sei­ne Po­si­ti­on prä­zi­ser und we­ni­ger ex­pres­siv for­mu­liert hat­te.10 Sei­ne Grund­kri­tik – feh­len­de Hal­tung der Re­zen­sen­ten, ein stark aus­ge­präg­ter Ak­tua­li­täts­wahn des Feuil­le­tons (mei­ne For­mu­lie­rung), wie man ge­ra­de am Wo­chen­en­de an Jo­na­than Fran­zens neu­em Ro­man se­hen konn­te, der so­wohl mit ei­nem In­ter­view des Au­tors als auch mit Re­zen­sio­nen be­dacht wird und die star­ke Fo­kus­sie­rung auf die Neu­aus­ga­ben der be­kann­ten, wich­tig er­ach­te­ten Ver­la­ge – blieb be­stehen. Den Be­griff des »Kumpel­systems« ni­vel­lier­te er; mei­nen Vor­schlag, des »Klün­gel« zu nen­nen, fand er auch nicht so gut.

Pro­ble­ma­tisch wirk­te sich für die Dis­kus­si­on aus, dass der Ein­druck des »Frü­her war al­les bes­ser« ent­stand, wo­bei März dann tat­säch­lich auf ei­ne Kri­tik von Rein­hard Baum­gart er­wähn­te, die heu­ti­gen Maß­stä­ben nicht mehr ge­recht wür­de. War­um das so war, blieb lei­der un­er­ör­tert, was na­tür­lich auch den Rah­men die­ser Dis­kus­si­on ge­sprengt hät­te.

Da­mit soll­te mit der Ver­gan­gen­heits­se­lig­keit auf­ge­räumt wer­den. Das ist si­cher­lich in vie­len Fäl­len wün­schens­wert. Aber dass »frü­her« doch nicht al­les bes­ser war, die Kri­tik an der Kri­tik je­doch wei­ter­hin be­steht, ging da­bei un­ter. Frau März ver­such­te noch zu er­läu­tern, dass die Li­te­ra­tur­kri­tik wie auch die Li­te­ra­tur ei­nen Be­deu­tungs­ver­lust er­lit­ten ha­be. Re­né Agu­i­gah warf ein, dass es Zu­hö­re­rIn­nen gibt, die selbst die ak­tu­el­len Kri­ti­ken bei Deutsch­land­ra­dio Kul­tur zu we­nig emo­tio­nal fin­den und mehr schlag­zei­len­träch­ti­ge Ur­tei­le wie »Mei­ster­werk«, »fu­ri­os« oder »bril­lant« wünsch­ten. Viel­leicht kommt dies aber auch da­her, dass die Kon­di­tio­nie­rung des po­ten­ti­el­len Le­sers, der Le­se­rin, in­zwi­schen der­art »ver­dor­ben« ist?

März’ echauf­fier­te Re­de zu Be­ginn zeigt, dass die Ka­ra­wa­ne wei­ter­zie­hen möch­te und jeg­li­che Kri­tik als über­flüs­sig, par­don: »sinn­los« be­trach­tet. Zu be­mer­ken wä­re, dass den Sinn die­ser Dis­kus­si­on nicht die Dis­ku­tan­ten vor­ge­ben, al­so auch nicht Frau März, son­dern die Zu­hö­re­rIn­nen. Über­ra­schend ist die­se Wa­gen­burg­men­ta­li­tät al­ler­dings nicht. In dem 2008 bei Re­clam er­schie­ne­nen Auf­satz­band »Tex­te zur Theo­rie der Literatur­kritik«, in dem Bei­trä­ge u. a. von Les­sing, Schil­ler, Kerr, Ben­ja­min, Bar­thes, Reich-Ra­nicki, En­zens­ber­ger und Win­kels ver­tre­ten sind, fin­det sich auch (et­was über­ra­schend) Ur­su­la März’ Text »Oh­ne Abend­gar­de­ro­be«, in dem sie die Li­te­ra­tur­kri­tik der Ge­gen­wart ge­gen den schlech­ten Ruf ver­tei­digt. Schon da­mals ver­miss­te März die »Literaturde­batten«; die letz­te sei, wie sie auch in Er­lan­gen be­ton­te, die »Chri­sta-Wolf-De­bat­te« 1990 ge­we­sen.

Re­né Agu­i­gah be­zwei­fel­te dies und warf als Bei­spiel Hou­el­le­becqs Buch »Un­ter­wer­fung« von An­fang des Jah­res ein. Man hät­te noch die De­bat­ten über Hand­kes Ju­go­sla­wi­en-Tex­te nen­nen kön­nen (1995f, 1999, 2006), die am En­de al­ler­dings tat­säch­lich we­ni­ger De­bat­ten denn Dif­fa­mie­run­gen und Ver­dik­ten gli­chen. In den 1990er Jah­ren wur­de auch über Hei­ner Mül­lers Sta­si- oder Nicht-Sta­si-Zu­ge­hö­rig­keit und Bo­tho Strauß’ An­schwel­len­der Bocks­ge­sang« dis­ku­tiert. Zwei­mal bot Mar­tin Wal­ser Stoff für Li­te­ra­tur­de­bat­ten: Pauls­kir­chen­re­de 1998 und »Tod ei­nes Kri­ti­kers« 2002. Oder, spä­ter, der Dis­kurs über Lit­tel­ls »Die Wohl­ge­sinn­ten« (2008), der aus­gie­big in der Zeit ze­le­briert wur­de. Ei­ne mög­li­che De­bat­te nann­te Frau März sel­ber: die über Ralf Roth­manns ak­tu­el­lem Buch »Im Früh­ling ster­ben«. Hier zeigt sich al­ler­dings, wie stark der Her­den­trieb im Be­trieb in­zwi­schen ist. Vor lau­ter Lob fand sich – au­ßer bei mir – zu­nächst kei­ne greif­ba­re ne­ga­ti­ve bzw. ad­äquat ana­ly­sie­ren­de Stim­me. Bis dann Ro­man Bu­che­li in der NZZ das Buch ve­he­ment ne­ga­tiv als Kitsch be­sprach. Die schrift­li­che Re­ak­ti­on der Debatten­freundin Ur­su­la März da­zu steht noch aus. Macht aber ei­gent­lich auch nix, denn in­zwi­schen ist das Buch sehr gut ver­kauft wor­den.

Frau März muss­te dann et­was frü­her weg. Sie stell­te den Ro­man des Kol­le­gen Ha­jo Stei­nert vor. Ei­nen Tag vor­her hat­te schon Ur­su­la März ih­ren neu­en bel­le­tri­sti­schen Er­zäh­lungs­band auf dem Haupt­podi­um prä­sen­tie­ren kön­nen; vor­ge­stellt von Dirk Kru­se und/oder Ha­jo Stei­nert. Dass dies min­de­stens de­gou­tant ist und hier ein Aufmerksam­keitskartell grob­schläch­tig miss­braucht wird, sieht sie nicht ein. Ihr ge­nügt, dass sie Stei­nerts Buch jetzt nicht mehr re­zen­sie­ren darf. Als wä­re dies ein Akt des Ver­zichts – denn Ho­no­rar bleibt Ho­no­rar und das ist für je­des Buch so­wie­so nur ein­mal zu er­hal­ten. Da ist ei­ne »Vor­stel­lung« ein­fa­cher als ei­ne li­te­ra­tur­kri­ti­sche Ausein­andersetzung. Zu­dem wenn man dies un­ter Kol­le­gen macht. War­um, so könn­te man fra­gen, wer­den li­te­ra­ri­sche Wer­ke von Kri­ti­kern (die in den letz­ten Mo­na­ten in­fla­tio­när zu­neh­men) nicht ein­mal von Schrift­stel­lern kri­tisch »vor­ge­stellt« oder, bes­ser, re­zen­siert?

Und war­um ei­gent­lich Li­te­ra­tur­kri­ti­ker in Er­lan­gen Bü­cher auf den Po­di­en zu Le­sun­gen vor­stel­len muss­ten, hat mir nicht ein­ge­leuch­tet. War­um nicht Buch­händ­ler aus der Re­gi­on, die ih­ren En­thu­si­as­mus ehr­li­cher und deut­li­cher er­klä­ren kön­nen als Kri­ti­ker, die da­mit zu schnell zu di­stanz­lo­sen »Zir­ku­la­ti­ons­agen­ten« (En­zens­ber­ger) mu­tie­ren? Sind sie wirk­lich auf die Ho­no­ra­re an­ge­wie­sen?

Er­fri­schend wa­ren die Re­ak­tio­nen aus dem Pu­bli­kum, die Weyh ab­frag­te. Da­bei stell­te sich sehr wohl her­aus, dass dif­fe­ren­zier­te und aus­gie­bi­ge Be­spre­chun­gen er­wünscht sind. Wer legt denn wirk­lich Wert auf ei­ne zehn­zei­li­ge »Emp­feh­lung« ei­nes Feuil­le­to­ni­sten für die Ur­laubs­lek­tü­re? Der schön­ste Mo­ment war als der be­son­ne­ne Re­né Agu­i­gah ver­sprach, noch mehr Sorg­falt und Ge­nau­ig­keit wal­ten zu las­sen. Das hör­te man ger­ne. Da war, glau­be ich, März schon beim Kum­pel. Ei­ner hat­te es aber wirk­lich schwer: Flo­ri­an Fe­lix Weyh als Mo­de­ra­tor. Er war nicht zu be­nei­den.

Viel­leicht hat auch Hans Ma­gnus En­zens­ber­ger wie­der ein­mal ein gro­ßes pro­phe­ti­sches Stück ge­lie­fert, als er 1986 in sei­ner »Re­zen­sen­ten-Däm­me­rung« ab­schlie­ßend fest­stell­te: »Das wah­re, das ei­gent­li­che Pu­bli­kum, ei­ne Min­der­heit von zehn- bis zwan­zig­tau­send Leu­ten, die sich nichts vor­ma­chen las­sen -, die­ses Pu­bli­kum hat sich vom Kas­per­le­thea­ter der gro­ßen Me­di­en längst ab­ge­kop­pelt; es bil­det sich sein Ur­teil un­ab­hän­gig vom Bla­bla der Re­zen­sio­nen und der Talk­shows, und die ein­zi­ge Form der Re­kla­me, an die er glaubt, ist die Mund­pro­pa­gan­da, die eben­so ko­sten­los wie un­be­zahl­bar ist.«


Wei­te­re Tex­te zu die­ser Ver­an­stal­tung:

Li­bro­skop – To­bi­as Lin­de­mann – Ein Rück­blick
Die Welt – Marc Reich­wein – Heu­te Kri­ti­ker, mor­gen Au­tor, über­mor­gen Ju­ror


  1. Ich bin ziemlich sicher, dass meine Person bzw. meine Texte Frau März gänzlich unbekannt waren und sind. 

  2. Um dieses "irgendwie" geht es ja unter Umständen. 

  3. Es ging nicht primär ums Kennen, sondern um die Verflechtungen miteinander, die über das bloße Kennenlernen hinausgehen. 

  4. Unklar, wie dies gemeint ist. 

  5. Spätestens hier stellt sich die Frage, warum denn Frau März überhaupt dieser Runde zugesagt hat. 

  6. Gemeint war der anwesende Herr Sundermeier. 

  7. Das hat Sundermeier nie suggeriert geschweige denn gesagt. 

  8. Gemeint ist die Vorstellung von Alain Claude Sulzers Buch "Postskriptum" am 3. September 2015 

  9. Niemand hatte bisher überhaupt etwas gesagt. 

  10. Vermutlich meint Sundermeier seinen Text wenige Tage später im "Freitag" und dann in der Perlentaucher-Diskussion im Sommer 

79 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Dan­ke für die Be­richt­erstat­tung. Mich er­staunt im­mer wie­der, wie schlecht doch Leu­te, die man da­für be­zahlt, über kom­ple­xe kul­tu­rel­le Ob­jek­te re­flek­tiert zu schrei­ben, ih­re ei­ge­ne Si­tua­ti­on re­flek­tie­ren und dar­stel­len kön­nen. Das größ­te Ta­bu scheint ja zu sein, ein­fach mal dar­zu­stel­len, wie die öko­no­misch-fi­nan­zi­el­len Be­din­gun­gen aus­se­hen, auf de­ren Ba­sis die Klün­gel-Wirt­schaft ge­deiht. Ich ver­mu­te, wer es nicht zum an­ge­stell­ten Re­dak­teur in ei­ner der gro­ßen Zei­tun­gen oder im DLF/DRadio ge­schafft hat, muss selbst mit ei­nem Ruf wie Ur­su­la März or­dent­lich ru­dern, um die gut­bür­ger­li­che Fas­sa­de auf­recht­zu­er­hal­ten. Dann ist das be­sin­nungs­lo­se Netz­wer­ken qua­si die täg­li­che Ar­beit – und die macht man si­cher­lich bes­ser, wenn man das gan­ze nicht als Klün­ge­lei und Kum­pe­lei sieht, son­dern als Be­rufs­mi­lieu, in dem man sich halt so be­wegt.
    Wirk­lich un­ab­hän­gi­ge Kri­tik kön­nen wahr­schein­lich nur noch Men­schen be­trei­ben, die ih­ren Le­bens­un­ter­halt mit et­was an­de­rem ver­die­nen und / oder be­reit sind, pre­kär zu le­ben. Das macht Li­te­ra­tur- und Kunst­blogs tat­säch­lich zu ei­ner Art Avant­gar­de der Kri­tik – im Schlech­ten wie im Gu­ten. Und viel­leicht ist das Schlech­te – der Poe­sie-Al­bum-Stil vie­ler Blogs, das Per­sön­li­che, Fan-mä­ßi­ge, die man­geln­de Kennt­nis von Li­te­ra­tur- und Kul­tur­ge­schich­te etc. – auch schon ein Teil des Gu­ten: Hier lie­gen die Kar­ten ein­fach auf dem Tisch, im Ge­gen­satz zu so man­cher ela­bo­riert da­her kom­men­der Kri­tik in den Qua­li­täts­me­di­en®, die dann noch nur ei­ne Um­schrei­bung des vom Ver­lag mit­ge­lie­fer­ten PR-Tex­tes ist (so er­klärt sich auch die doch re­la­tiv star­ke Ho­mo­ge­ni­tät der ein­zel­nen Kri­ti­ken.) Mit mehr Er­fah­rung wer­den vie­le Blog­ger ja auch bes­ser, zu­min­dest ge­wand­ter – und vie­le sind ja auch schon un­ter­halt­sam und in­for­ma­tiv, v.a. wenn man sich für Gen­re-ba­sier­te Li­te­ra­tur in­ter­es­siert. Mitt­ler­wei­le dürf­ten Blog­ge­rIn­nen v.a. für die Gen­re-ba­sier­te Li­te­ra­tur und den »Frau­en­ro­man« schon wich­ti­ger für die Ver­la­ge sein als die High-Brow-Kri­tik.
    An mir selbst mer­ke ich, dass ich im­mer sel­te­ner dt­sches. Li­te­ra­tur-Feuil­le­ton le­se, aber Blogs und die Ver­lags­sei­ten für mei­ne Ori­en­tie­rung wich­tig ist. Ob ich im­mer mehr engl. & frz. spra­chi­ge Li­te­ra­tur le­se, weil ich so vie­le engl. spra­chi­ge Li­te­ra­tur­ma­ga­zi­ne le­se, oder ob ich so vie­le an­der­spra­chi­ges Feuil­le­ton le­se, weil mich dt­sches. Li­te­ra­tur und Feuil­le­ton lang­weilt, muss ich noch her­aus­fin­den.

  2. Nie­mand will sich dem Ruf des Nest­be­schmut­zers aus­set­zen, al­so macht man erst ein­mal wei­ter so. Da­bei mer­ken die Ak­teu­re au­gen­schein­lich gar nicht mehr, wie sie schon in Netz­wer­ken be- und ge­fan­gen sind und wie weit dies ih­re in­tel­lek­tu­el­len Frei­hei­ten be­grenzt. Die An­ge­bots­kar­tel­le und Preis­ab­spra­chen in der Bau­in­du­strie er­war­tet man ja na­he­zu im­mer noch. Und Jour­na­li­sten grei­fen in­zwi­schen die Kor­rup­ti­on al­ler­or­ten an – de­lek­tie­ren sich ge­ra­de­zu an Or­ga­ni­sa­tio­nen wie der FIFA. Be­am­te müs­sen pe­ni­bel die Fla­sche Co­gnac re­gi­strie­ren las­sen, die ih­nen ir­gend­je­mand ein­mal im Jahr schenkt. Aber bei sich sel­ber ver­sa­gen Jour­na­li­sten all­zu oft. Wie sieht es denn im ZDF aus? Wie »funk­tio­niert« die Buch­prä­sen­ta­ti­on von Au­tor X bei Ver­lag Y? Im Kul­tur­jour­na­lis­mus soll die Fas­sa­de noch lan­ge auf­recht er­hal­ten wer­den. Hier par­fü­miert man sich mit heh­ren Kul­tur­wei­hen, gibt vor, dem Gu­ten und Schö­nen so­zu­sa­gen zu die­nen. Und dann gibt es da so ein Ar­ti­kel­chen von Rai­ner Mo­ritz in der NZZ...

  3. Netz­werk-Blind­heit und Pfusch, die Vor­wür­fe kann ich nach­voll­zie­hen. Aber für die in­zwi­schen un­über­seh­ba­re Un­zeit­ge­mäß­heit von Li­te­ra­tur sind die He­li­ko­pter-Re­zen­sen­ten nicht emp­fäng­lich, weil... Die Fra­ge bleibt im­mer of­fen. Ein Kor­rup­ti­ons-Tat­be­stand misst sich ja an ei­ner Norm, ei­nem Soll-Zu­stand. Und da bin ich skep­tisch, ob die Kri­tik wirk­lich im­mer auf der Sei­te der we­sent­li­chen Li­te­ra­tur ste­hen kann. Viel­leicht gibt es ja Ab­stands­ver­hält­nis­se, die das mal er­lau­ben, und mal ver­un­mög­li­chen. Spe­ku­lie­re nur...
    In­ter­es­sant, die star­ken Kon­troll-Me­cha­nis­men. Das ist an sich schon frag­wür­dig. Die Re­dak­tio­nen, die Ver­trä­ge, die Schleim­spur, die zu ei­ner zwei­ten Haut wird... Auch hier stellt sich die Fra­ge, was pas­siert, wenn die Li­te­ra­tur in die­sem Mi­lieu vor­stel­lig wird. Li­te­ra­tur­kri­tik und Li­te­ra­tur ha­ben sich viel­leicht ei­ne »Aus­zeit ge­nom­men«?!

  4. Die Fra­ge ist, ob an der Un­zeit­ge­mäß­heit von Li­te­ra­tur der Re­zen­si­ons­be­trieb nicht ein ge­rüt­telt Maß Mit­schuld trägt. Kri­ti­ker, die die Bü­cher nicht le­sen (bzw. nur teil­wei­se), sich stän­dig in Su­per­la­ti­ve flüch­ten (die das Pu­bli­kum ir­gend­wann ab­stump­fen) und Klün­ge­lei­en un­ter­ein­an­der, die sich nicht mehr ver­ber­gen las­sen – dies trägt da­zu bei, dass das Feuil­le­ton zur Emp­feh­lungs­ma­schi­ne wird. Viel­leicht soll­te man ein­fach ein­mal den Dampf aus dem Be­trieb neh­men. Aber das wür­de ein Um­den­ken vor­aus­set­zen.

  5. Was ver­steht Ihr denn un­ter der »Un­zeit­ge­mäß­heit von Li­te­ra­tur«? Buch­pro­duk­ti­on und Auf­la­gen ge­hen ja nicht zu­rück.

  6. @Doktor D
    Geht aber nicht die Reich­wei­te von Li­te­ra­tur zu­rück? Wel­ches Buch, das li­te­ra­ri­schen An­sprü­chen ge­nügt, wird denn noch in kom­mer­zi­ell in­ter­es­san­te Auf­la­gen ver­trie­ben (Buch­preis­ge­win­ner mal aus­ge­nom­men) ? Wo sind denn die Dis­kus­sio­nen am Ar­beits­platz über Li­te­ra­tur? Mag sein, das man­ches da­von auch ei­ne ge­wis­se Ver­klä­rung war/ist, aber in der Kon­kur­renz mit Fern­se­hen, Film, In­ter­net und Sport spielt doch die Li­te­ra­tur kaum noch ei­ne Rol­le. Hand­ke konn­te frü­her 100.000 Bü­cher ei­nes Ti­tels ver­kau­fen – wer schafft das heu­te noch (au­ßer die üb­li­chen Coel­ho-et-al-Ver­däch­ti­gen)?

    Selbst ein Buch wie der Roth­mann, der durch die Feuil­le­tons auf Hän­den ge­tra­gen wur­de – nie­mand, mit dem ich in Er­lan­gen ge­spro­chen ha­be, hat­te das Buch ge­le­sen (au­ßer Frau März). Im­mer­hin wur­de das zu­ge­ge­ben. Die Prio­ri­tä­ten sind ein­fach an­de­re; ich mer­ke es schon an mir sel­ber: Ich weiss ziem­lich ge­nau, was ich dem­nächst le­sen möch­te und le­sen wer­de. Da passt erst ein­mal bis En­de Ok­to­ber kaum noch was rein (da­nach al­ler­dings ist wie­der Platz). Auf den Setz ver­zich­te ich. Und die Ral­lye um Fran­zen bei­spiels­wei­se stösst mich in ih­rer Markt­ge­macht­heit nur noch ab. (Ich hal­te ihn für über­schätzt.)

    Man »muss« heu­te kein »Buch der Sai­son« mehr ge­le­sen ha­ben. (In­zwi­schen kann man ja fast schon Di­stink­ti­ons­punk­te da­mit ge­win­nen, den Sie­ger des Buch­prei­ses nicht ge­le­sen zu ha­ben.) Das ist be­frei­end und är­ger­lich zu­gleich. Der Dis­kurs der we­ni­gen, die üb­rig­ge­blie­be­nen sind, zer­fa­sert. Der Ge­le­gen­heits­le­ser, der ein, zwei Bü­cher im Jahr liest, ist an­ge­sichts der Buch­mes­sen­bei­la­gen über­for­dert. Zu­mal auch fast al­les min­de­stens recht freund­lich-in­dif­fe­rent be­spro­chen wird. In­fla­tio­när dann die Lo­be (wie schon an­ge­spro­chen). Mit dem Be­deu­tungs­ver­lust der Li­te­ra­tur­kri­tik geht der Be­deu­tungs­ver­lust der Li­te­ra­tur ein­her.

    Aus mei­nem be­ruf­li­chen Um­feld weiß nie­mand, dass ich mich mit Li­te­ra­tur be­schäf­ti­ge. Die Wel­ten sind scharf ge­trennt; wie Par­al­le­len be­rüh­ren sie sich nie. Grass kennt man dort noch dem Na­men nach, aber ge­le­sen hat man von ihm zu 99% nichts.

  7. Un­zeit­ge­mä­ßes …

    … neu­lich beim Nach­schla­gen auf mei­ne An­strei­chun­gen [von 1994, al­so et­wa vor 20 Jah­ren] ge­sto­ßen zu dem [mitt­ler­wei­le sel­ber hi­sto­ri­schen] Les­lie A. Fied­ler. Die al­te „clo­se the gap“-Sache: Die Lücke zu schlie­ßen zwi­schen Eli­te- und Mas­sen­kul­tur.

    Wen es in­ter­es­siert: Fied­lers aus­ge­ar­bei­te­ter Auf­satz mit et­li­chen aus­führ­li­chen Re­ak­tio­nen der Zeit­ge­nos­sen Wal­ser / Brink­mann / Baum­gart / Hei­ner Mül­ler / En­zens­ber­ger … und Spä­te­rer do­ku­men­tiert in „Ro­man oder Le­ben – Post­mo­der­ne in der deut­schen Li­te­ra­tur“ Re­clam Leip­zig. Ein lan­ger Text da­zu on­line hier.

    1968 al­so!

    Das ver­kürz­te Cre­do lau­te­te: „Ein Kom­mu­ni­ka­ti­ons­me­di­um [ge­meint war die ernst­haf­te, ge­sell­schafts­re­le­van­te Li­te­ra­tur] muss, wenn es aus der Mo­de ge­rät, zu ei­ner Form der Un­ter­hal­tung wer­den.“
    (Das war al­so schon stark me­di­al, näm­lich mit Mar­shall McLu­han ge­dacht, aber nicht nur: Al­le woll­ten Beat–Porno-Pulp-Pop, end­lich Ju­gend, Dro­gen, Mu­sik ins Fern­se­hen und un­end­li­chen Spaß ...)

    Frap­pie­rend für mich wa­ren schon da­mals [jetzt wie­der 1994] ein paar Äu­ße­run­gen zum Li­te­ra­tur­kri­ti­ker. Ich ver­ein­fa­che hier stark, aber die For­de­rung war, sei­ne Au­to­ri­tät müs­se letzt­lich auf sei­ner Fä­hig­keit zur Em­pha­se ba­sie­ren, näm­lich „Wör­ter, Bil­der, Rhyth­men zu fin­den“, die „sei­ner ek­sta­ti­schen Vi­si­on des Eu­ri­pi­des und der Ein­lei­tungs­tex­te der Ge­ne­sis an­ge­mes­sen sind“.

    Kri­tik müs­se al­so Li­te­ra­tur sein (oder sie sei „gleich Null“).

    Das ist doch ein­deu­tig! Fin­de ich jetzt noch be­mer­kens­wert. Wenn auch als For­de­rung in ei­nem ge­sell­schaft­li­chen Ge­samt­kli­ma von von ga­lop­pie­ren­dem ADHS wohl il­lu­so­risch.

    Und trotz­dem … war Qua­li­tät nicht schon im­mer das Schei­de­mit­tel? Lan­ge, ge­dan­ken­rei­che, le­sens­wer­te Stücke über sa­tis­fak­ti­ons­fä­hi­ge Ge­gen­stän­de? Funk­tio­niert es nicht eh so, zu al­len Zei­ten? Die Pro­duk­ti­on von Quatsch ist eh nie­mals mehr auf­zu­hal­ten und das Ge­quat­sche dar­über erst recht nicht.

    (In­ter­es­sant wird si­cher auch der Ver­gleich zwi­schen dem al­ten und dem neu­en Quar­tett, wenn die in­tel­lek­tu­el­len In­stru­men­ta­ri­en of­fen­ge­legt und ver­gleich­bar wer­den.)

    Hier der Link oh­ne den er­zwun­ge­nen Re­fe­rer da­vor:
    http://www.pop-zeitschrift.de/2013/03/10/zur-poetik-der-pop-literaturteil-2-burroughs-fiedler-brinkmann-von-marcus-s-kleiner10-03–2013/

  8. Al­so, ich le­se in Kom­men­ta­ren viel Zu­stim­mung zu mei­ner The­se: Li­te­ra­tur und ‑Kri­tik ha­ben sich ent­frem­det. Den cul­tu­ral gap hat es im­mer ge­ge­ben, aber die Ver­ge­sell­schaf­tung von Li­te­ra­tur stößt jetzt er­kenn­bar an ei­ne or­ga­ni­sa­to­ri­sche und funk­tio­nel­le Gren­ze.
    Die An­nah­me, das die ‑Kri­tik auf Ge­deih und Ver­derb an das Ni­veau von Li­te­ra­tur ge­kop­pelt ist, hal­te ich für ge­recht­fer­tigt. Da gibt es kei­nen »Über­bie­tungs­spiel­raum«. Es ist ein kon­ge­nia­les Ver­hält­nis, ähn­lich viel­leicht wie beim Schau­spie­ler und sei­nem Text. Sehr sub­jek­tiv ist na­tür­lich die Fra­ge, ob man ei­ne »Aus­wahl-Pan­ne« bei den Mach­wer­ken oder ei­ne »An­pas­sungs-Lei­stung« an ei­ne all­ge­mei­ne Ni­veau-Ab­sen­kung wahr­nimmt. Ich neh­me eher die »An­pas­sung« wahr, die mit der ge­sell­schaft­li­chen Be­dingt­heit der ‑Kri­tik kon­form geht. Der Li­te­ra­tur-Pro­fi sieht das viel­leicht an­ders.

  9. Und noch zur Fra­ge von Dok­tor D: Un­zeit­ge­mäß­heit nen­ne ich (ganz un-me­ta­phy­sisch) die Vor­aus­set­zun­gen für den Zu­gang zu Li­te­ra­tur. Die Le­bens­welt darf nicht voll­kom­men ver­schie­den von der künst­le­ri­schen Exi­stenz sein. Ei­nen Brücken­schlag von »Mensch zu Mensch«, oh­ne Rück­sicht auf das je­wei­li­ge Sein, hal­te ich für zu idea­li­stisch. Ich den­ke, das ist nicht pri­mär ei­ne Fra­ge der Bil­dung, son­dern ei­ne Fra­ge der Le­bens­wei­se. Die all­ge­mei­ne Le­bens­welt, als rein theo­re­ti­sche Schnitt­men­ge all der ver­schie­de­nen Exi­sten­zen, scheint sich von der Kunst zu ent­fer­nen.

  10. Aber be­deu­tet das Un­zeit­ge­mäß­heit? Die Öf­fent­lich­kei­ten und Pu­bli­ca be­fin­den sich ja seit der Ein­füh­rung des Pri­vat­fern­se­hens und dann noch mal be­schleu­nigt durch das In­ter­net in stän­di­ger Frag­men­tie­rung und Neu­sor­tie­rung. Ob’s da noch­mal so gro­ße öf­fent­li­che De­bat­ten ge­ben wird, wa­ge ich zu be­zwei­feln. Und so von un­se­rer heu­ti­gen Si­tua­ti­on aus be­trach­tet, kom­men mir auch im­mer stär­ke­re Zwei­fel, wie vie­le da wirk­lich er­reicht wur­den und ob das nicht auch ein Selbst­ge­spräch kul­tu­rel­ler Eli­ten mit Zu­gang zur ge­druck­ten / ge­sen­de­ten Öf­fent­lich­kei­ten war, die halt das Feh­len der Re­so­nanz nicht ge­merkt ha­ben, weil es kei­ne wirk­lich sicht­ba­ren Nicht-Zu­hö­rer gab. Jetzt sieht man die­ses Des­in­ter­es­se eben, weil so vie­le Leu­te im Netz den Platz und die Mög­lich­kei­ten ha­ben, zu ver­öf­fent­li­chen, was sie so in­ter­es­siert, und da eben fröh­lich vor sich hin quat­schen. In die­sem Stim­men­ge­wirr fin­den sich dann – in mei­ner er­fah­rung – ganz oft Leu­te zu­sam­men, die ir­gend­wel­che In­ter­es­sen tei­len und dann meist sehr viel in­ten­si­ver und kom­pe­ten­ter mit­ein­an­der dis­ku­tie­ren, als es für die mei­sten Feuil­le­tons, selbst dem der NZZ, mög­lich wä­re und war.
    Ich hab’ den ein­druck, mein Ge­sprächs­kreis hat sich eher er­wei­tert, und dass de­nen, mit de­nen ich in Kon­takt bin, Li­te­ra­tur wirk­lich was be­deu­tet – und zwar mehr als ich bei vie­len Li­te­ra­tur­kri­ti­kern er­ken­nen kann.
    Kurz: Für das Li­te­ra­tur-Feuil­le­ton se­he ich auch eher schwarz, für die Li­te­ra­tur aber gar nicht.

  11. Vie­len Dank für die sehr in­struk­ti­ven Kom­men­ta­re. [Die »@«-Zuweisungen die­nen nur der Über­sicht]

    @en-passant
    Die »Emphase«-These ist ja vor ei­ni­gen Jah­ren von Win­kels auf­ge­nom­men wor­den, der Kri­ti­ker in »Em­pha­ti­ker« und »Gno­sti­ker« un­ter­schied. Em­pha­ti­ker sind für ihn bio­gra­phi­stisch, ha­ben den Au­tor und sei­ne Hal­tun­gen im Blick. Sie ar­gu­men­tie­ren lei­den­schaft­lich. Bös­ar­tig for­mu­liert: Sie kri­ti­sie­ren die Ge­sin­nung des Au­tors, die aus dem Werk her­aus­de­stil­liert wird. Gno­sti­ker sind das Ge­gen­teil: In­ter­es­siert an Form, Spra­che, Äs­the­tik. Win­kels lässt kei­nen Zwei­fel dar­an, wo er sich sieht (Gno­sti­ker) und das die vom Pu­bli­kum so ge­fei­er­ten Em­pha­ti­ker (MRR, Hei­den­reich, Schirr­ma­cher) nicht sei­ne Sa­che sind.

    Dass es be­reits in den 1960ern in Rich­tung Em­pha­ti­ker ging, über­rascht mich dann doch. Dass Li­te­ra­tur­kri­tik ei­ne Form der Li­te­ra­tur ist bzw. sein soll, ver­fech­tet ja auch Bri­git­te Schwens-Har­rant in ih­rem Buch »Li­te­ra­tur­kri­tik – Ei­ne Su­che«. Wenn ich sie rich­tig ver­ste­he, dann möch­te sie da­mit al­ler­dings die »em­pha­ti­sche« Kri­tik bän­di­gen. Für mich ist »Em­pha­se« ein miss­ver­ständ­li­cher Aus­druck. Ich neh­me für mich durch­aus Em­pha­se in An­spruch – oh­ne je­doch auf Su­per­la­ti­ve oder schlag­zei­len­träch­ti­ge Ter­mi­ni zu ver­fal­len (okay, das ge­lingt nicht im­mer).

    @die_kalte_Sophie
    Die Le­bens­welt darf nicht voll­kom­men ver­schie­den von der künst­le­ri­schen Exi­stenz sein.
    Ich bin kein An­hän­ger ei­nes »ana­ly­ti­schen Rea­lis­mus« (En­no Stahl), der die Le­bens­wirk­lich­kei­ten so­zu­sa­gen mit so­zio-po­li­ti­schem An­spruch ab­zu­bil­den hat oder so­gar in Brecht’scher Ma­nier Be­leh­run­gen beim Le­sern er­zeu­gen soll.

    Ich bin mir nicht so si­cher, ob die Li­te­ra­tur­kri­tik oder die Li­te­ra­tur für die An­pas­sung nach un­ten ver­ant­wort­lich ist. Wenn man ei­nen Au­gen­blick an die »Se­lek­ti­ons­au­to­ri­tät« (Man­gold) der Li­te­ra­tur­kri­tik glaubt und als gro­be Kenn­zahl da­von aus­geht, dass im Jahr rund 200 bel­le­tri­sti­sche Neu­erschei­nun­gen in den Main­stream-Feuil­le­tons (die je­mand wie der Per­len­tau­cher scannt) be­spro­chen wer­den, sind das bei 14.111 Neu­erschei­nun­gen 2014 un­ge­fähr 1,5%. Da­bei stür­zen sich die­se Me­di­en ja be­kann­ter­ma­ßen mehr­mals auf die ver­meint­lich »wich­ti­gen« Bü­cher. Dass dann 98,5% der Neu­erschei­nun­gen »Schrott« sein sol­len, kann ich mir beim be­sten Wil­len nicht vor­stel­len.

    Die »Se­lek­ti­ons­au­to­ri­tät« wird nicht aus­ge­übt, weil der Her­den­trieb stär­ker ist als das In­ter­es­se an Neu­em. Ein Bei­spiel: 5 von 6 Bü­chern der Short­list zum »Wil­helm-Raa­be-Preis« sind iden­tisch mit der Longlist zum Deut­schen Buch­preis. Dass die An­ge­le­gen­heit in den Jah­ren vor­her ähn­lich war, macht die Sa­che nicht bes­ser. Zu­dem fragt wohl kaum noch je­mand, was die no­mi­nier­ten Bü­cher mit Wil­helm Raa­be zu tun ha­ben.

    En­er­gisch wi­der­spre­chen möch­te ich, was die Zu­gangs­mög­lich­kei­ten zur Li­te­ra­tur an­geht. Die hat je­der. Noch gibt es Stadt­bi­blio­the­ken, in de­nen die Klas­si­ker ste­hen. Die Neu­erschei­nun­gen gibt es ein oder zwei Jah­re spä­ter (auch hier nur die üb­li­chen, aber im­mer­hin). Wer will, kann sich ei­nen Zu­gang schaf­fen – der ist na­tür­lich pri­vat und mehr oder we­ni­ger in­ten­siv.

    @Doktor D
    Völ­lig d’­ac­cord. Aber die Leu­te, die sich zum Bei­spiel hier tref­fen und ernst­haft und kom­pe­tent über Li­te­ra­tur oder Li­te­ra­tur­kri­tik re­den, sind ver­schwin­dend klein. Das muss kein Nach­teil sein, aber die Zei­ten, als sol­che De­bat­ten auch an den Uni­ver­si­tä­ten ge­führt wur­den, sind doch längst vor­bei. Na­tür­lich sind die klas­si­schen Li­te­ra­tur­de­bat­ten, die Frau März so ger­ne füh­ren möch­te, im­mer eli­tär ge­we­sen, weil der Le­ser, die Le­se­rin sich ma­xi­mal im Le­ser­brief da­zu äu­ßern konn­te (und der wur­de oft ge­nug zer­hackt). Das hat sich ge­än­dert. Mein Ein­druck ist, dass die in­sti­tu­tio­na­li­sier­te Kri­tik die­sen Be­deu­tungs­ver­lust mit Chuz­pe über­spie­len möch­te. Man mimt den Emp­feh­lungs­on­kel oder die Emp­feh­lungs­tan­te. Im einst so am­bi­tio­nier­ten Schwei­zer »Li­te­ra­tur­club« fragt bei et­was kon­fron­ta­ti­ven Dis­kus­sio­nen die Mo­de­ra­to­rin am En­de noch mal nach: »Le­sen?« Da bleibt dann nur ein »ja« oder ein »nein«. Die­je­ni­gen, de­nen das zu we­nig ist, ster­ben aus.

  12. Die­ser klei­ne Es­say in der Jungle World ar­bei­tet sich von ei­ner an­de­ren Sei­te an un­se­rem The­ma ab: http://jungle-world.com/artikel/2015/36/52627.html
    Ti­tel: Kör­per als Me­ta­pher bei Ju­li Zeh oder War­um die Ger­ma­ni­stik ei­nen po­pu­li­sti­schen Turn braucht
    Wo­bei po­pu­li­stisch hier das fal­sche Ad­jek­tiv ist, er meint ei­gent­lich eher so was wie: Re­le­vanz, Ver­ständ­lich­keit, An­schluss­fä­hig­keit an die All­tags­welt
    »Mein Ein­druck ist, dass die in­sti­tu­tio­na­li­sier­te Kri­tik die­sen Be­deu­tungs­ver­lust mit Chuz­pe über­spie­len möch­te.« – Das se­he ich auch so.
    Aber re: Schar der Li­te­ra­tur­lieb­ha­ber und ‑ken­ner schaue ich op­ti­mi­sti­scher in die Welt. Aber vlt. steu­ern wir wirk­lich auf ei­ne In­ten­siv-Le­se­kul­tur wie prä-1900 zu, aber wenn ich se­he, was da ge­schrie­ben wor­den ist, bin ich ganz zu­ver­sicht­lich.

  13. Be­treff: Dif­fe­renz der Le­bens­wel­ten. Ich will nicht auf ei­nen Rea­lis­mus hin­aus, bzw. ei­ne Kli­en­tel-Li­te­ra­tur. Ich ge­he aber von ei­ner »ein­ge­schränk­ten Les­bar­keit« aus, die ei­ne Kunst-Af­fi­ni­tät beim Le­ser vor­aus­setzt.
    Dein Ar­gu­ment (Hin­ge­hen, Bü­cher neh­men, Los­le­gen) ver­deut­licht ei­gent­lich sehr gut die »Ra­tio­na­li­täts-Hy­po­the­se«, die über der li­te­ra­ri­schen Kunst schwebt, vor al­lem in Deutsch­land. Ich wür­de da vor­sich­tig wi­der­spre­chen: Li­te­ra­tur ist kein In­fo-Ma­te­ri­al. Die kann man nicht so ein­fach le­sen. Ich wür­de je­den­falls den un­ein­ge­schränk­ten Zu­gang zur Dis­kus­si­on stel­len. Das »Po­ten­zi­al«, dass der Le­ser mit­brin­gen muss, be­steht si­cher nicht in der Fä­hig­keit des Le­sens. Es be­steht auch nicht in der be­reits er­wor­be­nen Bil­dung. Es be­steht in et­was Drit­tem, ei­ner Af­fi­ni­tät... Si­cher nicht leicht zu be­schrei­ben.

  14. Nur noch ei­ne An­mer­kung zur Em­pha­se

    Dan­ke für den Link zu Win­kels – ich hat­te das da­mals ver­folgt aber ver­ges­sen.
    Er ist eben doch ein Pro­fi: Die Ver­kür­zung der Ent­wick­lung von Suhr­kamp-Kul­tur auf ki­wi-Kul­tur bringt es auf den Punkt.

    Aber dann fällt mir eben auch auf, wie sehr er auf den – als Ver­spre­chen so schwer ar­ti­ku­lier­ba­ren – „me­ta­phy­si­schen“ Grund des In­ter­es­ses am Ge­gen­stand Li­te­ra­tur ver­weist … und wie auch Fied­ler sei­ner­zeit ein­mal von Li­te­ra­tur spricht als der „Hei­li­gen Schrift […] in ei­ner Welt, die die über­kom­me­ne Re­li­gi­on ab­legt“. Of­fen­bar geht es al­so bei dem um­sorg­ten Ge­gen­stand um et­was Über­wer­ti­ges … an­schei­nend liegt hier die Crux. „Die ei­nen su­chen das wah­re Le­ben, die an­de­ren die wah­re Li­te­ra­tur“.

    Wenn Li­te­ra­tur – schrift­li­che Wer­ke ei­ner ir­gend­wie aus­le­ge­be­dürf­ti­gen Sprach­kunst – aber un­ein­ge­stan­de­ner­ma­ßen als Er­satz für ir­gend­ei­nen Ho­ri­zont hö­he­rer Sinn­ge­bung fun­giert … muss dann nicht doch so­wohl die sach­li­che wie die em­pha­ti­sche Kri­tik dar­an min­dest-ent­spre­chen­de Ei­gen­schaf­ten auf­wei­sen? Und er­klär­te sich von da­her dann nicht auch als ihr schmerz­lich emp­fun­de­nes Ver­sa­gen?

    In ei­nem Satz al­so: Wenn der li­te­ra­risch-gno­sti­sche Text un­ser Lo­gos ist, ist ein Un­ge­nü­gen an der Kri­tik im­ma­nent.
    Und dann wä­re dem auch nie­mals zu ent­kom­men – auch nicht durch al­les Rin­gen dar­um.

  15. @Doktor D
    Den »po­pu­li­sti­schen Turn« im Auf­satz ver­ste­he ich nicht. Die Li­te­ra­tur­wis­sen­schaf­ten sol­len sich ei­nen fau­len Schü­ler vor­stel­len? Stellt sich et­wa ein Koch ei­nen sat­ten Gast vor? Oder ein Er­näh­rungs­wis­sen­schaft­ler soll­te die Rol­le des ad­vo­ca­tus dia­bo­li ein­neh­men und Fast­food ver­tei­di­gen? Schö­ne Ideen – für klei­ne, ge­dan­ken­spie­le­ri­sche Es­says si­cher­lich ganz lu­stig. Für das Feind­bild von Neo­na­zis gibt es ja im­mer­hin schon die So­zio­lo­gie. Und es gibt be­stimmt ger­ma­ni­sti­sche Ar­bei­ten über »Mein Kampf«. Und war­um sind denn »un­zäh­li­ge an­de­re Stich­wor­te der Bil­dung und Auf­klä­rung« frag­wür­dig ge­wor­den? Und vor al­lem: Wel­che?

    Wenn sich die Li­te­ra­tur­wis­sen­schaf­ten jetzt noch auf das Ni­veau der Spe­ku­la­ti­on be­ge­ben kann man die Sa­che wirk­lich so­fort sein­las­sen. Ich bin der fe­sten Über­zeu­gung, dass mich 95% al­ler ger­ma­ni­sti­schen Ar­bei­ten nicht für fünf Se­kun­den in­ter­es­sie­ren. Aber ich wür­de ih­nen nie­mals die »Be­rech­ti­gung« ab­spre­chen. Und dass sie viel­leicht in an­de­ren, eben­so her­me­ti­schen Zir­keln wie es bspw. Hand­ke-Sym­po­si­en sind von emi­nen­tem In­ter­es­se sein kön­nen.

    Der Wunsch nach der Po­pu­la­ri­sie­rung zielt ja ein biss­chen in die Rich­tung ei­ner Räu­mung des El­fen­bein­turms. Da­bei wä­re mir die Re­no­vie­rung erst ein­mal ge­nug. Denn die Li­te­ra­tur­wis­sen­schaf­ten könn­ten so­gar die Li­te­ra­tur­kri­tik in­spi­rie­ren. Ich den­ke da an Ge­nau­ig­keit und auch Zeit. (Da­mit will ich den uni­ver­si­tä­ren Be­trieb nicht hei­lig­spre­chen.)

    Die Li­te­ra­tur­kri­tik des Feuil­le­tons müss­te ei­ne Zwi­schen­rol­le ein­neh­men. Man müss­te sich zwi­schen dem pu­ren Schlag­zei­len­jour­na­lis­mus und den ver­qua­sten Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft­lern po­si­tio­nie­ren. Da­für soll­te man den Le­ser, die Le­se­rin, nicht für dumm ver­kau­fen.

    Merk­wür­dig ist, dass ich dann fast Ih­ren Op­ti­mis­mus zur neuen/alten Le­se­kul­tur der li­te­ra­ri­schen Sa­lons vom An­fang des 20. Jahr­hun­derts tei­le. Nur dass die Teil­neh­mer über den gan­zen Glo­bus ver­streut sind. Der Sa­lon ist dann die Platt­form im Netz. Mehr als ein paar Hun­dert dau­er­haft In­ter­es­sier­te wird man kaum er­rei­chen. Da­von kann der »Markt« nicht exi­stie­ren. Aber viel­leicht ist es wirk­lich so, dass dem­nächst Au­toren und Kri­ti­ker nicht mehr zwin­gend dar­auf po­chen, von ih­ren Er­geb­nis­sen le­ben zu müs­sen.

  16. die_kalte_Sophie
    Na­tür­lich ist Li­te­ra­tur kein »In­fo-Ma­te­ri­al«: Aber die Af­fi­ni­tät zur Li­te­ra­tur er­langt man ir­gend­wann oder eben nicht. Es in­ter­es­siert sich ja auch nicht je­der für Mo­dell­flug­zeu­ge, ei­nen Ge­mü­se­gar­ten oder Nu­mis­ma­tik. Es be­steht ja kei­ne Pflicht, sich für Li­te­ra­tur zu en­ga­gie­ren.

    Das Pri­mat der Bil­dung mag hilf­reich sein. Es ist aber auch nicht un­be­dingt Vor­aus­set­zung. Bil­dung hat auch viel mit Vor­bil­dern zu tun. Wo die­se feh­len und Bil­dung kei­nen wich­ti­gen Stel­len­wert hat, wird je­de Eman­zi­pa­ti­on des In­tel­lekts schwie­rig sein.

  17. @en-passant
    Ich hal­te ja Emphatiker/Gnostiker für un­gün­sti­ge und miss­ver­ständ­li­che For­mu­lie­run­gen. Na­tür­lich soll­te auch ein »Gno­sti­ker« sei­nen Ge­gen­stand lei­den­schaft­lich, ja em­pha­tisch be­trach­ten kön­nen. Um­ge­kehrt miss­fällt mir na­tür­lich die­se Hei­lig­spre­chung des Li­te­ra­ri­schen. Das wird na­tür­lich ins­be­son­de­re von Schrift­stel­lern so dar­ge­stellt, die da­mit ih­re Wer­ke über­hö­hen und sich ein Stück weit der Kri­tik ent­zie­hen möch­ten. Der Winkels’sche Gno­sti­ker ist viel­leicht zu­nächst ein­mal nichts mehr als ein Le­ser, der sich ei­nem li­te­ra­ri­schen Text öff­net (ihn vor al­lem ein­mal liest). Hier­für ist ein ge­wis­ses Feu­er im­ma­nent. Das soll­te sich auch durch die Pro­fes­sio­na­li­sie­rung nicht ab­ge­kühlt ha­ben. Der Em­pha­ti­ker im Winkels’schen Sinn wä­re der jour­na­li­sti­sche Schrei­ber, der Buch­emp­feh­ler und viel­leicht auch der so­ge­nann­te Buch­blog­ger, der kei­ne Ver­ris­se schreibt (weil er vor­her schon auf­hört zu le­sen) und es als mis­sio­na­ri­sche Auf­ga­be an­sieht, dass Buch X oder Au­tor Y ge­le­sen wird. Sol­che Leu­te ha­ben im Be­trieb ih­re Be­rech­ti­gung, sie aber als »Kri­ti­ker« zu be­zeich­nen, ist ein­fach falsch. (Die Lit-Blog­ger-Sze­ne krankt m. E. ge­nau dar­an, dass man dies tut.)

  18. Noch ein Bei­spiel, das ver­deut­li­chen könn­te, dass die Pro­ble­me der Li­te­ra­tur-Kri­tik kul­tur-im­ma­nent sind, viel­leicht im Sin­ne der von en-Pas­sant an­ge­spro­chen Lo­gos-Funk­ti­on.
    Es gibt bei der klas­si­schen Mu­sik ei­ne min­de­stens eben­so gro­ße Fall­hö­he zwi­schen der künst­le­ri­schen Lei­stung der In­ter­pre­ten, erst recht des Kom­po­ni­sten zum Pu­bli­kum. Trotz­dem kommt kei­ner der durch­aus be­schla­ge­nen Mu­sik-Re­dak­teu­re auf die Idee, er könn­te das sel­ber spie­len, oder er könn­te den Part des Di­ri­gen­ten bei der Or­che­ster-Pro­be über­neh­men. Will sa­gen: die­ser Ab­stand ist über­aus wohl­tu­end für al­le Be­tei­lig­ten und schützt vor »zu viel Ver­ant­wor­tung in den fal­schen Hän­den«. So wie ich auch Gre­gor im­mer wie­der ver­ste­he, gibt es die­ses Struk­tur bil­den­de Ge­fäl­le bei den Feuil­le­to­ni­sten nicht. Und manch ei­ner ver­sucht fol­ge­rich­tig selbst als Künst­ler zu re­üs­sie­ren. Dar­aus re­sul­tiert schlech­te Li­te­ra­tur, dar­aus er­ge­ben sich aber auch die all­fäl­li­gen Miss­ver­ständ­nis­se, näm­lich der­art... »Die Li­te­ra­tur-Kri­tik könn­te an der Un­zeit­ge­mäß­heit von Li­te­ra­tur maß­geb­lich schuld sein«.
    Da­mit will ich nicht sa­gen: zu­rück zu den Ge­nies. Ich wür­de aber be­haup­ten, die Kri­tik schreibt sich (ver­mut­lich un­be­wusst) ei­ne »fe­der­füh­ren­de Rol­le« ih­ren Ge­gen­stand be­tref­fend zu. Le­sen und Schrei­ben wer­den zu stark als kom­ple­men­tä­re Tä­tig­kei­ten be­grif­fen, wäh­rend die künst­le­ri­sche Ar­beit nur als »äs­the­ti­scher Aspekt« auf­taucht und als zweit­ran­gig gilt.

  19. Gu­ter Ver­gleich mit dem Mu­sik­kri­ti­ker und dem Or­che­ster. Da­bei ha­be ich nix ge­gen bel­le­tri­stik­schrei­be­ne Kri­ti­ker. Ich fin­de nur, dass sie ih­re Po­si­ti­on miss­brau­chen, wenn sie sich ge­gen­sei­tig ih­re Bü­cher »emp­feh­len«.

    Dass sich die Kri­tik ei­ne »fe­der­füh­ren­de Rol­le« zu­schreibt, ist na­tür­lich lo­gisch. Es ist auch nicht falsch. Sie ha­ben ja die­se Rol­le – im­mer noch. Und wer­den sie auch auf ab­seh­ba­re Zeit be­hal­ten. Der­zeit er­le­ben wir al­ler­dings auch ei­ne Kon­di­tio­nie­rung des Net­zes durch den Be­trieb (Stich­wort: Buch­preis­blog­ger). Das En­de ist of­fen.

    Die Äs­the­tik in der feuil­le­to­ni­sti­schen Li­te­ra­tur­kri­tik ist prak­tisch seit Boh­rers Ab­gang bei der FAZ ge­stor­ben bzw. nur noch in Re­si­du­en prä­sent.

  20. Ich bin der Mei­nung, im Feuil­le­ton fin­det nicht Li­te­ra­tur­kri­tik statt, son­dern dort zeigt sich das Re­zen­si­ons­ge­wer­be im Rah­men sei­ner öko­no­mi­schen Vor­ga­ben.

    Noch vor al­lem In­halt­li­chen muss man mei­nes Er­ach­tens die öko­no­mi­schen Be­din­gun­gen der Pres­se und ih­rer Schrei­ber be­rück­sich­ti­gen, wenn man Ent­wick­lun­gen in den Feuil­le­tons ver­ste­hen will.

  21. Sehr in­ter­es­san­ter Be­richt, Herr Struck! Mein Ein­druck ist, dass man des­halb so an­ge­fasst re­agiert, weil man (min­de­stens in­tui­tiv, wenn nicht so­gar sehr ge­nau) weiss, dass grund­sätz­lich zu Recht (Stich­wor­te: Kum­pel­sy­stem und freund­lich-in­dif­fe­ren­te Re­zen­sio­nen) Kri­tik be­steht. Und, wie Sie das ja schon ge­schrie­ben ha­ben, man (der alt­eing­esse­ne Be­trieb) möch­te kei­ne kri­ti­sche Dis­kus­si­on dar­über füh­ren, we­der in­ner­be­trieb­lich, ge­schwei­ge denn Stim­men von au­ßer­halb des Be­trie­bes zur Kennt­nis neh­men, son­dern man will ir­gend­wie wei­ter­ma­chen wie bis­her, so­lan­ge es noch geht.

    Aber zu den 14111 Neu­erschei­nun­gen und den 200 Be­spre­chun­gen im Main­stream­feuil­le­ton: Das kann, glau­be ich, so nicht stim­men, auch nicht über­schlä­gig. Laut Wi­ki­pe­dia https://de.wikipedia.org/wiki/Belletristik#Marktsegment_Belletristik tei­len sich die bel­le­tri­sti­schen Neu­erschei­nun­gen auf in ‘er­zäh­len­de Li­te­ra­tur’ (2009 war das ein An­teil von 47,2%), ‘Span­nung’ (28,3%), ‘Co­mic’, ‘Fan­ta­sy’ usw. Und die­se 47% (neh­men wir die­sem Wert mal an für das Jahr 2014) dürf­ten auch nicht nur aus rei­ner ‑hier in­ter­es­sie­ren­der- ernst­haf­ter Li­te­ra­tur be­stehen, son­dern auch Tri­vi­al­li­te­ra­tur be­inhal­ten (man schaue sich z.B. nur mal bei Ama­zon die Ab­tei­lung »Bü­cher« und dann im Be­reich »Bel­le­tri­stik« die Ka­te­go­rie »Romane&Erzählungen« an). In­ter­es­sant zu wis­sen wä­re al­so, wie­viel von den 47% (bei 14111 Ti­teln Neu­erschei­nun­gen im Jahr 2014 wä­ren das 6632 Ti­tel) ernst­haf­te Li­te­ra­tur noch üb­rig blie­be, die für ei­ne Be­spre­chung im Feuil­le­ton so­zu­sa­gen qua Gat­tung in Fra­ge kä­me. Wä­ren es noch 4000 Buch­ti­tel? 3000? Oder viel­leicht noch we­ni­ger? Ir­gend­wo da­zwi­schen? Es sind dann im­mer noch vie­le Ti­tel, aus de­nen ei­ne Aus­wahl ge­trof­fen wer­den müss­te, aber schon weit­aus we­ni­ger.

    Und die 200 an­ge­nom­me­nen Re­zen­sio­nen sind mei­ner Mei­nung zu tief ge­grif­fen. Al­lein in der FAZ soll es nach Aus­sa­ge von San­dra Ke­gel* (30.1.2015, 20. Main­zer Kol­lo­qui­um, https://www.youtube.com/watch?v=7QKokIz8nbU ab Mi­nu­te 3) im Jahr 2014 ins­ge­samt 1900 Kri­ti­ken ge­ge­ben ha­ben, man müss­te na­tür­lich auch hier die rein bel­le­tri­sti­schen Kri­ti­ken er­mit­teln. Für den Zeit­raum 2001 bis 2013 hat das Mi­cha­el Pilz bei http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=20272 ver­sucht, in­dem er die vom Per­len­tau­cher be­haup­te­ten stark rück­läu­fi­gen Zah­len ‑an­geb­lich knapp 50% we­ni­ger Li­te­ra­tur­kri­ti­ken im Jahr 2013 im Ver­gleich zum Jahr 2001 in vom ihm ge­scann­ten Zei­tungs­feuil­le­tons- mit de­nen vom Inns­brucker Zei­tungs­ar­chiv zur deutsch- und fremd­spra­chi­gen Li­te­ra­tur ver­gli­chen hat (die Per­len­tau­cher­zah­len wa­ren ja ei­ner der Aus­gangs­punk­te der von Jörg Sun­dermei­er an­ge­sto­sse­nen De­bat­te um die Li­te­ra­tur­kri­tik). Das Er­geb­nis war, dass er ei­ne Hal­bie­rung in dem ge­nann­ten Zeit­raum so nicht nach­voll­zie­hen konn­te, bei ei­ni­gen Re­dak­tio­nen war es zwar leicht rück­läu­fig, bei an­de­ren war al­ler­dings so­gar ein leich­ter An­stieg bis 2013 zu ver­zeich­nen.

    Nimmt man al­so die Zah­len der bel­le­tri­sti­schen Be­spre­chun­gen für das Jahr 2013 aus dem Pilz-Ar­ti­kel: 632 (FAZ)+ 538 (SZ)+ 334 (WELT)+ 470 (NZZ)= 1974 (es feh­len Zah­len für TAZ, ZEIT und FR, al­so ge­schätzt um die ca. 500–700) oder die vom Per­len­tau­cher: 2200, und ver­gleicht die­se mit der An­zahl der tat­säch­li­chen bel­le­tri­sti­schen Neu­erschei­nun­gen (ir­gend­wo zwi­schen 6632 und 3500–4500, je nach­dem), lässt sich der An­spruch der »Se­lek­ti­ons­au­to­ri­tät« des Feuil­le­tons, al­so im­mer­hin doch zwi­schen 33% bis 50% der li­te­ra­ri­schen Neu­erschei­nun­gen be­spro­chen zu ha­ben, zu­min­dest rein zah­len­mä­ßig nach­voll­zie­hen. Man müss­te Mehrfach‑, und Be­spre­chun­gen in den Buch­bei­la­gen der Zei­tun­gen ab­zie­hen etc., aber die Ten­denz dürf­te klar sein (es sei denn, ich ha­be ir­gend­wo ei­nen Denk- oder Zah­len­feh­ler drin).

    Ich fin­de die­se Zah­len doch ei­ni­ger­ma­ssen über­ra­schend, da­mit hät­te ich nicht ge­rech­net. Gibt es am En­de viel­leicht so­gar zu­vie­le (mit­hin über­flüs­si­ge, weil qua­li­ta­tiv ver­nach­läs­sig­ba­re) Be­spre­chun­gen? En­ste­hen die vie­len freund­lich-in­dif­fe­ren­ten Kri­ti­ken nicht nur, weil es ein Kum­pel­sy­stem gibt, son­dern auch ein­fach des­halb, weil zu­viel »raus­ge­hau­en« wird. Müss­te man sich al­so quan­ti­ta­tiv ein­schrän­ken und da­für um­so mehr Wert auf Ge­nau­ig­keit (Prä­zi­si­on), Ein­zig­ar­tig­keit (Wie­der­erken­nungs­wert, Poin­tiert­heit) und Kunst­fer­tig­keit (Li­te­r­a­ri­zi­tät) der je­wei­li­gen Re­zen­si­on le­gen?


    *Sie er­wähnt in dem Vi­deo kurz vor­her, dass es in Deutsch­land im Jahr 2014 ins­ge­samt ‑al­le Me­di­en zu­sam­men­ge­rech­net- 20000 Buch­be­spre­chun­gen ge­ge­ben ha­ben soll ‑ei­ne Zahl, die sie aber nicht be­wei­sen kön­ne, da sie sie auch nur ge­hört ha­be.

  22. Vie­len Dank für den Kom­men­tar (er war we­gen der vie­len Links in der »Mo­de­ra­tios­schlei­fe«). Lt. Be­rich­ten von In­gold und Knö­rer gab es 2013 rund 15.000 Neu­erschei­nun­gen »Bel­le­tri­stik«. Für die­ses Seg­ment be­rich­tet der Bör­sen­ver­ein für das Jahr 2014 die Zahl 14.111. Da­bei soll es sich um Erst­auf­la­gen han­deln. Die­se Zahl ha­be ich ge­nom­men.

    Selbst wenn die Zahl der 1900 Kri­ti­ken von Frau Ke­gel stim­men soll­te, in­klu­die­ren die­se mit Si­cher­heit Sach­bü­cher und Kin­der- und Ju­gend­li­te­ra­tur, und noch an­de­res. Auch die von Ih­nen ge­nann­te Rech­nung hat m. E. ei­nen Pfer­de­fuss, weil sie Dop­pel- und Drei­fach­be­spre­chun­gen in den Feuil­le­tons nicht be­rück­sich­tigt. Den­ken Sie an die »üb­li­chen Ver­däch­ti­gen« wie Grass, Wal­ser, die Ame­ri­ka­ner, usw., die in je­dem Feuil­le­ton min­de­stens 1 x be­spro­chen wer­den. Nur ein Bei­spiel: Die 35 Bü­cher der bei­den Longlists (Leip­zig / Frank­furt) lie­fern wo­mög­lich mehr als 200 Re­zen­sio­nen von in­ter­es­san­tem Um­fang. Es blei­ben aber »nur« 35 Bü­cher.

    Cher­vel vom Per­len­tau­cher geht bei sei­ner The­se der zu­rück­ge­hen­den Zah­len von Re­zen­sio­nen von ei­ner ge­wis­sen Text­län­ge aus und blen­det bei­spiels­wei­se die »Emp­feh­lun­gen« der Re­dak­teu­re, die nur we­ni­ge Zei­len um­fas­sen, aus. Knö­rer hat­te das neu­lich ir­gend­wo her­aus­ge­stellt.

    Was nicht aus­schließt, dass mei­ne Zahl von 200 ver­schie­de­nen be­spro­che­nen Bü­chern viel­leicht wirk­lich zu pes­si­mi­stisch ist (ich mei­ne da­mit aber auch wirk­lich re­zen­sier­te Bü­cher, nicht Ur­laubs- oder Weih­nachts­emp­feh­lun­gen). Aber ei­ne Quo­te von 33% oder gar 50% er­reicht das Feuil­le­ton (d. h. die vom Per­len­tau­cher un­ter­such­ten Zei­tungs-Me­di­en) nie.

    Dass zu­viel an Re­zen­sio­nen »raus­ge­hau­en« wird se­he ich den­noch auch so. Aber das hat mit der elen­den Red­un­danz zu tun. Je­der be­spricht die Groß­au­to­ren plus In­ter­views und Home-Sto­ries. Für an­de­re Bü­cher hin­ge­gen fin­det man nur we­ni­ge Zei­len.

  23. Ich hät­te das Un­zeit­ge­mä­ße der Li­te­ra­tur so ver­an­schlagt: Län­ge, Kom­ple­xi­tät, kon­zen­trier­te Be­schäf­ti­gung, Ein­kehr von Ru­he, ja Stil­le, usf. — An­son­sten: Schö­ne Dis­kus­si­on!

  24. Ja, stimmt: Li­te­ra­tur er­for­dert Kon­zen­tra­ti­on, Ru­he, bis zu ei­nem ge­wis­sen Maß auch Hin­ga­be, vor al­lem aber Ru­he. Das ist tat­säch­lich al­les ziem­lich »un­zeit­ge­mäss«.

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  26. Ich ha­be mir mal den Spass (na­ja) ge­macht, aus An­lass des Deut­schen Buch­prei­ses ’15 bzw. der Longlist die An­zahl der Re­zen­sio­nen der Buch­preis­blog­ger mit de­nen des Main­stream­feuil­le­tons ab­zu­glei­chen, die der Per­len­tau­cher in sei­ner täg­li­chen Bü­cher­schau li­stet. Das scheint viel­leicht et­was un­fair, Li­te­ra­tur­blogs ge­gen be­ruf­li­che Feuil­le­to­ni­sten an­tre­ten zu las­sen, aber im­mer­hin wer­den die Buch­preis­blog­ger ja die­ses Jahr auf der Buch­preis­sei­te des Bör­sen­ver­eins des Deut­schen Buch­han­dels zwecks Vor­stel­lung der Longlist ex­tra ge­fea­tured. Hier -> https://docs.google.com/spreadsheets/d/1kf_GeA8hykb3yKSmHYz7ydA3D2EacfDXJRhsP-_gaLQ/pubhtml kann man sich das an­schau­en (muss mal se­hen, ob ich die Li­ste nur bis zur Short­list näch­sten Mitt­woch oder auch noch dar­über hin­aus wei­ter­füh­re).

    Es ist da­mit noch nichts über die Qua­li­tät der Be­spre­chun­gen ge­sagt, aber in­ter­es­sant fin­de ich, dass al­le No­mi­nie­run­gen der dies­jäh­ri­gen Longlist bis auf ei­ne Aus­nah­me vom Zei­tungs­feuil­le­ton be­reits durch­weg be­spro­chen wor­den sind, al­ler­dings schon das gan­ze Jahr hin­durch. Die Buch­preis­blog­ger hin­ge­gen hin­ken rein zah­len­mä­ssig (noch) et­was hin­ter­her, ha­ben da­für weit­ge­hend auch erst mit der Be­kannt­ga­be der Longlist mit ih­ren Bei­trä­gen be­gon­nen (3 Bü­cher wur­den aber schon im Früh­jahr re­zen­siert).

    An­de­rer­seits sieht man bei den Zei­tun­gen, dass es dort sehr vie­le Mehr­fach­be­spre­chun­gen gibt ‑bis jetzt et­wa 61%, be­rück­sich­tig­te man auch al­le an­de­ren Bei­trä­ge im Rundfunk/TV etc. wä­re die Quo­te wohl noch hö­her (ich neh­me in die­sem Zu­sam­men­hang üb­ri­gens mei­ne viel zu op­ti­mi­sti­schen An­nah­men zur Deu­tungs­ho­heit ein paar Kom­men­ta­re wei­ter oben hier­mit zu­rück und be­haup­te das Ge­gen­teil, ähem...)-, die bei den Buch­preis­blog­gern nur et­was ge­rin­ger aus­fal­len ‑et­wa 42%.

    Und ‑Stich­wort Er­for­der­nis des ru­hi­gen und kon­zen­trier­ten Le­sens- ich ha­be mal ver­sucht, das Le­sepen­sum der Buch­preis­ju­ry (zu­ge­ge­be­ner­ma­ssen ist das spe­ku­la­tiv, da die ein­ge­reich­ten Ti­tel ja nicht be­kannt­ge­ge­ben wer­den) zu er­mit­teln, die im­mer­hin aus 167 ein­ge­reich­ten Ro­ma­nen 20 Ti­tel aus­wäh­len muss­te (mei­ne Schät­zung, aus­ge­hend von der Longlist, die ei­nen Um­fang von 7800 Sei­ten, al­so 390 Seiten/Buch im Durch­schnitt hat: 167 Ro­ma­ne oder 65130 Sei­ten in 125 Ta­gen er­ge­ben 521 Sei­ten Le­se­stoff pro Tag (!) von Mit­te April bis Mit­te Au­gust zur Longlist; sie­he da­zu die Aus­füh­run­gen ganz am En­de der Ta­bel­le. Man kann sich die Fra­ge stel­len, wie se­ri­ös die Aus­wahl der Longlist ist, wenn man sich mal das schie­re Le­sepen­sum vor Au­gen hält, das be­wäl­tigt wer­den muss­te, von Kon­zen­tra­ti­on und Ru­he möch­te man da gar nicht erst spre­chen.

  27. @Wolfgang B
    Vie­len Dank für die Mü­he. Ich weiss jetzt nicht ge­nau, seit wann die so­ge­nann­ten »Buch­preis­blog­ger« von ih­rer Eh­re Kennt­nis er­hal­ten hat­ten. Das Hin­ter­her­hin­ken könn­te auch da­mit zu tun ha­ben, dass sich die Aus­er­wähl­ten in der Re­gel eher sel­te­ner mit den Bü­chern be­schäf­ti­gen, die im Feuil­le­ton rauf und run­ter re­zen­siert wer­den. (Das ist ein Ge­fühl.)

    Ge­ne­rell fin­de ich sol­che vir­tu­el­len Le­se­ver­an­stal­tun­gen sehr merk­wür­dig. Es ist wohl nicht mehr als ei­ne Pro­mo­ti­on­maß­nah­me für den Buch­preis.

    Ih­re Rech­nung zu den 167 ein­ge­reich­ten Bü­chern spricht auch Bän­de. 521 Sei­ten Lek­tü­re pro Tag sind zwar theo­re­tisch mach­bar, aber nur wenn ich nichts an­de­res mehr ma­che als schla­fen und le­sen. Win­kels hat­te 2013 ja von 400 (oder 450) Bü­chern ge­spro­chen, die man zum Leip­zi­ger Buch­preis ha­be le­sen müs­sen. Es ist längst ein of­fe­nes Ge­heim­nis, dass die Lek­tü­ren auf­ge­teilt wer­den. Nie­mand liest al­les. Um bei der Rech­nung zu blei­ben: 521 : 7 er­gibt 74. Auch muss man wohl be­rück­sich­ti­gen, dass die Bü­cher nicht von A bis Z ge­le­sen wer­den. So bleibt noch viel Zeit für Ju­ry­sit­zun­gen, Buch­vor­stel­lun­gen, Re­dak­ti­ons­be­spre­chun­gen und All­tag.

  28. Phan­tom­schmer­zen an nicht feh­len­den Glie­dern

    Je­der, der „drau­ßen“ (au­ßer­halb der Zo­ne des Schö­nen, Gu­ten, Wah­ren) ar­bei­ten muss, weiß, dass man mit Dienst nach Vor­schrift in sei­nem Be­ruf nicht zu Ran­de kommt. In­so­fern wird man be­reit sein müs­sen, auch beim Be­wäl­ti­gen von zu vie­len, oft Ner­ven zer­rend lang­wei­li­ger Schmö­ker da Zu­ge­ständ­nis­se zu ma­chen.

    Und nach dem wahr­lich er­hel­len­den Knö­rer-Text im Mer­kur wird ei­nem auch klar, dass das Kri­ti­ker-Da­sein vie­le vie­le un­g­la­mou­rö­se Sei­ten hat, dass et­was dar­an so­gar – bei ei­nem doch ehe­mals ge­lieb­ten Ge­gen­stand: schö­ner Li­te­ra­tur – ei­nem manch­mal wo­mög­lich ganz elend an­kom­men kann.

    Da­zu scheint es eh, dass die per­for­ma­ti­ve Sei­te – Win­kels oder wer auch im­mer dann im Ka­me­ra­blick, der in der Auf­re­gung die Ju­ry­ent­schei­dun­gen rü­ber­brin­gen und Kom­pe­tenz ver­kau­fen muss) – wich­ti­ger ist, als die, die das Pu­bli­kum eh nicht sieht / ver­steht, weil die­se Ar­beit kei­ne Schau­sei­te hat. (Oder hät­te sie? Die Kla­gen­furt-Dis­kus­sio­nen sind ja doch oft er­hel­len­der als die Tex­te, und er­gie­bi­ger so­wie­so.)

    Das per­p­etu­ier­te Miss­ver­ständ­nis scheint al­so le­dig­lich mal wie­der die For­de­rung, von Bü­chern – we­gen ih­rem kul­tu­rel­lem Ge­halt – als et­was an­de­rem als Wa­ren zu spre­chen. Der Dop­pel­cha­rak­ter, dem kul­tu­rel­le Pro­duk­te un­ter­lie­gen, zei­gen al­so im Mo­ment ih­rer Markt­ab­hän­gig­keit ih­re ent­spre­chen­de Am­bi­va­lenz. Die Li­te­ra­tur, die Le­ser, al­le, je­der­mann kämpft um sein „Ge­schäfts­mo­dell“, wir al­le sind [Meinungs-]Unternehmer in ei­ge­ner Sa­che, exi­sten­zi­el­le Ich-AGs. Und re­den, je­der­mann, über al­les, über­all, tut heu­te auch so­wie­so je­der. Da ent­lässt ei­nen der Fort­schritt eben auch nicht aus sei­nen In­kom­pe­ten­zen.

    All die Ba­na­li­tä­ten – ver­stärkt nun um die Zah­len­spie­le von Wolf­gang B. – nur als Vor­re­de für die Fra­ge, die mir dar­über jetzt kam:
    Viel­leicht hat Ur­su­la März ja doch (ein biss­chen) Recht?

    (In all dem me­dia­len Durch­ein­an­der, im Nach­las­sen der Stan­dards, im zu­neh­men­den Zwang zur Se­lek­ti­on über­all geht es wo­mög­lich er­neut vor al­lem um die Ver­la­ge­rung von Kom­pe­tenz an die Emp­fän­ger, die Kon­su­men­ten, die Selbst­be­die­ner, die „mün­di­gen Bür­gern“? Der Preis wä­re al­so wie­der mal nur der, der auch sonst über­all fäl­lig wird: die Zu­nah­me an der Kom­ple­xi­tät, sich sein Bild über sei­ne Her­zens-Sa­chen aus mehr und mehr Split­tern ma­chen zu müs­sen, und viel­leicht müss­te die Fra­ge eher lau­ten: War­um soll da ir­gend et­was noch ei­ne Aus­nah­me sein?)

  29. Na­ja, wel­ches Ar­beits­le­ben ist schon im­mer gla­mou­rös oder auch nur »er­fül­lend«? Über das be­ruf­li­che Elend könn­ten auch Ma­na­ger, Po­li­ti­ker oder Pop­stars kla­gen (was sie ja zu­wei­len auch tun). Und das wä­re ja auch nicht im­mer falsch. Aber ist es auch rich­tig? Man fra­ge mal die Frau an der Al­di-Kas­se, den Lackie­rer in der Werk­statt oder den Mann, der je­den Mitt­woch um 6 Uhr früh die Müll­ton­nen auf die Stra­ße schiebt für sei­ne Kol­le­gen, die dann 20 Mi­nu­ten spä­ter mit dem Wa­gen kom­men.

    Ich las­se das nicht gel­ten. Kri­ti­ker ist, wo es denn noch ein Be­ruf ist, ein pri­vi­le­gier­tes Da­sein. Sie sä­en nicht, sie ern­ten nicht, aber man er­nährt sie doch. Ihr Pri­vi­leg be­steht u. a. dar­in an­de­rer Leu­te Lei­stung auf den Schild zu hel­fen – oder eben nicht. Hier­für kann und muss man sie be­fra­gen, ih­re Kri­te­ri­en nach­voll­zie­hen und den Fin­ger in ei­ne wo­mög­lich klaf­fen­de Wun­de le­gen. Zu­mal wenn sie ein Spiel spie­len – das Spiel der Wis­sen­den.

    Na­tür­lich sind Selbst­ver­pflich­tun­gen oder ethi­sche Richt­li­ni­en die Por­ti­on Opi­um für den je­wei­li­gen Be­trieb sel­ber, ob FIFA, Daim­ler Benz oder ei­ne ARD-An­stalt. Je­des grö­sse­re Un­ter­neh­men hat heu­te sei­ne »Codes of Con­duct«. Ge­dul­di­ges Pa­pier, par­al­lel ge­locht und ab­ge­hef­tet. Aber das sind die Ge­setz­bü­cher auch, oh­ne das man sie in den Or­kus ver­bannt.

    Na­tür­lich hat Frau März recht, dass sol­che Dis­kus­sio­nen »sinn­los« sind. Aber dann sind (1.) al­le Dis­kur­se ir­gend­wie sinn­los und man macht am be­sten so wei­ter wie bis­her. Dann stellt sich aber (2.) die Fra­ge, war­um man ei­ne Ein­la­dung zu ei­nem sol­chen Ge­spräch an­nimmt. Das hat im üb­ri­gen auch et­was mit An­stand und Höf­lich­keit zu tun; bei­des fehl­te es ihr sicht- wie hör­bar. Die Dia­gno­se der Sinn­lo­sig­keit sel­ber ist ei­ne Sa­che des Stand­punkts: Wenn ich mit­ten im Sy­stem bin, ist al­les, was die­ses Sy­stem auch nur be­fragt, sinn­los oder, et­was elo­quen­ter viel­leicht: über­flüs­sig.

    Na­tür­lich nimmt die me­dia­le Kom­ple­xi­tät zu – auch was die Li­te­ra­tur­kri­tik an­geht (die oft eher »Buch­kri­tik« ist, al­so af­fir­ma­tiv, emp­feh­lend). Das führt zwangs­läu­fig zur Zer­split­te­rung des Me­di­en­rau­mes – et­was, was je­mand wie Schüt­te ja im Som­mer auf­hal­ten woll­te (aber wohl nicht zu ver­mei­den ist). Vor al­lem die zeit­li­chen Res­sour­cen der Le­ser sind aber be­grenzt. Je­der Blog wie die­ser hier stellt für den eta­blier­ten Be­trieb ei­ne Wett­be­werbs­si­tua­ti­on dar. Auch, wenn es nur um 50 oder 100 Klicks geht – die­se Auf­merk­sam­keit fehlt u. U. den »eta­blier­ten« Me­di­en. Hier sind’s 50 Klicks, an­ders­wo viel­leicht schon 1000. Und es gibt Hun­der­te von Buch‑, Li­te­ra­tur- und Feuil­le­ton­sei­ten im Netz. Der nor­ma­le Le­ser hat viel­leicht nur drei Stun­den in der Wo­che Zeit und Lust. Frü­her kauf­te er die Zeit, den Spie­gel. Und jetzt? Ich ken­ne Leu­te, die kau­fen sich die Buch­mes­sen­bei­la­gen der gro­ßen Zei­tun­gen. Die wer­den ge­sta­pelt. Und dann, Mo­na­te, Jah­re spä­ter beim Auf­räu­men lan­den sie un­ge­le­sen auf den Müll. Von den Bü­chern, die man kauft und/oder sich schen­ken lässt, ist da noch gar kei­ne Re­de.

  30. Hm, aber es be­steht doch kein Kon­sens in der Dia­gno­se, im Zu­stand der Kri­tik? Müss­te Frau März en-pas­sants Fest­stel­lung der End­ver­brau­cher­aus­la­ge­rung nicht wi­der­spre­chen? Eben weil sie den Zu­stand der Kri­tik bes­ser be­wer­tet und da­her da­von (Aus­la­ge­rung) nicht spre­chen könn­te?

  31. Selbst Frau März kon­ze­dier­te, dass die Kraft der li­te­ra­ri­schen Dis­kur­se, mit­hin die Kri­tik nicht mehr den Stel­len­wert hat wie vor 20 oder 30 Jah­ren. Sie macht dies je­doch nicht am (in­tel­lek­tu­el­len) Zu­stand der Kri­tik sel­ber fest (oder nur da­hin­ge­hend, wo man sich zu sehr mit der Kri­tik sel­ber be­schäf­ti­ge statt mit Li­te­ra­tur­de­bat­ten), son­dern er­klärt dies mit ver­scho­be­nen Prio­ri­tä­ten. Ich ha­be in Er­in­ne­rung, dass sie die Ar­chi­tek­tur­kri­tik nann­te, die ei­nen grö­sse­ren Stel­len­wert be­kom­men ha­be. Wo die­ser Stel­len­wert ge­mes­sen wur­de, sagt sie nicht. Ich neh­me an, dass sie das Feuil­le­ton meint und da­mit glaubt, das sei die Welt, in der sich 99% der Be­völ­ke­rung tum­me­le.

    März glaubt, dass man mit »Li­te­ra­tur­de­bat­ten« die Auf­merk­sam­keit zu­rück­ge­win­nen kön­ne. Es ist aber ei­ne Auf­merk­sam­keit für sie, die Kri­ti­ker, sel­ber. Sie be­an­spru­chen die aus­schließ­li­che Au­to­ri­tät. Ex­pli­zit nann­te sie die so­ge­nann­te »Chri­sta-Wolf-De­bat­te« (nä­he­res da­zu kann man hier, hier oder hier nach­le­sen). Da­nach ha­be es – so März auch ein biss­chen nost­al­gisch – kei­ne sub­stan­zi­el­le Li­te­ra­tur­de­bat­te mehr ge­ge­ben. Die Ge­gen­be­wei­se da­zu, die mir spon­tan ein­fal­len, ste­hen im Text.

    Für März et. al. spie­len sich die­se Li­te­ra­tur­de­bat­ten aus­schließ­lich nach ei­nem Ping­pong-Sy­stem in sechs, sie­ben oder ma­xi­mal acht Me­di­en ab. A schreibt in Me­di­um Z, dann ant­wor­tet B in Me­di­um Y. Da­nach C in Me­di­um X als Ant­wort auf B, usw. Die Öf­fent­lich­keit hat bei die­sen De­bat­ten zwei Funk­tio­nen: Sie re­zi­piert. Und sie kauft die je­wei­li­gen Me­di­en­pro­duk­te. An­dern­falls »ver­passt« sie ei­nen Bei­trag. (Ich ha­be letz­te­res frü­her ab und an ver­hin­dert, in dem ich in der Stadt­bi­blio­thek im Le­se­saal die ent­spre­chen­den Bei­trä­ge ge­le­sen ha­be.)

    Die On­line­me­di­en trans­por­tie­ren sol­che De­bat­ten­bei­trä­ge prak­tisch in Echt­zeit. Nur ei­ni­ge we­ni­ge ver­stecken sich hin­ter Be­zahl­schran­ken. Grund­sätz­lich aber gilt: Die pu­bli­zi­sti­schen Vor­aus­set­zun­gen für die­se »De­bat­ten« sind gün­sti­ger denn je. Und tat­säch­lich fin­den sie ja auch statt, aber eben nicht mehr aus­schließ­lich dort, wo Frau März sie ger­ne ha­ben möch­te. Das schafft zwei Krän­kun­gen: (1.) Die De­bat­ten­bei­trä­ge der Teil­neh­mer müs­sen um Auf­merk­sam­keit buh­len, da es sehr viel schnel­ler Tex­te ge­ben wird. Das quan­ti­ta­ti­ve An­ge­bot steigt – was na­tür­lich auch die Ho­no­rar­fra­ge de­rer tan­giert, die da­von le­ben müs­sen. (2.) Die­se Er­hö­hung der Pu­bli­ka­ti­ons­dich­te und de­ren Ge­schwin­dig­keit ver­führt zu vor­schnel­len Bei­trä­gen. Re­cher­che­lei­stun­gen sind zeit­auf­wen­dig. Al­so un­ter­blei­ben sie. Mehr Quan­ti­tät be­deu­tet nicht mehr Qua­li­tät. Und das be­trifft al­le Mit­spie­ler, eben auch Frau März.

    Das Feuil­le­ton hat nun zwei Mög­lich­kei­ten. Ent­we­der man ver­wirft all die »schreck­li­chen« In­ter­net­platt­for­men, Blogs und Ma­ga­zi­ne als mehr oder we­ni­ger tri­vi­al und über­flüs­sig. Oder man ver­sucht se­lek­tiv ei­ni­ge An­ge­bo­te zu in­te­grie­ren. Der­zeit geht die Ten­denz zu letz­te­rem, wo­bei man auch auf die pri­va­tim be­trie­be­nen Blogs und Web­sei­ten von Re­zen­sen­ten zu­rück­greift. Wenn es heisst, dass Herr A oder Frau B blog­gen, be­deu­tet dies im­mer ei­ne hier­ar­chi­sche Ab­stu­fung: Feuil­le­ton ist top – Blogs von Re­zen­sen­ten sind Spiel­wie­sen, Re­ste­ram­pen. Das se­riö­se An­ge­bot steht an­ders­wo. Und »Blog­ger« al­lei­ne be­deu­tet in die­sem Zu­sam­men­hang im­mer zweit­klas­sig; nerdig.

  32. Den Fo­kus im Blick ha­ben

    Al­so dass März (die sich doch häu­fig auf Sa­chen im Netz be­zieht, so­wohl als Kri­ti­ke­rin wie als Zeit-Bei­trä­ge­rin) da per se ei­ne ex­pli­zi­te Di­stanz des Feuil­le­tons be­haup­tet (oder ei­ne „Hö­he“ wie et­wa Man­gold), se­he ich bis­lang nicht.

    Dass sie sich aber als je­mand im Sy­stem auf des­sen wich­ti­ge­ren Re­fe­ren­zen be­zieht, wä­re kein Wi­der­spruch son­dern eben wie­der ei­ner pro­fes­sio­nel­len Not­wen­dig­keit ge­schul­det: Sie will ja da auch be­merkt wer­den. Sie wird ja schließ­lich auch be­zahlt für ih­re ZEIT-Bei­trä­ge, Win­kels lädt sie ins LCB ein usw. Das kann man ihr an­krei­den, es ge­hört aber zum „Be­rufs­bild“.

    Wo­mög­lich ist es aus ih­rer Sicht trotz­dem mü­ßig, sich jetzt auch noch in den we­ni­ger ar­ri­vier­ten, we­ni­ger re­le­van­ten On­line­or­ten zu ver­zet­teln. (Das tun die Feuil­le­ton-Nam­haf­ten ja fast al­le nicht – nicht, weil sie on­line nicht auch le­sen und re­zi­pie­ren, son­dern weil es so­fort mehr Ar­beit für sie be­deu­ten wür­de, und sei es nur, in den Äu­ße­run­gen über sich sel­ber auf dem Lau­fen­den zu sein. Je­mand, der öf­ter im Feuil­le­ton vor­kommt er­klär­te mir ein­mal ernst­haft, dass das Selbst-Goo­geln zu sei­nen „täg­li­chen Pflich­ten“ ge­hör­te.)

    Da­zu kommt, wenn man sich ein­mal auf den „Mei­nungs­markt“ be­ge­ben hat, kommt man leicht dort um: Ich mei­ne nicht mal die Ge­fahr von Schei­ße­stür­men etc. Aber so­gar die ent­le­gend­sten, die teil­wei­se mei­nen Über­zeu­gun­gen wi­der­spre­chend­sten Hal­tun­gen schei­nen manch­mal an­ge­mes­sen, weil man ge­lernt hat und ler­nen muss, völ­lig di­ver­gie­ren­de Stand­punk­te zu­min­dest in der ak­tu­ell vor­ge­fun­de­nen Äu­ße­rungs­form zu prü­fen. „Nichts ist oh­ne sein Ge­gen­teil wahr.“ Aber Ur­teils­fe­stig­keit und Kon­si­stenz im Den­ken sind für uns Mul­ti-Op­tio­ni­sten eben auch nicht mehr durch­ge­hend an­ge­sagt. Das al­les zu ver­ar­bei­ten ist für Pro­fis in dem Ge­samt­wahn­sinn „Öf­fent­lich­keit“ wo­mög­lich gar ge­fähr­lich?

    Ich fra­ge mich aber auch, ob die Hier­ar­chi­sie­rung nicht auch aus an­de­ren (oder von mir aus so­gar an­de­ren ne­ben-pro­fes­sio­nel­len Grün­den: et­wa die üb­li­che Di­stanz­lo­sig­keit in den Fo­ren, die schril­len Tö­ne, Ge­duzt­wer­den, man­geln­de Re­fle­xi­on über den Ge­gen­stand usw.) un­aus­weich­lich ist, wenn man eben sub­jek­tiv doch mal ei­ne ge­wis­se Hö­he er­reicht hat. Ge­ra­de dass sie dort nicht ex­klu­siv sind, wis­sen Jour­na­li­sten ja in­zwi­schen sehr wohl (wie eben auch der Me­dia Markt- oder sonst was-Ver­käu­fer ge­gen­über sei­nem Kun­den oft nicht mehr, der xfach sei­ne Kauf­in­ter­es­sen durch Ver­tie­fung in den Ge­gen­stand ab­ge­si­chert hat).

    Sind die Blog­ger, die es in die FAZ ge­schafft ha­ben nicht an­schlie­ßend auch ein Trepp­chen hö­her ge­stie­gen? Die ar­chai­sche so­zia­le Rang­fra­ge ist ja doch tie­fer im­ple­men­tiert, als wir De­mo­kra­tie-ge­schul­ten, Mit­spra­che For­dern­den al­le glau­ben. Auch die Blog­ger ha­ben ih­re Al­phas, nicht je­der wird für Ant­wort wür­dig be­fun­den, manch­mal hat man den Ein­druck, es geht auch öf­ter mal um ein gar nicht aus­ge­spro­che­nes „Ar­gu­ment“. Es lie­fe dann auch die Kri­tik an der Kri­tik eben auf Au­ßer­li­te­ra­ri­sches hin­aus: Auf ei­ne im­pli­zit ver­lang­te Bes­ser­stel­lung – mit den ein­zu­ge­hen­den oder als Fal­len war­ten­den Un­tie­fen da (et­wa wie im Fe­mi­nis­mus: der lau­fend neue sich zu ze­men­tie­ren su­chen­de Frau­en­bil­der her­bei­ar­gu­men­tiert).

    (Viel­leicht müss­te man über­haupt die Kri­tik an der Kri­tik noch ein­mal ge­nau­er fas­sen, wenn es nicht nur ein Re­kur­rie­ren auf al­te, aber we­ni­ger zeit­ge­mäß er­schei­nen­de Wer­te meint? Le­se ge­ra­de so ei­ne al­te En­zens­ber­ger-Suhr­kamp­sa­che, und oh­ne je ein be­son­de­rer Freund da­von ge­we­sen zu sein, kann ich nicht um­hin zu se­hen, dass die­se gu­te al­te Durch­drin­gung des Ge­gen­stands heu­te so viel­leicht gar nicht mehr mög­lich ist. Der [wahr­schein­lich hier un­zu­läs­sig ge­ne­ra­li­sier­te] Ein­druck je­den­falls ist: Die hat­ten ei­ne ganz an­de­re Zeit zur Ver­fü­gung, sich in die Sa­che rein­zu­knien, die hat­ten ei­nen viel wei­te­ren Hin­ter­grund und Le­se­ho­ri­zont (als nur „Ak­tua­li­tät“ und das ewi­ge In­si­der­tum ih­rer je­wei­li­gen Me­di­en­häu­ser), die hat­ten auch ei­nen an­de­ren Ho­ri­zont an Zu­kunft, mit dem ei­ge­nen Han­deln ging im­mer auch ei­ne ex­pli­zit po­li­ti­sche Di­men­si­on ein­her. Das Buch ist von 1964 – aber ha­ben wir heu­te we­ni­ger Po­li­tik? Oder was ist mit der hu­ma­ni­sti­schen Bil­dung? La­tein oder so­gar Grie­chisch? Die Kennt­nis eben doch ei­nes er­wei­ter­ten Ka­nons? Auf wel­che Emp­fän­ger kann / soll sich Kri­tik heu­te ein­stel­len? In wel­cher Ton­la­ge? Wird nicht lau­fend ei­ne min­de­re der wahr­lich he­te­ro­ge­nen Ziel­grup­pen ver­fehlt?

    Um es aber wie­der nied­ri­ger zu hän­gen: Ein biss­chen er­in­nern mich die [ja von mir sel­ber manch­mal ge­führ­ten] Kla­gen an die Zeit, als das neue Nach­rich­ten­ma­ga­zin der In­sti­tu­ti­on „Spie­gel“ Kon­kur­renz ma­chen woll­te, und der noch lan­ge ei­ne ganz an­de­re, näm­lich die gu­te al­te In­for­ma­ti­ons­tie­fe hat­te, und all die vie­len Schau­bil­der und Gra­phi­ken der her­ein­ge­hol­ten In­for­ma­ti­ons­ver­ar­bei­tung á la Pri­vat­fern­se­hen – bun­ter, lau­ter, schnel­ler … kon­su­mier­ba­rer – nicht auf­wie­gen konn­ten. Wir sind heu­te al­le Fo­kus. Oder eben ein biss­chen out of.)

    (Sor­ry für den Ser­mon, hat­te ge­ra­de Zeit da­für – sie­he Über­schrift.)

  33. Na­ja, da ha­ben wir’s ja: Die Feuil­le­to­ni­sten le­sen – wenn Ih­re The­se stimmt – das On­line-Zeugs, wol­len sich aber nicht ver­zet­teln. Aber wer sagt denn, dass es ein ver­zet­teln wä­re? Geht es um De­bat­ten oder um Pfrün­de? Und es ist ja nicht so, dass man sich nicht hier und dort auch ger­ne ein­mal »be­dient« – oh­ne die Quel­le zu nen­nen?

    Na­tür­lich hat ei­ne Hier­ar­chi­sie­rung auch im­mer et­was mit dem Wunsch an ei­nem »An­kom­men« zu tun. Aber wer kennt denn oh­ne nach­zu­schla­gen mehr als drei FAZ-Blog­ger (wohl­ge­merkt: Blog­ger, nicht Re­dak­teu­re, die ih­re Tex­te, die es nicht in die FAZ ge­schafft ha­ben, ent­sor­gen kön­nen)? Ist die­ses Prin­zip des Main­streams, den Blog­ger-Main­stream zu um­ar­men (ak­tu­el­les Stich­wort: Buch­preis­blog­ger) nicht in Wirk­lich­keit der Be­ginn ei­nes sanf­ten Er­stickungs­to­des (viel­leicht bei Don Al­phon­so ab­ge­se­hen)?

    Mit den Blog­ger-Al­phas hat­te ich (bis auf ei­ne Aus­nah­me) früh Schwie­rig­kei­ten, weil sie mir schnell zu red­un­dan­ten Ver­satz­stücken ei­nes Mei­nungs­bo­gens mu­tier­ten, den man wie das klei­ne 1 x 1 aus­rech­nen konn­te. Schließ­lich wur­den die mei­sten zu Markt­schrei­ern wie die­je­ni­gen, die sie selbst kri­ti­sier­ten. (Das ist die größ­te Ge­fahr: Sich selbst in ei­ne Po­si­ti­on zu ma­nö­vrie­ren, die des­sen ähn­lich ist, was man kri­ti­siert.) Um es ein biss­chen über­spitzt zu sa­gen: Die Kar­rie­re be­ginnt nicht, wenn man in ZDF- oder ARD-Talk­shows sitzt – sie ist dann auf dem Weg nach un­ten.

    Und dann das hier von Ih­nen:
    Die hat­ten ei­ne ganz an­de­re Zeit zur Ver­fü­gung, sich in die Sa­che rein­zu­knien, die hat­ten ei­nen viel wei­te­ren Hin­ter­grund und Le­se­ho­ri­zont (als nur „Ak­tua­li­tät“ und das ewi­ge In­si­der­tum ih­rer je­wei­li­gen Me­di­en­häu­ser), die hat­ten auch ei­nen an­de­ren Ho­ri­zont an Zu­kunft, mit dem ei­ge­nen Han­deln ging im­mer auch ei­ne ex­pli­zit po­li­ti­sche Di­men­si­on ein­her.
    Hin­zu kommt: Auch die Le­ser hat­ten Zeit; la­sen, wenn nö­tig, ei­nen Ab­satz noch ein­mal, wenn er ih­nen un­klar war. Oder nah­men sich ei­nen Text noch ein­mal her­vor. Kei­ne Un­ter­bre­chung durch ei­nen neu her­ein­kom­men­den Ar­ti­kel, kei­ne Mail, die schnell be­ant­wor­tet wer­den soll, kein Das-le­se-ich-spä­ter-wei­ter (und da­mit nie mehr), kei­ne drei, vier Bü­cher, in die man un­be­dingt noch ein­mal hin­ein­le­sen möch­te...

    Es geht al­so nicht um Kul­tur­pes­si­mis­mus – das ist ei­ne Ab­len­kung, wenn man sich Rea­li­tä­ten ver­wei­gern möch­te und kommt zu­meist von de­nen, die am mei­sten vom Sta­tus quo pro­fi­tie­ren. Und die Un­ken­ru­fe zum Pri­vat­fern­se­hen und dem »Fo­cus« – sie wa­ren ja nicht so ganz un­be­grün­det. Pro­zes­se ha­ben oft län­ge­re In­ku­ba­ti­ons­zei­ten als man denkt.

  34. Klei­ner Zwi­schen­ruf zu die­sem Text von Ri­chard Käm­mer­lings zur Short­list des Buch­prei­ses 2015. Weil Cle­mens J. Setz’ neu­es Buch »Frau und Gi­tar­re« nicht auf der Short­list steht, wer­den die Ju­ro­ren her­ab­ge­wür­digt: Nur »ein ein­zi­ger Li­te­ra­tur­kri­ti­ker von Rang und mit über­re­gio­na­lem Wir­kungs­grad« be­fin­de sich mit Chri­sto­pher Schmidt [SZ] in der dies­jäh­ri­gen Ju­ry – die Kri­ti­ke­rin­nen Clau­dia Kra­mat­schek [»freie«], Ul­ri­ke Sár­ká­ny [NDR] und Bet­ti­na Schul­te [Ba­di­sche Zei­tung] wer­den da­mit pau­schal zu Pro­vinz­trot­teln er­klärt. Und dann noch die Buch­händ­ler. Nein, für Käm­mer­lings muss ei­ne sol­che Ju­ry mit den be­sten Li­te­ra­tur­kri­ti­kern be­stückt sein – die na­tür­lich er ganz ge­nau kennt. Ein dumm­drei­ste­res Do­ku­ment von Kum­pel­hy­bris hat man wohl sel­ten zu le­sen be­kom­men.

    (Wohl ge­merkt: Man kann und darf die Ju­ry kri­ti­sie­ren – kein Pro­blem. und Käm­mer­lings ver­wen­det auch an­dert­halb Sät­ze auf die sach­li­che Be­grün­dung. Aber die Stoß­rich­tung – ad ho­mi­nem die Kom­pe­tenz der Ju­ro­rin­nen an­zu­zwei­feln – ist un­wür­dig.)

  35. Ja, der Käm­mer­lings schmeißt sich da sehr in die Brust. Das Ko­mi­sche dar­an ist nicht nur das Miss­lin­gen in Lo­gik und For­mu­lie­run­gen, son­dern die­ses »Durch­set­zen­wol­len«, das noch so tut, als gä­be es die Groß­kri­ti­ker al­ten Stils noch ir­gend­wo. Die Buch­be­spre­cher ha­ben ja – viel­leicht mit Aus­nah­me de­rer, die in der ZEIT sich ver­lau­ten las­sen dür­fen – ei­ne ra­pi­de Ab­wer­tung er­fah­ren. Sie spie­len we­der für Le­ser noch für die Märk­te noch ei­ne so wich­ti­ge Rol­le, wie sie frü­her hat­ten. Käm­mer­lings’ klei­ne Ti­ra­de il­lu­striert in ge­wis­ser Wei­se die Wut, nichts mehr zu sa­gen zu ha­ben – da­bei hat­te er sich mit sei­ner Be­spre­chung, was die Län­ge an­geht, doch rich­tig Mü­he ge­ge­ben.
    Liest man nun nur die­sen klei­nen Wut­an­fall von ihm, hat man als auf­ge­weck­ter Le­ser Zwei­fel, ob denn Käm­mer­lings über­haupt so ein be­gab­ter Vor­ko­ster ist, dass er ei­nen »über­re­gio­na­len Wir­kungs­grad« ver­dient hät­te. Wenn ich die­ses ver­ma­le­dei­te »sprach­mäch­tig­ste« im Zu­sam­men­hang mit ei­nem deut­schen Schrift­stel­ler le­se, ge­he ich in­zwi­schen schon da­von aus, das wahr­schein­lich das Ge­gen­teil der Fall ist. Wem das schon al­les an­ge­han­gen wur­de, die »sprach­mäch­tig­ste« Stim­me zu sein! Jun­ge, Jun­ge. Und beim Cle­mens Setz le­se ich nun in die er­sten Sei­ten sei­nes Buchs hin­ein und freue mich über die pro­gram­ma­ti­schen Ab­grün­de, die in dem er­sten Satz lie­gen (und die Käm­mer­lings in sei­ner Be­spre­chung gar nicht be­merkt), aber ich krie­ge dann auch gleich wie­der Un­lust­krämp­fe, wenn ich wei­ter le­se und so viel Un­ge­len­kig­kei­ten in den näch­sten Sät­zen be­mer­ke, so viel schon hand­werk­lich schlech­te Schrift­stel­le­rei, dass mich auch der even­tu­ell zu­tref­fen­de Su­per­la­tiv, dies sei der pro­vo­kan­te­ste Ro­man der Sai­son, nicht mehr zum Le­sen der 1021 Sei­ten ver­füh­ren kann (zu­mal ich per­sön­lich kei­ne so­ge­nann­ten Pro­vo­ka­tio­nen be­nö­ti­ge, kei­ne Ah­nung, wer wo­zu dar­an Be­darf ha­ben soll­te, ich dach­te, die Zei­ten wä­ren vor­über). Kurz­um: Käm­mer­lings scheint mir nicht mehr und nicht we­ni­ger als die ganz nor­ma­le durch­schnitt­lich hoh­le Nuss zu sein. Ei­ner wie je­der­mann. Ei­ner wie ich. Ei­ner wie ei­ne Stutt­gar­ter Buch­händ­le­rin. Ei­ner wie je­mand, der mal fa­ta­ler­wei­se et­was Ger­ma­ni­stik stu­diert hat. Wo der sein Selbst­über­zeugt­heit her­nimmt, ist schon er­staun­lich und ge­hört zum hier so wun­der­bar durch­dis­ku­tier­ten Pro­blem­kreis. Es ist ja nicht nur die Fra­ge, wo die kon­zen­trier­ten De­bat­ten hin­ge­kom­men sind, es ist die Fra­ge, wer da in den Kul­tur­tei­len noch de­bat­ten­fä­hig ist? Die De­bat­te kann ja erst be­gin­nen, wenn die Bü­cher­nach­rich­ten­ma­cher auch ein­mal ih­ren ei­ge­nen Phra­sen, ih­rer jour­na­li­sti­schen Le­go-Spra­che zu miss­trau­en be­gin­nen. Die­se grob­schläch­tig­sten Elo­gen! Die­se Wurst­fin­ger, mit de­nen sich da man­che an die Fein­me­cha­nik der Spra­che her­an­ma­chen! Die­se chro­ni­sche Un­auf­merk­sam­keit für De­tails! Die­se Blind­heit für Bil­der! Die­se Ur­teils­sucht!

  36. Schon ko­misch, hier als An­walt des Teu­fels zu fun­gie­ren. Und bit­te mich nicht gleich wie­der in die Kul­tur­pes­si­mi­sten Ecke schicken, aber auch wenn man Zen­tra­lis­mus, Ka­non und In­stan­zen sel­ber ab­lehnt – die Ar­ro­ganz der Bes­ser­in­for­mier­ten, die von ih­ren er­wei­ter­ten Kennt­nis­sen auf die zu er­brin­gen­den von an­de­ren schlie­ßen -, kann man für ih­re Tei­le ih­rer Funk­tio­nen plä­die­ren.

    Und na­tür­lich fin­de auch ich Ju­ry-Po­li­ti­ken frag­lich, und die For­de­rung nach den üb­li­chen Be­däch­ti­gen ist nicht mei­ne. Aber auch je­der Sach­ver­stand von Sei­ten- oder Quer­ein­stei­gern müss­te ja auch erst­mal wie­der be­wie­sen wer­den und un­ter­lä­ge auch wie­der so­for­ti­ger Kri­tik. Auch ich fin­de Wei­he­spie­le per se ver­däch­tig.

    Und den Buch­preis so­wie­so. Auch se­he ich kein Recht für Setz auf die­ser 6‑er Li­ste zu ste­hen, und auch ich ha­be of­fen ge­stan­den kei­ne Lust auf sein Buch, aber dass er als pro­mi­nent Be­han­del­ter die­ser „Sai­son“, dass er als mut­maß­lich ori­gi­nel­ler au­ßen­sei­te­ri­scher In­si­der nicht drauf ist, ist trotz­dem be­mer­kens­wert. (Wo­mög­lich ist es ja ein Si­gnal? Oder ist die Qua­li­tät der an­de­ren Bü­cher tat­säch­lich so viel hö­her? Nach­dem, was ich bis­her ge­hört ha­be, scheint das doch noch zu be­wei­sen.)

    Ich blei­be bei mei­ner Sicht ei­ner dé­for­ma­ti­on pro­fes­si­on­nel­le auf bei­den Sei­ten : Die Le­ser / Blog­ger ar­bei­ten sich an der Re­le­vanz ab, die sie, da sie nun auch mal vor­zu­kom­men wün­schen, nicht be­kom­men – auch nicht in den Was­ser­glas-Stürm­chen ih­rer De­bat­ten. Und das Feuil­le­ton ver­sucht sich in den Rück­zugs­ge­fech­ten sei­ner zer­brö­seln­den, ihm so lan­ge zu­ge­stan­de­nen Ran­gaus­übun­gen zu be­haup­ten. Die Kri­tik an der in ih­ren ewi­gen Män­geln zu be­män­geln Kri­tik ist Teil ei­nes neu­en Ge­schäfts, das uns glatt fehl­te.

  37. Ich ha­be eben­falls kei­ne Lust auf Setz’ Buch. Aber da kommt das ins Spiel, was Sie ge­stern ge­schrie­ben ha­ben: Als pro­fes­sio­nel­ler Kri­ti­ker müss­te ich es min­de­stens an­le­sen (ich glau­be nicht, dass es mehr als drei Leu­te au­ßer­halb des Suhr­kamp-Ver­lags von A bis Z ge­le­sen ha­ben). Da es den Rea­lis­mus – den man sel­ber auf den Schild ge­setzt hat und im­mer noch setzt – an­schei­nend auf­zu­he­ben ver­sucht, gilt das schon als am­bi­tio­niert. Das ist auch klar, denn wenn ich im­mer wei­ße Schwä­ne ge­se­hen ha­be, ist der schwar­ze was au­ßer­ge­wöhn­li­ches. Hin­zu kommt, dass der Ro­man im Mo­ment in ein So­cial-Re­a­ding-Pro­jekt ein­ge­bet­tet ist (Käm­mer­lings ist da nicht als Teil­neh­mer auf­ge­führt, da­für sol­che Ko­ry­phä­en der Li­te­ra­tur­kri­tik wie Sa­scha Lo­bo und Ron­ja von Rön­ne; ob Buch­händ­ler da­bei sind, weiss ich nicht). Da fühlt sich der Be­trieb wo­mög­lich be­lei­digt, so­zu­sa­gen ins Nichts zu le­sen.

    Mei­ne Ar­ro­ganz (und/oder mein Pri­vi­leg) geht nun da­hin, dass ich die­ses Buch nicht le­sen muss. Die Grün­de sind viel­fäl­tig. Zum ei­nen glau­be ich, dass ich sol­che Wun­der­satz-Pro­sa nicht mag und das mir das auf über 1000 Sei­ten sehr schwer fällt. Das wä­re mein Pro­blem, nicht das von Setz. Zum an­de­ren ist mir der Grad der Af­fir­ma­ti­on, dem die­ses Buch be­geg­net, su­spekt. Hin­zu kommt, das ich nicht die 15. Re­zen­si­on oder den 35. Le­se­ein­druck ab­ge­ben muss. (Red­un­danz-Pro­blem)

    Na­tür­lich sind Ju­ry-Ent­schei­dun­gen im­mer der Kri­tik un­ter­wor­fen. Ge­nau so hät­te man auch auf die Longlist an­de­re Bü­cher mit viel­leicht grö­sse­rer Be­rech­ti­gung no­mi­nie­ren kön­nen (Lud­wig Fels zum Bei­spiel oder An­na Baar). Und im Ge­gen­satz zu Schieds­rich­ter-Ent­schei­dun­gen im Fuß­ball gibt es nicht ein­mal ei­ne Zeit­lu­pe, die den Irr­tum (oder die rich­ti­ge Ent­schei­dung) auf­lö­sen kann. Käm­mer­lings’ ad ho­mi­nem An­griff, der min­de­stens drei Ju­ro­rIn­nen die Qua­li­fi­ka­ti­on ab­sprach, nur weil sie nicht über­re­gio­nal be­kannt sind, hat aber mit (zu­läs­si­ger) Em­pha­se für ein Buch we­nig zu tun. War­um soll ei­ne Ju­ro­rin, die für den NDR tä­tig ist, kei­nen Über­blick ha­ben? Ab­sur­der geht es kaum noch.

    Der Buch­preis (bzw. die bei­den Buch­prei­se) sind ein The­ma für sich. Pro­ble­ma­tisch ist die Fo­kus­sie­rung auf we­ni­ge Ti­tel bzw. da­nach auf den Sie­ger­ti­tel. Herbst schreibt heu­te, dass man »früher...auf die Mes­se­bei­la­gen« hin­fie­ber­te. »nun wir­ken sie qua­si als zu ver­nach­läs­si­gen­de Ne­ben­sa­che«. Da ist durch­aus et­was dran. Der Ein- oder Zwei­buch­le­ser greift dann im Zwei­fel zu dem, was in den Buch­lä­den vor­ne liegt und im Fern­se­hen ge­zeigt wur­de. Die Fra­ge, ob die Qua­li­tät der an­de­ren Bü­cher wirk­lich so­viel hö­her ist wie die der Long- bzw. Short­list­wer­ke stellt sich dann gar nicht: Der Re­zi­pi­ent hat ei­nen »Sie­ger«. Wer küm­mert sich um die Ver­lie­rer?

    Das Re­le­vanz-Ge­hu­pe kommt nicht von den Blog­gern, die wie Ar­bei­teramei­sen be­sten­falls um den Hau­fen her­um­krei­sen. Ih­nen ist ih­re Ni­schen­exi­stenz be­wusst. Sie hat Vor- wie Nach­tei­le. Von der »Se­lek­ti­ons­au­to­ri­tät« spra­chen nicht Blog­ger, son­dern Man­gold. Aber ei­ne Au­to­ri­tät, die man an­mah­nen muss, ist kei­ne mehr. Au­to­ri­tät wird in in­for­mel­len Ak­ten ver­ge­ben; sie kann nicht po­stu­liert wer­den.

    Man gilt in Deutsch­land schnell als Spiel­ver­der­ber, wenn man Struk­tu­ren und In­sti­tu­tio­nen be­fragt. Au­toren be­mü­hen das oft, wenn sie sich von der Kri­tik be­lei­digt füh­len. Volks­tüm­lich der Aus­spruch, dass die Kri­ti­ker es erst ein­mal sel­ber bes­ser ma­chen müs­sen. Les­sing lie­fer­te da­zu das Bon­mot, dass man nicht Koch sein muss um fest­zu­stel­len, dass die Sup­pe ver­sal­zen ist. Er­gän­zen könn­te man, dass ich nicht sel­ber Koch in dem Lo­kal wer­den will, nur weil ich fest­ge­stellt ha­be, dass die­ser die Sup­pe ver­sal­zen hat.

    Das be­lieb­te­ste Ar­gu­ment ist die leich­te Be­ar­bei­tung ei­nes Spruchs: »Die schärf­sten Kri­ti­ker der El­che / wä­ren ger­ne sel­ber wel­che«. In na­he­zu al­len Le­bens­be­rei­chen (von der Po­li­tik an­ge­fan­gen) zeigt sich, dass die Kri­ti­ker der El­che, die dann sel­ber wel­che ge­wor­den wa­ren, oft ge­nug von den Rea­li­tä­ten ein­ge­holt und ver­sagt ha­ben. Das be­deu­tet aber nicht, dass ih­re In­ten­tio­nen per se falsch wa­ren. Es zeigt nur, dass Idea­lis­mus oft ge­nug an der Rea­li­tät schei­tert.

  38. Ah, dan­ke für die­sen letz­ten Hin­weis – so tief steck ich üb­li­cher­wei­se nicht mehr drin (und ich mer­ke dar­über, dass mich das frü­her ein­mal viel stär­ker in­ter­es­sier­te). Und bei den Aus­las­sun­gen Win­kels’ gleich die­sel­be Fra­ge nach der „Le­gi­ti­ma­ti­on“, die nach Bran­chen-Po­li­tik oder Äs­the­tik – wo­bei letz­te­re in der Kri­tik der Buch­preis­aus­wahl im­mer­hin doch durch wie­der Kri­ti­ker im Mit­tel­punkt steht.

    Da­bei ist die ein­ge­bau­te Un­schär­fe – sub­jek­ti­ve Ur­tei­le – doch eben hin­zu­neh­men­der Teil des Ver­fah­rens: Es durch An­greif­bar­keit le­ben­dig zu hal­ten? Und es muss doch kri­ti­siert wer­den.

    Oder schär­fer: Ist Aus­ge­wo­gen­heit nicht lang­wei­lig? Oder um so ver­däch­ti­ger: Kön­nen es wirk­lich Frau­en- oder Män­ner­quo­ten sein ge­gen äs­the­tisch schar­fe Ab­gren­zun­gen? (San­dra Ke­gel stell­te die No­mi­nier­ten gar in al­pha­be­ti­scher Rei­hen­fol­ge vor.) Der Kon­flikt lä­ge al­so viel tie­fer, näm­lich auf der Li­nie ‚Her­zens­an­ge­le­gen­hei­ten’ ge­gen Be­mü­hun­gen um ‚Ob­jek­ti­vi­tät’. Und eben das fin­det sich auch wie­der in je­der ein­zel­nen Buch­kri­tik.

    Dan­ke auch für den Hin­weis auf den Be­treu­tes-Le­sen-Blog von Setz’ Ro­man – lässt ja fast schon an den Ar­no-Schmidt-De­chif­frier­ver­ein den­ken. Da war ich oft auf Vie­les neu­gie­rig ge­we­sen. Aber ir­gend­wann war’s auch mir zu­viel, so­gar bei Schmidt, der ei­ner mei­ner Lieb­lin­ge ist. Und wo­mög­lich ist das ja Teil des Pro­blems: Zu­viel Se­kun­där­text, zu­viel me-too Ge­quat­sche, zu­viel ‚So­zia­les’ Le­sen als An­spruch auf Mit-Be­triebs­nu­de­l­ei der Crowd statt äs­the­ti­sche Ana­ly­se? (Und mit so­books ist al­so auch noch ein „Ge­schäfts­mo­dell“ in­vol­viert?)

    Als ich ge­stern Abend noch mal die Zei­tungs­kri­ti­ken zu Setz nach­las – die wohl al­le als eben ‚im Rah­men’ ei­ner Zei­tung so durch­ge­hen kön­nen, aber von de­nen mir kein Stück ir­gend­wie na­he ging (was so­wohl am Ge­gen­stand wie an mir lie­gen kann), fiel mir wie­der Fied­ler vom An­fang der Dis­kus­si­on ein: Dass, wenn die An­stren­gung des Kri­ti­kers – selbst wenn er al­so im Ur­teil äs­the­tisch fehl geht – nicht sei­ner­seits auf ei­ne ge­wis­sen Hö­he ist, sie auch all­ge­mei­nen Maß­stä­ben nicht ge­nügt.

    Ein­zig der Streit – und ich den­ke da auch an Ly­o­tards ‚Wi­der­streit’ – wä­re der loh­nens­wer­te Er­trag aus all dem.

  39. Na­tür­lich ist Aus­ge­wo­gen­heit lang­wei­lig. Da­bei ist das Ge­scha­che­re und Her­um­nör­geln um Män­ner- und Frau­en­quo­ten fast schon Stan­dard. Aber was ist mit Al­ters- und Na­tio­nen­quo­ten? Oder Über­le­gun­gen zu be­stimm­ten Ver­la­gen? Auch beim Bach­mann­preis wird ja al­les nach Quo­ten quan­ti­fi­ziert. Aber die Fra­ge, die Käm­mer­lings und Win­kels auf­wer­fen geht tie­fer: Ist die Fin­dung der Ju­ry für den Frank­fur­ter Buch­preis ei­ner Or­ga­ni­sa­ti­on so­zu­sa­gen zu über­las­sen, die da­mit – wie sie be­haup­ten – über­for­dert ist? Und dies nur, weil ei­nem das Er­geb­nis nicht zu­sagt, wo­bei sich zu­min­dest Win­kels um et­was mehr Ar­gu­men­te be­müht.

    Neu­lich schrieb mir ei­ne Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft­le­rin, dass es in­zwi­schen kei­ne Ju­ry mehr ge­be, in der Win­kels nicht min­de­stens ein­mal ge­ses­sen ha­be. Da­bei kann man ihm nicht ein­mal die Qua­li­fi­ka­ti­on ab­spre­chen. Aber ist nicht das Ver­fah­ren, wel­ches da ge­wählt wur­de um nicht im­mer die üb­li­chen Ver­däch­ti­gen in die Ent­schei­dungs­gre­mi­en zu ho­len, auch ein biss­chen er­fri­schend? Knipp­hals äu­ßer­te sich in der taz ein biss­chen be­lu­stigt da­hin­ge­hend, dass et­li­che, gut ver­netz­te Lieb­lin­ge des Be­triebs nicht be­rück­sich­tigt sei­en. Es ist wohl der glei­che Knipp­hals, der die Li­ste von 2014 als »Quatsch« quan­ti­fi­zier­te – üb­ri­gens oh­ne die Kom­pe­tenz der Ju­ro­ren gleich der­art an­zu­grei­fen.

    Das So­cial-Re­a­ding von Setz’ »Die Stun­de zwi­schen Frau Gi­tar­re« wer­de ich aus dem Au­gen­win­kel be­ob­ach­ten. Wenn man mit­ma­chen möch­te, gibt es üb­ri­gens fol­gen­des Ver­fah­ren: »So dann schicke man ei­ne Be­grün­dung, wes­halb man hier über das Buch schrei­ben möch­te, ver­bun­den mit der Über­schrift des Ar­ti­kels und ei­ner Tweet-kur­zen In­halts­an­ga­be.« Ob Man­gold oder Lo­bo auch ei­ne Be­grün­dung ge­schrie­ben ha­ben? Ach nein: So­books ge­hört ja mit da­zu, wie man der Mail­adres­se se­hen kann, an die man die Be­wer­bung zu schicken hat.

    Al­lei­ne schon we­gen der vie­len (ver­meint­li­chen) Le­ser wür­de es für mich in­fra­ge kom­men, weil ich ja am En­de wohl noch ein­mal rd. 2000 Sei­ten Me­ta-Tex­te zu re­zi­pie­ren ha­be (ob­wohl vie­le aus­stei­gen wer­den). War­um im­mer 1000-Sei­ter der­art auf­be­rei­tet wer­den, ver­ste­he ich nicht. Als sei die rei­ne Quan­ti­tät ei­nes Ro­mans per se ei­ne Aus­sa­ge über sei­ne Qua­li­tät.

    Ob in ei­nem sol­chen Pro­jekt ein pro­duk­ti­ver, äs­the­ti­scher Streit ent­steht?

  40. So­cial Re­a­ding – ein Mar­ke­ting-Mo­del­le, de­ren Sinn sich mir über­haupt nicht er­schließt, vor al­lem mit die­sen Be­tei­lig­ten. Bei Pyn­chon-Ro­ma­ne oder bei den Wer­ken von Bol­a­no sind die Wi­kis, die ge­mein­sam von Le­se­rIn­nen er­stellt wer­den, um den gan­zen An­spie­lun­gen, hi­sto­ri­schen und kul­tu­rel­len Kon­tex­ten auf die Spur zu kom­men, sehr hilf­reich. Aber die­ser Trupp? Und auch noch mit Tür­ste­her-Club­re­ge­lung. Das hat doch schon sehr was von Berg­hain Li­te­ra­tur-Gang­bang, um mal auf dem Setz­schen Ni­veau zu schrei­ben. Das soll ei­ne In-Crowd in­sze­niert wer­den, da­mit die an­de­ren, die auch ger­ne da­zu­ge­hö­ren wol­len, we­nig­stens die Schar­te­ke käuf­lich er­wer­ben. Das Ding ist doch be­reits mit der Spe­ku­la­ti­on auf den Buch­preis her­ge­rich­tet wor­den und jetzt steht das kauf­män­ni­sche Kal­kür in Ge­fahr.
    Zur Ju­ry-Fra­ge: Wer den sonst als der In­ter­es­sen­ver­band der Buch­händ­ler hat denn die Kom­pe­tenz und die Le­gi­ti­ma­ti­on, die Ju­ry zu be­set­zen? Nur so be­kommt man das Ding doch von ir­gend­wel­chen Sze­ne-Dödels frei und die Chan­cen stei­gen, mal ein biss­chen was an­de­res ser­viert zu be­kom­men. Wenn Herr Kaem­mer­lings ger­ne ei­nen Preis ver­ge­ben will, soll der doch die Fi­nan­zie­rung auf die Bei­ne stel­len und los­le­gen. Viel­leicht mit Hu­bert Win­kels als er­stem Preis­trä­ger – der Old-Boys-Mim­i­mi-Preis der deut­schen Li­te­ra­tur.

  41. Mich wun­dert es, dass die Li­te­ra­tur­re­dak­teu­re, die sich un­ter den Teil­neh­mern dort be­fin­den, trotz al­ler ethi­schen Richt­li­ni­en für so­was her­ge­ben, denn das Pro­jekt wird ja u.a. von Suhr­kamp be­zahlt (»un­ter­stützt«, wie es heisst) und ist dem­zu­fol­ge nichts wei­ter als Wer­bung, egal ob man es als ”Ex­pe­ri­ment« oder sonst­wie be­zeich­net. Aber Man­gold war ja schon mit Setz auf dem Tan­dem in Graz ra­deln, da kann man na­tür­lich an so­was auch noch teil­neh­men – Mo­ritz hat das ge­mein­sa­me Ver­rei­sen mit den Au­toren neu­lich ja ge­rügt, scheint aber in punk­to Setz/Suhrkamp sel­ber kei­ne gro­ssen Be­den­ken zu ha­ben, da­für die Trom­mel zu rüh­ren.
    Viel­leicht könn­te so et­was wir­lich wert sein, mal aus­pro­biert zu wer­den, dann müss­te, wenn ich das rich­tig ver­stan­den ha­be, aber auch das je­wei­li­ge Buch un­mit­tel­bar auf der Sei­te von so­books ge­le­sen wer­den we­gen der Kom­men­ta­re und An­mer­kun­gen etc. Wenn ich das Buch be­reits als ge­druck­te Aus­ga­be ha­be, muss ich mir das ex­tra für die­sen Zweck noch­mal als ebook kau­fen und nur bei so­books, an­ders geht es wohl nicht. Aber will ich denn ein Buch am Bild­schirm le­sen und ha­be ich Lust auf Kom­men­ta­re, noch wäh­rend ich das Buch le­se? Ich bin skep­tisch, wür­de mich aber mal pro­be­hal­ber dar­auf ein­las­sen – al­ler­dings nicht ge­ra­de beim 1000Seiter Setz, auf Er­pen­becks Buch bei der FAZ ha­be ich the­ma­tisch kei­ne gro­sse Lust. Apro­pos: Beim neu­en Le­se­saal der FAZ (Kau­be üb­ri­gens, der es ge­stern in der ge­druck­ten FAZ vor­ge­stellt hat, wuss­te nicht mal, dass So­books ein Ham­bur­ger Un­ter­neh­men ist, er ver­or­te­te es in Ber­lin, im On­line­teil ha­ben sie den Feh­ler, der dort auch erst stand, schnell und heim­lich kor­ri­giert) stel­le ich mir die Fra­ge, in­wie­weit ei­ne Er­lös­be­tei­li­gung der FAZ an je­dem ver­kauf­ten Buch von Er­pen­beck sei­tens des Ver­la­ges er­folgt. Und auch in­ter­es­sant, dass man dort mit den Le­sern »über Bü­cher re­den und strei­ten« will, wäh­rend die­se ih­re Le­ser­kom­men­ta­re im On­line­feuil­le­ton der FAZ schon mit viel Ge­schick und Af­fir­ma­ti­on und am be­sten noch et­was Lob­hu­de­lei für den Ar­ti­kel for­mu­lie­ren müs­sen, da­mit die­se über­haupt frei­ge­schal­tet wer­den, aber nur, wenn die Freischalter/in gut drauf und das Wet­ter gut ist – bitt­schön kei­ne Kri­tik, auch nicht wenn sie sach­lich fun­dert ist. (wenn es nicht al­les manch­mal so trau­rig wä­re; trau­rig auch die Bü­cher­li­ste der er­sten Sen­dung des wie­der­be­leb­ten Li­te­ra­ri­schen Quar­tetts im ZDF, wo mit Tro­ja­now ge­nau ein deut­scher Au­tor ver­tre­ten ist. Es gab mal ei­ne Li­te­ra­tur­club­sen­dung­vor ein paar Mo­na­ten, glau­be ich, wo Ni­co­la Stei­ner am Schluss ganz über­rascht fest­stell­te, dass die deutsche/deutschsprachige Li­te­ra­tur ja viel zu kurz ge­kom­men sei, sie hat­ten auch nur ei­nen deutschen/deutschsprachigen Au­tor – wer wohl die Bü­cher zu­sam­men­stellt für die Sen­dung, die fal­len ja nicht vom Him­mel?)

    Usw.

  42. PS: Na­tio­nen­quo­ten, Aus­ge­wo­gen­heit, si­cher: lang­wei­lig. Aber: Kommt man wirk­lich nicht an Knaus­gard vor­bei? Oder an Gar­dos, des­sen Buch und (gleich auch noch die Ver­fil­mung!) ge­wis­ser­ma­ßen ge­ne­ral­stabs­mä­ßig auf­ge­zo­gen zu wer­den scheint (»Fie­ber am Mor­gen ist sein er­ster Ro­man, den er zu­dem selbst ver­filmt hat. Die un­ga­risch­schwe­disch-is­rae­li­sche Ko­pro­duk­ti­on kommt vor­aus­sicht­lich im Frühjahr/Sommer 2016 in die Ki­nos. Der Ro­man er­scheint welt­weit in sechs­und­zwan­zig Län­dern.«, heisst es bei Ama­zon). Kommt man an so­was wirk­lich nicht vor­bei? War­um z.B. nicht »Traum­schiff« von A. N. Herbst vor­stel­len, um mal ei­nen Ge­gen­vor­schlag zu ma­chen (zu­fäl­lig über die Ver­lin­kung von GK wei­ter oben zum Blog von ANH dar­auf auf­merk­sam ge­wor­den, es ge­kauft, weils in der Buch­hand­lung zu­fäl­lig vor­han­den war & so­eben aus­ge­le­sen, tol­les Buch. Le­se bei ihm auch ge­ra­de im Blog her­um und es scheint wohl ein vom Be­trieb weit­ge­hend igno­rier­ter Au­tor zu sein, in­ter­es­san­ter Typ, ich kann­te ihn bis­lang nicht, ha­be aber eben beim ober­fläch­li­chen Re­cher­chie­ren ei­nen eher hä­mi­schen Ar­ti­kel über ihn ge­fun­den – na­tür­lich bei der FAS, na­tür­lich von Wei­der­mann). Ist wohl schon zu exo­tisch fürs ZDF und sein Rent­ner­pu­bli­kum.

  43. @Doktor D
    Das Ge­nia­le von Li­te­ra­tur ist für mich, dass sie bis­lang – vor al­ler Kri­tik, Kom­mu­ni­ka­ti­on und Aus­ein­an­der­set­zung – ei­nen Rück­zugs­raum schaff­te, in dem man end­lich ein­mal oh­ne all die Ein­sprü­che und das so­zia­le Ge­räusch bei sich sein konn­te. Wenn ich aber ein äs­the­ti­sches Werk gleich mit ei­nem hal­ben Au­ge aufs Se­kun­där­ge­re­de le­sen müss­te, und mit den Kom­men­ta­ren mich doch zu­min­dest be­mü­hen müss­te auf glei­che Hö­he zu kom­men … in ei­ner An­stren­gung, die mich vom Pri­mä­ren zwangs­läu­fig weg­hol­te … nee, lie­ber nicht.

    Aber wo­mög­lich ist mei­ne Hal­tung da auch to­tal rück­stän­dig. (Auch Face­book et­wa gibt mir ab­so­lut nichts.)
    Ja, und jetzt über­le­ge ich, ob das so ge­nann­te „So­zia­le“ (ein Un­wort ei­gent­lich: So­cial heißt ja im Eng­li­schen et­was an­de­res als das deut­sche „so­zi­al“, man müss­te sie viel­leicht eher Ge­mein­sam- oder Mit­mach-Me­di­en nen­nen) da even­tu­ell per se im­mer schon zu sehr un­ter­wan­dert ist von Ge­schäfts­mo­del­len – und sei­en es nur die all der „un­ter­neh­me­ri­schen Selbste“, der ICH-AGs ih­rer öf­fent­lich ge­wand­ten Per­so­nae? Nur – ver­kauft das was? (Aber sind all die kom­mer­zi­el­len Kal­kü­le ana­log des Ber­lin-Mit­te Phä­no­typs – ‚ir­gend­was mit Krea­ti­vi­tät’ – nicht längst ak­zep­tiert?)

    Dass bei solch ei­nem Buch im­mer auch Li­te­ra­tur­po­li­tik mit­spielt, muss man wohl an­neh­men, aber 1000 Sei­ten in sol­cher Grenz­wert-Äs­the­tik rich­tet man wohl kaum auf so ei­nen Preis hin. Viel­leicht ist der ar­me Setz nur falsch be­ra­ten ge­we­sen, sei­nen äs­the­ti­schen Groß­ver­such die­ser Se­kun­där-Crowd an­zu­die­nen? Aber da war ja noch der Ter­min. Und die von ihm selbst (auf Twit­ter) kom­men­tier­te Er­war­tung …

    (Zu den Buch­händ­lern nur ein Satz)
    Ein „In­ter­es­sen­ver­band“ hat auch In­ter­es­sen – und sei es nur mehr Les­bar­keit / Ab­ver­kaufs­wa­re fürs Weih­nachts­ge­schäft.

    @Wolfgang B.
    Ja, et­li­che Kri­tik an den Kri­ti­kern wür­de ich auch be­rech­tigt fin­den – aber hier ist an­schei­nend das „un­ter­stütz­te“ Me­di­um nicht nur die Bot­schaft, son­dern auch gleich die Über­wu­che­rung, zu­min­dest als die Er­wei­te­rung des Werks.

    Für so­books ha­be ich ei­gent­lich Sym­pa­thien, weil die ver­su­chen es an­ders als Ama­zon und To­li­no et. al. zu ma­chen, und viel­leicht tat­säch­lich an der Er­wei­te­rung ei­ner qua­li­fi­zier­ten Ge­mein­sam­keit ar­bei­ten. Und die nicht of­fen ge­leg­te Ver­ban­de­lung der Me­di­en und ih­re Er­wei­te­rung mit Wer­ken und der Au­ßen­welt ist an­schei­nend wie­der­um längst Trend.

    Die­se Mit­mach-Idee ist ja ei­gent­lich ur­alt (Schrei­ben Sie uns: Le­ser­brie­fe), nur bringt sie dann eben auch viel Un­er­wünsch­tes. Und da­ge­gen muss man dann For­men fin­den, die auch wie­der Be­gren­zun­gen er­lau­ben. „Le­se­saal“ mach­te mich spon­tan neu­gie­rig – aber Er­pen­beck dann doch wie­der eher nicht.

  44. Ich muss mich ein klein we­nig kor­ri­gie­ren, denn es steht dort tat­säch­lich »er­mög­licht durch Suhr­kamp« (statt »un­ter­stützt«), was aber mE kei­nen Un­ter­schied macht, dass es näm­lich letzt­lich Marketing/Werbung ist, wo­für von Suhr­kamp (auch) Geld an so­books ge­flos­sen sein dürf­te. Klar, die Autoren/innen wer­den wohl nicht für ih­re Bei­trä­ge auf der Web­sei­te und für ih­re Kommentare/Notizen beim so­cial re­a­ding im e‑book sel­ber (Him­mel...) ent­lohnt (ob­wohl, wer weiss, zu­min­dest Lo­bo pro­fi­tiert ja in­di­rekt schon da­von), den­noch wer­den sie qua Teil­nah­me zum Ge­gen­stand der Suhr­kamp­ver­mark­tungs­tra­te­gie für das Buch. Au­ßer­dem spricht man ganz of­fen u.a. von »Mul­ti­pli­ka­to­ren«, die über das Buch »be­rich­ten« (s. FAQ auf der Sei­te von frau-und-gitarre.de; dass sich ‑für den se­riö­sen An­strich des Ex­pe­ri­ments- ein paar Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft­ler in ih­rer uni­ver­si­tä­ren Ar­beits­zeit zu dem Buch auch noch Ge­dan­ken ma­chen und dort ein­stel­len und da­mit die Ver­kau­fe an­kur­beln, wür­de ich na­tür­lich nie be­haup­ten). Al­so, das ist in sei­ner Ge­samt­heit schon auf pu­re Ver­mark­tung hin aus­ge­rich­tet. Ge­nau­so üb­ri­gens wie der Ac­count twitter.com/1000seitensetz, des­sen Au­torin, neh­me ich an, eben­falls von Suhr­kamp ge­spon­sert wird (kann mich aber täu­schen, man mö­ge mich kor­ri­gie­ren). Und der »ar­me Setz« lässt das al­les ge­sche­hen, er wird ja nicht da­zu ge­zwun­gen.

  45. Ich kann mit der Eu­pho­rie um das so­ge­nann­te »So­cial Re­a­ding« we­nig an­fan­gen. Mir geht es ähn­lich wie @en-passant. Le­sen ist ein ein­sa­mer, in­ti­mer Akt, der Kon­tem­pla­ti­on und Auf­merk­sam­keit ver­langt. Kom­me ich nicht zu­recht, su­che ich zu­nächst ein­mal bei mi sel­ber, das Pro­blem zu lö­sen.

    Den Gang­bang-Ver­gleich von @Doktor D fin­de ich gut. Die­sen Ge­dan­ken wei­ter­füh­rend könn­te man die­se öf­fent­li­chen Le­se­räu­me als li­te­ra­ri­sche Swin­ger­clubs be­zeich­nen. Das mag für ei­ni­ge ei­nen ge­wis­sen Reiz ha­ben, aber ich be­vor­zu­ge ein­deu­tig das Sé­pa­rée.

    Ob die Teil­neh­mer bei frau-und-gitarre.de be­zahlt wer­den, wa­ge ich zu be­zwei­feln. Sie ha­ben si­cher­lich ein Le­se­ex­em­plar er­hal­ten und zu­ge­sagt, ir­gend­wann mal was Ge­schei­tes dar­über zu schrei­ben. Dass sich Man­gold, Mo­ritz oder Kast­ber­ger hin­set­zen und Ka­pi­tel für Ka­pi­tel ih­re (ver­mut­lich längst be­en­de­te) Lek­tü­re Re­vue pas­sie­ren las­sen, hal­te ich für Wunsch­den­ken. Ei­ni­ge an­de­re zie­hen es denn auch vor ge­le­gent­li­che Kurz­ein­drücke zu twit­tern.

    Wie gut so­books bzw. de­ren Prot­ago­ni­sten ver­netzt ist, zeigt sich am FAZ-Le­se­saal mit Er­pen­beck. Der ein­sti­ge »Re­a­ding-Room« (die Kon­tro­ver­se um den An­gli­zis­mus war das mit Ab­stand in­ter­es­san­te­ste, was es dort bis­her zu le­sen gab) wird wie­der aus der Ver­sen­kung ge­holt. Es be­gann mal mit Lit­tel­ls »Wohl­ge­sinn­ten«. Spä­ter dann u. a. ein Sach­buch von Jut­ta Lim­bach und Mar­tin Wal­ser. Was bei die­sen Dis­kus­sio­nen her­aus­ge­kom­men ist, weiss ich nicht. Bei Lit­tell wur­de ich zwar neu­gie­rig – aber die Hin­wei­se an sich wa­ren doch eher dünn. Kom­men­ta­re wur­den von FAZ-Sei­te da­mals straff zen­siert.

    In Er­in­ne­rung ist mir noch das SR zu »Un­end­li­cher Spass«. Im­mer­hin exi­stiert die Web­sei­te noch und man kann nach­schla­gen, wie das In­ter­es­se suk­zes­si­ve er­kal­te­te.

  46. Ge­nau – das ist ja der Charme des Le­sens, dass man es al­lei­ne tut. Was für mich gleich­zei­tig nicht aus­schließt, mich mit an­de­ren – auch auf Face­book – über das Ge­le­se­ne aus­zu­tau­schen. Oder ei­nen Blog­bei­trag zum Buch oder Au­tor zu le­sen. Aber als An­reiz, über­haupt erst ein Buch zu le­sen? Das funk­tio­niert bei mir gar nicht oder führt bei gro­ßen Hy­pes eher zur Ver­wei­ge­rung.
    Zu Setz kon­kret: In kei­ner der von mir fre­quen­tier­ten drei Stutt­gar­ter Buch­hand­lun­gen liegt der Setz auf – und die sind gut sor­tiert, sehr li­te­ra­tur-ori­en­tiert und wer­den von sehr be­le­se­nen, en­ga­gier­ten Buch­händ­le­rIn­nen be­trie­ben. Und wenn die ihn nicht pu­schen, wird’s schwer. Da ver­sucht man evtl. mit So­cial Re­a­ding die feh­len­de Re­al World Mund­pro­pa­gan­da aus­zu­glei­chen.

  47. Die Fra­ge ist ja auch, ob Setz über­haupt ein »mas­sen­kom­pa­ti­bler« Schrift­stel­ler ist. Das soll nicht ne­ga­tiv ge­meint sein (die mei­sten ex­zel­len­ten Schrift­stel­ler sind eher un­ge­le­sen; sie und ih­re Wer­ke exi­stie­ren mehr als My­then denn als Le­se-Sub- bzw. Ob­jek­te), aber selbst Men­schen, die ger­ne und viel le­sen wer­den durch der­art üp­pi­ge Sei­ten­zah­len eher ab­ge­schreckt. Sie ha­ben oft ge­nug we­der Zeit noch Lust, sich in ei­nen hy­per­kom­ple­xen Le­se­k­os­mos ein­zu­ar­bei­ten. Hier könn­te viel­leicht das So­cial Re­a­ding hel­fen. Aber da­für ist das Kon­zept der Sei­te nicht aus­ge­legt.

    Und wenn @Wolfgang B. beim »Li­te­ra­ri­schen Quar­tett« von »Rent­ner­pu­bli­kum« spricht, so ist das ja nur auf den er­sten Blick pe­jo­ra­tiv. Tat­säch­lich spre­chen sol­che Sen­dun­gen eher den Le­ser an, der viel­leicht zwei oder drei bel­le­tri­sti­sche Bü­cher im Jahr liest. Da ist ein 1000-Sei­ten-Schin­ken schon ei­ne Zu­mu­tung. Hin­zu kommt, dass man im Be­kann­ten- und Freun­des­kreis Gleich­ge­sinn­te sucht, mit de­nen man sich über sei­ne Lek­tü­ren ein biss­chen un­ter­hal­ten kann. Da ist ein Setz na­tür­lich ein Exot. Die Fra­ge ist nun, ob das Netz mit den Hoch- und Höchst­be­gab­ten so­viel mehr her­gibt...

  48. Scha­de, dass der al­te Le­se­saal nicht mehr auf­ruf­bar ist, ich wür­de da ger­ne noch mal hin­ein­schau­en. Mir fällt näm­lich ge­ra­de an­hand des Bild­schirm­fo­tos https://www.begleitschreiben.net/wp-content/uploads/2008/05/faz-reading-room-zu-die-wohlgesinnten.jpg auf, wie hübsch das da­mals ge­stal­tet war, ganz an­ders als heu­te, wo man das un­ter blogs.faz.net ru­bri­ziert, der ei­gent­li­che Le­se­vor­gang fin­det ja dann auch bei so­books und nicht mehr bei der FAZ statt.

  49. Ich ha­be in mei­nem Bei­trag ei­ni­ge Links mit der Way­back-Ma­chi­ne er­neu­ert. (Ich ha­be zwar ein Tool, dass mir »de­fek­te« bzw., to­te Links an­zeigt, aber die FAZ be­legt die to­ten Links ein­fach mit ih­rer Home­page-URL und dann wird das na­tür­lich nicht als feh­ler­haft er­kennt.) Aber vie­les geht da ver­lo­ren. Die Sei­te er­in­ner­te ein biss­chen an ei­nen Le­se-Sa­lon. 2008 wur­de sie no­mi­niert zum Grim­me On­line Award.

    Dass der Le­se­vor­gang bei so­books statt­fin­det und die FAZ die­ses Un­ter­neh­men da­mit spon­sert, ist in­ter­es­sant.

  50. Vie­len Dank für die zu­gäng­li­chen Links! Gar kein Ver­gleich zu heu­te, wür­de ich sa­gen, in­ter­es­sant je­den­falls, wie­viel Mü­he man sich al­lein schon mit der Ge­stal­tung der Sei­te ge­ge­ben hat. (An­de­rer­seits will man na­tür­lich _im_ Buch kei­ne Ab­len­kung ha­ben, da­her er­scheint die ei­gent­li­che, so­zu­sa­gen auf­ge­schla­ge­ne Buch­sei­te bei so­books heu­te auch eher drö­ge im Ver­gleich zum al­ten Le­se­saal, in­so­fern al­so ein ein biss­chen un­fai­rer Ver­gleich.)

  51. Der m. E. ent­schei­den­de Un­ter­schied ist, dass das Er­pen­beck-Buch in Gän­ze vor­liegt und je nach Gu­sto ge­le­sen wer­den kann, wäh­rend da­mals nur die je­wei­li­gen Ka­pi­tel frei­ge­ge­ben wur­de; das Buch sel­ber gab es ent­we­der nicht oder erst sehr viel spä­ter.

  52. Heu­te ist in der ge­druck­ten FAZ auf S. 11 ein Ar­ti­kel von Mi­cha­el Han­feld er­schie­nen, der sich mit der be­reits am Mitt­woch auf­ge­zeich­ne­ten Neu­auf­la­ge des Li­te­ra­ri­schen Quar­tetts im ZDF be­fasst, wor­aus ich mal den vor­letz­ten Ab­satz zi­tie­ren möch­te, den ich ganz auf­schluss­reich fin­de (vor­her stellt er weit­ge­hend den Sen­dungs­ab­lauf dar, im Prin­zip müss­te man sich die Sen­dung gar nicht mehr an­schau­en, es steht be­reits al­les We­sent­li­che drin):

    »Ist das nicht fast wie in al­ten Zei­ten? Fast. Denn die Zei­ten ha­ben sich ge­än­dert, heu­te tre­ten Li­te­ra­tur­kri­ti­ker ge­gen Emp­feh­lungs­heer­scha­ren aus dem In­ter­net an. Zu­dem sind hier vier am Werk – ne­ben­bei: die drei von der Stamm­be­set­zung pu­bli­zie­ren al­le­samt beim Ver­lag Kie­pen­heu­er & Witsch –, die wis­sen, was von ih­nen er­war­tet wird, und nicht aus den ih­nen zu­ge­dach­ten Rol­len aus­bre­chen. Sind am En­de al­le Fra­gen of­fen? Sie sind es. Denn zu den be­spro­che­nen Bü­chern, die Ta­ge im Vor­aus be­kannt­ge­ge­ben wer­den und mit de­nen sich Ver­la­ge und Buch­hand­lun­gen be­vor­ra­tet ha­ben, hö­ren wir eben­so viel Ver­nich­ten­des wie Lo­ben­des. Wes­sen Ur­teil soll man als Le­ser trau­en, wel­ches der Bü­cher kau­fen und le­sen? Da­zu gibt das „Li­te­ra­ri­sche Quar­tett“ noch kei­nen be­grün­de­ten An­stoß, die Erst­aus­ga­be wirkt wie ein Null­sum­men­spiel.«

    Die Sa­che mit den Ki­wi­au­to­ren ist zwar in­ter­es­sant, dass er das so schreibt, aber noch in­ter­es­san­ter fin­de ich den Be­griff ‘Emp­feh­lungs­heer­scha­ren aus dem In­ter­net’. Ei­ner­seits schwingt da ei­ne ge­wis­se, bzw. die üb­li­che zei­tungs­feuil­le­to­ni­sti­sche pau­scha­le Ver­ach­tung ge­gen­über al­lem aus dem In­ter­net mit, an­de­rer­seits aber auch die Furcht, die Deu­tungs­ho­heit (der TV-Li­te­ra­tur­kri­ti­ker, der FAZ usw.) in Sa­chen Li­te­ra­tur­kri­tik (Buch­emp­feh­lung) nicht mehr rich­tig im Griff zu ha­ben und auch nicht mehr zu be­kom­men. Es fällt auf, dass man das je­man­den wie Han­feld, der ja sonst eher Me­di­en­ar­ti­kel ver­fasst (ei­ne TV-Sen­dung fällt zwar in sein Res­sort, der Text steht aber auf der er­sten Feuil­le­ton­sei­te), so schrei­ben lässt. Auch be­mer­kens­wert, dass er of­fen­bar die li­te­ra­tur­kri­ti­schen Kri­te­ri­en von Wei­der­mann und Co. un­ter die Lu­pe nimmt und die Pra­xis der Vor­ab­ver­öf­fent­li­chung der Bü­cher­li­ste be­män­gelt.

    Eben­falls zum The­ma Li­te­ra­ri­sches Quar­tett hat heu­te faz.net ein an­schei­nend ir­gend­wie lu­stig ge­mein­tes Kar­ten­spiel für die Le­ser in pet­to http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/autoren/das-einzig-wahre-literarische-quartett-13833671.html, wo­zu mir ei­gent­lich nichts mehr ein­fällt, denn da tre­ten Schrift­stel­ler mit Ei­gen­schaf­ten ge­gen­ein­an­der an wie bei ei­nem PS-Quart­tet mit Au­tos. Es gibt ei­nen so­ge­nann­ten ‘Ver­schro­ben­heits­fak­tor’ (was auch im­mer das sein soll und wie im­mer der er­mit­telt wird), Char­lot­te Ro­che bspw. hat ei­nen VS-Fak­tor von 9,1 ge­gen­über Rolf Lap­pert mit 0,3, aha! Es gibt noch Sei­ten­zah­len, An­zahl der Ro­ma­ne etc. Man soll das an­schei­nend mit ei­nem Au­gen­zwin­kern be­trach­ten, aber im Prin­zip ist das nichts an­de­res als Klickfang/Klickstrecke zwecks Wer­be­för­de­rung der An­zei­gen. Kön­nen sie ma­chen, hal­te ich aber ganz be­son­ders in die­sem spe­zi­el­len Fall für ziem­lich un­ter­ir­disch.

  53. Dan­ke für den Hin­weis. Den Ar­ti­kel von Han­feld hab ich mir dann für 45 cent bei Blend­le mal ge­gönnt. Die Er­kennt­nis­se sind ja durch­aus über­sicht­lich. Das Quar­tett sei ein »Rol­len­spiel« steht da, als sei es das bei MRR nicht ge­we­sen. Wenn er fragt, wem der Zu­schau­er ver­trau­en soll zeigt er (un­be­wusst) in die Me­di­en­me­cha­nis­men ei­nes sol­chen Thea­ters auf:. Das »al­te« Quar­tett leb­te von der Do­mi­nanz von MRR, die nur in Nu­an­cen von den an­de­ren Teil­neh­mern be­fragt wur­de (je­mand, der dies ag­gres­siv tat, Jo­chen Bu­sche, war schnell weg). Ka­ra­sek war si­de-kick, Löff­ler soll­te die Rol­le der char­man­ten Que­ru­lan­tin mit Schmäh über­neh­men. Das »Ver­trau­en« des Pu­bli­kums galt MRR. Emp­fahl er ein Buch, wur­de es ein Best­sel­ler. Emp­fahl Frau Löff­ler ei­nes und MRR blieb mil­de, gab es kaum Ef­fek­te. Es ist frag­lich, ob Wei­der­mann oder Bil­ler sol­che Ver­trau­ens­bo­ni ir­gend­wann wer­den vor­wei­sen kön­nen. Mei­ne Pro­gno­se geht da­hin, dass die Sen­dung in die­ser Kon­stel­la­ti­on nicht lan­ge exi­stie­ren wird.

    Das Quar­tett­spiel ha­be ich auch ge­se­hen. Lä­cher­lich. Und die FAZ schimpft auf die teuf­li­schen Heer­scha­ren von Buch­emp­feh­lern...

    (Als ich auf ei­nen Tweet über die Ver­ga­be des Raa­be-Prei­ses an Cle­mens Setz im Über­schwang mei­ner Ge­füh­le schrieb, dass das Jam­mern der Kri­ti­ker jetzt er­folg­reich ge­we­sen war, wur­de dies als »er­bärm­lich« be­zeich­net. Da­bei war es nach Win­kels’ Ein­satz im DLF für Setz’ Buch nur all­zu lo­gisch, dass der Raa­be-Preis an den Öster­rei­cher ging. Schließ­lich ist Win­kels hier in der Ju­ry und si­cher­lich nicht oh­ne Ein­fluss. Aber sol­che Ver­strickun­gen und Ver­wir­be­lun­gen auch nur zu er­wäh­nen gilt schon als ma­je­stäts­be­lei­di­gend, als grei­fe man da­mit den Schrift­stel­ler Setz sel­ber an.)

  54. Der Raa­be-Preis wird vom DLF ge­spon­sert, Win­kels ist Li­te­ra­tur­chef vom DLF. Das nennt man dann wohl ge­schlos­se­ne Ver­wer­tungs­ket­te.

  55. Win­kels gab eben in der Sen­dung Kul­tur­zeit auf 3sat zu Pro­to­koll, dass die Ju­ry des Deut­schen Buch­prei­ses »groß­ar­tig« sei. Ei­ne »groß­ar­ti­ge« Preis­ver­ga­be der Ju­ry, al­so sei auch die Ju­ry groß­ar­tig. Was für ei­ne Kehrt­wen­de nach sei­ner her­ben Kri­tik (»Mi­schung ganz, ganz un­glück­lich«) im Deutsch­land­funk vor ei­ni­gen Wo­chen.

  56. Ja, das ist mir auch auf­ge­fal­len. Was für ein wi­der­li­cher Op­por­tu­nis­mus.

    (Von um­wer­fen­der Sach­kennt­nis zeug­te auch die Be­mer­kung der Mo­de­ra­to­rin, dass die Ju­ry ja die­ses Jahr neu ge­we­sen sei. Ist ist je­des Jahr neu.)

  57. Viel­leicht zeigt sich die Mar­gi­na­li­sie­rung des Funk­ti­ons­sy­stems “Li­te­ra­tur” eben am be­sten in ih­ren Be­gleit­um­stän­den? Es über­dau­ert die Kon­ven­ti­on, sie ab­zu­han­deln, aber ei­gent­lich kommt schon gar nicht mehr so drauf an …

    (Im­mer­hin: Ich hat­te mich vor­her für das Buch nicht in­ter­es­siert – ich war nicht neu­gie­rig: ICH war der Igno­rant -, und jetzt wür­de ich es, we­gen all dem, was ich nun drü­ber er­fah­ren ha­be, viel­leicht doch ger­ne le­sen.)

  58. Ja, das ist ja der Zweck des Prei­ses: In­ter­es­se schaf­fen. Aber ist man ein Igno­rant, nur weil man das Buch vor­her dann doch nicht le­sen woll­te? Nein. Aber es gibt na­tür­lich ei­nen Her­den­trieb, oder, bes­ser, ei­nen Sog, der ei­nem jetzt so­zu­sa­gen ei­nen Ruck gibt.

    Letz­te Wo­che stand ich vor der Ent­schei­dung: Zu­erst Pelt­zer oder Wit­zel? Und ent­schied mich für den Pelt­zer (der mir sehr gut ge­fal­len hat). Und dann: Viel­leicht doch nicht den Wit­zel (der sehr sper­rig da­her­kommt). Aber jetzt...

    Der Nach­teil: Die an­de­ren Short- und Longlist-Aspi­ran­ten (das merkt man auf Twit­ter und Face­book) wer­den jetzt wie Müll kom­men­tiert. Sie sind so­zu­sa­gen aus dem Ge­dächt­nis der Sai­son »ent­sorgt«. Näch­ste Chan­ce nur noch die Ta­schen­buch­aus­ga­be. Er­eig­nis­se wie der Buch­preis tra­gen zur Be­schleu­ni­gung des Be­triebs bei.

    Des­halb gibt es am Mon­tag erst ein­mal ei­ne Be­spre­chung zum Setz, den ich dann doch ge­le­sen ha­be. Er ist ja nach der Nicht-No­mi­nie­rung in den On­line-Feuil­le­tons wie ei­ne hei­ße Kar­tof­fel fal­len­ge­las­sen wor­den; auch das So­cial Re­a­ding quält sich. Das Buch hat an­schei­nend an sex-ap­peal ver­lo­ren; die Ka­ra­wa­ne zieht wei­ter.

    Ei­ne Ne­ben­be­mer­kung bei Win­kels ge­stern: Er ha­be nicht ge­dacht, dass das Buch (Wit­zel) ei­ne Chan­ce hat, weil es ein Früh­jahrs­buch war. Man er­in­ne­re sich: Min­de­stens ein Drit­tel der Longlist-Aspi­ran­ten wa­ren zur Zeit der Longlist-Ver­öf­fent­li­chung noch gar nicht of­fi­zi­ell er­schie­nen. Wit­zels Buch er­schien im Fe­bru­ar; war al­so nach den »Ge­set­zen« des Mark­tes ei­gent­lich schon »ver­al­tet«.

    In­ter­es­sant der Schwenk des Feuil­le­tons jetzt plötz­lich Wit­zels Buch als sprach­mäch­tig und pro­vo­ka­tiv dar­zu­stel­len. Vor vier Wo­chen war das noch der Setz. (Aber, so viel sei »ver­ra­ten«: der war’s eben nicht.)

  59. Na, da fällt mir doch so­fort ei­ne wei­te­re Funk­ti­on der (bes­se­ren) Li­te­ra­tur­kri­tik ein: Sie er­spart es ei­nem, die Bü­cher der Sai­son sel­ber zu le­sen … und man liest die, auf die man sich wirk­lich freut. Wenn man dann al­ler­dings merkt, dass man sich – et­wa ent­spre­chend den von Ih­nen er­wähn­ten Pi­rou­et­ten bei Win­kels – ei­gent­lich auf gar nichts mehr ver­las­sen kann … (Und die durch­lauf­er­hit­zen­den TV-Mo­de­ra­to­ren wa­ren ja ei­gent­lich noch nie gu­te Zeu­gen oder Ken­ner für et­was.)

    Die Fra­ge bleibt aber so­wie­so, ob man der Be­schleu­ni­gung und Fo­kus­sie­rung nach­gibt, oder man nicht un­will­kür­lich sel­ber, mit ja ei­nem In­ter­es­se am „Be­trieb“, ein Teil von ihr wird / ist. Auch das ist bei mir sel­ber un­ein­deu­tig. Pelt­zer woll­te ich wie­der le­sen (we­gen ein, zwei Be­spre­chun­gen, nicht we­gen dem, was ich von ihm ken­ne – „Bryant Park“, das da­mals so gut be­spro­chen wur­de, hat­te mich kom­plett kalt ge­las­sen). Von Wit­zel wuss­te ich kaum et­was, und ich mag (seit Bol­a­nos „2666“, das mir über lan­ge Strecken doch auch in sei­ner Aus­führ­lich­keit ge­recht­fer­tig schien, und dann ex­trem ein­brach) kei­ne 800 Sei­ten-Bü­cher mehr – aber das ist na­tür­lich auch nur so ein, mein Re­flex.

    Und un­ter­lie­ge ich wo­mög­lich noch mehr Re­fle­xen – jetzt auch in Be­zug auf Setz? Ich mei­ne da­mit, dass man die ver­schie­de­nen Wen­dun­gen und Keh­ren au­ßen oft leicht mit­macht, teils aus nicht mal be­wuss­ten Grün­den?

    Als PS
    Neu­lich, beim Nach­le­sen ei­ner al­ten Be­spre­chung von Klaus Mo­dick zu ei­nem Bo­tho Strauß-Buch (es war die „Ali­ce“ in „Li­te­ra­tu­ren“), er­wähn­te er ei­ne Auf­fas­sung der Spät­ro­man­tik, die erst in der Kri­tik die Voll­endung des Werks sah. (Ich zi­tie­re aus dem Ge­dächt­nis, aber ich glau­be, es ist ziem­lich wört­lich: Ich war auch ein biss­chen ver­blüfft: Ha­ha!)

  60. Dass die Kri­tik erst das Werk voll­ende wur­de tat­säch­lich mal ge­glaubt. Aber da gab es eben noch an­de­res Per­so­nal. (Wirk­lich? Oder hat­te das da­mit zu tun, das Kri­ti­ker auch Au­toren wa­ren?) Und die Stand­fe­stig­keit der Ur­tei­le der ak­tu­el­len Prot­ago­ni­sten sind ja der­art kur­zen Zy­klen un­ter­wor­fen, dass man schon mehr Se­kun­där­tex­te le­sen muss als ei­nem lieb sein kann.

  61. Letz­te Wo­che stand ich vor der Ent­schei­dung: Zu­erst Pelt­zer oder Wit­zel? Und ent­schied mich für den Pelt­zer (der mir sehr gut ge­fal­len hat). Und dann: Viel­leicht doch nicht den Wit­zel (der sehr sper­rig da­her­kommt). Aber jetzt…

    Letz­te Ta­ge stand ich vor der Ent­schei­dung: Zu­erst Setz oder Wit­zel? Und ent­schied mich für den Setz. Den Pelt­zer hat­te ich schon vo­her ge­le­sen. Der Buch­preis scheint, ob­wohl ich nicht sehr feuil­le­ton-af­fin bin, dann doch zu funk­tio­nie­ren. Ich bin sehr ge­spannt auf Ih­re Sicht auf Na­ta­lie (ge­ra­de ca. auf Sei­te 350). Den Wit­zel wer­den ich dann wohl auch noch le­sen.

    Kri­tik der Bü­cher in Kurz­form, noch kür­zer als Scheck:

    Setz:
    Idio­syn­kra­sie-Poet­ry-Slam

    Pelt­zer:
    Li­te­ra­tur und zwar ver­dammt gu­te. Mit ei­ner wirk­lich schö­nen Lie­bes­ge­schich­te. Un­glaub­lich.

  62. Dass der Buch­preis »funk­tio­niert« – al­so uns hier zum Kau­fen und dann auch Le­sen der Bü­cher in­spi­riert –, spricht ja ei­gent­lich für ihn. Ab­ge­sto­ssen bin ich von Hass­le, der im­mer drum ge­macht wird, als wür­de hier ei­ne Art Li­te­ra­tur­no­bel­preis für die Ewig­keit ver­ge­ben. Es muss im­mer die Neu­erfin­dung des Ro­mans mal min­de­stens, wenn nicht gar der Li­te­ra­tur sein. Und wenn ei­nem die Long- und Short­list oder der Preis­trä­ger nicht ge­fällt als Groß­kri­ti­ker, ist es dann im­mer die idio­tisch­ste Aus­wahl die je­mals zu­sam­men­ge­stellt wur­de, von kaum al­pha­be­ti­sier­ten Bar­ba­ren, näm­lich Buch­händ­le­rin­nen. Und das die nix von Li­te­ra­tur ver­ste­hen, ist ja eh klar.
    Je­des Jahr zum Buch­preis er­neu­ert das Hoch­feuil­le­ton (so nann­te das ei­ner der Red­ner wäh­rend der Ver­lei­hung) sei­ne Bank­rott-Er­klä­rung.

  63. In­ter­es­sant ist, dass die (an­geb­lich) elf­köp­fi­ge »Aka­de­mie Deut­scher Buch­preis«, die die Ju­ry be­stimmt, nir­gend­wo na­ment­lich er­wähnt ist. Im Wi­ki­pe­dia-Ar­ti­kel hört es 2008 auf. [Da­mals war un­ter an­de­ren auch Win­kels in der ‘Aka­de­mie’ und die Ju­ro­ren­welt für ihn noch in Ord­nung: Rai­ner Mo­ritz (Ju­ry­spre­cher), Chri­stoph Bart­mann (Lei­ter der Ab­tei­lung Kul­tur und In­for­ma­ti­on des Goe­the-In­sti­tuts), Mar­tin Ebel (Kul­tur­re­dak­teur des Ta­ges-An­zei­gers, Zü­rich), Mei­ke Feß­mann (freie Kri­ti­ke­rin), Jens Jes­sen (Feuil­le­ton­chef der ZEIT), Man­fred Kei­per (In­ha­ber „an­de­re buch­hand­lung“, Ro­stock) und Mi­cha­el Schmitt (Re­dak­teur „Kul­tur­zeit“, 3sat).]

    Da­nach blei­ben die Ju­ry­be­stim­mer schlicht­weg im Dunk­len.

  64. Ah ja, vie­len Dank. (So blöd muss man erst ein­mal sein, die nicht zu fin­den.)

    Jetzt ahnt man na­tür­lich, war­um da so we­nig »Groß­kri­ti­ker« in der Ju­ry be­ru­fen wer­den. Zum ei­nen wa­ren die (fast) al­le schon mal da. Und zum an­de­ren scheint das gar nicht ge­wollt zu sein.

  65. Das mit dem Ver­kau­fen klappt üb­ri­gens ge­ra­de nicht so gut, denn das Buch von Wit­zel ist der­zeit aus­ver­kauft. Mei­ne Buch­hand­lung ist ge­ra­de nicht so be­gei­stert, denn dass man ein hal­bes Jahr nach Wag­ners Re­gen­ton­nen­va­ria­tio­nen wie­der ei­nen der­ar­ti­gen Lie­fer­eng­pass er­le­be, hät­te man dort auch nicht ge­dacht. Vor En­de näch­ster bzw. An­fang über­näch­ster Wo­che krie­ge der Ver­lag den Nach­druck nicht in die Buch­hand­lun­gen, zu­dem die Fi­lia­li­sten der gro­ßen Ket­ten er­fah­rungs­ge­mäß be­vor­zugt be­lie­fert wür­den.

  66. Als das Buch den Buch­preis ge­won­nen hat­te, war die Lie­fer­frist bei Ama­zon »1 – 3 Wo­chen«. Der­zeit 9–13 Ta­ge. Das Pro­blem: Was soll der Ver­lag ma­chen? Den 800-Sei­ten-Schin­ken auf Vor­rat drucken und dann dar­auf sit­zen­blei­ben? Macht man nicht. Al­so muss der Kun­de lei­den. Aber der – das ken­ne ich aus mei­ner Pra­xis – ist wie ein scheu­es Reh: ganz schnell weg...

    (Der On­line­an­bie­ter aus Ja­pan – 2–4 Wo­chen Lie­fer­zeit und 50,75 Eu­ro + 3 Eu­ro für das 29,90 Eu­ro-Buch – ist auch kei­ne Al­ter­na­ti­ve.)

  67. Wenn ich das rich­tig ver­stan­den ha­be, war die Vor­auf­la­ge vor 2 Wo­chen auch schon aus­ver­kauft, ich wür­de ver­mu­ten, dass die Short­list da aus­schlag­ge­bend war. Da­her hät­te ich jetzt ge­dacht, dass der Ver­lag die näch­ste Auf­la­ge mit zu­min­dest mit et­was hö­he­ren Stück­zah­len druckt, wenn er so­wie­so schon da­bei ist, auch wenn das zum Stich­tag Buch­preis na­tür­lich ri­si­ko­be­haf­tet ist.

  68. Stei­le The­se mei­ner­seits: Hät­te das Buch nicht den Preis ge­won­nen, hät­te da­von ab Diens­tag kein Mensch mehr ge­spro­chen. Da­her hat­te der Ver­lag wohl die si­che­re Ver­si­on ge­wählt.

  69. Ich war ge­ra­de in der größ­ten Stutt­gar­ter Buch­hand­lung, als der Preis­trä­ger ver­kün­det wur­de. Ei­ne Buch­händ­le­rin räum­te flugs die Buch­preis-Short­list-Prä­sen­ta­ti­on ab, hol­te ei­ne klei­ne Pa­let­te Wit­zels (ca. 30) aus dem La­ger und bau­te sie auf. Ich: »Oh, der Wit­zel ist’s ge­wor­den? Das ist ja über­ra­schend. Das freut mich.« Sie: »Ja, toll, nicht?! Hier freu­en sich auch al­le.« Ich: »Ha­ben Sie die Bän­de dann ein­fach auf Ver­dacht aufs La­ger ge­nom­men?« Sie: »Wir hat­ten die kom­plet­te Short­list auf La­ger – aber von ei­ni­gen halt et­was mehr. Aber der Wit­zel, das war un­se­re Wild Card, weil den vie­le hier schon ge­le­sen ha­ben und toll fin­den. Und die Er­pen­beck braucht eh kei­nen Preis, das läuft ja prak­tisch von selbst.« Und dann gab’s ei­nen klei­nen Um­trunk auf den Ge­win­ner mit den paar Kun­den, die sich noch in der Buch­hand­lung rum­trie­ben. Ich hab’ dann Jo­seph Roths Ra­detz­ky­marsch er­wor­ben, den Wit­zel schenkt mir be­stimmt je­mand zu Weih­nach­ten ;).

  70. Ei­ne hüb­sche, fast schon an­rüh­rend aus der Zeit ge­fal­le­ne Be­ge­ben­heit und mit dem Ra­detz­ky­marsch ha­ben Sie die al­ler­be­ste Wahl ge­trof­fen. Steht so­gar auf der Short­list zum Buch­preis des Jahr­hun­derts. Ge­nie­ssen Sie je­de Sei­te.

  71. Da­nach viel­leicht mit »Ho­tel Sa­voy« und »Die Ka­pu­zi­ner­gruft« wei­ter­ma­chen. Die kom­men­den Win­ter­aben­de sind be­stimmt auch lang ge­nug für »Zip­per und sein Va­ter«...

    Jo­seph Roth ist groß­ar­tig, ich ha­be al­le sei­ne Ro­ma­ne (und noch ei­ni­ges mehr von ihm) auf mei­nem Kind­le im­mer am Mann, um spon­ta­ner Lust auf er­neu­te Lek­tü­re so­fort nach­ge­hen zu kön­nen. Un­glaub­lich, was uns die­ser be­gna­de­te und getrie­be­ne Work­aho­lic al­les hin­ter­las­sen hat.

  72. Und in der Gruft kann man dann noch glatt mir be­geg­nen. Aber jetzt kom­me ich wirk­lich ins plau­dern.