»Ich wür­de auch Adolf Hit­ler in­ter­view­en«

Der Jour­na­list, Bio­graph und Re­por­ter Mal­te Her­wig hat­te Ra­do­van Ka­ra­džić, der als ei­ner der Draht­zie­her des Mas­sa­kers von Sre­bre­ni­ca gilt, des größ­ten Kriegs­ver­bre­chens in Eu­ro­pa nach dem Zwei­ten Welt­krieg, im Ge­fäng­nis in Sche­ven­in­gen be­sucht und in ei­ner ein­drucks­vol­len Re­por­ta­ge da­von im letz­ten »SZ-Ma­ga­zin« zu­sam­men mit Ro­nen Stein­ke be­rich­tet.1 Mal­te Her­wig war so freund­lich, ei­ni­ge Fra­gen hier­zu be­ant­wor­ten.2

Be­gleit­schrei­ben: Sie ha­ben Ra­do­van Ka­ra­džić be­sucht und ge­spro­chen. Konn­ten Sie im­mer wäh­rend des Ge­sprächs von den ihm zur Last ge­leg­ten Ta­ten ab­stra­hie­ren?

Mal­te Her­wig: Ja, ein sach­li­cher Zu­gang ist die ein­zi­ge Ge­sprächs­ba­sis für ein gu­tes In­ter­view. Ich wür­de auch Adolf Hit­ler in­ter­view­en – vor­aus­ge­setzt er ist ge­stän­dig. Es ist doch fei­ge und un­ehr­lich ge­gen­über dem Pu­bli­kum, wenn man sich em­pört und Fra­gen stellt im Duk­tus von: »Sie sind ein bö­ser Mensch, was sa­gen Sie da­zu?«. Ich ha­be Mör­der, Gei­stes­kran­ke und Ras­si­sten in­ter­viewt. Aber der In­ter­view­er ist kein Rich­ter. Mich in­ter­es­siert nicht, ob mei­ne Ge­sprächs­part­ner gu­te oder schlech­te Men­schen sind, son­dern was sie zu ih­ren Ta­ten an­ge­trie­ben hat.

»…vor­aus­ge­setzt er ist ge­stän­dig«? Wie mei­nen Sie das?

»Ge­stän­dig« be­zieht sich auf die Ge­schäfts­grund­la­ge des Ge­sprächs: er muß re­den und die Wahr­heit sa­gen wol­len. Sonst hat es kei­nen Sinn.

Sie schrei­ben, das Tri­bu­nal sei sel­ber ei­ne Büh­ne. Das hat ja Pe­ter Hand­ke, über den Sie ei­ne kennt­nis­rei­che Bio­gra­phie ge­schrie­ben ha­ben, im Fall von Mi­loše­vić auch ge­sagt und das hef­tig kri­ti­siert. Sei­ne The­se war – ver­kürzt ge­sagt -, dass ge­ra­de die­ser Pro­zess (nicht die an­de­ren IC­TY-Ver­fah­ren) durch die me­dia­le Auf­merk­sam­keit nicht oder kaum der Wahr­heits­fin­dung die­nen wür­de, weil für Mi­loše­vić prak­tisch schon das Ur­teil fest­ste­he und An­klä­ger und Rich­ter zu Me­di­en­stars ge­wor­den sei­en. Wenn ich Ih­re Re­por­ta­ge le­se, so nutzt Ka­ra­džić, al­so der An­ge­klag­te, das Tri­bu­nal als Büh­ne. Ist das nicht ei­ne Um­keh­rung zum Mi­loše­vić-Pro­zess?

Der Ka­ra­džić-Pro­zess ist in man­cher Hin­sicht noch be­deu­ten­der als der ge­gen Mi­loše­vić, weil Ka­ra­džić als Prä­si­dent der Re­pu­bli­ka Srps­ka viel nä­her an den Er­eig­nis­sen dran war als Mi­loše­vić in Bel­grad. Aber in die­sem Fall sind we­der An­klä­ger noch Rich­ter »Me­di­en­stars«. Wenn über­haupt, hat Ka­ra­džić die Haupt­rol­le über­nom­men – und die Rich­ter las­sen ihn ma­chen, et­wa wenn er Zeu­gen der An­kla­ge ins Kreuz­ver­hör nimmt. Er ver­hielt sich mit­un­ter, als lei­te er noch im­mer ei­ne Mi­ni­ster­rats­sit­zung in Pa­le. Man merkt ihm den Psych­ia­ter und Men­schen­ken­ner an – ich sa­ge das oh­ne Be­wun­de­rung, aber so ein Mensch hat es nicht um­sonst ge­schafft, sich zum Füh­rer der bos­ni­schen Ser­ben auf­zu­schwin­gen. Des­halb ist es wich­tig, dass er für die un­ter sei­ner Herr­schaft ver­üb­ten Ta­ten Re­chen­schaft ab­le­gen muss.

Was ich merk­wür­dig fin­de ist, dass der Ka­ra­džić-Pro­zess in den west­li­chen Me­di­en kaum noch Auf­merk­sam­keit fin­det. Wor­an liegt das Ih­rer Mei­nung nach?

Weil täg­lich ei­ne neue Sau durchs Dorf ge­hetzt wird. Wir ha­ben heu­te ei­nen Event­jour­na­lis­mus, der nur noch an­lass­ge­trie­ben ist: Zur Pro­zess­eröff­nung kom­men al­le und mel­den: der Pro­zess ist er­öff­net! Bei der Ur­teils­ver­kün­dung das glei­che Spiel. Aber wer macht sich schon noch die Mü­he und setzt sich stun­den- und ta­ge­lang in so ei­nen Pro­zess? Ich ha­be kei­ne Kol­le­gen ge­se­hen. Da­bei ist das der wich­tig­ste Kriegs­ver­bre­cher­pro­zess auf eu­ro­päi­schem Bo­den seit Nürn­berg. Man muss sich ganz in das Ge­sche­hen im Ge­richts­saal ver­sen­ken, um ein Ge­spür für die Men­schen und Mo­ti­ve zu be­kom­men und, ja, viel­leicht so et­was wie ein Körn­chen Wahr­heit zu fin­den. Aber das ko­stet Mü­he und Zeit.

Ein biss­chen hat­te ich nach der Lek­tü­re Ih­rer Re­por­ta­ge den Ge­dan­ken, Ka­ra­džić sieht das Ver­fah­ren ge­gen ihn als ei­ne Art Sport. Was ist Ihr Ein­druck: Hält er sich tat­säch­lich für un­schul­dig oder ver­drängt er dies mit sei­nen Ak­ti­vi­tä­ten wo­mög­lich nur?

Ich hat­te nicht den Ein­druck, dass Ka­ra­džić et­was ver­drängt. Als ich ihn frag­te, ob er froh sei, sich nicht mehr als bär­ti­ger Wun­der­hei­ler ver­klei­den und im Un­ter­grund le­ben zu müs­sen, hat er ge­sagt: »Das ist mir egal. Ich weiß, wer ich bin, in wel­cher Si­tua­ti­on auch im­mer ich mich be­fin­de«. Das lässt auf ei­ne ziem­lich ge­fe­stig­te Per­sön­lich­keit schlie­ßen, die Zwei­fel gar nicht an sich her­an­kom­men läßt. Er hat mir au­ßer­dem be­rich­tet, dass er im Un­ter­grund Kin­der­ge­dich­te, ei­nen Ro­man und ei­ne Sa­ti­re über die UNO-Ver­wal­tung in Bos­ni­en-Her­ze­go­wi­na ge­schrie­ben hat. Klingt nicht da­nach, als hät­te er sich in sei­nem Ver­steck mit dü­ste­ren Ge­dan­ken tra­gen müs­sen.

Sie schrei­ben von den Fi­nanz­nö­ten und »Auf­lö­sungs­er­schei­nun­gen« des Tri­bu­nals. Was, wenn Ka­ra­džić nach ei­nem Schuld­spruch in Re­vi­si­on oder Be­ru­fung ge­hen wür­de? Könn­te es sein, dass das feh­len­de Geld dann Pro­ble­me – auch für das Ver­fah­ren ge­gen Mla­dić – ver­ur­sa­chen könn­te?

Die wer­den den Pro­zess mit Ach und Krach zu En­de füh­ren, und das ist gut so. Das Be­stür­zen­de ist ja nicht, dass ein An­ge­klag­ter wie Ka­ra­džić den Pro­zess als Büh­ne miß­braucht. Das muß man bis zu ei­nem Ge­wis­sen Punkt eben aus­hal­ten, wenn man an den Rechts­staat glaubt. Der wirk­li­che Skan­dal ist die man­geln­de Un­ter­stüt­zung sol­cher in­ter­na­tio­na­len Ge­rich­te durch die UN-Mit­glieds­staa­ten. Es fehlt an Geld, es fehlt an dem po­li­ti­schen Wil­len. Auch die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land kommt ih­ren Ver­pflich­tun­gen nicht ge­nü­gend nach und hat tak­tiert und ver­zö­gert, et­wa wenn es um Zeugen­aussagen deut­scher BND-Be­am­ter vor dem Tri­bu­nal ging. Vie­les deu­tet dar­auf hin, dass mit Hil­fe west­li­cher Ge­heim­dien­ste wäh­rend des Jugo­slawienkriegs Waf­fen auf den Bal­kan ge­schmug­gelt wur­den. Aber da­mit be­fasst sich das Tri­bu­nal nicht. Wenn wir kei­ne Sie­ger­ju­stiz wol­len, dür­fen wir nie ver­ges­sen, dass es auch bei uns blin­de Flecken gibt.


Hier der Link zur Web­sei­te von Mal­te Her­wig: Pu­bli­corum. Von Mal­te Her­wig zu­letzt er­schie­nen: »Die Flak­hel­fer«; »Mei­ster der Däm­me­rung – Pe­ter Hand­ke. Ei­ne Bio­gra­phie«. Bei­de bei DVA.



  1. "Gesichter des Todes" - "Süddeutsche Zeitung Magazin" Nr. 19, 9. Mai 2014, S. 12-18 

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