Welt­lied

Mein Zep­ter liegt auf der Stein­bank, und im Bo­den da­vor sind über Nacht zwei Lö­cher er­schie­nen, et­wa dau­men­na­gel­groß. Dar­aus sind zwei Zi­ka­den hervor­gekrochen, die dort sie­ben Jah­re ver­bracht ha­ben, nicht mehr als ei­ne Daumen­länge un­ter der Er­de (mit ei­nem Zweig­lein nach­ge­mes­sen). Jetzt hocken sie über mir im Baum und brül­len, was das Zeug hält, sie­ben Ta­ge lang, mit al­ler Kon­zentration ih­res klei­nen Kör­pers. Mit al­ler Kon­zen­tra­ti­on der Welt. Sie sind über­zeugt, zu sin­gen. Und sie sin­gen das Welt­lied. Daß die Men­schen und die an­de­ren Tie­re es nicht ver­ste­hen, ja, nicht ein­mal hö­ren, macht ih­nen nichts aus, es braucht sie nicht zu küm­mern. Mög­lich, daß die an­de­ren Tie­re, die Frö­sche, Amei­sen, Spat­zen, et­was mehr da­von ver­ste­hen. Aber auch das spielt kei­ne Rol­le. Nichts braucht die Zi­ka­den zu küm­mern, sie sind ganz Ge­sang.


© Leo­pold Fe­der­mair