Jo­na­than Lit­tell: Das Trocke­ne und das Feuch­te

Jo­na­than Lit­tell, Au­tor der Splat­ter-Mocku­men­ta­ry Schar­te­ke »Die Wohl­ge­sinn­ten«, hat das Buch »La cam­pa­gne de Rus­sie« (»Der Russ­land­feld­zug«; er­schie­nen 1949) des ehe­ma­li­gen bel­gi­schen SS-Of­fi­ziers Lé­on De­grel­le ge­le­sen. Und er hat das Buch »Män­ner­phan­ta­sien« von Klaus The­we­leit und des­sen The­sen zum Fa­schis­mus ge­le­sen. Lit­tell ver­sucht nun The­we­leits The­sen von 1977 mit sei­ner Re­zep­ti­on von De­grel­les Buch fort­zu­schrei­ben.

Jonathan Littell: Das Trockene und das Feuchte

Jo­na­than Lit­tell: Das Trocke­ne und das Feuch­te

Lit­tell ist von The­we­leits Buch fas­zi­niert. »Der Fa­schis­mus (ist ei­ne) Form der Pro­duk­ti­on des Realen…keine Fra­ge der Staatsform…auch nicht…der Wirt­schafts­form, über­haupt nicht ei­ne Fra­ge des Sy­stems.« zi­tiert er The­we­leit, der im Nach­wort zu »Das Trocke­ne und das Feuch­te« (wel­ches be­reits im April 2008 in der Frank­fur­ter All­ge­mei­nen Zei­tung ver­öf­fent­licht wur­de) er­gänzt: » ‘Fa­schis­mus’ ist …ein Kör­per­zu­stand, ei­ne ge­fähr­li­che Ma­te­rie, die mit Macht und Ge­walt dar­auf dringt, den Zu­stand der Welt den Zu­stän­den des ei­ge­nen Kör­pers an­zu­glei­chen, zu un­ter­wer­fen«. Das Freud’sche Mo­dell von Es, Ich, Über-Ich und da­mit der ödi­pa­len Kon­stel­la­ti­on lässt sich auf [den Fa­schi­sten] nicht an­wen­den so klä­ren Lit­tell (und The­we­leit) auf, denn der Fa­schist hat die Tren­nung von der Mut­ter nicht ab­ge­schlos­sen und sich nie als Ich im Freud’schen Sin­ne kon­sti­tu­iert. Der Fa­schist ist der »Nicht-zu-En­de-Ge­bo­re­ne«. Aber er ist kein Psy­cho­path; er hat ei­ne par­ti­el­le Tren­nung voll­zo­gen, er ist sozialisiert…er er­greift so­gar ge­le­gent­lich die Macht.

The­we­leits The­se und männ­li­cher Selbst­haß

Selbst­be­wusst er­klärt Klaus The­we­leit sei­ne Ver­dien­ste um die Fa­schis­mus­for­schung: »Ich hat­te et­was ge­lie­fert, was es bis da­hin nicht gab, den Ver­such, den Fa­schis­mus, den Na­tio­nal­so­zia­lis­mus, nicht als Aus­ge­burt ei­ner fürch­ter­li­chen ‘Ideo­lo­gie’ zu be­schrei­ben, son­dern, aus­ge­hend vom Mann-Frau-Ver­hält­nis in der eu­ro­päi­schen Ge­schich­te, als ei­ne ge­walt­tä­ti­ge Art und Wei­se, ‘die Rea­li­tät’ her­zu­stel­len: die po­li­ti­sche mör­de­ri­sche Rea­li­tät des fa­schi­sti­schen Ge­waltstaats nicht als Fol­ge von An­sich­ten, Ideen oder In­du­strie-In­ter­es­sen, son­dern als um­ge­setz­ten Aus­druck ver­hee­ren­der Kör­per­zu­stän­de sei­ner Prot­ago­ni­sten – der fa­schi­sti­sche Staat als Rea­li­täts­pro­duk­ti­on des Kör­pers des ’sol­da­ti­schen Man­nes’.«

Noch heu­te be­ruft sich The­we­leit auf Ru­dolf Aug­steins Lob (»Viel­leicht die auf­re­gend­ste deutsch­spra­chi­ge Pu­bli­ka­ti­on des Jah­res 1977«) und bü­gelt in bla­sier­ter Ar­ro­ganz even­tu­el­le Ein­wän­de ab: »Hi­sto­ri­ker ha­ben Vor­be­hal­te ge­gen au­to­bio­gra­phi­sche Tex­te. Sie trau­en Un­ter­su­chun­gen nicht, die vor­wie­gend die Af­fek­te des hi­sto­ri­schen Per­so­nals un­ter­su­chen. Schon gar nicht trau­en sie psy­cho­ana­ly­ti­schen Zu­gän­gen; un­ter an­de­rem, weil sie kei­ne Ah­nung von ih­nen ha­ben. Ihr schlech­tes Ge­wis­sen kam da­zu: Er­neut küm­mer­te sich ein Fach­frem­der um ih­re (ver­säum­ten) Auf­ga­ben.«

Sven Rei­chardt schreibt in sei­nem sehr er­hel­len­den und les­ba­ren Es­say »Klaus The­we­leits ‘Män­ner­phan­ta­sien’ – ein Er­folgs­buch der 1970er-Jah­re« :

»The­we­leits Ar­beit be­fasst sich zu­nächst mit der Frei­korps-Li­te­ra­tur der 1920er-Jah­re; er un­ter­sucht die fa­schi­sti­schen Männ­lich­keits- und Ge­walt­phan­ta­sien die­ser Sol­da­tes­ka in über 250 Ro­ma­nen oder Er­in­ne­run­gen. Da­bei nimmt er Sprach­stil wie In­halt die­ser Li­te­ra­tur aus­ein­an­der und stellt Frau­en­bild, Kör­per­ver­hält­nis und Kampf­be­rich­te in das Zen­trum sei­ner Ana­ly­se. Bei der Lek­tü­re der Schrif­ten der höchst un­ter­schied­li­chen sie­ben Haupt­per­so­nen stellt sich her­aus, dass die­se im Grun­de nur drei Frau­en­ty­pen kann­ten: die Mut­ter, die ‘wei­ße Kran­ken­schwe­ster’ und die Hu­re.«

Bei den sie­ben Haupt­per­so­nen han­delt es sich um »den in afri­ka­ni­schen Ko­lo­nie­kämp­fen be­rühmt ge­wor­de­nen Ge­ne­ral­ma­jor Paul von Let­tow-Vor­beck, den 1919 den Dienst quit­tie­ren­den Ka­pi­tän­leut­nant Mar­tin Niem­öl­ler, den Frei­korps­kom­man­deur Ger­hard Roß­bach und ei­nen sei­ner Man­nen na­mens Ru­dolf Höß, der spä­ter als La­ger­kom­man­dant be­rüch­tigt wur­de, um den ehe­ma­li­gen Chef der Ma­ri­ne­bri­ga­de und wohl be­kann­te­sten Frei­korps­füh­rer Her­mann Ehr­hardt so­wie um die be­kann­ten Schrift­stel­ler Ernst von Sa­lo­mon und Ernst Jün­ger.« (Rei­chardt)

Die­se sie­ben Per­so­nen sind für The­we­leit re­prä­sen­ta­tiv für den »Fa­schi­sten«. Sei­ne The­sen sind oh­ne Ver­or­tung im zeit­ge­schicht­li­chen Kon­text des Er­schei­nungs­jahrs 1977 kaum zu ver­ste­hen, war doch »das The­ma der Männ­lich­keit und der Ge­schlech­ter­be­zie­hun­gen in den 1970er-Jah­ren ge­samt­ge­sell­schaft­lich in das Blick­feld ge­ra­ten«, wie Sven Rei­chardt her­aus­ar­bei­tet. Durch ei­ne ge­schickt vor­ge­nom­me­ne Ver­schie­bung von Prio­ri­tä­ten in­ner­halb des Dis­kur­ses (es geht um die Post-68er-Ära, in der »Fa­schist« fast zum um­gangs­sprach­li­chen Schimpf­wort wur­de) war es mög­lich, Fra­gen und Ein­wän­de, et­wa »war­um der sol­da­ti­sche Mann in die­ser Form ge­ra­de in Deutsch­land ent­stand« (Rei­chardt) oder wel­che Rol­le der Er­ste Welt­krieg und das Schei­tern der Wei­ma­rer De­mo­kra­tie spiel­te, mit Non­cha­lance igno­rie­ren zu kön­nen. Heu­te wirkt die­se »stre­ber­haf­te Ge­ste der Selbst­de­nun­zia­ti­on«, mit der sich der »zur Fa­schis­mus­theo­rie auf­ge­motz­te männ­li­che Selbst­haß« um­gibt (Jörg Lau 2004) eher ko­misch.

Der Bel­gi­er

Lit­tell will an­hand von De­grel­les Buchs The­we­leits The­sen so­zu­sa­gen experimentell…verifizieren, und zwar an ei­nem Mann, der in ei­ner an­de­ren Spra­che schrieb, ei­ner an­de­ren Ge­ne­ra­ti­on an­ge­hör­te und vor al­lem den Er­sten Welt­krieg nicht mit­er­lebt hat­te. Und das, ob­wohl (oder ge­ra­de weil?) Lit­tell und The­we­leit ei­ne halb­wegs kon­si­sten­te De­fi­ni­ti­on des Be­griffs des »Fa­schi­sten« nach wie vor nicht vor­le­gen, son­dern nur »fa­den­schei­ni­ge Text­ge­we­be« (Lo­thar Bai­er 1978 zu »Män­ner­phan­ta­sien«) lie­fern, die grö­sse­ren In­ter­pre­ta­ti­ons- und Deu­tungs­spiel­raum zu­las­sen.

Lit­tel­ls Stil ist eher er­zäh­le­risch, das Buch ist nur grob struk­tu­riert. Der Le­ser er­fährt kaum bio­gra­fi­sche Da­ten De­grel­les au­sser­halb sei­nes po­li­ti­schen und mi­li­tä­ri­schen Han­delns; Kind­heit und Ju­gend blei­ben voll­kom­men aus­ge­spart. Die kur­ze hi­sto­ri­sche Ge­dächt­nis­auf­fri­schung setzt bei 1936 ein, als, wie Lit­tell meint, sei­ne Po­pu­la­ri­tät sei­nen Hö­he­punkt er­reich­te. Er ist da­mals 30 Jah­re alt. Sein Ziel ist der Sturz der po­li­ti­schen Klas­se Bel­gi­ens. 1938 ge­lang ihm mit sei­ner Volks­be­we­gung ka­tho­li­schen Ur­sprungs (mehr wird nicht ver­ra­ten) der Ein­zug ins bel­gi­sche Par­la­ment.

Lé­on De­grel­le ist Wal­lo­ne, aber kein na­tio­na­li­sti­scher Wal­lo­ne (am Ran­de er­fährt man ein biss­chen über die be­reits da­mals merk­wür­di­ge Tren­nung zwi­schen Wal­lo­nen und Fla­men; so­gar die NS-Sym­pa­thi­san­ten der je­wei­li­gen Volks­grup­pen fan­den kaum zu­ein­an­der). De­grel­le ist Rexist, tritt aber gleich­zei­tig für ein Gross-Bur­gund un­ter deutsch-na­tio­nal­so­zia­li­sti­scher Füh­rung ein. Er war Hit­ler 1936 be­geg­net und des­sen Charme so­fort er­le­gen; er traf ihn noch mehr­mals (die Fo­tos wer­den im Buch ab­ge­druckt). 1940 wur­de De­grel­le als ger­ma­no­phil kurz­zei­tig in­ter­niert. 1941 or­ga­ni­sier­te er ei­ne an­ti­bol­sche­wi­sti­sche Le­gi­on »Wal­lo­ni­en« im Rah­men der deut­schen Wehr­macht, der er so­fort als Leut­nant an­ge­hö­ren will, was aber aus »Man­gel an mi­li­tä­ri­schen und tech­ni­schen Kennt­nis­sen« ab­ge­lehnt wird und ihm spä­ter er­mög­licht, ei­nen My­thos zu be­grün­den.

»Wal­lo­ni­en« geht nach Russ­land und wird in hef­ti­ge (und teil­wei­se ver­lust­rei­che) Kämp­fe ver­wickelt. De­grel­le steigt sehr schnell vom Schüt­zen zum Of­fi­zier auf. 1944 wird er zum Kom­man­deur der (in­zwi­schen in die SS ein­ge­glie­der­ten) Sturm­bri­ga­de »Wal­lo­ni­en« er­nannt. Im April 1945 wird er »Stan­dar­ten­füh­rer« (Oberst); ob die Er­nen­nung im Mai zum »Ober­füh­rer« (ein Ge­ne­ral-Äqui­va­lent) »kor­rekt« war, ist um­strit­ten (spielt aber letzt­lich kei­ne Rol­le). Lit­tell schil­dert am En­de des Bu­ches aus­führ­lich die Odys­see von De­grel­les Flucht (er hat­te sei­ne ihm an­ver­trau­ten Leu­te schlicht­weg ver­las­sen, als es ihm zu ge­fähr­lich wur­de). Er lan­de­te mit ei­nem Flug­zeug auf aben­teu­er­li­che Art und Wei­se in Spa­ni­en, wur­de Bau­un­ter­neh­mer und blieb dort un­be­hel­ligt (und un­be­lehr­bar) bis zu sei­nem Tod 1994.

Kläg­li­che Ver­su­che von Sprach­kri­tik

Es gibt zahl­rei­che Ab­bil­dun­gen im Buch wie Brief­mar­ken, Fa­mi­li­en­fo­tos, Pro­pa­gan­da­bil­der und ‑pla­ka­te (mit teil­wei­se hal­b­es­say­isti­schen Er­läu­te­run­gen, die das Le­sen manch­mal nicht ganz ein­fach ma­chen), die al­ler­dings kaum zur Ver­bes­se­rung des Ver­ständ­nis­ses des Tex­tes bei­tra­gen. Viel­leicht soll mit den Ab­bil­dun­gen ein ge­wis­ses Ein­lul­len des Le­sers be­trie­ben wer­den, in dem ei­ne Art Fo­to­al­bum­e­f­fekt er­zeugt wer­den soll.

Vie­le Quel­len wei­sen De­grel­le als no­to­ri­schen Tat­sa­chen­ver­dre­her und Lüg­ner aus. Lit­tell sieht das als Be­leg sei­ner The­se: De­grel­le ist nicht an der Wahr­heit in­ter­es­siert, son­dern an der Rea­li­tät sei­ner fa­schi­sti­schen Wirk­lich­keit. Mit dem Buch (sei­nem Hel­den­epos) will De­grel­le das, was The­we­leit die »Er­hal­tung des Ich« nennt er­zeu­gen. Das ist für den Fa­schi­sten ei­ne Sa­che auf Le­ben und Tod. In dem Fall, der uns hier beschäftigt…wird die Er­hal­tung des Ich durch ei­ne Rei­he stren­ger, fast me­cha­ni­scher Ge­gen­satz­paa­re ge­lei­stet, de­ren zwei­tes Glied für die dem Ich-Pan­zer dro­hen­de Ge­fahr steht, wäh­rend das er­ste die Ei­gen­schaft re­prä­sen­tiert, die dem Fa­schi­sten er­lau­ben, den Ich-Pan­zer zu ver­stär­ken und da­mit der psy­chi­schen Auf­lö­sung zu ent­ge­hen.

Das wich­tig­ste Ge­gen­satz­paar ist für Lit­tell das des Trocke­nen und des Feuch­ten (da­her der Ti­tel) und dann gibt es noch das Star­re und das Form­lo­se, das Har­te und das Wei­che, das Un­be­weg­li­che und das Wim­meln­de, das Stei­fe und das Schlaf­fe, das Auf­rech­te und das Lie­gen­de, und es fol­gen noch acht wei­te­re Ge­gen­satz­paa­re bis es dann heisst und so fort.

Lit­tell er­geht sich in aus­führ­li­chen Zi­ta­ten und Deu­tun­gen des Schlamm-Be­griffs in De­grel­les Buch; er fin­det die po­si­ti­ven und ne­ga­ti­ven Kon­no­ta­tio­nen (was an sich nicht un­ge­wöhn­lich ist und von je­dem Gym­na­sia­sten halb­wegs prä­zi­se her­aus­ge­ar­bei­tet wer­den könn­te). Der Fa­schist wi­der­steht dem schreck­li­chen rus­si­schen Schlamm in dem er sich, nach Lit­tell, ver­steift.

Et­was über­zeu­gen­der ge­ra­ten die Ge­gen­über­stel­lun­gen aus dem Ka­pi­tel Trocke­ne Kör­per, feuch­te Ka­da­ver. Die Ge­gen­satz­paa­re »trocken – feucht« sind mit »gut – schlecht« zu über­set­zen, al­so, in De­grel­les Dik­ti­on: »Wir – Bol­sche­wi­sti­scher Feind«. Der Fa­schist ar­bei­te un­ab­läs­sig an sei­nem Kör­per, um ihn von al­lem Feuch­ten zu rei­ni­gen, so Lit­tell, und zwar un­ab­hän­gig da­von ob es die Form des »of­fi­zi­el­len Sumpfs« oder der ero­ti­schen Feuch­tig­keit an­nimmt. Der Feind ver­sinkt im Schlamm – man sel­ber bleibt »trocken« (sau­ber).

Ver­flüs­si­gung und Phal­lus

Der Ge­dan­ke an die Ver­flüs­si­gung des Kör­pers macht den Fa­schi­sten wahn­sin­nig. Wäh­rend die Ka­da­ver to­ter Rus­sen als grässlich-»flüssige« bzw. sich-ver­flüs­si­gen­de Kör­per ge­schil­dert wer­den, um den »Feind« auch noch im Tod zu dä­mo­ni­sie­ren (Lit­tell lie­fert hier­zu teil­wei­se ekel­haf­te Text­bei­spie­le) bleibt der Fa­schist auch nach sei­nem Tod…im All­ge­mei­nen trocken und – das ist bei Lit­tel­ls ero­to­ma­ni­scher Deu­tungs­ma­schi­ne na­tür­lich wich­tig – hart, denn der Au­tor weiss, dem Fa­schi­sten geht es nicht um sei­nen Schwanz als Lust­or­gan, son­dern sei­nen Phal­lus als Zen­trum und An­gel­punkt sei­nes in­ne­ren wie äu­sse­ren Wi­der­stands ge­gen den Feind. Oh­ne Phal­lus als Stüt­ze lässt sich der Ich-Pan­zer nicht auf­recht­erhal­ten – die­se Pas­sa­ge ist nicht frei von un­frei­wil­li­ger(?) Ko­mik! – und wird rasch nie­der­ge­ris­sen. Dann, so Lit­tell, ver­flüch­tigt sich der Fa­schist. Und so wird aus dem Fa­schi­sten ei­ne Ge­wit­ter­wol­ke oder ein Schnup­fen.

Und nicht nur hier er­in­nert Lit­tel­ls Sprach­kri­tik (gross­mau­lig woll­te er die­ses Büch­lein mit Ana­to­mie ei­nes fa­schi­sti­schen Dis­kur­ses un­ter­ti­teln) durch­aus an die so­ge­nann­te »Me­tho­de des te­xa­ni­schen Scharf­schüt­zen«. Die­ser schiesst zu­erst auf ein Scheu­nen­tor und malt da­nach um die Ein­schuss­lö­cher die Ziel­schei­be. Erst sucht Lit­tell in De­grel­les Schwar­te nach ent­spre­chen­den Text­stel­len und dann prä­sen­tiert er die fol­ge­rich­ti­ge Deu­tung – wie es denn passt.

In­ter­es­sant wird es als Lit­tell her­aus­fin­det, dass die Be­zeich­nun­gen für den Ame­ri­ka­ner und de­ren Kriegs­hand­lun­gen (auch die Ame­ri­ka­ner sind ja »Fein­de«) voll­kom­men an­ders aus­fal­len. Bei­spiels­wei­se ist der Ame­ri­ka­ner im Buch mo­no­sem, d. h. es gibt fast nur ei­ne durch­gän­gi­ge Be­zeich­nung für ihn (Rus­sen wer­den als »Bol­sche­wi­ken«, »Mon­go­len«, u. ä. be­zeich­net) und die Be­schrei­bung der Lei­chen ame­ri­ka­ni­scher Sol­da­ten un­ter­schei­det sich ele­men­tar von den ekel­haft-pe­jo­ra­ti­ven Schil­de­run­gen der rus­si­schen To­ten.

Miss­ver­ständ­nis­se und va­ge Ein­sich­ten

Lit­tell zieht dar­aus den ver­mut­lich zu­tref­fen­den Schluss, dass De­grel­le ein kul­tu­rel­ler, kein bio­lo­gi­scher Ras­sist ge­we­sen sei. Zwar müs­se er als Ras­sist an­ge­se­hen wer­den, aber die Ras­se an sich spie­le in sei­nem Buch über­haupt kei­ne Rol­le (Ju­den kom­men so gut wie gar nicht vor). Lit­tel­ls Schluss, De­grel­les Ver­eh­rung für Hit­ler be­ru­he dem­zu­fol­ge auf ei­nem Miss­ver­ständ­nis, er­scheint nicht nur kühn, son­dern be­ruht ver­mut­lich sei­ner­seits auf ei­nem Miss­ver­ständ­nis, in dem Lit­tell fort­lau­fend »Fa­schist« und »Na­tio­nal­so­zia­list« syn­onym ver­wen­det (was gro­ssen Tei­len der For­schung fun­da­men­tal wi­der­spricht).

Am En­de, nach The­we­leits Nach­wort, kommt es in ei­nem kur­zen Post­skrip­tum zu ei­ner in­ter­es­san­te Er­gän­zung. Nicht nur, dass hier zum er­sten Mal ein Un­ter­schied zwi­schen Fa­schi­sten und Na­zis ge­macht wird. Lit­tell über­legt, ob nicht auch vielleicht…eine Untersuchung…an den ora­len oder schrift­li­chen Zeug­nis­sen der sta­li­ni­sti­schen Hen­ker oder auch ein­fach Mi­li­tan­ten vor­ge­nom­men wer­den soll­te, um zu se­hen, ob de­ren ideo­lo­gi­sche Klischees…durch…möglicherweise auf die glei­che Wei­se ana­ly­sier­ba­re Ste­reo­ty­pen er­set­zen wer­den könn­ten. Das ist reich­lich kom­pli­ziert for­mu­liert und soll wohl be­deu­ten, dass der Be­griff des »Fa­schi­sten«, so wie er hier be­grif­fen wird (als [vor­über­ge­hen­de?] Ek­sta­se), durch­aus auch in an­de­ren, to­ta­li­tä­ren Struk­tu­ren gang und gä­be sein dürf­te. The­we­leit er­wähnt dies nur la­pi­dar am Ran­de.

Das vor­lie­gen­de Buch ist auch Aus­weis ei­ner män­ner­bün­di­schen Freund­schaft zwi­schen Jo­na­than Lit­tell und Klaus The­we­leit. Man be­greift nun bes­ser, war­um »Buch­ver­ste­her« The­we­leit Iris Ra­disch in der­art dum­mer und an­ma­ßen­der Wei­se ob ih­rer Re­zen­si­on zu den »Wohl­ge­sinn­ten« an­griff. Im üb­ri­gen weist Lé­on De­grel­le durch­aus Cha­rak­ter­zü­ge der Haupt­fi­gur Ma­xi­mil­li­an Aue auf – al­ler­dings mit min­de­stens ei­nem gro­ssen Un­ter­schied: In »Das Trocke­ne und das Feuch­te« gibt es ei­nen Ex­kurs über Fa­schis­mus und Ho­mo­se­xua­li­tät, in dem Au­es Ho­mo­se­xua­li­tät »er­fun­den« zu wer­den scheint. Viel­leicht so do­ziert Lit­tell hat ihm [De­grel­le] ge­nau das ge­fehlt, um ein Mensch zu wer­den – ein Schwanz im Arsch. (Über Lit­tel­ls Anal­fi­xiert­heit gibt es ja so­wohl in den »Wohl­ge­sinn­ten« als auch in ei­nem In­ter­view reich­lich Be­le­ge.)

Lei­der düm­pelt das Buch oft zwi­schen bil­li­gem Ha­fen­knei­pen­jar­gon und se­xua­li­siert auf­ge­la­de­ner We­sten­ta­schen­psy­cho­lo­gie (Tür­me als Phal­lus; Sol­da­ten mit Erek­tio­nen) hin und her. Lit­tel­ls Sprach­kri­tik ist ober­fläch­lich; manch­mal ver­liert er mit­ten­drin die Lust (ein­mal zählt er, wie oft be­stimm­te Be­grif­fe vor­kom­men, um dann fest­zu­stel­len Ich ha­be si­cher wel­che ver­ges­sen). Sein Zy­nis­mus ist zu oft In­sze­nie­rung und plat­te Pro­vo­ka­ti­on. Ein ober­fläch­li­ches, scha­blo­nen­haf­tes und trotz ge­le­gent­lich auf­trump­fen­den In­tel­lek­tua­lis­mus (Deleuze/Guatarri! Han­nah Are­ndt!) phan­ta­sie­lo­ses Buch.


Die kur­siv ge­druck­ten Pas­sa­gen sind Zi­ta­te aus dem be­spro­che­nen Buch.

6 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Was wä­re das für ein Kör­per­zu­stand, der dar­auf drän­ge, aus­ge­gli­chen zu wer­den durch Un­ter­wer­fung der Welt?
    Wenn man von so ei­nem Aus­gleich aus­gin­ge, das wä­re ver­gleichs­wei­se so, als wür­de ei­nem im Herd das Feu­er aus­ge­hen, weil man nicht recht­zei­tig ein paar Schei­ter nach­ge­legt hat, und um das aus­zu­glei­chen, man folg­lich den Wald gänz­lich aus­s­rot­tet (um des Aus­gleichs we­gen).
    Mir er­schließt es sich so ganz und gar nicht, dass Fa­schis­mus ein Kör­per­zu­stand sei, der »mit Macht und Ge­walt dar­auf dringt, den Zu­stand der Welt den Zu­stän­den des ei­ge­nen Kör­pers an­zu­glei­chen, zu un­ter­wer­fen«. Ein der­ar­ti­ger Rück­schluss, Fa­schis­mus sei so­zu­sa­gen Aus­druck und Fol­ge ei­nes kör­per­li­chen Zu­stan­des, klingt wie ei­ne dümm­li­che Ent­schul­di­gung für das fa­schi­sti­sche Den­ken und Han­deln im zwei­ten Welt­krieg. Nach dem Mot­to, man kön­ne nichts da­für, weil eben der Kör­per, als ei­ne Art be­fehls­ge­ben­der ober­ster In­stanz, ein der­ar­ti­ges Sze­na­rio ent­wirft und for­dert.

  2. The­le­weit it seems was on to so­me­thing..
    Ne­ar­ly all so­cie­ties, be they mo­dern na­ti­on sta­tes or tri­bes, have the task of tur­ning ma­le child­ren in­to ma­les and all, if not at least a per­cen­ta­ge of them, in­to war­ri­ors. One gre­at dif­fi­cul­ty is tur­ning them away from their mo­thers, their fix­a­ti­on on their mother’s breast, first ex­ter­nal and then in­ter­nal. An­thro­po­lo­gi­cal­ly, va­rious ways have be­en de­vi­sed to achie­ve this ob­jec­ti­ve. For ex­am­p­le, the Ame­ri­can Plains In­di­ans had an in­itia­ti­on ri­te at the end of which em­bedded lea­ther straps in their chests we­re pul­led out, vio­lent­ly, so that the chest/breast spur­ted blood; thus al­so pas­sing th­res­hold of pain. In one New Gui­nea tri­be stu­di­ed by the im­portant psy­cho­ana­lyst and an­thro­po­lo­gist Ro­bert Stol­ler
    http://en.wikipedia.org/wiki/Robert_Stoller
    the ma­le child­ren, af­ter suck­ling on the breast, we­re then in­itia­ted in­to ma­le-hood by fel­la­ting
    ol­der men, a form of app­ren­ti­ce­ship to the war­ri­ors who­se place they would ta­ke; this prac­ti­ce cea­sed wi­th
    pu­ber­ty and an­yo­ne who kept it up af­ter­wards was then des­pi­sed by the group, ost­ra­ci­zed. Ma­les are fra­gi­le in­di­vi­du­al­ly, it is the ma­le hor­de that kills the fa­ther. Let us re­call the ab­ori­gi­nal sym­bol of fa­scism – the faces
    http://tempus44.files.wordpress.com/2007/08/fasces.jpg

    If one fol­lows Stoller’s thin­king that the co­re of hu­man psy­che is fe­mi­ni­ne, the fu­ture fear and hat­red of re­ver­ting to fe­mi­ni­ne ways of be­ing needs to be in­stal­led as a strong re­ac­tion for­ma­ti­on. Hu­man beings are split­ta­ble from the very be­gin­ning as we know from Me­la­nie Klein who de­ve­lo­ped car­ved out from Freud’s fin­dings what is known as the »paranoid/ schi­zo­phre­nic« po­si­ti­on of very ear­ly child­hood. Wi­th that in mind, such splits as The­we­leit in­di­ca­tes in his pie­ce in the FAZ and the phe­no­me­no­lo­gy that he enu­me­ra­tes makes very good sen­se; ho­we­ver, mat­ters are no lon­ger as clear cut as they we­re among head hun­ters of old.

    Sin­ce Theweleit’s book pas­sed me by even though I knew e.g. Jes­si­ca Ben­ja­min and An­son Rab­in­bach he­re in the U.S. I can­not com­ment on it, ho­we­ver Sven Rei­chardt »zeit­ge­schicht­li­che for­schung« to which you link gi­ves me a fair idea I sup­po­se. I re­call wit­nessing a con­sidera­ble fight bet­ween Hans Ma­gnus En­zens­ber­ger and Sieg­fried Un­seld when E. was about to pu­blish the Kurs­buch edi­ti­on that fea­tured Kom­mu­ne 1, whe­re he then li­ved for a while, which re­sul­ted in the se­pa­ra­te Kurs­buch Ver­lag sin­ce Un­seld, a hy­po­cri­te of the old school, would not pu­blish anything that had nu­de pho­tos.

    In 1967 while do­ing re­se­arch on the Deut­sche Wi­der­stand [spe­ci­fi­cal­ly on Oberst Kurt Grossk­urts ro­le in it] at the In­sti­tut für Zeit­ge­schich­te I ma­de it ap­point to at­tend a gathe­ring of the NPD in the Bür­ger­bräu­kel­ler and found mys­elf among­st a lar­ge group of an­ci­ent war­ri­ors. First I staid in back of the hall, li­stening to a va­rie­ty of spea­k­ers dro­ne on; un­til a for­mer SS ge­ne­ral ca­me to the po­di­um to ad­dress the crowd and it li­vened up and I mo­ved fur­ther to the front to get a clo­se look. This was short­ly af­ter the 1967 Is­rae­li vic­to­ry against Egypt, and at so­me point the Ge­ne­ral ma­de it a point to con­gra­tu­la­te Mos­he Da­y­an on his vic­to­ry [»Look what you lear­ned from us!«], whereu­pon I he­ard the sa­di­stic deep growl and laugh­ter of the­se gre­at brutes and rea­li­zed that I had en­te­red so­me pro­found know­ledge that the­se fel­lows had ac­qui­red while mur­de­ring. Shaken by this pro­xi­mi­ty, I left ear­ly.

  3. Ich se­he das ähn­lich, wo­bei ich »Män­ner­phan­ta­sien« nicht ge­le­sen ha­be. Ich ver­mu­te, dass The­we­leit da­mals auf ei­ner Zeit­geist­li­nie ge­surft ist und un­be­dingt was »Neu­es« fest­stel­len woll­te. Die Ein­wän­de von Hi­sto­ri­kern und/oder So­zio­lo­gen wer­den mit Ar­ro­ganz ab­ge­schmet­tert und als ge­ts­rig oder un­zu­rei­chend de­nun­ziert. Wer das am lau­te­sten kann, ist Sie­ger im Dis­kurs­raum.

    Das funk­tio­niert na­tür­lich auch heu­te; schein­bar bes­ser denn je.

  4. Ich se­he das ähn­lich, wo­bei ich »Män­ner­phan­ta­sien« nicht ge­le­sen ha­be. Ich ver­mu­te, dass The­we­leit da­mals auf ei­ner Zeit­geist­li­nie ge­surft ist und un­be­dingt was »Neu­es« fest­stel­len woll­te. Die Ein­wän­de von Hi­sto­ri­kern und/oder So­zio­lo­gen wer­den mit Ar­ro­ganz ab­ge­schmet­tert und als ge­ts­rig oder un­zu­rei­chend de­nun­ziert. Wer das am lau­te­sten kann, ist Sie­ger im Dis­kurs­raum.

    Das funk­tio­niert na­tür­lich auch heu­te; schein­bar bes­ser denn je.

  5. Wie­so fällt mir bei dem Text He­ming­way ein?
    (Ich mag He­ming­way nicht.) Und ich ver­ste­he nicht die Frau­en, die He­ming­way sooo mö­gen.
    Ich or­te ei­ne be­stimm­te Män­ner­ge­ne­ra­ti­on, die es ver­mut­lich aber zu al­len Zei­ten ge­ge­ben hat, die sich über die glei­chen Wer­te iden­ti­fi­zie­ren, wel­che ver­mut­lich der er­ste Halb­af­fe ge­kannt hat, der sei­nem Ne­ben­halb­af­fen das Scheit über den Schei­tel ge­zo­gen hat.
    -
    Ich krieg’ so ei­ne Sch..wut, wenn ich so et­was le­se, (nicht die Re­zen­si­on, ver­steht sich). Ich hal­te jetzt ein­mal ein­fach Von­ne­gut da­ge­gen.
    Da ster­ben auch Leu­te. Un­ver­flüs­sigt und manch­mal so­gar be­klagt.

  6. »Män­ner­phan­ta­sien« se­he ich eher als Ge­gen­be­we­gung zum Macho­tum à la He­ming­way; ein Pro­dukt der Post-68er Zeit. Letzt­lich al­ler­dings im Ge­gen­satz zu den »wirk­li­chen« 68ern, die ja auch Ma­chos wa­ren (wie Aly be­haup­tet und auch teil­wei­se be­le­gen kann). The­we­leit ist, was den Fe­mi­nis­mus an­geht ein »Über­zeu­gungs­tä­ter«. Er glaub­te, un­be­dingt den Schlüs­sel zum deut­schen Fa­schis­mus fin­den zu müs­sen – als ei­ne Art Bu­ße. Das hat dann Zü­ge ei­nes ri­tua­li­ser­ten Selbst­has­ses. So­was ist Hi­sto­ri­kern oder So­zio­lo­gen in der Re­gel fremd, da sie sich an Fak­ten hal­ten und die­se be­wer­ten. The­we­leit er­klärt den Fa­schis­mus zum Af­fekt. Aber das ist sel­ber nur ein Af­fekt.