René Pfister ist seit fast zwanzig Jahren in unterschiedlichen Funktionen beim Nachrichtenmagazin Der Spiegel tätig. 2019 geht er für das Magazin in die USA. Donald Trump war Präsident und der Wahlkampf hatte bereits begonnen. Er kam mit seiner Familie nach Chevy Chase, einem, wie es heißt, liberalen Stadtteil Washingtons. Hier wird die Regenbogenfahne gehisst und man geniert sich für Trump. Aber rasch bekommt dieses paradiesische Bild Risse, etwa wenn ihm jemand erzählt, dass sein Sohn in der Schule Probleme bekommt, weil er nichts dabei findet, dass Weiße Dreadlocks tragen. Pfister erkennt, dass die Fassade von Furcht durchsetzt ist. Es ist die Furcht, etwas Falsches zu denken und zu sagen. Denn sofort droht die soziale Ausgrenzung – und eventuell Schlimmeres.
In den letzten Jahren häufen sich in den so freiheitlich gebenden Vereinigten Staaten die »Fälle«, in denen vermeintlich unbedachte Aussagen zu weitreichenden Folgen führen. Pfister bündelt einige dieser Ereignisse in seinem Buch »Ein Wort zuviel«. Es ist, so der Anspruch, ein »Report« »wie eine neue linke Ideologie aus Amerika unsere Meinungsfreiheit bedroht«.
Die Kapitel des Buches sind Reportagen, die miteinander verknüpft werden. Da wird Ian Buruma besucht, der wegen des Protestes über die Veröffentlichung eines Textes von Jian Ghomeshi, der zu Unrecht sexueller Übergriffe angeklagt war, seinen Chefredakteursposten bei der New York Review of Books aufgab. Der Geophysiker Dorian Abbot schildert seine Ausladung als Redner beim MIT, weil er in einem Text Qualität über »Diversität« stellt. Pfister analysiert die neue »Campus Culture«, bei der Redner beschimpft und gestört werden, wenn man es nicht geschafft hat, sie auszuladen und ihre Beiträge damit zu verunmöglichen.
Ausgiebig stellt Pfister die »Critical Race Theory« vor, die »inzwischen in viele akademische Disziplinen eingedrungen ist«. Sie stellt, wie die beiden Juristen Richard Delgado und Jean Stefancic 2017 festgestellt hatten, die »liberale Ordnung ganz grundsätzlich infrage – inklusive des Gleichheitsgrundsatzes, des Abwägens rechtlicher Argumente, des Rationalismus der Aufklärung und des Prinzips, wonach jeder vor der Verfassung gleich ist.«
Beleuchtet werden die Lehren der »Antirassismus-Autorin Robin DiAngelo« wonach jeder Weiße Rassist ist und deren »priesterliche Unerbittlichkeit, die selbst dem reuigen Sünder keine Erlösung verspricht, sondern nur den dornenreichen Weg der permanenten Selbstanklage.« Natürlich darf auch der Historiker Ibram X. Kendi nicht fehlen, der 2020 »eine kleine Fibel mit dem Titel ‘Be Anti-Racist’ « herausbrachte, ein, wie Pfister schreibt, »Leitfaden zur Gewissenserforschung, wie man ihn auch in der katholischen Kirche finden könnte.« Kendi vertritt einen positiven Rassismus, der nahelegt »privilegierte Gruppen« zu diskriminieren, wobei natürlich er bestimmt, wer das ist und wie dies zu geschehen hat. In der Fülle wirken diese Protagonisten wie Sektenprediger.
Neben den Universitäten beschäftigt sich Pfister mit den amerikanischen Medien und zwar bevorzugt jenen, die einst für Meinungsfreiheit und Vielfalt standen. Musterbeispiele sind hier die »Sünden« von James Bennett 2020 und Donald McNeil Jr. 2021, zwei (ehemalige) Edelfedern der New York Times. Bennett ließ auf seiner Meinungsseite einen konservativen Republikaner zu Wort kommen. McNeil hatte eine »unsensible Äußerung« in einer Diskussion über Rassismus mit Schülern gemacht und in diesem Zusammenhang das »N‑Wort« zitiert. Daraufhin wurde McNeil mit einer Abmahnung bedacht. Als ein Onlineportal zwei Jahre später darüber berichtete, meldeten sich 150 Redakteure aus dem »Newsroom«, die Konsequenzen forderten. In beiden Fällen widerstand der damalige Chefredakteur Dean Baquet dem Druck der Minderheit der Redakteure, die über die sozialen Medien Widerstände orchestrierten, nicht. Beide demissionierten (um einer Entlassung zuvorzukommen).
Bei der Aufzählung der diversen Einzelfälle (!) fällt auf, dass im Endstadium des Empörungsstromes fast immer die Selbstgeißelung des Sünders steht, die an die kulturrevolutionären Umtriebe aus dem China der 1960er und 1970er Jahre erinnert. Obwohl das Urteil des Mobs längst feststeht, erniedrigen sich die Protagonisten und kriechen in eine perverse Reuehaltung. Warum dies geschieht, bleibt ein Geheimnis. Noch mysteriöser ist das fehlende Rückgrat von Vorgesetzten und Unternehmensleitern, die sich einer amorphen Minderheit, die Argumente mit Lautstärke verwechselt, willig hingibt.
Die meisten der geschilderten Fälle sind dem Leser mindestens in groben Zügen bekannt. Pfister bemüht sich um eine möglichst neutrale Darstellung und achtet spürbar darauf, nicht seinerseits in einen Extremismus zu verfallen. Er äußert Verständnis für das Anliegen des linksidentitären Aktivismus. Man kennt das zur Genüge: Selbst aberwitzigste Aktionen wie beispielsweise das Festkleben an Gemälden oder Straßen wird mit einer gewissen Nachsicht betrachtet. Und so beeilt sich Pfister, den Schnellschuss »Cancel Culture« anzuwenden. Diesen Begriff lehne er ab, schreibt er (allerdings ist diese Aversion nur vorläufig, wie man später lesen kann). Schließlich sei den Protagonisten am Ende kaum ein Schaden entstanden (»und ist der Ruf erst ruiniert…« als Belanglosigkeit?).
Eindeutig positioniert sich Pfister immerhin gegen die von Wesley Lowery verfochtene These, »journalistische Objektivität sei ein Konzept, das nicht mehr in die Zeit passe«. Die sich hieraus ergebende »Moral Clarity«, die eine »eindeutige Haltung« über objektive Kriterien stellt, lehnt er dezidiert ab. Süffisant wird erwähnt, dass Lowery vermutlich nicht bekannt war, dass » ‘Moral Clarity’ über Jahrzehnte ein Begriff der amerikanischen Rechten« gewesen war.
Pfister findet Beispiele auch in Deutschland, insbesondere was die neue Journalistengeneration angeht, die zum Beispiel ihr Unverständnis über die älteren Kollegen äußern, die nicht »gendergerecht« schreiben und/oder den »Grotisschlag« verwenden. So entsorgte beispielsweise der Stern seine Objektivität auf den Müll, als er den Aktivisten der »zweifelhaften« »Lobbygruppe« (Pfister) »Fridays for Future« das Redaktionsfeld überließ und seine journalistische Neutralität aufgab. Dabei, so könnte man ergänzen, ist dies nur die besonders plumpe Form des Haltungsjournalismus, der ansonsten sehr viel subtiler vorgeht und bis hinein in die öffentlich-rechtlichen Medien eingesickert ist. (Einmal kritisiert Pfister auch den Spiegel.)
Die Ursachen für das linke Jakobinertum werden wahlweise bei Herbert Marcuse, Michel Foucault oder den »ängstlichen Eltern« gefunden, die die nach 1980 geborenen Kinder »deutlich reglementierter erzogen« hätten (Greg Lukianoff und Jonathan Haidt). Dabei bleibt eher fraglich, ob die heutigen Aktivisten jemals etwas von den beiden europäischen Philosophen gehört haben. Könnte es nicht vielleicht sein, dass diese Leute schlichtweg nur angstbesessen sind und daher mit dummdreisten Intrigen ihre fragilen Denkgebäude aufrecht erhalten können?
Der Durchbruch des Tugendterrors in den USA wird – wie könnte es anders sein? – bei Donald Trump verortet, der mit »seinen Lügen und seiner Rhetorik die Nation polarisiert« habe. Der »Dogmatismus von links« wird als Gegenmaßnahme, eine Art »Roll-back« gesehen, der durch die MeeToo- und BLM-Bewegung zusätzlichen Auftrieb erfahren habe. Pfister weist darauf hin, dass die Demokratische Partei der USA spätestens mit dem Wahlkampf von Hillary Clinton und ihrer Invektive von den »Deplorables«, den »Abgehängten«, die Bodenhaftung zu ihren ursprünglichen Wähler-Milieus verloren haben. Inzwischen ordnet man 100 der 220 Kongressabgeordneten dem »progressiven Lager« zu. Wer wie der Mathematiker und Politikberater David Shor diese Wählerbewegungen analysiert wird wie der Überbringer der schlechten Nachricht lieber diffamiert. Das Kapitel über Shor ist das interessanteste, weil es bereits in das Jahr 2024 verweist. Die Analyse des einstigen Obama-Wahlhelfers ist erschütternd: »Die Republikaner schaffen es, ein multiethnisches Bündnis von Wählern aus der Arbeiterklasse zu schmieden, von dem die Linke immer geträumt hat«, so zitiert Pfister Shor.
Wie die Republikaner sich mit Haut und Haaren Donald Trump unterworfen haben, so koppeln sich die Demokraten mit ihren Minderheitenthemen von der arbeitenden Mittelschicht ab. »Linke Identitätspolitik«, so bilanziert Pfister, »schadet vor allem der politischen Mitte und dem aufgeklärten Lager.« Eine ähnliche Entwicklung sieht er auch in Deutschland vor allem im Hinblick auf die SPD, etwa wenn sich Olaf Scholz im Wahlkampf als sich »intersektionaler Feminist« bekennt. Die klassische Wählerklientel kann mit solcher Sektensprache wenig anfangen.
Aber die Gegenbewegung zur Gegenbewegung existiert ebenfalls bereits. Pfister stellt Christopher Rufo vor, einen ehemaliger Dokumentarfilmer, der die »Critical Race Theory« mit all ihren Blüten, die sie »in amerikanische Schulen, Behörden und Unternehmen« getrieben hat und weiterhin treibt. Hierfür nutzt Rufo sowohl Fox-News, stellt sich aber auch progressiven Medien. Rufo organisiert intellektuell die politische Rechte vor allem auch in den »Swing-States«. Seine Achillesverse ist, so Pfister, dass er nicht ganz von der Theorie der »gestohlenen Wahl« abrücken will, obwohl er Trump nicht noch einmal als Kandidat sehen will. Seine Thesen wie zum Beispiel bei der Gouverneurswahl in Virgina »hätten nicht verfangen, gäbe es nicht realen Ärger über einen dogmatischen Antirassismus, der zuerst weite Teile des akademischen Lebens der USA gekapert hat und von dort aus den Siegeszug antrat: in Behörden, in großen Unternehmen und nun auch in staatlichen Schulen.« Rufo bekennt offen, dass die Linke mit dem Versuch, die »Critical Race Theory« zu institutionalisieren, einen Riesenfehler mache, den er und seine Gesinnungsfreunde auszunutzen gedenken. Dabei, so Pfister, habe Rufo »eine Bewegung geschaffen, die mindestens so illiberal ist wie die Ideologie, die er bekämpfen will, ihre Ziele aber mit den Mitteln des Staates durchsetzen kann.«
Der letzte Punkt wird belegt mit Hinweisen auf eine »Cancel Culture« in diversen US-Bundesstaaten, in denen festgelegt wird, was »Schüler noch lesen dürfen«. Der Leser ist überrascht, denn plötzlich wird das CC-Wort opportun. Das hat allerdings dann allerdings eher damit zu tun, dass er die »Cancel Culture«, oder, besser: Lese‑, Referenz- und Diskursverbote an amerikanischen Universitäten schlichtweg nicht erwähnt. Dies ist symptomatisch für entsprechende Diskussionen in sozialen Netzwerken. Wer über ein linksidentitäres Geschehnis berichtet oder kommentiert muss nicht lange warten, bis besorgte User mit einem rechtsidentitären Beispiel kontern, so als sei damit alles ausgeglichen.
»Ein Wort zuviel« liefert eine kursorische Übersicht über die amerikanischen Umtriebe. In den 203 Anmerkungen finden sich neben Links zu einzelnen Tweets vor allem 23 Verweise auf Texte der New York Times, 8 auf die Washington Post – und 11 auf den Spiegel. Drei der elf Kapitel sind, wie es heißt, redigierte Spiegel-Texte (inwieweit diese bearbeitet sind, kann ich als Nicht-Spiegel-Leser nicht beurteilen). Pfisters Ton ist unaufgeregt und er bemüht sich um Nüchternheit und Objektivität. Am Ende steht ein persönliches Plädoyer für den politischen Liberalismus, welches überraschenderweise seltsam utopisch wirkt. Leider streift das Buch die Auswirkungen auf Deutschland nur. Zwar wird beispielsweise auf die politischen Präferenzen junger Journalisten in Deutschland rekurriert, aber dies bleibt nicht mehr als eine Statistik. Den Bereich des Framings in den deutschen Medien klammert er aus. Vielleicht hätte er sich auf die USA konzentrieren sollen. Seriöse Informationen über die linksidentitären Umtriebe in Europa muss man sich anderweitig besorgen. Wer Sahra Wagenknecht oder Bernd Stegemann (aus je nachvollziehbaren Gründen) nicht mag, kann beispielsweise noch auf Caroline Fourests »Generation beleidigt« zurückgreifen oder auf diesen Text von Leopold Federmair.
Heute gibt es kaum etwas Rührenderes als eine Affirmation des Liberalismus. Das wäre freilich schön. Indes scheint diese »Staatsphilosophie« für die politisch Überaktiven unattraktiv zu sein. Immerhin: auch das Buch von Pfister ist ein Beitrag zur »Nachbesserung an der Zukunft«, um die (oben sog.) seltsame Utopie hinter dem Plädoyer mal auf den paradoxen Punkt zu bringen. Mit viel Aufwand wird es vielleicht bald schon ein bisschen besser... Fortschritt ist ein Kraftakt, immer schon gewesen. Man dachte wohl lange Zeit, die Gegenwart wäre schon ein guter Anfang... So optimistisch war ich freilich nur ganz früher mal. Egal, Pfister hat den Virus (bad ideas going viral) ganz gut eingekreist. Der Sprung in der Werteschüssel trifft sich mit den alten Spannnungslinien wie der Klassenfrage und dem Rassenhass, aber es ist eine neue »existenzielle Richtung« dabei. Ich erinnere mich gut, wie ich anfangs Probleme hatte, die Dinge einzuordnen. Das ganze Gesumms, der Postmodernismus, die digitalen Medien, die sexuellen Identitäten, Auftritte und Absagen, etc. Erklärungen sind ja in der Regel erst mal der Versuch, ...sich zu beruhigen. Die Ratio will wenigstens recht haben, wenn man schon die alltägliche Störung des himmlischen Gleichgewichts hinnehmen muss. Erst wenn man die Feindseligkeit hinter den allzu gut begründeten Positionen entdeckt, kriegt man deutlich das Gefühl, dass Unheil im Schwange ist. Und dann will man es erst recht wissen, weil die dunklen Motive eigentlich noch spannender sind als die »allgemeine Soziologie«. Marxismus, Massenpsychologie, Totalitarismuskritik, Gruppenbindung, Erlösungsphantasien, Kulturtheorie, etc. Für die Hartnäckigkeit der schlechten Ideen ist eine gute technische Vernetzung natürlich die Voraussetzung. Die haben wir »Gottseidank«. Neu ist die Globalität der Vernetzung, d.h. man kann sich erfolgreich einbilden, dass mit der Wahl der richtigen politischen Position die Entscheidung für das gelungene Leben einhergeht, UND dass diese Entscheidung anthropologisch einen Fall von Erstgelungenheit darstellt. Zum ersten Mal richtig gelebt! Man wird von uns berichten! Dass der Narzissmus den hochfliegenden ethischen Positionen immer in die Quere kommt, ist dieser Generation völlig unverständlich. Also begann ihr Untergang.
Ich fürchte, der Untergang, der da beginnt, ist der der anderen Seite. Es sei denn, ich habe Sie falsch verstanden...
Nun, die Formulierung war etwas hochtrabend. Gespielte Unbekümmertheit. Speaking with God’s own voice. Der Liberalismus kann ja gar nicht untergehen, der ist aufgehoben im Reich der Ideen, und für immer richtig. Das existenzielle Bedürfnis nach einer Politik des Sinns und des großen Wirkens ist natürlich nicht unmittelbar auf dem Mist von nur einer Generation gewachsen, aber ich wollte ein Lebenszeit-Modell in dem Kommentar unterbringen. Es wäre unfair, die heutige Misere ausgerechnet den nachgerückten jungen Leuten in die Schuhe zu schieben. Da schrauben ja mindestens drei Generationen drann. Ich wollte eigentlich auf einen Bruch des Utopie-Konzeptes hinaus, das mit seinem apokalyptischen Gegenteil zusammen gefallen ist. Diese Oszillationen sind doch zeitgeistig prägend geworden. Man weiß gar nicht mehr, ob die Zukunft gerettet oder vernichtet werden soll. Die moralistische Erwartung geht auf den perfekten Menschen aus, und der einzig glaubhafte »Pressesprecher« für dieses Projekt ist ein skrupelloser Narzisst, der sich für Minderheiten und für’s Weltklima stark macht. Schwer, den Schurken zu entlarven, wenn alle in den Typen verliebt sind. Pfister nennt ja ein paar Verdächtige aus den U.S.A., aber das Ausmaß der Welle scheint ihm nicht so ganz klar zu sein. Das fängt an bei den verlogenen Schauspielern, geht über die Professoren, die Medienleute, die Think Tanks (dt. Ethikräte), die Politiker, die Bischöfe, und endet bei den hysterischen Nachbarn. Der Trieb, zu den moralisch besseren Leuten zu gehören, ist unheimlich, aber mächtig. Die Politik scheint davon inspiriert zu sein, aber nur der Populismus kann davon begrenzt profitieren. Diese Abschöpfung führt dann zu dem Schluss, dass irgendetwas Schlimmes bevorsteht, aber ich bin mir da nicht sicher. Es ist bereits alles sehr schlimm. Ich will nicht an irgendeine düstere Zukunft glauben, das wäre ja die totale Anbiederung an den Zeitgeist.
Gute Pointe, aber der Zeitgeist ist ja gerade nicht kulturpessimistisch, sondern utopisch. Er glaubt an das Gute und an Problemlösungen durch * und _ wobei er bildungsfern postuliert, damit Held der Inklusion zu sein. Um nicht wie 1967f. vom Katheder entfernt zu werden, biedert man dort besonders beflissen an. Die Qualifkation für die politische und wissenschaftliche Expertise ist Gutdünken und Gutmeinen. Ein ehemaliger Callcenter-Mitarbeiter bestimmt die Linie einer deutschen Partei, eine Studienabbrecherin ist Vorsitzende einer anderen. Sie sind stetige Gäste in den Medien. Der Bildungsbürger gilt als überholt, weil Bildung nichts zählt. Die sich demokratisch zeigenden Resultate – aktuell in Schweden – werden mit Alarmismus beantwortet. Die bunten Farben bleichen aus, aber das darf nicht sein.
Pfisters Buch ist eine Bestandsaufnahme. Es war noch nicht einmal erschienen, da wurde es von den üblichen Nichtlesern bereits abgelehnt. Das Problem ist, dass es den sich sukzessive zementierenden gesellschaftlichen Wandel gar nicht erfasst, weil es – gezwungenermaßen – sich in Einzelfällen verlieren muss, um Tendenzen zu zeigen. Das eröffnet dann absurderweise den Grund für die Verharmlosung, der am Ende auch Pfister erliegt, wenn er schreibt, dass die kritisierten Protagonisten schließlich keine dauerhaften ökonomischen Nachteile erlitten haben. Dass es in Zukunft solche Stimmen und Analysen gar nicht mehr geben wird weil sich der Konsens verschiebt und die Furcht vor weiteren Eklats anhält, kommt bei ihm nicht vor. Noelle-Neumanns »Schweigespirale« schien ein Relikt aus einer vergangenen Zeit, erhält derzeit allerdings neuen Auftrieb.
Der Liberalismus ist eine schöne politische Richtung. Er erinnert an die zuweilen an Autobahnabfahrten stehenden Schilder »Alle Richtungen«. Das ist ähnlich wie Toleranz. Wo fängt sie an? Wo hört sie auf?
Ich habe soeben das Buch ausgelesen und bin am Ende doch grundsätzlich positiv überrascht, wie ein doch , sich selbst links nennender Journalist, zu diesen doch schon erschreckenden Zuständen in USA Stellung bezieht und vor allen Deutschland vor dieser Entwicklung warnt .
Leider ist anzunehmen, dass dies leider auch hier so passieren wird , wie auch alle anderen Entwicklungen und Moden ihren Weg über den großen Teich fanden .
Als Angehöriger der geschmähten Gruppe der Alten weißen Männer, noch dazu mit ostdeutschen Wurzeln, ist für mich besonders bitter zu sehen, wie unsere Demokratie ad absurdum geführt wird und der ideologische Irrsinn, auf der im Buch beschriebenen Basis, regiert .
An meinen beiden erwachsenen Kindern kann ich diese negativen Strömungen in Form von Indoktrination, mitgebracht aus Uni und Schulunterricht schon heute erkennen.
Wo sind noch fähige Politiker in den etablierten Parteien , z.B. in Gestalt eines Altkanzlers Schmidt ( Zitat „ wer Visionen hat sollte zum Arzt gehen„ ) die diesem Treiben ein Ende gebieten?
Bitte mich nicht falsch verstehen, auch ich sehe selbstverständlich Fehlentwicklungen und Diskriminierungen, welche geregelt und korrigiert werden sollten .
Aber doch bitte nicht mit der beispielsweise einhergehenden Verhunzung unsere schönen Sprache mittels *_etc. ,
oder dem Verbot von Winnetou und Pippi Langstrumpf .
Hier hilft mir meine ostdeutsche Prägung um zu fühlen , dass dies alles schon einmal im anderen Mäntelchen da war und diktatorischen Charakter beinhaltet.
Also bitte , wehret den Anfängen ! Das Buch ist ein wertvoller Augenöffner dafür, Respekt Herr Pfister!
Mit freundlichen Grüßen
Mathias Wormuth
Bünde/ Ostwestfalen
Ich habe einmal eine Verständnisfrage zu den kritiken hier.
Was ist denn hier bitte schön »links« oder »neue linke Ideologie« an dem gebaren? Diese Ausgrenzungen von Menschen, die sich nicht der herrschenden oder vorgegebenen Meinung anschließen oder unterwerfen, das ist doch keine neue linke Ideologie!
Ich nenne das Gesinnungsterror, wie wir es aus der Nazizeit kennen und später aus den USA in der McCarthy-Ära. Persönlichkeiten, die sich selber als »links« verorten und so agieren (z.B. gerade aktuell grüne Spitzenpolitiker) tarnen sich mehr oder weniger bewußt hinter einer vermeintlich linken Rhetorik, die aber substantiell deutlich das Gegenteil nämlich extrem totalitär ist. Mir kommt das ein wenig wie bei Orwells »1984« vor, wo die Begrifflichkeiten ins Gegenteil umgedeutet werden.
Da wir alle in den letzten 30 Jahren gegen »Rechts« vor allem rechte Parteien aktiv waren, haben wir meiner Meinung nach übersehen, dass in den sogenannten Parteien der »Mitte« sich ein enorm »rechtes« Potential entwickelt hat, was sich sich selber aber meist links nennt. Geschickt wird dann die kritik an den Akteuren der etablierten Parteien als »rechts«, als »Querdenker«, »Verschwörungstheoretiker« »als »Rassist« oder wenn einem gerade nichts substantielles einfällt auch schon mal als antsemitisch abgebügelt. Das entscheidende an diesem Verhalten ist die Diskursverweigerung oder wenn zugelassen, dann nur in einem engen bestimmten vorgegebenen »Framing«.
Jetzt komme mir niemand und sage, das ist doch links, siehe Sowjetunion oder heute Russland oder DDR. Dieser gedankliche Totalierismus gibt es auch heute in der Bundesrepublik, in den USA, in der Türkei, Saudi-Arabien, Iran oder auch in Polen. Gerade die letztgenannten sind ja wohl frei von dem Verdacht linksorientierte Staaten zu sein.
Wenn diese mißbräuchliche Verwendung der Sprache so ungebremst weitergeht, wird es – zugespitzt formuliert – irgendwann einmal Faschisten geben, die sich selbst als Antifaschisten verkaufen,
Das was Pfister in seinem Buch an sozialen und sprachlichen Verwerfungen schildert links zu bezeichnen, ist zu kurz gesprungen und damit macht man es sich es viel zu einfach.
Es ist viel wichtiger den totalitären und oft rassistischen Anspruch dahinter zu erkennen und zu benennen, als mal schnell – wie es bei uns meist üblich ist – das Etikett »Links« drauf zu pappen. Und dann großzügig gönnerhaft mit den Schultern zu zucken und zu sagen, »So sind sie halt, die Linken, sowas kennt man ja von denen nicht anders«.
Das Pfister von seinen Erfahrungen in den USA schreibt, einem erzkonservativen, hochkapitalistischen und zutiefst Pseudoreligiösem Staat schreibt, sollte doch hier an dieser Stelle zu denken geben, dass wir es hier nicht mit einer »linken Ideologie« zu tun haben.
Es geht schlicht um einen Totalitätsanspruch, der zu allererst die eigene Macht sichern soll und dazu die Kontrolle über die Denkmuster in unseren Köpfen behalten will.
Claus Hübner
Die Formulierung »neue linke Ideologie« ist in meinem Text in Anführungszeichen gesetzt und ist ein Zitat aus Pfisters Buch. So wird es beworben. Es steht Ihnen frei, das zu kritisieren, aber ich bitte um Unterscheidung zwischen Zitat und Kritik.
Pfister kritisiert die linksidentitären Umtriebe im intellektuellen Betrieb der USA, bspw. Universitäten. Ihre pauschale Zuschreibung der USA als »erzkonservativ« und »zutiefst pseudoreligiös« ist Kinderkram. Vergleiche zur Nazizeit sind obszön. Womöglich würde Ihnen die Lektüre des Buches Aufschluß über die aufgeworfenen Fragen bringen.
Ich forsche privat seit mehreren Jahren an der Frage, woran man die totalitären Bewegungen erkennen kann. Die Frage ist sonderbar abgründig, weil alle Politik (den Kontrollgeist der Bürokraten mal außen vor, also den Furor des Staates) zunächst mit sehr wichtigen Anliegen befasst ist. Die öffentliche Sicherheit, der Sozialausgleich, der Wert der Natur, etc. Jeder Totalitarismus kommt erst mal als willkommenes Angebot daher. Gestern stand ein völlig angeschlagener Habeck auf der Bühne, und redete den Leuten noch einmal ins Gewissen, im Ton von: Alle haben ja nun begriffen, wie wichtig »die Sache« ist. Deshalb werden wir... Es folgten die Maßnahmen. Argumente braucht er nicht, die gibt es nie bei den Ideologen. Das können die auch gar nicht. Sie leben (wie Mattias Desmet zeigt) von Wiederholungen und »Befehlen«. Es gibt keine Gründe, keine Pläne, keine Bilanz, nur einen blinden Kampf gegen den »Widerstand«, den sie vorfinden, zuletzt sogar in der Naturwissenschaft (Physik). Der Drang hinter diesem »politischen Interesse« ist nicht zugänglich, das »Urinteresse« zeigt sich resistent und unersättlich. Wir müssen wirklich in die Tiefenpsychologie einsteigen, um diesen Antrieb zu verstehen. Bei der ökologischen Bewegung ist ein indianischer Geist der »Mutterdependenz« erwacht. Die Natur wird als erhaben und göttlich idealisiert, ihre Gunst kann man gewinnen. Das Urinteresse ist vorbewusster Natur, d.h. es lässt sich nicht begrifflich einkreisen (zur Erkenntnis wandeln), und es lässt sich auch nicht durch Vernunftgründe lenken. Es ist ein wenig makaber, aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt glaube ich, es kann nur durch andere existenzielle Interessen (Job, Familie, Ansehen) zurückgedrängt werden. Das hat nicht nur sehr viel mit Macht zu tun, was diese Früchtchen da treiben, es gibt auch kein anderes Mittel dagegen. Ich glaube, das ist ein wenig der Schock nach dem friedlichen Interim im Wiedervereinigten Deutschland. Es geht wieder ans Eingemachte, unbegreiflicherweise diesmal im Namen der Natur, bzw. dagegen! – Ich scherze gerne: Mädels, legt eure Schutzwesten an! Das sind Märchenerzähler und Telefonisten, aber sie sind brandgefährlich, denn sie kennen sehr viele andere Märchenerzähler und Telefonisten...
Oh, völlig übersehen. Der Öko-Totalitarismus hat natürlich ein komplett anderes »Urinteresse« als der identitäre Terror in den U.S.A. Da geht es um Anerkennung, Wettbewerb und Selbstwert.
Man muss nur aufpassen, dass man nicht alles sofort zum »Totalitarismus« erklärt. Genau das geschieht nämlich derzeit, wenn ich an die Problematik der »Klimakleber« oder auch Hausbesetzer denke. Da werden ausgehandelte, in Gesetzen gegossene und bisher allgemein anerkannte Regeln zu Gunsten höherer moralischer Intentionen sozusagen abgeschafft. Nötigung und/oder Privatbesitz werden zu untergeordneten Werten erklärt. Das ist natürlich totalitär, wird aber als legitime Maßnahme angesehen, um von der »Totalität« der »fossilen Energiewirtschaft« abzukommen. Unterstützt wird dies mit apokalyptischen Szenarien.
Ihr Hinweis auf die unterschiedliche Betrachtung von Öko-Totalitarismus und Identitärem Denken wird natürlich gemeinhin als heikel eingestuft werden. Das eine ist schließlich »Gut« und das andere »Böse«. Wir haben derzeit eine Überbeschallung in allen Medien, was den Klimawandel bzw. Klimakrise angeht. Kein Wetterbericht mehr ohne eine Statistik, die etwas belegen soll. Das hat tatsächlich etwas von Orwell. Keiner darf die Sinnhaftigkeit der Maßnahmen befragen (bspw. Atomkraftwerke abschalten und stattdessen Kohle- und Atomstrom einkaufen). Vetternwirtschaft durch Grüne wird als Pressekampagne abgebürstet. Das Attribut »rechts« ist sofort zur Hand. Zum »Nazi« wird man dann, wenn man die linken identitären Strömungen kritisiert.
Ermöglicht wird dies zum einen durch starke Sympathien in Journalisten- und Intellektuellenkreisen. Und zum anderen durch systematische Indoktrination, die schon in Schulen beginnt. Man konnte dies während der Corona-Pandemie sehr gut sehen: Wer valide Zahlenmodelle und Evaluierungen anmahnte, um so gezielt zu erforschen, wo und wie sich das Virus am meisten ausbreitet, wurde im günstigsten Fall nicht gehört bzw. abgebürstet. Stattdessen kursierten unbestätigte Studien, die alles mögliche vorhersagten und Alarmismus erzeugten. Deutschland stand ganz kurz vor dem »NoCovid«-Unsinn wie ihn Neuseeland und vor allem China praktizierten. Beide Länder – eines eine Demokratie, das andere eine Diktatur – unterschieden sich in Nichts mehr voneinander.
Tatsächlich glaube ich, dass sehr viele dieser Klima- und Grünenaktivisten (das geht bis in die Parteiämter hinein) einen missionarisch-religiösen Drang haben. Sie müssen irgendetwas abarbeiten, die Menschheit beglücken und nur sie wissen, wie das geht. Wer sich dem entgegenstellt, wird diskreditiert. Der Unterschied bspw. zu den spanischen Konquistadoren des 16. und 17. Jahrhunderts liegt nur darin, dass man bisher physisch verschont bleibt sondern (unter Umständen) nur finanziell ruiniert wird. Die religiösen Töne sind deutlich vernehmbar; das Evangelium Johannes wird neu geschrieben. Ähnlich wie der Papst lange Zeit im Europa die politische Führung beanspruchte (und Kaiser ernannte), wünscht sich eine im Grunde kleine Schar von Ideologen eine übergesetzliche, politische Machtfülle – das alles natürlich zu unser aller Wohl. Der Trost: Irgendwann kam die Aufklärung. Mal sehen.
Schrecklich wahr, was Sie schreiben. Die Bewertungen flackern dramatisch. Ich habe im Online-TV eine Journalistenrunde verfolgt; die veranstalten Hirnakrobatik, wenn es um die heiklen Abgrenzungen zwischen dem Notwendigen (Heizungseinbau) und dem Illegitimen (Protest) geht. Pech gehabt in der Liebe, kann ich da nur sagen. Die sind den Totalitären auf den Leim gekrochen. Die Journalisten haben sich alle in die bessere Version des politischen Menschen verliebt, den »Eros der GRÜNEN«, wie Tellkamp so geheimnisvoll sagte. Muss jeder sehen, wie er da rauskommt. (»Denken, Denken«, sonst merkt noch jemand, wo ich mein Kreuzchen gemacht habe.)
Ein Kriterium des Totalitarismus, beinahe das Wichtigste, ist die Tatsache, dass seine Anhänger und die Mitläufer das kritische Denken ausblenden, bzw. für »kontraproduktiv« halten. Geht nicht, gibt’s nicht, but in a bad way... CO2-Neutralität in der EU?! Machen wir. Ausstieg aus Kohle und Kernkraft in Deutschland?! Mehr Ideen, bitte, strengt euch an.
Natürlich gibt es eine hauchdünne »borderline-artige« Grenze zwischen dem, was nun tatsächlich als Brutalität gewertet werden muss (darf man sich an Behinderte kleben, um das Klima zu retten?!), und dem, was gerade noch als sinnfällig und »gut« betrachtet werden kann (Fußgängerübergang ist o.k...). Aber die Bewertungsolympiade der Journalisten (siehe oben) ist nur die obzöne Oberfläche eines sehr viel schlimmeren Geschehens: der Aushebelung von Vernunft und systematischer Kritik. Schade, mal wieder.
Naja, dieses »muß jeder sehen« wird natürlich zu gewaltigen politischen (und damit sozialen) Verwerfungen führen. Bereits jetzt ist die andere totalitäre Partei, die AfD, stärkste Kraft in einigen ostdeutschen Ländern. In Thüringen wird schlichtweg deswegen einfach nicht mehr gewählt; die Minderheitsregierung wird von der Union durch Stimmenverweigerung toleriert. Das nennt man dort tatsächlich noch »Politik«.
Ich habe hier schon vor Jahren geschrieben, dass österreichische Verhältnisse drohen. Das scheint nun – leider – zur Gewissheit zu werden. Die Schuld tragen die Ideologen, die jegliche politische Weitsicht negieren.
Gut, Thüringen ist verloren. Das stimmt. Die Verhältnisse sind absurd. Die Hälfte des Parlaments Extremisten, jedenfalls der Flagge nach. Da hat es sogar der Dritte Weg des Autoritären schwer, sprich die Ökos. Wie viele extremistische Alternativen sind eigentlich »sinnvoll«?! Ich fürchte, die »investierte Hoffnung« in die Dritte Variante hat sehr viel mit den bekannten Schwächen der Alt-Extremisten zu tun. Man wollte mutig sein, man wollte progressiv sein, man wollte eine Alternative zu den Alternativen. Inzwischen fliegen uns alle Wörter und Kategorien (völlig richtig, @ Claus Hübner, völlig richtig) um die Ohren. Ein Hütchen-Spiel ist entstanden, und unter jedem der 3 Hütchen steckt ein »Nazi«. Die autoritäre Dimension hat sich noch einmal geteilt, und lockt uns alle mit inzwischen 3 Angeboten. Es soll keiner sagen, dass hier nicht der Teufel seine Finger drinn hat.
Zur Frage der »neuen linken Ideologie«: sonnenklar, sind die Kultur- und Sex-Identitären links. Das ist eindeutig. Und sie sind anti-modern und totalitär. Sie arbeiten mit Paradoxien. – - Aber die verzweifelte Verteidigung des »moralischen Kerns« der Linken führt uns wirklich in die Irre. Wir wären nämlich alle gerne »links« und »liberal«, aber der Linksliberalismus ist längst von den Ökos und den Identitären gekappert worden. Diese Stelle im politischen Koordinatensystem ist tot, mausetot, aus und vorbei. Das war mal ein lässiger schöner Traum, bevor die Damönen zurückgekehrt sind. Ich denke, @Gregor, es waren nicht nur die Ideologen, die uns den Schlamassel eingebrockt haben, es waren die Intellektuellen und die Journalisten. Zu viele Lügen, Brüder und Schwestern. Zuviel »Charme«, zu viel Präpotenz.