Re­né Pfi­ster: Ein fal­sches Wort

René Pfister: Ein falsches Wort

Re­né Pfi­ster: Ein fal­sches Wort

Re­né Pfi­ster ist seit fast zwan­zig Jah­ren in un­ter­schied­li­chen Funk­tio­nen beim Nach­rich­ten­ma­ga­zin Der Spie­gel tä­tig. 2019 geht er für das Ma­ga­zin in die USA. Do­nald Trump war Prä­si­dent und der Wahl­kampf hat­te be­reits be­gon­nen. Er kam mit sei­ner Fa­mi­lie nach Che­vy Cha­se, ei­nem, wie es heißt, li­be­ra­len Stadt­teil Wa­shing­tons. Hier wird die Re­gen­bo­gen­fah­ne ge­hisst und man ge­niert sich für Trump. Aber rasch be­kommt die­ses pa­ra­die­si­sche Bild Ris­se, et­wa wenn ihm je­mand er­zählt, dass sein Sohn in der Schu­le Pro­ble­me be­kommt, weil er nichts da­bei fin­det, dass Wei­ße Dre­ad­locks tra­gen. Pfi­ster er­kennt, dass die Fas­sa­de von Furcht durch­setzt ist. Es ist die Furcht, et­was Fal­sches zu den­ken und zu sa­gen. Denn so­fort droht die so­zia­le Aus­gren­zung – und even­tu­ell Schlim­me­res.

In den letz­ten Jah­ren häu­fen sich in den so frei­heit­lich ge­ben­den Ver­ei­nig­ten Staa­ten die »Fäl­le«, in de­nen ver­meint­lich un­be­dach­te Aus­sa­gen zu weit­rei­chen­den Fol­gen füh­ren. Pfi­ster bün­delt ei­ni­ge die­ser Er­eig­nis­se in sei­nem Buch »Ein Wort zu­viel«. Es ist, so der An­spruch, ein »Re­port« »wie ei­ne neue lin­ke Ideo­lo­gie aus Ame­ri­ka un­se­re Mei­nungs­frei­heit be­droht«.

Die Ka­pi­tel des Bu­ches sind Re­por­ta­gen, die mit­ein­an­der ver­knüpft wer­den. Da wird Ian Buru­ma be­sucht, der we­gen des Pro­te­stes über die Ver­öf­fent­li­chung ei­nes Tex­tes von Ji­an Ghome­shi, der zu Un­recht se­xu­el­ler Über­grif­fe an­ge­klagt war, sei­nen Chef­re­dak­teurs­po­sten bei der New York Re­view of Books auf­gab. Der Geo­phy­si­ker Do­ri­an Ab­bot schil­dert sei­ne Aus­la­dung als Red­ner beim MIT, weil er in ei­nem Text Qua­li­tät über »Di­ver­si­tät« stellt. Pfi­ster ana­ly­siert die neue »Cam­pus Cul­tu­re«, bei der Red­ner be­schimpft und ge­stört wer­den, wenn man es nicht ge­schafft hat, sie aus­zu­la­den und ih­re Bei­trä­ge da­mit zu ver­un­mög­li­chen.

Aus­gie­big stellt Pfi­ster die »Cri­ti­cal Race Theo­ry« vor, die »in­zwi­schen in vie­le aka­de­mi­sche Dis­zi­pli­nen ein­ge­drun­gen ist«. Sie stellt, wie die bei­den Ju­ri­sten Ri­chard Del­ga­do und Jean Ste­fan­cic 2017 fest­ge­stellt hat­ten, die »li­be­ra­le Ord­nung ganz grund­sätz­lich in­fra­ge – in­klu­si­ve des Gleich­heits­grund­sat­zes, des Ab­wä­gens recht­li­cher Ar­gu­men­te, des Ra­tio­na­lis­mus der Auf­klä­rung und des Prin­zips, wo­nach je­der vor der Ver­fas­sung gleich ist.«

Be­leuch­tet wer­den die Leh­ren der »An­ti­ras­sis­mus-Au­torin Ro­bin DiAn­ge­lo« wo­nach je­der Wei­ße Ras­sist ist und de­ren »prie­ster­li­che Un­er­bitt­lich­keit, die selbst dem reu­igen Sün­der kei­ne Er­lö­sung ver­spricht, son­dern nur den dor­nen­rei­chen Weg der per­ma­nen­ten Selbst­an­kla­ge.« Na­tür­lich darf auch der Hi­sto­ri­ker Ibram X. Ken­di nicht feh­len, der 2020 »ei­ne klei­ne Fi­bel mit dem Ti­tel ‘Be An­ti-Ra­cist’ « her­aus­brach­te, ein, wie Pfi­ster schreibt, »Leit­fa­den zur Ge­wis­sens­er­for­schung, wie man ihn auch in der ka­tho­li­schen Kir­che fin­den könn­te.« Ken­di ver­tritt ei­nen po­si­ti­ven Ras­sis­mus, der na­he­legt »pri­vi­le­gier­te Grup­pen« zu dis­kri­mi­nie­ren, wo­bei na­tür­lich er be­stimmt, wer das ist und wie dies zu ge­sche­hen hat. In der Fül­le wir­ken die­se Prot­ago­ni­sten wie Sek­ten­pre­di­ger.

Ne­ben den Uni­ver­si­tä­ten be­schäf­tigt sich Pfi­ster mit den ame­ri­ka­ni­schen Me­di­en und zwar be­vor­zugt je­nen, die einst für Mei­nungs­frei­heit und Viel­falt stan­den. Mu­ster­bei­spie­le sind hier die »Sün­den« von Ja­mes Ben­nett 2020 und Do­nald McNeil Jr. 2021, zwei (ehe­ma­li­ge) Edel­fe­dern der New York Times. Ben­nett ließ auf sei­ner Mei­nungs­sei­te ei­nen kon­ser­va­ti­ven Re­pu­bli­ka­ner zu Wort kom­men. McNeil hat­te ei­ne »un­sen­si­ble Äu­ße­rung« in ei­ner Dis­kus­si­on über Ras­sis­mus mit Schü­lern ge­macht und in die­sem Zu­sam­men­hang das »N‑Wort« zi­tiert. Dar­auf­hin wur­de McNeil mit ei­ner Ab­mah­nung be­dacht. Als ein On­line­por­tal zwei Jah­re spä­ter dar­über be­rich­te­te, mel­de­ten sich 150 Re­dak­teu­re aus dem »News­room«, die Kon­se­quen­zen for­der­ten. In bei­den Fäl­len wi­der­stand der da­ma­li­ge Chef­re­dak­teur De­an Ba­quet dem Druck der Min­der­heit der Re­dak­teu­re, die über die so­zia­len Me­di­en Wi­der­stän­de or­che­strier­ten, nicht. Bei­de de­mis­sio­nier­ten (um ei­ner Ent­las­sung zu­vor­zu­kom­men).

Bei der Auf­zäh­lung der di­ver­sen Ein­zel­fäl­le (!) fällt auf, dass im End­sta­di­um des Em­pö­rungs­stro­mes fast im­mer die Selbst­gei­ße­lung des Sün­ders steht, die an die kul­tur­re­vo­lu­tio­nä­ren Um­trie­be aus dem Chi­na der 1960er und 1970er Jah­re er­in­nert. Ob­wohl das Ur­teil des Mobs längst fest­steht, er­nied­ri­gen sich die Prot­ago­ni­sten und krie­chen in ei­ne per­ver­se Reueh­al­tung. War­um dies ge­schieht, bleibt ein Ge­heim­nis. Noch my­ste­riö­ser ist das feh­len­de Rück­grat von Vor­ge­setz­ten und Un­ter­neh­mens­lei­tern, die sich ei­ner amor­phen Min­der­heit, die Ar­gu­men­te mit Laut­stär­ke ver­wech­selt, wil­lig hin­gibt.

Die mei­sten der ge­schil­der­ten Fäl­le sind dem Le­ser min­de­stens in gro­ben Zü­gen be­kannt. Pfi­ster be­müht sich um ei­ne mög­lichst neu­tra­le Dar­stel­lung und ach­tet spür­bar dar­auf, nicht sei­ner­seits in ei­nen Ex­tre­mis­mus zu ver­fal­len. Er äu­ßert Ver­ständ­nis für das An­lie­gen des links­iden­ti­tä­ren Ak­ti­vis­mus. Man kennt das zur Ge­nü­ge: Selbst aber­wit­zig­ste Ak­tio­nen wie bei­spiels­wei­se das Fest­kle­ben an Ge­mäl­den oder Stra­ßen wird mit ei­ner ge­wis­sen Nach­sicht be­trach­tet. Und so be­eilt sich Pfi­ster, den Schnell­schuss »Can­cel Cul­tu­re« an­zu­wen­den. Die­sen Be­griff leh­ne er ab, schreibt er (al­ler­dings ist die­se Aver­si­on nur vor­läu­fig, wie man spä­ter le­sen kann). Schließ­lich sei den Prot­ago­ni­sten am En­de kaum ein Scha­den ent­stan­den (»und ist der Ruf erst rui­niert…« als Be­lang­lo­sig­keit?).

Ein­deu­tig po­si­tio­niert sich Pfi­ster im­mer­hin ge­gen die von Wes­ley Lo­wery ver­foch­te­ne The­se, »jour­na­li­sti­sche Ob­jek­ti­vi­tät sei ein Kon­zept, das nicht mehr in die Zeit pas­se«. Die sich hier­aus er­ge­ben­de »Mo­ral Cla­ri­ty«, die ei­ne »ein­deu­ti­ge Hal­tung« über ob­jek­ti­ve Kri­te­ri­en stellt, lehnt er de­zi­diert ab. Süf­fi­sant wird er­wähnt, dass Lo­wery ver­mut­lich nicht be­kannt war, dass » ‘Mo­ral Cla­ri­ty’ über Jahr­zehn­te ein Be­griff der ame­ri­ka­ni­schen Rech­ten« ge­we­sen war.

Pfi­ster fin­det Bei­spie­le auch in Deutsch­land, ins­be­son­de­re was die neue Jour­na­li­sten­ge­ne­ra­ti­on an­geht, die zum Bei­spiel ihr Un­ver­ständ­nis über die äl­te­ren Kol­le­gen äu­ßern, die nicht »gen­der­ge­recht« schrei­ben und/oder den »Gro­tis­schlag« ver­wen­den. So ent­sorg­te bei­spiels­wei­se der Stern sei­ne Ob­jek­ti­vi­tät auf den Müll, als er den Ak­ti­vi­sten der »zwei­fel­haf­ten« »Lob­by­grup­pe« (Pfi­ster) »Fri­days for Fu­ture« das Re­dak­ti­ons­feld über­ließ und sei­ne jour­na­li­sti­sche Neu­tra­li­tät auf­gab. Da­bei, so könn­te man er­gän­zen, ist dies nur die be­son­ders plum­pe Form des Hal­tungs­jour­na­lis­mus, der an­son­sten sehr viel sub­ti­ler vor­geht und bis hin­ein in die öf­fent­lich-recht­li­chen Me­di­en ein­ge­sickert ist. (Ein­mal kri­ti­siert Pfi­ster auch den Spie­gel.)

Die Ur­sa­chen für das lin­ke Ja­ko­bi­ner­tum wer­den wahl­wei­se bei Her­bert Mar­cuse, Mi­chel Fou­cault oder den »ängst­li­chen El­tern« ge­fun­den, die die nach 1980 ge­bo­re­nen Kin­der »deut­lich re­gle­men­tier­ter er­zo­gen« hät­ten (Greg Lu­ki­an­off und Jo­na­than Haidt). Da­bei bleibt eher frag­lich, ob die heu­ti­gen Ak­ti­vi­sten je­mals et­was von den bei­den eu­ro­päi­schen Phi­lo­so­phen ge­hört ha­ben. Könn­te es nicht viel­leicht sein, dass die­se Leu­te schlicht­weg nur angst­be­ses­sen sind und da­her mit dumm­drei­sten In­tri­gen ih­re fra­gi­len Denk­ge­bäu­de auf­recht er­hal­ten kön­nen?

Der Durch­bruch des Tu­gend­ter­rors in den USA wird – wie könn­te es an­ders sein? – bei Do­nald Trump ver­or­tet, der mit »sei­nen Lü­gen und sei­ner Rhe­to­rik die Na­ti­on po­la­ri­siert« ha­be. Der »Dog­ma­tis­mus von links« wird als Ge­gen­maß­nah­me, ei­ne Art »Roll-back« ge­se­hen, der durch die Mee­Too- und BLM-Be­we­gung zu­sätz­li­chen Auf­trieb er­fah­ren ha­be. Pfi­ster weist dar­auf hin, dass die De­mo­kra­ti­sche Par­tei der USA spä­te­stens mit dem Wahl­kampf von Hil­la­ry Clin­ton und ih­rer In­vek­ti­ve von den »De­plo­rables«, den »Ab­ge­häng­ten«, die Bo­den­haf­tung zu ih­ren ur­sprüng­li­chen Wäh­ler-Mi­lieus ver­lo­ren ha­ben. In­zwi­schen ord­net man 100 der 220 Kon­gress­ab­ge­ord­ne­ten dem »pro­gres­si­ven La­ger« zu. Wer wie der Ma­the­ma­ti­ker und Po­li­tik­be­ra­ter Da­vid Shor die­se Wäh­ler­be­we­gun­gen ana­ly­siert wird wie der Über­brin­ger der schlech­ten Nach­richt lie­ber dif­fa­miert. Das Ka­pi­tel über Shor ist das in­ter­es­san­te­ste, weil es be­reits in das Jahr 2024 ver­weist. Die Ana­ly­se des ein­sti­gen Oba­ma-Wahl­hel­fers ist er­schüt­ternd: »Die Re­pu­bli­ka­ner schaf­fen es, ein mul­ti­eth­ni­sches Bünd­nis von Wäh­lern aus der Ar­bei­ter­klas­se zu schmie­den, von dem die Lin­ke im­mer ge­träumt hat«, so zi­tiert Pfi­ster Shor.

Wie die Re­pu­bli­ka­ner sich mit Haut und Haa­ren Do­nald Trump un­ter­wor­fen ha­ben, so kop­peln sich die De­mo­kra­ten mit ih­ren Min­der­hei­ten­the­men von der ar­bei­ten­den Mit­tel­schicht ab. »Lin­ke Iden­ti­täts­po­li­tik«, so bi­lan­ziert Pfi­ster, »scha­det vor al­lem der po­li­ti­schen Mit­te und dem auf­ge­klär­ten La­ger.« Ei­ne ähn­li­che Ent­wick­lung sieht er auch in Deutsch­land vor al­lem im Hin­blick auf die SPD, et­wa wenn sich Olaf Scholz im Wahl­kampf als sich »in­ter­sek­tio­na­ler Fe­mi­nist« be­kennt. Die klas­si­sche Wäh­ler­kli­en­tel kann mit sol­cher Sek­ten­spra­che we­nig an­fan­gen.

Aber die Ge­gen­be­we­gung zur Ge­gen­be­we­gung exi­stiert eben­falls be­reits. Pfi­ster stellt Chri­sto­pher Rufo vor, ei­nen ehe­ma­li­ger Do­ku­men­tar­fil­mer, der die »Cri­ti­cal Race Theo­ry« mit all ih­ren Blü­ten, die sie »in ame­ri­ka­ni­sche Schu­len, Be­hör­den und Un­ter­neh­men« ge­trie­ben hat und wei­ter­hin treibt. Hier­für nutzt Rufo so­wohl Fox-News, stellt sich aber auch pro­gres­si­ven Me­di­en. Rufo or­ga­ni­siert in­tel­lek­tu­ell die po­li­ti­sche Rech­te vor al­lem auch in den »Swing-Sta­tes«. Sei­ne Achil­les­ver­se ist, so Pfi­ster, dass er nicht ganz von der Theo­rie der »ge­stoh­le­nen Wahl« ab­rücken will, ob­wohl er Trump nicht noch ein­mal als Kan­di­dat se­hen will. Sei­ne The­sen wie zum Bei­spiel bei der Gou­ver­neurs­wahl in Vir­gi­na »hät­ten nicht ver­fan­gen, gä­be es nicht rea­len Är­ger über ei­nen dog­ma­ti­schen An­ti­ras­sis­mus, der zu­erst wei­te Tei­le des aka­de­mi­schen Le­bens der USA ge­ka­pert hat und von dort aus den Sie­ges­zug an­trat: in Be­hör­den, in gro­ßen Un­ter­neh­men und nun auch in staat­li­chen Schu­len.« Rufo be­kennt of­fen, dass die Lin­ke mit dem Ver­such, die »Cri­ti­cal Race Theo­ry« zu in­sti­tu­tio­na­li­sie­ren, ei­nen Rie­sen­feh­ler ma­che, den er und sei­ne Ge­sin­nungs­freun­de aus­zu­nut­zen ge­den­ken. Da­bei, so Pfi­ster, ha­be Rufo »ei­ne Be­we­gung ge­schaf­fen, die min­de­stens so il­li­be­ral ist wie die Ideo­lo­gie, die er be­kämp­fen will, ih­re Zie­le aber mit den Mit­teln des Staa­tes durch­set­zen kann.«

Der letz­te Punkt wird be­legt mit Hin­wei­sen auf ei­ne »Can­cel Cul­tu­re« in di­ver­sen US-Bun­des­staa­ten, in de­nen fest­ge­legt wird, was »Schü­ler noch le­sen dür­fen«. Der Le­ser ist über­rascht, denn plötz­lich wird das CC-Wort op­por­tun. Das hat al­ler­dings dann al­ler­dings eher da­mit zu tun, dass er die »Can­cel Cul­tu­re«, oder, bes­ser: Lese‑, Re­fe­renz- und Dis­kurs­ver­bo­te an ame­ri­ka­ni­schen Uni­ver­si­tä­ten schlicht­weg nicht er­wähnt. Dies ist sym­pto­ma­tisch für ent­spre­chen­de Dis­kus­sio­nen in so­zia­len Netz­wer­ken. Wer über ein links­iden­ti­tä­res Ge­scheh­nis be­rich­tet oder kom­men­tiert muss nicht lan­ge war­ten, bis be­sorg­te User mit ei­nem rechts­iden­ti­tä­ren Bei­spiel kon­tern, so als sei da­mit al­les aus­ge­gli­chen.

»Ein Wort zu­viel« lie­fert ei­ne kur­so­ri­sche Über­sicht über die ame­ri­ka­ni­schen Um­trie­be. In den 203 An­mer­kun­gen fin­den sich ne­ben Links zu ein­zel­nen Tweets vor al­lem 23 Ver­wei­se auf Tex­te der New York Times, 8 auf die Wa­shing­ton Post – und 11 auf den Spie­gel. Drei der elf Ka­pi­tel sind, wie es heißt, re­di­gier­te Spie­gel-Tex­te (in­wie­weit die­se be­ar­bei­tet sind, kann ich als Nicht-Spie­gel-Le­ser nicht be­ur­tei­len). Pfi­sters Ton ist un­auf­ge­regt und er be­müht sich um Nüch­tern­heit und Ob­jek­ti­vi­tät. Am En­de steht ein per­sön­li­ches Plä­doy­er für den po­li­ti­schen Li­be­ra­lis­mus, wel­ches über­ra­schen­der­wei­se selt­sam uto­pisch wirkt. Lei­der streift das Buch die Aus­wir­kun­gen auf Deutsch­land nur. Zwar wird bei­spiels­wei­se auf die po­li­ti­schen Prä­fe­ren­zen jun­ger Jour­na­li­sten in Deutsch­land re­kur­riert, aber dies bleibt nicht mehr als ei­ne Sta­ti­stik. Den Be­reich des Framings in den deut­schen Me­di­en klam­mert er aus. Viel­leicht hät­te er sich auf die USA kon­zen­trie­ren sol­len. Se­riö­se In­for­ma­tio­nen über die links­iden­ti­tä­ren Um­trie­be in Eu­ro­pa muss man sich an­der­wei­tig be­sor­gen. Wer Sahra Wa­gen­knecht oder Bernd Ste­ge­mann (aus je nach­voll­zieh­ba­ren Grün­den) nicht mag, kann bei­spiels­wei­se noch auf Ca­ro­li­ne Fou­rests »Ge­ne­ra­ti­on be­lei­digt« zu­rück­grei­fen oder auf die­sen Text von Leo­pold Fe­der­mair.

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  1. Heu­te gibt es kaum et­was Rüh­ren­de­res als ei­ne Af­fir­ma­ti­on des Li­be­ra­lis­mus. Das wä­re frei­lich schön. In­des scheint die­se »Staats­phi­lo­so­phie« für die po­li­tisch Über­ak­ti­ven un­at­trak­tiv zu sein. Im­mer­hin: auch das Buch von Pfi­ster ist ein Bei­trag zur »Nach­bes­se­rung an der Zu­kunft«, um die (oben sog.) selt­sa­me Uto­pie hin­ter dem Plä­doy­er mal auf den pa­ra­do­xen Punkt zu brin­gen. Mit viel Auf­wand wird es viel­leicht bald schon ein biss­chen bes­ser... Fort­schritt ist ein Kraft­akt, im­mer schon ge­we­sen. Man dach­te wohl lan­ge Zeit, die Ge­gen­wart wä­re schon ein gu­ter An­fang... So op­ti­mi­stisch war ich frei­lich nur ganz frü­her mal. Egal, Pfi­ster hat den Vi­rus (bad ide­as go­ing vi­ral) ganz gut ein­ge­kreist. Der Sprung in der Wer­te­schüs­sel trifft sich mit den al­ten Spann­nungs­li­ni­en wie der Klas­sen­fra­ge und dem Ras­sen­hass, aber es ist ei­ne neue »exi­sten­zi­el­le Rich­tung« da­bei. Ich er­in­ne­re mich gut, wie ich an­fangs Pro­ble­me hat­te, die Din­ge ein­zu­ord­nen. Das gan­ze Ge­summs, der Post­mo­der­nis­mus, die di­gi­ta­len Me­di­en, die se­xu­el­len Iden­ti­tä­ten, Auf­trit­te und Ab­sa­gen, etc. Er­klä­run­gen sind ja in der Re­gel erst mal der Ver­such, ...sich zu be­ru­hi­gen. Die Ra­tio will we­nig­stens recht ha­ben, wenn man schon die all­täg­li­che Stö­rung des himm­li­schen Gleich­ge­wichts hin­neh­men muss. Erst wenn man die Feind­se­lig­keit hin­ter den all­zu gut be­grün­de­ten Po­si­tio­nen ent­deckt, kriegt man deut­lich das Ge­fühl, dass Un­heil im Schwan­ge ist. Und dann will man es erst recht wis­sen, weil die dunk­len Mo­ti­ve ei­gent­lich noch span­nen­der sind als die »all­ge­mei­ne So­zio­lo­gie«. Mar­xis­mus, Mas­sen­psy­cho­lo­gie, To­ta­li­ta­ris­mus­kri­tik, Grup­pen­bin­dung, Er­lö­sungs­phan­ta­sien, Kul­tur­theo­rie, etc. Für die Hart­näckig­keit der schlech­ten Ideen ist ei­ne gu­te tech­ni­sche Ver­net­zung na­tür­lich die Vor­aus­set­zung. Die ha­ben wir »Gott­sei­dank«. Neu ist die Glo­ba­li­tät der Ver­net­zung, d.h. man kann sich er­folg­reich ein­bil­den, dass mit der Wahl der rich­ti­gen po­li­ti­schen Po­si­ti­on die Ent­schei­dung für das ge­lun­ge­ne Le­ben ein­her­geht, UND dass die­se Ent­schei­dung an­thro­po­lo­gisch ei­nen Fall von Erst­ge­lun­gen­heit dar­stellt. Zum er­sten Mal rich­tig ge­lebt! Man wird von uns be­rich­ten! Dass der Nar­ziss­mus den hoch­flie­gen­den ethi­schen Po­si­tio­nen im­mer in die Que­re kommt, ist die­ser Ge­ne­ra­ti­on völ­lig un­ver­ständ­lich. Al­so be­gann ihr Un­ter­gang.

  2. Nun, die For­mu­lie­rung war et­was hoch­tra­bend. Ge­spiel­te Un­be­küm­mert­heit. Spea­king wi­th God’s own voice. Der Li­be­ra­lis­mus kann ja gar nicht un­ter­ge­hen, der ist auf­ge­ho­ben im Reich der Ideen, und für im­mer rich­tig. Das exi­sten­zi­el­le Be­dürf­nis nach ei­ner Po­li­tik des Sinns und des gro­ßen Wir­kens ist na­tür­lich nicht un­mit­tel­bar auf dem Mist von nur ei­ner Ge­ne­ra­ti­on ge­wach­sen, aber ich woll­te ein Le­bens­zeit-Mo­dell in dem Kom­men­tar un­ter­brin­gen. Es wä­re un­fair, die heu­ti­ge Mi­se­re aus­ge­rech­net den nach­ge­rück­ten jun­gen Leu­ten in die Schu­he zu schie­ben. Da schrau­ben ja min­de­stens drei Ge­ne­ra­tio­nen drann. Ich woll­te ei­gent­lich auf ei­nen Bruch des Uto­pie-Kon­zep­tes hin­aus, das mit sei­nem apo­ka­lyp­ti­schen Ge­gen­teil zu­sam­men ge­fal­len ist. Die­se Os­zil­la­tio­nen sind doch zeit­gei­stig prä­gend ge­wor­den. Man weiß gar nicht mehr, ob die Zu­kunft ge­ret­tet oder ver­nich­tet wer­den soll. Die mo­ra­li­sti­sche Er­war­tung geht auf den per­fek­ten Men­schen aus, und der ein­zig glaub­haf­te »Pres­se­spre­cher« für die­ses Pro­jekt ist ein skru­pel­lo­ser Nar­zisst, der sich für Min­der­hei­ten und für’s Welt­kli­ma stark macht. Schwer, den Schur­ken zu ent­lar­ven, wenn al­le in den Ty­pen ver­liebt sind. Pfi­ster nennt ja ein paar Ver­däch­ti­ge aus den U.S.A., aber das Aus­maß der Wel­le scheint ihm nicht so ganz klar zu sein. Das fängt an bei den ver­lo­ge­nen Schau­spie­lern, geht über die Pro­fes­so­ren, die Me­di­en­leu­te, die Think Tanks (dt. Ethik­rä­te), die Po­li­ti­ker, die Bi­schö­fe, und en­det bei den hy­ste­ri­schen Nach­barn. Der Trieb, zu den mo­ra­lisch bes­se­ren Leu­ten zu ge­hö­ren, ist un­heim­lich, aber mäch­tig. Die Po­li­tik scheint da­von in­spi­riert zu sein, aber nur der Po­pu­lis­mus kann da­von be­grenzt pro­fi­tie­ren. Die­se Ab­schöp­fung führt dann zu dem Schluss, dass ir­gend­et­was Schlim­mes be­vor­steht, aber ich bin mir da nicht si­cher. Es ist be­reits al­les sehr schlimm. Ich will nicht an ir­gend­ei­ne dü­ste­re Zu­kunft glau­ben, das wä­re ja die to­ta­le An­bie­de­rung an den Zeit­geist.

  3. Gu­te Poin­te, aber der Zeit­geist ist ja ge­ra­de nicht kul­tur­pes­si­mi­stisch, son­dern uto­pisch. Er glaubt an das Gu­te und an Pro­blem­lö­sun­gen durch * und _ wo­bei er bil­dungs­fern po­stu­liert, da­mit Held der In­klu­si­on zu sein. Um nicht wie 1967f. vom Ka­the­der ent­fernt zu wer­den, bie­dert man dort be­son­ders be­flis­sen an. Die Qua­lif­kat­i­on für die po­li­ti­sche und wis­sen­schaft­li­che Ex­per­ti­se ist Gut­dün­ken und Gut­mei­nen. Ein ehe­ma­li­ger Call­cen­ter-Mit­ar­bei­ter be­stimmt die Li­nie ei­ner deut­schen Par­tei, ei­ne Stu­di­en­ab­bre­che­rin ist Vor­sit­zen­de ei­ner an­de­ren. Sie sind ste­ti­ge Gä­ste in den Me­di­en. Der Bil­dungs­bür­ger gilt als über­holt, weil Bil­dung nichts zählt. Die sich de­mo­kra­tisch zei­gen­den Re­sul­ta­te – ak­tu­ell in Schwe­den – wer­den mit Alar­mis­mus be­ant­wor­tet. Die bun­ten Far­ben blei­chen aus, aber das darf nicht sein.

    Pfi­sters Buch ist ei­ne Be­stands­auf­nah­me. Es war noch nicht ein­mal er­schie­nen, da wur­de es von den üb­li­chen Nicht­le­sern be­reits ab­ge­lehnt. Das Pro­blem ist, dass es den sich suk­zes­si­ve ze­men­tie­ren­den ge­sell­schaft­li­chen Wan­del gar nicht er­fasst, weil es – ge­zwun­ge­ner­ma­ßen – sich in Ein­zel­fäl­len ver­lie­ren muss, um Ten­den­zen zu zei­gen. Das er­öff­net dann ab­sur­der­wei­se den Grund für die Ver­harm­lo­sung, der am En­de auch Pfi­ster er­liegt, wenn er schreibt, dass die kri­ti­sier­ten Prot­ago­ni­sten schließ­lich kei­ne dau­er­haf­ten öko­no­mi­schen Nach­tei­le er­lit­ten ha­ben. Dass es in Zu­kunft sol­che Stim­men und Ana­ly­sen gar nicht mehr ge­ben wird weil sich der Kon­sens ver­schiebt und die Furcht vor wei­te­ren Eklats an­hält, kommt bei ihm nicht vor. Noel­le-Neu­manns »Schwei­ge­spi­ra­le« schien ein Re­likt aus ei­ner ver­gan­ge­nen Zeit, er­hält der­zeit al­ler­dings neu­en Auf­trieb.

    Der Li­be­ra­lis­mus ist ei­ne schö­ne po­li­ti­sche Rich­tung. Er er­in­nert an die zu­wei­len an Au­to­bahn­ab­fahr­ten ste­hen­den Schil­der »Al­le Rich­tun­gen«. Das ist ähn­lich wie To­le­ranz. Wo fängt sie an? Wo hört sie auf?

  4. Ich ha­be so­eben das Buch aus­ge­le­sen und bin am En­de doch grund­sätz­lich po­si­tiv über­rascht, wie ein doch , sich selbst links nen­nen­der Jour­na­list, zu die­sen doch schon er­schrecken­den Zu­stän­den in USA Stel­lung be­zieht und vor al­len Deutsch­land vor die­ser Ent­wick­lung warnt .
    Lei­der ist an­zu­neh­men, dass dies lei­der auch hier so pas­sie­ren wird , wie auch al­le an­de­ren Ent­wick­lun­gen und Mo­den ih­ren Weg über den gro­ßen Teich fan­den .
    Als An­ge­hö­ri­ger der ge­schmäh­ten Grup­pe der Al­ten wei­ßen Män­ner, noch da­zu mit ost­deut­schen Wur­zeln, ist für mich be­son­ders bit­ter zu se­hen, wie un­se­re De­mo­kra­tie ad ab­sur­dum ge­führt wird und der ideo­lo­gi­sche Irr­sinn, auf der im Buch be­schrie­be­nen Ba­sis, re­giert .
    An mei­nen bei­den er­wach­se­nen Kin­dern kann ich die­se ne­ga­ti­ven Strö­mun­gen in Form von In­dok­tri­na­ti­on, mit­ge­bracht aus Uni und Schul­un­ter­richt schon heu­te er­ken­nen.
    Wo sind noch fä­hi­ge Po­li­ti­ker in den eta­blier­ten Par­tei­en , z.B. in Ge­stalt ei­nes Alt­kanz­lers Schmidt ( Zi­tat „ wer Vi­sio­nen hat soll­te zum Arzt ge­hen„ ) die die­sem Trei­ben ein En­de ge­bie­ten?
    Bit­te mich nicht falsch ver­ste­hen, auch ich se­he selbst­ver­ständ­lich Fehl­ent­wick­lun­gen und Dis­kri­mi­nie­run­gen, wel­che ge­re­gelt und kor­ri­giert wer­den soll­ten .
    Aber doch bit­te nicht mit der bei­spiels­wei­se ein­her­ge­hen­den Ver­hun­zung un­se­re schö­nen Spra­che mit­tels *_etc. ,
    oder dem Ver­bot von Win­ne­tou und Pip­pi Lang­strumpf .
    Hier hilft mir mei­ne ost­deut­sche Prä­gung um zu füh­len , dass dies al­les schon ein­mal im an­de­ren Män­tel­chen da war und dik­ta­to­ri­schen Cha­rak­ter be­inhal­tet.
    Al­so bit­te , weh­ret den An­fän­gen ! Das Buch ist ein wert­vol­ler Au­gen­öff­ner da­für, Re­spekt Herr Pfi­ster!
    Mit freund­li­chen Grü­ßen
    Ma­thi­as Wormuth
    Bünde/ Ost­west­fa­len

  5. Ich ha­be ein­mal ei­ne Ver­ständ­nis­fra­ge zu den kri­ti­ken hier.
    Was ist denn hier bit­te schön »links« oder »neue lin­ke Ideo­lo­gie« an dem ge­ba­ren? Die­se Aus­gren­zun­gen von Men­schen, die sich nicht der herr­schen­den oder vor­ge­ge­be­nen Mei­nung an­schlie­ßen oder un­ter­wer­fen, das ist doch kei­ne neue lin­ke Ideo­lo­gie!
    Ich nen­ne das Ge­sin­nungs­ter­ror, wie wir es aus der Na­zi­zeit ken­nen und spä­ter aus den USA in der Mc­Car­thy-Ära. Per­sön­lich­kei­ten, die sich sel­ber als »links« ver­or­ten und so agie­ren (z.B. ge­ra­de ak­tu­ell grü­ne Spit­zen­po­li­ti­ker) tar­nen sich mehr oder we­ni­ger be­wußt hin­ter ei­ner ver­meint­lich lin­ken Rhe­to­rik, die aber sub­stan­ti­ell deut­lich das Ge­gen­teil näm­lich ex­trem to­ta­li­tär ist. Mir kommt das ein we­nig wie bei Or­wells »1984« vor, wo die Be­griff­lich­kei­ten ins Ge­gen­teil um­ge­deu­tet wer­den.
    Da wir al­le in den letz­ten 30 Jah­ren ge­gen »Rechts« vor al­lem rech­te Par­tei­en ak­tiv wa­ren, ha­ben wir mei­ner Mei­nung nach über­se­hen, dass in den so­ge­nann­ten Par­tei­en der »Mit­te« sich ein enorm »rech­tes« Po­ten­ti­al ent­wickelt hat, was sich sich sel­ber aber meist links nennt. Ge­schickt wird dann die kri­tik an den Ak­teu­ren der eta­blier­ten Par­tei­en als »rechts«, als »Quer­den­ker«, »Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­ker« »als »Ras­sist« oder wenn ei­nem ge­ra­de nichts sub­stan­ti­el­les ein­fällt auch schon mal als ant­se­mi­tisch ab­ge­bü­gelt. Das ent­schei­den­de an die­sem Ver­hal­ten ist die Dis­kurs­ver­wei­ge­rung oder wenn zu­ge­las­sen, dann nur in ei­nem en­gen be­stimm­ten vor­ge­ge­be­nen »Framing«.
    Jetzt kom­me mir nie­mand und sa­ge, das ist doch links, sie­he So­wjet­uni­on oder heu­te Russ­land oder DDR. Die­ser ge­dank­li­che To­ta­lie­ris­mus gibt es auch heu­te in der Bun­des­re­pu­blik, in den USA, in der Tür­kei, Sau­di-Ara­bi­en, Iran oder auch in Po­len. Ge­ra­de die letzt­ge­nann­ten sind ja wohl frei von dem Ver­dacht links­ori­en­tier­te Staa­ten zu sein.
    Wenn die­se miß­bräuch­li­che Ver­wen­dung der Spra­che so un­ge­bremst wei­ter­geht, wird es – zu­ge­spitzt for­mu­liert – ir­gend­wann ein­mal Fa­schi­sten ge­ben, die sich selbst als An­ti­fa­schi­sten ver­kau­fen,
    Das was Pfi­ster in sei­nem Buch an so­zia­len und sprach­li­chen Ver­wer­fun­gen schil­dert links zu be­zeich­nen, ist zu kurz ge­sprun­gen und da­mit macht man es sich es viel zu ein­fach.
    Es ist viel wich­ti­ger den to­ta­li­tä­ren und oft ras­si­sti­schen An­spruch da­hin­ter zu er­ken­nen und zu be­nen­nen, als mal schnell – wie es bei uns meist üb­lich ist – das Eti­kett »Links« drauf zu pap­pen. Und dann groß­zü­gig gön­ner­haft mit den Schul­tern zu zucken und zu sa­gen, »So sind sie halt, die Lin­ken, so­was kennt man ja von de­nen nicht an­ders«.
    Das Pfi­ster von sei­nen Er­fah­run­gen in den USA schreibt, ei­nem erz­kon­ser­va­ti­ven, hoch­ka­pi­ta­li­sti­schen und zu­tiefst Pseu­do­re­li­giö­sem Staat schreibt, soll­te doch hier an die­ser Stel­le zu den­ken ge­ben, dass wir es hier nicht mit ei­ner »lin­ken Ideo­lo­gie« zu tun ha­ben.
    Es geht schlicht um ei­nen To­ta­li­täts­an­spruch, der zu al­ler­erst die ei­ge­ne Macht si­chern soll und da­zu die Kon­trol­le über die Denk­mu­ster in un­se­ren Köp­fen be­hal­ten will.

  6. Claus Hüb­ner
    Die For­mu­lie­rung »neue lin­ke Ideo­lo­gie« ist in mei­nem Text in An­füh­rungs­zei­chen ge­setzt und ist ein Zi­tat aus Pfi­sters Buch. So wird es be­wor­ben. Es steht Ih­nen frei, das zu kri­ti­sie­ren, aber ich bit­te um Un­ter­schei­dung zwi­schen Zi­tat und Kri­tik.

    Pfi­ster kri­ti­siert die links­iden­ti­tä­ren Um­trie­be im in­tel­lek­tu­el­len Be­trieb der USA, bspw. Uni­ver­si­tä­ten. Ih­re pau­scha­le Zu­schrei­bung der USA als »erz­kon­ser­va­tiv« und »zu­tiefst pseu­do­re­li­gi­ös« ist Kin­der­kram. Ver­glei­che zur Na­zi­zeit sind ob­szön. Wo­mög­lich wür­de Ih­nen die Lek­tü­re des Bu­ches Auf­schluß über die auf­ge­wor­fe­nen Fra­gen brin­gen.

  7. Ich for­sche pri­vat seit meh­re­ren Jah­ren an der Fra­ge, wor­an man die to­ta­li­tä­ren Be­we­gun­gen er­ken­nen kann. Die Fra­ge ist son­der­bar ab­grün­dig, weil al­le Po­li­tik (den Kon­troll­geist der Bü­ro­kra­ten mal au­ßen vor, al­so den Fu­ror des Staa­tes) zu­nächst mit sehr wich­ti­gen An­lie­gen be­fasst ist. Die öf­fent­li­che Si­cher­heit, der So­zi­al­aus­gleich, der Wert der Na­tur, etc. Je­der To­ta­li­ta­ris­mus kommt erst mal als will­kom­me­nes An­ge­bot da­her. Ge­stern stand ein völ­lig an­ge­schla­ge­ner Ha­beck auf der Büh­ne, und re­de­te den Leu­ten noch ein­mal ins Ge­wis­sen, im Ton von: Al­le ha­ben ja nun be­grif­fen, wie wich­tig »die Sa­che« ist. Des­halb wer­den wir... Es folg­ten die Maß­nah­men. Ar­gu­men­te braucht er nicht, die gibt es nie bei den Ideo­lo­gen. Das kön­nen die auch gar nicht. Sie le­ben (wie Mat­ti­as Des­met zeigt) von Wie­der­ho­lun­gen und »Be­feh­len«. Es gibt kei­ne Grün­de, kei­ne Plä­ne, kei­ne Bi­lanz, nur ei­nen blin­den Kampf ge­gen den »Wi­der­stand«, den sie vor­fin­den, zu­letzt so­gar in der Na­tur­wis­sen­schaft (Phy­sik). Der Drang hin­ter die­sem »po­li­ti­schen In­ter­es­se« ist nicht zu­gäng­lich, das »Urin­ter­es­se« zeigt sich re­si­stent und un­er­sätt­lich. Wir müs­sen wirk­lich in die Tie­fen­psy­cho­lo­gie ein­stei­gen, um die­sen An­trieb zu ver­ste­hen. Bei der öko­lo­gi­schen Be­we­gung ist ein in­dia­ni­scher Geist der »Mut­ter­de­pen­denz« er­wacht. Die Na­tur wird als er­ha­ben und gött­lich idea­li­siert, ih­re Gunst kann man ge­win­nen. Das Urin­ter­es­se ist vor­be­wuss­ter Na­tur, d.h. es lässt sich nicht be­griff­lich ein­krei­sen (zur Er­kennt­nis wan­deln), und es lässt sich auch nicht durch Ver­nunft­grün­de len­ken. Es ist ein we­nig ma­ka­ber, aber zum ge­gen­wär­ti­gen Zeit­punkt glau­be ich, es kann nur durch an­de­re exi­sten­zi­el­le In­ter­es­sen (Job, Fa­mi­lie, An­se­hen) zu­rück­ge­drängt wer­den. Das hat nicht nur sehr viel mit Macht zu tun, was die­se Frücht­chen da trei­ben, es gibt auch kein an­de­res Mit­tel da­ge­gen. Ich glau­be, das ist ein we­nig der Schock nach dem fried­li­chen In­te­rim im Wie­der­ver­ei­nig­ten Deutsch­land. Es geht wie­der ans Ein­ge­mach­te, un­be­greif­li­cher­wei­se dies­mal im Na­men der Na­tur, bzw. da­ge­gen! – Ich scher­ze ger­ne: Mä­dels, legt eu­re Schutz­we­sten an! Das sind Mär­chen­er­zäh­ler und Te­le­fo­ni­sten, aber sie sind brand­ge­fähr­lich, denn sie ken­nen sehr vie­le an­de­re Mär­chen­er­zäh­ler und Te­le­fo­ni­sten...

  8. Oh, völ­lig über­se­hen. Der Öko-To­ta­li­ta­ris­mus hat na­tür­lich ein kom­plett an­de­res »Urin­ter­es­se« als der iden­ti­tä­re Ter­ror in den U.S.A. Da geht es um An­er­ken­nung, Wett­be­werb und Selbst­wert.

  9. Man muss nur auf­pas­sen, dass man nicht al­les so­fort zum »To­ta­li­ta­ris­mus« er­klärt. Ge­nau das ge­schieht näm­lich der­zeit, wenn ich an die Pro­ble­ma­tik der »Kli­makle­ber« oder auch Haus­be­set­zer den­ke. Da wer­den aus­ge­han­del­te, in Ge­set­zen ge­gos­se­ne und bis­her all­ge­mein an­er­kann­te Re­geln zu Gun­sten hö­he­rer mo­ra­li­scher In­ten­tio­nen so­zu­sa­gen ab­ge­schafft. Nö­ti­gung und/oder Pri­vat­be­sitz wer­den zu un­ter­ge­ord­ne­ten Wer­ten er­klärt. Das ist na­tür­lich to­ta­li­tär, wird aber als le­gi­ti­me Maß­nah­me an­ge­se­hen, um von der »To­ta­li­tät« der »fos­si­len En­er­gie­wirt­schaft« ab­zu­kom­men. Un­ter­stützt wird dies mit apo­ka­lyp­ti­schen Sze­na­ri­en.

    Ihr Hin­weis auf die un­ter­schied­li­che Be­trach­tung von Öko-To­ta­li­ta­ris­mus und Iden­ti­tä­rem Den­ken wird na­tür­lich ge­mein­hin als hei­kel ein­ge­stuft wer­den. Das ei­ne ist schließ­lich »Gut« und das an­de­re »Bö­se«. Wir ha­ben der­zeit ei­ne Über­be­schal­lung in al­len Me­di­en, was den Kli­ma­wan­del bzw. Kli­ma­kri­se an­geht. Kein Wet­ter­be­richt mehr oh­ne ei­ne Sta­ti­stik, die et­was be­le­gen soll. Das hat tat­säch­lich et­was von Or­well. Kei­ner darf die Sinn­haf­tig­keit der Maß­nah­men be­fra­gen (bspw. Atom­kraft­wer­ke ab­schal­ten und statt­des­sen Koh­le- und Atom­strom ein­kau­fen). Vet­tern­wirt­schaft durch Grü­ne wird als Pres­se­kam­pa­gne ab­ge­bür­stet. Das At­tri­but »rechts« ist so­fort zur Hand. Zum »Na­zi« wird man dann, wenn man die lin­ken iden­ti­tä­ren Strö­mun­gen kri­ti­siert.

    Er­mög­licht wird dies zum ei­nen durch star­ke Sym­pa­thien in Jour­na­li­sten- und In­tel­lek­tu­el­len­krei­sen. Und zum an­de­ren durch sy­ste­ma­ti­sche In­dok­tri­na­ti­on, die schon in Schu­len be­ginnt. Man konn­te dies wäh­rend der Co­ro­na-Pan­de­mie sehr gut se­hen: Wer va­li­de Zah­len­mo­del­le und Eva­lu­ie­run­gen an­mahn­te, um so ge­zielt zu er­for­schen, wo und wie sich das Vi­rus am mei­sten aus­brei­tet, wur­de im gün­stig­sten Fall nicht ge­hört bzw. ab­ge­bür­stet. Statt­des­sen kur­sier­ten un­be­stä­tig­te Stu­di­en, die al­les mög­li­che vor­her­sag­ten und Alar­mis­mus er­zeug­ten. Deutsch­land stand ganz kurz vor dem »NoCovid«-Unsinn wie ihn Neu­see­land und vor al­lem Chi­na prak­ti­zier­ten. Bei­de Län­der – ei­nes ei­ne De­mo­kra­tie, das an­de­re ei­ne Dik­ta­tur – un­ter­schie­den sich in Nichts mehr von­ein­an­der.

    Tat­säch­lich glau­be ich, dass sehr vie­le die­ser Kli­ma- und Grü­nen­ak­ti­vi­sten (das geht bis in die Par­tei­äm­ter hin­ein) ei­nen mis­sio­na­risch-re­li­giö­sen Drang ha­ben. Sie müs­sen ir­gend­et­was ab­ar­bei­ten, die Mensch­heit be­glücken und nur sie wis­sen, wie das geht. Wer sich dem ent­ge­gen­stellt, wird dis­kre­di­tiert. Der Un­ter­schied bspw. zu den spa­ni­schen Kon­qui­sta­do­ren des 16. und 17. Jahr­hun­derts liegt nur dar­in, dass man bis­her phy­sisch ver­schont bleibt son­dern (un­ter Um­stän­den) nur fi­nan­zi­ell rui­niert wird. Die re­li­giö­sen Tö­ne sind deut­lich ver­nehm­bar; das Evan­ge­li­um Jo­han­nes wird neu ge­schrie­ben. Ähn­lich wie der Papst lan­ge Zeit im Eu­ro­pa die po­li­ti­sche Füh­rung be­an­spruch­te (und Kai­ser er­nann­te), wünscht sich ei­ne im Grun­de klei­ne Schar von Ideo­lo­gen ei­ne über­ge­setz­li­che, po­li­ti­sche Macht­fül­le – das al­les na­tür­lich zu un­ser al­ler Wohl. Der Trost: Ir­gend­wann kam die Auf­klä­rung. Mal se­hen.

  10. Schreck­lich wahr, was Sie schrei­ben. Die Be­wer­tun­gen flackern dra­ma­tisch. Ich ha­be im On­line-TV ei­ne Jour­na­li­sten­run­de ver­folgt; die ver­an­stal­ten Hirn­akro­ba­tik, wenn es um die heik­len Ab­gren­zun­gen zwi­schen dem Not­wen­di­gen (Hei­zungs­ein­bau) und dem Il­le­gi­ti­men (Pro­test) geht. Pech ge­habt in der Lie­be, kann ich da nur sa­gen. Die sind den To­ta­li­tä­ren auf den Leim ge­kro­chen. Die Jour­na­li­sten ha­ben sich al­le in die bes­se­re Ver­si­on des po­li­ti­schen Men­schen ver­liebt, den »Eros der GRÜNEN«, wie Tell­kamp so ge­heim­nis­voll sag­te. Muss je­der se­hen, wie er da raus­kommt. (»Den­ken, Den­ken«, sonst merkt noch je­mand, wo ich mein Kreuz­chen ge­macht ha­be.)
    Ein Kri­te­ri­um des To­ta­li­ta­ris­mus, bei­na­he das Wich­tig­ste, ist die Tat­sa­che, dass sei­ne An­hän­ger und die Mit­läu­fer das kri­ti­sche Den­ken aus­blen­den, bzw. für »kon­tra­pro­duk­tiv« hal­ten. Geht nicht, gibt’s nicht, but in a bad way... CO2-Neu­tra­li­tät in der EU?! Ma­chen wir. Aus­stieg aus Koh­le und Kern­kraft in Deutsch­land?! Mehr Ideen, bit­te, strengt euch an.
    Na­tür­lich gibt es ei­ne hauch­dün­ne »bor­der­line-ar­ti­ge« Gren­ze zwi­schen dem, was nun tat­säch­lich als Bru­ta­li­tät ge­wer­tet wer­den muss (darf man sich an Be­hin­der­te kle­ben, um das Kli­ma zu ret­ten?!), und dem, was ge­ra­de noch als sinn­fäl­lig und »gut« be­trach­tet wer­den kann (Fuß­gän­ger­über­gang ist o.k...). Aber die Be­wer­tungs­olym­pia­de der Jour­na­li­sten (sie­he oben) ist nur die obzö­ne Ober­flä­che ei­nes sehr viel schlim­me­ren Ge­sche­hens: der Aus­he­be­lung von Ver­nunft und sy­ste­ma­ti­scher Kri­tik. Scha­de, mal wie­der.

  11. Na­ja, die­ses »muß je­der se­hen« wird na­tür­lich zu ge­wal­ti­gen po­li­ti­schen (und da­mit so­zia­len) Ver­wer­fun­gen füh­ren. Be­reits jetzt ist die an­de­re to­ta­li­tä­re Par­tei, die AfD, stärk­ste Kraft in ei­ni­gen ost­deut­schen Län­dern. In Thü­rin­gen wird schlicht­weg des­we­gen ein­fach nicht mehr ge­wählt; die Min­der­heits­re­gie­rung wird von der Uni­on durch Stim­men­ver­wei­ge­rung to­le­riert. Das nennt man dort tat­säch­lich noch »Po­li­tik«.

    Ich ha­be hier schon vor Jah­ren ge­schrie­ben, dass öster­rei­chi­sche Ver­hält­nis­se dro­hen. Das scheint nun – lei­der – zur Ge­wiss­heit zu wer­den. Die Schuld tra­gen die Ideo­lo­gen, die jeg­li­che po­li­ti­sche Weit­sicht ne­gie­ren.

  12. Gut, Thü­rin­gen ist ver­lo­ren. Das stimmt. Die Ver­hält­nis­se sind ab­surd. Die Hälf­te des Par­la­ments Ex­tre­mi­sten, je­den­falls der Flag­ge nach. Da hat es so­gar der Drit­te Weg des Au­to­ri­tä­ren schwer, sprich die Ökos. Wie vie­le ex­tre­mi­sti­sche Al­ter­na­ti­ven sind ei­gent­lich »sinn­voll«?! Ich fürch­te, die »in­ve­stier­te Hoff­nung« in die Drit­te Va­ri­an­te hat sehr viel mit den be­kann­ten Schwä­chen der Alt-Ex­tre­mi­sten zu tun. Man woll­te mu­tig sein, man woll­te pro­gres­siv sein, man woll­te ei­ne Al­ter­na­ti­ve zu den Al­ter­na­ti­ven. In­zwi­schen flie­gen uns al­le Wör­ter und Ka­te­go­rien (völ­lig rich­tig, @ Claus Hüb­ner, völ­lig rich­tig) um die Oh­ren. Ein Hüt­chen-Spiel ist ent­stan­den, und un­ter je­dem der 3 Hüt­chen steckt ein »Na­zi«. Die au­to­ri­tä­re Di­men­si­on hat sich noch ein­mal ge­teilt, und lockt uns al­le mit in­zwi­schen 3 An­ge­bo­ten. Es soll kei­ner sa­gen, dass hier nicht der Teu­fel sei­ne Fin­ger drinn hat.
    Zur Fra­ge der »neu­en lin­ken Ideo­lo­gie«: son­nen­klar, sind die Kul­tur- und Sex-Iden­ti­tä­ren links. Das ist ein­deu­tig. Und sie sind an­ti-mo­dern und to­ta­li­tär. Sie ar­bei­ten mit Pa­ra­do­xien. – - Aber die ver­zwei­fel­te Ver­tei­di­gung des »mo­ra­li­schen Kerns« der Lin­ken führt uns wirk­lich in die Ir­re. Wir wä­ren näm­lich al­le ger­ne »links« und »li­be­ral«, aber der Links­li­be­ra­lis­mus ist längst von den Ökos und den Iden­ti­tä­ren ge­kap­pert wor­den. Die­se Stel­le im po­li­ti­schen Ko­or­di­na­ten­sy­stem ist tot, mau­se­tot, aus und vor­bei. Das war mal ein läs­si­ger schö­ner Traum, be­vor die Da­mö­nen zu­rück­ge­kehrt sind. Ich den­ke, @Gregor, es wa­ren nicht nur die Ideo­lo­gen, die uns den Schla­mas­sel ein­ge­brockt ha­ben, es wa­ren die In­tel­lek­tu­el­len und die Jour­na­li­sten. Zu vie­le Lü­gen, Brü­der und Schwe­stern. Zu­viel »Charme«, zu viel Prä­po­tenz.