(Ta­ge­buch) Fried­rich Sieburg: Die Flie­ge im Bern­stein

Friedrich Sieburg: Die Fliege im Bernstein
Fried­rich Sieburg:
Die Flie­ge im Bern­stein

Fried­rich Sieburg wur­de 1893 ge­bo­ren. 1912 be­gann er Phi­lo­so­phie, Ge­schich­te und Öko­no­mie zu stu­die­ren. Im Er­sten Welt­krieg wur­de er Flie­ger­of­fi­zier. Pro­mo­ti­on 1919 in Mün­ster zum Dr. phil. (im Nach­wort steht irr­tüm­lich 1920). Sieburg stand ei­ni­ge Zeit dem Ge­or­ge-Kreis na­he. Schließ­lich schlug er ei­ne Lauf­bahn als Jour­na­list ein, schrieb u. a. für die »Welt­büh­ne« und vor al­lem bei der »Frank­fur­ter Zei­tung«, für die als Kor­re­spon­dent aus Lon­don und vor al­lem Pa­ris be­rich­te­te. Er war viel­sei­tig, schrieb Li­te­ra­tur- und Thea­ter­kri­ti­ken, Feuil­le­tons, hi­sto­ri­sche Es­says aber auch Ge­dich­te und Rei­se­be­rich­te. Er er­lang­te rasch ei­nen ge­wis­sen Ruhm. Po­li­tisch be­gann er in den 1930er Jah­ren zu­nächst mit den Ideen der »kon­ser­va­ti­ven Re­vo­lu­ti­on« zu sym­pa­thi­sie­ren, spä­ter er­griff er Par­tei für den Na­tio­nal­so­zia­lis­mus. 1932 schrieb er »Es wer­de Deutsch­land«, ein, wie Gun­ther Nickel schreibt, »flam­men­des Plä­doy­er für ei­ne na­tio­na­le Er­neue­rung«. Es er­schien je­doch erst nach der Macht­über­nah­me 1933. Drei Jah­re spä­ter wur­de das Buch ver­bo­ten, weil Sieburg hier­in schar­fe Kri­tik am An­ti­se­mi­tis­mus der Na­tio­nal­so­zia­li­sten ge­übt ha­ben soll. 1940 wur­de Sieburg Bot­schafts­rat der Deut­schen Bot­schaft im be­setz­ten Frank­reich. Ein Amt, wie es heißt »oh­ne je­den Ein­fluß« (Joa­chim Ker­sten). Er de­mis­sio­nier­te zwei Jah­re spä­ter und ging im Fe­bru­ar 1943 zu­rück zur »Frank­fur­ter Zei­tung«, die al­ler­dings im Au­gust des glei­chen Jah­res ver­bo­ten wur­de. Sieburg war nun nicht nur ar­beits­los, son­dern auch noch emo­tio­nal tief mit der Schei­dung von sei­ner zwei­ten Frau Do­ro­thee von Pück­ler, geb. von Bülow, be­schäf­tigt, die er erst 1942 ge­hei­ra­tet hat­te. Die Ehe wur­de im Früh­jahr 1944 wie­der ge­schie­den. Sieburg mie­te­te sich bis auf wei­te­res in Do­ro­thees An­we­sen, dem so­ge­nann­ten Schloss Rüb­sa­men, für 100 RM mo­nat­lich ein. Meist hielt er sich je­doch in ei­ner Woh­nung in Tü­bin­gen im Haus von Paul Kluck­horn auf, der seit 1930 Or­di­na­ri­us an der Uni­ver­si­tät war.

Das ist das Set­ting mit dem die Ta­ge­buch­auf­zeich­nun­gen Sieburgs be­gin­nen, die der Wall­stein-Ver­lag un­ter dem Ti­tel »Die Flie­ge im Bern­stein« so­eben erst­ma­lig her­aus­ge­bracht hat. Die Ein­tra­gun­gen be­gin­nen am 23. No­vem­ber 1944 und en­den am 13. Mai 1945; Sieburg ist 51 Jah­re alt. Ob­wohl ge­schie­den, be­schäf­tigt ihn im­mer noch Do­ro­thee. Es kommt zu Be­geg­nun­gen, die re­gel­mä­ssig in Be­schimp­fun­gen und bis­wei­len kör­per­li­cher Ge­walt (von sei­ten der Frau) en­den. Sie ha­be »zwei We­sen« in sich, So Sieburg. Nach heu­ti­gen Maß­stä­ben wür­de man sie ver­mut­lich als bi­po­la­re Per­sön­lich­keit mit Ag­gres­si­ons­po­ten­ti­al ein­stu­fen. Den­noch kann man zwi­schen den Zei­len le­sen, dass es zeit­wei­se zum Sex zwi­schen den bei­den kommt. Die rasch wech­seln­den Stim­mungs­la­gen der Frau de­pri­mie­ren ihn; er be­kennt sei­ne Lie­be, aber auch sei­ne Ver­zweif­lung über das Ver­hal­ten sei­ner Ex-Frau, die dann bei ihm zur »Er­mor­dung« der Lie­be führ­te. Bis­wei­len wer­den die­se Ge­füh­le von Er­in­ne­run­gen an sei­ne er­ste Frau über­la­gert.

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Wie man po­li­ti­sche Grund­sät­ze und Mög­lich­kei­ten der Gunst des Au­gen­blicks op­fert

Am 12. Fe­bru­ar 1934 wi­der­set­zen sich in Linz An­ge­hö­ri­ge des ver­bo­te­nen re­pu­bli­ka­ni­schen Schutz­bunds ih­rer Ent­waff­nung: Der öster­rei­chi­sche Bür­ger­krieg be­ginnt. Ein Ge­ne­ral­streik bleibt aus, Po­li­zei, Bun­des­heer und Heim­wehr ver­hal­ten sich ge­gen­über dem au­stro­fa­schi­sti­schen Stän­de­staat loy­al und so­li­da­ri­sie­ren sich nicht mit den Auf­stän­di­schen – am 14. Fe­bru­ar bricht der Wi­der­stand zu­sam­men. Es star­ben meh­re­re hun­dert Men­schen, Zi­vi­li­sten und An­ge­hö­ri­ge der Exe­ku­ti­ve – Ge­mein­de­bau­ten wur­den durch Ar­til­le­rie des Bun­des­hee­res be­schos­sen*. Nach den Er­eig­nis­sen wird die So­zi­al­de­mo­kra­ti­sche Ar­bei­ter­par­tei ver­bo­ten.

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Jo­na­than Lit­tell: Das Trocke­ne und das Feuch­te

Jo­na­than Lit­tell, Au­tor der Splat­ter-Mocku­men­ta­ry Schar­te­ke »Die Wohl­ge­sinn­ten«, hat das Buch »La cam­pa­gne de Rus­sie« (»Der Russ­land­feld­zug«; er­schie­nen 1949) des ehe­ma­li­gen bel­gi­schen SS-Of­fi­ziers Lé­on De­grel­le ge­le­sen. Und er hat das Buch »Män­ner­phan­ta­sien« von Klaus The­we­leit und des­sen The­sen zum Fa­schis­mus ge­le­sen. Lit­tell ver­sucht nun The­we­leits The­sen von 1977 mit sei­ner Re­zep­ti­on von De­grel­les Buch fort­zu­schrei­ben.

Jonathan Littell: Das Trockene und das Feuchte
Jo­na­than Lit­tell: Das Trocke­ne und das Feuch­te

Lit­tell ist von The­we­leits Buch fas­zi­niert. »Der Fa­schis­mus (ist ei­ne) Form der Pro­duk­ti­on des Realen…keine Fra­ge der Staatsform…auch nicht…der Wirt­schafts­form, über­haupt nicht ei­ne Fra­ge des Sy­stems.« zi­tiert er The­we­leit, der im Nach­wort zu »Das Trocke­ne und das Feuch­te« (wel­ches be­reits im April 2008 in der Frank­fur­ter All­ge­mei­nen Zei­tung ver­öf­fent­licht wur­de) er­gänzt: » ‘Fa­schis­mus’ ist …ein Kör­per­zu­stand, ei­ne ge­fähr­li­che Ma­te­rie, die mit Macht und Ge­walt dar­auf dringt, den Zu­stand der Welt den Zu­stän­den des ei­ge­nen Kör­pers an­zu­glei­chen, zu un­ter­wer­fen«. Das Freud’sche Mo­dell von Es, Ich, Über-Ich und da­mit der ödi­pa­len Kon­stel­la­ti­on lässt sich auf [den Fa­schi­sten] nicht an­wen­den so klä­ren Lit­tell (und The­we­leit) auf, denn der Fa­schist hat die Tren­nung von der Mut­ter nicht ab­ge­schlos­sen und sich nie als Ich im Freud’schen Sin­ne kon­sti­tu­iert. Der Fa­schist ist der »Nicht-zu-En­de-Ge­bo­re­ne«. Aber er ist kein Psy­cho­path; er hat ei­ne par­ti­el­le Tren­nung voll­zo­gen, er ist sozialisiert…er er­greift so­gar ge­le­gent­lich die Macht.

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