Hier äusserte ich am Rande eine Kritik an dem (wie ich finde grässlichen) Anglizismus »Reading Room«, den die FAZ für ihren neu geschaffenes Bücherforum verwendet. Nun, es interessiert die FAZ natürlich nicht, wenn sich unsereiner von diesem Begriff geradezu angeekelt fühlt.
Nach Jonathan Littells »Die Wohlgesinnten« und Martins Walsers »Ein liebender Mann« wird nun Jutta Limbachs Buch »Hat Deutsch eine Zukunft« (mit der emphatisch überschriebenen Einführung »Mehr Deutsch wagen«) vorgestellt und die Thesen der Autorin diskutiert. Fast logisch, dass sich irgendwann die Frage stellt, warum man den englischen Ausdruck »Reading Room« verwendet und kein deutsches Wort finden wollte. Löblich, dass die FAZ dies nun seit dem 02. Mai mit Lesern diskutiert – mit dem merkwürdigen Untertitel in der Fragestellung: »Darf dieses Forum ‘Reading Room’ heissen?«
Merkwürdig deshalb, weil es kaum um ein »dürfen« geht – eher um ein »müssen«. Immerhin, es darf diskutiert werden. Wie schon vorher ist der Aufwand beträchtlich, die Software sehr gut. Die Beiträge werden moderiert – das ist bei der FAZ üblich. Bis zum 10. Mai will man Stimmen sammeln.
Damit keine Missverständnisse aufkommen: Der »Reading Room« ist meiner Meinung nach ein gelungenes, multimediales Angebot – fast könnte man es »zeitgemäss« nennen, wenn dies nicht ein bisschen negativ klingt. Der gute, alte Fortsetzungsroman wurde auf »Web 2.0« getrimmt. Das hat ja mit der Qualität der vorgestellten Bücher zunächst einmal nichts zu tun. Ich finde es auch weitgehend überflüssig, den »Reading Room« abzulehnen, weil es letztlich nichts anderes ist als ein Vermarktungsinstrument für Neuerscheinungen. Es ist natürlich mit kommerziellem Hintergrund (d. h. es geht darum, das Buch zu verkaufen) – aber das, was geboten wird, ist mehr als ein dröger Appetithappen.
Die ersten Vorschläge zu einer deutschen Bezeichnung trudelten am Freitag ein und auch ich hatte einen Kommentar hinterlassen.
Dieser blieb nicht ohne Resonanz. Wenige Stunden später nahm – ohne den Kommentar direkt zu zitieren – einer der Experten, Hans-Martin Gauger, hierzu Stellung. Und flugs wurde ich (und auch indirekt einige andere Kommentatoren, die sich fast ausnahmslos für einen deutschen Namen aussprachen) als sprachlicher Nationalist bezeichnet, der sprachliche[n] Fremdenhass praktiziere. Gauger geht noch weiter. In professoralem Duktus wird Deutschtümelei, wie wir sie nie mehr haben wollen entdeckt. Gauger unterstellt, ich hätte geschrieben, dass das unpassendste deutsche Wort besser als das passendste englische sei. Das ist erkennbar mitnichten der Fall. Für jemanden wie Gauger, immerhin Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, muss das offenkundig sein, also ist seine Unterstellung nur bösartig.
Im weiteren Verlauf des Kommentars »übernimmt« er dann einen meiner Vorschläge (Lesesaal), weil dies die äquivalente Verdeutschung von »Reading Room« sei. Er argumentiert damit ähnlich wie dieses Problem denn bestehen soll, ist derzeit noch unbeantwortet.
In der Konsequenz bedeutet ein solches Vorgehen: Man sucht einen Anglizismus, den man dann möglichst treffend ins Deutsche überträgt. Das klingt irgendwie paradox. Ausgerechnet Intellektuelle, die sich für die Pflege der deutsche Sprache einsetzen sollen, sehen die Anglizismen mit einer gewissen Nonchalance.
AKTUALISIERUNG 07.05.08 – 17:30 Uhr: Die Umbenennung erfolgt in »Lesesaal«.
Und Uwe Ebbinghaus in der Begründung: »Deutschtümelei? – Iwo! Eher ein Experiment mit der Hypothese, dass das Deutsche auch Entwicklungen der neuen Medien angemessen benennen kann.«
Na also.
Ich sollte wohl zuerst alle Kommentare lesen, bevor ich mir hier den Mund zu voll nehme. Zuerst plädiere ich einmal darauf, die Toiletten in Zukunft mit »shitting room« zu bezeichnen, wobei Toilette und Pissoir auch nicht typisch deutsche Wörter sind.
Beim »Reading Room« beschleicht mich eine andere Art von Unbehaglichkeit. Hier haben uns die Angelsachsen oder zumindest die Amerikaner eine Kultur voraus, die wir nicht kennen. (Das kann man eigentlich nur ganz selten behaupten.) Aber erst in Amerika habe ich vor 34 Jahren gelernt, dass man sich in einer Bibliothek nicht einfach etwas ausborgt, sondern den Platz zum Studieren verwendet – und eben auch zum Lesen. Und wenn ich in ein Buchgeschäft, z.B. Borders, gehe, dann ist das ein Tagesausflug, weil man sich in den Büchern festlesen kann. Es gibt Fauteuils und Snacks und der Laden wird der Platz für ein Lese-Event, nein für ein Lese-Ereignis.
Dieses Reading Room insinuiert mit seiner Englischsprachigkeit eine Gemütlichkeit, die wir dort gar nicht erwarten, die aber wir hingegen in der Form nicht kennen. Hugendubel kann mich da über nicht begeistern, obwohl sie sich ja an das amerikanische Modell anlehnen.
Wo man wirklich lesen kann (wenn auch nur Zeitungen und Illustrierte) und wo die Gemütlichkeit ihren Platz findet, ist das Wiener Café, allenfalls auch Kaffeehaus genannt. Betonung auf der zweiten Silbe. Kein teutonischer Kaffe.
Und überhaupt »reading«. Wer kann den heute noch lesen? Wer nimmt sich die Zeit. Gerade im Internet, gerade im Web2.0? Was ist ein Reading Room? Eine rest station between two fucks.
Ich biete »Salle d’amusement littéraire« an.
Es geht nicht darum, Wörter französischen oder sonstigen Ursprungs auch nicht mehr zu verwenden; ein Purist bin ich nicht. Insofern ist »Salon« nicht schlecht. Es geht nur darum, »ohne Not« ein englisches Wort zu nehmen, ohne sich einmal fünf Minuten zu überlegen, ob es nicht eine adäquate deutsche Entsprechung gibt. Dass man sich das bei der FAZ erst so spät überlegt, zeigt einiges. Im übrigen: Wie löst man das Problem mit der Netzadresse »http://readingroom...«, wenn man eindeutscht.
Das mit der Gemütlichkeit sehe ich ähnlich. Wobei ich in (Wiener) Caféhäusern selten Muße zum Lesen fand; inzwischen stört mich der Zigarettenrauch derart, dass ich sowas ganz meide.
Ich weiss nicht, warum man aus der Kulturtechnik des Lesens so unbedingt ein »Ereignis« (in Gottes Namen auch »Event«) machen will. Ich kenne den Lesesaal in der Stadtbibliothek meiner Heimatstadt auch als absoluten Ruheort. Manchmal habe ich mich da auch einfach nur hingesetzt, weil es der einzige ruhige Raum war und störendes »Schwätzen« spätestens nach einer Minute moniert wurde.
http://www.lesesaal.de
Ja, diese Adresse ist schon belegt...
(Ich vermute, es bleibt bei »Reading Room«.)
Falsch vermutet:
»Lesesaal«
wie steht’s mit »Lese Zimmer«???
Und »Lese Zimmer« ... so hiess es doch einmals schon?? Mein Vater hatte ein »Lese Zimmer« in das ich umgezogen wurde als die Fluechtlinge bei uns auftauchten, nebenan von seiner riesigen Bibliothek; in dem Lesezimmer schien aber auch was anderes vorgangen zu sein ausser Lesen zu seiner Lesezeit dort, was man herausfand als man durch die Regale im Lesezimmer stoeberte als neugieriges lesendes Kind.