Ei­ne Sa­che der Prio­ri­tä­ten

Frank Schirr­ma­cher sah sich ge­nö­tigt, ei­ni­ge kla­re Wor­te zum Suhr­kamp-Streit (ist es schon ein Dra­ma?) zu sa­gen. Dem wä­re ei­gent­lich nichts hin­zu­zu­fü­gen. Aber wie so oft, wenn auf FAZ oder in ir­gend ei­nem an­de­ren so­ge­nann­ten Le­ser­fo­rum dann die Kom­men­ta­re her­ein­pur­zeln, sind die­se noch von ei­ner ganz an­de­ren »Qua­li­tät«.

Dem ho­hen Ton des dro­hen­den Un­ter­gangs vom ein oder an­de­ren Au­tor oder Weg­ge­fähr­ten wird das Schul­ter­zucken ent­ge­gen ge­setzt. Was soll das denn? Suhr­kamp sei doch nur ein Ver­lag. Die so­ge­nann­te Suhr­kamp-Kul­tur (in der Tat ei­ne schreck­li­che For­mu­lie­rung) ist für die mei­sten Kom­men­ta­to­ren eli­tär, gest­rig, zu ver­nach­läs­si­gen, ha­be sich über­holt. Ih­re Prot­ago­ni­sten sei­en alt, ver­bie­stert und – na­tür­lich – In­tel­lek­tu­el­le, die nicht mit Geld um­ge­hen kön­nen. (Wie blöd­sin­nig die­ses Vor­ur­teil ist zeigt sich, wenn man die Brief­wech­sel Un­seld mit Bern­hard und Hand­ke liest.) Man gönnt ih­nen teil­wei­se auch den Ab­sturz.

Über die Opel-Schlie­ßung wird mit­leid­vol­ler dis­ku­tiert als über die Mög­lich­keit des Zer­schla­gens die­ses Ver­la­ges. Na­tür­lich sind bei Opel mehr Men­schen be­trof­fen, da­für sind die Ver­hält­nis­se aber kla­rer. Die Ent­rü­stung über die Schlie­ßung von Opel re­sul­tiert vor al­lem dar­aus, weil na­he­zu je­der ein Au­to hat und sich mit die­sem Ob­jekt iden­ti­fi­zie­ren kann. Bei Bü­chern sieht das schon et­was an­ders aus. Es ist al­so, um es et­was pla­ka­tiv zu for­mu­lie­ren, ei­ne Fra­ge der re­li­giö­sen An­haf­tung, die dem je­wei­li­gen Ge­gen­stand ent­ge­gen ge­bracht wird. Ge­fährt oder Geist? Die Prio­ri­tä­ten sind klar.

Aber es ist noch et­was an­de­res, was die Shits­tor­mer da zei­gen (und, wie man be­fürch­ten muss, ei­ne ge­wis­se Re­prä­sen­tanz sicht­bar wird): Es ist ein amor­pher, sich schlei­chend ver­fe­sti­gen­der An­ti-In­tel­lek­tua­lis­mus, der sich in die­sen rü­den, grob­schläch­ti­gen Äu­ße­run­gen zeigt, die zu dem meist oh­ne jeg­li­ches Wis­sen als Af­fek­te ab­ge­son­dert wer­den (»Shit« halt). Der Ab­nei­gungs­fu­ror nimmt zu­wei­len ta­li­ba­nes­ke For­men an.

Wenn sich die jet­zi­gen Ge­schäfts­füh­rer und Teil­ha­ber ih­rer Auf­ga­be nicht wür­dig er­wei­sen, soll von mir aus der Suhr­kamp Ver­lag in den Or­kus ver­schwin­den oder sich auf­tei­len. Er hat ja – was die we­nig­sten wis­sen – sei­nen Ur­sprung in ei­ner kom­pli­zier­ten Tei­lungs­ge­schich­te zwi­schen Fi­scher und Suhr­kamp, er­zwun­gen durch die Na­zi-Zeit. Da­nach konn­te man sich dann auch nicht mehr ei­ni­gen und es blieb lan­ge ei­ne Glau­bens­fra­ge: Fi­scher oder Suhr­kamp? Bei­de Ver­la­ge ha­ben es über­lebt, weil sie Kom­merz mit Kul­tur zu­sam­men­d­ach­ten. Die­se Ba­lan­ce droht nun Suhr­kamp zu zer­rei­ssen (üb­ri­gens nicht nur Suhr­kamp, son­dern et­li­che Un­ter­neh­men, in de­nen Fi­nanz­in­ve­sto­ren über­zo­ge­ne, bran­chen­un­üb­li­che Ren­ta­bi­li­täts­for­de­run­gen stel­len). Hä­me oder Ge­häs­sig­kei­ten zei­gen vor al­lem ei­nes: Fort­schrei­ten­de Dumm­heit. Das Schlim­me ist, dass man sich die­ser in­zwi­schen nicht ein­mal mehr schämt.


PS: Links auf ak­ti­ve Ver­fech­ter des LSR set­ze ich der­zeit nicht.

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  1. Mein Ein­druck ist ein an­de­rer: Ich se­he da kei­nen schlei­chen­den An­ti-In­tel­lek­tua­lis­mus, son­dern eher das Ge­gen­teil. Die einst­mals füh­ren­den Ver­la­ge, dar­un­ter eben auch Suhr­kamp, ha­ben im letz­ten Jahr­zehnt zu ei­ner in­tel­lek­tu­el­len Ver­fla­chung bei­getra­gen, in­dem sie, ganz ähn­lich der Film- und zu­vor der Mu­sik­bran­che, im­mer mehr auf ein­zel­ne Spit­zen­ti­tel ge­setzt und da­bei den Auf­bau von Au­toren ver­nach­läs­sigt ha­ben. Die zahl­rei­chen Neu­grün­dun­gen klei­ner Ver­la­ge, die ge­zielt auf an­spruchs­vol­le Pro­gram­me set­zen (und da­mit frei­lich im­mer ums Über­le­ben kämp­fen) ha­ben die­se ent­stan­de­ne Lücke ge­füllt. Die Hä­me, die sich nun in vie­len Kom­men­ta­ren zu Suhr­kamp zeigt, re­agiert dar­auf, dass aus­ge­rech­net in der ak­tu­el­len Not­la­ge der Ver­lag sich aber wie­der als Ban­ner­trä­ger des In­tel­lek­tua­lis­mus dar­stellt – in stra­te­gi­scher Ver­ken­nung nicht nur der ei­ge­nen Ent­schei­dun­gen der letz­ten Jah­re, son­dern letzt­lich des Zu­stan­des der gan­zen Bran­che. Der Shits­torm zeigt da­her mei­ner Mei­nung nach vor al­lem, dass die Le­ser sich nichts vor­ma­chen las­sen und die­se Zu­sam­men­hän­ge sehr wohl durch­schau­en – an­ders lei­der als vie­le der Suhr­kamp-Au­toren, die sich jetzt zu Wort mel­den.

  2. @Thorsten Krä­mer
    Die di­ver­sen Short- und Longlists (auch die »Be­sten­li­ste«) – man mag von ih­nen hal­ten, was man will – zei­gen das Ge­gen­teil an. Cle­mens J. Setz, Ste­phan Thome, Uwe Tell­kamp, Ju­dith Schal­an­sky, An­dre­as Mai­er – al­les Bei­spie­le für den »in­tel­lek­tu­el­le Ver­fla­chung« bei Suhr­kamp? Was für ein Un­sinn. Das be­deu­tet nicht, dass man hier und da »Speck« an­ge­setzt hat, d. h. ei­ne ge­wis­se Brä­sig­keit ein­trat. Und tat­säch­lich: So man­ches Buch wä­re wohl un­ter dem »al­ten« Un­seld nicht bei Suhr­kamp er­schie­nen.

    Der Shits­torm zeugt von ve­ri­ta­bler Un­kennt­nis und Af­fek­ten. Die­je­ni­gen, die am lau­te­sten ru­fen sind doch nicht die­je­ni­gen, die die klei­nen, am­bi­tio­nier­ten Ver­la­ge un­ter­stüt­zen. An­son­sten wür­de die La­ge ja an­ders aus­se­hen; sie spre­chen das sel­ber an, dass die am­bi­tio­nier­ten Ver­la­ge schwer zu kämp­fen ha­ben. Das ist im üb­ri­gen – ich ha­be dies hier oft be­tont – ein Ver­säum­nis des Feuil­le­tons, das tat­säch­lich nur auf gro­ße Na­men ka­pri­ziert ist.

    Spinnt man die Agen­da wei­ter, geht es fast gar nicht mehr um Suhr­kamp. Es geht dar­um, ob Ver­la­ge wie nor­ma­le Wirt­schafts­un­ter­neh­men mit ein­deu­ti­gen Ren­ta­bi­li­täts­vor­ga­ben ge­führt wer­den sol­len. Und es geht dar­um, was das be­deu­tet. Da­bei wür­den wo­mög­lich die Hälf­te der ak­tu­el­len Suhr­kamp-Ti­tel nicht mehr ver­legt wer­den, weil sie ent­we­der zu we­nig oder gar kei­ne Ge­win­ne ab­wer­fen (oder, als drit­te Mög­lich­keit, zu spät). Es geht um die Tur­bo-Kom­mer­zia­li­sie­rung des Buch­mark­tes (kom­mer­zi­ell ist er schon sehr lan­ge; mit eben fast al­len Aus­wüch­sen). Der von Ih­nen (mir Recht) so hoch­ge­hal­te­ne Klein­ver­le­ger wür­de – das ist für mich das Pa­ra­do­xon – mit ei­ner Zer­schla­gung Suhr­kamps – auch lei­den; und zwar in­di­rekt.

    Am Tref­fend­sten hat die Ka­la­mi­tät der Schrift­stel­ler Jo­sef Wink­ler in ei­nem In­ter­view aus­ge­drückt. Sinn­ge­mäss sag­te er, dass sich die Fra­ge nach ei­ner Ab­wan­de­run­gen von ihm zu ei­nem an­de­ren Ver­lag soll­te denn Herr Bar­lach die Ge­schäfts­füh­rung über­neh­men bzw. do­mi­nie­ren, gar nicht stel­le. Der Ver­lag wür­de ihn, Wink­ler, gar nicht mehr ver­le­gen!

  3. Ich sprin­ge T. Krä­mer bei, et­was dif­fe­ren­ziert: den ei­nen ist es egal, weil schon im­mer, ein paar we­ni­ge se­hen dar­in die Quit­tung.
    Ich ver­ste­he al­le Po­si­tio­nen, sie sind über­aus klar in der Mo­ti­va­ti­on.
    SUHRKAMP hat in den letz­ten 10 Jah­ren zur Ver­fla­chung bei­getra­gen, ja! Aber was hät­te man tun sol­len? Die Ver­fla­chung hat ja statt­ge­fun­den, und wur­de nicht will­kür­lich hin­ter­trie­ben. Ei­ne Sa­lon-Kul­tur zur re­prä­sen­ta­ti­ven Cachie­rung kommt ei­nem ziem­lich de­ka­dent vor. BARLACH hat be­stimmt ein­fa­che­re Mo­ti­ve. Dass er den Sub­stanz­ver­lust wahr­nimmt, ist aber nicht aus­ge­schlos­sen.
    Ich kom­me ge­ra­de von ei­ner Web­site über ei­ne Thea­ter­be­spre­chung, und da fiel der schö­ne, ver­zwei­fel­te Satz:
    –Die Zu­kunft ist tot, die Ver­gan­gen­heit ist ge­blie­ben.–
    Ich er­le­be ei­nen Kul­tur­ver­fall al­ler­größ­ten Aus­ma­ßes.
    d.h. auch das Den­ken ist ka­putt. Das muss man in Deutschal­nd im­mer da­zu­sa­gen, weil sonst je­der meint, das sei ne rein äu­ßer­li­che An­ge­le­gen­heit.
    Wer den Sub­stanz­ver­lust der In­tel­lek­tu­el­len nach­voll­zie­hen möch­te, le­se Durs Grün­bein in der FAZ. Trau­rig, aber schrift­lich!

  4. @die_kalte_Sophie
    Zur an­geb­li­chen Ver­fla­chung bei Suhr­kamp ha­be ich ja schon was ge­schrie­ben. Die Hä­me in den Le­ser­kom­men­ta­ren kommt je­doch nicht aus den nicht mehr er­füll­ten An­sprü­chen; das Ge­gen­teil ist der Fall: Man wirft dem Ver­lag und den Au­toren ja ge­ra­de Eli­ta­ris­mus vor.

    Spon­tan stimmt man Ih­nen an­son­sten zu, aber das ist doch auch nur ein kul­tur­kri­ti­sches Par­lan­do, wel­ches in un­zäh­li­gen Va­ria­tio­nen vor­ge­tra­gen wur­de bzw. spä­te­stens seit Goe­the fast ka­no­ni­siert scheint.

  5. Als Au­ßen­ste­hen­der se­he ich es auch eher nietz­schea­nisch: Ei­ne In­sti­tu­ti­on, die sich über­lebt hat, war­um auch im­mer, soll eben un­ter­ge­hen.

    Das wä­re auch im Sin­ne ei­ner Evo­lu­ti­on, wenn nicht der Li­te­ra­tur dann doch ih­rer be­rüch­tig­ten Pro­duk­ti­ons­be­din­gun­gen – und das meint eben auch der „kul­tu­rel­len“, die sich manch­mal zu än­dern ha­ben. Und es meint auch kei­ne Miss­ach­tung von „Ver­dien­sten“, aber Hei­li­ge Kü­he gibt es im Stan­dard-Wer­te­sy­stem der deut­schen Kul­tur-In­tel­lek­tu­el­len über­ge­nug.

    An­son­sten sorgt der Be­trieb eben für den Fort­be­stand des Be­triebs – auch das Feuil­le­ton ar­bei­tet da plötz­lich an ei­ner Er­zäh­lung, in der es zu stark selbst vor­kommt, als dass es nicht sei­ne all­zu be­wah­ren­de Rol­le ein­mal ein­deu­ti­ger be­fra­gen müss­te. Und wenn es stimmt, was Käm­mer­ling da kol­por­tiert – denn es ist ja doch eher ei­ne Kol­por­ta­ge: die schmut­zi­ge Wä­sche, von der man als Au­ßen­ste­hen­der so gern liest -, so muss die­sem Au­ßen­ste­hen­den noch et­was merk­wür­di­ger vor­kom­men.

    Gut, im­mer gibt es auch mehr Hin­ter­grün­de als der Platz sie zu er­ör­tern und ab­zu­wä­gen ge­ra­de her­gibt. Aber mir scheint, so­gar der sonst so gern mal grand­sei­gneurhaf­te Ich-bin-da­bei-ge­we­sen-Schirr­ma­cher bleibt doch ver­däch­tig un­ter sei­nen kri­ti­schen Mög­lich­kei­ten. Lau­fen­des Ver­fah­ren? Wo­mög­lich ist es al­len Ver­strick­ten („Kul­tur-Deutsch­land“) schon viel zu sehr auf und da­von.

    Ich über­le­ge nur, war­um die sich zur Cau­sa äu­ßern­den Au­toren – auch die, die ich schät­ze – in mei­nen Au­gen eher ent­täu­schen­de Fi­gu­ren ab­ge­ben. Weil es ei­gent­lich um et­was sehr Welt­li­ches, ja, Ba­na­les geht, das sie mit eben ih­rer Pro­fes­si­on sonst zu mei­den trach­ten? Weil sie ih­re Re­fle­xi­ons­hö­he ver­las­sen bzw. nicht lan­ge ge­nug über ih­re Stel­lung­nah­men nach­ge­dacht ha­ben? Weil zum Teil ei­ne emo­tio­na­le Hal­tung, Bin­dung an ei­ne eben doch nicht so idea­le Mut­ter – Va­ter- In­stanz ei­ne star­ke Rol­le spielt?

    Poe­ti­sche Ent­schei­dun­gen müs­sen eis­kalt ge­trof­fen wer­den.

  6. @herr.jedermann
    Ich über­le­ge nur, war­um die sich zur Cau­sa äu­ßern­den Au­toren – auch die, die ich schät­ze – in mei­nen Au­gen eher ent­täu­schen­de Fi­gu­ren ab­ge­ben.
    Es gibt m. E. zwei Grün­de: Der ei­ne ist ein ba­na­ler – man will beim Be­stehen­den blei­ben. An­ge­stell­te in Un­ter­neh­men, die an so­ge­nann­te Heu­schrecken dro­hen ver­äu­ßert zu wer­den, re­agie­ren ähn­lich. Hier wer­den die An­ge­stell­ten nicht be­fragt, son­dern der »Mar­ken­kern«, vul­go: die Au­toren. Der zwei­te Grund könn­te dar­in be­stehen, dass man schnö­de Vor­gän­ge nicht auch noch in­tel­lek­tu­ell hoch­ste­hend kom­men­tie­ren kann. Von die­ser War­te aus be­trach­tet, fin­de ich die Äu­ße­run­gen gar nicht so schlecht.

    (Ei­ner hat es früh er­kannt: Hand­ke. Es geht tat­säch­lich »nur« um Geld. Sei­ne 100.000 Eu­ro in­ter­es­sie­ren je­man­den wie Bar­lach na­tür­lich nicht. Am En­de geht es um die Be­wer­tung des Un­ter­neh­mens; noch ein­mal der Hin­weis auf die­sen Kom­men­tar.)

  7. Zur Ver­fla­chung: Was die von Ih­nen ge­nann­ten Na­men an­geht (Cle­mens J. Setz, Ste­phan Thome, Uwe Tell­kamp, Ju­dith Schal­an­sky, An­dre­as Mai­er) – da sind drei sehr jun­ge Au­toren da­bei, die erst jüngst bei Suhr­kamp un­ter­ge­kom­men sind. Die kön­nen wohl kaum für ei­ne ge­ne­rel­le Ent­wick­lung der letz­ten zehn Jah­re als re­prä­sen­ta­tiv her­hal­ten. Es mag tra­gisch sein, dass der Ver­lag ge­ra­de in dem Mo­ment die Quit­tung be­kommt, wo er be­reits an­ge­fan­gen hat, auf der Pro­gramm­ebe­ne ge­gen­zu­steu­ern, aber die Feh­ler der Ver­gan­gen­heit wer­den da­durch nicht bes­ser.

    Die Tur­bor-Kom­mer­zia­li­sie­rung des Buch­markts – wer hat die denn vor­an­ge­trie­ben, wenn nicht die Ver­la­ge selbst?

    Sich ge­gen Eli­ta­ris­mus zu wen­den ist üb­ri­gens nicht das­sel­be wie An­ti-In­tel­lek­tua­lis­mus. Es fällt der Öf­fent­lich­keit halt ir­gend­wann mal auf, dass vie­le Au­toren ger­ne zu al­lem schwei­gen, aber plötz­lich das Wort er­grei­fen, wenn es um ih­re ei­ge­nen wirt­schaft­li­chen In­ter­es­sen geht. In der ak­tu­el­len Ur­he­ber­rechts­dis­kus­si­on ist das ja auch sehr schön zu se­hen.

  8. Es fällt der Öf­fent­lich­keit halt ir­gend­wann mal auf, dass vie­le Au­toren ger­ne zu al­lem schwei­gen, aber plötz­lich das Wort er­grei­fen, wenn es um ih­re ei­ge­nen wirt­schaft­li­chen In­ter­es­sen geht.
    Was ist dar­an ver­werf­lich? Sol­len nur die mit­re­den dür­fen, die als Kon­su­men­ten auf ih­re ver­meint­li­chen Rech­te po­chen?

  9. Nun ja, of­fen­bar gibt es noch ei­ne Öf­fent­lich­keit, die In­tel­lek­tu­el­le für Men­schen hält, die über ih­ren ei­ge­nen Tel­ler­rand hin­aus­schau­en. Dass die­se Hoff­nung aber ei­ne trü­ge­ri­sche ist, das ler­nen ge­ra­de vie­le und re­agie­ren ent­spre­chend.

  10. @Thorsten Krä­mer
    Sor­ry, aber das ist das auch nur so ein vor­pro­du­zier­ter Brei. Als wür­den Leu­te wie Ha­ber­mas, Klu­ge, Slo­ter­di­jk und En­zens­ber­ger nicht über ih­ren Tel­ler­rand hin­weg­blicken. Das stän­di­ge La­men­to, die In­tel­lek­tu­el­len misch­ten sich nicht ge­nug ein, ist doch kal­ter Kaf­fee: Wenn sie’s tun, wer­den sie – so­fern ih­re Äu­ße­run­gen dann als ab­sei­tig emp­fun­den wer­den – ab­ge­watscht und ih­re Nai­vi­tät be­klagt. Dann gibt es na­tür­lich noch Vor­zei­ge­pup­pen und ‑püpp­chen, die zu al­les und je­dem ih­ren Senf ab­ge­ben. Auch das wird dann kri­ti­siert.

    Noch ein­mal: War­um soll ein Au­tor, ei­ne Au­torin nicht auch ih­re Be­sorg­nis zei­gen dür­fen, wenn im Fern­se­hen Opel-Be­triebs­rä­te dies für ih­re Kol­le­gen eben­falls tun? Und die Aus­sa­ge, es gin­ge ih­nen bei ih­ren Stel­lung­nah­men aus­schließ­lich um ih­re ei­ge­nen wirt­schaft­li­chen In­ter­es­sen, ist ja per se schon ei­ne üb­le Un­ter­stel­lung.

  11. Ir­gend­wie wäh­len Sie im­mer sehr un­glück­li­che Bei­spie­le – könn­ten Sie auch ei­nen deut­schen Au­tor un­ter 60 nen­nen, der sich in der ge­nann­ten Wei­se ein­mischt?
    Ok, die jun­gen ha­ben Sie ja schon wei­ter oben ge­nannt, aber wo­für ste­hen die?

    Ich ha­be gar nichts da­ge­gen, dass Au­toren ih­rer Sor­ge um Kol­le­gen Aus­druck ver­lei­hen. Die Fra­ge ist nur, in wel­cher Funk­ti­on sie das tun. Hier über­la­gern sich näm­lich zwei Aspek­te. Der Opel-An­ge­stell­te kommt viel­leicht zu­fäl­lig mal in den Me­di­en zu Wort, wenn es näm­lich ge­ra­de um sein Werk geht. Au­toren da­ge­gen ha­ben weit­aus grö­ße­re Mög­lich­kei­ten, sich me­di­al zu äu­ßern, denn ihr Werk wird zu ei­nem Teil der Öf­fent­lich­keit, da­durch ent­steht im­mer auch ein ge­wis­ses In­ter­es­se an ih­rer Per­son. Mit die­sem In­ter­es­se kann man nun un­ter­schied­lich um­ge­hen – man kann es nut­zen, um auch The­men an­zu­spre­chen, die ei­nen nicht un­mit­tel­bar an­ge­hen, wie es der Ty­pus des klas­si­schen In­tel­lek­tu­el­len tut. Oder man zieht sich auf die Po­si­ti­on zu­rück, man sei ja als In­tel­lek­tu­el­ler nicht Spe­zia­list für al­les, und hält sich ent­spre­chend zu­rück. Das ist, so­weit ich es über­blicken kann, die vor­herr­schen­de Hal­tung der deut­schen Au­toren un­ter 60. Es gibt für die­se Ein­stel­lung ja auch durch­aus gu­te Grün­de.

    Nur, und das ist eben der Ha­ken an der Sa­che – man kann dann, wenn man sich schließ­lich doch zu Wort mel­det, dies nicht mit der alt­her­ge­brach­ten Ge­ste und Au­to­ri­tät des klas­si­schen In­tel­lek­tu­el­len tun. Das ge­schieht aber ge­ra­de im­mer häu­fi­ger, und ge­nau ge­gen die­se Un­auf­rich­tig­keit rich­tet sich der Shits­torm, die Hä­me etc. Das Re­sul­tat ist, dass die­se Au­toren ge­ra­de den letz­ten Rest ih­res Rufs ver­spie­len, denn ge­nau in dem Mo­ment, in dem sie sich noch ein­mal in der gro­ßen Po­se des In­tel­lek­tu­el­len in Stel­lung brin­gen wol­len, ma­chen sie sich als schnö­de Lob­by­isten in ei­ge­ner Sa­che kennt­lich.

    Die Öf­fent­lich­keit ist da viel­leicht ein­fach sen­si­bler, als man es ihr ge­mein­hin zu­traut.

  12. @Thorsten Krä­mer
    Ich ver­ste­he Sie nicht. Jetzt wer­den auf ein­mal Al­ters­kri­te­ri­en her­an­ge­zo­gen, nach de­nen sich ein Au­tor ein­mi­schen soll. Be­steht denn ei­ne Ver­pflich­tung sa­gen wir vor dem 50. Le­bens­jahr ei­ne po­li­ti­sche Äu­ße­rung ge­tä­tigt zu ha­ben? (Da fällt mir An­dre­as Mai­ers’ Re­por­ta­ge zu Gor­le­ben sein – gilt das jetzt?)

    Ernst­haft: Das was Sie als »ty­pi­schen In­tel­lek­tu­el­len« be­zeich­nen ist doch nicht mehr als Wunsch­den­ken – oder eher das Ge­gen­teil: Stel­len sie sich vor, wir wür­den von In­tel­lek­tu­el­len re­giert! Das wä­re die Apo­ka­lyp­se. Wo­her stammt der nicht aus­zu­rot­ten­de Ge­dan­ke, dass Leu­te, die fik­tio­na­le Er­zäh­lun­gen oder Thea­ter­stücke schrei­ben, auch in an­de­ren, po­li­ti­schen und ge­sell­schaft­li­chen Din­gen per se kom­pe­tent sein müs­sen? Fast die ge­sam­te Gei­stes­ge­schich­te zeigt zu­min­dest ex­zes­si­ve ge­gen­tei­li­ge Bei­spie­le auf. Die­ses Den­ken mag noch Re­likt aus der 68er Zeit sein (da hat­te man die Kriegs­jub­ler vor dem Er­sten Welt­krieg und Jün­ger & Kon­sor­ten vor dem Zwei­ten ver­ges­sen). Bei Hans Wer­ner Rich­ter in den Ta­ge­bü­chern kann man ex­em­pla­risch nach­le­sen wel­che Al­li­an­zen da ge­schmie­det wur­den und wie­der aus­ein­an­der gin­gen. Die Leu­te wa­ren da­mals jün­ger – es sind üb­ri­gens im­mer noch die sel­ben. Wenn es al­so ei­nen Vor­wurf gä­be, dann der, dass die­se nicht auf­ge­hört ha­ben. Aber auch das ver­mag ich ih­nen nicht an­zu­la­sten.

    Shits­torm ist – das sagt schon der Na­me – arsch­loch­pro­du­ziert. Nicht mehr und nicht we­ni­ger. Es sind bil­li­ge Af­fek­te: Sie ko­sten nichts, schaf­fen Er­leich­te­rung und man be­kommt – für kur­ze Zeit – An­er­ken­nung. Im Wil­den We­sten war das der Lynch­mob. In­zwi­schen läuft das nur noch vir­tu­ell. Im­mer­hin. Die »Sen­si­bi­li­tät« der Öf­fent­lich­keit ist sehr oft ex­akt das Ge­gen­teil: Neid, Miss­gunst, Hä­me, Arg­wohn. (Ach ja: Nicht, dass ich sel­ber frei von die­sen Din­gen wä­re.)

  13. Sie ver­ste­hen mich in der Tat nicht. Ich ver­su­che es trotz­dem er­neut:

    In den letz­ten 20 Jah­ren hat sich in Deutsch­land un­ter den nach­wach­sen­den In­tel­lek­tu­el­len ein Kon­sens ge­bil­det, dass In­tel­lek­tu­el­le eben nicht das Ge­wis­sen der Ge­sell­schaft etc sein soll­ten – Sie selbst ha­ben ja Grün­de da­für ge­nannt, ich schrieb eben­falls oben schon, dass es gu­te Grün­de für die­se Hal­tung gibt.
    Die­se Ent­wick­lung kor­re­lier­te mit ei­ner Kom­mer­zia­li­sie­rung des Buch­markts, auch da sind wir uns of­fen­bar ei­nig.

    Bei­des zu­sam­men hat zu der La­ge ge­führt, in der wir uns jetzt be­fin­den. Die Preis­fra­ge ist al­so: Wie ver­hal­ten sich die In­tel­lek­tu­el­len nun? Und da re­agie­ren lei­der vie­le so, als hät­te es die letz­ten 20 Jah­re nicht ge­ge­ben. Sie po­chen auf ih­re Rech­te, auf ein­mal hängt das Wohl der Ge­sell­schaft wie­der von ih­rem Wohl ab – nach­dem sie ge­nau die­sen Kon­nex zu­vor kon­se­quent ne­giert ha­ben. Auch die Ver­la­ge wol­len auf ein­mal mit ih­ren Stra­te­gien der letz­ten Jah­re nichts mehr zu tun ha­ben. Das ist schon al­les sehr ei­gen­ar­tig, fin­den Sie nicht?

    Mein Schluss dar­aus ist nicht, dass es ei­ne Rück­kehr zum klas­si­schen In­tel­lek­tu­el­len braucht; man sieht ja ge­ra­de, dass die­se Op­ti­on nur zum Schmie­ren­thea­ter taugt. Nein, die Fra­ge wä­re, wie man die Hal­tung der Ver­gan­gen­heit in­te­ger fort­füh­ren kann. Und da wä­ren die Au­toren zum Bei­spiel gut be­ra­ten, jetzt wirk­lich je­des Son­der­recht für ih­re Tä­tig­keit zu ver­wei­gern und statt­des­sen nach ge­sell­schaft­li­chen Al­ter­na­ti­ven zu su­chen.

  14. Ich bin noch ein­mal bei Krä­mer, wir müs­sen die Ge­ne­ra­tio­nen, die im Mo­ment Zeit­ge­nos­sen sind, schon aus­ein­an­der hal­ten: die 29er, die 47er, und die 68er, wo­bei da­mit die Ge­bur­ten­jah­re ge­meint sind. Die ganz jun­gen Au­toren kön­nen nicht für die Aus­set­zer, d.h. für die schwa­chen 47er, und die »be­müh­ten, aber zu leich­ten« 68er her­hal­ten. Die ha­ben ja gar kei­ne An­knüpf­punk­te mehr.
    Auch kann ich kei­nen Wert-an-sich in der In­tel­lek­tua­li­tät ent­decken. Auch Krä­mer wird hier nicht deut­lich. Sol­len die I. nun et­was Licht ins Ge­gen­wart-Dun­kel brin­gen, oder nicht? Ich bin da­für, kei­ne Fra­ge. Aber wer sich be­wirbt, muss ab­lie­fern. D.h. er muss un­ge­fähr die Wirt­schaft, die Po­li­tik und die Re­li­gi­on ver­stan­den ha­ben, et­was Li­te­ra­tur und Phi­lo­so­phie wä­re nicht schlecht, aber bit­te in die­ser Rei­hen­fol­ge. Wir ha­ben kei­ne Zeit für gei­sti­ge Übun­gen im öf­fent­li­chen Raum.

  15. Geht es wo­mög­lich doch um die lei­di­ge Al­ter­na­ti­ve Geist oder Geld? Viel­leicht fehlt es den Schrift­stel­lern da plötz­lich all­zu of­fen­sicht­lich et­was an ih­rem In­tel­lek­tua­lis­mus? (So­wohl dem ge­for­der­ten als auch dem no­to­risch fehl­ge­hen­den.) Viel­leicht er­war­tet man mehr als das be­kann­te Ich-sor­ge-mich-um-mei­nen-Ar­beits­platz à la „Schlecker-Frau­en“ und „Ope­la­nern“?

    Nicht, dass ich mir sel­ber den Lu­xus ir­gend­ei­nes Hoch­muts er­lau­ben dürf­te, aber per­sön­lich ge­spro­chen: Ich fand / fin­de es im­mer et­was zwie­späl­tig um sol­che, mut­maß­lich un­at­trak­ti­ve, vor al­lem aber die Ab­hän­gig­keit ver­län­gern­de Ar­beit auch noch zu „kämp­fen“ auf­ge­for­dert sein, weil es so­zia­ler Usus ge­wor­den ist. (Und da­mit er­neut in ei­ne Ver­blen­dung zu ge­ra­ten, ei­ne aus staat­li­cher Hil­fe: oft ge­nug ei­ne wei­te­re so po­li­tisch frag­wür­di­ge wie von Rea­li­tä­ten ab­ge­kop­pel­te.)

    Kann es sein, dass das, al­so die Ent­hül­lung der wirt­schaft­li­chen Zu­sam­men­hän­ge ver­meint­lich gla­mou­rö­ser Ak­teu­re al­le et­was ärm­lich aus­se­hen lässt? Es hat et­was von Ent­schleie­rung der mut­maß­li­chen Frei­heit ei­nes Gei­stes­ar­bei­ters nun zu se­hen, wie sie an noch sei­de­ne­ren Fä­den hän­gen. (Da­bei: Auch ich ver­ste­he na­tür­lich so je­man­den wie Jo­sef Wink­ler so­fort. Auch bei ihm gin­ge es dann um „Af­fek­te“.)

    Und viel­leicht hat es noch mit ei­ner grö­ße­ren Sa­che zu tun – ei­ner, ge­gen die der In­tel­lek­tua­lis­mus al­ten Schla­ges eh „alt aus­sieht“: Mit der Öko­no­mi­sie­rung nun auch noch der El­fen­bein­tür­me. (Von da­her lä­ge P.H. mit sei­ner Re­ak­ti­on ge­gen­über Bar­lach noch rich­ti­ger als et­wa En­zens­ber­ger, der – ver­ste­he ich auch – zum Stu­di­um der ent­schei­den­den Pa­pie­re „kei­ne Lust hat“.)

    Ich bin – wohl ver­geb­lich – ge­gen je­de wei­te­re Ame­ri­ka­ni­sie­rung hie­si­ger Ver­hält­nis­se. Aber so ei­ne ge­wis­se Selbst­er­le­sen­heit al­ten Schla­ges geht eben auch nicht mehr. (Da­zu im Land der Kul­tur-Sub­ven­tio­nen, der fak­tisch un­ver­hält­nis­mä­ßi­gen Opern-Etats, der 800-Li­te­ra­tur-Prei­se und so wei­ter (oder wa­ren es 1800?) – und jetzt auch noch des Lei­stungs­schutz­rechts zur Ab­mil­de­rung von – ei­gent­lich – „Min­der­lei­stern“.)

    Um wei­ter po­le­misch zu blei­ben und es zu­zu­spit­zen: Wenn die Schrift­stel­ler (Über­set­zer … aber auch Ver­le­ger) von ih­ren Bü­chern nicht / kaum le­ben kön­nen – war­um soll­te man dann den an die­ses Über-Le­ben an­ge­kop­pel­ten In­stan­zen, den die fal­schen Bil­der vor­ge­ben­den Re­pu­ta­ti­ons-Ku­lis­sen die Nach­läs­sig­kei­ten oder fi­nan­zi­el­le Phan­ta­ste­rei­en nach­se­hen? Ei­ne sol­che Ul­la-Vil­la und die steu­er­recht­li­chen Kon­struk­tio­nen drum her­um sind, wenn nicht groß­kot­zig und auch wirt­schaft­lich ir­gend­wie ver­fehlt (so et­was gin­ge auch in Frank­reich kaum noch, es sei denn von ei­ge­nem Geld der Ver­lags­grup­pen­eig­ner), so zu­min­dest ge­gen­über den drum her­um grup­pier­ten, fak­tisch pre­ka­ria­ti­sier­ten Au­toren zu­min­dest un­ver­hält­nis­mä­ßig.

    Viel­leicht lie­ge ich ganz falsch, aber Jo­sef Wink­ler kann ich mir in Ni­ko­las­see nicht vor­stel­len. Ist er dann noch Wink­ler? Ist er da noch Suhr­kamp-Au­tor? Ober schon in ei­nem El­fen­bei­nare­al 2.0 ?
    (/ En­de Po­le­mik)

  16. @Thorsten Krä­mer
    Teil­wei­se ver­blüf­fen­de Ei­nig­keit. Gut. Aber wo po­chen die so­ge­nann­ten In­tel­lek­tu­el­len auf ih­re Rech­te? Sie sa­gen nur, dass Suhr­kamp nicht zum rei­nen Wirt­schafts­un­ter­neh­men se­hen wol­len. Sie »dro­hen« mit Weg­gang- Wink­ler (üb­ri­gens ein sehr po­li­ti­scher Au­tor; wird erst im näch­sten Jahr 60 [En­de Po­le­mik]) sagt ja in­di­rekt, dass das gar kei­ne Dro­hung ist, weil ein Ver­le­ger­ty­pus wie Bar­lach ihn so­fort hin­aus­kom­pro­mit­tie­ren wür­de. Das wür­de wo­mög­lich auch für vie­le an­de­re Au­toren gel­ten (je­der hofft na­tür­lich, dass er es nicht ist). Hand­ke will 100.000 Eu­ro ein­set­zen – wo­bei er na­tür­lich ge­nau weiss, dass es da­zu nie­mals kom­men wird. Wo pocht da je­mand auf sein öko­no­mi­sches Über­le­ben?

    @die_kalte_Sophie
    Ich bin mit Krä­mer (hof­fent­lich) ei­nig, dass der so­ge­nann­te klas­si­sche« In­tel­lek­tu­el­le, d. h. der Re­so­lu­tio­ni­tis-Un­ter­schrei­ber, gar nicht mehr er­stre­bens­wert ist. Noch ein­mal: Wo ha­ben In­tel­lek­tu­el­le, die sich in ta­ges­po­li­ti­sche Din­ge ein­ge­bracht ha­ben, po­si­tiv re­üs­siert? Da muss man wo­mög­lich sehr lan­ge su­chen.

  17. @herr.jedermann
    Viel Wah­res. Aber den­noch: die »Ul­la-Vil­la« ist ein­fach buch­hal­te­risch falsch ru­bri­ziert wor­den. Man ver­misch­te Pri­va­tes mit Ge­schäft­li­chem. Bei An­ge­stell­ten führt dies zur Kün­di­gung (es gibt da ja dra­sti­sche Ur­tei­le). Im vor­lie­gen­den Fall war es der He­bel.

    Aber UBU kann auch an­ders. In 2012 be­kam sie vom Land Ber­lin 1,2 Mio €; für 2013 ist die Sum­me auf 1,4 Mio. € fest­ge­legt. »För­der­gel­der«. Das ist das, was Sie mit Sub­ven­tio­nen mei­nen. Die Fra­ge ist nur: Wol­len wir das? Wol­len wir 800 oder 1800 oder 2800 Li­te­ra­tur­prei­se? Wol­len wir Opern­sub­ven­tio­nen, die nur den Ma­na­gern die Koh­le brin­gen; die Sän­ger ge­hen mit 4000 Eu­ro brut­to nach Hau­se? Stinkt nicht auch hier der Fisch am Kopf?

    Wür­de hier be­deu­ten: Wie hoch sind die Ge­schäfts­füh­rer-Ge­häl­ter? Wer hat das je­mals be­fragt? Und dass En­zens­ber­ger »kei­ne Lust« hat, die Do­ku­men­te zu le­sen – wo­zu gibt es Jour­na­li­sten, die doch sonst al­les wis­sen wol­len bzw. glau­ben zu wis­sen? Wer hat schon ein­mal die Ge­sell­schafts­ver­trä­ge ge­le­sen?

  18. »Frank Schirr­ma­cher sah sich ge­nö­tigt, ei­ne kla­re Wor­te zum Suhr­kamp-Streit (ist es schon ein Dra­ma?) zu sa­gen.«

  19. UBU be­kam Geld von der öf­fent­li­chen Hand?!
    Oh, das ist mir neu. Wol­len wir das?! Nein.
    Aber da Sie, Ge­org, von den Opern re­den. Das ist wirk­lich ein heik­ler Punkt, die­se KUNST-Rie­sen sind sehr schwer auf die Bei­ne zu stel­len, und ko­sten mas­sig Geld. Da­zu kommt be­sag­te Un­gleich­heit der Be­zah­lung. Wol­len wir das?! Nein.
    In ih­rer Ti­ra­de fehlt noch der öf­fent­li­che Rund­funk.
    Kein Kom­men­tar da­zu, au­ßer: Wol­len wir das?! Nein.
    Aber soll­te man das The­ma der Kunstförderung/Subventionierung nicht von dem ei­gent­li­chen An­lass (bru­ta­le Öf­fent­lich­keit, Mei­nungs­ver­sim­pe­lun­gen, Par­tei­gän­ge­rei, Ego­trips etc.) se­pa­rie­ren?! Das ei­ne sind Schwä­chen, die ger­ne mal in ge­häuf­ter Form auf­tre­ten, das an­de­re ist das be­rühm­te VER­TEI­LUNGS­pro­blem.
    Das wä­re dann aber ein neu­er Ar­ti­kel.

  20. @Sophie:
    Ja, ich bin sehr da­für, dass die In­tel­lek­tu­el­len Licht ins Dun­kel brin­gen. Am be­sten per­for­ma­tiv – in­dem sie näm­lich die all­ge­mei­ne Durch­öko­no­mi­sie­rung nicht mit­ma­chen, auch wenn sie sich da­bei ins ei­ge­ne Fleisch schnei­den. Im Grun­de müss­ten sie die er­sten sein, die den Ast ab­sä­gen, auf dem sie sit­zen – weil sie näm­lich er­kannt ha­ben, dass die­ser Ast oh­ne­hin morsch und von Wür­mern be­fal­len ist.

    Im Fall Suhr­kamp wer­den ja die fal­schen Ge­gen­sät­ze auf­ge­macht: Hier das »Haus des Gei­stes«, dort die ka­pi­ta­li­sti­sche Heu­schrecke. Die Au­toren, die sich für er­ste­res ein­set­zen und ge­gen letz­te­re wen­den, ver­schlei­ern da­mit ih­re ei­ge­nen wirt­schaft­li­chen In­ter­es­sen (die als sol­che ja durch­aus le­gi­tim sind, so­lan­ge man sie auch re­la­ti­vie­ren kann und nicht den Fort­be­stand des Abend­lan­des dar­an fest­macht). Die per­fi­de Iro­nie dar­an ist, dass sie auf die­se Wei­se für ih­re ei­ge­nen Aus­beu­ter kämp­fen, an­statt sich zu dar­über freu­en, dass auf ein­mal, wie herr.jedermann rich­tig be­merkt, die Ent­hül­lung der wirt­schaft­li­chen Zu­sam­men­hän­ge eben auch zeigt, wie schlecht Au­toren tat­säch­lich in die­sem Licht da­ste­hen.

    In­tel­lek­tu­el­le le­ben von der Selbst­aus­beu­tung; wo das nicht der Fall ist, le­ben sie da­von, dass an­de­re deut­lich mehr an ih­nen ver­die­nen, als sie selbst da­von be­kom­men. Das ist ganz schlicht die wirt­schaft­li­che Grund­la­ge kul­tu­rel­ler Pro­duk­ti­on in un­se­rem Land. Selbst im Fal­le der zahl­rei­chen Sub­ven­tio­nen ist es ja so, dass das aus­ge­zahl­te Geld noch im­mer we­ni­ger ist als die Sum­me, die ins­ge­samt die­je­ni­gen be­kom­men, die für die Ver­wal­tung der Sub­ven­tio­nen zu­stän­dig sind. An all die­sen Sti­pen­di­en und Prei­sen hän­gen ja un­zäh­li­ge Po­sten, Häu­ser, die un­ter­hal­ten wer­den müs­sen, usw., das ver­gisst man nur all­zu schnell.

    Das sind Zu­sam­men­hän­ge, die lei­der vie­le Au­toren nicht se­hen wol­len, zu­mal wenn die Kru­men vom Tisch nicht ganz so klein aus­fal­len. Aber wie soll man zu ei­ner ei­ni­ger­ma­ßen red­li­chen Hal­tung kom­men, wenn man da­vor die Au­gen ver­schließt?

    Des­halb zwei Maß­nah­men: Die ei­ge­ne Lei­stung ver­schen­ken und gleich­zei­tig si­cher­stel­len, dass kein an­de­rer dar­an ver­dient. Das scheint mir die ein­zi­ge Mög­lich­keit, das be­stehen­de Sy­stem aus­zu­he­beln.

  21. @Gregor Keu­sch­nig
    »Aber wo po­chen die so­ge­nann­ten In­tel­lek­tu­el­len auf ih­re Rech­te? Sie sa­gen nur, dass Suhr­kamp nicht zum rei­nen Wirt­schafts­un­ter­neh­men se­hen wol­len.«
    Wann war Suhr­kamp denn je et­was an­de­res als ein Wirt­schafts­un­ter­neh­men?

  22. dem möch­te ich wie­der­spre­chen, ein un­ter­gang des ver­la­ges steht mei­ner mei­nung nicht ins haus. er wird den ei­gen­tü­mer wech­seln, wir letzt­lich im zu­ge der kon­zen­tra­ti­on in ei­nem kon­zern über­le­bern mit ei­nem vom kon­zern ein­ge­setz­ten ge­schäfts­füh­rer. das ist letzt­lich ka­pi­ta­lis­mus und hat mit an­ti­in­tel­lek­tua­lis­mus nix zu tun, als an­ti­in­tel­lek­tu­ell er­wie­sen sich bis­lang eli­tä­re und an­ti­ka­pi­ta­li­sti­sche be­we­gun­gen wie na­tio­nal­spzia­lis­mus und kom­mu­nis­mus, die bei­de iso­lier­te mo­men­te des in­t­e­lek­tu­el­len als in­tel­li­genz­ja gel­ten lie­ßen, um sie letzt­lich ge­gen den rest ins feld zu schicken und ein we­nig spie­gelt sich die­ses ver­fah­ren im kampf­be­griff suhr­kamp­kul­tur. der vor­wurf des an­ti­in­tel­lek­tua­lis­mus ist pau­schal ge­führt an­ti­in­tel­lek­tu­ell. (ps: die opel­ret­tung wird sich letzt­lich nicht als nach­hal­tig er­wei­sen, auch so­et­was wür­de nur in ei­ner dik­ta­tur funk­tio­nie­ren, des­halb se­he ich das bei­siel als nicht ge­lun­gen an.)

  23. @Thorsten Krä­mer

    Es gibt da aber noch ei­nen klei­nen, oft den ent­schei­den­den Un­ter­schied bei Künst­lern: Die Be­ru­fung. Das ist das, was frü­her auch an­de­re mal ver­spü­ren konn­ten, be­vor wir al­le nur noch be­sten­falls zu „Jobs“ ka­men – et­wa der mit Herz und Hin­ga­be ar­bei­ten­den Hand­wer­ker oder der Land­wirt. Heu­te wer­den sie be­stimmt von ei­nem „Markt“.

    Oder was ist mit der „Lei­den­schaft für’s Flie­gen“? Eben ei­ne Mel­dung auf SPON, dass heu­te schon teils Pi­lo­ten oft nur noch fürs Exi­stenz­mi­ni­mum ar­bei­ten. Gibt es al­so zu vie­le Pi­lo­ten? (Schrei­ben / Blog­gen heu­te nicht al­le selbst und su­chen ver­zwei­felt Le­ser: Self-Pu­bli­shing wird ja an­geb­lich das näch­ste gro­ße Ding?)

    Nein, es gibt nur zu vie­le, die ih­re „wah­re“ Lei­den­schaft le­ben wol­len: Die Selbst­ver­wirk­li­chung – ei­gent­lich ei­ne le­gi­ti­me Le­bens- und Frei­heits­ma­xi­me – al­ler­dings auch schon längst ge­ka­pert von der FDP. So wird dann auch die Selbst­aus­beu­tung zum „Ei­gen­blut­do­ping“: „Spei­se al­les, Dei­nen Geist, Dein Ge­schlecht und noch je­de Her­zens­re­gung in die ka­pi­ta­li­sti­schen Kreis­läu­fe ein und hof­fe, dass Du et­was zu­rück­kriegst.“ Bo­va­ry-Ka­pi­ta­lis­mus hat das mal Kurt Dra­wert, ein Li­te­rat bei Suhr­kamp, ge­nannt.

    Das mit dem Ver­schen­ken der künst­le­ri­schen Her­vor­brin­gun­gen wä­re gut und schön, wenn es al­le tä­ten und nicht an­ders nö­tig hät­ten. (Ich, der auch so ei­ne Klein­kunst-Pro­duk­ti­on be­treibt aber nicht da­von le­ben muss, bin auch schon auf den Ge­dan­ken ge­kom­men.) Aber das ist auch ei­ne Il­lu­si­on: Dem Markt, der uns de fac­to ent­eig­net, wird das auch wei­ter ge­lin­gen – eben das ist ja sein Er­folgs­mo­dell; die an­de­re Wäh­rung ne­ben Geld heißt heu­te „Auf­merk­sam­keit“ und bil­det längst den ei­gent­li­chen Markt. (Und an­son­sten wird es im­mer wel­che ge­ben, die sich vom Wett­be­werb an­ge­sta­chelt füh­len und das in Pro­duk­ti­ons­en­er­gie um­lei­ten und die sich da­von Be­stä­ti­gung für ihr Selbst ho­len. So­gar wir, die wir nur ein paar Aspek­te und Ar­gu­men­te zu ei­ner Sa­che aus­tau­schen, tun das ge­ra­de.)

    Je öf­ter ich über die­se Zu­sam­men­hän­ge in letz­ter Zeit nach­ge­dacht ha­be, de­sto mehr ver­fe­stig­te sich bei mir die Idee, dass der Ka­pi­ta­lis­mus – das Stre­ben, der Wil­le zum Mehr, die Sucht nach Ar­beit als Wech­sel­balg ei­nes Sinns in der Welt, der Wunsch et­was zu hin­ter­las­sen oder sich aus­zu­drücken usw. – dass der Ka­pi­ta­lis­mus al­so sel­ber Aus­druck des „na­tür­li­chen“ Ak­ku­mu­la­ti­ons­auf­trags des Men­schen in sei­ner Le­bens­zeit ist. (Ich bin sel­ber über­rascht, wie alt­vä­ter­lich das klingt. Aber es ist auch ein biss­chen Trost & Re­ser­ve ge­gen­über den im­mer neu­en Hy­ste­rien des Mark­tes – ei­nes jeg­li­chen. Da­für ist er das wah­re per­pe­tu­um mo­bi­le. Die Men­schen und ih­re Lei­den­schaf­ten und Her­zens­re­gun­gen sind nur der Treib­stoff.)

    Aber um zum The­ma zu­rück­zu­kom­men: Ich ver­mu­te den be­sag­ten Ver­lag wird es wei­ter ge­ben (und sei­ne nam­haf­te­ren Au­toren wer­den an­ders­wo pu­bli­zie­ren kön­nen, wenn auch mit we­ni­ger Gla­mour.) Und den Ge­gen­satz zwi­schen Geld und Geist so­wie­so. Auch wenn an­ders­wie bei­de wie­der ein­an­der um­so drin­gen­der brau­chen.

  24. @herr.jedermann:

    »Dem Markt, der uns de fac­to ent­eig­net, wird das auch wei­ter ge­lin­gen – eben das ist ja sein Er­folgs­mo­dell; die an­de­re Wäh­rung ne­ben Geld heißt heu­te „Auf­merk­sam­keit“ und bil­det längst den ei­gent­li­chen Markt.«

    Ich hal­te den Markt für Aber­glau­ben, das sind Ver­schleie­rungs­tech­ni­ken. Das Kon­zept vom Markt sug­ge­riert ei­nen Kom­plex von Zu­sam­men­hän­gen, die dann nicht mehr in­fra­ge ge­stellt wer­den kön­nen. Man muss das, wie je­den Aber­glau­ben, ein­fach igno­rie­ren. Die Ge­schich­te der Wirt­schaft ist im Ka­pi­ta­lis­mus noch längst nicht an ihr En­de ge­kom­men – man er­in­nert sich, wie wir in den 80er Jah­ren al­le an das En­de der Ge­schich­te glaub­ten, und dann wur­de doch noch ein­mal ein ganz neu­es Ka­pi­tel auf­ge­schla­gen.

    Ist Auf­merk­sam­keit die neue Wäh­rung? Vie­les spricht da­für, aber viel­leicht ist sie auch nur ei­ne Wäh­rung des Über­gangs.

    Was die Pi­lo­ten an­geht: Das Pro­blem ist ja nicht, dass sie zu we­nig Geld be­kom­men – son­dern dass sie über­haupt Geld ver­lan­gen! Sie soll­ten nicht da­für strei­ken, dass sie mehr Geld be­kom­men, son­dern da­für, dass die Pas­sa­gie­re um­sonst flie­gen kön­nen. Das Ziel darf nicht für je­de ein­zel­ne In­ter­es­sen­grup­pe sein, mehr Geld zu be­kom­men, son­dern das Geld aus dem Sy­stem zu ent­fer­nen. Ge­nau da könn­ten In­tel­lek­tu­el­le vor­an­ge­hen, da sie es ja schon ge­wohnt sind, für um­sonst zu ar­bei­ten. Aber lie­ber sind sie Ka­pi­ta­li­sten, weil das ja an­geb­lich al­ter­na­tiv­los ist.

  25. @Thorsten Krä­mer
    Ih­re letz­ten Äu­ße­run­gen sind ja in Vul­gär­mar­xis­mus ge­ba­de­te Lä­cher­lich­kei­ten. Sie kon­ze­die­ren sel­ber, dass Suhr­kamp ein Wirt­schafts­un­ter­neh­men ist (das ist es eben auch, aber gleich­zei­tig auch mehr) und be­strei­ten dann die Exi­stenz von An­ge­bot und Nach­fra­ge. Am En­de wol­len Sie Geld ent­fer­nen. Da­mit sind wir dann am End­punkt ei­ner Dis­kus­si­on an­ge­langt, um die es doch nur um Geld und des­sen Ver­wal­tung geht.

    @die_kalte_sophie
    Ich will das aber. Und was sa­gen Sie jetzt?

    @herr.jedermann
    Viel­leicht ist der Ka­pi­ta­lis­mus ja des­halb so er­folg­reich, weil er das mensch­li­che Stre­ben (fast) per­fekt ad­ap­tiert und ko­piert. Na­tür­lich mit al­len be­kann­ten Aus­wüch­sen. Aber al­le an­de­ren bis­her ex­er­zier­ten Mo­del­le sind da­hin­ge­hend ge­schei­tert, dass sie ih­re pri­mä­ren Zie­le nicht er­rei­chen konn­ten. Der Ka­pi­ta­lis­mus wird auch schei­tern, wenn er die ata­vi­sti­schen Trie­be nicht bän­di­gen kann, son­dern ih­nen mit der Aus­re­de des Li­be­ra­lis­mus nach­gibt.

  26. Ha: Ei­ne Welt oh­ne Geld! Su­per Idee!
    (Aber, so­viel ver­ste­he so­gar ich von Wirt­schaft: Oh­ne ein all­ge­mei­nes Äqui­va­lenz­mit­tel und di­ver­se Ge­fäl­le zum Um­lauf der Mit­tel in ihr wird es nicht mehr ge­hen. Ei­ne Welt so kom­plex wie un­se­re kommt oh­ne Ab­strak­tio­nen selbst der Mi­kro­er­eig­nis­se ih­rer Waren/Tausch/Händel nicht aus. Lei­der?)

    Und ein Aber­glau­ben ge­gen den an­de­ren hat auch noch nie funk­tio­niert.
    Lei­der.

  27. Herr Keu­sch­nig, mit uns wird das wohl nichts mehr. Aber um den Bo­gen zu schlie­ßen und wie­der zum The­ma zu­rück­zu­kom­men: Zu­min­dest ei­ne Welt oh­ne Geld gibt es be­reits, die Li­te­ra­tur. Ein Sy­stem, das auf ei­ner Schen­k­öko­no­mie ba­siert, auf die sich die ka­pi­ta­li­sti­sche Öko­no­mie nur oben drauf ge­setzt hat. Und jetzt fällt sie lang­sam wie­der ab.

  28. An­de­rer­seits, Herr Keu­sch­nig und auch herr.jedermann, soll man die Flin­te ja nicht vor­ei­lig ins Korn wer­fen, al­so ge­hen wir es noch ein­mal von ei­ner an­de­ren Sei­te an:

    Was ma­chen wie hier ei­gent­lich? Sie, Herr Keu­sch­nig, be­trei­ben al­so die­sen Blog, den man ko­sten­los le­sen ge­hen, Wer­bung gibt es hier kei­ne, der Hin­weis auf Ihr Buch wird des­sen Ver­kauf nicht über­mä­ßig an­kur­beln, was nicht ge­häs­sig ge­meint ist, und da Sie ei­ne ei­ge­ne Do­main ha­ben, ent­ste­hen Ih­nen so­gar noch Ko­sten, von der un­be­zahl­ten Ar­beits­zeit mal ganz ab­ge­se­hen. Dann gibt es Men­schen wie herr.jedermann und mich, die hier kom­men­tie­ren, al­so ih­rer­seits Ar­beits­zeit in­ve­stie­ren. Was ist der Ge­gen­wert, den wir da­für er­hal­ten? Auf­merk­sam­keit? Nun gut, ich bin Au­tor und schrei­be hier un­ter mei­nem Klar­na­men, man könn­te mir al­so un­ter­stel­len, dass ich da­mit Wer­bung für mei­ne Bü­cher ma­chen will. Aber ob ich mein sym­bo­li­sches Ka­pi­tal stei­ge­re, in­dem ich in Vul­gär­mar­xis­mus ge­ba­de­te Lä­cher­lich­kei­ten von mir ge­be? Wohl kaum.

    Wie sieht es mit den Zu­grif­fen auf den Blog aus, Herr Keu­sch­nig? Schrei­ben Sie mehr, wenn die mal run­ter­ge­hen, oder eher we­ni­ger? Ha­ben die­se Zah­len über­haupt ei­ne Aus­wir­kung auf die Zeit und En­er­gie, die Sie hier hin­ein­stecken?

    Sie mer­ken, wor­auf ich hin­aus will: Wir al­le lei­sten hier Ar­beit, für die An­ge­bot und Nach­fra­ge, Geld und Markt kei­ne Rol­le spie­len. Wie ver­trägt sich das mit der an­geb­li­chen All­macht des Mark­tes? Sind wir viel­leicht Hel­den, die letz­ten Al­tru­isten in der kal­ten Welt des Ka­pi­ta­lis­mus? Nein, es gibt Hun­der­te von Blogs wie die­sen; die Men­schen stel­len ih­re Fo­tos, Tex­te und Mu­sik ins Netz, schrei­ben Soft­ware, die frei er­hält­lich ist, stel­len ihr Wis­sen und ih­re Er­fah­rung an­de­ren zur Ver­fü­gung. Und off­line ist es nicht an­ders, die Men­schen en­ga­gie­ren sich eh­ren­amt­lich und ver­lan­gen nicht ein­mal Geld da­für, dass sie ih­re Kin­der er­zie­hen.

    Wir sind um­ge­ben von un­be­zahl­ter Ar­beit, die frei­wil­lig ge­lei­stet wird, und Sie be­lu­stigt es, wenn ich von ei­ner Welt oh­ne Geld schrei­be. Das ist in der Tat be­mer­kens­wert. Wo liegt nun der Feh­ler, in Ih­rem Den­ken oder in Ih­rem Han­deln? Wenn Sie von Ih­rer Sicht der Din­ge so über­zeugt sind, Herr Keu­sch­nig, wie es in Ih­rer Über­heb­lich­keit zum Aus­druck kommt, dann soll­ten Sie den La­den hier bes­ser dicht­ma­chen oder aber ei­ne Paywall er­rich­ten. Das wä­re frei­lich scha­de, und so ist mei­ne Hoff­nung, dass Sie viel­mehr er­ken­nen, dass Sie in der Pra­xis schon wei­ter sind als in der Theo­rie.

  29. Dan­ke für die Fuß­no­te, Herr­Je­der­mann. Da­mit wä­re auch klar, wo der Schwer­punkt des Ty­pus »In­tel­lek­tu­el­ler« im Mo­ment liegt.
    Ju­ri­sten und Öko­no­men.
    Dar­in er­ken­ne ich (ganz stolz) auch mei­nen ei­ge­nen Hin­weis wie­der: Kennt­nis­se in Wirt­schaft, Po­li­tik und Re­li­gi­on.
    Hat mich ge­freut, dass man das »Ver­schwin­den der In­tel­lek­tu­el­len« auf­klä­ren konn­te: die Li­te­ra­ten und Phi­lo­so­phen ha­ben an Ein­fluss ver­lo­ren.
    An Ein­fluss?!
    Ja, an Ein­fluss, nicht nur an me­dia­ler Prä­senz. Das sind näm­lich nur zwei Sei­ten ei­ner viel­sei­ti­gen Me­dail­le.

  30. Ein paar Ein­wür­fe: Man könn­te (und soll­te) viel­leicht fra­gen, was ein (oder: der) Markt ist, was er sein kann oder wor­auf er be­ruht, man schließt dann aus, dass man nicht ver­schie­de­ne Din­ge gut­heißt oder ver­wirft, ein­an­der al­so ei­gent­lich miss­ver­steht.

    Men­schen ha­ben Be­dürf­nis­se, wenn ich sie grob ka­te­go­ri­sie­re, et­wa fol­gen­de: Exi­sten­zi­el­le, not­wen­di­ge und über­flüs­si­ge. Nicht je­des Be­dürf­nis kön­nen wir zu je­der Zeit aus ei­ge­nen Kräf­ten be­frie­di­gen, Markt kann al­so, grund­le­gend be­trach­tet, ein­fach be­deu­ten, dass je­mand et­was be­nö­tigt was an­de­re ha­ben oder kön­nen und, so­zu­sa­gen um­ge­kehrt, man je­man­den sucht der be­nö­tigt, was man selbst hat oder kann.

    Mir scheint das, zu­züg­lich ei­nes wie auch im­mer ge­ar­te­ten Aus­gleichs, für ein ge­still­tes Be­dürf­nis, ein grund­le­gen­des Phä­no­men je­der mensch­li­chen Ge­sell­schaft oder Ge­mein­schaft zu sein und ich ver­mu­te, um ein Bei­spiel zu nen­nen, dass es kaum schö­ne­res für ei­nen Hand­wer­ker gibt, als wenn an­de­re die Freu­de an sei­nem Ge­schaf­fe­nen tei­len und es zu be­nut­zen be­gin­nen.

    Was den Markt un­se­rer Ta­ge so ab­scheu­lich macht, ist, u.a. (?), zwei­er­lei: 1. Sei­ne Om­ni­prä­senz und 2., da­mit ge­kop­pelt, dass er auf ei­ne be­stimm­te Art und Wei­se be­tre­ten wer­den muss, wor­aus folgt, dass man kaum ei­ne an­de­re Wahl hat (und da­mit Din­ge tun muss, die ei­nem zu­wi­der­lau­fen).

    Zu Blogs noch zwei Wor­te: Sie be­fin­den sich, ganz not­wen­di­ger Wei­se, in ei­nem Pro­zess von, ei­ner­seits Selbst- und, an­de­rer­seits, Markt­fin­dung: Wo­hin ent­wickelt sich mein Tun? Und falls sich In­ter­es­sen und Be­dürf­nis­se dar­an zei­gen, dann sind die­se ein Hin­weis dar­auf, dass ein bloß selbst­re­fe­ren­ti­el­ler Rah­men über­schrit­ten wur­de (dass Geld hier ei­ne un­ter­ge­ord­ne­te oder gar kei­ne Rol­le spielt, ist, aus­drück­lich, schön).

    Mit dem Be­griff des In­tel­lek­tu­el­len ist Vor­sicht ge­bo­ten, mei­ne ich: Wenn man dar­un­ter je­man­den ver­steht, der Ver­stand und Ver­nunft ein Pri­mat zu­ge­steht, al­so vor al­lem aus die­sen bei­den her­aus lebt, fal­len dann Künst­ler (die Li­te­ra­ten ja sind) zwangs­läu­fig, dar­un­ter? Ich mei­ne nein, und die Dis­kus­si­on dar­über ist dann zu ei­nem ge­wis­sen Grad mü­ßig (von ei­nem Kom­po­ni­sten oder Mu­si­ker wür­de das kein Mensch ver­lan­gen).

  31. In­tel­lek­tu­el­len-Wan­del?

    Ich hat­te ge­dacht, wir re­de­ten hier nur vom (me­dia­len) Bild des In­tel­lek­tu­el­len, so, wie er uns die Welt er­klärt oder uns als wohl­fei­ler Welt­erklä­rer hin­ge­stellt wird (oder uns im­mer noch mal ab und an in ei­ner J’­ac­cu­se-At­ti­tu­de der li­te­ra­risch-po­li­ti­schen Auf­klä­rung »warnt«). Da­bei sind das ja al­les Er­satz­hand­lun­gen: Der Dis­kurs »Öf­fent­lich­keit« ist ja wei­ter­hin im­mer noch eher ein sor­tier­ter Ort pro­mi­nen­ter Stim­men, in dem der Au­ßen­ste­hen­de eher als da Hin­ein­ge­stol­per­ter oder exo­ti­scher Zeu­ge auf­tritt.

    (Auch wenn es uns, die wir An­sich­ten und Ar­gu­men­te ha­ben – und neu­er­dings Rück­ka­nä­le, die­se Fron­ten et­was po­rö­ser zu ma­chen – schon et­was an­ders er­scheint. Ich er­in­ner­te mich neu­lich dar­an, dass et­wa Frau Pro­fes­sor Meckel ei­nen ihr Buch im­mer­hin ernst­haft be­fra­gen­den Blog­ger auf Mail­rück­fra­ge nicht mit ei­ner Ant­wort be­schied. Die Ge­fäl­le sind doch noch im­mens. Und des­halb sind ja auch Fern­seh­ver­an­stal­tun­gen und ‑nach­rich­ten eher nur Er­satz­hand­lun­gen: Ein abend­lich woh­li­ger Bild­schirm-Schein, der uns ei­ne vir­tu­el­le Teil­ha­be an In­for­miert­heit sug­ge­riert. Und ge­nau das ist Öf­fent­lich­keit m. M. nach auch zu ei­nem Groß­teil, und da­zu ist sie da: Uns ge­gen­über den ei­ge­nen Ent­schei­dungs­ohn­mäch­ten in Be­zie­hung und da­bei doch be­schwich­tigt zu hal­ten.)

    Da­mit wä­re ich bei den wirk­li­chen »Mo­vern & Shakern«, den Fach­aus­schuss- und Gre­mi­en-Men­schen (mit wo­mög­lich an­de­ren Qua­li­tä­ten als In­tel­lek­tua­li­tät und Sach­ver­stand); aber auch bei den Ber­tels­män­nern, den in den de­mo­kra­ti­schen Pro­zes­sen weit­ge­hend ent­zo­ge­nen, da aber un­ent­wegt hin­ein­re­den­den Stif­tun­gen et­wa, oder den zu­neh­mend all­ge­gen­wär­ti­gen McK­in­seys. (Nur an­ek­do­tisch: Ich weiß von ei­ner Kon­stel­la­ti­on, in der so ein ex­ter­ner Un­ter­neh­mens­be­ra­ter­han­sel, der sel­ber [bis­her un­ge­druck­te] Kri­mis schreibt, ei­nem nam­haf­ten und we­gen sei­ner Kom­pe­tenz auch sei­ne Bü­cher gut ver­kau­fen­den Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft­ler öko­no­mi­sche Vor­ga­ben macht.)

    In­so­fern hat die kal­te So­phie wohl Recht, es ist der ent­schei­den­de In­tel­lek­tu­el­le wohl wirk­lich längst ein an­de­rer. Und der an­de­re, der Scha­ma­nen-Typ – in ho­hem Al­ter, auf­fäl­lig oft mit wei­ßem Haar?

    All­ge­gen­wart, fällt mir noch ein, war ja mal ei­ne Ei­gen­schaft Got­tes. In­so­fern wä­re »der Markt«, ubi­qui­tär wie er ist, dann eben doch al­ter­na­tiv­los. Und der »Al­te vom Ber­ge«, der ar­che­ty­pi­sche Wei­se, der uns sei­nen Rat ver­kün­det? Selbst wenn er die Wahr­heit sprä­che, be­ru­hig­te er uns viel­leicht nur. Doch brau­chen wir ihn an­schei­nend.

    Und da­mit bin ich wie­der bei Suhr­kamp. – Viel­leicht ist ja al­les nur ein bö­ses Mär­chen?
    Aber die Rol­len sind nun ein­mal ver­teilt...

  32. Das stimmt schon , Herr Je­der­mann, die Öf­fent­lich­keit ist hoch­gra­dig schein­haft, wenn es um Teil­nah­me und Ein­fluss geht. Die Pas­siv-Aspek­te sind fru­strie­rend. In­so­fern wird der klu­ge In­tel­lek­tu­el­le ;-) sich ein dickes ro­bu­stes Fell zu­le­gen müs­sen.

    Ei­gent­lich hat Keu­sch­nig mit dem An­ti-In­tel­lek­tua­lis­mus die Zo­ne zwi­schen Pro­le­ten­tum und Zwangs-Un­der­state­ment ge­meint, al­so den Um­stand, das nur COOL-Blei­ben und Ach­sel­zucken auf Dau­er »auch kei­ne Lö­sung« ist. Ein biss­chen wie beim Sex, oder?
    Auf der theo­re­ti­schen Ebe­ne lau­tet die Fra­ge: ha­ben Po­le­mik und Kri­tik über­haupt noch ei­ne ziel­ge­rich­te­te Wir­kung, oder zer­streut sich nun al­les im Rau­schen der Ka­nä­le. Al­so, ich bin der Mei­nung... Eher nicht! Ich fürch­te, die Kraft der Ne­ga­ti­vi­tät wird über­schätzt.

  33. In­ter­es­san­te Dis­kus­si­on. Ich fang’ mal an:

    @Thorsten Krä­mer
    Was Sie un­ter #29 schrei­ben, ist (fast) al­les rich­tig. Au­ßer, dass Sie mir Über­heb­lich­keit glau­ben un­ter­stel­len zu müs­sen. Aber las­sen wir das mal. Was Ih­nen vor­schwebt ist ei­ne Art von Tausch­wirt­schaft, die das in­kri­mi­nier­te Geld un­nö­tig macht. Man könn­te es vor­erst auch Par­al­lel­welt nen­nen. tat­säch­lich hat na­tür­lich die­ser Blog über­haupt kei­ne fi­nan­zi­el­len In­ter­es­sen; im Ge­gen­teil (das schrei­ben Sie ja auch). Er exi­stiert aber nicht aus Men­schen­freund­lich­keit oder weil ich ein Sucht­kran­ker In­ter­net­jun­kie bin, der kei­ne an­de­ren So­zi­al­kon­tak­te hat. Die »Er­trä­ge«, die ich hier­aus zie­he, müs­sen – sonst wä­re ich voll­kom­men krank – an­de­rer Na­tur sein. Ich will sie hier nicht nen­nen; man­che lie­gen auf der Hand, an­de­re sind pri­vat. Aber hier­aus kann kein all­ge­mei­nes Ge­sell­schafts­mo­dell ab­ge­lei­tet wer­den. Wenn ich mor­gen kei­ne öko­no­mi­schen Er­trä­ge mehr auf­wei­sen kann, wird mir der Ho­ster ir­gend­wann die Do­main sper­ren, vor­her stellt man mir den Strom ab. Ich kann die Leu­te auch nicht mil­de stim­men, in dem ich ih­nen ein paar Re­zen­sio­nen schrei­be oder gu­te Rat­schlä­ge er­tei­le (die wol­len sie nicht). Ich ha­be kei­ne Fä­hig­kei­ten, mit de­nen ich be­stimm­te Dien­ste oder Dienst­lei­stun­gen ein­kau­fen, oder, bes­ser: er­wer­ben kann. Da­für gibt es Geld. Und den Markt.

    @metepsilonema/herr.jedermann
    Vie­len Dank für den Te­le­po­lis-Link. Herr Röt­zer de­fi­niert den In­tel­lek­tu­el­len wie folgt:

    Es han­delt sich ge­mein­hin um ei­ne Per­sön­lich­keit, die ir­gend­wie gei­stig im kul­tu­rel­len Be­reich tä­tig ist und sich aus dem hier er­wor­be­nen An­se­hen her­aus in die Ge­sell­schaft ein­mischt bzw. sich ge­sell­schaft­lich oder po­li­tisch en­ga­giert oder als Mo­ra­list auf­tritt.

    Man ver­glei­che dies mit der Wi­ki­pe­dia-De­fi­ni­ti­on:

    Als In­tel­lek­tu­el­ler wird ein Mensch be­zeich­net, der wis­sen­schaft­lich, künst­le­risch, re­li­gi­ös, li­te­ra­risch oder jour­na­li­stisch tä­tig ist, dort aus­ge­wie­se­ne Kom­pe­ten­zen er­wor­ben hat, und in öf­fent­li­chen Aus­ein­an­der­set­zun­gen kri­tisch oder af­fir­ma­tiv Po­si­ti­on be­zieht.

    Bei­de set­zen vor­aus, dass der In­tel­lek­tu­el­le sich ein­zu­mi­schen hat; bei Röt­zer ist dies stär­ker, er spricht vom »po­li­ti­schen« En­ga­ge­ment. Als sei die Ein­mi­schung ei­ne Be­din­gung ei­nes In­tel­lek­tu­el­len. Und um­ge­kehrt: Wer sich nicht ein­mischt, sei dann kei­ner.

    Ich hal­te die­se Fest­schrei­bung des kri­ti­schen Be­glei­tens der Ge­sell­schaft (wo­bei »Kri­tik« nicht per se ne­ga­tiv sein muss) als Grund­vor­aus­set­zung für ziem­lich fra­gil. Wel­che Fä­hig­kei­ten be­rech­ti­gen ei­nen Gün­ter Grass über die Po­li­tik Is­ra­els zu spre­chen oder zu schrei­ben? Au­ßer die­je­ni­ge Qua­li­fi­ka­ti­on, die je­der von uns hat. Wie ist es an­ders her­um: Ein pro­mi­nen­ter Po­li­ti­ker wür­de über ei­ne Er­zäh­lung von Grass im Grass-Ton ur­tei­len. Wür­de Grass die­se Äu­ße­rung an­neh­men? Wür­de nicht un­ter Um­stän­den ein Sturm der Ent­rü­stung los­brau­sen, was denn ei­nen Po­li­ti­ker qua­li­fi­zie­re, sich der­art zu äu­ßern? (Ne­ben­bei: Sind Po­li­ti­ker über­haupt In­tel­lek­tu­el­le?)

    Wei­ter: Röt­zer schreibt, die auf der Ci­ce­ro-Li­ste auf­ge­führ­ten In­tel­lek­tu­el­len sei­en des »al­ten Ty­pus«. Mich wür­de in­ter­es­sie­ren, was er da­mit meint. Meint er das Le­bens­al­ter? Die Tat­sa­che, dass sie über ei­nen ge­wis­sen Er­fah­rungs­ho­ri­zont ver­fü­gen? Am En­de kommt es ganz bit­ter, denn er hat das Klein­ge­druck­te ge­le­sen: Es geht in die­ser Ci­ce­ro-Li­ste um Me­di­en­prä­senz. Da wird al­so In­tel­lek­tua­li­tät mit Me­di­en­prä­senz aus­ge­drückt. Das ist ein sehr merk­wür­di­ger Maß­stab; ei­ne Kau­sa­li­tät, die auch nicht kon­se­quent durch­ge­hal­ten wird. Denn sonst müss­ten dort ganz an­de­re Per­so­nen vor­ne ste­hen, die gan­zen Yel­low-Press-Stern­chen, Bu­sen­wun­der und son­sti­gen Schwach­köp­fe aus Sport und Fern­se­hen.

    Jetzt end­lich kom­me ich auf Ih­ren Kom­men­tar herr.jedermann. Der Welt­erklä­rer ist heu­te der po­li­tisch sich in Do­ku­men­tar­fil­men in Sze­ne set­zen­de Jour­na­list, der sein Mei­nungs­fähn­chen zum Ster­nen­ban­ner der Öf­fent­lich­keit auf­hübscht; not­dürf­tig un­ter­füt­tert mit ei­ner »wei­ssen­schaft­li­chen Stu­die« (die­se Din­ger ha­ben im Zwei­fel den Wert von Kaf­fee­satz­in­ter­pre­ta­tio­nen). Grass & Co. agie­ren höch­stens noch wie wei­land die Nar­ren, die den Mäch­ti­gen was sa­gen dür­fen. Die »Gate­kee­per«, die Jour­na­li­sten, die ih­re Fel­le schwim­men se­hen (aber noch sehr gut ein­ge­mum­melt sind), ge­ben den Takt vor. Wenn sich dann ei­ner die­ser Nar­ren­fi­gür­chen ein­mal ein­mischt, und die Rich­tung passt nicht, wird es ganz schlimm: Er wird ver­bis­sen und not­falls aus­ge­sto­ßen. Das hat man bei Hand­ke ge­se­hen; man kann ja sei­ne Tex­te kri­ti­sie­ren, aber nicht in der Form wie dies teil­wei­se ge­sche­hen ist. Oder Wal­ser als An­ti­se­mi­ten dar­stel­len (un­ver­gess­lich das In­ter­view ei­ner Ra­dio­mo­de­ra­to­rin beim Ge­burts­tag­an­ruf mit Wal­ser: »Sind Sie ein An­ti­se­mit?«. – Ich hät­te den Hö­rer auf­ge­legt). Oder auch Mo­se­bach. Usw.

    (Mich wür­de in­ter­es­sie­ren, wer der Blog­ger war, der kei­ne Aus­kunft von Frau Meckel be­kom­men hat. Mir hat­te sie na­tür­lich auch nicht ge­ant­wor­tet. Aber war­um soll­te sie auch? Sie ist der­ma­ßen gut ver­netzt, dass al­le ih­re Äu­ße­run­gen so­fort ka­no­ni­siert wer­den. Ko­ope­riert wird nur mit oben; nach un­ten herrscht die Igno­ranz; ein gu­ter Ver­drän­ger­stoff.)

    Hier­in liegt der Grund für die hä­mi­sche Gleich­gül­tig­keit, was Suhr­kamp an­geht. Der en­ga­gier­te rot-grü­ne Gate­kee­per von heu­te (der noch in ei­ner Re­dak­ti­on sitzt oder, schlim­mer, als Free­lan­cer sen­sa­ti­ons­hei­schen­de Be­rich­te ab­zu­lie­fern hat), hat kei­ne Zeit die ver­meint­lich brä­si­gen »edi­ti­on suhrkamp«-Bändchen zu le­sen. Ein, zwei flot­te For­mu­lie­run­gen aus dem Pres­se­text ab­ge­schrie­ben tun’s auch. Tat­säch­lich ist der »al­te Ty­pus« des In­tel­lek­tu­el­len tot; der Ein­mi­scher, der Mo­ra­list, der Re­so­lu­tio­nist. Das ist ei­gent­lich gut so. Aber was jetzt kommt, ist das, was ich viel­leicht den neu­en An­ti-In­tel­lek­tua­lis­mus nen­nen wür­de.

  34. Wenn ich Ge­org rich­tig ver­ste­he, dann ha­ben wir es mit ei­ner »neu­en Un­be­darft­heit« bei den über­re­gio­na­len Jour­na­li­sten (Zei­tung, Rund­funk, TV) zu tun.
    D.h. die­se kurz­we­gi­ge Ver­bin­dung zwi­schen Öf­fent­lich­keit und re­si­dua­ler In­tel­lek­tua­li­tät wie in der al­ten BRD hat sich auf­ge­löst. Es fehlt schon in den Re­dak­tio­nen an »In­ter­es­se, Ge­spannt­heit, Wohl­ge­fal­len«, wie könn­te man sol­ches noch ver­mit­teln.
    Da ist was dran. Wenn es nur dar­um geht, dass die SCHALTE klappt, und die Fra­gen in 1′30″ durch sind, und dann hät­te der Mohr sei­ne Schul­dig­keit ge­tan...
    Aus dem ge­sun­den An­ti-Au­to­ri­ta­ris­mus der 68er ist ei­ne lang­wei­li­ge me­dia­tech­ni­sche Igno­ranz ge­wor­den. Ja, da ist was dran.

  35. @Gregor Keu­sch­nig:

    »Aber hier­aus kann kein all­ge­mei­nes Ge­sell­schafts­mo­dell ab­ge­lei­tet wer­den.«
    Wo­her wis­sen Sie das? Wie kön­nen Sie das so si­cher sa­gen? Ihr Ar­gu­ment läuft an die­ser Stel­le dar­auf hin­aus, dass nicht sein kann, was Sie sich nicht vor­stel­len kön­nen.

    Neh­men Sie die ak­tu­el­le Ent­wick­lung in Grie­chen­land. Dort herrscht tat­säch­lich ein sehr kon­kre­ter Geld­man­gel. Ge­ra­de weil die­ser sich aber durch ei­nen brei­ten Teil der Ge­sell­schaft zieht, könn­ten die Grie­chen in die­ser hi­sto­ri­schen Si­tua­ti­on zum zwei­ten Mal, nach der Er­fin­dung der De­mo­kra­tie, der Mensch­heit ge­wal­tig auf die Sprün­ge hel­fen, in­dem sie die post­mo­ne­tä­re Ge­sell­schaft ent­wickeln. Denn was ge­nau fehlt dort ei­gent­lich, wenn Geld fehlt?

    Die Bau­ern et­wa ha­ben das Pro­blem, dass sie auf ih­ren Wa­ren sit­zen blei­ben, weil kei­ner mehr Geld hat, sie ih­nen ab­zu­kau­fen – die Wa­ren ver­der­ben aber schnell, nach der her­kömm­li­chen Öko­no­mie noch mehr Ver­lust, der ent­steht. Was hin­dert sie aber dar­an, ihr Obst und Ge­mü­se ein­fach zu ver­schen­ken? Sie ha­ben ja nichts mehr zu ver­lie­ren. Der Ge­winn wä­re aber, dass im Ge­gen­zug auch sie die­je­ni­gen Wa­ren und Dienst­lei­stun­gen ge­schenkt be­kä­men, für die sie frü­her Geld ge­braucht hät­ten – das sie aber ja nun nicht mehr ha­ben und auch nicht mehr brau­chen.

    Die Ar­beits­kraft der Men­schen, die be­nö­tig­ten Pro­duk­ti­ons­mit­tel, die In­fra­struk­tur – all das ist ja vor­han­den, es braucht da­für kein Geld. Die ein­zi­gen Ge­schäfts­be­rei­che, die oh­ne Geld weg­fal­len, sind die­je­ni­gen, die sich mit dem Geld selbst be­schäf­ti­gen – und das sind wie­der­um ge­nau die Be­rei­che, die nun schon seit ei­ni­gen Jah­ren in der Dau­er­kri­se sind.

    Man könn­te mei­nen, die Vir­tua­li­sie­rung des Gel­des kä­me ge­ra­de an ihr En­de, weil nun die sehr rea­len Fol­gen des Geld­man­gels sicht­bar wer­den. Aber zwin­gend ist das nicht. Es könn­te auch sein, dass ge­ra­de in die­ser Si­tua­ti­on im­mer mehr Men­schen er­ken­nen, dass Geld ei­ne hi­sto­ri­sche Er­fin­dung ist und kein Aspekt der con­di­tio hu­ma­na.

  36. Kurz doch noch mal zu den In­tel­lek­tu­el­len.

    Ei­ne we­gen ih­rer Über­spitzt­heit ganz gu­te De­fi­ni­ti­on und nicht so leicht ab­zu­tun als iro­ni­sches Bon­mot:

    Pünkt­lich zu Weih­nach­ten stellt Wil­liam De­re­sie­wicz im Ame­ri­can Scho­lar noch ein­mal klar, was ei­nen In­tel­lek­tu­el­len von ei­nem Aka­de­mi­ker un­ter­schei­det: »An in­tellec­tu­al is not an ex­pert, and a pu­blic in­tellec­tu­al is not an ex­pert who con­de­s­cends to speak to a wi­der au­di­ence about her area of ex­per­ti­se. An in­tellec­tu­al is a ge­ne­ra­list, an au­to­di­dact, a thin­ker who wan­ders and spe­cu­la­tes. As Jack Mi­les puts it in a stel­lar es­say on the que­sti­on, ‘It ta­kes ye­ars of di­sci­plined pre­pa­ra­ti­on to be­co­me an aca­de­mic. It ta­kes ye­ars of un­di­sci­plined pre­pa­ra­ti­on to be­co­me an in­tellec­tu­al.’ «)

  37. Ja, Goetz hier viel­leicht mit der bis­her über­haupt klüg­sten Stel­lung­nah­me zu der Sa­che – nicht nur kennt­nis­reich und mit in­ter­es­san­ten In­si­der-Ein­blicken, son­dern auch mit der über­le­ge­nen Per­spek­ti­ve, die ver­fah­re­ne Sa­che wie­der zu öff­nen. (Nach dem für mich et­was ent­täu­schen­den »Hol­trop« hät­te ich ihn fast ein biss­chen un­ter­schätzt.)

  38. @herr.jedermann
    Ich fin­de das Zi­tat auch sehr tref­fend, ei­ner­seits der Be­to­nung des Den­kens we­gen, an­de­rer­seits weil es die Wi­der­sprü­che die ei­ne De­fi­ni­ti­on ei­nes In­tel­lek­tu­el­len mit sich bringt, ein­zu­be­zie­hen ver­sucht (ich mei­ne aber un­be­dingt, dass das me­dia­le Bild des In­tel­lek­tu­el­len und ei­ne De­fi­ni­ti­on jen­seits des­sel­ben ge­mein­sam dis­ku­tiert wer­den soll­ten).

    Zur Fra­ge ob wir denn Geld be­nö­ti­gen: Ich fän­de es ziel­füh­ren­der das der­zei­ti­ge Sy­stem so weit her­un­ter­zu­fah­ren, dass al­le be­ob­acht­ba­ren Ex­zes­se und Über­hit­zun­gen der letz­ten Jah­re nicht mehr mög­lich sind, ernst­haf­te und gu­te Vor­schlä­ge da­für gibt es. Dann se­hen wir wei­ter und be­ur­tei­len die La­ge er­neut.

  39. Bit­te kei­ne Dis­kus­si­on über Geld, Nicht­geld oder Voll­geld; wenn, dann viel­leicht hier. (Die letz­ten Re­vo­lu­tio­nä­re, die u. a. Geld ab­schaf­fen woll­ten, sorg­ten für Mil­lio­nen von To­ten.)

    Re­le­vant wird die Dis­kus­si­on um das Wirt­schafts­un­ter­neh­men Suhr­kamp nur dort, wo es die In­ter­es­sen ei­nes Min­der­heits­ge­sell­schaf­ters tan­giert. Goetz um­schreibt das ganz gut (tat­säch­lich hat­te ich ihn auch nach »Jo­hann Hol­trop« ein biss­chen un­ter­schätzt). Da­her auch mei­ne The­se: Es geht am En­de nur um die Ab­fin­dung, den Los­kauf des Min­der­heits­ge­sell­schaf­ters Bar­lach. Da­für muss er die Er­war­tun­gen nach oben schrau­ben, d. h. aus der Ver­gan­gen­heit her­aus ver­su­chen zu er­klä­ren, war­um man mit dem Po­ten­ti­al viel mehr Ren­ta­bi­li­tät hät­te er­wirt­schaf­ten kön­nen. Suhr­kamp wird sich dar­auf ka­pri­zie­ren, die gan­zen Weg­gangs­dro­hun­gen als In­diz für die Ent­ker­nung des Ver­la­ges durch ei­ne Öko­no­mi­sie­rung dar­zu­stel­len. Tat­säch­lich be­darf es ei­nes Me­dia­tors, und zwar ei­nes se­riö­sen, nicht so ei­ner Knall­char­ge wie Nau­mann.

  40. Herr Keu­sch­nig, mit Ih­rem Hin­weis auf die Ro­ten Khmer ha­ben Sie er­folg­reich die Gül­tig­keit von Godwin’s law be­wie­sen. Ei­ne lu­sti­ge Poin­te, wenn man be­denkt, mit wel­cher The­se die­ser Th­read an­fing, ich darf Sie zi­tie­ren:

    »Es ist ein amor­pher, sich schlei­chend ver­fe­sti­gen­der An­ti-In­tel­lek­tua­lis­mus, der sich in die­sen rü­den, grob­schläch­ti­gen Äu­ße­run­gen zeigt, die zu dem meist oh­ne jeg­li­ches Wis­sen als Af­fek­te ab­ge­son­dert wer­den«

    Sie ha­ben mich zu­vor schon nicht ver­stan­den, aber si­cher ver­ste­hen Sie nun, dass ich mich hier­mit von Ih­rer Sei­te ver­ab­schie­de.

  41. Herr Krä­mer, der An­ti-In­tel­lek­tua­lis­mus der Ro­ten Khmer ist hin­läng­lich be­kannt; der Stein­zeit-Uto­pis­mus die­ser Mör­der wur­de üb­ri­gens jah­re­lang von ei­ni­gen west­deut­schen K‑Gruppen hof­fiert. Was das mit die­sem Spielzeug-»Law« à la God­win zu tun hat ver­mag ich nicht zu er­ken­nen. Die­ses so­ge­nann­te Ge­setz ist oh­ne­hin mehr und mehr zu ei­nem fau­len Trick ver­kom­men, wenn Ar­gu­men­te sich ver­flüs­si­gen wie Schnee in der Son­ne.

    Es geht hier um Suhr­kamp, die so­ge­nann­ten In­tel­lek­tu­el­len und nicht um Schwär­me­rei­en ei­ner Tausch­wirt­schaft. Zum The­ma Geld bzw. Geld­lo­sig­keit ha­be ich Ih­nen ei­nen Link ge­po­stet; da kön­nen Sie sich sach­be­zo­gen ein­brin­gen.

  42. Ich ha­be den Kom­men­tar­strang mit gro­ßem In­ter­es­se ver­folgt und kann die mei­sten vor­ge­stell­ten Po­si­tio­nen gut nach­voll­zie­hen.

    Mir fehlt al­ler­dings völ­lig der Be­zug auf Keu­sch­nigs Her­aus­he­bung der fort­schrei­ten­den Vedum­mung, de­rer man sich nicht mehr zu schä­men braucht, als aus mei­ner Sicht un­ver­zicht­ba­ren Dreh­punkt ei­nes halb­wegs voll­stän­di­gen Dis­kur­ses. Es geht nicht nur um Suhr­kamp und Li­te­ra­tur, son­dern um das Zu­rück­drän­gen des Öf­fent­li­chen hin­ter das Pri­va­te. Die Men­ge je­ner, die Kul­tur schlecht­hin als ein öf­fent­li­ches Gut wahr­zu­neh­men in der La­ge sind, wird ge­rin­ger. An­ge­sichts der all­ge­mein aus­ufern­den Af­fekt­zu­mu­tun­gen nimmt die Zahl der sich zu Wort mel­den­den Wahr­neh­mungs­fä­hi­gen (mit­un­ter als In­tel­lek­tu­el­le gar dis­kre­di­tiert) noch schnel­ler ab.

    Ob Suhr­kamp den ab­sur­den Rechts­streit als In­sti­tu­ti­on über­lebt, soll­te mei­nes Er­ach­tens kei­ne zen­tra­le Fra­ge sein, wenn man die zu­grun­de lie­gen­de Strö­mung ernst neh­men will. Sich auf die Sym­pto­me ei­ner ge­sell­schaft­li­chen Ent­wick­lung zu be­schrän­ken, greift zu kurz.

    Ei­ne Ge­sell­schaft mit funk­ti­ons­fä­hi­gem Ge­mein­we­sen muss ei­ne An­zahl von Dumpf­backen schlicht aus­hal­ten. Die Fra­ge wä­re aber zu dis­ku­tie­ren, wann die kri­ti­sche Mas­se an Dumpf­backen über­schrit­ten wird und wel­che be­ein­träch­ti­gen­de Fol­gen das ha­ben kann. Suhr­kamp ist, wie ich noch­mals be­to­nen möch­te, le­dig­lich ein Sym­ptom. Die Kon­se­quen­zen der un­ge­zü­gel­ten Pri­vat­heit, rück­sichts­los zum Bei­spiel in Kom­men­ta­ren der di­ver­sen on­line-Me­di­en aus­ge­brei­tet, wer­den ver­mut­lich des­halb nicht er­ahnt, weil sie – die Pri­vat­heit – erst gar nicht er­kannt wird.

    Ver­all­ge­mei­nert könn­te die zen­tra­le Fra­ge mög­li­cher­wei­se lau­ten: Wie­viel »pri­vat« kann »öf­fent­lich« aus­ge­hal­ten wer­den?

  43. @kienspan
    Im Ex­trem­fall wür­de das Pri­va­te an die Stel­le des Öf­fent­li­chen tre­ten, es al­so (weit­ge­hend) er­set­zen, und sehr wahr­schein­lich vor al­lem Ein­zel­in­ter­es­sen ver­folgt wer­den, mit der Ten­denz, dass sich der Er­folg­rei­che­re und Stär­ke­re durch­setzt (was auch im­mer das be­deu­tet und was dar­un­ter im De­tail zu ver­ste­hen ist).

    Kul­tur ist, Sie wei­sen mit Recht dar­auf hin und ich glau­be: noch ist das selbst­ver­ständ­lich, oh­ne Öf­fent­lich­keit ei­gent­lich sinn­los oder zu­min­dest ‑ent­frem­det, das er­in­nert mich an die Dis­kus­si­on um das gei­sti­ge Ei­gen­tum. Die weit­ge­hen­de Öko­no­mi­sie­rung al­ler Le­bens­be­rei­che be­deu­tet ei­gent­lich ge­nau das: Die Un­ter­ord­nung öf­fent­li­cher (all­ge­mei­ner) In­ter­es­sen un­ter die pri­va­ter Un­ter­neh­mer.

    Wich­tig scheint mir, dass ei­ne Span­nung zwi­schen öf­fent­li­chen und pri­va­ten In­ter­es­sen be­stehen bleibt, kei­ne der bei­den Sphä­ren darf aus­ge­löscht wer­den (das an­de­re Ex­trem kann eben­so fa­ta­le Fol­gen ha­ben).

  44. @kienspan
    Na­tür­lich muss ei­ne Ge­sell­schaft »Dumpf­backen« aus­hal­ten; sie hat es im­mer ge­musst. Die Schä­den sind al­ler­dings manch­mal ge­schichts­re­le­vant zu be­sich­ti­gen.

    Und na­tür­lich geht die (gei­sti­ge) Welt nicht un­ter, wenn Suhr­kamp nicht mehr exi­stie­ren wür­de. Was mich stört in die­ser Dis­kus­si­on um Suhr­kamp ist das hä­mi­sche Schul­ter­zucken, wel­ches sich mehr und mehr ver­brei­tet. Da­mit ein­her geht ei­ne zum Teil lust­voll vor­ge­brach­te Zer­stö­rung der als eli­tär wahr­ge­nom­me­nen, schein­bar »al­ten« Struk­tu­ren, die zu wei­chen ha­ben (war­um ei­gent­lich?). So ent­nahm ich dies vie­len Kom­men­ta­ren in di­ver­sen Fo­ren. Da wur­de das sprich­wört­li­che Kind mit dem Ba­de aus­ge­schüt­tet.

    Im Feuil­le­ton darf ernst­haft sug­ge­riert wer­den, Sieg­fried Un­seld wä­re auf die Rei­ze ei­ner Frau Ber­ké­wicz zehn Jah­re vor sei­nem Tod so­zu­sa­gen her­ein­ge­fal­len. Greift man dies an, wehrt sich der Schreib­knecht auch noch. Die Zer­schla­gung Suhr­kamps wird nicht als öko­no­misch mo­ti­viert wahr­ge­nom­men, son­dern fast als Be­frei­ung (nur von was?) be­grüsst.

    Statt ei­ner Ab­na­be­lung von den »al­ten« In­tel­lek­tu­el­len, sol­len die­se am lieb­sten in den Or­kus be­för­dert wer­den. Par­al­lel da­zu wer­den in Tim­buk­tu von sich fun­da­men­ta­li­stisch ge­ben­den Mus­li­men ur­alte (mus­li­mi­sche) Grab­stät­ten zer­stört (was na­tür­lich zu ei­nem Auf­schrei im We­sten führt, der die Er­hal­tung die­ser Stät­ten hö­her ein­schätzt als die Le­bens­be­din­gun­gen der Be­völ­ke­rung zu ver­bes­sern).

    Was dies mit »pri­vat« vs. »öf­fent­lich« zu tun hat, er­schließt sich mir nicht. Viel­leicht hel­fen Sie mir hier auf die Sprün­ge.

  45. @Keuschnig zu »pri­vat« vs. »öf­fent­lich«
    Ein Bei­spiel zur Ver­deut­li­chung: Vor knapp 20 Jah­ren er­leb­te ich erst­mals ei­nen da­hin­schrei­ten­den Mit­bür­ger Sonn­tag mor­gens auf ei­ner fast men­schen­lee­ren Wie­ner Ein­kaufs­stra­ße – te­le­fo­nie­rend. Bis zu die­sem Zeit­punkt wa­ren mir le­dig­lich Au­to­te­le­fo­ne aus ei­ge­ner An­schau­ung ver­traut. Ich kann mich an mein fas­zi­nier­tes Stau­nen dar­über er­in­nern, dass ein Te­le­fo­nat un­ge­rührt in al­ler Öf­fent­lich­keit ge­führt wur­de. Für mich war da­mals nicht fass­bar, wie ein Ge­spräch­part­ner sprich­wört­lich ins Freie ge­zerrt wer­den konn­te, des­sen Te­le­fon­an­schluss im pri­va­tem Wohn­be­reich in­stal­liert war. Für mein Emp­fin­den wur­de da­mit Pri­vat­sphä­re in die Öf­fent­lich­keit ge­tra­gen. Wie sich die Si­tua­ti­on heu­te (ins­be­son­de­re in öf­fent­li­chen Ver­kehrs­mit­teln) dar­stellt, weiß je­der. Die Über­prü­fung, ob man sich als Mit­hö­rer in ei­ner frem­den Pri­vat­sphä­re auf­hält oder doch im öf­fent­li­chen Be­reich, fällt denk­bar ein­fach aus: Man spre­che die Plau­der­ta­sche in der U‑Bahn noch wäh­rend des Te­le­fo­na­tes auf das Ge­spräch be­zug­neh­mend an.

    Die Hä­me, von der Sie zu­tref­fend spre­chen, ist Aus­druck eben je­ner das Öf­fent­li­che ver­drän­gen­den Pri­vat­heit. Ich ge­he auch voll­stän­dig d’­ac­cord mit Ih­rer Ana­ly­se den An­ti-In­tel­lek­tua­lis­mus be­tref­fend; Sie ge­brauch­ten dar­in den Be­griff »Ab­nei­gungs­fu­ror«. Da­mit lie­gen Sie mei­nes Er­ach­tens rich­tig, ob­gleich ich den Be­griff »Ab­wehr­fu­ror« be­nut­zen wür­de, da sich Mit­tel­mä­ßig­keit ge­gen emp­fun­de­ne Über­le­gen­heit und da­mit ge­gen dif­fu­se Be­dro­hung wehrt. Dass die Be­dro­hung aus dem ei­ge­ne Un­zu­läng­lich­keit un­scharf ah­nen­den »In­nen« kommt, wird in­des ver­drängt und des­halb er­folg­reich nach au­ßen (in die Öf­fent­lich­keit) pro­ji­ziert. Dort gilt es dann, das höchst pri­va­te Emp­fin­den für Un­zu­läng­lich­keit zu ver­tei­di­gen, auf dass es nicht durch von au­ßen in­du­zier­te Re­so­nan­zen ver­stärkt wer­de. Das ist al­ler­dings nur ei­ner der Me­cha­nis­men, mit de­nen Pri­va­tes auf­dring­lich in die Öf­fent­lich­keit strebt und die­se da­durch ver­drängt wird.

  46. @Metepsilonema
    Mei­nen Ein­wand grün­de ich auf Ma­te­ri­al aus der Ant­wort an Keu­sch­nig. Öf­fent­li­cher Dis­kurs zeich­net sich nicht da­durch aus, dass al­le In­ter­es­sier­ten dar­an teil­ha­ben kön­nen, son­dern durch die Be­rück­sich­ti­gung des Hin­ter­grun­des ei­ner ver­han­del­ten Fra­ge­stel­lung, na­ment­lich das ge­sell­schafts­for­men­de »öf­fent­li­che In­ter­es­se«. An die­sem Maß­stab ge­mes­sen, kann nach mei­ner Ein­schät­zung öf­fent­li­cher Dis­kurs nicht mehr statt­fin­den. Das Öf­fent­li­che wird nicht mehr wahr­ge­nom­men – in bei­der­lei Sin­ne. In­so­fern se­he ich der­zeit kei­ne frucht­ba­re Span­nung ge­ge­ben zwi­schen öf­fent­li­chem und pri­va­tem In­ter­es­se.

  47. @kienspan
    Vie­len Dank für die Klä­rung; ich se­he nun, was Sie mei­nen.

    In­ter­es­sant Ih­re Kor­rek­tur zum »Ab­wehr­fu­ror« vs. »Ab­nei­gungs­fu­ror«. Mit Ab­wehr­fu­ror neh­men Sie ja schon ei­ne Wer­tung vor. Je län­ger dar­über nach­den­ke, de­sto lo­gi­scher scheint mir dies zu sein: An­ti-In­tel­lek­tua­lis­mus ist wohl zu­nächst Ab­wehr. Die­se Ab­wehr­hal­tung ist in­zwi­schen ge­sell­schaft­lich sa­tis­fak­ti­ons­fä­hig ge­wor­den. Ein über­trie­be­ner Ega­li­ta­ris­mus räumt den »Ab­wehr­ern« plötz­lich die glei­chen dis­kur­si­ven Rech­te ein. Ein biss­chen sa­lopp for­mu­liert: Frü­her schäm­te man sich sei­ner Bil­dungs- und Wis­sens­lücken (was ja nicht das glei­che sein muss). Heu­te rücken sie gleich­ran­gig auf.

    Der Satz in Ih­rer Ant­wort an me­tep­si­lo­n­e­ma vom nicht mehr statt­fin­den­den (nicht mehr mög­li­chen?) öf­fent­li­chen Dis­kurs schnei­det ja wie ein Blatt Pa­pier in die Hand.