Wir brau­chen ein Mehr­heits­wahl­recht!

Über­sprin­gen »Sta­tus quo« und di­rekt zu Ka­pi­tel 2

1. Der Sta­tus quo

1.1 Das per­so­na­li­sier­te Ver­hält­nis­wahl­recht

Die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land ist ein fö­de­ra­ler Bun­des­staat. Al­le vier Jah­re wird der Bun­des­tag ge­wählt, der wie­der­um den Bun­des­kanz­ler wählt.

Seit 1949 wird in der Bun­des­re­pu­blik mit dem so­ge­nann­ten per­so­na­li­sier­ten Verhältnis­wahlrecht ge­wählt. Je­der Wäh­ler hat bei der Bun­des­tags­wahl zwei Stim­men. Die Hälf­te der Ab­ge­ord­ne­ten des Bun­des­ta­ges zieht über den je­wei­li­gen Wahl­kreis di­rekt ein. Dies wird über die Erst­stim­me ab­ge­wickelt. Wer in »sei­nem« Wahl­kreis die ein­fa­che Mehr­heit der ab­ge­ge­be­nen Erst­stim­men auf sich ver­ei­ni­gen kann, ist di­rekt ge­wählt.

Mit der Zweit­stim­me wählt der Wahl­be­rech­tig­te die Lan­des­li­ste ei­ner Par­tei. Auf­grund der Er­geb­nis­se der Zweit­stim­men wird fest­ge­setzt, wie vie­le Sit­ze im Par­la­ment auf die je­weilige Par­tei ent­fal­len. Von die­ser Ge­samt­zahl wer­den die Di­rekt­man­da­te ab­ge­zo­gen und die rest­li­chen Sit­ze aus den Lan­des­li­sten der je­wei­li­gen Par­tei­en be­setzt. Bei grö­sse­ren Dif­fe­ren­zen gibt es so­ge­nann­te Aus­gleichs- bzw. Über­hang­man­da­te.

Am En­de spie­gelt der Bun­des­tag das Er­geb­nis der Zweit­stim­men wi­der. Das zeigt: Die Zweit­stim­me ist für die Zu­sam­men­set­zung des Bun­des­ta­ges ent­schei­dend!

Die Zweit­stim­me ist die Stim­me der »klei­nen Par­tei­en«. Tra­di­tio­nell ge­hen Di­rekt­man­da­te in der Re­gel ent­we­der an CDU- (in Bay­ern: CSU-) oder SPD-Kan­di­da­ten (es gibt we­ni­ge Aus­nah­men). Par­tei­en wie die FDP, Bünd­nis 90/Die Grü­nen oder Lin­ke re­kur­rie­ren ih­re Er­fol­ge über die Zweit­stim­men. Um ei­ne Zer­split­te­rung des Par­la­ments zu ver­mei­den, führ­te man die so­ge­nann­te 5%-Klausel (in Öster­reich: 4%) ein. Ei­ne Par­tei kommt nur in den Bun­des­tag, wenn sie 5% der Zweit­stim­men er­hält.

Aber hier­von gibt es ei­ne Aus­nah­me: Um bei­spiels­wei­se re­gio­na­le Par­tei­en nicht a prio­ri zu be­nach­tei­li­gen, wur­de fest­ge­legt, dass ei­ne Par­tei, die min­de­stens 3 Di­rekt­man­da­te (al­so über die Erst­stim­me) er­hält, ent­spre­chend ih­rem Pro­zent­satz der Zweit­stim­men im Bun­des­tag ver­tre­ten ist. Von die­ser Re­gel hat bei­spiels­wei­se die PDS 1994 pro­fi­tiert. Da sie in den »al­ten« Län­dern kei­ne Rol­le spiel­te, in den »jun­gen« Län­dern je­doch stark ver­tre­ten ist, tra­ten in spe­zi­ell aus­ge­such­ten Wahl­krei­sen pro­mi­nen­te Per­sön­lich­kei­ten (teil­wei­se oh­ne Mit­glied der PDS zu sein) an, um die­se di­rekt zu er­obern (bei­spiels­wei­se der Schrift­stel­ler Ste­fan Heym). 1994 er­reich­te die PDS bun­des­weit zwar nur 4,4 % der Zweit­stim­men, er­rang je­doch 4 Di­rekt­man­da­te – was ihr dann 30 Bun­des­tags­man­da­te ein­brach­te.

Wich­tig bleibt: Die Zweit­stim­me – die auch in vie­len deut­schen Bun­des­län­dern bei Land­tags­wah­len ein­ge­führt ist (aber auch in Län­dern, in de­nen es nur ei­ne Stim­me gibt, wird die ei­ne Stim­me qua­si als Erst- und Zweit­stim­me ge­wer­tet; es ist kein Mehrheits­wahlrecht, son­dern bleibt beim Ver­hält­nis­wahl­recht) – er­mög­licht es dem Wäh­ler qua­si als Re­gu­la­tiv zu den so­ge­nann­ten »Volks­par­tei­en« bzw. de­ren Kan­di­da­ten klei­ne­re Par­tei­en in das Par­la­ment zu wäh­len. Mit der Zweit­stim­me kann der Wäh­ler ei­ne zu gro­sse Do­mi­nanz der von ihm ei­gent­lich fa­vo­ri­sier­ten »Volks­par­tei« sel­ber kor­ri­gie­ren, in dem er ei­ner klei­ne­ren Par­tei sei­ne Stim­me gibt, die zwar Schnitt­men­gen mit sei­ner fa­vo­ri­sier­ten Par­tei hat, aber durch­aus in be­stimm­ten Po­li­tik­fel­dern spe­zi­el­le­re Po­li­tik ver­spricht.

Bei der Land­tags­wahl in Ham­burg im Fe­bru­ar 2008 wur­de das Wahl­recht zu Gun­sten ei­ner wei­te­ren Di­ver­si­fi­zie­rung ver­än­dert. Hier war es mög­lich, fünf Stim­men auf die Kan­di­da­ten zu pa­na­schie­ren (bzw. zu häu­feln).

Den so­ge­nann­ten Volks­par­tei­en er­mög­licht die Zweit­stim­me, »durch­ge­fal­le­ne Kan­di­da­ten« über die Li­sten trotz­dem in den Land- oder Bun­des­tag zu hie­ven.

Die Par­tei­en kön­nen mit die­sem Wahl­recht über die Plat­zie­rung auf ih­rer Li­ste al­ler­dings auch »un­lieb­sa­me« Quer­den­ker, die sich bei­spiels­wei­se in der Ver­gan­gen­heit der »Frak­tionsdisziplin« (die es de ju­re ja gar nicht ge­ben dürf­te) wi­der­setzt ha­ben, ab­stra­fen. Wenn sie in ei­nem schwie­rig zu er­rin­gen­den Di­rekt­wahl­kreis an­tre­ten, wer­den sie eben nicht – wie die »treu­en Par­tei­sol­da­ten« – mit ei­nem ent­spre­chen­den si­che­ren Li­sten­platz ab­ge­si­chert. Dies ist na­tür­lich auch (und ge­ra­de) ein Ab­stra­fungs­in­stru­ment bei den klei­nen Par­tei­en, die eben kaum Di­rekt­man­da­te er­rin­gen kön­nen.

1.2 Bun­des­tag und Bun­des­rat

Bei Ge­set­zen, die die ein­zel­nen Bun­des­län­der tan­gie­ren, ist der Bun­des­rat – die Län­der­kam­mer – zu­stim­mungs­pflich­tig. Im Bun­des­rat ha­ben die Bun­des­län­der nach ei­nem fest­ge­leg­ten Schlüs­sel Stimm­recht.

Un­ter­schied­li­che Mehr­hei­ten in bei­den Or­ga­nen (Bun­des­tag und Bun­des­rat) er­schwer­ten oft­mals die Hand­lungs­mög­lich­kei­ten der ver­schie­de­nen Bun­des­re­gie­run­gen. Im Lau­fe des Jah­res 1996 ver­lor die da­ma­li­ge Re­gie­rung un­ter Hel­mut Kohl die Mehr­heit im Bun­des­rat an die SPD ge­führ­ten Bun­des­län­der. Mit her­an­nä­hern­dem Ter­min zu der Bun­des­tags­wahl 1998 be­gann der da­ma­li­ge SPD-Vor­sit­zen­de Os­kar La­fon­taine den Bun­des­rat als »Blocka­de­instru­ment« für die zag­haf­ten »Re­for­men« der CDU/C­SU/FDP-Re­gie­rung zu ver­wen­den – üb­ri­gens durch­aus in der Tra­di­ti­on der CDU/CSU, die dies in den 70er-Jah­ren mit der so­zi­al-li­be­ra­len Ko­ali­ti­on vor­führ­te.

Die Blocka­de soll­te den Ein­druck bei den Wäh­lern ver­stär­ken, dass die Re­gie­rung Kohl un­fä­hig sei, die not­wen­di­gen po­li­ti­schen Ver­än­de­run­gen um­zu­set­zen. Zwar war die­se Vor­ge­hens­wei­se nicht aus­schlag­ge­bend für den Wahl­sieg von Rot-Grün 1998, aber si­cher­lich nicht ganz un­wich­tig im öf­fent­li­chen Er­schei­nungs­bild.

In An­be­tracht des ziem­lich ver­un­glück­ten Starts ver­lor Rot-Grün schnell die Mehr­heit im Bun­des­rat, nach­dem drei Land­tags­wah­len im Fol­ge zu Gun­sten neu­er, CDU ge­führ­ter Re­gie­run­gen ver­lo­ren wur­den. Spä­te­stens seit Herbst 2001 kri­stal­li­sier­te sich ei­ne Blocka­de­stra­te­gie der CDU/CSU her­aus.

Der so­ge­nann­te Ver­mitt­lungs­aus­schuss, das Gre­mi­um, das bei zu­stim­mungs­pflich­ti­gen Ge­set­zes­vor­la­gen die di­ver­gie­ren­den Vor­schlä­ge von Bun­des­rat- und Bundestags­mehrheiten zu ei­nem Kom­pro­miss (al­so ei­nem Ge­setz oder ei­ner Ver­ord­nung) über­füh­ren soll, stand ver­mehrt im Brenn­punkt. Der Ver­mitt­lungs­aus­schuss, der ur­sprünglich als Aus­nah­me ge­dacht war, wur­de zum wich­tig­sten Gesetz­gebungsgremium, u. a. auch, weil im Lau­fe der Jahr­zehn­te die Ge­set­ze ver­mehrt von der Län­der­kam­mer zu­stim­mungs­pflich­tig wa­ren.

Die mit gro­ßem me­dia­len Auf­wand 2003 in­stal­lier­te so­ge­nann­te Fö­de­ra­lis­mus­kom­mis­si­on (»Kom­mis­si­on zur Mo­der­ni­sie­rung der bun­des­staat­li­chen Ord­nung«) soll­te die Hoheits­bereiche zwi­schen Bund und Län­dern neu ord­nen, um schnel­ler und ef­fi­zi­en­ter Ge­setz­ge­bungs­ver­fah­ren um­zu­set­zen. Wie von Au­gu­ren von An­fang an er­war­tet, schei­te­re das Un­ter­neh­men An­fang 2005 aus par­tei­po­li­ti­schen Er­wä­gun­gen kläg­lich, und schaff­te erst 2006 im Rah­men der Gro­ssen Ko­ali­ti­on (Re­gie­rung zwi­schen den Uni­ons­par­tei­en und der SPD) ei­ne zag­haf­te Neu­ord­nung der Kom­pe­ten­zen zwi­schen Bund und Län­dern.

1.3 Re­gie­run­gen in Deutsch­land

1.3.1 Ko­ali­tio­nen im Bund

Die Ge­schich­te der Bun­des­re­pu­blik zeigt: Fast im­mer ha­ben, und dies be­gün­stigt durch das per­so­na­li­sier­te Ver­hält­nis­wahl­recht, klei­ne­re Par­tei­en »Züng­lein« an der Waa­ge ge­spielt und mit­re­giert. Aus­nah­me war im Bund zwi­schen 1966–1969 die so­ge­nann­te »Gro­sse Ko­ali­ti­on« aus SPD und CDU/CSU (nach­dem die Ko­ali­ti­on zwi­schen der CDU/CSU und der FDP u.a. aus steu­er­po­li­ti­schen Grün­den ge­schei­tert war). Ei­ne »Gro­sse Ko­ali­ti­on« wur­de nach dem über­ra­schen­den Wahl­er­geb­nis bei der Bun­des­tags­wahl 2005 er­neut ge­bil­det. Sie kam zu­stan­de, da die »klas­si­schen« Ko­ali­ti­ons­mo­del­le (CDU/CSU/FDP oder SPD/Grüne) kei­ne Mehr­heit hat­ten. Da SPD (und Grü­ne) mit der PDS (heu­te »Die Lin­ke«) kei­ne Ko­ali­ti­on ein­ge­hen woll­ten, um­ge­kehrt aber auch CDU/CSU/FDP kein Bünd­nis mit den Grü­nen (»Jamaica«-Koalition) ein­ge­hen woll­ten, blieb nur die­se Va­ri­an­te.

Es ist er­staun­lich, dass ei­ne Par­tei wie die FDP von 1949–2008 (das sind 59 Jah­re) 40 Jah­re an den un­ter­schied­lich­sten Ka­bi­netts­ti­schen sass – und dies, ob­wohl sie mehr als ein­mal droh­te, in wich­ti­gen Bun­des­tags­wah­len un­ter der 5%-Hürde zu blei­ben.

1982 ver­half die FDP trotz ei­ner Ko­ali­ti­ons­aus­sa­ge zur SPD im Bun­des­tags­wahl­kampf 1980 Hel­mut Kohl mit­tels ei­nes kon­struk­ti­ven Miss­trau­ens­vo­tums mit­ten in der Le­gis­la­tur­pe­ri­ode zur Kanz­ler­schaft. Wäh­ler, die ob des dro­hen­den Schei­terns der Par­tei an den 5% bei der Bun­des­tags­wahl 1980 ih­re Zweit­stim­me der FDP ga­ben, da­mit die SPD/FDP-Ko­ali­ti­on wei­ter­re­gie­ren konn­te, sa­hen sich ge­täuscht; der wirt­schafts­li­be­ra­le Flü­gel hat­te sich auf die an­de­re Sei­te ge­schla­gen.

Mit den Grü­nen, die sich so­wohl im Bund als auch in die Län­der­par­la­men­ten dau­er­haft eta­blier­ten und 1983 erst­mals in den Bun­des­tag ein­zo­gen, gab es nun vier po­li­ti­sche »Säu­len«. Die er­ste Rot-Grü­ne Lan­des­re­gie­rung gab es 1985 in Hes­sen. Mit der Inte­gration der neu­en Län­der 1990 trat mit der SED-Nach­fol­ge­par­tei PDS, heu­te Lin­ke, ei­ne fünf­te Kraft auf, die zu­nächst re­gio­nal auf den Osten be­grenzt blieb und dort über­aus ho­he Wahl­er­geb­nis­se er­reich­te (und er­reicht), durch den Zu­sam­men­schluss mit der WASG im Jahr 2006 je­doch nun auch be­ginnt, im »We­sten« Fuss zu fas­sen und im Ja­nu­ar 2008 in zwei Flä­chen­län­dern in die Lan­des­par­la­men­te ge­wählt wur­de und im Fe­bru­ar 2008 nun in 10 von 16 Land­ta­gen prä­sent ist.

1.3.2 Ko­ali­tio­nen in den Lan­des­par­la­men­ten

In den Lan­des­par­la­men­ten gab/gibt es seit 1990 die un­ter­schied­lich­sten Ko­ali­tio­nen:

• SPD/CDU – ak­tu­ell in fünf Bun­des­län­dern

• SPD/FDP – bis 2005 in Rhein­land-Pfalz

• SPD/Grüne mit Dul­dung der PDS – im­mer­hin vier Jah­re in Sach­sen-An­halt

• SPD/Linke – ak­tu­ell in Ber­lin (vor­her vier Jah­re in Meck­len­burg-Vor­pom­mern)

• SPD/Grüne – ak­tu­ell nur noch in Bre­men, vor­her in di­ver­sen west­deut­schen Län­dern

• SPD/FDP/Grüne – die so­ge­nann­te »Am­pel« von 1990–1994 in Bran­den­burg

• CDU/FDP – u. a. Ba­den Würt­tem­berg, Nord­rhein-West­fa­len, Nie­der­sach­sen

Um die stra­te­gi­schen Op­tio­nen zu er­wei­tern, wird nach dem Ham­bur­ger Wahl­er­geb­nis ernst­haft über ei­ne Ko­ali­ti­on zwi­schen CDU und Grü­nen dis­ku­tiert.

Aus­ge­nom­men sind ein­mal die spe­zi­el­len Ham­bur­ger Ko­ali­tio­nen, die mit Exo­ten­par­tei­en wie »STATT-Par­tei« oder »PRO« auf­war­te­ten.

Al­lein­re­gie­run­gen gibt und gab es auch – und in den letz­ten Jah­ren: Thü­rin­gen und das Saar­land (CDU), na­tür­lich Bay­ern (CSU) und Rhein­land-Pfalz (SPD). Al­lein­re­gie­run­gen sind je­doch wie­der deut­lich ab­neh­mend. Die CDU büss­te in Hes­sen und Ham­burg im Jahr 2008 ih­re ab­so­lu­ten par­la­men­ta­ri­schen Mehr­hei­ten ein.

Die je­wei­li­gen Ko­ali­tio­nen ha­ben da­für ge­sorgt, dass es im Bun­des­rat bei di­ver­gie­ren­den Ko­ali­tio­nen ver­mehrt zu Ent­hal­tun­gen kam. SPD/CDU-Lan­des­re­gie­run­gen ver­hiel­ten sich bei Ent­schei­dun­gen zu Ge­set­zes­vor­la­gen der SPD/­Grü­nen-Bun­des­re­gie­rung in der Re­gel »neu­tral«; CDU/FDP-Lan­des­re­gie­run­gen stimm­ten ak­tu­ell Ge­set­zen der CDU/SPD-Bun­des­re­gie­rung mei­stens nicht zu und ent­hiel­ten sich – laut Ver­trag – der Stim­me; ähn­li­ches gilt für Ber­lin.

Häu­fig spiel­te da­bei die Sa­che kaum ei­ne Rol­le. Es ging dar­um, den je­wei­li­gen Koalitions­partner vor »Zu­mu­tun­gen« zu be­wah­ren und nicht Wahl­kampf­mu­ni­ti­on für die Zu­kunft zu lie­fern. Das par­tei­tak­ti­sche Ver­hal­ten steht da­bei häu­fig im Vor­der­grund.

1.4 Qua­li­tät von Ko­ali­ti­ons­re­gie­run­gen

Wie oben be­reits an­ge­spro­chen, re­sul­tie­ren die Er­fol­ge der klei­ne­ren Par­tei­en aus der un­ter­schwel­lig vor­han­de­nen »Angst« der Wäh­ler, die grö­ße­re Par­tei könn­te über­mäch­tig wer­den. Das Pro­fil von Par­tei­en wie FDP, den Grü­nen und der Lin­ken ist da­her auf Ni­schen­the­men aus­ge­rich­tet (die FDP hat seit 1999 den Wirt­schafts­li­be­ra­lis­mus ge­fun­den, da­vor, in den 70er Jah­ren, ei­ne Art so­zia­len Ge­sell­schafts­li­be­ra­lis­mus; bei den Grü­nen ist es die Um­welt- und Men­schen­rechts­po­li­tik; die Lin­ke ver­sucht die öko­no­misch Benach­teiligten zu er­rei­chen), d. h. auf die ex­pli­zi­te Be­to­nung, dass die­se The­men nur in ei­ner Ko­ali­ti­on mit ih­nen wahr­ge­nom­men und ent­spre­chend be­han­delt wer­den.

Die Ver­gan­gen­heit zeigt oft ge­nug, dass dies ein Irr­glau­be ist. Un­ter Hel­mut Kohl hat sich das Pro­fil der FDP spä­te­stens seit 1990 bis zur Un­kennt­lich­keit ver­dun­kelt. Konn­te man den Wech­sel 1982 noch als im Sin­ne der FDP schön­re­den (mit ei­gent­lich er­staun­lich ge­rin­gen Par­tei­aus­trit­ten), so war nach der Ver­ei­ni­gung und dem Rück­zug Hans-Diet­rich Gen­schers aus der ak­ti­ven Po­li­tik die Rol­le der FDP auf den blo­ßen Mehr­heits­be­schaf­fer re­du­ziert. Der Ver­such, sich aus dem Sink­flug der Re­gie­rung 1998 mit teil­wei­se markt­schreierischen Me­tho­den her­aus­zu­win­den, gip­fel­te im zweit­schlech­te­sten Er­geb­nis bei ei­ner Bun­des­tags­wahl.

Ähn­li­ches war auch bei den Grü­nen zu be­ob­ach­ten: Das öko­lo­gi­sche Pro­fil wur­de mehr und mehr den pro­fa­ne­ren An­sprü­chen der Wirt­schaft ge­op­fert und ver­kam in rhe­to­ri­schen Sonn­tags­re­den oder Mo­gel­packun­gen wie »Öko­steu­er«, die nicht ei­ner Be­gren­zung des Au­to­ver­kehrs dien­te, son­dern der Fi­nan­zie­rung der aus­ge­mer­gel­ten Ren­ten­kas­sen. Noch be­vor die Rot-Grü­ne Re­gie­rung 1998 star­te­te, wur­de be­reits in den Me­di­en der de­signierte Bun­des­kanz­ler Ger­hard Schrö­der zi­tiert, der das Wort vom »Koch« und »Kell­ner« präg­te – die Mehr­heits­ver­hält­nis­se in­ner­halb der Ko­ali­ti­on soll­ten ja nicht um­ge­dreht wer­den.

Um der na­tio­na­len Hy­ste­rie ei­ni­ger kon­ser­va­ti­ver Krei­se ob dem seit Jah­ren ge­pfleg­ten Schreck­ge­spenst »Rot-Grün« nicht zu ent­spre­chen, wur­den zü­gig et­li­che grund­le­gen­den Über­zeu­gun­gen zu Gun­sten der »Re­gie­rungs­fä­hig­keit« ge­kippt. Ein Vor­gang, der üb­ri­gens ei­ni­ge Par­al­le­len zur so­zi­al-li­be­ra­len Ko­ali­ti­on ab ca. 1973 zeig­te. Was üb­rig­blieb (beispiel­sweise Aus­stieg aus der Atom­ener­gie) kam zwar auf­trump­fend da­her, er­scheint bei nä­he­rer Be­trach­tung je­doch von kaum zu über­bie­ten­der Un­ver­bind­lich­keit.

Klei­ne Ko­ali­ti­ons­part­ner ha­ben sich in den letz­ten rund 40 Jah­ren fast aus­schließ­lich den Ge­ge­ben­hei­ten der Re­gie­rungs­fä­hig­keit an­ge­passt. Sie er­schwe­ren durch die Viel­zahl der Ko­ali­ti­ons­mög­lich­kei­ten die Ver­stän­di­gung bei­spiels­wei­se im Bun­des­rat und tra­gen so­mit nicht zu ei­ner poin­tier­ten, pro­fi­lier­te­ren Po­li­tik bei.

Da sich jetzt auch im We­sten die Lin­ke als dau­er­haf­te Kraft in den Lan­des­par­la­men­ten zu eta­blie­ren be­ginnt, schei­nen Zwei­er­ko­ali­tio­nen nur noch sel­ten mög­lich und müss­ten mit­tel­fri­stig durch Drei­er­ko­ali­tio­nen er­setzt wer­den. Füh­ren­de Par­tei­en­for­scher, wie bei­spiels­wei­se Franz Wal­ter, wei­sen dar­auf hin, dass Drei-Par­tei­en-Bünd­nis­se mit­tel- bis lang­fri­stig zur »Mi­ni­ma­li­sie­rung von De­mo­kra­tie« füh­ren. Die Be­fürch­tung ei­ner »Olig­ar­chi­sie­rung« von Po­li­tik ist nicht von der Hand zu wei­sen: Kom­pro­mis­se wer­den in Hin­ter­zim­mern zwi­schen den Par­tei­gran­den aus­ge­klün­gelt. Der »ge­schmei­di­ge Op­por­tu­nis­mus« wird zur Trieb­kraft ei­ner im gro­ssen und gan­zen farb­lo­sen Po­li­tik, die ent­we­der ins Cha­os ab­drif­tet oder in sta­ti­schem Ver­har­ren.

2. Die Kon­se­quenz: Wir brau­chen das re­la­ti­ve Mehr­heits­wahl­recht

Es scheint so, als hät­ten sich die po­li­tisch Han­deln­den längst auf die wir­ren Ver­hält­nis­se ein­ge­rich­tet. Das kom­pli­zier­te Ge­flecht von ge­gen­sei­ti­gen Rück­sich­ten und – par­al­lel – die Angst, vor dem po­li­ti­schen Geg­ner in der Öf­fent­lich­keit als Ver­lie­rer da­zu­ste­hen, ist seit Jah­ren trau­ri­ger Stan­dard.

Mo­na­te vor Land­tags­wah­len er­star­ren bei­de La­ger voll­ends. Ei­ne Lö­sung – bei Land­tags- und Bun­des­tags­wah­len (nicht auf kom­mu­na­ler Ebe­ne) ist die Ab­schaf­fung des Ver­hält­nis­wahl­rechts zu Gun­sten ei­nes re­la­ti­ven Mehr­heits­wahl­rechts.

Der Bun­des­tag und die Land­ta­ge wer­den mit dem re­la­ti­ven Mehr­heits­wahl­recht ge­wählt. Ge­wählt ist, wer in sei­nem Wahl­kreis die Mehr­heit der ab­ge­ge­be­nen Stim­men auf sich ver­ei­nigt. Dieser/diese zieht di­rekt in den Bun­des­tag / Land­tag ein. Die rest­li­chen Stim­men des Wahl­krei­ses fin­den kei­ne wei­te­re Be­rück­sich­ti­gung mehr.

Die par­la­men­ta­ri­schen Ver­fah­ren, die nach ei­ner Wahl er­fol­gen, blie­ben un­ver­än­dert.

Die Wahl­krei­se müss­ten vor Im­ple­men­tie­rung ei­nes Mehr­heits­wahl­rechts neu be­stimmt wer­den. Auf Bun­des­ebe­ne könn­te man an ca. 400 Wahl­krei­se den­ken (2005: 299). Zu­sätz­li­cher Ef­fekt wä­re die Ver­klei­ne­rung des Bun­des­tags (ge­setz­lich sind es der­zeit 598; durch Über­hang- und Aus­gleichs­man­da­te ak­tu­ell 613 Ab­ge­ord­ne­te).

Ein wich­ti­ger Punkt beim Mehr­heits­wahl­recht ist die Iden­ti­fi­ka­ti­on des Wäh­lers mit dem Kan­di­da­ten und nicht mehr pri­mär mit der Par­tei, der er an­ge­hört. Durch Urab­stimmungen an der Ba­sis der Par­tei­en (dem ame­ri­ka­ni­schen Vor­wah­len ähn­lich – aber auf Wahl­kreis­ebe­ne) wä­re ei­ne noch di­rek­te­re Par­ti­zi­pa­ti­on mög­lich. Gleich­zei­tig wä­re es nicht mehr voll­kom­men un­mög­lich, als par­tei­lo­ser Kan­di­dat in den Bun­des­tag ge­wählt zu wer­den.

2.1. Even­tu­el­le Nach­tei­le und de­ren ar­gu­men­ta­ti­ve Ent­kräf­tung

Zwei­fel­los wer­den dem in jahr­zehn­te­lan­gem tak­ti­schen Han­deln ge­schul­ten po­li­ti­schen Be­ob­ach­ter so­fort Ge­gen­ar­gu­men­te ein­fal­len.

Kann durch die An­set­zung der Wahl­krei­se nicht auf Ba­sis der bis­her dort fest­ge­stell­ten Wahl­er­geb­nis­se zu Gun­sten der ein oder an­de­ren Par­tei ei­ne Art »Si­cher­heits­wahl­kreis« ent­ste­hen?

Das ist tat­säch­lich mög­lich, aber kein Grund da­ge­gen. Ei­ne un­ab­hän­gi­ge Kom­mis­si­on be­stehend aus ho­no­ri­gen, über­par­tei­li­chen Per­so­nen müss­te für Fair­ness sor­gen. Ei­ne stän­dig wech­seln­de »Wahl­kreis­geo­me­trie« muss in je­dem Fall ver­un­mög­licht wer­den.

Ist das Weg­fal­len der »Ver­lie­rer­stim­men« nicht un­de­mo­kra­tisch?

Nur be­grenzt, da al­len Be­tei­lig­ten die Kon­se­quen­zen im vor­aus klar sind. Tat­säch­lich ist es ja auch jetzt so, dass bei den Erst­stim­men die Ver­lie­rer­stim­men kei­ner­lei »Kraft« mehr ha­ben.

Hin­zu kommt, dass De­mo­kra­tie heu­te als Mehr­heits­herr­schaft er­le­ben. Die Kon­trol­le die­ser Mehr­heits­herr­schaft ist emi­nent wich­tig. Sie reicht von der Ge­wal­ten­tei­lung über in­sti­tu­tio­na­li­sier­te Kon­trol­le durch bspw. ei­ne zwei­te Län­der­kam­mer (in Deutsch­land der Bun­des­rat). Und da zu­sätz­lich die Mehr­heits­herr­schaft zeit­lich be­grenzt ist und dann wie­der und im­mer neu zur Dis­po­si­ti­on steht, ist der Miss­brauchs­fak­tor ge­ring.

Ist es nicht ge­fähr­lich, wenn ei­ne Par­tei für vier oder fünf Jah­re al­lei­ne re­giert?

Die­se Fra­ge be­rührt na­tür­lich ganz grund­sätz­lich un­se­re Mei­nung, was De­mo­kra­tie ist. Wenn man es ge­ne­rell für un­de­mo­kra­tisch hält, dass über­haupt je­mand so et­was wie »Macht« aus­übt – und sei es auch nur auf Zeit -, so stimmt die­ser Ein­wand im­mer und auf al­le par­la­men­ta­ri­schen De­mo­kra­tien, die re­prä­sen­ta­tiv sind.

Auch die jah­re­lan­ge Re­gent­schaft der Kon­ser­va­ti­ven in Groß­bri­tan­ni­en ist kein tref­fen­des Ar­gu­ment ge­gen das Mehr­heits­wahl­recht. Denn auch dort wur­den sie, als sie das Rad des »Neo­li­be­ra­lis­mus« voll­ends über­zo­gen, ab­ge­wählt. Und Mehr­heits­wahl­recht be­deu­tet ja nicht dau­er­haft nur zwei Par­tei­en im Par­la­ment – wie auch die neu er­stark­ten Li­be­ra­len in Groß­bri­tan­ni­en zei­gen. Dort fe­stigt sich ne­ben den Kon­ser­va­ti­ven und La­bour mit den Li­be­ral­de­mo­kra­ten ei­ne drit­te Kraft.

Kön­nen nicht ex­tre­mi­sti­sche Par­tei­en leich­ter in das Par­la­ment ein­zie­hen?

Si­cher­lich könn­ten ver­ein­zel­te Kan­di­da­ten ex­tre­mi­sti­scher Par­tei­en ein­zie­hen, wür­den sie denn mit der Mehr­heit in ih­rem Wahl­kreis ge­wählt. Be­dingt durch das bis­he­ri­ge Stim­men­split­ting beim Ver­hält­nis­wahl­recht ist dies je­doch im Mo­ment we­sent­lich leich­ter mög­lich, was di­ver­se Land­tags­wah­len zei­gen, in de­nen rechts­ra­di­ka­le Par­tei­en in die Land­ta­ge ein­zo­gen. Gä­be es nur ei­ne Stim­me, wür­de man sich si­cher­lich über­le­gen, die­se im Af­fekt an ra­di­ka­le Par­tei­en zu »ver­schwen­den«.

Na­tür­lich setzt die Ein­füh­rung ei­nes Mehr­heits­wahl­rechts ein de­mo­kra­tisch »funk­tio­nie­ren­des« Volk vor­aus. Man soll­te da – un­be­scha­det ein­zel­ner Vor­komm­nis­se – ru­hig op­ti­mi­stisch sein.

Nimmt man Wahl­er­geb­nis­se aus der Ver­gan­gen­heit – bei­spiels­wei­se die Land­tags­wahl in Nordhein-West­fa­len 2005 so hät­te, nach Mehr­heits­wahl­recht ab­ge­rech­net, die CDU 68 Ab­ge­ord­ne­te im Lan­des­par­la­ment und die SPD 19. Dies wä­re doch ei­ne Ver­zer­rung des tat­säch­li­chen Stim­men­po­ten­ti­als.

Es ist ein gro­ber Feh­ler, Er­geb­nis­se, die im Ver­hält­nis­wahl­recht er­zielt wur­den, eins zu eins in ein neu­es Wahl­recht zu über­tra­gen. Die Wäh­ler wür­den ih­re Stim­me ganz an­ders ge­wich­ten, wenn sie über die Kon­se­quen­zen wüss­ten. Die Wahl­krei­se und die je­wei­li­gen Kan­di­da­ten wä­ren wie­der »wich­tig«.

3. War­um al­so Mehr­heits­wahl­recht?

Es soll hier nicht be­haup­tet wer­den, dass die oben be­schrie­be­nen Ver­hält­nis­se al­lei­ne dem Wahl­recht zu­zu­schrei­ben sind. Schließ­lich steht die Bun­des­re­pu­blik in vie­ler­lei Hin­sicht im­mer noch sehr gut da. Die Grün­de für das Ver­hält­nis­wahl­recht re­sul­tier­ten aus der Angst, dass ab­so­lu­te Mehr­hei­ten auf­grund der hi­sto­ri­schen Er­fah­run­gen in Deutsch­land nicht er­wünscht wa­ren. Da­bei wur­de je­doch nicht be­rück­sich­tigt, dass auch in der Wei­ma­rer Re­pu­blik nach ei­nem Ver­hält­nis­wahl­recht ge­wählt wur­de und die Mög­lich­keit für die rech­ten Par­tei­en, ei­ne Re­gie­rung im Reichs­tag zu bil­den, maß­geb­lich auf die Un­ei­nig­keit der an­de­ren Par­tei­en für ei­ne ziel­ge­rich­te­te Op­po­si­ti­on zu­rück­zu­füh­ren war.

In­zwi­schen er­scheint es vie­len po­li­ti­schen Be­ob­ach­tern nicht mehr hin­nehm­bar, dass die Exe­ku­ti­ve in ei­nem solch kom­pli­zier­ten Rück­sich­ten­ge­flecht dau­er­haft er­lahmt. Zwei­fel­los ist die Mög­lich­keit, sei­ne Stim­me zu spal­ten für den Wäh­ler ei­ne be­que­me Art, sich aus der Ent­schei­dung »her­aus­zu­mo­geln«. Wenn dann auch noch der Erst­stim­men­kan­di­dat nicht ge­wählt wird (wer kennt jetzt sei­nen Kan­di­da­ten denn wirk­lich so ge­nau?), dann zählt letzt­lich nur die Zweit­stim­me, und die ist – dies zei­gen ein­deu­tig die Sta­ti­sti­ken- oft ge­nug ei­ne Stim­me für den »klei­nen« (ver­mu­te­ten) Ko­ali­ti­ons­part­ner.

Wel­ches sind al­so die Vor­tei­le?

3.1 Der Kan­di­dat vor Ort wird wie­der wich­tig – Stär­kung der Ba­sis­po­li­tik
Mit der Ein­füh­rung ei­nes Mehr­heits­wahl­rech­tes müss­te sich der Wäh­ler oh­ne wenn und aber ent­schei­den. Dies wür­de auch ei­ne ver­stärk­te Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Kan­di­da­ten vor Ort be­deu­ten, denn von den Par­tei­en in Hin­ter­zim­mern aus­ge­kun­gel­te Li­sten, die dann auf ei­nem Par­tei­tag in Gän­ze den De­le­gier­ten zur Ab­stim­mung vor­ge­legt wer­den, gä­be es nicht mehr.

In ei­ner Welt, in der Glo­ba­li­sie­rung auch und vor al­lem als öko­no­mi­sche Be­dro­hung emp­fun­den wird und Ent­schei­dungs­pro­zes­se bei­spiels­wei­se in Brüs­sel oder Strass­burg an­ony­mi­siert ge­trof­fen wer­den, stellt der Re­kurs auf ei­ne Re­gio­na­li­sie­rung (nicht Pro­vin­zia­li­sie­rung!) po­li­ti­scher Ent­schei­dungs­pro­zes­se ei­nen Ge­winn an de­mo­kra­ti­scher Kul­tur dar.

3.2 Der Ein­fluss der Par­tei­en schwin­det
Der Ab­ge­ord­ne­te wä­re sei­ner Par­tei ge­gen­über frei­er als vor­her. Sein per­sön­li­cher Auf­tritt in sei­nem Wahl­kreis ent­schei­det über sein Par­la­ments­man­dat und nicht, ob sein Ver­hal­ten bei zu­rück­lie­gen­den Ab­stim­mun­gen den Par­tei­bos­sen ge­fal­len hat. Es ist ein­deu­tig beleg­bar, dass sich die Aus­wüch­se des »im­pe­ra­ti­ven Man­dats« in Län­dern, in de­nen das Mehr­heits­wahl­recht prak­ti­ziert wird, nie­mals so deut­lich zeigt wie bei uns.

Der Frak­ti­ons­vor­sit­zen­de ei­ner Bun­des- oder Land­tags­frak­ti­on hat in­zwi­schen ei­ne Dis­zi­pli­nar­funk­ti­on, die ihm qua Ge­setz über­haupt nicht zu­steht. Er kann sie aus­üben, da vom Ab­stim­mungs­ver­hal­ten des je­wei­li­gen Ab­ge­ord­ne­ten die Li­sten­platz­po­si­tio­nie­rung ab­hän­gen kann.

Laut Grund­ge­setz wir­ken die Par­tei­en am po­li­ti­schen Han­deln mit. In Wirk­lich­keit be­stim­men sie je­doch längst voll­stän­dig das Per­so­nal. Dies zeigt sich in der Zusammen­setzung der Par­la­men­te: Der Fach­mann ist we­ni­ger ge­fragt als der Par­tei­sol­dat.

3.3 Die Spiel­räu­me der Re­gie­rung wer­den grö­sser
Mit der Ein­füh­rung ei­nes re­la­ti­ven Mehr­heits­wahl­rechts wür­den sich die Spiel­räu­me der Re­gie­rung für die Le­gis­la­tur­pe­ri­ode er­hö­hen. Man könn­te für ei­ne ge­wis­se Zeit das Pro­gramm um­set­zen, für das man ge­wählt wur­de. Bei in­ner­frak­tio­nell strit­ti­gen Ent­schei­dun­gen wä­re der Recht­fer­ti­gungs­zwang für ein be­stimm­tes Abstimmungs­verhalten den Wäh­lern ge­gen­über viel grö­ßer und die Loya­li­tät des ein­zel­nen Ab­ge­ord­ne­ten dem Wäh­ler vor Ort aus­ge­präg­ter.

3.4 Die Dif­fe­ren­zen zwi­schen den je­wei­li­gen Par­tei­en wä­ren aus­ge­präg­ter
Auch die Op­po­si­ti­on wür­de ein kla­re­res Pro­fil ge­win­nen. Sie wä­re nicht ge­zwun­gen, auf­grund über­na­tio­na­ler »Not­stän­de« ha­stig Kom­pro­mis­se mit der Re­gie­rung aus­zu­han­deln, die ent­we­der to­tal ver­wäs­sert und so­mit letzt­lich be­deu­tungs­los sind oder die­se auch noch zu blockie­ren, da­mit der Re­gie­rung in der Öf­fent­lich­keit kei­ne Plus­punk­te zu­wach­sen.

Dem Wäh­ler wer­den die tat­säch­li­chen, pro­gram­ma­ti­schen Un­ter­schie­de in den Par­tei­en wie­der deut­lich und ver­schwim­men nicht hin­ter den kleinst­mög­li­chen Kom­pro­mis­sen, die schon bei der Ver­hand­lung ei­ne ge­rin­ge Le­bens­dau­er ha­ben.

Zwar könn­te es wei­ter­hin noch zu un­ter­schied­li­chen Mehr­hei­ten in Bun­des­rat und Bun­des­tag kom­men, aber die Ent­schei­dun­gen in Ver­mitt­lungs­ver­fah­ren wä­ren trotz­dem ver­ein­facht, da Ko­ali­ti­ons­ver­ein­ba­run­gen in­ner­halb von Lan­des­re­gie­run­gen nicht mehr die gro­sse Re­le­vanz be­sit­zen.

3.5 Die klei­ne­ren Par­tei­en könn­ten mehr Kon­tu­ren be­wei­sen
Die klei­ne­ren Par­tei­en wä­ren ge­zwun­gen, sich im Wett­be­werb mit den Pro­gram­men der gro­ssen Par­tei­en zu mes­sen und nicht nur ein­zel­ne Ni­schen­the­men zu be­set­zen, de­ren Um­set­zung sie dann auf­grund in­ner­ko­ali­tio­nä­rer Rück­sicht­nah­men ver­wäs­sern müs­sen.

Soll­te es zu Ko­ali­tio­nen nach ei­nem Mehr­heits­wahl­recht kom­men, wä­ren die Mög­lich­kei­ten der klei­ne­ren Partei(en) viel aus­ge­präg­ter. Kä­me es dann zu ei­ner über­mä­ssi­gen An­passung des klei­nen Part­ners an den gro­ssen, wür­de der Wäh­ler dies si­cher­lich in der näch­sten Wahl ne­ga­tiv be­wer­ten.

4. An­de­re Mo­del­le des Mehr­heits­wahl­rechts

In der Re­gel han­delt es sich um Misch­for­men zwi­schen Mehr­heits- und Verhältnis­wahlrecht, um die Ra­di­ka­li­tät des re­la­ti­ven Mehr­heits­wahl­rechts (als sol­ches wird das Über­flüs­sig­wer­den von im Ex­trem­fall 49% der Stim­men be­trach­tet) ein biss­chen ab­zu­min­dern.

4.1 Ita­li­en
Seit 2005 wird in Ita­li­en nach ei­nem Ver­hält­nis­wahl­recht mit Mehr­heits­bo­nus ge­wählt. Der Wahl­sie­ger er­hält ei­nen Bo­nus, der ihm die ab­so­lu­te Mehr­heit der Sit­ze ga­ran­tiert.

Vor­her hat­te man rund zehn Jah­re ein ge­misch­tes Wahl­recht prak­ti­ziert. 75% der Man­da­te wur­de über das Mehr­heits­prin­zip er­mit­telt – die rest­li­chen 25% nach dem Ver­hält­nis­wahl­recht.

4.2 Das ge­mä­ssig­te Mehr­heits­prin­zip nach Gerd Stroh­mei­er
Der Po­li­tik­wis­sen­schaft­ler Gerd Stroh­mei­er hat ein ähn­li­ches Kon­zept wie sei­ner­zeit in Ita­li­en er­ar­bei­tet. 499 Sit­ze sol­len nach Mehr­heits­prin­zip er­mit­telt wer­den und nur 149 Sit­ze nach ei­nem Ver­hält­nis­schlüs­sel.

Der gröss­te Ein­wand ge­gen solch ein Prin­zip wä­re, dass der Ein­fluss der Par­tei­en si­cher­lich auch auf die Mehr­heits­kan­di­da­ten er­hal­ten bleibt. Au­sser­dem gä­be es wie­der die Mög­lich­keit der Ab­si­che­rung über Li­sten (was Stroh­mei­er al­ler­dings als Vor­teil sieht).

4.3 Das »min­der­hei­ten­freund­li­che Mehr­heits­wahl­recht« nach Klaus Poier ( Dank an Köpp­nick für die­sen Hin­weis hier)
Poiers Ge­dan­ke geht da­hin, der Par­tei mit den mei­sten Stim­men die Hälf­te der Man­da­te plus eins (oder ei­ne an­de­re be­lie­bi­ge Zahl) zu­zu­spre­chen und den Rest der Man­da­te nach dem Ver­hält­nis­wahl­recht zu ver­tei­len.

5. Schluss­be­trach­tung

Ei­ne Wahl­rechts­re­form wird seit Jah­ren von Po­li­to­lo­gen, ehe­ma­li­gen Ver­fas­sungs­rich­tern, ein­zel­nen Po­li­ti­kern, und auch füh­ren­den Wirt­schafts­ver­tre­tern ge­for­dert. Ein Mehrheits­wahlrecht bie­tet auch Par­tei­en wie der FDP, den Grü­nen und der Lin­ken Mög­lich­kei­ten. Sie müs­sen na­tür­lich wie­der stär­ke­re Volks­nä­he zei­gen und kön­nen sich nicht auf die be­que­me Rol­le des Mehr­heits­be­schaf­fers für die­sen oder je­nen zu­rück­zie­hen.

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  1. Vor­weg: Ich weiß auch nicht, wel­ches Sy­stem ich im Mo­ment für das ge­eig­ne­te­re hal­ten soll, ten­die­re aber doch zum (mehr oder we­ni­ger) Be­währ­ten. Lang­fri­stig kä­me es mit Mehr­heits­wahl­recht in Deutsch­land ver­mut­lich zum Ver­schwin­den von FDP und Grü­nen, und da­mit nach bis­he­ri­ger Hand­ha­bung doch wie­der zu ei­nem Patt der bei­den Gro­ßen un­ter Igno­rie­rung der Lin­ken, denn selbst wenn ei­ne Par­tei im Bun­des­tag die ab­so­lu­te Mehr­heit der Sit­ze hät­te, wür­de sie sie bald wie­der im Bun­des­rat ver­lie­ren. Man müss­te al­so dann schon noch zu­sätz­lich die Fö­de­ra­lis­mus­re­form fort­füh­ren.
    (2005 hat­te üb­ri­gens die CDU/CSU 150 Di­rekt­man­da­te, ge­gen 145+3+1 der an­de­ren Par­tei­en; auch kei­ne sta­bi­le Mehr­heit...)

    Wenn es zu ei­nem Zwei-Par­tei­en-Sy­stem kä­me, könn­te das im schlech­te­sten Fall auch al­le 4 Jah­re ei­nen Schritt vor und dann wie­der ei­nen zu­rück be­deu­ten.

    Dass es in Groß­bri­tan­ni­en po­li­tisch nicht bes­ser läuft, ist na­tür­lich ein na­he­lie­gen­der Ein­wand ge­gen ei­ne Än­de­rung.

    Im Üb­ri­gen be­kom­men die Li­be­ral­de­mo­kra­ten in Groß­bri­tan­ni­en seit Jahr­zehn­ten kei­nen Fuß auf den Bo­den, ob­wohl sie im­mer um die 20% der Stim­men ha­ben. Das er­scheint mir un­ge­recht, denn es ist ge­ra­de bei en­gen Er­geb­nis­sen dem Wäh­ler durch­aus nicht »im Vor­aus klar«, dass sei­ne Stim­me ver­lo­ren ist.

    Au­ßer­dem wä­re z.B. das Auf­kom­men der Grü­nen ver­mut­lich durch das Mehr­heits­wahl­recht ver­hin­dert wor­den. Die Gras­wur­zel­de­mo­kra­tie, die durch den di­rek­te­ren Ein­fluss des Vol­kes auf die Zu­sam­men­set­zung des Par­la­ments ge­stärkt siehst, wird al­so in an­de­ren Fäl­len eher ge­schwächt.

    Das was Du als im­pe­ra­ti­ves Man­dat be­zeich­nest, näm­lich die Ab­hän­gig­keit des Ab­ge­ord­ne­ten von den Chefs der Frak­ti­on, wird durch das Mehr­heits­wahl­recht zu ei­ner Ab­hän­gig­keit vom Volk im Wahl­kreis. Na­tür­lich soll­te das schein­bar das We­sen der De­mo­kra­tie sein, aber es könn­te in der Ten­denz auch zu ei­ner An­samm­lung von ein paar Hun­dert par­tei­lo­sen oder je­den­falls par­tei­un­ab­hän­gi­gen Kirch­turm­po­li­ti­kern in Ber­lin füh­ren, die je­de Re­gie­rungs­bil­dung enorm er­schwe­ren wür­de. Man hät­te dann 500 Ein-Mann- oder Ein-Frau-Frak­tio­nen, al­so mehr Zer­split­te­rung und nicht we­ni­ger. (Selbst­ver­ständ­lich wird es in der Rea­li­tät nicht ganz so schlimm kom­men, das zeigt ja das Bei­spiel Groß­bri­tan­ni­en; aber ich will nur die Ge­fah­ren dar­stel­len.)

    Ge­ne­rell den­ke ich, dass ein Mehr an di­rek­ter De­mo­kra­tie ne­ben di­ver­sen po­si­ti­ven Ef­fek­ten im­mer auch zu ei­nem Mehr an Po­pu­lis­mus führt. Dass das in der Schweiz trotz­dem funk­tio­niert, liegt mei­ner Mei­nung nach nur dar­an, dass die Schwei­zer sooo kon­ser­va­tiv (im Sinn von be­wah­rend) sind. Manch po­li­tisch kor­rek­ter Deut­scher (ich nicht) wird viel­leicht so­gar Blo­chers Er­fol­ge als Ar­gu­ment für das Nicht­funk­tio­nie­ren der di­rek­ten De­mo­kra­tie selbst in der Schweiz an­füh­ren.

    Letzt­lich liegt das Pro­blem mei­ner Mei­nung nach so­wie­so beim Wahl­volk, das an­ge­sichts der Kom­pli­ziert­heit der Zu­sam­men­hän­ge zu 70% eben doch ein­fach die wählt, die am mei­sten ver­spre­chen. Ob es das di­rekt oder über Lan­des­li­sten tut, ob mit Ver­hält­nis- oder Mehr­heits­wahl­recht, macht viel­leicht gar kei­nen so gro­ßen Un­ter­schied.

  2. Die Er­geb­nis­se von Wah­len,
    die mit dem Ver­hält­nis­wahl­recht er­zieht wur­den auf ein Mehr­heits­wahl­recht zu über­tra­gen, hal­te ich für zu­min­dest vor­ei­lig (heu­te auf Sei­te 2 der »Rhei­ni­schen Post« beim Sitz­nach­barn in der U‑Bahn war das auf­ge­malt: »Wäh­len wie in Eng­land«). Sehr vie­le FDP oder Grü­nen-Wäh­ler bei­spiels­wei­se hät­ten ih­re Erst­stim­me u. U. an­ders plat­ziert, wenn sie nur ei­ne Stim­me – eben für den Di­rekt­kan­di­da­ten – ge­habt hät­ten. Kein Mensch kommt an­son­sten auf die Idee, mit der Erst­stim­me ei­nen sol­chen Kan­di­da­ten zu wäh­len (es sei denn, es gibt so­ge­nann­te Erst­stim­men­kam­pa­gnen).

    Auch die Zweit­stim­me an FDP oder Grü­ne zu ver­ge­ben, ist ja ei­gent­lich ei­ne Mo­ge­lei. Ak­tu­ell sieht man das an der FDP: We­ster­wel­le ist für gar kei­ne an­de­re Ko­ali­ti­on auf Lan­des- und Bun­des­ebe­ne mehr be­reit – au­sser mit der CDU. War­um soll je­mand aber dann FDP wäh­len? Er kann dann gleich der CDU die Stim­me ge­ben. Ei­ne klei­ne Par­tei, die sta­te­gi­sche Über­le­gun­gen über ih­re ak­tu­el­le Pro­gram­ma­tik stellt, ist m. E. über­flüs­sig. So et­was gä­be es beim Mehr­heits­wahl­recht nicht.

    Der Auf­stieg der Grü­nen ist letzt­lich ei­ne Merk­wür­dig­keit. »Be­kannt« wur­den sie erst, als sie in Hes­sen zum er­sten Mal an ei­ner Lan­des­re­gie­rung teil­nah­men. Ei­ne kom­mu­na­le Ver­an­ke­rung, die ei­gent­lich wich­tig ge­we­sen wä­re, war aber nur sehr spe­zi­fisch vor­han­den. Das ist un­ge­fähr so, als ge­he je­mand nach ei­ner Aus­bil­dung gleich als stell­ver­tre­ten­der Chef in ein Un­ter­neh­men und über­sprin­ge die Hier­ar­chien.

    Das gilt auch für die FDP. Es gab im Ver­hält­nis sehr we­nig kom­mu­na­le An­dockung der FDP – im­mer schon. Und wenn, dann dien­te sie auch dort nur als Ap­pen­dix für ir­gend­ei­ne Gross­par­tei.

    Wenn man sehr bö­se ist, könn­te man sa­gen, es sind Pöst­chen­par­tei­en. (Das ist üb­ri­gens bei der Lin­ken in Ost­deutsch­land an­ders – die Par­tei ist kom­mu­nal und auf Lan­des­ebe­ne ver­an­kert.)

    Die Ge­fahr des Po­pu­lis­mus ist nicht ganz von der Hand zu wei­sen. Aber auch hier: Was wür­de sich gra­vie­rend zum ne­ga­ti­ven ver­än­dern? Du schreibst sel­ber (in ei­ner arg re­si­gnie­ren­den Schluss­be­mer­kung), dass die­je­ni­gen ge­wählt wer­den, die am mei­sten ver­spre­chen. Wenn dann der­je­ni­ge (oder die­je­ni­ge) vor dem Wahl­volk »Re­chen­schaft« ab­ge­ben muss, kann das nur be­le­bend sein – viel­leicht ir­gend­wann nicht mehr den Mund so voll zu neh­men.

    Das Sy­stem Schweiz ist ei­ne Be­son­der­heit. Das Kon­kor­d­anz­sy­stem dort ist je die per­so­ni­fi­zier­te Jum­bo­ko­ali­ti­on (al­ler Par­tei­en). Das dann Fi­gu­ren wie Blo­cher ir­gend­wann stark wer­den, ist fast lo­gisch.

  3. Das Mehr­heits­wahl­recht hat na­tür­lich auf den er­sten Blick et­was ver­locken­des, ein­fach weil so­fort nach der Wahl ei­ne ein­deu­ti­ge Mehr­heit fest­steht. Das ist, so lan­ge kein we­sent­li­cher ideo­lo­gi­scher Un­ter­schied zwi­schen den Volks­par­tei­en be­steht, so wie z.Zt.
    in Deutsch­land, si­cher nur von Vor­teil. Bei schar­fen ideo­lo­gi­schen Ge­gen­sät­zen aber, wie in den et­wa von 1960 bis et­wa 1990 zwi­schen To­rys und La­bour in Eng­land kann die Un­ter­be­wer­tung der Op­po­si­ti­on zu er­heb­li­chen Ver­wer­fun­gen in der Ge­sell­schaft füh­ren. Ich bin mir nicht si­cher, ob die bun­des­re­pu­bli­ka­ni­sche Ge­sell­schaft die ra­di­ka­len Rich­tungs­wech­sel ( Pri­va­ti­sie­rung – Ver­staat­li­chung und wie­der re­tour, Zer­schla­gung von Ge­werk­schafts­macht usw.) so oh­ne wei­te­res hin­ge­nom­men hät­te. Je­den­falls hiel­ten wir da­mals das deut­sche Wahl­sy­stem für we­sent­lich ge­schmei­di­ger zur Her­stel­lung ge­sell­schaft­li­chen Kon­sen­ses. Er­in­nert sei auch noch dar­an, dass die That­cher –Re­gie­rung zu Zwecke der Wie­der­wahl ei­nen ab­so­lut un­nö­ti­gen Krieg ( Falk­land), ich will nicht sa­gen an­ge­zet­telt, zu­min­dest aber nur zu gern ge­führt hat.
    Ich weiß, die Ver­hält­nis­se sind heu­te nicht mehr so ra­di­kal, aber sie könn­ten es ja wie­der wer­den und dann hal­te ich das Ver­hält­nis­wahl­recht, bei al­len rich­tig be­schrie­be­nen Schwä­chen, für gar nicht so schlecht.

  4. Das mit dem Falk­land-Krieg
    ist ei­gent­lich kein Ar­gu­ment ge­gen das Wahl­recht. Die Wahl, die That­cher 1983 ge­wann, fand ein Jahr nach dem Krieg statt. Sie pro­fi­tier­te da­bei von der Un­ei­nig­keit der La­bour-Par­tei, die erst wie­der un­ter Blair auf ei­nen ge­mein­sa­men Kurs ge­bracht wur­de. (Und bei Chur­chill hat­te man ja ge­se­hen, dass ge­won­ne­ne Krie­ge nicht im­mer Ga­rant da­für sind, wie­der­ge­wählt zu wer­den.)

    Ich ha­be neu­lich auf ar­te ei­ne Do­ku­men­ta­ti­on über den Falk­land­krieg ge­se­hen. Die Ag­gres­si­on ging ja ein­deu­tig von Ar­gen­ti­ni­en aus – was nur über­rasch­te war die ziel­ge­rich­te­te Re­ak­ti­on von That­cher. An­de­re hät­ten vom Prin­zip her ge­nau­so re­agiert, nur in den Mit­teln viel­leicht et­was an­ders.

    Der ra­di­kal wirt­schaft­li­be­ra­le Kurs That­chers stiess in Gross­bri­tan­ni­en schon men­ta­li­täts­mä­ssig auf mehr Zu­stim­mung als das in Deutschand oder Frank­reich der Fall wä­re. Die Ge­werk­schaf­ten in Gross­bri­tan­ni­en wa­ren vor That­cher Staat im Staa­te (das sind sie bspw. heu­te in Frank­reich im­mer noch). Die Un­ge­rech­tig­keit, dass je­mand der ar­bei­te­te gleich viel be­kam wie je­mand, der in dem au­sser­or­dent­lich gu­ten so­zia­len Netz auf­ge­ho­ben war, spül­te That­cher an die Macht. Das sie da­bei über das Ziel hin­aus­ge­schos­sen ist, be­darf kei­ner Dis­kus­si­on. Aber auch das ist nicht pri­mär dem Wahl­recht an­zu­la­sten – selbst Blair hat in den er­sten Jah­ren sei­ner Re­gent­schaft von That­cher noch pro­fi­tiert, in dem er die schlimm­sten Un­ge­rech­tig­kei­ten, die bei ihr ent­stan­den sind, ein­fach ab­ge­schafft hat.

    [EDIT: 2008-03-01 12:19]

  5. Pro und Con­tra
    Ver­trau­en in Men­schen ist für mich die we­sent­li­che Vor­aus­set­zung für ein Mehr­heits­wahl­recht. Man gibt ei­ner Per­son sei­ne Stim­me, im wahr­sten Sin­ne des Wor­tes. Und zwar we­sent­lich un­be­ding­ter, weil die üb­li­chen Kor­rek­ti­ve in Form von Ko­ali­ti­ons­part­nern feh­len. Wenn Mün­te nach der Wahl sag­te, das es un­fair ist an den Aus­sa­gen des Wahl­kamp­fes ge­mes­sen zu wer­den, hat­te al­le Welt ge­lacht. Aber er hat­te Recht! Wer will die Aus­sa­gen der SPD an der Si­tua­ti­on in ei­ner gro­ßen Ko­ali­ti­on mes­sen. Sie soll­ten dar­an ge­mes­sen wer­den, was ge­schä­he, re­gier­te die SPD al­lei­ne.

    War­um al­so nicht ei­ne Par­tei, und da­bei blie­be es wohl (wir­ken al­so nicht nur mit), al­lei­ne ent­schei­den las­sen und dann die un­ver­fälsch­ten Er­geb­nis­se be­wer­ten? Na, da steht wohl als er­stes das fö­de­ra­le Sy­stem Deutsch­lands ent­ge­gen. Der Bun­des­rat blie­be ver­mut­lich wei­ter he­te­ro­gen be­setzt und Wahl­kampf wä­re auch al­le paar Mo­na­te. Men­schen die in der Po­li­tik ih­re Be­ru­fung se­hen, ha­ben heu­te ein wei­tes Spek­trum an Mög­lich­kei­ten. Wä­re bei ei­nem Mehr­heits­wahl­recht nicht die Ge­fahr, dass die gro­ßen Par­tei­en an­zie­hen­der wer­den und da­durch das in­ner­par­tei­li­che Spek­trum grö­ßer wird und da­mit die Kon­flik­te nicht mit dem Ko­ali­ti­ons­part­ner, son­dern in­ner­par­tei­lich ge­führt wür­den. Da­zu kön­nen ge­sell­schaft­li­che Ver­wer­fun­gen das Sy­stem mit lan­gen Sta­bi­li­sie­rungs­pha­sen leicht aus dem Tritt brin­gen. Was wä­re bei ei­nem Mehr­heits­wahl­recht mit der SPD nach der Wen­de pas­siert? Chan­cen­los wä­ren sie wohl ge­we­sen. Die Grü­nen hät­ten ih­ren wohl­tu­en­den Ein­fluss auf die deut­sche Po­li­tik nicht ent­fal­ten kön­nen, weil ein­fach der Grund ge­fehlt hät­te, grü­ne Po­si­tio­nen zu über­neh­men.

    Wei­ter­hin müss­te man den Wäh­lern zu­trau­en, sich mit den zur Wahl ste­hen­den Per­so­nen ver­traut zu ma­chen. Ich fin­de es im­mer sehr lu­stig, wenn ich zur Wahl bei der IHK auf­ge­ru­fen wer­de. Per­so­nen von de­nen ich nie ge­hört ha­be (und ich kei­ner­lei Lust ha­be dies zu än­dern), soll ich wäh­len. Ich ver­mu­te, dass es den mei­sten Wäh­lern bei der Bun­des­tags­wahl eben­so geht. Die In­du­strie aber kennt die Ver­tre­ter ge­nau und hat es deut­lich leich­ter sich auf die Kli­en­tel zwecks Lob­by­ar­beit ein­zu­stel­len. Wie mo­men­tan in den USA zu se­hen, näh­me ver­mut­lich auch die An­zahl der Oba­mas zu. Heu­te kann ei­ne Par­tei den Kan­di­da­ten mit der War­ze auf der Na­se per Li­ste durch­drücken.

    Trotz all der Be­den­ken muss si­cher­lich et­was pas­sie­ren, da in ei­nem Fünf-Par­tei­en-Sy­stem re­gie­ren im­mer schwe­rer wird (oder man schaut mal zur Schweiz). Ich be­fürch­te aber, dass das Mehr­heits­wahl­recht da­zu kein ge­eig­ne­tes Mit­tel ist. Die brem­sen­de Wir­kung des fö­de­ra­len Sy­stems er­scheint mir deut­lich aus­ge­präg­ter. Wer ist ei­gent­lich auf die Idee ge­kom­men den Um­welt­schutz zur Län­der­sa­che zu ma­chen? Was hat Schu­le mit Sub­si­dia­ri­tät zu tun? Fö­de­ra­lis­mus ist nur noch ein In­stru­ment, auf dem man spielt, um Po­si­tio­nen durch­zu­set­zen. Die ur­sprüng­li­che Idee ist lan­ge kon­ter­ka­riert. Dem Züng­lein an der Waa­ge die selbst­herr­li­che Po­se zu neh­men, ist das Pro­blem, für das mir kei­ne Lö­sung einfällt.Peter

  6. #5 – Land und Bund
    Ich ge­be zu, dass der Fö­de­ra­lis­mus ei­nem Mehr­heits­wahl­recht qua­si im Weg steht. Und was, wenn im Bund die CDU re­giert – und in den Län­dern die SPD die Mehr­heit be­kommt (ein biss­chen gibt es die­ses Pro­blem in den USA ja mit den so­ge­nann­ten »Halb­zeit­wah­len«)? Aber­mals wä­re der Ver­mitt­lungs­aus­schuss das kon­sti­tu­ie­ren­de Gre­mi­um (al­ler­dings oh­ne auch noch auf FDP, Grü­ne und Lin­ke schie­len zu müs­sen...)

    Ei­ne neue Ord­nung der Po­li­tik­fel­der zwi­schen Bund und Län­dern ist al­so wirk­lich not­wen­dig. Das ist na­tür­lich fast noch schwie­ri­ger, als das Wahl­recht zu än­dern, denn die Län­der be­fürch­ten da­mit na­tür­lich ein Zu­recht­stut­zen ih­rer Kom­pe­ten­zen. An­de­rer­seits sieht man, wo­zu der Fö­de­ra­lis­mus füh­ren kann, an der Schul- und Bil­dungs­po­li­tik. Dort be­wegt sich seit Jahr­zehn­ten im Prin­zip fast nichts (au­sser »G8« ) – statt­des­sen wird von ei­nem »Wett­be­werb« ge­fa­selt; als zie­he man für die Schul­po­li­tik mal so eben von ei­nem Bun­des­land ins an­de­re.

    He­bel­te man den Fö­de­ra­lis­mus ganz aus, so muss man an­de­re Mög­lich­kei­ten schaf­fen, den Bund zu kon­trol­lie­ren. Ich bin mir nicht si­cher, wie das ge­hen soll, aber prin­zi­pi­ell gin­ge so et­was na­tür­lich. Nur, dass die Herr­schaf­ten dann ver­mut­lich kei­ne »Mi­ni­ster­prä­si­den­ten« oder »Mi­ni­ster« sind – son­dern (bei­spiels­wei­se) »Ober­haus­ab­ge­ord­ne­te«.

    In der heu­ti­gen Me­di­en­zeit glau­be ich nicht, dass Op­po­si­ti­on, auch wenn sie nur 30% der Sit­ze hät­te, »ver­schwin­den« wür­de. Es ist na­tür­lich schwie­ri­ger – kei­ne Fra­ge. Aber das Be­wusst­sein um die Al­ter­na­ti­ve wä­re wie­der da – ganz im Ge­gen­satz zum Kon­kor­d­anz­prin­zip der Schweiz, in dem der Wäh­ler schon vor­her weiss, dass al­le wie­der zu­sam­men­ge­hen wer­den.

    Das Ver­trau­en, sich mit den Kan­di­da­ten aus­ein­an­der­zu­set­zen, hät­te ich. Es wä­re so­gar m. E. bes­ser als im­mer nur auf die in Klam­mern ste­hen­de Par­tei­zu­ge­hö­rig­keit zu gucken – und dann sein Ur­teil über die Aus­sa­ge schon vor­her zu tref­fen.

  7. #6 – mehr Salz
    Die Pro­ble­me mit den Län­dern sind aber nur das er­ste Pro­blem. Das Glei­che gilt na­tür­lich für Brüs­sel. Ich den­ke, die mei­sten Men­schen wä­ren über­rascht, wüss­ten Sie wel­che Rech­te jetzt schon an die EU de­le­giert sind. Dort gibt es erst recht in­trans­pa­ren­te Struk­tu­ren, wo selbst die Kon­ser­va­ti­ven mit den Kon­ser­va­ti­ven ha­dern etc.

    Auch die Glo­ba­li­sie­rung legt der Ge­stal­tungs­kraft ei­ner heu­ti­gen na­tio­na­len Re­gie­rung ganz en­ge Man­schet­ten an. Wenn man ehr­lich ist: wir spie­len seit ei­ni­gen Jah­ren nach den an­glo­me­ri­ka­ni­schen Fi­nanz­spiel­re­geln. Ist man Pes­si­mist könn­te man sa­gen, dass man wählt, ob man schnel­ler oder lang­sa­mer ame­ri­ka­ni­siert wird.

    Der Wunsch, der hin­ter dem Mehr­heits­wahl­recht, ist al­so ver­mut­lich in der Pra­xis nicht mehr zu er­fül­len. Ge­stal­te­ri­sche Kraft, wie sie z.B. die West­bin­dung Ade­nau­ers oder die Ost­po­li­tik Brandts auf­zeig­te, wird heu­te wohl kaum noch mög­lich sein. Und da­her viel­leicht auch kei­ne ab­so­lu­ten Mehr­hei­ten.

  8. #2
    Die Er­geb­nis­se von Wah­len,
    die mit dem Ver­hält­nis­wahl­recht er­zieht wur­den auf ein Mehr­heits­wahl­recht zu über­tra­gen, hal­te ich für zu­min­dest vor­ei­lig (heu­te auf Sei­te 2 der »Rhei­ni­schen Post« beim Sitz­nach­barn in der U‑Bahn war das auf­ge­malt: »Wäh­len wie in Eng­land«). Sehr vie­le FDP oder Grü­nen-Wäh­ler bei­spiels­wei­se hät­ten ih­re Erst­stim­me u. U. an­ders plat­ziert, wenn sie nur ei­ne Stim­me – eben für den Di­rekt­kan­di­da­ten – ge­habt hät­ten. Kein Mensch kommt an­son­sten auf die Idee, mit der Erst­stim­me ei­nen sol­chen Kan­di­da­ten zu wäh­len (es sei denn, es gibt so­ge­nann­te Erst­stim­men­kam­pa­gnen).

    Nein, na­tür­lich nicht. Ich bin ein­fach mal da­von aus­ge­gan­gen, dass die Stim­men der Klei­nen zu glei­chen Tei­len auf die Gro­ßen auf­ge­teilt wor­den wä­ren. Wenn man es ge­nau­er wis­sen woll­te, müss­te man sich eben die Zweit­stim­men­er­geb­nis­se der ein­zel­nen Wahl­krei­se an­se­hen. Aber es war so­wie­so nur als Rand­be­mer­kung ge­meint. Dass das Mehr­heits­wahl­recht in JEDEM Fall kla­re Mehr­hei­ten schafft, hat­te ja nie­mand be­haup­tet.

    Auch die Zweit­stim­me an FDP oder Grü­ne zu ver­ge­ben, ist ja ei­gent­lich ei­ne Mo­ge­lei.
    Kann ich so nicht be­stä­ti­gen. Ich ha­be auch schon FDP ge­wählt, als mä­ßi­gen­des Kor­rek­tiv. Wür­de ich zwar heu­te in die­sen Zei­ten der po­li­ti­schen Be­lie­big­keit wohl nicht mehr ma­chen, aber es kann schon gu­te Grün­de da­für ge­ben.

    Ak­tu­ell sieht man das an der FDP: We­ster­wel­le ist für gar kei­ne an­de­re Ko­ali­ti­on auf Lan­des- und Bun­des­ebe­ne mehr be­reit – au­sser mit der CDU. War­um soll je­mand aber dann FDP wäh­len? Er kann dann gleich der CDU die Stim­me ge­ben.
    Da stim­me ich zu, sie­he oben. So­lan­ge die FDP kei­nen po­li­ti­schen Mehr­wert bie­tet, ist die Stim­me ver­schenkt. Aber ob der po­li­ti­sche Mehr­wert da ist, ist na­tur­ge­mäß auch An­sichts­sa­che.

    Ei­ne klei­ne Par­tei, die sta­te­gi­sche Über­le­gun­gen über ih­re ak­tu­el­le Pro­gram­ma­tik stellt, ist m. E. über­flüs­sig. So et­was gä­be es beim Mehr­heits­wahl­recht nicht.
    Kann ich nicht nach­voll­zie­hen. So­lan­ge es Par­tei­en gibt, die Kan­di­da­ten un­ter­stüt­zen, wird es die­se Stra­te­gie vor Wah­len im­mer ge­ben. Ganz egal, ob die Par­tei groß oder klein ist.

    Der Auf­stieg der Grü­nen ist letzt­lich ei­ne Merk­wür­dig­keit. »Be­kannt« wur­den sie erst, als sie in Hes­sen zum er­sten Mal an ei­ner Lan­des­re­gie­rung teil­nah­men. Ei­ne kom­mu­na­le Ver­an­ke­rung, die ei­gent­lich wich­tig ge­we­sen wä­re, war aber nur sehr spe­zi­fisch vor­han­den. Das ist un­ge­fähr so, als ge­he je­mand nach ei­ner Aus­bil­dung gleich als stell­ver­tre­ten­der Chef in ein Un­ter­neh­men und über­sprin­ge die Hier­ar­chien.
    Ich ver­ste­he nicht ganz, wie Du das meinst. Die Ver­an­ke­rung war doch durch die An­ti-AKW- und Frie­dens­be­we­gung in der Wäh­ler­schaft schon gut. Ich kann mich nicht er­in­nern, dass das oh­ne Aus­wir­kun­gen auf die Stadt­rä­te ge­blie­ben wä­re.

    Das gilt auch für die FDP. Es gab im Ver­hält­nis sehr we­nig kom­mu­na­le An­dockung der FDP – im­mer schon. Und wenn, dann dien­te sie auch dort nur als Ap­pen­dix für ir­gend­ei­ne Gross­par­tei.
    Für die FDP kann ich noch un­ge­fähr fol­gen. Die wa­ren ja zeit­wei­se auch schon aus x Land­ta­gen gleich­zei­tig raus­ge­flo­gen.

    Wenn man sehr bö­se ist, könn­te man sa­gen, es sind Pöst­chen­par­tei­en. (Das ist üb­ri­gens bei der Lin­ken in Ost­deutsch­land an­ders – die Par­tei ist kom­mu­nal und auf Lan­des­ebe­ne ver­an­kert.)
    Die Lin­ken ha­ben eben schon 40 Jah­re Er­fah­rung in der Kom­bi­na­ti­on von So­zi­al­ar­beit und Macht­aus­übung. Die­se Tra­di­ti­on kommt ih­nen heu­te zu­gu­te. (Das mei­ne ich jetzt völ­lig iro­nie­frei) Von der CSU in Bay­ern wird ja auch im­mer ge­rühmt, dass sie es ge­schafft hat, ir­gend­wie Mehr­hei­ten in ALLEN Be­völ­ke­rungs­grup­pen an sich zu bin­den. Das kann man nur durch Re­gie­ren al­lein nicht schaf­fen, da­zu muss man die Men­schen auch emo­tio­nal er­rei­chen, und das geht nur über den di­rek­ten Kon­takt im Orts­ver­band, al­so qua­si von un­ten. Ein­heits­par­tei­en ha­ben in die­sen Din­gen mehr Know-How.;-)

    Die Ge­fahr des Po­pu­lis­mus ist nicht ganz von der Hand zu wei­sen. Aber auch hier: Was wür­de sich gra­vie­rend zum ne­ga­ti­ven ver­än­dern? Du schreibst sel­ber (in ei­ner arg re­si­gnie­ren­den Schluss­be­mer­kung), dass die­je­ni­gen ge­wählt wer­den, die am mei­sten ver­spre­chen. Wenn dann der­je­ni­ge (oder die­je­ni­ge) vor dem Wahl­volk »Re­chen­schaft« ab­ge­ben muss, kann das nur be­le­bend sein – viel­leicht ir­gend­wann nicht mehr den Mund so voll zu neh­men.
    Wie ge­sagt, ich ha­be kei­ne de­zi­dier­te Mei­nung, bin aber skep­tisch.

    Das Sy­stem Schweiz ist ei­ne Be­son­der­heit. Das Kon­kor­d­anz­sy­stem dort ist je die per­so­ni­fi­zier­te Jum­bo­ko­ali­ti­on (al­ler Par­tei­en). Das dann Fi­gu­ren wie Blo­cher ir­gend­wann stark wer­den, ist fast lo­gisch.
    Gut, las­sen wie die Schweiz in Zu­kunft aus dem Spiel. Sie ist in­so­fern ei­ne In­sel, wenn auch nicht un­be­dingt im­mer der Se­li­gen.

    Der Punkt mit dem Kan­di­da­ten mit War­ze auf der Na­se, den Pe­ter un­ten er­wähnt, scheint mir üb­ri­gens auch nicht un­wich­tig. Man soll­te auch mal er­wäh­nen, dass von un­se­ren Ver­fas­sungs­or­ga­nen das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt das höch­ste An­se­hen in der Be­völ­ke­rung ge­nießt. Und das, ob­wohl ge­ra­de bei des­sen Be­set­zung das Volk am al­ler­we­nig­sten rein­re­den kann, weil ja erst noch ein Rich­ter­wahl­aus­schuss ge­bil­det wird, der dann das Gan­ze aus­kun­gelt.
    Na­tür­lich ist der Haupt­grund für das An­se­hen nicht die Wahl­me­tho­de son­dern die Tat­sa­che, dass die Rich­ter un­ab­hän­gig sind und sich nicht um Po­li­tik bei ih­rer Ar­beit küm­mern müs­sen. Aber ge­ra­de die­ser letz­te Punkt ist für di­rekt vom Volk ge­wähl­te Per­so­nen prak­tisch nicht zu ge­währ­lei­sten (es sei denn, man ver­bie­tet ge­ne­rell die Wie­der­wahl in po­li­ti­sche Äm­ter, und das le­bens­lang; aber dann wä­re der von Dir be­grüß­te An­sporn ja wie­der da­hin).

  9. #8 stri­pe
    Wenn man es ge­nau­er wis­sen woll­te, müss­te man sich eben die Zweit­stim­men­er­geb­nis­se der ein­zel­nen Wahl­krei­se an­se­hen.
    Ge­nau das geht mei­ner Mei­nung nach nicht. Vie­le Leu­te hät­ten ganz an­ders ge­wählt, wenn das Wahl­sy­stem ein an­de­res ge­we­sen wä­re.

    Kann ich so nicht be­stä­ti­gen. Ich ha­be auch schon FDP ge­wählt, als mä­ßi­gen­des Kor­rek­tiv. Wür­de ich zwar heu­te in die­sen Zei­ten der po­li­ti­schen Be­lie­big­keit wohl nicht mehr ma­chen, aber es kann schon gu­te Grün­de da­für ge­ben.
    Na­tür­lich gibt es Grün­de da­für, FDP oder Grü­ne zu wäh­len. Aber war­um muss ich dies als Kor­rek­tiv zu ir­gend­wem tun?

    Ak­tu­ell wer­den ja jetzt Far­ben­spie­le auf­ge­macht – will sa­gen: Ko­ali­tio­nen (min­de­stens in Bun­des­län­dern). Schau­en wir ein­mal ge­nau hin, was da dis­ku­tiert wird (und was halb­wegs mög­lich er­scheint):

    1. SPD/CDU
    2. SPD/Grün
    3. CDU/FDP
    4. CDU/Grün
    5. SPD/Grün/FDP
    6. SPD/Grün/Linke
    7. SPD/Linke (in Ost­deutsch­land nur theo­re­tisch mög­lich)

    Die­se sie­ben Mo­del­le be­inhal­ten 4 x die Grü­nen und je 2 x die FDP und 2 x Lin­ke. Den Grü­nen wird zu­ge­traut, ei­ne Band­brei­te ei­ner Ko­ali­ti­on mit der CDU bis zu den Lin­ken hin pro­gram­ma­tisch durch­zu­ste­hen.

    Ist ei­ne sol­che Kon­stel­la­ti­on an­zu­stre­ben? Die Grü­nen er­hal­ten im Schnitt zwi­schen 7 und 10%; in Ost­deutsch­land oft ge­nug deut­lich we­ni­ger.

    Ich bin – um das ein­mal klar­zu­stel­len – gar kein »Grü­nen­fres­ser«; ich ha­be die­se Par­tei häu­fig ge­wählt. Was ich aber merk­wür­dig fin­de (das wä­re auch bei FDP und Lin­ke so), war­um ei­ne der­art klei­ne Grup­pie­rung den Gross­teil der Ko­ali­ti­ons­mög­lich­kei­ten ab­decken kann. Bzw: Wo bleibt da die Pro­gram­ma­tik die­ser Par­tei?

    Zur Ge­schich­te der Grü­nen: Na­tür­lich wa­ren die­se in der An­ti-AKW-be­we­gung au­sser­par­la­men­ta­risch ver­tre­ten und auch stark. Aber in den Rat­häu­sern und Kom­mu­nen blie­ben sie sehr lan­ge höch­stens Rand­exi­sten­zen. Das hat sich erst Mit­te der 90er Jah­re ge­legt. Von da an wur­den die Grü­nen sa­lon­fä­hig. Da wa­ren sie aber schon als Ko­ali­ti­ons­part­ner der SPD qua­si ver­gat­tert.

    Zu den Ver­fas­sungs­rich­tern: Das Wahl­ver­fah­ren ist ei­ni­ger­ma­ssen trans­parant (wenn man es bspw. mit den USA ver­gleicht). Die »Be­liebt­heit« des BVerfG ist haupt­säch­lich des­halb so gross, weil die Ur­tei­le meist ziem­lich bür­ger­freund­lich aus­fal­len und man dort of­fen­sicht­lich ein Prin­zip im­ple­men­tiert hat, was im Zwei­fel das Grund­ge­setz recht kon­ser­va­tiv in­ter­pre­tiert (we­nig ver­än­de­rungs­freu­dig).

    Ich bin im üb­ri­gen schon für die Be­gren­zung von Man­dats­zei­ten – auch im Mehr­heits­wahl­recht. Ich ha­be neu­lich ge­le­sen, dass Schäub­le 1972 in den Bun­des­tag kam (ein Kan­di­dat schied kurz­fri­stig aus). Da war er 29 Jah­re alt. Er ist im­mer noch da – seit 36 Jah­ren! So et­was dürf­te es nicht ge­ben.

    (Edi­tie­ren kann man hier Kom­men­ta­re nicht. Klei­ner Tip: Two­day spinnt im Mo­ment ge­le­gent­lich – es ist bes­ser, Kom­men­ta­re erst ein­mal vor­zu­schrei­ben und dann rein­zu­stel­len...)

  10. @Peter #7 – mehr
    Die In­trans­pa­renz der EU-Ge­setz­ge­bung, die ei­gent­lich de­mo­kra­ti­schen bzw. rechts­staat­li­chen Mas­s­tä­ben Hohn spot­tet, ist ein an­de­res The­ma.

    Die Fi­nanz­spiel­re­geln könn­ten mit ver­hält­nis­mä­ssig we­ni­gen Hand­grif­fen auf be­herrsch­ba­re Re­geln zu­rück­ge­führt wer­den. Das möch­te man der­zeit noch nicht; die Lob­bys sind hier zu be­herr­schend. Mit Ul­rich Beck glau­be ich aber, dass es da­zu mit­tel­fri­stig kei­ne Al­ter­na­ti­ve gibt – und das das auch kom­men wird, so­bald sich der Ka­pi­ta­lis­mus noch ver­wund­ba­rer zei­gen soll­te.

    Na­tio­na­le Par­la­men­te be­lei­ben da­bei nicht ob­so­let. Was al­ler­dings pro­ble­ma­tisch ist – wir spra­chen drü­ber – ist die fö­de­ra­le Aus­prä­gung der Bud­nes­re­pu­blik. Die Lan­des­re­gie­run­gen wer­den ir­gend­wann nicht mehr ge­nug zu tun ha­ben.

  11. meh...
    Wor­auf es mir an­kam, war die Be­grün­dung für ein Mehr­heits­wahl­recht ei­ne hand­lungs­fä­hi­ge Mehr­heit zu bil­den, die ge­stal­te­risch (statt nur auf klein­stem ge­mein­sa­men Nen­ner zu ar­bei­ten) tä­tig wer­den kann.

    Der Ge­stal­tungs­spiel­raum ist durch das fö­de­ra­li­sti­sche Sy­stem, aber eben­so we­sent­lich durch die EU und die Glo­ba­li­sie­rung so stark ein­ge­schränkt, dass die na­tio­na­le Mehr­heit nur noch be­dingt Aus­wir­kun­gen hat. Da­bei geht es we­ni­ger um die Art und Wei­se der Struk­tu­ren, als um de­ren Wirk­mäch­tig­keit.

    Die Fi­nanz­spiel­re­geln könn­ten mit ver­hält­nis­mä­ssig we­ni­gen Hand­grif­fen auf be­herrsch­ba­re Re­geln zu­rück­ge­führt wer­den.
    Das hal­te ich al­ler­dings für völ­lig un­halt­bar. Zu­min­dest wur­den al­le hilf­lo­sen Ver­su­che Stein­brücks nur die wü­ste­sten Aus­wüch­se zu be­schnei­den, mit mü­dem Lä­cheln ab­ge­tan wor­den. Weil die Pro­fi­teu­re der Fi­nanz­ord­nung ge­nau wis­sen, das da­ge­gen kein Kraut ge­wach­sen ist.

  12. #11 – Kaf­fee­satz­le­se­rei
    Der Fö­de­ra­lis­mus, wie er sich im Mo­ment in Deutsch­land zeigt (16 Bun­des­län­der) ist mit­tel­fri­stig nicht mehr durch­zu­hal­ten. Ir­gend­wann wird es nur noch neun oder, bes­ser, sie­ben Bun­des­län­der ge­ben. Ich bin da­ge­gen, ei­nen zen­tra­li­sti­schen Staat an­zu­stre­ben, se­he aber ein, dass ins­be­son­de­re dort, wo es zen­tra­li­sti­sche Struk­tu­ren gibt, das Mehr­heits­wahl­recht eher als Al­ter­na­ti­ve er­scheint.

    Der An­satz ei­ner hand­lungs­fä­hi­gen na­tio­na­len Re­gie­rung bleibt un­ab­hän­gig von der EU re­le­vant. Im üb­ri­gen wird die De­le­ga­ti­on von po­li­ti­schen Ent­schei­dun­gen hin zur EU ja von den na­tio­na­len Re­gie­run­gen be­schlos­sen und mul­ti­la­te­ral ver­han­delt.

    Lang­fri­stig glau­be ich nicht an ei­nen Er­folg ei­ner po­li­ti­schen EU. Das sich hier zu­sam­men­brau­en­de (fast nur öko­nomsch agie­ren­de) Im­pe­ri­um wird durch ih­re At­trak­ti­vi­tät gleich­zei­tig auch aus­ge­höhlt. Be­reits die er­ste Ost­erwei­te­rung war ein schwe­rer Feh­ler, da man vor­her die In­sti­tu­tio­nen hät­te re­for­mie­ren müs­sen. Der Staa­ten­bund der EU wird in die­ser Form, wie er sich prä­sen­tiert (und auch im Ver­fas­sungs­ent­wurf an­ge­dacht ist) nicht re­üs­sie­ren und zer­bre­chen bzw. als rei­ne Wirt­schafts­ge­mein­schaft fort­ge­führt wer­den. Dann wird zwar im­mer noch die Grö­sse der Gur­ke durch hun­dert­sei­ti­ge EU-Ver­ord­nun­gen be­stimmt, aber eben nicht mehr.

    Die ein­zi­ge Al­ter­na­ti­ve wä­re ein Bun­des­staat mit sehr star­ken för­de­ra­len Struk­tu­ren, die aber nicht an den na­tio­na­len Kom­pe­ten­zen her­an­rei­chen. Die hier­mit ver­bun­de­nen Ver­än­de­run­gen kann und will aber kei­ne po­li­ti­sche Kraft in Eu­ro­pa mehr schul­tern. Ich glau­be auch nicht, dass das jetzt noch geht. Mit dem Eu­ro­pa der 12 wä­re das noch ge­gan­gen – wer sich dann an­ge­schlos­sen hät­te, hät­te um die Be­din­gun­gen ge­wusst.

    Zu den Fi­nanz­spiel­re­geln viel­leicht ein an­der­mal. Si­cher­lich war mein Satz et­was forsch da­her­kom­mend. Ich mein­te auch kon­kret gar nicht den Stein­brück-Vor­schlag, son­dern ei­ne et­was brei­ter an­ge­leg­te In­itia­ti­ve.

    [EDIT: 2008-03-07 08:32]

  13. #9
    >Wenn man es ge­nau­er wis­sen woll­te, müss­te man sich eben die Zweit­stim­men­er­geb­nis­se der ein­zel­nen Wahl­krei­se an­se­hen.
    Ge­nau das geht mei­ner Mei­nung nach nicht. Vie­le Leu­te hät­ten ganz an­ders ge­wählt, wenn das Wahl­sy­stem ein an­de­res ge­we­sen wä­re.

    Noch­mal prä­zi­ser for­mu­liert: Man müss­te bei den Zweit­stim­men die FDP-Stim­men der CDU zu­schla­gen und die Grü­nen und Lin­ken (im We­sten) der SPD. Al­so al­le »chan­cen­lo­sen« Stim­men der Par­tei zu­schla­gen, an die sie ver­mut­lich ge­gan­gen wä­ren, wenn die Chan­cen­lo­sig­keit den Wäh­lern vor­her klar ge­we­sen wä­re. Ich glau­be schon, dass es das halb­wegs tref­fen wür­de.

    >Kann ich so nicht be­stä­ti­gen. Ich ha­be auch schon FDP ge­wählt, als mä­ßi­gen­des Kor­rek­tiv. Wür­de ich zwar heu­te in die­sen Zei­ten der po­li­ti­schen Be­lie­big­keit wohl nicht mehr ma­chen, aber es kann schon gu­te Grün­de da­für ge­ben.
    Na­tür­lich gibt es Grün­de da­für, FDP oder Grü­ne zu wäh­len. Aber war­um muss ich dies als Kor­rek­tiv zu ir­gend­wem tun?

    Wenn CDU und FDP deut­lich un­ter­scheid­ba­re Stand­punk­te hät­ten und mei­ner ir­gend­wo in der Mit­te zwi­schen bei­den mit Ten­denz zur CDU lä­ge, dann wähl­te ich eben FDP, ob­wohl ich ei­ne Al­lein­re­gie­rung der FDP ab­leh­nen wür­de.

    Ak­tu­ell wer­den ja jetzt Far­ben­spie­le auf­ge­macht – will sa­gen: Ko­ali­tio­nen (min­de­stens in Bun­des­län­dern). Schau­en wir ein­mal ge­nau hin, was da dis­ku­tiert
    wird (und was halb­wegs mög­lich er­scheint):

    1. SPD/CDU
    2. SPD/Grün
    3. CDU/FDP
    4. CDU/Grün
    5. SPD/Grün/FDP
    6. SPD/Grün/Linke
    7. SPD/Linke (in Ost­deutsch­land nur theo­re­tisch mög­lich)

    SPD/FDP wä­re üb­ri­gens auch noch mög­lich. Gab es ja in Rhein­land-Pfalz.

    Die­se sie­ben Mo­del­le be­inhal­ten 4 x die Grü­nen und je 2 x die FDP und 2 x Lin­ke. Den Grü­nen wird zu­ge­traut, ei­ne Band­brei­te ei­ner Ko­ali­ti­on mit der CDU
    bis zu den Lin­ken hin pro­gram­ma­tisch durch­zu­ste­hen.

    Ist ei­ne sol­che Kon­stel­la­ti­on an­zu­stre­ben? Die Grü­nen er­hal­ten im Schnitt zwi­schen 7 und 10%; in Ost­deutsch­land oft ge­nug deut­lich we­ni­ger.
    Ich bin – um das ein­mal klar­zu­stel­len – gar kein »Grü­nen­fres­ser«; ich ha­be die­se Par­tei häu­fig ge­wählt. Was ich aber merk­wür­dig fin­de (das wä­re auch bei
    FDP und Lin­ke so), war­um ei­ne der­art klei­ne Grup­pie­rung den Gross­teil der Ko­ali­ti­ons­mög­lich­kei­ten ab­decken kann. Bzw: Wo bleibt da die Pro­gram­ma­tik die­ser
    Par­tei?

    Ich glau­be, die Grü­nen ha­ben von al­len Par­tei­en noch die größ­te Kon­se­quenz, was das Fest­hal­ten an ih­rem Pro­gramm be­trifft. Letzt­lich kann man es ih­nen kaum
    vor­wer­fen, dass sie von den gro­ßen Par­tei­en um­armt wer­den. Und sie weh­ren sich ja auch.
    Aber grund­sätz­lich wer­den die Po­si­tio­nen na­tür­lich im­mer be­lie­bi­ger, das schrieb ich ja auch. Und hin­zu kommt, dass die Po­li­tik na­tür­lich schon längst nich
    t mehr wie frü­her ziem­lich ein­di­men­sio­nal nach links und rechts sor­tier­bar ist. Dass es Be­rüh­rungs­punk­te zwi­schen Wert­kon­ser­va­ti­ven bei den Grü­nen und Kons
    er­va­ti­ven bei der CDU gibt, kann man nicht ab­strei­ten. Eben­so zwi­schen links- und rechts­extre­men Voll­idio­ten.

    Zur Ge­schich­te der Grü­nen: Na­tür­lich wa­ren die­se in der An­ti-AKW-be­we­gung au­sser­par­la­men­ta­risch ver­tre­ten und auch stark. Aber in den Rat­häu­sern und Kom
    mu­nen blie­ben sie sehr lan­ge höch­stens Rand­exi­sten­zen. Das hat sich erst Mit­te der 90er Jah­re ge­legt. Von da an wur­den die Grü­nen sa­lon­fä­hig. Da wa­ren sie
    aber schon als Ko­ali­ti­ons­part­ner der SPD qua­si ver­gat­tert.

    Man müss­te ei­ne aus­sa­ge­kräf­ti­ge Sta­ti­stik vor­lie­gen ha­ben. Wer ei­ne fin­det, kann ja viel­leicht den Link hier rein­set­zen.

    Zu den Ver­fas­sungs­rich­tern: Das Wahl­ver­fah­ren ist ei­ni­ger­ma­ssen trans­parant (wenn man es bspw. mit den USA ver­gleicht). Die »Be­liebt­heit« des BVerfG ist
    haupt­säch­lich des­halb so gross, weil die Ur­tei­le meist ziem­lich bür­ger­freund­lich aus­fal­len und man dort of­fen­sicht­lich ein Prin­zip im­ple­men­tiert hat, was
    im Zwei­fel das Grund­ge­setz recht kon­ser­va­tiv in­ter­pre­tiert (we­nig ver­än­de­rungs­freu­dig).

    Die Be­liebt­heit, das An­se­hen, das Ver­trau­en oder was auch im­mer ist auch des­halb groß, weil die Leu­te den Ein­druck ha­ben, dass streng nach sach­li­chen Ge­sic
    hts­punk­ten ent­schie­den wird und es nicht um ir­gend­wel­che per­sön­li­chen oder po­li­ti­schen Ani­mo­si­tä­ten auf Kin­der­gar­ten­ni­veau geht.
    Was kon­ser­va­tiv in dem Zu­sam­men­hang be­deu­tet, ha­be ich nicht ver­stan­den. Än­dern sol­len sie das GG ja so­wie­so nicht, nur aus­le­gen. Je­der, der dort auf­tritt,
    wird be­haup­ten, ein Be­wah­rer des Grund­ge­set­zes zu sein.

    Ich bin im üb­ri­gen schon für die Be­gren­zung von Man­dats­zei­ten – auch im Mehr­heits­wahl­recht. Ich ha­be neu­lich ge­le­sen, dass Schäub­le 1972 in den Bun­des­ta
    g kam (ein Kan­di­dat schied kurz­fri­stig aus). Da war er 29 Jah­re alt. Er ist im­mer noch da – seit 36 Jah­ren! So et­was dürf­te es nicht ge­ben.

    Selbst wenn man es aber auf 8 Jah­re be­gren­zen wür­de, wür­de das am Grund­pro­blem nichts än­dern. Wer wie­der­ge­wählt wer­den will, hat im­mer ei­ne ge­wis­se Ten­denz zum Po­pu­lis­mus. Und die ist (ne­ben an­de­ren Ge­sichts­punk­ten wie der Dau­er der Wahl­pe­ri­ode) um­so stär­ker, je di­rek­ter er vom Volk ge­wählt wird. Du siehst das als An­sporn, dem Volks­wil­len ge­recht zu wer­den. Ich se­he es aber auch als Ge­fahr, weil dann evtl. kon­zept­los nach Mei­nungs­um­fra­gen re­giert und ein noch rie­si­ge­rer Schul­den­berg auf­ge­häuft wird (al­so so wie bis­her;-)), um es al­len recht zu ma­chen.
    Ich hät­te am lieb­sten ei­ne Re­gie­rung von (im We­sent­li­chen) Be­am­ten, Tech­no­kra­ten, Wis­sen­schaft­lern (die na­tür­lich ir­gend­wie de­mo­kra­tisch le­gi­ti­miert sein muss). Po­li­ti­ker braucht man als An­lauf­punk­te für ge­sell­schaft­li­che Dis­kus­sio­nen (so ei­ne Art Om­buds­män­ner), aber we­ni­ger zum di­rek­ten Re­gie­ren.

    Mein letz­ter Satz im vo­ri­gen Kom­men­tar war üb­ri­gens sub­op­ti­mal for­mu­liert. Na­tür­lich wird man es nicht ver­mei­den kön­nen, dass ein Ab­ge­ord­ne­ter was mit Po­li­tik zu tun hat. Aber er soll­te sich ganz auf sach­li­che Aspek­te (das Ge­mein­wohl) kon­zen­trie­ren kön­nen und nicht auf sei­ne ak­tu­el­le Be­liebt­heit beim Volk oder den Par­tei­freun­den schie­len müs­sen. Dann kä­me die Be­liebt­heit beim Volk lang­fri­stig ganz von selbst durch den Er­folg der po­li­ti­schen Maß­nah­men.

    (Edi­tie­ren kann man hier Kom­men­ta­re nicht. Klei­ner Tip: Two­day spinnt im Mo­ment ge­le­gent­lich – es ist bes­ser, Kom­men­ta­re erst ein­mal vor­zu­schrei­ben und dann rein­zu­stel­len...)

    Ha­be ich (wie fast im­mer) so ge­macht (nur des­halb konn­te ich si­cher sa­gen, dass er rich­tig for­ma­tiert war). Aber der Ser­ver hat zwei­mal mei­ne Ein­ga­be des Captchas ab­ge­lehnt, ob­wohl ich mich ziem­lich si­cher nicht (ge­schwei­ge denn zwei­mal) ver­tippt ha­be. Viel­leicht hing es da­mit zu­sam­men.

  14. @stripe
    Die Ge­fahr des »Po­pu­lis­mus« bei der Stär­kung der Po­si­ti­on der Di­rekt­kan­di­da­ten ist si­cher­lich nicht von der Hand zu wei­sen. Gleich­zei­tig bleibt es aber letzt­lich im­mer nur ein (-1-) Ab­ge­ord­ne­ter und es geht (pri­mär) um den Bun­des­tag. Wenn sich die­ser Ab­ge­ord­ne­te hin­stellt und im Wahl­kampf be­haup­ten wür­de, er set­ze sich für Steu­er­sen­kun­gen ein, dann wür­de das ir­gend­wie lä­cher­lich wir­ken, wenn es im Ge­gen­satz zu dem Pro­gramm sei­ner Par­tei ste­hen wür­de. Und dort, wo Po­pu­lis­mus di­rek­te Fol­gen ha­ben kann, al­so auf kom­mu­na­ler Ebe­ne, wird viel­fach schon mit dem ab­so­lu­ten Mehr­heits­wahl­recht ge­wählt (bspw. in Bay­ern).

    Wenn Du Po­pu­lis­mus be­fürch­test, so be­inhal­tet das (u. a.) la­ten­te Vor­be­hal­te vor dem »Volks­wil­len« (den ich üb­ri­gens durch­aus tei­le – was mei­ne am­bi­va­len­te Hal­tung zu Volks­ent­schei­den spie­gelt). Mein An­satz ist nun: Es ist nicht zu ver­hin­dern, dass De­mo­kra­tie (der­zeit) als die (kon­trol­lier­te) Herr­schaft der bzw. ei­ner Mehr­heit ver­stan­den wird. Das geht u. U. bis in den Kin­der­gar­ten. Wenn ei­ne ge­wis­se An­zahl von Kin­dern lie­ber mit Bau­klöt­zen spie­len will, die Mehr­heit je­doch mit Au­tos, so wird es schon sehr früh als »de­mo­kra­tisch« emp­fun­den, dass das ge­tan wird, was die Mehr­heit wünscht.

    Ich ha­be im üb­ri­gen Vor­be­hal­te ge­gen sol­che Mehr­heits­ent­schei­dun­gen, be­son­ders wenn sie un­kon­trol­liert er­fol­gen, weil sie ja auch et­was mehr­heit­lich be­schlie­ssen kön­nen, was bspw. zur Ab­schaf­fung ele­men­tar­ster Rech­te füh­ren könn­te. Das kann man al­les kri­ti­sie­ren – aber das blen­de ich da­hin­ge­hend ein­mal aus, da ich ver­su­che, aus der »Not« (der Mehr­heits­ent­schei­dung) ei­ne Tu­gend zu ma­chen.

    Was mich aber stört, ist, dass der Wäh­ler durch das Ver­hält­nis­wahl­recht, wie wir es im Mo­ment ha­ben, gar kei­ne Trans­pa­renz bzgl. evtl. Macht­kon­struk­tio­nen mehr hat. So be­trach­te ich es als ein star­kes Stück, wenn die SPD jetzt be­schliesst, doch ei­ne Dul­dung durch die Lin­ke in Hes­sen zu­zu­las­sen, ob­wohl der Wäh­ler der SPD bei der Stimm­ab­ga­be da­von aus­ge­hen muss­te, dass dies nicht ge­schieht (ähn­li­ches gilt für die Grü­nen). Ge­ra­de­zu per­vers emp­fin­de ich im­mer das Ge­schwätz vom »Wäh­ler­wil­len« in die­sem Zu­sam­men­hang. Es ist – bei kaum ei­ner Ko­ali­ti­on in den letz­ten Jah­ren – et­was von ei­nem »Wäh­ler­wil­len« für ei­ne Ko­ali­ti­on hin­ein zu in­ter­pre­tie­ren, da der Wäh­ler ja das Er­geb­nis gar nicht kann­te, als er wähl­te.

    Die­se Si­tua­ti­on muss auf­ge­bro­chen wer­den. Letzt­lich ent­schei­det nun das Par­tei­gre­mi­um der SPD durch sei­nen Be­schluss, wer in Hes­sen an der Re­gie­rung kommt (ich neh­me – am Ran­de – al­ler­dings an, dass Yp­si­l­an­ti schei­tert). Die­se Ent­schei­dungs­zu­wei­sung ist nicht nur un­de­mo­kra­tisch, sie ist auch ge­fähr­lich für das Ver­ständ­nis der Wäh­ler bzgl. der In­sti­tu­tio­nen.

    Das Mehr­heits­wahl­recht wür­de den Ein­fluss der Par­tei­gre­mi­en re­du­zie­ren (nicht ab­schaf­fen). Es kä­me u. U. in be­stimm­ten Krei­sen zu ei­ner Art Vor­wah­len, in dem ba­sis­de­mo­kra­tisch die je­wei­li­gen Par­tei­mit­glie­der den Kan­di­da­ten be­stim­men. Das sind – vor­sich­tig ge­schätzt – zwei Stu­fen nä­her an der »Ba­sis« als ei­ne Ent­schei­dung ei­nes Vor­stands.

    Dass ein Ka­ni­dat buw. ein Man­dats­trä­ger sich sei­nen Wäh­lern in ir­gend­ei­ner Form ver­pflich­tet fühlt, kann nicht zu­nächst ein­mal nicht als Po­pu­lis­mus be­zeich­nen. An­son­sten wä­re je­de Wahl so zu in­ter­pre­tie­ren.

    Ich hät­te am lieb­sten ei­ne Re­gie­rung von (im We­sent­li­chen) Be­am­ten, Tech­no­kra­ten, Wis­sen­schaft­lern (die na­tür­lich ir­gend­wie de­mo­kra­tisch le­gi­ti­miert sein muss). Po­li­ti­ker braucht man als An­lauf­punk­te für ge­sell­schaft­li­che Dis­kus­sio­nen (so ei­ne Art Om­buds­män­ner), aber we­ni­ger zum di­rek­ten Re­gie­ren.
    Na­ja, Be­am­te sind ge­nug drin. Tech­no­kra­ten ist in­teers­sant – das galt frü­her als Schimpf­wort. Das, was Dir vorschwebt,sind na­tür­lich die mi­ni­ste­ria­len Un­ter­stüt­zer, die ent­spre­chen­de (Vor-)Bildungen ha­ben müss­ten. Da­von sind wir lei­der sehr weit ent­fernt. Ich stim­me aber bspw. dem Ge­dan­ken zu, dass Mi­ni­ster nicht un­be­dingt fach­lich kom­pe­tent sein müs­sen, wenn sie ei­nen ent­spre­chen­den Ap­pa­rat zur Sei­te ha­ben. Meist fehlt dann aber bei­des.

    Noch­mal prä­zi­ser for­mu­liert: Man müss­te bei den Zweit­stim­men die FDP-Stim­men der CDU zu­schla­gen und die Grü­nen und Lin­ken (im We­sten) der SPD.
    Ich hat­te Dich auch so ver­stan­den, glau­be aber nicht, dass das so ein­fach ist. Aber die­se Fra­ge ist arg theo­re­tisch.

  15. Die Ge­fahr des »Po­pu­lis­mus« bei der Stär­kung der Po­si­ti­on der Di­rekt­kan­di­da­ten ist si­cher­lich nicht von der Hand zu wei­sen. Gleich­zei­tig bleibt es aber letzt­lich im­mer nur ein (-1-) Ab­ge­ord­ne­ter und es geht (pri­mär) um den Bun­des­tag. Wenn sich die­ser Ab­ge­ord­ne­te hin­stellt und im Wahl­kampf be­haup­ten wür­de, er set­ze sich für Steu­er­sen­kun­gen ein, dann wür­de das ir­gend­wie lä­cher­lich wir­ken, wenn es im Ge­gen­satz zu dem Pro­gramm sei­ner Par­tei ste­hen wür­de. Und dort, wo Po­pu­lis­mus di­rek­te Fol­gen ha­ben kann, al­so auf kom­mu­na­ler Ebe­ne, wird viel­fach schon mit dem ab­so­lu­ten Mehr­heits­wahl­recht ge­wählt (bspw. in Bay­ern).
    Nein, im Ge­gen­teil. Ge­ra­de bei den Kom­mu­nal­wah­len in Bay­ern und Ba­den-Würt­tem­berg hat der Wäh­ler un­zäh­li­ge Mög­lich­kei­ten (Stich­wor­te sind Ku­mu­lie­ren und Pa­na­schie­ren, wur­de un­längst glau­be ich auch in Ham­burg ein­ge­führt). Kom­mu­nal könn­te es ja die Kirch­turm­po­li­tik dann nur wie­der auf Stadt­teil­ebe­ne ge­ben, aber die Ge­fahr ist zu­min­dest in klei­nen und mit­tel­gro­ßen Städ­ten wohl ge­ring.

    Wenn Du Po­pu­lis­mus be­fürch­test, so be­inhal­tet das (u. a.) la­ten­te Vor­be­hal­te vor dem »Volks­wil­len« (den ich üb­ri­gens durch­aus tei­le – was mei­ne am­bi­va­len­te Hal­tung zu Volks­ent­schei­den spie­gelt). Mein An­satz ist nun: Es ist nicht zu ver­hin­dern, dass De­mo­kra­tie (der­zeit) als die (kon­trol­lier­te) Herr­schaft der bzw. ei­ner Mehr­heit ver­stan­den wird. Das geht u. U. bis in den Kin­der­gar­ten. Wenn ei­ne ge­wis­se An­zahl von Kin­dern lie­ber mit Bau­klöt­zen spie­len will, die Mehr­heit je­doch mit Au­tos, so wird es schon sehr früh als »de­mo­kra­tisch« emp­fun­den, dass das ge­tan wird, was die Mehr­heit wünscht.

    Ich ha­be im üb­ri­gen Vor­be­hal­te ge­gen sol­che Mehr­heits­ent­schei­dun­gen, be­son­ders wenn sie un­kon­trol­liert er­fol­gen, weil sie ja auch et­was mehr­heit­lich be­schlie­ssen kön­nen, was bspw. zur Ab­schaf­fung ele­men­tar­ster Rech­te füh­ren könn­te. Das kann man al­les kri­ti­sie­ren – aber das blen­de ich da­hin­ge­hend ein­mal aus, da ich ver­su­che, aus der »Not« (der Mehr­heits­ent­schei­dung) ei­ne Tu­gend zu ma­chen. Ja, Du hast mich rich­tig ver­stan­den mit mei­nem Miss­trau­en ge­gen­über dem »Volk«. »Vox po­pu­li, vox Rind­vieh«, wie der La­tei­ner sagt. Ich woll­te die­se Aspek­te aber nur als Ge­gen­po­si­ti­on zu Dei­nen Aus­sa­gen ein­brin­gen. Es ist eben ein zwei­schnei­di­ges Schwert, und was wirk­lich bes­ser ist, könn­te man al­len­falls durch Aus­pro­bie­ren raus­fin­den.
    Üb­ri­gens sind die Ex­per­ten ge­nau­so rat­los wie ich als Di­let­tant, sie­he z.B. . Be­ru­higt ir­gend­wie;-)
    Was mich aber stört, ist, dass der Wäh­ler durch das Ver­hält­nis­wahl­recht, wie wir es im Mo­ment ha­ben, gar kei­ne Trans­pa­renz bzgl. evtl. Macht­kon­struk­tio­nen mehr hat. So be­trach­te ich es als ein star­kes Stück, wenn die SPD jetzt be­schliesst, doch ei­ne Dul­dung durch die Lin­ke in Hes­sen zu­zu­las­sen, ob­wohl der Wäh­ler der SPD bei der Stimm­ab­ga­be da­von aus­ge­hen muss­te, dass dies nicht ge­schieht (ähn­li­ches gilt für die Grü­nen). Hat sich ja in­zwi­schen vor­läu­fig er­le­digt;-) Aber der Feh­ler war, dass sie vor der Wahl die­se Ver­spre­chung mach­ten (na­tür­lich hät­ten sie an­son­sten wohl we­ni­ger Stim­men be­kom­men). Ge­ne­rell hal­te ich näm­lich nichts von ei­ner ka­te­go­ri­schen Aus­gren­zungs­stra­te­gie.
    Ge­ra­de­zu per­vers emp­fin­de ich im­mer das Ge­schwätz vom »Wäh­ler­wil­len« in die­sem Zu­sam­men­hang. Es ist – bei kaum ei­ner Ko­ali­ti­on in den letz­ten Jah­ren – et­was von ei­nem »Wäh­ler­wil­len« für ei­ne Ko­ali­ti­on hin­ein zu in­ter­pre­tie­ren, da der Wäh­ler ja das Er­geb­nis gar nicht kann­te, als er wähl­te. Stimmt. Ich war auch ganz ent­setzt, als nach der Wahl 2005 so­gar die von mir – wie er­wähnt – ge­schätz­te An­ge­la Mer­kel die­sen Un­sinn pro­pa­gier­te.
    Das Mehr­heits­wahl­recht wür­de den Ein­fluss der Par­tei­gre­mi­en re­du­zie­ren (nicht ab­schaf­fen). Es kä­me u. U. in be­stimm­ten Krei­sen zu ei­ner Art Vor­wah­len, in dem ba­sis­de­mo­kra­tisch die je­wei­li­gen Par­tei­mit­glie­der den Kan­di­da­ten be­stim­men. Das sind – vor­sich­tig ge­schätzt – zwei Stu­fen nä­her an der »Ba­sis« als ei­ne Ent­schei­dung ei­nes Vor­stands. Dass ein Ka­ni­dat buw. ein Man­dats­trä­ger sich sei­nen Wäh­lern in ir­gend­ei­ner Form ver­pflich­tet fühlt, kann nicht zu­nächst ein­mal nicht als Po­pu­lis­mus be­zeich­nen. An­son­sten wä­re je­de Wahl so zu in­ter­pre­tie­ren. Ei­gent­lich wä­re es wün­schens­wert (wenn auch wohl uto­pisch), dass sich al­le Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten in er­ster Li­nie dem Wohl der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land, al­so al­len Wäh­lern (und so­gar den Nicht­wäh­lern und den noch nicht ein­mal Ge­bo­re­nen) ver­pflich­tet füh­len. Na­tür­lich ist nicht je­de klei­ne Ab­wei­chung von die­sem Ide­al in Rich­tung der ver­mu­te­ten Stim­mung gleich Po­pu­lis­mus, die Gren­zen sind flie­ßend.
    >Ich hät­te am lieb­sten ei­ne Re­gie­rung von (im We­sent­li­chen) Be­am­ten, Tech­no­kra­ten, Wis­sen­schaft­lern (die na­tür­lich ir­gend­wie de­mo­kra­tisch le­gi­ti­miert sein muss). Po­li­ti­ker braucht man als An­lauf­punk­te für ge­sell­schaft­li­che Dis­kus­sio­nen (so ei­ne Art Om­buds­män­ner), aber we­ni­ger zum di­rek­ten Re­gie­ren.

    Na­ja, Be­am­te sind ge­nug drin.
    Stimmt, ei­ne Ein­schrän­kung ist mir hin­ter­her auch noch sel­ber ein­ge­fal­len: IM FINANZMINISTERIUM (je­den­falls was Steu­ern be­trifft) SOLLTE MAN ALLE BEAMTEN RAUS­SCHMEI­ßEN UND DURCH POLITIKER ERSETZEN! Da hat sich näm­lich der Ap­pa­rat an­schei­nend ver­selb­stän­digt.

    Tech­no­kra­ten ist in­teers­sant – das galt frü­her als Schimpf­wort.
    Gilt es wohl im­mer noch. Das ist der »Gutmensch«-Begriff der Lin­ken;-) Ich woll­te mit dem Be­griff nur et­was pro­vo­zie­ren.

    Das, was Dir vorschwebt,sind na­tür­lich die mi­ni­ste­ria­len Un­ter­stüt­zer, die ent­spre­chen­de (Vor-)Bildungen ha­ben müss­ten. Da­von sind wir lei­der sehr weit ent­fernt. Ich stim­me aber bspw. dem Ge­dan­ken zu, dass Mi­ni­ster nicht un­be­dingt fach­lich kom­pe­tent sein müs­sen, wenn sie ei­nen ent­spre­chen­den Ap­pa­rat zur Sei­te ha­ben. Meist fehlt dann aber bei­des.

    Von au­ßen schwer zu sa­gen, wie die­se Mi­ni­ste­ria­len wür­den und könn­ten, wenn sie denn dürf­ten. (Fi­nanz­mi­ni­ste­ri­um wie ge­sagt aus­ge­nom­men)

  16. @stripe
    – Bay­ern
    Rich­tig, ich hat­te mich un­prä­zi­se aus­ge­drückt. Ge­mein­de­rä­te und Kreis­ta­ge wer­den in Bay­ern »pa­na­schiert« oder »ku­mu­liert« (ein Blöd­sinn m. E. weil voll­kom­men in­trans­pa­rent). Die Bür­ger­mei­ster und Land­rä­te wer­den sehr wohl nach dem re­la­ti­ven Mehr­heits­wahl­recht ge­wählt. Wer nicht 50% der Stim­men er­reicht, muss mit dem Kan­di­da­ten, der die zweit­mei­sten Stim­men be­kom­men hat, in die Stich­wahl (die ist in Bay­ern am 16.3.).

    Auf die­ser Ebe­ne ist die Ge­fahr des »Po­pu­lis­mus« bzw. des Ne­po­tis­mus noch viel grö­sser als bei ei­ner Bun­des­tags- oder Land­tags­wahl.

    - »Spiegel«-Artikel
    Der Ar­ti­kel von Wal­ter ist m. E. we­nig hilf­reich. Er en­det mit dem La­men­to: Es wird sich nichts än­dern, weil sich nichts än­dern soll (oder darf).

    Dass die Man­dats­trä­ger zu »ei­sen­har­ten Lob­by­isten« für Wahl­kreis­in­ter­es­sen mu­tie­ren, ist – mit Ver­laub – Un­sinn. Wie ist denn der Sta­tus quo? Wo ge­hen denn die Lob­by­isten der Phar­m­in­du­strie jetzt ein und aus? Im Ge­sund­heits­mi­ni­ste­ri­um. Die Auf­zäh­lung lie­sse sich noch fast end­los er­wei­tern: Lob­by­is­mus wird doch ge­ra­de durch den zu gro­ssen Ein­fluss der Par­tei­en (Stich­wort: Par­tei­spen­den) be­för­dert. Wenn der ein­zel­ne Ab­ge­ord­ne­te X für sei­nen Wahl­kreis »Lob­by­po­li­tik« be­treibt – na und? Was wird er al­lei­ne mit ei­ner »Lob­by­po­si­ti­on« aus­rich­ten? Nichts.

    Wo­zu gibt es dann jetzt über­haupt ei­nen Wahl­kreis­kan­di­da­ten? Kann der jetzt kei­ne »Lob­by­po­li­tik« be­trei­ben? Dient der Wahl­kreis­ab­ge­ord­ne­te un­ter dem Ver­hält­nis­wahl­recht mehr dem All­ge­mein­wohl als un­ter ei­nem Mehr­heits­wahl­recht?

  17. Die Bür­ger­mei­ster und Land­rä­te wer­den sehr wohl nach dem re­la­ti­ven Mehr­heits­wahl­recht ge­wählt. Wer nicht 50% der Stim­men er­reicht, muss mit dem Kan­di­da­ten, der die zweit­mei­sten Stim­men be­kom­men hat, in die Stich­wahl (die ist in Bay­ern am 16.3.).
    Auf die­ser Ebe­ne ist die Ge­fahr des »Po­pu­lis­mus« bzw. des Ne­po­tis­mus noch viel grö­sser als bei ei­ner Bun­des­tags- oder Land­tags­wahl.

    Stimmt, das scheint mau­sche­lei­an­fäl­lig zu sein. Im­mer­hin kann al­ler­dings der Land­rat nicht so ein­fach wie der Bun­des­tag sei­nen Etat über­zie­hen und da­mit vor der Wahl Wohl­ta­ten un­ters Volk streu­en.

    Wenn man na­tür­lich nur ei­ne Stel­le zu be­set­zen hat, kann man nicht nach dem Ver­hält­nis­wahl­recht wäh­len.

    - »Spiegel«-Artikel
    Der Ar­ti­kel von Wal­ter ist m. E. we­nig hilf­reich. Er en­det mit dem La­men­to: Es wird sich nichts än­dern, weil sich nichts än­dern soll (oder darf).

    Wie ge­sagt, er bringt nicht viel Neu­es im Ver­gleich zu un­se­rer Dis­kus­si­on. Ich fand es nur in­ter­es­sant, dass er im We­sent­li­chen zum sel­ben Schluss kommt. Dass näm­lich das grö­ße­re Pro­blem eher der Fö­de­ra­lis­mus oder ge­nau­er das vor­aus­seh­ba­re Patt zwi­schen Bun­des­tag und Bun­des­rat ist und we­ni­ger das Wahl­recht.

    Dass die Man­dats­trä­ger zu »ei­sen­har­ten Lob­by­isten« für Wahl­kreis­in­ter­es­sen mu­tie­ren, ist – mit Ver­laub – Un­sinn.

    Zum Glück ha­be nicht ich das ge­schrie­ben (je­den­falls nicht wört­lich;-) Aber Du meinst wohl das mit der Kirch­turm­po­li­tik.

    Wie ist denn der Sta­tus quo? Wo ge­hen denn die Lob­by­isten der Phar­m­in­du­strie jetzt ein und aus? Im Ge­sund­heits­mi­ni­ste­ri­um. Die Auf­zäh­lung lie­sse sich noch fast end­los er­wei­tern: Lob­by­is­mus wird doch ge­ra­de durch den zu gro­ssen Ein­fluss der Par­tei­en (Stich­wort: Par­tei­spen­den) be­för­dert. Wenn der ein­zel­ne Ab­ge­ord­ne­te X für sei­nen Wahl­kreis »Lob­by­po­li­tik« be­treibt – na und? Was wird er al­lei­ne mit ei­ner »Lob­by­po­si­ti­on« aus­rich­ten? Nichts.

    Gut, was die Kirch­turm­po­li­tik be­trifft, hast Du mei­ne Zwei­fel da­mit halb­wegs zer­streut. Aber was den Po­pu­lis­mus all­ge­mein be­trifft, nicht (sie­he un­ten).

    Wo­zu gibt es dann jetzt über­haupt ei­nen Wahl­kreis­kan­di­da­ten? Kann der jetzt kei­ne »Lob­by­po­li­tik« be­trei­ben? Dient der Wahl­kreis­ab­ge­ord­ne­te un­ter dem Ver­hält­nis­wahl­recht mehr dem All­ge­mein­wohl als un­ter ei­nem Mehr­heits­wahl­recht?

    Du hat­test als ei­nen Vor­teil des Mehr­heits­wahl­rechts – sach­lich kor­rekt, aber in der Be­wer­tung von mir an­ge­zwei­felt – ein Mehr an Ver­ant­wor­tung des Ge­wähl­ten ge­gen­über den Wäh­lern und ein We­ni­ger an Ver­ant­wor­tung ge­gen­über der Partei/Fraktion fest­ge­stellt. Dar­auf­hin woll­te ich (ge­nau­so ein­sei­tig wie Du) die po­ten­ti­el­len Nach­tei­le die­ser Um­ver­tei­lung dar­stel­len. Die Ver­stär­kung der Ver­ant­wor­tung ge­gen­über dem Wäh­ler ist eben nur dann vor­teil­haft, wenn man dem Volk wirk­lich mehr Kom­pe­tenz und Mo­ral (ins­be­son­de­re im Hin­blick auf die Ge­ne­ra­tio­nen­ge­rech­tig­keit) als den Par­tei­en zu­traut. Da ha­be ich wie er­wähnt mei­ne Zwei­fel. So­weit man zur Er­lan­gung des fol­gen­den Man­dats zum gro­ßen Teil ei­ne Par­tei (al­so ei­ne auf lan­ge Dau­er an­ge­leg­te Or­ga­ni­sa­ti­on, die sich ih­ren Ruf auch bei erst in 20 Jah­ren wirk­sa­men Feh­lern rui­nie­ren kann) be­nö­tigt, wird zu kurz­fri­sti­ges Den­ken ten­den­zi­ell eher ab­ge­straft und nach­hal­ti­ges Vor­ge­hen EHER (wenn auch längst nicht aus­rei­chend) be­lohnt.

    Au­ßer­dem, wer wird sich denn ex­po­nie­ren und für ei­ne Steu­er­erhö­hung oder ei­ne Ren­ten­kür­zung kämp­fen, wenn er ge­nau weiß, dass die po­si­ti­ven Kon­se­quen­zen erst in 20 Jah­ren ein­tre­ten, die ne­ga­ti­ven aber schon in die­ser Wahl­pe­ri­ode? Doch al­len­falls je­mand, der dar­auf ver­trau­en kann, dass die Par­tei ihm den Rücken frei­hal­ten, al­so not­falls ei­nen Li­sten­platz ver­schaf­fen kann. Denn der Wäh­ler straft ihn da­für be­stimmt per­sön­lich ab, wenn er ge­gen den po­pu­li­sti­schen New­co­mer-Volks­tri­bun von der an­de­ren Sei­te kan­di­diert.

    Und die Frak­ti­on (z.B. SPD bei Hartz IV) wür­de auch we­ni­ger Ten­denz als oh­ne­hin schon zu spar­sa­mem Wirt­schaf­ten zei­gen, wenn sie da­mit durch ei­nen Rück­gang von 35 auf 25% der Ge­samt­stim­men prak­tisch die Exi­stenz sämt­li­cher Man­da­te nach den näch­sten Wah­len ge­fähr­det sieht.

    Al­ler­dings fra­ge ich mich tat­säch­lich, wo­zu wir jetzt Di­rekt­kan­di­da­ten brau­chen. Mei­ner Mei­nung nach wä­re die Zweit­stim­me al­lein völ­lig aus­rei­chend.

    Lob­by­po­li­tik wä­re ein ei­ge­nes Dis­kus­si­ons­the­ma. Das Pro­blem ist nicht, wenn die Lob­by­isten im Mi­ni­ste­ri­um ein- und aus­ge­hen, son­dern erst wenn die Ent­schei­der von ih­nen in ih­rem Sinn (und nicht im Sinn des Ge­mein­wohls) be­ein­flusst wer­den.

  18. @stripe
    Wenn man na­tür­lich nur ei­ne Stel­le zu be­set­zen hat, kann man nicht nach dem Ver­hält­nis­wahl­recht wäh­len.
    Land­rä­te und Bür­ger­mei­ster könn­ten – theo­re­tisch – auch in­di­rekt (wie der Bun­des­kanz­ler oder ein MP) ge­wählt wer­den.

    Die Ver­stär­kung der Ver­ant­wor­tung ge­gen­über dem Wäh­ler ist eben nur dann vor­teil­haft, wenn man dem Volk wirk­lich mehr Kom­pe­tenz und Mo­ral (ins­be­son­de­re im Hin­blick auf die Ge­ne­ra­tio­nen­ge­rech­tig­keit) als den Par­tei­en zu­traut. Da ha­be ich wie er­wähnt mei­ne Zwei­fel.
    Nun, Man­dats­trä­ger sind und blei­ben »Volks­ver­tre­ter«, d. h. die Par­la­men­te spie­geln (im Ide­al­fall) ei­nen Quer­schnitt des Vol­kes. At­te­stiert man den Wäh­lern nun man­geln­de Kom­pe­tenz oder mo­ra­li­sches Be­wusst­sein, so greift man ge­ne­rell de­mo­kra­ti­sche Wahl­ver­fah­ren an. Man kann das ma­chen – und dann aus­dis­ku­tie­ren. Man kann dis­ku­tie­ren, ob die Stim­me ei­nes Pro­fes­sors mehr oder we­ni­ger »wert« sein soll, als die ei­nes »Bild«-Lesers. Das war aber nicht mei­ne In­ten­ti­on.

    Ich gou­tie­re nicht per se Mehr­heits­ent­schei­dun­gen. Ich stel­le nur fest, dass de­mo­kra­ti­sche Ver­fah­ren – un­ab­hän­gig vom Wahl­ver­fah­ren – im­mer dar­auf hin­aus­lau­fen, dass 51% über 49% do­mi­nie­ren.

    Was ich schlim­mer fin­de: Die Par­tei­en do­mi­nie­ren im Ver­hält­nis­wahl­recht über ih­re Li­sten der­art se­lek­tiv das Ge­sche­hen, dass es letzt­lich Wah­len kaum be­darf. Der Di­rekt­kan­di­dat ist nicht ge­wählt wor­den? Macht nix, der Li­sten­platz ist ihm si­cher, weil er X oder Y aus der Par­tei gut kennt. Oder der Kan­di­dat ist ein Quer­den­ker? Macht auch nix, beim näch­sten Mal be­kommt er ent­we­der ein an­de­res Par­tei­mit­glied als Wett­be­werb oder ei­nen schlech­ten Li­sten­platz (Stich­wort: Dag­mar Metz­ger!). Im Grun­de ge­nom­men sagst Du im vor­letz­ten Satz et­was Rich­ti­ges: Wo­zu über­haupt ei­nen Di­rekt­kan­di­da­ten in ei­nem Wahl­recht, dass sich letzt­lich nach dem Ver­hält­nis ori­en­tiert? War­um muss der Kan­di­dat A im Wahl­kreis Z an­tre­ten, nur weil viel­leicht dort ein Platz frei ist, er aber an ei­nem an­de­ren Ort wohnt?

    Du be­fürch­test po­pu­li­sti­sche New­co­mer-Volks­tri­bun im Fal­le ei­nes Mehr­heits­wahl­rechts? Ich glau­be, man kann die­ses Ri­si­ko nicht aus­schlie­ssen – und im Ein­zel­fall wird es das auch ge­ben. Aber letzt­lich muss ei­ne De­mo­kra­tie und der Par­la­men­ta­ris­mus das aus­hal­ten und – das ist mei­ne Sicht – es wird auch aus­ge­hal­ten. Po­pu­li­sten ent­lar­ven sich in plu­ra­li­sti­schen Ge­sell­schaf­ten (das ist wich­tig!) im­mer re­la­tiv schnell selbst und blei­ben Rand­er­schei­nun­gen. Sie wer­den durch ver­klau­su­lier­te Li­sten­platz­dis­kus­sio­nen oder Lob­by­is­mus im Ver­bor­ge­nen (manch­mal so­gar im of­fe­nen Raum) oft ge­nug erst her­an­ge­züch­tet.

  19. Tan­nen­berg
    Aber letzt­lich muss ei­ne De­mo­kra­tie und der Par­la­men­ta­ris­mus das aus­hal­ten und – das ist mei­ne Sicht – es wird auch aus­ge­hal­ten.

    Der Sie­ger von Tan­nen­berg hat recht ein­drück­lich ge­zeigt, dass ei­ne De­mo­kra­tie dies nicht im­mer aus­hält. Das Volk spre­chen las­sen, di­rekt, bleibt in Deutsch­land wohl noch für lan­ge Zeit ein schwie­ri­ges The­ma. Und nicht zu un­recht. Ein Land, in dem die Bild­zei­tung die meist­ver­kauf­te Zei­tung ist, kann nicht fä­hig sein ei­ne di­rek­te De­mo­kra­tie zu ge­stal­ten.

  20. @Peter
    Man kann die in wei­ten Tei­len auch der in­tel­lek­tu­el­len Eli­ten un­be­lieb­te »Wei­ma­rer Re­pu­blik« nicht mit der Ge­gen­wart auch nur in ei­nem Atem­zug nen­nen. Die Vor­aus­set­zun­gen sind ganz an­de­re, was beim »Sie­ger von Tan­ne­berg« be­ginnt (Deutsch­land ist kei­ne Prä­si­di­al­de­mo­kra­tie – aus die­sem Grund!).

    Ich re­de hier auch kei­ner di­rek­ten De­mo­kra­tie das Wort – die Vor­be­hal­te, die ich hier­zu ha­be, sind al­ler­dings an­de­re. Und das die »Bild«-Zeitung die meist­ver­kauf­te Zei­tung in Deutsch­land ist, kann ich nicht als Kri­te­ri­um wi­der ei­ner Par­ti­zi­pa­ti­on der Mas­sen se­hen (was ist mit den Bou­le­vard-Zei­tun­gen in Gross­bri­tan­ni­en, den USA, Frank­reich, der Schweiz [!]?)

    Die Kri­tik an der »Volks­herr­schaft« ist ein weit ver­brei­te­ter To­pos der Mo­der­ne- und Post­mo­der­ne­kri­ti­ker (sie­he die Jedlicki-Be­spre­chung).

    Wor­in lä­ge die Al­ter­na­ti­ve?

  21. Kein Alar­mis­mus
    Ich wä­re mir da nicht so si­cher. Die Dis­kus­si­on, wie dick die de­mo­kra­ti­sche Haut Deutsch­lands ist, ist ja nicht neu. Ich den­ke nur zwei Jah­re zu­rück, als das Mer­kel Deutsch­land zum Sa­nie­rungs­fall de­gra­dier­te. Ich mei­ne zu dem Zeit­punkt Stim­mun­gen be­merkt zu ha­be, die ich lan­ge für un­mög­lich ge­hal­ten ha­be. Ei­ne or­dent­li­che Re­zes­si­on und ich wet­te auf nichts mehr.

    Das Prin­zip, dass Vol­kes Wil­le in Deutsch­land nur ge­fil­tert in der Exe­ku­ti­ve und teils der Le­gis­la­ti­ve an­kommt, ist ge­schicht­li­che Er­fah­rung und ich bin sehr froh dar­über. In der Schweiz, Groß­bri­tan­ni­en und den USA (na ja, die ha­ben Bush auch wie­der­ge­wählt) sieht die La­ge et­was an­ders aus, weil die Län­der ei­ne ganz an­de­re de­mo­kra­ti­sche Kul­tur ha­ben. Ein Blick nach Gross­bri­tan­ni­en lässt ei­nen aber heu­te auch er­schau­ern.

    Je di­rek­ter ei­ne Wahl ist, und das wä­re sie bei ei­nem Mehr­heits­wahl­recht, de­sto mehr muss ich von den Wäh­lern ver­lan­gen. Ich neh­me an, dir ist der Kennt­nis­stand des ge­mei­nen Wahl­vol­kes be­kannt? Wie vie­le Wäh­ler wis­sen über­haupt was Erst- und Zweit­stim­me ist, ge­schwei­ge denn die po­li­ti­schen Pro­gram­me der Par­tei­en? Nein, das ist kein Alar­mis­mus. Nur ei­ne Fest­stel­lung.

    Du hast mich al­so nicht über­zeugt und glau­be wei­ter an das Ver­hält­nis­wahl­recht. So­gar noch ra­di­ka­ler als heu­te, da­mit die von dir er­wähn­ten 49% auch re­prä­sen­tiert wer­den. Im­mer­hin ha­ben wir bei der let­zen Bun­des­tags­wahl und in vie­len Län­dern ei­ne lin­ke Mehr­heit ge­habt, die po­li­tisch nicht re­le­vant wer­den konn­te.

    P.S. Das per­fi­de am Alar­mis­mus­vor­wurf ist häu­fig nur die Ge­wöh­nung des Kri­ti­sie­ren­den. Wen juckt heu­te noch der Wald­scha­dens­be­richt. Die La­ge ist kein biss­chen bes­ser, aber me­di­al tot. Hät­te Or­well be­schrie­ben, dass in au­stra­li­schen Nach­rich­ten die max. Son­nen­ver­weil­dau­er an­ge­ge­ben wird, es wä­re Apo­ka­lyp­se ge­nannt wor­den. Usw.

  22. >Wenn man na­tür­lich nur ei­ne Stel­le zu be­set­zen hat, kann man nicht nach dem Ver­hält­nis­wahl­recht wäh­len.

    Land­rä­te und Bür­ger­mei­ster könn­ten – theo­re­tisch – auch in­di­rekt (wie der Bun­des­kanz­ler oder ein MP) ge­wählt wer­den.

    Ach, so mein­test Du das. Da könn­te man dann auch noch­mal dis­ku­tie­ren, ob die Wahl­be­rech­tig­ten die De­le­gier­ten be­zirks­wei­se per Mehr­heits- oder Ver­hält­nis­wahl­recht be­stim­men.

    >Die Ver­stär­kung der Ver­ant­wor­tung ge­gen­über dem Wäh­ler ist eben nur dann vor­teil­haft, wenn man dem Volk wirk­lich mehr Kom­pe­tenz und Mo­ral (ins­be­son­de­re im Hin­blick auf die Ge­ne­ra­tio­nen­ge­rech­tig­keit) als den Par­tei­en zu­traut. Da ha­be ich wie er­wähnt mei­ne Zwei­fel.

    Nun, Man­dats­trä­ger sind und blei­ben »Volks­ver­tre­ter«, d. h. die Par­la­men­te spie­geln (im Ide­al­fall) ei­nen Quer­schnitt des Vol­kes. At­te­stiert man den Wäh­lern nun man­geln­de Kom­pe­tenz oder mo­ra­li­sches Be­wusst­sein, so greift man ge­ne­rell de­mo­kra­ti­sche Wahl­ver­fah­ren an.

    Jein. In ge­wis­ser Hin­sicht (was Be­rufs­grup­pen, Ge­schlech­ter, in ge­wis­sem Maß auch Al­ters­grup­pen be­trifft) soll­ten sie ei­nen Quer­schnitt re­prä­sen­tie­ren. Aber was z.B. die In­tel­li­genz be­trifft, ist ei­ne re­prä­sen­ta­ti­ve Dum­men­quo­te si­cher kein Ide­al. Auch beim Al­ter ist es viel­leicht bes­ser, wenn un­ter­durch­schnitt­lich vie­le Green­horns dort sit­zen.
    Im Ide­al­fall soll­te die Wahl ei­ne äu­ßerst po­si­ti­ve Aus­wahl (Eli­te) er­ge­ben. Dass das na­tür­lich un­ter der von mir nicht in Fra­ge ge­stell­ten Gleich­be­rech­ti­gung al­ler po­ten­ti­el­len Wäh­ler mehr oder we­ni­ger uto­pisch ist, ist klar. Die Fra­ge ist, ob man das Mehr an di­rek­ter De­mo­kra­tie durch das Mehr­heits­wahl­recht durch ein We­ni­ger an (wie auch im­mer de­fi­nier­ter) Qua­li­fi­ka­ti­on er­kauft.

    Ich gou­tie­re nicht per se Mehr­heits­ent­schei­dun­gen. Ich stel­le nur fest, dass de­mo­kra­ti­sche Ver­fah­ren – un­ab­hän­gig vom Wahl­ver­fah­ren – im­mer dar­auf hin­aus­lau­fen, dass 51% über 49% do­mi­nie­ren.

    Im Ein­zel­fall ja. Al­ler­dings ist es bei uns al­lein schon die Blockie­rung von Bun­des­tag und ‑rat, die die­se Do­mi­nie­rung über län­ge­re Zeit meist ver­hin­dert.
    Und beim Mehr­heits­wahl­recht läuft es bei z.B. 3 gro­ßen Par­tei­en in ex­tre­men Fäl­len dar­auf hin­aus, dass 34% die rest­li­chen 66% do­mi­nie­ren.

    Was ich schlim­mer fin­de: Die Par­tei­en do­mi­nie­ren im Ver­hält­nis­wahl­recht über ih­re Li­sten der­art se­lek­tiv das Ge­sche­hen, dass es letzt­lich Wah­len kaum be­darf. Der Di­rekt­kan­di­dat ist nicht ge­wählt wor­den? Macht nix, der Li­sten­platz ist ihm si­cher, weil er X oder Y aus der Par­tei gut kennt. Oder der Kan­di­dat ist ein Quer­den­ker? Macht auch nix, beim näch­sten Mal be­kommt er ent­we­der ein an­de­res Par­tei­mit­glied als Wett­be­werb oder ei­nen schlech­ten Li­sten­platz (Stich­wort: Dag­mar Metz­ger!).

    Führt die Be­tei­li­gung der Par­tei­en an der Aus­wahl zu ei­ner bes­se­ren (wie auch im­mer de­fi­nier­ten) Qua­li­tät des Par­la­ments als die Aus­wahl durch das Volk? Wenn man das im Sal­do mit ja be­ant­wor­tet (es gibt mit Si­cher­heit Ar­gu­men­te da­für und da­ge­gen), dann kann man ei­gent­lich nichts ge­gen die­se Ein­schrän­kung der di­rek­ten Volks­herr­schaft ha­ben. Frau Metz­ger wä­re wohl ein Ar­gu­ment da­ge­gen, der qua­li­fi­zier­te, nicht ge­wähl­te Di­rekt­kan­di­dat mit War­ze auf der Na­se ein Ar­gu­ment da­für.

    Du be­fürch­test po­pu­li­sti­sche New­co­mer-Volks­tri­bun im Fal­le ei­nes Mehr­heits­wahl­rechts? Ich glau­be, man kann die­ses Ri­si­ko nicht aus­schlie­ssen – und im Ein­zel­fall wird es das auch ge­ben. Aber letzt­lich muss ei­ne De­mo­kra­tie und der Par­la­men­ta­ris­mus das aus­hal­ten und – das ist mei­ne Sicht – es wird auch aus­ge­hal­ten. Po­pu­li­sten ent­lar­ven sich in plu­ra­li­sti­schen Ge­sell­schaf­ten (das ist wich­tig!) im­mer re­la­tiv schnell selbst und blei­ben Rand­er­schei­nun­gen. Sie wer­den durch ver­klau­su­lier­te Li­sten­platz­dis­kus­sio­nen oder Lob­by­is­mus im Ver­bor­ge­nen (manch­mal so­gar im of­fe­nen Raum) oft ge­nug erst her­an­ge­züch­tet.

    Ob Mehr­heits- oder Ver­hält­nis­wahl­recht, ver­mut­lich sind we­der die po­si­ti­ven noch die ne­ga­ti­ven Fol­gen so ex­trem, wie wir es ge­schil­dert ha­ben. Und das Haupt­pro­blem, dar­auf kom­me ich im­mer wie­der zu­rück, ist wohl eher die Blocka­de von Bun­des­rat und Bun­des­tag. Viel­leicht soll­te man ein­fach al­le 5 Jah­re an ei­nem Tag (oder von mir aus im Ab­stand von 4 Wo­chen) den Bun­des­tag und die Lan­des­par­la­men­te wäh­len. Dann wä­re (ab­ge­se­hen von ge­le­gent­li­chen Neu­wah­len we­gen Aus­ein­an­der­bre­chens von Ko­ali­tio­nen) für 5 Jah­re Ru­he mit halb­wegs syn­chro­nen Mehr­hei­ten in Bun­des­tag und Bun­des­rat.

  23. An zwei
    @stripe

    Und beim Mehr­heits­wahl­recht läuft es bei z.B. 3 gro­ßen Par­tei­en in ex­tre­men Fäl­len dar­auf hin­aus, dass 34% die rest­li­chen 66% do­mi­nie­ren.
    In­ter­es­san­te Rech­nung. Aber im ak­tu­el­len Ver­hält­nis­wahl­recht be­stim­men oft ge­nug 6, 7 oder 8%-Parteien, wo­hin die Rei­se geht. Das hal­te ich nicht für ge­rech­ter.

    Führt die Be­tei­li­gung der Par­tei­en an der Aus­wahl zu ei­ner bes­se­ren (wie auch im­mer de­fi­nier­ten) Qua­li­tät des Par­la­ments als die Aus­wahl durch das Volk? Wenn man das im Sal­do mit ja be­ant­wor­tet (es gibt mit Si­cher­heit Ar­gu­men­te da­für und da­ge­gen), dann kann man ei­gent­lich nichts ge­gen die­se Ein­schrän­kung der di­rek­ten Volks­herr­schaft ha­ben. Frau Metz­ger wä­re wohl ein Ar­gu­ment da­ge­gen, der qua­li­fi­zier­te, nicht ge­wähl­te Di­rekt­kan­di­dat mit War­ze auf der Na­se ein Ar­gu­ment da­für.
    Nicht die Be­tei­li­gung der Par­tei­en ist das Pro­blem, son­dern ih­re Mo­no­pol­struk­tur. Es gibt ja die Fäl­le – auch bei den klei­ne­ren Par­tei­en (Strö­be­le), die zei­gen, dass ei­ne un­gün­sti­ge Li­sten­plat­zie­rung durch den Ge­winn des Di­rekt­wahl­krei­ses um­gan­gen wer­den kann. Im Prin­zip er­zeugt das ak­tu­el­le Sy­stem das im­pe­ra­ti­ve Man­dat. Ein Fall wie der von Frau Metz­ger fällt uns ja nur auf, weil er so un­ge­wöhn­lich ist. In an­de­ren Län­dern kennt man die­sen star­ren Frak­ti­ons­zwang (der üb­ri­gens ein Phä­no­men von rechts bis links ist) nicht.

    Und das Haupt­pro­blem, dar­auf kom­me ich im­mer wie­der zu­rück, ist wohl eher die Blocka­de von Bun­des­rat und Bun­des­tag.
    Ei­ne zwei­te Kon­troll­kam­mer zum Par­la­ment braucht man. Das darf al­ler­dings nicht zum Blocka­de­instru­ment wer­den, was ei­ne um­fas­sen­de Fö­de­ra­lis­mus­re­form not­wen­dig ma­chen wür­de.

    Viel­leicht soll­te man ein­fach al­le 5 Jah­re an ei­nem Tag (oder von mir aus im Ab­stand von 4 Wo­chen) den Bun­des­tag und die Lan­des­par­la­men­te wäh­len. Dann wä­re (ab­ge­se­hen von ge­le­gent­li­chen Neu­wah­len we­gen Aus­ein­an­der­bre­chens von Ko­ali­tio­nen) für 5 Jah­re Ru­he mit halb­wegs syn­chro­nen Mehr­hei­ten in Bun­des­tag und Bun­des­rat.
    Na­ja, dann kann man den Bun­des­rat gleich ab­schaf­fen. Statt Syn­chro­ni­sie­rung wä­re wohl Bün­de­lung wich­ti­ger. Man wählt im Jahr X den Bun­des­tag – und X +2 Jah­re (oder X +3) al­le Län­der­par­la­men­te.


    @Peter
    Ich den­ke nur zwei Jah­re zu­rück, als das Mer­kel Deutsch­land zum Sa­nie­rungs­fall de­gra­dier­te. Ich mei­ne zu dem Zeit­punkt Stim­mun­gen be­merkt zu ha­be, die ich lan­ge für un­mög­lich ge­hal­ten ha­be. Ei­ne or­dent­li­che Re­zes­si­on und ich wet­te auf nichts mehr.
    Das Wort des »Sa­nie­rungs­falls« war zwei­fel­los un­glück­lich, aber es war nicht in der Ein­deu­tig­keit for­mu­liert, wie es häu­fig zi­tiert wird (es war mit dem Wort »auch« ein­ge­schränkt).

    Das Prin­zip, dass Vol­kes Wil­le in Deutsch­land nur ge­fil­tert in der Exe­ku­ti­ve und teils der Le­gis­la­ti­ve an­kommt, ist ge­schicht­li­che Er­fah­rung und ich bin sehr froh dar­über. In der Schweiz, Groß­bri­tan­ni­en und den USA (na ja, die ha­ben Bush auch wie­der­ge­wählt) sieht die La­ge et­was an­ders aus, weil die Län­der ei­ne ganz an­de­re de­mo­kra­ti­sche Kul­tur ha­ben.
    Nicht nur Bush; die Wahl­er­geb­nis­se in den USA wa­ren oft reich­lich exo­tisch (für Eu­ro­pä­er). Die Schweiz kann man m. E. nicht ver­glei­chen, da es dort ein Kon­kor­d­anz­sy­stem gibt. Ich bin auch nicht für Volks­ent­schei­de wie in der Schweiz, hal­te aber das Ar­gu­ment der feh­len­den de­mo­kra­ti­schen Kul­tur für schwach, denn ir­gend­wann müss­te ja mal je­mand an­fan­gen. Und das die Schweiz sich mit ih­ren Volks­ent­schei­den teil­wei­se nicht mit Ruhm be­kleckert, dürf­te auch be­kannt sein.

    Ein Blick nach Gross­bri­tan­ni­en lässt ei­nen aber heu­te auch er­schau­ern.
    War­um?

    Je di­rek­ter ei­ne Wahl ist, und das wä­re sie bei ei­nem Mehr­heits­wahl­recht, de­sto mehr muss ich von den Wäh­lern ver­lan­gen. Ich neh­me an, dir ist der Kennt­nis­stand des ge­mei­nen Wahl­vol­kes be­kannt? Wie vie­le Wäh­ler wis­sen über­haupt was Erst- und Zweit­stim­me ist, ge­schwei­ge denn die po­li­ti­schen Pro­gram­me der Par­tei­en? Nein, das ist kein Alar­mis­mus. Nur ei­ne Fest­stel­lung.
    Bö­se ar­gu­men­tiert: Es gä­be ja dann kei­ne Erst- und Zweit­stim­me mehr!

    Ich glau­be auch nicht, dass das all­ge­mei­ne Wahl­volk so dumm ist, wie es im­mer dar­ge­stellt wird. Und selbst wenn: Ist es nicht auch das Recht ei­ner En­ti­tät, Feh­ler zu be­ge­hen? Wer sagt denn, dass die Feh­ler­quo­te beim jet­zi­gen Ver­hält­nis­wahl­recht ge­rin­ger ist? Tat­sa­che ist nur, dass die Stim­men arg ge­streut wer­den kön­nen und es zu Kon­stel­la­tio­nen kommt, nur schwie­rig Re­gie­rungs­bil­dun­gen er­mög­li­chen.

    Du hast mich al­so nicht über­zeugt und glau­be wei­ter an das Ver­hält­nis­wahl­recht. So­gar noch ra­di­ka­ler als heu­te, da­mit die von dir er­wähn­ten 49% auch re­prä­sen­tiert wer­den.
    Das ist scha­de, aber nicht zu än­dern. Dei­ne Be­grün­dung hal­te ich für schwach, da in Par­la­men­ten (auf al­len Ebe­nen) min­de­stens im­mer 51% be­stim­men und 49% »Op­po­si­ti­on ma­chen dür­fen« (wie das so schön eu­phe­mi­stisch von den Ver­lie­rern im­mer heisst). Das ist – wie ge­sagt – das We­sen des­sen, was wir als De­mo­kra­tie be­zeich­nen.

    Im­mer­hin ha­ben wir bei der let­zen Bun­des­tags­wahl und in vie­len Län­dern ei­ne lin­ke Mehr­heit ge­habt, die po­li­tisch nicht re­le­vant wer­den konn­te.
    Die lin­ke Mehr­heit exi­stiert prak­tisch seit 1998. Da­mals und 2002 brauch­te man die PDS nicht; 2005 wä­re es mög­lich ge­we­sen, aber aus per­sön­li­chen Ani­mo­si­tä­ten der Prot­ago­ni­sten kam (kommt) es da­zu nicht. Es wä­re üb­ri­gens fa­tal, die­se »lin­ke Mehr­heit« mit ei­nem »Wäh­ler­wil­len« zu be­ti­teln. Et­li­che der Links­wäh­ler sind – das zei­gen al­le Un­ter­su­chun­gen – Pro­test­wäh­ler (aus dem ehe­ma­li­gen Nicht­wäh­ler­be­reich).

    Mit­tel­fri­stig glau­be ich, dass sich auch ei­ne rech­te Par­tei min­de­stens in ei­ni­gen Län­dern rechts von der CDU im­ple­men­tie­ren wird. Dann ha­ben wir Sechs­par­tei­en­par­la­men­te und es gibt nur noch »Gro­sse Ko­ali­tio­nen«. Da­vor graut mir.


    Ein per­sön­li­ches Wort: Ich hat­te 1980 die FDP mit der Zweit­stim­me ge­wählt, weil es zwi­schen­durch hiess, die FDP dro­he an der 5%-Hürde zu schei­tern (ähn­lich wie 1969, als sie nur 5,8% be­kam). Man be­den­ke: 1980 gab es m. E. kei­ne Al­ter­na­ti­ve zu Hel­mut Schmidt als Bun­des­kanz­ler (der CDU/C­SU-Kan­di­dat hiess Franz-Jo­sef Strauß). Die SPD konn­te aber – na­tür­lich – nicht al­lei­ne Strauß ver­hin­dern. Der GAU wä­re ge­we­sen, dass die FDP schei­tert, die Grü­nen, die da­mals erst­mals auf­tra­ten, nag­ten wert­vol­le Pro­zent­punk­te an den Wäh­lern der SPD und die CDU/CSU wird stärk­ste Frak­ti­on (das war ziem­lich si­cher und nur ein­mal nicht der Fall) und Strauß Bun­des­kanz­ler. Zu­ge­ge­be­ner­ma­ssen ein im nach­hin­ein in fast al­len alar­mi­sti­sches Sze­na­rio: Die FDP be­kam über 10%, de Grü­nen er­hiel­ten nur 1,5%, die CDU/CSU büss­te noch ein und die SPD hielt ih­re Er­geb­nis. Aber ei­nes stimm­te: CDU/CSU wa­ren – trotz Strauß – stärk­ste Frak­ti­on ge­wor­den. Was dann zwei Jah­re spä­ter pas­sier­te, ist be­kannt. Die Lamb­s­dorff-FDP wech­sel­te mit Un­ter­stüt­zung der »neu­tra­len« FDP-Kräf­te die Sei­te und Kohl wur­de Kanz­ler. Das stell­te ei­ne ekla­tan­te Ver­fäl­schung des Wäh­ler­wil­lens von 1980 dar. Seit­dem ist mir das Ver­hält­nis­wahl­recht su­spekt.

  24. Star­ke Be­grün­dun­gen
    Ein Blick nach Gross­bri­tan­ni­en lässt ei­nen aber heu­te auch er­schau­ern.
    War­um?

    Der Zer­fall der Ge­sell­schaf­ten, wie er in al­len west­li­chen De­mo­kra­tien zu be­ob­ach­ten ist, ver­läuft in kei­nem Land so ra­sant wie in Groß­bri­tan­ni­en. Wer re­gel­mä­ßig »Eu­ro­pa heu­te« im DLF und ähn­li­che Sen­dun­gen hört, in de­nen im Ge­gen­satz zu den »gro­ßen Nach­rich­ten« aus dem All­tag der Men­schen be­rich­tet wird, weiß was ich mei­ne. Da­zu ha­be ich Be­kann­te aus Groß­bri­tan­ni­en, die von Zu­stän­den be­rich­ten, die hier gar nicht nach­voll­zieh­bar sind. Die Un­ter­schicht ist dra­ma­tisch ge­walt­be­rei­ter, die Mit­tel­schicht ero­diert viel stär­ker als hier­zu­lan­de.

    Bö­se ar­gu­men­tiert: Es gä­be ja dann kei­ne Erst- und Zweit­stim­me mehr!

    Wenn wir uns dar­auf ei­ni­gen kön­nen, dass die Stim­me im Mehr­heits­wahl­recht ein stär­ke­res Ge­wicht hat, ist das Ar­gu­ment schon tref­fend. Ich bin mir si­cher, dass ein si­gni­fi­kan­ter An­teil der Wäh­ler kei­nen blas­sen Schim­mer hat, wie Po­li­tik funk­tio­niert. Du wirst mir hof­fent­lich zu­stim­men, dass der rei­ne Nach­rich­ten­kon­sum (der ja selbst heu­te schon kaum noch ge­währ­lei­stet ist) kaum die Mög­lich­keit bie­tet, ei­ne The­ma­tik auch nur an­nä­hernd zu er­fas­sen. Ich brau­che al­so ent­we­der Ver­trau­en in mei­nen ge­wähl­ten po­li­ti­schen Ver­tre­ter oder ech­tes Hin­ter­grund­wis­sen.

    Das ist scha­de, aber nicht zu än­dern. Dei­ne Be­grün­dung hal­te ich für schwach, da in Par­la­men­ten (auf al­len Ebe­nen) min­de­stens im­mer 51% be­stim­men und 49% »Op­po­si­ti­on ma­chen dür­fen« (wie das so schön eu­phe­mi­stisch von den Ver­lie­rern im­mer heißt). Das ist – wie ge­sagt – das We­sen des­sen, was wir als De­mo­kra­tie be­zeich­nen.

    Das 51/49-Pro­blem ist aber nicht in Stein ge­mei­ßelt. Z.B. die Ver­tei­lung der Vor­sit­zen­den der Aus­schüs­se er­folgt auch pro­por­tio­nal. Aber mal ganz krea­tiv : War­um z.B. nicht das Wahl­volk the­men­be­zo­gen ab­stim­men las­sen? Ich hal­te z.B. die Fa­mi­li­en- und Schul­po­li­tik der SPD für gru­se­lig, wür­de aber nie­mals CDU wäh­len. Die Sozial‑, In­nen- und Wirt­schafts­po­li­tik der CDU ist für mich un­halt­bar. Der li­be­ra­le Aspekt im Sin­ne Leu­theu­sser-Schnar­ren­ber­gers oder Burk­hard Hirschs ist wün­schens­wert, aber die Wirt­schafts­po­li­tik der FDP ab­sto­ßend. Grü­ne Aspek­te ge­hö­ren in je­de Re­gie­rung, aber nicht al­les was Zahn­arzt­frau­en mö­gen, mag ich auch.

    Ei­ne Mehr­heit um der Mehr­heit Wil­len kann nicht die Lö­sung sein, schon des­halb nicht, weil ein klei­nes Er­eig­nis kurz vor der Wahl ei­ne Ten­denz mas­siv ver­stär­ken kann. Man ne­hem nur mal an, was es für die Re­gie­rungs­bil­dung be­deu­tet hät­te, wenn zwei Ta­ge vor der Wahl: der Papst von ei­nem Mos­lem er­schos­sen wird, Wie­deking 100 Mio. in Lich­ten­stein hat, der Brand in ei­nem Che­mie­werk 1000 To­te for­dert oder Doc­Mor­ris zwei deut­sche Apo­the­ke ver­nich­tet.

  25. >Und beim Mehr­heits­wahl­recht läuft es bei z.B. 3 gro­ßen Par­tei­en in ex­tre­men Fäl­len dar­auf hin­aus, dass 34% die rest­li­chen 66% do­mi­nie­ren.

    In­ter­es­san­te Rech­nung. Aber im ak­tu­el­len Ver­hält­nis­wahl­recht be­stim­men oft ge­nug 6, 7 oder 8%-Parteien, wo­hin die Rei­se geht. Das hal­te ich nicht für ge­rech­ter.

    Na­ja, er­stens do­mi­nie­ren sie nicht ge­ne­rell, wenn sie bloß 6% ha­ben. Und zwei­tens hast Du das Pro­blem, dass ei­ne gro­ße Par­tei ei­ne klei­ne braucht, um ei­ne Mehr­heit der Man­da­te zu ha­ben, even­tu­ell auch im Mehr­heits­wahl­recht (wenn z.B. die 34% nur 49% der Sit­ze be­kom­men). Na­tür­lich wird es im Mehr­heits­wahl­recht ten­den­zi­ell we­ni­ger Par­tei­en und da­mit we­ni­ger klei­ne Par­tei­en ge­ben, so dass das 6%-Problem sel­te­ner auf­tritt.

    >Führt die Be­tei­li­gung der Par­tei­en an der Aus­wahl zu ei­ner bes­se­ren (wie auch im­mer de­fi­nier­ten) Qua­li­tät des Par­la­ments als die Aus­wahl durch das Volk? Wenn man das im Sal­do mit ja be­ant­wor­tet (es gibt mit Si­cher­heit Ar­gu­men­te da­für und da­ge­gen), dann kann man ei­gent­lich nichts ge­gen die­se Ein­schrän­kung der di­rek­ten Volks­herr­schaft ha­ben. Frau Metz­ger wä­re wohl ein Ar­gu­ment da­ge­gen, der qua­li­fi­zier­te, nicht ge­wähl­te Di­rekt­kan­di­dat mit War­ze auf der Na­se ein Ar­gu­ment da­für.
    Nicht die Be­tei­li­gung der Par­tei­en ist das Pro­blem, son­dern ih­re Mo­no­pol­struk­tur.

    Was meinst Du mit Mo­no­pol? Man kann ja als Un­ab­hän­gi­ger an­tre­ten oder neue Par­tei­en grün­den. Dass die es am An­fang schwer ha­ben, ist klar. Aber im Mehr­heits­wahl­recht ha­ben sie es NOCH schwe­rer.

    Im Prin­zip er­zeugt das ak­tu­el­le Sy­stem das im­pe­ra­ti­ve Man­dat.

    Du meinst, das im­pe­ra­ti­ve Man­dat, bei dem die Par­tei dem Ab­ge­ord­ne­ten be­fiehlt? Wie ge­schrie­ben, Mehr­heits­wahl­recht geht eher in Rich­tung im­pe­ra­ti­ves Man­da
    t, bei dem der Wäh­ler dem Ab­ge­ord­ne­ten be­fiehlt. De­mo­kra­ti­scher im Wort­sinn, aber nicht un­be­dingt bes­ser.

    In an­de­ren Län­dern kennt man die­sen star­ren Frak­ti­ons­zwang (der üb­ri­gens ein Phä­no­men von rechts bis links ist) nicht.

    Hast Du Be­le­ge da­für? Wenn Du meinst, dass Deutsch­land da ei­ne Al­lein­stel­lung hat, wä­re mir das neu.

    >Viel­leicht soll­te man ein­fach al­le 5 Jah­re an ei­nem Tag (oder von mir aus im Ab­stand von 4 Wo­chen) den Bun­des­tag und die Lan­des­par­la­men­te wäh­len. Dann wä­re (ab­ge­se­hen von ge­le­gent­li­chen Neu­wah­len we­gen Aus­ein­an­der­bre­chens von Ko­ali­tio­nen) für 5 Jah­re Ru­he mit halb­wegs syn­chro­nen Mehr­hei­ten in Bun­des­tag und Bun­des­rat.
    Na­ja, dann kann man den Bun­des­rat gleich ab­schaf­fen. Statt Syn­chro­ni­sie­rung wä­re wohl Bün­de­lung wich­ti­ger. Man wählt im Jahr X den Bun­des­tag – und X +2 Jah­re (oder X +3) al­le Län­der­par­la­men­te.

    Auch recht. Wä­re be­stimmt ein deut­li­cher Fort­schritt zum Dau­er­wahl­kampf.

    @Peter: Ich glau­be auch nicht, dass das all­ge­mei­ne Wahl­volk so dumm ist, wie es im­mer dar­ge­stellt wird. Und selbst wenn: Ist es nicht auch das Recht ei­ner En­ti­tät, Feh­ler zu be­ge­hen? Wer sagt denn, dass die Feh­ler­quo­te beim jet­zi­gen Ver­hält­nis­wahl­recht ge­rin­ger ist? Tat­sa­che ist nur, dass die Stim­men arg ge­streut wer­den kön­nen und es zu Kon­stel­la­tio­nen kommt, nur schwie­rig Re­gie­rungs­bil­dun­gen er­mög­li­chen.

    Was Recht ist, steht im Ge­setz. Und was im Ge­setz ste­hen soll, dar­über dis­ku­tie­ren wir ja noch;-)

    Was mir in dem Zu­sam­men­hang auch noch ein­fiel: Mit Mehr­heits­wahl­recht gibt es die Ko­ali­ti­ons­ver­hand­lun­gen und das Ge­scha­cher dann eben auch noch VOR der Wahl. Die SPD wird mit den Grü­nen ab­ma­chen, wer wo an­tritt.

    Das ist scha­de, aber nicht zu än­dern. Dei­ne Be­grün­dung hal­te ich für schwach, da in Par­la­men­ten (auf al­len Ebe­nen) min­de­stens im­mer 51% be­stim­men und 49% »Op­po­si­ti­on ma­chen dür­fen« (wie das so schön eu­phe­mi­stisch von den Ver­lie­rern im­mer heisst). Das ist – wie ge­sagt – das We­sen des­sen, was wir als De­mo­kra­tie be­zeich­nen.

    Nein, sie­he oben. Es kön­nen beim Mehr­heits­wahl­recht auch DEUTLICH we­ni­ger als 51% (der Wäh­ler) über den Rest be­stim­men (was im Ver­hält­nis­wahl­recht doch eher ei­ne theo­re­ti­sche Mög­lich­keit bleibt). Un­de­mo­kra­tisch kann man es des­halb wohl nicht nen­nen, aber un­de­mo­kra­ti­scher als Ver­hält­nis­wahl­recht schon.

    Es wä­re üb­ri­gens fa­tal, die­se »lin­ke Mehr­heit« mit ei­nem »Wäh­ler­wil­len« zu be­ti­teln. Et­li­che der Links­wäh­ler sind – das zei­gen al­le Un­ter­su­chun­gen – Pro­test­wäh­ler (aus dem ehe­ma­li­gen Nicht­wäh­ler­be­reich).

    Ich glau­be trotz­dem, dass es die­se lin­ke Mehr­heit mo­men­tan gibt. Aber der Vor­sprung ist na­tür­lich nicht auf ewig ga­ran­tiert. Erst recht nicht, wenn die SPD nach links rückt.

    Mit­tel­fri­stig glau­be ich, dass sich auch ei­ne rech­te Par­tei min­de­stens in ei­ni­gen Län­dern rechts von der CDU im­ple­men­tie­ren wird. Dann ha­ben wir Sechs­par­tei­en­par­la­men­te und es gibt nur noch »Gro­sse Ko­ali­tio­nen«. Da­vor graut mir.

    Al­les hat zwei Sei­ten.

    Ein per­sön­li­ches Wort: Ich hat­te 1980 die FDP mit der Zweit­stim­me ge­wählt, weil es zwi­schen­durch hiess, die FDP dro­he an der 5%-Hürde zu schei­tern (ähn­lich wie 1969, als sie nur 5,8% be­kam). Man be­den­ke: 1980 gab es m. E. kei­ne Al­ter­na­ti­ve zu Hel­mut Schmidt als Bun­des­kanz­ler (der CDU/C­SU-Kan­di­dat hiess Franz-Jo­sef Strauß). Die SPD konn­te aber – na­tür­lich – nicht al­lei­ne Strauß ver­hin­dern. Der GAU wä­re ge­we­sen, dass die FDP schei­tert, die Grü­nen, die da­mals erst­mals auf­tra­ten, nag­ten wert­vol­le Pro­zent­punk­te an den Wäh­lern der SPD und die CDU/CSU wird stärk­ste Frak­ti­on (das war ziem­lich si­cher und nur ein­mal nicht der Fall) und Strauß Bun­des­kanz­ler. Zu­ge­ge­be­ner­ma­ssen ein im nach­hin­ein in fast al­len alar­mi­sti­sches Sze­na­rio: Die FDP be­kam über 10%, de Grü­nen er­hiel­ten nur 1,5%, die CDU/CSU büss­te noch ein und die SPD hielt ih­re Er­geb­nis. Aber ei­nes stimm­te: CDU/CSU wa­ren – trotz Strauß – stärk­ste Frak­ti­on ge­wor­den. Was dann zwei Jah­re spä­ter pas­sier­te, ist be­kannt. Die Lamb­s­dorff-FDP wech­sel­te mit Un­ter­stüt­zung der »neu­tra­len« FDP-Kräf­te die Sei­te und Kohl wur­de Kanz­ler. Das stell­te ei­ne ekla­tan­te Ver­fäl­schung des Wäh­ler­wil­lens von 1980 dar. Seit­dem ist mir das Ver­hält­nis­wahl­recht su­spekt.

    Na­ja, ein Ko­ali­ti­ons­wech­sel in­ner­halb der Le­gis­la­tur­pe­ri­ode ent­ge­gen dem Wahl­ver­spre­chen könn­te Dir beim Mehr­heits­wahl­recht auch pas­sie­ren. Wie ge­schrie­ben, al­le Pro­ble­me mit Ko­ali­tio­nen tre­ten beim Mehr­heits­wahl­recht zwar sel­te­ner auf, weil es ein­fach we­ni­ger Par­tei­en im Par­la­ment gibt, aber ver­hin­dern kann man die­se Pro­ble­me da­mit auch nicht.
    Das Pro­blem, das Du schil­derst, ist eher die 5%-Hürde, weil sie da­zu zwingt, sei­ne Stim­me nicht der ei­gent­lich prä­fe­rier­ten Par­tei zu ge­ben, son­dern aus tak­ti­schen Grün­den als Leih­stim­me zu ver­wen­den.

    Im­mer­hin hat die FDP nicht Strauß zum Bun­des­kanz­ler ge­macht und es gab nur Kohl. Es kam al­so nicht zum aus Dei­ner Sicht Schlimm­sten, trotz Ver­hält­nis­wahl­recht.

  26. @Peter
    Vom Ero­die­ren der so­zia­len Ver­hält­nis­se in Gross­bri­tan­ni­en ha­be ich auch schon ge­hört. Aber das kann kaum dem Wahl­recht an­ge­la­stet wer­den Eher viel­leicht schon dem That­che­ris­mus, der al­ler­dings schon re­la­tiv lan­ge her ist. Tat­sa­che ist, dass Blair ei­ne Men­ge Spit­zen aus dem That­che­ris­mus her­aus­ge­nom­men hat und dass man in Gross­bri­tan­ni­en ei­ne in­zwi­schen et­was an­de­re Vor­stel­lung ei­nes Staats­we­sens hat als hier­zu­lan­de.

    Und na­tür­lich hat die Stim­me des Wäh­lers im Mehr­heits­wahl­recht ein grö­sse­res Ge­wicht als jetzt im Ver­hält­nis­wahl­recht. Al­lei­ne schon des­we­gen, weil nicht mehr mit Erst- und Zweit­stim­me »ge­spielt« wer­den kann. Was ist aber dar­an schlimm?

    Und wie Du dann auf den Ge­dan­ken kommst, the­men­be­zo­gen wäh­len zu las­sen, wenn Du gleich­zei­tig meinst, der Wäh­ler wä­re mit dem Er­fas­sen von The­ma­ti­ken an sich schon über­for­dert, er­schliesst sich mir nicht. Die Ge­fahr po­pu­li­sti­scher Me­di­en­kämp­fe wä­re doch ge­ra­de bei the­men­be­zo­ge­nen Ent­schei­den ge­ge­ben.

    Ich will noch nicht ein­mal die Stan­dard­bei­spie­le über The­men­ab­stim­mun­gen brin­gen, wie To­des­stra­fe, Atom­kraft­wer­ke oder den Eu­ro, son­dern so et­was wie den neu­en EU-Ver­fas­sungs­ent­wurf. Es sprä­che nicht we­nig da­für, ei­ne der­art weit­ge­hen­de Ent­schei­dung ei­nem Ple­bis­zit zu un­ter­wer­fen. Das hat es ja durch­aus in an­de­ren Län­dern mit dem vor­an­ge­hen­den Ver­fas­sungs­ent­wurf ge­ge­ben (z. B. Frank­reich, Nie­der­lan­de). Die Er­geb­nis­se wa­ren (fast im­mer – Aus­nah­me: Lu­xem­burg und Irland)eindeutig: In die­ser Form lehn­te man die »Ver­fas­sung« ab. Wirk­lich? Oder soll­te da nur ei­ner als über­re­prä­sen­tiert emp­fun­de­nen EU-Bü­ro­kar­tie ein Denk­zet­tel ver­passt wer­den? Oder – in Frank­reich – dem son­nen­kö­nig­ar­ti­gen Chi­rac? Will sa­gen: Wie schnell wer­den Ple­bis­zi­te zu Ab­stim­mun­gen über da­hin­ter­ste­hen­de Res­sen­ti­ments? Frei­lich auch hier gilt: Wenn man nicht da­mit an­fängt, lässt sich auch ei­ne ge­wis­se Schu­lung der po­ten­ti­el­len Wäh­ler nicht er­rei­chen.

    War­um je­doch Wäh­ler für die the­ma­ti­sche Ab­stim­mung bes­ser »ge­rü­stet« sein sol­len als zur Fest­stel­lung, wer in ih­rem Wahl­kreis ge­wählt wer­den soll, ver­ste­he ich nicht.

    Ei­ne Mehr­heit um der Mehr­heit Wil­len kann nicht die Lö­sung sein
    War­um nicht? Was ist dar­an jetzt an­ders? Gro­sse Ko­ali­ti­on im Bund – was war das an­de­res als »Mehr­heit um der Mehr­heit wil­len«? Scherz­haft könn­te man von »Zwangs­hei­rat« spre­chen. Al­le Zei­chen ste­hen dar­auf, dass dies auch nach 2009 so wei­ter­geht (mit ei­ner al­ler­dings deut­lich re­du­zier­ten SPD).

    Was wä­ren denn »Am­peln« an­de­res als der Ver­such, min­de­stens 51% zu er­rei­chen? Tra­di­ti­ons­be­dingt und auch durch das Ver­hält­nis­wahl­recht und den im­pli­zit da­mit ver­bun­de­nen Frak­ti­ons­zwang kommt es eben nicht zu »wech­seln­den Ab­stim­mungs­mehr­hei­ten«. Al­so ei­nigt man sich in Ko­ali­tio­nen über al­le ab­seh­ba­ren Even­tua­li­tä­ten im Vor­feld.

    Das Pro­blem, dass ein Er­eig­nis we­ni­ge Ta­ge vor der Wahl den Aus­gang be­ein­flusst, ist doch kein Spe­zi­fi­kum des Wahl­rechts. Das gibt es im­mer (sie­he Spa­ni­en).

  27. @stripe
    Du meinst, das im­pe­ra­ti­ve Man­dat, bei dem die Par­tei dem Ab­ge­ord­ne­ten be­fiehlt? Wie ge­schrie­ben, Mehr­heits­wahl­recht geht eher in Rich­tung im­pe­ra­ti­ves Man­dat, bei dem der Wäh­ler dem Ab­ge­ord­ne­ten be­fiehlt. De­mo­kra­ti­scher im Wort­sinn, aber nicht un­be­dingt bes­ser.
    Jein. Fakt ist jetzt, dass es – grund­ge­setz­wid­rig – das im­pe­ra­ti­ve Man­dat der Par­tei­en dem je­wei­li­gen Ab­ge­ord­ne­ten ge­gen­über gibt. Das kann man dar­an er­ken­nen, dass es wie ei­ne Be­son­der­heit gilt, wenn der »Frak­ti­ons­zwang auf­ge­ho­ben« wird, weil es sich um ei­ne »Ge­wis­sens­ent­schei­dung« han­delt. So wird das in den Me­di­en dar­ge­stellt – und so ist es ei­ne gro­be Ver­fäl­schung des­sen, was im Grund­ge­setz steht.

    Na­tür­lich wird der Ab­ge­ord­ne­te im Mehr­heits­wahl­recht nicht zum im­pe­ra­ti­ven Man­dats­trä­ger sei­ner Wäh­ler. Aber er ist na­tür­lich für ein ge­wis­ses Pro­gramm und ge­wis­se Aus­sa­gen in den Bun­des­tag ge­wählt wor­den. Hier­an soll­te er sich ori­en­tie­ren – um beim näch­sten Mal wie­der­ge­wählt zu wer­den. An­ders läuft das jetzt auch nicht ab. Es ist kein im­pe­ra­ti­ves Man­dat, son­dern ein »Wäh­ler­auf­trag«. Im Zwei­fel gilt na­tür­lich sei­ne per­sön­li­che Ent­schei­dung. Wenn er aber vor­her zu ei­nem Sach­ver­halt X »Ja« ge­sagt hat – und nach­her »Nein«, so muss er sich schon fra­gen las­sen, war­um er sei­ne Mei­nung ge­än­dert hat.

    In an­de­ren Län­dern kennt man die­sen star­ren Frak­ti­ons­zwang (der üb­ri­gens ein Phä­no­men von rechts bis links ist) nicht.

    Hast Du Be­le­ge da­für? Wenn Du meinst, dass Deutsch­land da ei­ne Al­lein­stel­lung hat, wä­re mir das neu.
    In Gross­bri­tan­ni­en wä­re Blair fast ein­mal an ei­nem Ge­setz­ent­wurf ge­schei­tert, weil auch gro­sse Tei­le sei­ner Frak­ti­on (die ei­ne ei­gent­lich kom­for­ta­ble Mehr­heit hat­te), dem so nicht zu­stim­men woll­te. Das wur­de dann im Vor­feld schon zu­rück­ge­zo­gen. (Lei­der weiss ich nicht mehr ge­nau, wor­um es ging.) Und auch That­cher schei­ter­te an ih­rer »Kopf­steu­er« – trotz Mehr­heit.

    In den USA stim­men DEMs / REPs nicht im­mer mit ih­ren Par­tei­en ab. Die Par­tei­en­bin­dung ist dort ge­ne­rell nicht so stark wie hier. Das hat na­tür­lich Grün­de – auch Grün­de, die es ei­nem nicht wün­schens­wert er­schei­nen las­sen, die­ses Sy­stem hier un­ge­fil­tert zu über­neh­men (Stich­wort: Wahl­spen­den).

    Ich sa­ge nicht, dass Deutsch­land da ei­ne Al­lein­stel­lung hat. Ich glau­be aber, dass man in Deutsch­land im­mer gleich den hal­ben Welt­un­ter­gang pro­gno­sti­ziert, wenn es ei­nen oder zwei »Ab­weich­ler« gibt. Man spricht die­sen Leu­ten – ja nach po­li­ti­schem Stand­punkt – dann ent­we­der ei­nen Hei­li­gen- oder ei­nen Teu­fels­sta­tus zu. Bei­des ist m. E. falsch. – Zum The­ma im­pe­ra­ti­ves Man­dat ein in­ter­es­san­ter Ar­ti­kel von Gerd Lang­guth.

    Was mir in dem Zu­sam­men­hang auch noch ein­fiel: Mit Mehr­heits­wahl­recht gibt es die Ko­ali­ti­ons­ver­hand­lun­gen und das Ge­scha­cher dann eben auch noch VOR der Wa
    hl. Die SPD wird mit den Grü­nen ab­ma­chen, wer wo an­tritt.

    Pri­ma. War­um nicht? Dann weiss ich als Wäh­ler VORHER, was ich wäh­le! Im Bay­ern gab es zu den Land­rats- und Bür­ger­mei­ster­wah­len auch ge­le­gent­lich Kan­di­da­ten, auf die sich ei­ni­ge Parteien/Gruppierungen im Vor­feld ge­ei­nigt hat­ten. Das ist fai­rer, als nach­her ei­ne Ko­ali­ti­on vor die Na­se ge­setzt zu be­kom­men, die man vor­her viel­leicht noch ka­te­go­risch aus­ge­schlos­sen hat­te.

    Es kön­nen beim Mehr­heits­wahl­recht auch DEUTLICH we­ni­ger als 51% (der Wäh­ler) über den Rest be­stim­men (was im Ver­hält­nis­wahl­recht doch eher ei­ne theo­re­ti­sche Mög­lich­keit bleibt).
    Na­ja, das ist wirk­lich sehr theo­re­tisch. Aber tat­säch­lich bei ei­nem re­la­ti­ven Mehr­heits­wahl­recht mög­lich. Wür­de man ein ab­so­lu­tes Mehr­heits­wahl­recht (mit ei­nem evtl. zwei­ten Wahl­gang) im­ple­men­tie­ren, dann könn­te man dies aus­schlie­ssen. Der Nach­teil: Es wür­de in et­li­chen Wahl­krei­sen ein un­glaub­lich har­ter, me­di­al auf­ge­bla­se­ner Wahl­kampf pas­sie­ren.

    Ich glau­be trotz­dem, dass es die­se lin­ke Mehr­heit mo­men­tan gibt. Aber der Vor­sprung ist na­tür­lich nicht auf ewig ga­ran­tiert. Erst recht nicht, wenn die SPD nach links rückt.
    Die­se »lin­ke Mehr­heit« gibt es aber nicht als Aus­druck ei­nes »Wäh­ler­wil­lens«, son­dern in der Ad­di­ti­on der Stim­men von drei Par­tei­en. Hier­auf woll­te ich hin­aus.

    Das ge­hört jetzt nicht hier­hin, da­her nur kurz: Wenn die SPD nach »links« rückt (so­fern man die »Lin­ke« links nen­nen wür­de [was ich min­de­stens am­bi­va­lent fän­de]), be­gibt sie sich im Wett­be­werb mit der Links­par­tei. Die­sen Wett­be­werb kann sie – sie­he Ha­se und Igel-Spiel – nur ver­lie­ren. Dass das von Tei­len der SPD nicht ein­ge­se­hen wird, ist fast schon tra­gisch.

    Na­ja, ein Ko­ali­ti­ons­wech­sel in­ner­halb der Le­gis­la­tur­pe­ri­ode ent­ge­gen dem Wahl­ver­spre­chen könn­te Dir beim Mehr­heits­wahl­recht auch pas­sie­ren.
    Aber mit an­de­ren Fol­gen. Als 1983 die vor­ge­zo­ge­nen Wah­len statt­fan­den, war der Schlach­ten­rauch ver­dampft; die FDP hat­te ei­ni­ge (auch pro­mi­nen­te) Aus­trit­te, be­kam 3 Pro­zent­punk­te we­ni­ger – und war wie­der an der Re­gie­rung! (Die CDU un­ter Kohl er­eich­te üb­ri­gens das zweit­be­ste Wahl­er­geb­nis ih­rer Ge­schich­te.)

    Das Pro­blem, das Du schil­derst, ist eher die 5%-Hürde, weil sie da­zu zwingt, sei­ne Stim­me nicht der ei­gent­lich prä­fe­rier­ten Par­tei zu ge­ben, son­dern aus tak­ti­schen Grün­den als Leih­stim­me zu ver­wen­den.
    In­ter­es­san­ter Zu­satz­aspekt. In »Wei­mar« galt ja die Re­gel: 60.000 Stim­men = 1 Sitz im Reichs­tag. Wärst Du für die Ab­schaf­fung der 5%-Hürde (In Öster­reich: 4%)? Oder für ei­ne Er­hö­hung? (In ei­nem Mehr­heits­wahl­recht wä­ren die­se Be­trach­tun­gen ja über­flüs­sig.)

    Im­mer­hin hat die FDP nicht Strauß zum Bun­des­kanz­ler ge­macht und es gab nur Kohl. Es kam al­so nicht zum aus Dei­ner Sicht Schlimm­sten, trotz Ver­hält­nis­wahl­recht.
    Der Kan­di­da­tur von Strauß zu­zu­stim­men, war ein Schach­zug von Kohl, der sich ähn­lich üb­ri­gens 2002 wie­der­hol­te (Mer­kel ver­zich­te­te zu Gun­sten von Stoi­ber). Kohl wuss­te, dass Strauß für li­be­ra­le Kon­ser­va­ti­ve nicht wähl­bar war. Es war al­ler­dings ein Spiel mit dem Feu­er, denn Schmidt war auch in sei­ner Par­tei an­ge­schla­gen. Die Lams­dorff-FDP hät­te Strauß nie als Kanz­ler ge­wählt. Da­für war der so­zi­al-li­be­ra­le Flü­gel (Baum, Hirsch) noch zu stark (das ist jetzt an­ders). Als Strauß dann nach der ver­lo­re­nen Wahl in Bay­ern blieb, war der Weg frei.

  28. > Jein. Fakt ist jetzt, dass es – grund­ge­setz­wid­rig – das im­pe­ra­ti­ve Man­dat der Par­tei­en dem je­wei­li­gen Ab­ge­ord­ne­ten ge­gen­über gibt. Das kann man dar­an er­ken­nen, dass es wie ei­ne Be­son­der­heit gilt, wenn der »Frak­ti­ons­zwang auf­ge­ho­ben« wird, weil es sich um ei­ne »Ge­wis­sens­ent­schei­dung« han­delt. So wird das in den Me­di­en dar­ge­stellt – und so ist es ei­ne gro­be Ver­fäl­schung des­sen, was im Grund­ge­setz steht.
    Na­tür­lich wird der Ab­ge­ord­ne­te im Mehr­heits­wahl­recht nicht zum im­pe­ra­ti­ven Man­dats­trä­ger sei­ner Wäh­ler. Aber er ist na­tür­lich für ein ge­wis­ses Pro­gramm und ge­wis­se Aus­sa­gen in den Bun­des­tag ge­wählt wor­den. Hier­an soll­te er sich ori­en­tie­ren – um beim näch­sten Mal wie­der­ge­wählt zu wer­den. An­ders läuft das jetzt auch nicht ab. Es ist kein im­pe­ra­ti­ves Man­dat, son­dern ein »Wäh­ler­auf­trag«. Im Zwei­fel gilt na­tür­lich sei­ne per­sön­li­che Ent­schei­dung. Wenn er aber vor­her zu ei­nem Sach­ver­halt X »Ja« ge­sagt hat – und nach­her »Nein«, so muss er sich schon fra­gen las­sen, war­um er sei­ne Mei­nung ge­än­dert hat.

    Wenn Du die jet­zi­ge Pra­xis des Ver­hält­nis­wahl­rechts als grund­ge­setz­wid­rig an­siehst, das Mehr­heits­wahl­recht aber nicht, misst Du mit zwei­er­lei Maß.

    » In an­de­ren Län­dern kennt man die­sen star­ren Frak­ti­ons­zwang (der üb­ri­gens ein Phä­no­men von rechts bis links ist) nicht.
    > Hast Du Be­le­ge da­für? Wenn Du meinst, dass Deutsch­land da ei­ne Al­lein­stel­lung hat, wä­re mir das neu.
    In Gross­bri­tan­ni­en wä­re Blair fast ein­mal an ei­nem Ge­setz­ent­wurf ge­schei­tert, weil auch gro­sse Tei­le sei­ner Frak­ti­on (die ei­ne ei­gent­lich kom­for­ta­ble Mehr­heit hat­te), dem so nicht zu­stim­men woll­te. Das wur­de dann im Vor­feld schon zu­rück­ge­zo­gen. (Lei­der weiss ich nicht mehr ge­nau, wor­um es ging.) Und auch That­cher schei­ter­te an ih­rer »Kopf­steu­er« – trotz Mehr­heit.

    Gibt es bei uns auch ge­le­gent­lich (z.B. Ko­so­vo­krieg, steht ja auch in dem Lang­guth-Ar­ti­kel).

    Ich sa­ge nicht, dass Deutsch­land da ei­ne Al­lein­stel­lung hat. Ich glau­be aber, dass man in Deutsch­land im­mer gleich den hal­ben Welt­un­ter­gang pro­gno­sti­ziert, wenn es ei­nen oder zwei »Ab­weich­ler« gibt. Man spricht die­sen Leu­ten – ja nach po­li­ti­schem Stand­punkt – dann ent­we­der ei­nen Hei­li­gen- oder ei­nen Teu­fels­sta­tus zu. Bei­des ist m. E. falsch.
    Ist ja klar, dass die be­trof­fe­nen Par­tei­en kei­ne neu­tra­le Wer­tung vor­neh­men und die Me­di­en dann den üb­li­chen Hype dar­um ma­chen. Ich ha­be nicht den Ein­druck, dass das »Volk« das so ernst nimmt. Es mag zwar doof sein, aber dann doch nicht sooo doof. Zum The­ma im­pe­ra­ti­ves Man­dat ein in­ter­es­san­ter Ar­ti­kel von Gerd Lang­guth. Ei­gent­lich ist es eher ein Ar­ti­kel spe­zi­ell zum Fall Metz­ger. Das Pro­blem ist mei­ner Mei­nung nach we­ni­ger auf der Sei­te des Wahl­sy­stems, son­dern es ist eher die feh­len­de Zi­vil­cou­ra­ge der Par­la­men­ta­ri­er (und ge­ra­de in die­sem Be­ruf bräuch­te man sie doch be­son­ders). Schreibt Lang­guth ja auch: Mu­tig wer­den sie nor­ma­ler­wei­se erst, wenn sie so­wie­so auf­hö­ren wol­len.
    > Was mir in dem Zu­sam­men­hang auch noch ein­fiel: Mit Mehr­heits­wahl­recht gibt es die Ko­ali­ti­ons­ver­hand­lun­gen und das Ge­scha­cher dann eben auch noch VOR der Wahl. Die SPD wird mit den Grü­nen ab­ma­chen, wer wo an­tritt. Pri­ma. War­um nicht? Dann weiss ich als Wäh­ler VORHER, was ich wäh­le! Si­cher? Wenn Du ein Main­stream-SPD-Wäh­ler bist, weißt Du dann wirk­lich auf An­hieb, ob Du CDU oder Grü­ne wählst, wenn in Dei­ner Stadt die SPD kei­nen Kan­di­da­ten auf­ge­stellt hat? Und die Ko­ali­ti­ons­ver­hand­lun­gen NACH der Wahl blei­ben Dir eben trotz­dem nicht un­be­dingt er­spart, d.h. es kann hin­ter­her im­mer noch an­ders kom­men. Im Bay­ern gab es zu den Land­rats- und Bür­ger­mei­ster­wah­len auch ge­le­gent­lich Kan­di­da­ten, auf die sich ei­ni­ge Parteien/Gruppierungen im Vor­feld ge­ei­nigt hat­ten. Das ist fai­rer, als nach­her ei­ne Ko­ali­ti­on vor die Na­se ge­setzt zu be­kom­men, die man vor­her viel­leicht noch ka­te­go­risch aus­ge­schlos­sen hat­te. Der Feh­ler ist das »Ka­te­go­ri­sche Aus­schlie­ßen«, das soll­te man eben nicht ma­chen. > Es kön­nen beim Mehr­heits­wahl­recht auch DEUTLICH we­ni­ger als 51% (der Wäh­ler) über den Rest be­stim­men (was im Ver­hält­nis­wahl­recht doch eher ei­ne theo­re­ti­sche Mög­lich­keit bleibt). Na­ja, das ist wirk­lich sehr theo­re­tisch. Aber tat­säch­lich bei ei­nem re­la­ti­ven Mehr­heits­wahl­recht mög­lich. Wür­de man ein ab­so­lu­tes Mehr­heits­wahl­recht (mit ei­nem evtl. zwei­ten Wahl­gang) im­ple­men­tie­ren, dann könn­te man dies aus­schlie­ssen. Das schließt Du ja dann nur da­durch aus, dass vie­le der­je­ni­gen, die im 1. Wahl­gang kei­nen der bei­den Füh­ren­den ge­wählt ha­ben, dann im 2. Wahl­gang nur die Wahl zwi­schen Pest und Cho­le­ra se­hen und gar nicht mehr zur Wahl ge­hen oder die Pest wäh­len.
    Das ge­hört jetzt nicht hier­hin, da­her nur kurz: Wenn die SPD nach »links« rückt (so­fern man die »Lin­ke« links nen­nen wür­de [was ich min­de­stens am­bi­va­lent fän­de]), be­gibt sie sich im Wett­be­werb mit der Links­par­tei. Die­sen Wett­be­werb kann sie – sie­he Ha­se und Igel-Spiel – nur ver­lie­ren. Dass das von Tei­len der SPD nicht ein­ge­se­hen wird, ist fast schon tra­gisch. Sie wür­de links schon da­zu­ge­win­nen. Aber für je­des Pro­zent, das sie links ge­winnt, ver­liert sie viel­leicht 1,5% am rech­ten Rand. Das wür­de sich nur dann ren­tie­ren, wenn sie lang­fri­stig die Lin­ke un­ter 5% (und un­ter 3 Di­rekt­man­da­te) drücken könn­te, was aber uto­pisch scheint.
    > Na­ja, ein Ko­ali­ti­ons­wech­sel in­ner­halb der Le­gis­la­tur­pe­ri­ode ent­ge­gen dem Wahl­ver­spre­chen könn­te Dir beim Mehr­heits­wahl­recht auch pas­sie­ren. Aber mit an­de­ren Fol­gen. Als 1983 die vor­ge­zo­ge­nen Wah­len statt­fan­den, war der Schlach­ten­rauch ver­dampft; die FDP hat­te ei­ni­ge (auch pro­mi­nen­te) Aus­trit­te, be­kam 3 Pro­zent­punk­te we­ni­ger – und war wie­der an der Re­gie­rung! (Die CDU un­ter Kohl er­eich­te üb­ri­gens das zweit­be­ste Wahl­er­geb­nis ih­rer Ge­schich­te.)

    Wie­so mit an­de­ren Fol­gen? Könn­te al­les im Mehr­heits­wahl­recht ge­nau­so pas­sie­ren.

    > In­ter­es­san­ter Zu­satz­aspekt. In »Wei­mar« galt ja die Re­gel: 60.000 Stim­men = 1 Sitz im Reichs­tag. Wärst Du für die Ab­schaf­fung der 5%-Hürde (In Öster­reich: 4%)? Oder für ei­ne Er­hö­hung? (In ei­nem Mehr­heits­wahl­recht wä­ren die­se Be­trach­tun­gen ja über­flüs­sig.)

    Im Prin­zip hal­te ich die 5%-Hürde für ver­nünf­tig. Sie ist ein gu­ter Kom­pro­miss. Ob 4 oder 6%, das kann man na­tür­lich im­mer dis­ku­tie­ren.

    @Peter: >Ei­ne Mehr­heit um der Mehr­heit Wil­len kann nicht die Lö­sung sein
    War­um nicht? Was ist dar­an jetzt an­ders? Gro­sse Ko­ali­ti­on im Bund – was war das an­de­res als »Mehr­heit um der Mehr­heit wil­len«? Scherz­haft könn­te man von »Zwangs­hei­rat« spre­chen. Al­le Zei­chen ste­hen dar­auf, dass dies auch nach 2009 so wei­ter­geht (mit ei­ner al­ler­dings deut­lich re­du­zier­ten SPD).
    Was wä­ren denn »Am­peln« an­de­res als der Ver­such, min­de­stens 51% zu er­rei­chen? Tra­di­ti­ons­be­dingt und auch durch das Ver­hält­nis­wahl­recht und den im­pli­zit da­mit ver­bun­de­nen Frak­ti­ons­zwang kommt es eben nicht zu »wech­seln­den Ab­stim­mungs­mehr­hei­ten«. Al­so ei­nigt man sich in Ko­ali­tio­nen über al­le ab­seh­ba­ren Even­tua­li­tä­ten im Vor­feld.

    Gre­gor, Du ver­mischst im­mer die Mehr­heit der Wäh­ler mit der Mehr­heit der Sit­ze. Die gro­ße Ko­ali­ti­on oder Am­pel will 51% der Sit­ze er­rei­chen, aber dem ent­spre­chen dann im Ver­hält­nis­wahl­recht auch et­wa 51% der Stim­men. Im Mehr­heits­wahl­recht aber evtl. nicht. In­so­fern ist es schon ei­ne Mehr­heit um der Mehr­heit wil­len. Aber das wä­re ja für sich al­lein noch kein Aus­schluss­kri­te­ri­um, wenn denn die an­der­wei­ti­gen Vor­tei­le das kom­pen­sie­ren wür­den.

  29. Mehr­heit != Mehr­heit
    Und wie Du dann auf den Ge­dan­ken kommst, the­men­be­zo­gen wäh­len zu las­sen, wenn Du gleich­zei­tig meinst, der Wäh­ler wä­re mit dem Er­fas­sen von The­ma­ti­ken an sich schon über­for­dert, er­schliesst sich mir nicht. Die Ge­fahr po­pu­li­sti­scher Me­di­en­kämp­fe wä­re doch ge­ra­de bei the­men­be­zo­ge­nen Ent­schei­den ge­ge­ben.

    Die Fra­ge war, wie man dem Züng­lein an der Waa­ge ih­ren Sta­chel zieht (was für ein dum­mes Bild). Wei­ter­hin soll­te ei­ne Re­gie­rungs­bil­dung mög­lich sein und ech­te Ple­bis­zi­te ver­mie­den wer­den. Da­her ist der Rich­tungs­ent­scheid, wenn ich die De­mo­kra­tie nicht gleich ganz ab­schaf­fen möch­te, ein Mit­tel der Wahl. Die Fra­ge, ob Deutsch­land am Hin­du­kusch oder im Erz­ge­bir­ge ver­tei­digt wer­den soll, ob ich Kopf- oder Bür­ger­ver­si­che­rung be­vor­zu­ge, freie oder so­zia­le Markt­wirt­schaft möch­te, dass sind Fra­gen, die man stel­len kann. Man nimmt den Bür­ger er­stens ern­ster und ver­hin­dert das ple­bis­zi­tä­re Ele­ment (ich möch­te auch nicht, dass über die To­des­stra­fe ab­ge­stimmt wird).

    Was wä­ren denn »Am­peln« an­de­res als der Ver­such, min­de­stens 51% zu er­rei­chen? Tra­di­ti­ons­be­dingt und auch durch das Ver­hält­nis­wahl­recht und den im­pli­zit da­mit ver­bun­de­nen Frak­ti­ons­zwang kommt es eben nicht zu »wech­seln­den Ab­stim­mungs­mehr­hei­ten«. Al­so ei­nigt man sich in Ko­ali­tio­nen über al­le ab­seh­ba­ren Even­tua­li­tä­ten im Vor­feld.

    Ich füh­le mich da­bei woh­ler. Das Pro­blem der gro­ßen Ent­schei­dun­gen se­he ich aber auch pro­ble­ma­tisch, da der gro­ße Ent­wurf in z.B. der Ge­sund­heits­re­form in ei­ner Am­pel kaum mach­bar ist. Lei­der sind Struk­tu­ren in die­ser Rich­tung in Deutsch­land sehr fest­ge­fah­ren, so dass ei­ne Ent­schei­dung zum »Woh­le des Lan­des« aus über­par­tei­li­chen Grün­den kaum denk­bar ist. Tie­fe Pro­vinz al­so.

    Das Pro­blem, dass ein Er­eig­nis we­ni­ge Ta­ge vor der Wahl den Aus­gang be­ein­flusst, ist doch kein Spe­zi­fi­kum des Wahl­rechts. Das gibt es im­mer (sie­he Spa­ni­en).

    Al­ler­dings ist das Wahl­recht hier von ele­men­ta­rer Be­deu­tung. In Spa­ni­en gab es mit ein paar Pro­zent ei­ne an­de­re Mehr­heit. Was wä­re denn, wenn nach ei­nem sol­chen Er­eig­nis ei­ne ver­fas­sungs­än­dern­de Mehr­heit vor­han­den ist, was im Mehr­heits­wahl­recht mit halb­wegs aus­ge­wo­ge­nen Par­tei­en leicht mög­lich ist. Dir gru­selt da­vor nicht?

  30. @Peter
    Das Pro­blem der gro­ßen Ent­schei­dun­gen se­he ich aber auch pro­ble­ma­tisch, da der gro­ße Ent­wurf in z.B. der Ge­sund­heits­re­form in ei­ner Am­pel kaum mach­bar ist.
    Rich­tig. Wo­bei die Am­pel SPD/Grüne/Linke si­cher­lich in der La­ge wä­ren, län­ger­fri­sti­ge Pro­jek­te zu ent­wer­fen, als die Ja­mai­ka-Ko­ali­ti­on CDU/FDP/Grüne. Hier se­he ich die Un­ter­schie­de spe­zi­ell zwi­schen FDP und Grü­nen als zu stark an, als das dort mehr als gross­ko­ali­tio­nä­res Ver­wal­ten her­aus­kom­men könn­te. Öster­reich zeigt, dass Gro­sse Ko­ali­tio­nen, die zu lan­ge re­gie­ren, die viel­be­schwo­re­nen »Rän­der« stär­ken und in gro­ssem Mas­se Nicht­wäh­ler pro­du­zie­ren, da es kaum si­gni­fi­kant wahr­nehm­ba­re Un­ter­schie­de gibt (die lie­gen dann gut ver­bor­gen in den uto­pi­stisch an­mu­ten­den Wahl­pro­gram­men der je­wei­li­gen Par­tei­en).

    Um Dei­ne letz­te Fra­ge auf­zu­neh­men: Mit gru­selt viel mehr vor ei­ner wei­te­ren Gro­ssen Ko­ali­ti­on 2009 – mit rd. 38% CDU und 25% SPD. Das ist Fut­ter für die Lin­ke, die si­cher­lich zwei­stel­lig wird und die mit Ma­xi­mal­for­de­run­gen (und im si­che­ren Wis­sen, dass sie nicht in die Re­gie­rung kom­men wer­den) Stim­men be­kom­men.

    Mit­tel­fri­stig dürf­te es auch nicht mehr zu ver­mei­den sein, dass ei­ne ex­tre­mi­sti­sche Par­tei am rech­ten Rand ent­steht, die als An­ti­po­de zur Lin­ken funk­tio­nie­ren könn­te. In ei­ni­gen Land­ta­gen ist das ja schon so (ab­schrecken­des Bei­spiel Sach­sen – hier sind die Um­fra­ge­wer­te für die NPD kon­stant).

    [EDIT: 2008-03-20 08:51]

  31. #28 – @stripe / »im­pe­ra­ti­ves Man­dat«
    Das im­pe­ra­ti­ve Man­dat (IM) hat sehr wohl mit dem Wahl­recht zu tun, wenn auch in­di­rekt. Zwar sieht das Grund­ge­setz kein im­pe­ra­ti­ves Man­dat (IM) vor und setzt die Ge­wis­sens­frei­heit des Ab­ge­ord­ne­ten als ab­so­lut. Aber die Pra­xis sieht an­ders aus: Am fall Metz­ger zeigt sich das sehr schön. Flugs mel­den sich die­je­ni­gen, die sa­gen, Frau Metz­ger ha­be ja nur auf­grund der In­fra­struk­tur der SPD ih­ren Sta­tus er­reicht – al­so ha­be sie auch mit der Mehr­heit ab­szu­stim­men. Das ist aber falsch und zu­dem auch noch to­ta­li­tär.

    Be­schnei­det man nun die Mög­lich­kei­ten der Par­tei­en über ih­re Li­sten­plat­zie­run­gen Ein­fluss auf die Aus­wahl ih­rer Kan­di­da­ten zu neh­men, so trägt man dem grund­ge­stez­li­chen An­spruch mehr Rech­nung. Die Usa­na­cen des Ver­hält­nis­wahl­rechts ste­hen dem ent­ge­gen.

    Dass ein Ab­ge­ord­ne­ter sei­nen Wäh­lern »ver­pflich­tet« ist, ver­steht sich von al­lei­ne. Das hat al­ler­dings nichts mit IM zu tun, son­dern ist ei­ne nor­ma­le Usance.

    Im Mehr­heits­wahl­recht ist die­ser Aspekt zwei­fel­los stär­ker aus­ge­prägt, was aber nicht schlecht sein muss. Wer Angst vor ei­ner Bin­dung des Ab­ge­ord­ne­ten an sei­ne Wäh­ler hat, kann das Prin­zip gleich ab­schaf­fen und mit ei­ner Stim­me im Ver­hält­nis­wahl­recht wäh­len. Es sind dann – um es ganz ein­fach zu ma­chen – nur noch Li­sten pau­schal zu wäh­len, die vor­her von den Par­tei­chefs aus­ge­tü­felt wer­den.


    Am Ran­de: Ich ha­be neu­lich ei­nen Be­richt über Way­ne Mor­se ge­hört. Er war der einzige,der sei­ner­zeit ge­gen die Ton­kin-Re­so­lu­ti­on ge­stimmt hat­te. In dem Be­richt gab es ei­nen Aus­schnitt ei­ner Fern­seh­dis­kus­si­on aus dem Jahr 1964, in dem Mor­se da­für plä­dier­te, dass die ame­ri­ka­ni­sche Au­ssen­po­li­tik ein­zig und al­lei­ne vom ame­ri­ka­ni­schen Volks zu be­stim­men sei und nicht von de­ren Re­prä­sen­ta­ten. Das ist ei­ne zu­ge­ge­be­ner­ma­ssen sehr exo­ti­sche Mei­nung. Aber ich glau­be, dass ein Fun­ken Wahr­heit dar­in liegt, der wie­der zum Mehr­heits­wahl­recht führt: Die­se Art von Un­ab­hän­gig­keit (die dann ins Kau­zi­ge um­schlägt) gibt es hier auf­grund von Par­tei- und Frak­ti­ons­zwän­gen gar nicht.

  32. Flugs mel­den sich die­je­ni­gen, die sa­gen, Frau Metz­ger ha­be ja nur auf­grund der In­fra­struk­tur der SPD ih­ren Sta­tus er­reicht – al­so ha­be sie auch mit der Mehr­heit ab­szu­stim­men. Das ist aber falsch und zu­dem auch noch to­ta­li­tär.

    In der Sa­che sind wir uns wohl weit­ge­hend ei­nig. Ich bin nur ge­gen ei­ne un­an­ge­mes­sen pau­scha­le Ver­wen­dung von Be­grif­fen wie »grund­ge­setz­wid­rig« und »to­ta­li­tär«. Das nutzt sich mit der Zeit ab.

    Es sind dann – um es ganz ein­fach zu ma­chen – nur noch Li­sten pau­schal zu wäh­len, die vor­her von den Par­tei­chefs aus­ge­tü­felt wer­den.

    Ja, das wä­re wie ge­schrie­ben mein Vor­schlag.

    In dem Be­richt gab es ei­nen Aus­schnitt ei­ner Fern­seh­dis­kus­si­on aus dem Jahr 1964, in dem Mor­se da­für plä­dier­te, dass die ame­ri­ka­ni­sche Au­ssen­po­li­tik ein­zig und al­lei­ne vom ame­ri­ka­ni­schen Volks zu be­stim­men sei und nicht von de­ren Re­prä­sen­ta­ten. Das ist ei­ne zu­ge­ge­be­ner­ma­ssen sehr exo­ti­sche Mei­nung. Aber ich glau­be, dass ein Fun­ken Wahr­heit dar­in liegt, der wie­der zum Mehr­heits­wahl­recht führt: Die­se Art von Un­ab­hän­gig­keit (die dann ins Kau­zi­ge um­schlägt) gibt es hier auf­grund von Par­tei- und Frak­ti­ons­zwän­gen gar nicht.

    Gra­de in der Au­ßen­po­li­tik ist der Kon­sens in der Be­völ­ke­rung am stärk­sten. In­so­fern se­he ich da das Pro­blem man­geln­der Um­set­zung des Wäh­ler­wil­lens noch am
    we­nig­sten. Zur Zeit des Viet­nam­krie­ges war das in den USA wohl an­ders.
    Ich bin wie ge­sagt ge­ne­rell skep­tisch bei Volks­ent­schei­den.

    Es wird ja in den Me­di­en im­mer be­klagt, dass wir in der Po­li­tik zu we­ni­ge »Ty­pen« a la Strauß und Weh­ner ha­ben. Aber letzt­lich ist es ge­nau die­se Me­di­en­dem
    okra­tie, die die Ty­pen schon im Früh­sta­di­um ver­schwin­den lässt (vgl. Kan­di­dat mit War­ze).

  33. Ich bin nur ge­gen ei­ne un­an­ge­mes­sen pau­scha­le Ver­wen­dung von Be­grif­fen wie »grund­ge­setz­wid­rig« und »to­ta­li­tär«. Das nutzt sich mit der Zeit ab.
    Ein­ver­stan­den. Ich auch. Aber wenn »Frak­ti­ons­zwang« als Tu­gend prä­sen­tiert wird – dann ist es grund­ge­setz­wid­rig (auch wenn die­ser Be­griff längst ab­ge­grif­fen er­scheint).

    Es wird ja in den Me­di­en im­mer be­klagt, dass wir in der Po­li­tik zu we­ni­ge »Ty­pen« a la Strauß und Weh­ner ha­ben. Aber letzt­lich ist es ge­nau die­se Me­di­en­de­mo­kra­tie, die die Ty­pen schon im Früh­sta­di­um ver­schwin­den lässt (vgl. Kan­di­dat mit War­ze).
    Na­ja, nicht ganz. Zu­nächst ein­mal be­nut­zen die Me­di­en die­se »Ty­pen« als Clow­ner­satz (Stich­wort in jüng­ster Zeit: Pau­li). Wenn die­se Leu­te dann mit die­ser me­dia­len Ver­ein­nah­mung nicht klar kom­men (oder gar glau­ben, mit ihr spie­len zu kön­nen – wie­der Pau­li und ih­re La­tex-Fo­tos), dann sind sie in den po­li­ti­schen Zir­keln plötz­lich dis­kre­di­tiert und wer­den weg­ge­mobbt oder en­den dann – der ul­ti­ma­ti­ve GAU – als Leit­ar­tik­ler bei der »Bild«-Zeitung (bspw. Gau­wei­ler).

  34. Ge­gen­ar­gu­men­te? Ich ha­be nur zwei.
    Nach­dem ich Ih­re ge­gen kurt wi­der­ste­hen­den Bei­trä­ge bei dem Blog von Ste­fan Nig­ge­mei­er doch schmerz­lich ver­miß­te, frag­te ich mich, wo Sie denn ab­ge­blie­ben sein könn­ten, und stieß so stö­bernd auf Ih­ren Ar­ti­kel hier. Ih­re Für­spra­che für ein Mehr­heits­wahl­recht ist fun­diert. So fun­diert, daß ich als bis­her ein­ge­fleisch­ter Geg­ner des sel­bi­gen zu­min­dest ins Grü­beln kom­me. Und ich stim­me Ih­nen zu, Ihr Ar­ti­kel hät­te bes­se­res ver­dient als die zum Teil schon recht schwach­sin­ni­gen Ti­ra­den ei­ni­ger Zeit-On­line-Le­ser ge­gen das Sy­stem und das Ka­pi­tal usw. von ir­gend­wel­chen »Drit­ter-Weg-Ideo­lo­gen«, de­ren Schwa­feln ich aus der Wen­de­zeit in der glück­li­cher­wei­se ver­gan­ge­nen DDR noch gut er­in­ne­re. Ich hof­fe, Sie se­hen es mir nach, daß ich nicht al­len bis in die letz­te (Un-)Tiefe ge­folgt bin.
    Mei­ne Ge­gen­ar­gu­men­te sind Fall­bei­spie­le, ein­mal ein zu­ge­ge­be­ner­ma­ßen eher theo­re­ti­sches, ein an­de­res mal ein sehr an­schau­lich prak­ti­sches.

    I. Das eher theo­re­ti­sche geht so: Wir den­ken uns in ei­nem fik­ti­ven Land mit Mehr­heits­wahl­recht 40 Wahl­krei­se, die, sei es durch Lob­by­is­mus, sei es durch die Un­er­fah­ren­heit der ho­no­ri­gen und über­par­tei­li­chen (ich mer­ke ge­ra­de, wie sehr mir die­ses Wort durch Sprin­ger in­zwi­schen ver­haßt ist) Mit­glie­der der »un­ab­hän­gi­gen Kom­mis­si­on«, un­glück­lich ge­schnit­ten wur­den, aber doch in Ih­rer je­wei­li­gen Be­völ­ke­rungs­zahl an­nä­hernd gleich stark sind. Wir un­ter­stel­len der Ein­fach­heit hal­ber, es gä­be in die­sem fik­ti­ven Land nur zwei Par­tei­en, näm­lich die X‑Partei und die Y‑Partei. Es kommt zur Wahl, und nach har­tem, aber fai­rem Wahl­kampf gibt es fol­gen­des Er­geb­nis:

    Par­tei X hat in 21 Wahl­krei­sen je­weils 51 Pro­zent der gül­ti­gen Stim­men auf sich ver­ei­nen kön­nen, in den üb­ri­gen 19 hat sie lei­der nur 0 Pro­zent er­reicht.
    Par­tei Y hat folg­lich in 19 Wahl­krei­sen je­weils 100 Pro­zent der gül­ti­gen Stim­men auf sich ver­ei­nen kön­nen, in den üb­ri­gen 21 hat sie lei­der nur 49 Pro­zent er­reicht.
    In dem sich dann kon­sti­tu­ie­ren­den Par­la­ment hat die X‑Partei ei­ne knap­pe (2 Man­da­te), aber aus­rei­chen­de Mehr­heit für die Re­gie­rungs­bil­dung (in die­ser Be­trach­tung blei­ben et­wa­ige, wie auch im­mer ge­ar­te­te Prä­si­di­al­de­mo­kra­tien der Ein­fach­heit we­gen au­ßen vor), denn schließ­lich hat sie die Mehr­heit in 52,5 Pro­zent al­ler Wahl­krei­se er­run­gen.

    Trotz­dem ist die schrei­en­de Un­ge­rech­tig­keit, die die­ses Bei­spiel zeigt, je­der­mann so­fort ein­sich­tig, denn trotz ih­rer Mehr­heit an Wahl­krei­sen hat die X‑Partei die Wahl ei­gent­lich deut­lich ver­lo­ren, schließ­lich hat die Y‑Partei rund 73,2 Pro­zent der gül­ti­gen Stim­men er­reicht, kann aber nicht re­gie­ren, statt­des­sen muß sie ge­gen ei­ne Re­gie­rung op­po­nie­ren, de­ren sie tra­gen­de Par­tei nur rund 26,8 Pro­zent er­reich­te.

    Zu­ge­ge­ben, das ist Theo­rie. Die sich aber auf Sze­na­ri­en her­un­ter­bre­chen läßt, die weit we­ni­ger theo­re­tisch an­mu­ten. Bei­spiels­wei­se ist ei­ne Be­völ­ke­rungs­ver­tei­lung denk­bar, bei der ei­ne wie auch im­mer pri­vi­le­gier­te Schicht, die nur 30 Pro­zent der Be­völ­ke­rung aus­zu­ma­chen bräuch­te (bei mehr als zwei Par­tei­en so­gar noch we­ni­ger), aber in mehr als 50 Pro­zent al­ler Wahl­krei­se die Mehr­heit stell­te, folg­lich im­mer ei­nen oder so­gar DEN ent­schei­den­den Ein­fluß auf die Re­gie­rungs­bil­dung hät­te. Dann bräuch­te man nur noch ein paar Wahl­ma­schi­nen, Stimm­zet­tel­ver­lie­rer oder äh... Stimm­zet­tel­nicht­aus­zäh­ler in Flo­ri­da.

    II. Wo­mit ich bei mei­nem zwei­ten, durch­aus prak­ti­schen Bei­spiel bin. Die ge­gen­wär­ti­ge ka­ta­stro­pha­le ame­ri­ka­ni­sche Au­ßen- aber auch In­nen­po­li­tik ist zum ei­nen na­tür­lich ei­nem ei­gent­lich längst über­hol­ten Prä­si­di­al­sy­stem ge­schul­det, zum an­de­ren aber auch nicht oh­ne Mehr­heits­wahl­recht denk­bar. Nur in ei­nem Mehr­heits­wahl­recht ist es mög­lich, daß ei­ne auch in ei­ni­gen Tei­len der USA recht star­ke Um­welt­be­we­gung so kon­se­quent oh­ne nen­nens­wer­ten po­li­ti­schen Ein­fluß bleibt, prak­tisch nie über­re­gio­nal wirk­sam wer­den kann, weil sie nie Man­da­te ge­winnt, so auch in­di­rekt nie­mals si­gni­fi­kant auf an­de­re Par­tei­en ein­wirkt und sich nie an Rea­li­tä­ten ab­ar­bei­ten muß. Die welt­wei­ten und we­nig­stens schwer­wie­gen­den Fol­gen sind hier­zu­lan­de ja be­kannt, ich ver­zich­te des­halb auf wei­ter­ge­hen­de Aus­füh­run­gen, als Bei­spie­le sei auf das be­reits er­wähn­te un­se­li­ge Trei­ben von Monsan­to und auf das (Nicht-)Verhalten der USA be­züg­lich des Kli­ma­wan­dels ver­wie­sen.

    Ich ha­be für die Be­he­bung der von Ih­nen be­schrie­be­nen und zu­recht kri­ti­sier­ten Sta­gna­ti­on in der po­li­ti­schen Sze­ne Deutsch­lands kei­ne Lö­sungs­vor­schlä­ge. Ich hal­te aber das Mehr­heits­wahl­recht auch für kei­nen.

    Hoch­ach­tungs­vol­le Grü­ße

    Pe­ter Vieh­rig

  35. Zu­nächst ein­mal vie­len Dank, dass Sie den Weg hier­her ge­fun­den und sich die Mü­he ge­macht ha­ben, mei­nen Es­say zu le­sen und zu kom­men­tie­ren (im­mer gern ge­se­hen!).

    Na­tür­lich sind die Ge­rech­tig­keits­ar­gu­men­te, die Sie an­füh­ren, voll­kom­men prä­sent. Man hört sie je­des Mal, wenn in Gross­bri­tan­ni­en Wah­len ge­we­sen sind und die Ver­hält­nis­se ir­gend­wie bei 54:46 ste­hen, aber die Sit­ze dann 70:30 zei­gen. Dass bei un­gün­sti­ge Si­tua­ti­on ei­ne Par­tei die Re­gie­rung über­neh­men kann, die nach­weis­lich nicht die Mehr­heit al­ler ab­ge­ge­be­nen, gül­ti­gen Stim­men be­kom­men hat, ist mög­lich. Aber die ket­ze­ri­sche Ge­gen­fra­ge zur FDP in der Bun­des­re­pu­blik müs­sen Sie sich ge­fal­len las­sen: Ist es »ge­recht«, dass ei­ne der­art klei­ne Par­tei wie die FDP (die nur in Aus­nah­me­fäl­len über 10% be­kam), ei­ne der­art gro­sse Do­mi­nanz in der Re­gie­rungs­bil­dung ge­spielt hat (und spielt)? Si­cher, zum Scha­den für Deutsch­land war das letzt­lich nicht, aber es ist ir­gend­wie ähn­lich un­be­frie­di­gend.

    Das Bei­spiel USA möch­te ich ei­gent­lich aus der Be­trach­tung her­aus­neh­men, denn es han­delt sich um ein Prä­si­di­al­sy­stem. Prä­si­di­al­sy­ste­me nei­gen na­tür­lich zur fast ab­so­lu­ti­sti­schen Mehr­heits­ver­wal­tung (ähn­li­ches gilt ja für Frank­reich). Ich glau­be da­her nicht, dass Ih­re ne­ga­ti­ve Be­wer­tung der po­li­ti­schen Kul­tur der USA auf das Wahl­rechts­sy­stem zu­rück­zu­füh­ren ist, son­dern mit dem Prä­si­di­al­sy­stem zu tun hat, wel­ches – ich sa­ge das jetzt mal et­was platt – für glo­ba­li­sier­te, mo­der­ne Ge­sell­schaf­ten nicht mehr zeit­ge­mäss ist.

    In der Dis­kus­si­on um mei­nen Bei­trag auf die­sem Blog hier ha­be ich ge­lernt, dass der Bun­des­rat ein we­sent­lich grö­sse­res Hin­der­nis für ein Mehr­heits­wahl­recht dar­stellt, als ich dach­te. Denn selbst wenn man ein Mehr­heits­wahl­recht auch in den Län­dern ein­führt, bleibt die Pro­ble­ma­tik, dass der Bun­des­rat (wie in­zwi­schen fast Usus) nicht al­lei­ne für die In­ter­es­sen der Län­der strei­tet, son­dern – in­di­rekt und di­rekt! – Bun­des­po­li­tik be­treibt, wo­zu er de­mo­kra­tisch nicht le­gi­ti­miert ist. Die­se »Blocka­de­hal­tung«, die zu ei­ner Ver­la­ge­rung der po­li­ti­schen Ent­schei­dungs­pro­zes­se in den Ver­mitt­lungs­aus­schuss füh­ren wür­de (ein Ver­fah­ren, was ur­sprüng­lich nur für Son­der­fäl­le vor­ge­se­hen war), wür­de sich un­ter Um­stän­den im Ver­gleich zu »Rot-Grün« ab 1999 noch ver­schär­fen, da der Bun­des­rat für die op­po­si­tio­nel­len Par­tei­en die ein­zi­ge Mög­lich­keit wä­re, Druck aus­zu­üben und Po­li­tik mit­zu­ge­stal­ten.


    Zum »Fall« des kurt auf Nig­ge­mei­ers Blog: Dis­kus­sio­nen mit ei­nem sol­chen Men­schen sind m. E. voll­kom­men ver­geu­de­te Zeit; sie sind un­mög­lich. Ich ha­be nur zwei­mal ge­ant­wor­tet, weil ich be­stimm­tes nicht un­wi­der­spro­chen ste­hen­las­sen woll­te. In Wirk­lich­keit macht das kei­nen Sinn. Er wird sich nie »über­zeu­gen« las­sen; die In­kon­se­quenz und Ver­all­ge­mei­ne­run­gen sei­ner »Ar­gu­men­ta­ti­on« sind ihm ver­mut­lich nicht be­wusst. Er ist durch­aus strin­gent, aber Strin­genz ist kein Be­leg für ei­ne ir­gend­wie ge­ar­te­te »Wahr­heit«. Er dürf­te auf mei­nem Blog ein, zwei­mal kom­men­tie­ren und sei­ne Mei­nung dar­le­gen; den Rest wür­de ich dann lö­schen, weil es nur Wie­der­ho­lun­gen sind (oder vor­her den Th­read schlie­ssen). Sei­ne Ein­ord­nung mei­ner zu­ge­ge­ben nicht be­son­ders ela­bo­rier­ten Äu­sse­run­gen als »ad ho­mi­nem« zeig­te ei­ne ge­wis­se Hilf­lo­sig­keit sei­ner­seits.

  36. Ge­gen­ar­gu­men­te? Es sind noch im­mer zwei.
    Vor­weg: Das Er­leb­nis, daß mein Ge­gen­über in ei­ne tie­fe Dis­kus­si­on über ein be­stimm­tes The­ma ein­steigt, den Wi­der­spruch so­gar wünscht, sich da­zu ad­äquat ver­hält, al­so sach­lich und ar­gu­men­ta­tiv gleich­wer­tig oder bes­ser re­agiert, in je­der sei­ner Er­wi­de­run­gen die Ach­tung des „Ge­sprächs­part­ners“ spü­ren läßt, ist heut­zu­ta­ge ein zu sel­te­nes und mir zu kost­ba­res, als daß ich das nicht sehr ge­nie­ßen wür­de. Al­so: Sehr gern ge­sche­hen!

    Und nun los:

    “Na­tür­lich sind die Ge­rech­tig­keits­ar­gu­men­te, die Sie an­füh­ren, voll­kom­men prä­sent. Man hört sie je­des Mal, wenn in Gross­bri­tan­ni­en Wah­len ge­we­sen sind und die Ver­hält­nis­se ir­gend­wie bei 54:46 ste­hen, aber die Sit­ze dann 70:30 zei­gen. Dass bei un­gün­sti­ge Si­tua­ti­on ei­ne Par­tei die Re­gie­rung über­neh­men kann, die nach­weis­lich nicht die Mehr­heit al­ler ab­ge­ge­be­nen, gül­ti­gen Stim­men be­kom­men hat, ist mög­lich.“

    Nun, mit der Tat­sa­che, daß beim Mehr­heits­wahl­recht ei­ne ab­so­lu­te Mehr­heit sich in ei­ner über­pro­por­tio­nal stär­ke­ren Mehr­heit der Sit­ze ei­nes Par­la­men­tes wi­der­spie­gel­te, könn­te ich noch gut le­ben, wo­bei ich ein­schrän­kend hin­zu­fü­ge, daß dann das Quo­rum für Än­de­run­gen am Grund­ge­setz an­ge­ho­ben wer­den müß­te. Auch da­mit, daß ei­ne re­la­ti­ve Mehr­heit al­ler ab­ge­ge­be­nen Stim­men aus­reich­te, um die ab­so­lu­te Mehr­heit in ei­nem Par­la­ment zu er­rin­gen, könn­te ich um­ge­hen. Das ist häu­fig durch die 5%-Hürde be­reits heu­te so.
    Doch dar­um ging es mir in mei­nem be­wußt über­zeich­ne­ten Bei­spiel ja eben nicht. Viel­mehr soll­te mein Bei­spiel il­lu­strie­ren, daß es beim Mehr­heits­wahl­recht sehr­wohl mög­lich ist, daß der ab­so­lu­te oder re­la­ti­ve Wahl­ver­lie­rer trotz­dem re­giert, der ab­so­lu­te (und erst recht der re­la­ti­ve) Wahl­ge­win­ner op­po­niert, da ein­zig die Zahl der ge­won­ne­nen Wahl­krei­se ent­schei­den wür­de. Das heißt, es kann die Kon­stel­la­ti­on ge­ben, daß, ob­wohl ei­ne Par­tei die ab­so­lu­te Mehr­heit al­ler ab­ge­ge­be­nen gül­ti­gen Stim­men er­reicht hat, sie trotz­dem nicht re­gie­ren kann. Ihr o.g. Bei­spiel wür­de al­so ab­ge­wan­delt so lau­ten: Pro­zen­te 54:46, Sit­ze aber 30:70! Das ist kein Zah­len­dre­her! Und da­mit könn­te ich nur schwer­lich le­ben, die Un­ge­rech­tig­keit schrei­te dann zum Him­mel. Das ist, wie er­wähnt, recht un­wahr­schein­lich, aber eben mög­lich. Und al­lein die­se Mög­lich­keit lädt förm­lich zu Trick­se­rei­en beim Zu­schnitt der Wahl­krei­se ein, so, daß statt 30:70 doch zu­min­dest 45:55 sehr viel wahr­schein­li­cher wä­ren. Das Ver­hält­nis­wahl­recht ist für ein sol­ches Phä­no­men prak­tisch un­an­fäl­lig, da fast nur die pro­zen­tua­le Stim­men­ver­tei­lung den Aus­schlag über die Sitz­ver­tei­lung gibt.

    “Aber die ket­ze­ri­sche Ge­gen­fra­ge zur FDP in der Bun­des­re­pu­blik müs­sen Sie sich ge­fal­len las­sen: Ist es »ge­recht«, dass ei­ne der­art klei­ne Par­tei wie die FDP (die nur in Aus­nah­me­fäl­len über 10% be­kam), ei­ne der­art gro­sse Do­mi­nanz in der Re­gie­rungs­bil­dung ge­spielt hat (und spielt)? Si­cher, zum Scha­den für Deutsch­land war das letzt­lich nicht, aber es ist ir­gend­wie ähn­lich un­be­frie­di­gend.“

    Als ich das er­ste mal die Ge­le­gen­heit und das Recht zu ei­ner ech­ten Wahl hat­te, war die Er­fah­rung von 1982 schon durch. Ich bin Jahr­gang 1970 und in der „DDR“ ge­bür­tig. In Leip­zig war mit et­was Ge­schick die ARD ter­re­strisch zu emp­fan­gen, und ich war schon früh­zei­tig po­li­tisch in­ter­es­siert. Mir blieb die für Sie of­fen­bar sehr schmerz­li­che Er­fah­rung der „gei­stig mo­ra­li­schen Wen­de“ er­spart, ich er­in­ne­re aber noch deut­lich ih­ren Nach­hall. Mein Ur­teil über die FDP ist wahr­schein­lich ähn­lich ver­nich­tend wie das Ih­re, wenn nicht schlim­mer. In mei­nen Au­gen hat die­se Par­tei ih­re Exi­stenz­be­rech­ti­gung längst ein­ge­büßt, spä­te­stens die Vor­komm­nis­se mit Möl­le­mann in NRW (man kann die­se wirk­lich nur als an­ti­se­mi­ti­sche Het­ze be­zeich­nen) und das zu­ge­hö­ri­ge Ver­sa­gen We­ster­wel­les im Jah­re 2002 soll­ten die letz­ten Zwei­fel am in­ne­ren Zu­stand der FDP be­sei­tigt ha­ben. Die 18, die die­ser Clown im Wahl­kampf 2002 so lei­den­schaft­lich an sei­nen Schu­hen im Fern­se­hen prä­sen­tier­te, wur­de in der ein­schlä­gi­gen Sze­ne, die mir aus dem Osten noch hin­läng­lich be­kannt ist, als AH, al­so Adolf Hit­ler, nach den Buch­sta­ben im Al­pha­bet in­ter­pre­tiert. So­weit ich weiß, war das auch ei­ne Idee Möl­le­manns und wahr­schein­lich kein Zu­fall. Die spär­li­chen Re­ste des ein­sti­gen Li­be­ra­lis­mus der Frei­de­mo­kra­ten fin­den sich in we­ni­gen, zu­se­hends ver­blas­sen­den Licht­ge­stal­ten als Klä­ger vor dem Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt. Als Be­son­der­heit bleibt nur, daß die drit­te Gar­de ei­ner „rech­ten“ CDU eben auch in Bay­ern an­tritt. Nun ja, die Bay­ern wäh­len dann doch lie­ber das Ori­gi­nal.

    Na­tür­lich ist es un­be­frie­di­gend, daß ei­ne Mehr­heit völ­lig jen­seits der Uni­on in Deutsch­land so un­wahr­schein­lich ist. Rot-Grün 1998 und 2002 war wahr­schein­lich auf sehr lan­ge Sicht ein ab­so­lu­ter Aus­nah­me­fall, 1998 be­dingt durch die Kohl-Über­sät­ti­gung und 2002 durch die kon­se­quen­te Hal­tung Schrö­ders zum sich ab­zeich­nen­den Irak-De­sa­ster. Sehr oft sitzt ein biß­chen CDU mit am Re­gie­rungs­tisch, ent­we­der wer­den Rot (oder Rot-Grün) die „klei­ne Uni­on“ da­bei ha­ben, oder CDU/CSU spre­chen qua­si mit Har­vey dem Ha­sen. Und ja, ir­gend­wie ist das un­ge­recht. Aber die Ähn­lich­keit die­ses Un­wohl­seins zum Un­wohl­sein beim obi­gen Sze­na­rio ei­ner Wahl nach dem Mehr­heits­wahl­recht wür­de ich dann doch be­strei­ten.

    Das Bei­spiel USA möch­te ich ei­gent­lich aus der Be­trach­tung her­aus­neh­men, denn es han­delt sich um ein Prä­si­di­al­sy­stem. Prä­si­di­al­sy­ste­me nei­gen na­tür­lich zur fast ab­so­lu­ti­sti­schen Mehr­heits­ver­wal­tung (ähn­li­ches gilt ja für Frank­reich). Ich glau­be da­her nicht, dass Ih­re ne­ga­ti­ve Be­wer­tung der po­li­ti­schen Kul­tur der USA auf das Wahl­rechts­sy­stem zu­rück­zu­füh­ren ist, son­dern mit dem Prä­si­di­al­sy­stem zu tun hat, wel­ches – ich sa­ge das jetzt mal et­was platt – für glo­ba­li­sier­te, mo­der­ne Ge­sell­schaf­ten nicht mehr zeit­ge­mäss ist.

    Mei­ne Ar­gu­men­ta­ti­on, daß sich neue po­li­ti­sche Strö­mun­gen (Grün dient hier­bei nur als Bei­spiel) beim Mehr­heits­wahl­recht nicht oder fast nicht ge­sell­schaft­lich wirk­sam ent­fal­ten kön­nen, ha­ben Sie in mei­nen Au­gen nicht wirk­lich wi­der­legt. Ihr Ver­weis dar­auf, daß die von mir an­ge­führ­ten USA ei­ne Prä­si­di­al­de­mo­kra­tie sind, reicht als Ent­kräf­tung des­sen nicht aus. Schließ­lich gibt es dort auch Wah­len zum Re­prä­sen­tan­ten­haus und zum Se­nat. Und auch das sind Wah­len nach dem Mehr­heits­wahl­recht. Un­ab­hän­gig von der ver­fas­sungs­mä­ßi­gen Stel­lung des Prä­si­den­ten müß­ten sich doch da­bei klei­ne­re Par­tei­en zu­min­dest manch­mal ge­gen die eta­blier­ten Par­tei­en durch­set­zen kön­nen, wenn man Ih­rer Ar­gu­men­ta­ti­on von der Schär­fung des Pro­fils der je­wei­li­gen Par­tei folgt. Die USA be­wei­sen ge­ra­de­zu, daß dies (lei­der!) nicht stimmt. Zwar ge­win­nen die­se an­de­ren Par­tei­en an Pro­fil, aber an­son­sten ver­lie­ren Sie mit schö­ner Re­gel­mä­ßig­keit. Be­sten­falls schafft es in sehr sel­te­nen Ein­zel­fäl­len mal ein Un­ab­hän­gi­ger.

    Die­se Star­re wird auch sehr an­schau­lich und nach­voll­zieh­bar, wenn man sich ei­nen kon­kre­ten Fall vor­stellt: Daß ein Kan­di­dat der Grü­nen die mei­sten Wäh­ler aus dem de­mo­kra­ti­schen Mi­lieu ge­win­nen müß­te, dürf­te un­strit­tig sein. Die er­ste Hür­de für die­sen Kan­di­da­ten ist ge­nau das. Den mei­sten de­mo­kra­ti­schen Wäh­lern ist na­tür­lich be­wußt, daß sie mit ei­ner Stim­me für den Kan­di­da­ten der Grü­nen, ei­nen Sieg des re­pu­bli­ka­ni­schen Kan­di­da­ten wahr­schein­li­cher ma­chen. An­statt al­so mit ih­rer Stim­me der neu­en po­li­ti­schen Strö­mung auch in der Le­gis­la­ti­ve Ge­wicht zu ver­lei­hen, er­rei­chen sie da­mit das ge­naue Ge­gen­teil, sie kon­ser­vie­ren noch mehr die al­te. Um das zu ver­mei­den, wäh­len sie not­ge­drun­gen wie­der de­mo­kra­tisch. Al­les bleibt wie bis­her. Auch ein de­mo­kra­ti­scher Kan­di­dat weiß das, er muß al­so kei­ne neu­en um­welt­po­li­ti­schen The­men auf­grei­fen, er weiß, am En­de wer­den die Wäh­ler die Krö­te (ihn) wäh­len, um das in ih­ren Au­gen noch grö­ße­re Übel (den Re­pu­bli­ka­ner) zu ver­hin­dern.

    So ver­hin­dert ein Wahl­recht (Ihr ge­prie­se­nes Mehr­heits­wahl­recht!) ge­sell­schaft­li­chen Fort­schritt und be­to­niert das Alt­her­ge­brach­te. Seit Jahr­zehn­ten wird von de­mo­kra­ti­schen Kan­di­da­ten ei­ne Kran­ken­ver­si­che­rung für al­le ver­spro­chen, seit Jahr­zehn­ten wird die­ses Ver­spre­chen fol­gen­los auch ge­bro­chen. Wenn der de­mo­kra­ti­sche Wäh­ler die­ses den De­mo­kra­ten zu übel nimmt, be­kommt er statt­des­sen die Re­pu­bli­ka­ner. Er kann sich die Ab­stra­fung al­so nicht lei­sten, denn dann wür­de es ja aus sei­ner Sicht nur noch schlim­mer.

    Ich be­haup­te, hät­ten die USA we­nig­stens teil­wei­se ein Ver­hält­nis­wahl­recht, gä­be es längst ei­ne zu­min­dest die ele­mar­sten Ri­si­ken ab­decken­de Kran­ken­ver­si­che­rung für al­le. Die Zei­ten, in de­nen ei­ne hoch­schwan­ge­re Frau aus ar­men Ver­hält­nis­sen das Plat­zen der Frucht­bla­se ab­war­ten muß, be­vor sie als Not­fall ko­sten­los den Rest der Ge­burt in ei­ner Kli­nik ver­brin­gen darf, wä­ren vor­bei. Ana­log ver­gleich­ba­res be­haup­te ich für das Waf­fen­recht und das Um­welt­recht.

    Wenn ich mir al­so das Er­geb­nis an­se­he, so ist die­se Star­re viel schlim­mer als die in Deutsch­land, im wahr­sten Sin­ne des Wor­tes ist die deut­sche Star­re für vie­le er­heb­lich ge­sün­der. Wo­mit ich kei­nes­wegs den Still­stand in Deutsch­land gut­hei­ße.

    “In der Dis­kus­si­on um mei­nen Bei­trag auf die­sem Blog hier ha­be ich ge­lernt, dass der Bun­des­rat ein we­sent­lich grö­sse­res Hin­der­nis für ein Mehr­heits­wahl­recht dar­stellt, als ich dach­te. Denn selbst wenn man ein Mehr­heits­wahl­recht auch in den Län­dern ein­führt, bleibt die Pro­ble­ma­tik, dass der Bun­des­rat (wie in­zwi­schen fast Usus) nicht al­lei­ne für die In­ter­es­sen der Län­der strei­tet, son­dern – in­di­rekt und di­rekt! – Bun­des­po­li­tik be­treibt, wo­zu er de­mo­kra­tisch nicht le­gi­ti­miert ist. Die­se »Blocka­de­hal­tung«, die zu ei­ner Ver­la­ge­rung der po­li­ti­schen Ent­schei­dungs­pro­zes­se in den Ver­mitt­lungs­aus­schuss füh­ren wür­de (ein Ver­fah­ren, was ur­sprüng­lich nur für Son­der­fäl­le vor­ge­se­hen war), wür­de sich un­ter Um­stän­den im Ver­gleich zu »Rot-Grün« ab 1999 noch ver­schär­fen, da der Bun­des­rat für die op­po­si­tio­nel­len Par­tei­en die ein­zi­ge Mög­lich­keit wä­re, Druck aus­zu­üben und Po­li­tik mit­zu­ge­stal­ten.“

    Dem schlie­ße ich mich (un­ter aus­drück­li­cher Aus­nah­me des Mehr­heits­wahl­rech­tes!) an. Ent­schie­den zu­viel fällt nach mei­ner Ein­schät­zung in die Ho­heit der Bun­des­län­der, sei es bei der Um­welt­po­li­tik, Bil­dung oder bei der in­ne­ren Si­cher­heit. Ich se­he nur ge­gen­wär­tig nicht, wie man die­sen Zu­stand be­he­ben könn­te. Oder viel­mehr: Wie kann man ei­ne Be­he­bung die­ser Star­re, ei­ne Ent­flech­tung der Kom­pe­ten­zen zwi­schen Bund und Län­dern auch po­li­tisch durch­set­zen? Ich weiß es nicht!

    Ich zi­tie­re mich nur un­gern, doch schließt sich da­mit der Kreis: „Ich ha­be für die Be­he­bung der von Ih­nen be­schrie­be­nen und zu recht kri­ti­sier­ten Sta­gna­ti­on in der po­li­ti­schen Sze­ne Deutsch­lands kei­ne Lö­sungs­vor­schlä­ge. Ich hal­te aber das Mehr­heits­wahl­recht auch für kei­nen.“

    Ab­schlie­ßend noch zu kurt: Ich weiß nicht, ob sie es ge­le­sen hat­ten, ich hat­te ihm at­te­stiert, daß ich sei­ner Ar­gu­men­ta­ti­on durch­aus Schlüs­sig­keit zu­bil­li­ge, auch wenn ich sie häu­fig nicht tei­le. Mich är­gert es schon, daß ich kei­nen wirk­li­chen An­satz­punkt ge­fun­den ha­be, sei­ne Lo­gik auf­zu­bre­chen, um ihn zu „knacken“. Und ich hat­te des­halb im Stil­len et­was auf Sie ge­hofft.

    Hoch­ach­tungs­vol­le Grü­ße

    Pe­ter Vieh­rig

    PS: Wie ver­läßt man hier den an­ony­men Sta­tus? Ich ver­zich­te auf ein Pseud­onym, mei­nen Na­men darf je­der wis­sen.

  37. Ent­geg­nun­gen
    I. Mehrheit/Minderheit
    Ihr Bei­spiel ist ex­trem und Sie ha­ben Recht, ich bin nicht de­tail­liert dar­auf ein­ge­gan­gen, was zum Teil mit der wirk­lich sehr gro­ssen Ex­tra­va­genz die­ses Bei­spiels zu tun hat. Ei­ne Par­tei er­hält 0% – die an­de­re 100% – da­für in an­de­ren Wahl­krei­sen 51:49. Zwei­fel­los: Das wä­re dann un­ge­recht. Aber es wä­re nur un­ge­recht, wenn man als ge­recht de­fi­nie­ren wür­de, dass die Mehr­heit ALLER Stim­men zäh­len sol­len. Dann ha­ben Sie zum Teil jetzt schon un­ge­rech­te Ver­hält­nis­se. Von Ko­ali­tio­nen, die sich in bzw. nach Ver­hält­nis­wah­len bil­den, erst gar nicht zu re­den.

    Ist die Ko­ali­ti­on in Ham­burg (Schwarz-Grün) de­mo­kra­tisch le­gi­ti­miert? Wohl ge­merkt: Als Ko­ali­ti­on! Sie ist es nicht! Sie ist zu Stan­de ge­kom­men, weil die Sum­me der Sit­ze der bei­den Par­tei­en ei­ne ab­so­lu­te Mehr­heit im Par­la­ment (Se­nat) er­ge­ben. We­der die Ko­ali­ti­on an sich noch die Ver­ein­ba­rung, die die­se Ko­ali­ti­on ge­trof­fen hat, ist de­mo­kra­tisch di­rekt le­gi­ti­miert.

    Um­ge­kehrt wä­re ei­ne Rot-Grün-Ro­te Ko­ali­ti­on un­ter voll­kom­me­nem Igno­rie­ren der stärk­sten Par­tei auch mög­lich ge­we­sen (min­de­stens theo­re­tisch). Hier ist es of­fen­sicht­lich: Die Par­tei, die die Mehr­heit der Stim­men be­kom­men hat, wä­re nicht an der Re­gie­rung be­tei­ligt. Aber auch die­se Drei­er­ko­ali­ti­on wä­re per se nicht de­mo­kra­tisch le­gi­ti­miert, da die Wäh­ler nicht un­e­dingt vor­aus­ah­nen konn­ten, dass die­se Ko­ali­ti­on ge­schmie­det wird.

    Am Ran­de: Ich ha­be ge­stern das Ge­spräch zwi­schen San­dra Maisch­ber­ger und Hel­mut Schmidt ge­se­hen. Schmidt phi­lo­so­phier­te kurz dar­über, dass das Par­la­ment beim der­zei­ti­gen Wahl­recht theo­re­tisch aus 19 Par­tei­en be­stehen könn­te – wenn al­le 5,1% der Stim­men be­kä­men. Das ist zwei­fel­los rich­tig, aber auch das wä­re kein di­rek­tes Ar­gu­ment ge­gen ein Ver­hält­nis­wahl­recht (das sah Schmidt ge­nau so).

    II. FDP
    Die FDP sehr ich un­ab­hän­gig von ih­rer da­ma­li­gen oder jet­zi­gen Po­si­tio­nie­rung. Ich bin – das muss ich ge­ste­hen – ein sehr gro­sser An­hän­ger der so­zi­al-li­be­ra­len Ko­ali­ti­on ge­we­sen. Die FDP hat da m. E. Gro­sses ge­lei­stet (üb­ri­gens, weil 1969 die stärk­ste Par­tei – die CDU – durch die Ko­ali­ti­on mit der zwei­stärk­sten und der mit Ab­stand dritt­stärk­sten Par­tei zu­sam­men­ging). Die »Wen­de« 1982 emp­fand ich als zu­tiefst be­schä­mend – für die gan­ze De­mo­kra­tie in Deutsch­land. Zu­mal die FDP 1980 um »Leih­stim­men« aus dem SPD-La­ger buhl­te und da­durch 10,6% be­kam.

    III. USA
    Mei­ne The­se, war­um die Grü­nen in den USA kein Bein auf die Er­de be­kom­men: Weil die gro­sse Mehr­heit der Ame­ri­ka­ner mit »grü­nen The­men« nichts an­zu­fan­gen weiss. In­so­fern spie­gelt dies – wie üb­ri­gens in Gren­zen auch die Pflicht zur Kran­ken­ver­si­che­rung – ent­schei­den­de kul­tur-po­li­ti­sche Dif­fe­ren­zen zwi­schen den USA und Eu­ro­pa wi­der. In den Staa­ten legt man mehr Wert auf Frei­wil­lig­keit und ist eher ge­gen zu­viel Be­vor­mun­dung (auch, wenn es zum ei­ge­nen Vor­teil sein könn­te). War­um die Clin­tons 1993 mit ei­ner Pflicht­kran­ken­ver­si­che­rung ge­schei­tert sind, weiss ich al­ler­dings bis heu­te nicht. Au­sser, dass sie – viel­leicht?- der Lob­by der Ver­si­che­rungs­in­du­strie nach­ge­ge­ben ha­ben (war­um?) Auch das ist aber kein pri­mä­res Pro­blem des Wahl­rechts son­dern eher des manch­mal fast schwei­ze­risch an­mu­ten­den Kon­kor­d­anz­sy­stems in den USA.

    IV. Bun­des­rat
    Die Lö­sung könn­te nur in ei­ner ein­schnei­den­den Be­schrän­kung der Rech­te des Bun­des­rats lie­gen, was na­tür­lich die Mi­ni­ster­prä­si­den­ten (»Pro­vinz­für­sten« könn­te man de­spek­tier­lich sa­gen) nicht so ger­ne se­hen und da­her kei­ne Chan­ce hat. Ich bin zwar ge­gen ei­nen zen­tra­li­sti­schen Staat, wie dies bspw. in Frank­reich ge­hand­habt wird, aber das es­sen­ti­el­le Din­ge wie Schul­po­li­tik nicht zen­tral ge­ma­nagt wird, hal­te ich für falsch.

    Ge­ne­rell: Ich se­he sehr wohl die Schwach­punk­te, ein re­la­ti­ves Mehr­heits­wahl­recht zu im­ple­men­tie­ren. Viel­leicht soll­te man mit dem Stroh­mei­er-Mo­dell ar­bei­ten. Der Haupt­grund, dass ich vom Prin­zip her dar­an fest­hal­te, liegt dar­in, dass die po­li­ti­schen Par­tei­en durch ihr im­pe­ra­ti­ves Man­dat zu sehr die Un­ab­hän­gig­keit des Ab­ge­ord­ne­ten kon­trol­lie­ren wol­len. Es ist im Lau­fe der Dis­kus­si­on ar­gu­men­tiert wor­den, dass dann die Ge­fahr des im­pe­ra­ti­ven Man­dats durch den Wäh­ler auf­kom­men könn­te. Das se­he ich aber nicht bzw. nicht mehr als jetzt, wo sich der Ab­ge­ord­ne­te auch fra­gen las­sen muss, was er »für den Wahl­kreis« ge­lei­stet hat. Im Ide­al­fall könn­ten sich doch durch­aus zwei SPD- oder CDU-Kan­di­da­ten zur Wahl stel­len (ne­ben den an­de­ren Kan­di­da­ten). Was wä­re dar­an schlimm?

    Ziel soll­te es sein, die Ver­ant­wor­tung für Ent­schei­dun­gen wie­der auf die Ab­ge­ord­ne­ten zu über­tra­gen und nicht auf ir­gend­wel­che Par­tei­gre­mi­en, die das in Hin­ter­zim­mer ver­han­deln.


    »an­onym« be­deu­tet hier: Sie sind nicht bei »two­day« an­ge­mel­det. Wenn Sie das tun, ver­schwin­det das »an­onym«.

  38. Ohio ist über­all
    Ist die Ko­ali­ti­on in Ham­burg (Schwarz-Grün) de­mo­kra­tisch le­gi­ti­miert? Wohl ge­merkt: Als Ko­ali­ti­on! Sie ist es nicht! Sie ist zu Stan­de ge­kom­men, weil die Sum­me der Sit­ze der bei­den Par­tei­en ei­ne ab­so­lu­te Mehr­heit im Par­la­ment (Se­nat) er­ge­ben. We­der die Ko­ali­ti­on an sich noch die Ver­ein­ba­rung, die die­se Ko­ali­ti­on ge­trof­fen hat, ist de­mo­kra­tisch di­rekt le­gi­ti­miert.

    Man kann aber auch an­ders ar­gu­men­tie­ren. Das un­ge­schrie­be­ne Ge­setz, dass die stärk­ste Par­tei als er­stes ver­sucht ei­ne Re­gie­rung zu bil­den, hal­te ich für völ­lig le­gi­tim. Wenn ei­ne klei­ne Par­tei ei­ner gro­ßen Par­tei an die Macht ver­hilft, wer­den ja nicht die The­men der klei­ne Par­tei Re­gie­rungs­pro­gramm. Die Grü­nen (oder auch FDP) konn­ten et­was durch­set­zen, muss­ten Krö­ten schlucken. So ge­se­hen spie­gelt die Re­gie­rungs­bil­dung die Wahl ganz gut, zu­min­dest bes­ser als ei­ne Al­lein­re­gie­rung. Noch le­gi­ti­mier­ter wä­re nur die un­ge­lieb­te gro­ße Ko­ali­ti­on.

    Ich hat­te es ja schon­mal an­ge­spro­chen. Wenn das Spek­trum der Par­tei­en durch das Mehr­heits­wahl­recht en­ger wird, tritt die Mei­nungs­viel­falt in­ner­halb der Par­tei­en stär­ker auf und wird dort in den von dir so un­ge­lieb­ten Hin­ter­zim­mern ver­han­delt. Da ist es mir schon lie­ber, wenn der Markt­platz die Wahl ist, nicht der Par­tei­tag.

    Aber ei­gent­lich woll­te ich noch ein an­de­res, bis­her nicht an­ge­spro­che­nes Pro­blem er­wäh­nen. War­um soll­te man da­von aus­ge­hen, dass in Deutsch­land das Pro­blem der Swing Sta­tes (wie z.b. Ohio) nicht auf­tritt? Wahl­kampf wird nur noch in den knap­pen Wahl­krei­sen ge­macht, die Hoch­bur­gen wer­den ver­nach­läs­sigt. Den feh­len­den Wahl­kampf könn­te man ja ver­schmer­zen, aber der Bau der le­gen­dä­ren Mehr­zweck­hal­le in dem wan­kel­mü­ti­gen Wahl­kreis als Wahl­ge­schenk wä­re eben­so so un­ge­recht wie schwer zu ver­hin­dern.

  39. @Peter
    Das un­ge­schrie­be­ne Ge­setz, dass die stärk­ste Par­tei als er­stes ver­sucht ei­ne Re­gie­rung zu bil­den, hal­te ich für völ­lig le­gi­tim.
    Ich auch. Ich sprach aber auch nicht von der Il­le­gi­ti­mi­tät der Ko­ali­ti­on, son­dern von ih­rer man­geln­den di­rek­ten de­mo­kra­ti­schen Le­gi­ti­ma­ti­on. Viel­leicht hät­ten et­li­che Ham­bur­ger Grü­nen oder CDU-Wäh­ler den Ko­ali­ti­ons­ver­trag ab­ge­lehnt (im­mer­hin wur­de er ja den je­wei­li­gen De­li­gier­ten vor­ge­legt, was ei­ne in­di­rek­te Le­gi­ti­ma­ti­on schafft).

    Wahl­kampf wird nur noch in den knap­pen Wahl­krei­sen ge­macht, die Hoch­bur­gen wer­den ver­nach­läs­sigt. Den feh­len­den Wahl­kampf könn­te man ja ver­schmer­zen, aber der Bau der le­gen­dä­ren Mehr­zweck­hal­le in dem wan­kel­mü­ti­gen Wahl­kreis als Wahl­ge­schenk wä­re eben­so so un­ge­recht wie schwer zu ver­hin­dern.
    Das ist ja jetzt nicht un­be­dingt an­ders. Hoch­bur­gen in Bay­ern oder – frü­her zu­min­dest – NRW ha­ben ei­nen an­de­ren Wahl­kampf als bspw. dort, wo Kan­di­ta­ten um den Di­rekt­ein­tritt kämp­fen, weil sie ent­we­der li­sten­mä­ssig nicht oder nur schlecht »ab­ge­si­chert« sind.

    Die Mehr­zweck­hal­len hat da al­les nicht auf­hal­ten kön­nen...

  40. Mehr Mehr­zweck­hal­len
    Ich auch. Ich sprach aber auch nicht von der Il­le­gi­ti­mi­tät der Ko­ali­ti­on, son­dern von ih­rer man­geln­den di­rek­ten de­mo­kra­ti­schen Le­gi­ti­ma­ti­on. Viel­leicht hät­ten et­li­che Ham­bur­ger Grü­nen oder CDU-Wäh­ler den Ko­ali­ti­ons­ver­trag ab­ge­lehnt (im­mer­hin wur­de er ja den je­wei­li­gen De­li­gier­ten vor­ge­legt, was ei­ne in­di­rek­te Le­gi­ti­ma­ti­on schafft).

    Da nicht über al­le Per­mu­ta­tio­nen der Par­tei­en ab­ge­stimmt wer­den kann, ist die Ko­ali­ti­on na­tür­lich kein di­rek­tes Ab­bild des Wäh­ler­wil­lens (wie so oft und so dümmm­lich be­haup­tet). Aber le­gi­ti­mier­ter als die Bil­dung ei­ner ab­so­lu­ten Mehr­heit durch ei­nen Re­chen­trick er­scheint es mir schon. Die Wen­de scheint tat­säch­lich sehr trau­ma­tisch ge­we­sen zu sein.

    Das ist ja jetzt nicht un­be­dingt an­ders. Hoch­bur­gen in Bay­ern oder – frü­her zu­min­dest – NRW ha­ben ei­nen an­de­ren Wahl­kampf als bspw. dort, wo Kan­di­ta­ten um den Di­rekt­ein­tritt kämp­fen, weil sie ent­we­der li­sten­mä­ssig nicht oder nur schlecht »ab­ge­si­chert« sind.

    Das stimmt glau­be ich so nicht. Knap­pe Wahl­krei­se sind im Mehr­heits­wahl­recht von ele­men­ta­rer Be­deu­tung für die gan­ze Par­tei, im Ver­hält­nis­wahl­recht nur für den spe­zi­el­len Kan­di­da­ten. Im er­sten Fall wird die gan­ze Par­tei, und da­mit die ge­sam­te Men­ge an Geld und Ein­fluss, be­müht sein, die wacke­li­gen Wahl­krei­se zu ge­win­nen. Im zwei­ten Fall ist es, au­ßer für den spe­zi­el­len Kan­di­da­ten, egal in wel­chem Wahl­kreis ein mög­li­cher Zu­wachs er­folgt. Da­mit wird es nicht pas­sie­ren, dass ei­ne länd­li­che CDU-Hoch­burg seit 20 Jah­ren auf sei­ne Mehr­zweck­hal­le war­tet, wäh­rend in dem knap­pen ur­ba­nen Wahl­kreis sämt­li­che Wahl­ge­schen­ke ver­teilt wer­den. Das Pro­blem der Über­hangs­man­da­te las­se ich jetzt mal au­ßen vor.