»Was wird mit Dir?« – Der Dich­ter Di­mit­ri T. Ana­lis

Am 22.9. auf dem »Poe­sie­wo­chen­en­de« in Düs­sel­dorf, or­ga­ni­siert u.a. mit der Buch­hand­lung Mül­ler & Böhm, im Hei­ne-Haus, mit­ten in der Düs­sel­dor­fer Alt- und Lärm­stadt, aus­ge­la­gert im Trin­kaus-Au­di­to­ri­um in der Kunst­samm­lung NRW, Grabbe­platz: Rund 300 Be­su­cher sind bei die­ser Ma­ti­née da­bei. Ein warm aus­ge­leuch­te­ter Raum. Vier Ses­sel (ein biss­chen an egg-chairs er­in­nernd), ein Tisch mit vier Glä­sern Was­ser. Dann nah­men Platz Pe­ter Hand­ke, Žar­ko Rad­ako­vić und Nor­bert Wehr zum Ge­spräch »über Dich­tung, das Über­set­zen und Freund­schaf­ten«. So­phie Se­min, Hand­kes Ehe­frau, nahm in der er­sten Rei­he Platz.

Ja, ums Über­set­zen ging es, um Ralph Man­heim, Hand­kes Über­set­zer ins Eng­li­sche, der 1992 ge­stor­ben ist und ihm, Hand­ke, durch das Über­set­zen sei­ne Bü­cher noch ein­mal na­he­ge­bracht ha­be. Und es ging um Hand­kes so zahl­rei­che Über­set­zun­gen. Und ei­gent­lich woll­te er kei­ne Über­set­zer­ar­beit mehr ma­chen. Aber dann, als er die Nach­richt vom Tod von Di­mit­ri T. Ana­lis ge­hört ha­be, sei er an die Ar­beit ge­gan­gen und ha­be sei­ne letz­ten Ge­dich­te über­setzt.

Dimitri T. Analis: Präludium zur neuen Kälte der Welt

Di­mit­ri T. Ana­lis: Prä­lu­di­um zur neu­en Käl­te der Welt

Vor et­was mehr als ei­nem Jahr er­schien die­ses klei­ne, bi­blio­phi­le Buch (die schö­nen Zeich­nun­gen von Wal­ter Pich­ler!) mit die­sen letz­ten Ge­dich­ten von Di­mit­ri T. Ana­lis, ei­nem Grie­chen, der in fran­zö­sisch schrieb, und das aus, ja, was? Groll? Är­ger?, über das Grie­chi­sche. Wäh­rend der Obri­sten­dik­ta­tur in den 70ern Jah­ren im Exil war Ana­lis (sein Künst­ler­na­me) im di­plo­ma­ti­schen Dienst ge­we­sen und sei, das müs­se man sa­gen (so Hand­ke), wäh­rend der Bal­kan­krie­ge ein »Ver­teidiger der ser­bi­schen Sa­che« ge­we­sen; nicht für, aber mit den Ser­ben, und das pro­non­ciert und – wer weiß? – dies ha­be dann viel­leicht da­zu bei­getra­gen, dass er ha­be aus­schei­den müs­sen aus der Di­plo­ma­tie und Dich­ter ge­wor­den sei. Ob dann der Grie­che im »Einbaum«-Stück Di­mit­ri T. Ana­lis sei, frag­te Wehr. Ein ent­spannt-läs­si­ges »Wer weiß?« war Hand­kes Ant­wort.

Er er­zähl­te auch noch von Ana­lis’ schwe­rer Krank­heit, dem Kehl­kopf­krebs, den Ope­ra­tio­nen und den Schwie­rig­kei­ten, ir­gend­wann nicht mehr spre­chen zu kön­nen. Wenn man sich frü­her be­geg­net sei oder te­le­fo­niert ha­be, sei die er­ste Fra­ge von Ana­lis nicht das üb­li­che »Wie geht es Dir?« ge­we­sen, son­dern ein »Was wird mit Dir?« Ein »be­son­de­rer« Dich­ter sei er ge­we­sen, ein »Ver­lo­re­ner«, wie über­haupt für Hand­ke »ver­lo­ren« die Ei­gen­schaft des Dich­ters sei.

Wind­stil­le und Sturm – die­ses schein­ba­re Pa­ra­do­xon macht Hand­ke in die­sen Ge­dich­ten aus, die, oh­ne kon­kret zu wer­den (Or­te oder Per­so­nen zu be­nen­nen) dann doch aus den Er­fah­run­gen des Dich­ters her­aus wir­ken und da­her »mo­dern« sei­en, im be­sten Sinn. Selbst­ge­sprä­che sei­en dies. Wenn man sie liest, merkt man, wie dies ge­meint ist. Tat­säch­lich sind sie an­deu­tungs- und er­fah­rungs­reich und sehr dicht.

Dann be­tritt So­phie Se­min die Büh­ne. Sie liest die Ge­dich­te in fran­zö­sisch, nein, sie liest nicht, sie skan­diert, mit Ver­ve und auch – war­um nicht? – mit Pa­thos. Hand­ke trägt dann in deutsch vor, eher ru­hig, aber rhyth­misch. Er ent­deckt – un­glaub­lich – ei­nen Druck­feh­ler (S. 37) und we­nig spä­ter im fran­zö­si­schen schein­bar ähn­li­ches, spricht mit Se­min dar­über um dann mit »das nennt man Ehe« die La­cher auf sei­ner Sei­te zu ha­ben.

Beim Le­sen des letz­ten Ge­dich­tes von Ana­lis spür­te man Hand­kes Er­grif­fen­heit. Es ist ein Ver­mächt­nis ei­nes Dich­ters für das Schrei­ben, ein Ver­mächt­nis, dass Hand­ke aus der See­le spricht:

Schreib
Um dich nicht zu wie­der­ho­len
Um un­be­wegt zu blei­ben und vor­an­zu­kom­men

Und dann heißt es noch:

Und hü­te dich vor den Ideen
Sie sind ver­narrt in den Tod.

Der letz­te Satz des Dich­ters Di­mit­ri T. Ana­lis lau­tet da­nach, ab­ge­setzt:

Man er­stickt, aber die gro­ße Käl­te naht.

Im an­schlie­ßen­den Ge­spräch mit Žar­ko Rad­ako­vić, Hand­kes Über­set­zer ins »Ser­bo-Kroa­ti­sche« (so nann­te er es), schwärm­te die­ser über die Lust, Hand­kes lan­ge, mit zu­neh­men­dem Al­ter im­mer län­ger wer­den­den Sät­ze, über­set­zen zu dür­fen. Über­set­zen – das sei vor al­lem ganz lang­sa­mes Le­sen. 26 Bü­cher hat er be­reits auf die­se Wei­se ge­le­sen; aus­schließ­lich Bü­cher von Pe­ter Hand­ke. Ja, er sei »be­ses­sen« von die­ser Pro­sa, so Rad­ako­vić, der gleich­zei­tig so ganz oh­ne At­ti­tü­de ei­nes Be­ses­se­nen sprach, höch­stens ei­nes Er­füll­ten. Ob er denn mit sei­nen Über­set­zun­gen zu­frie­den sei, so Wehr, und Hand­ke lä­chel­te, gab zu, ab und an ge­rie­ten sie mal ein we­nig in Streit, aber er kön­ne noch nicht ein­mal rich­tig »Po­li­ti­ka« le­sen und so fühl­te er sich dann doch sehr gut auf­ge­ho­ben.

Am Schluß wur­de ei­ne Ge­mein­schafts­ar­beit, ei­ne Über­set­zung von Hand­ke und Rad­ako­vić ei­nes Ge­dich­tes von Wla­dis­law Pet­ko­vić Dis, ei­nes ser­bi­schen (oder ju­go­sla­wi­schen?) Dich­ters, ge­bo­ren in Čačak 1880 (ge­stor­ben 1917), prä­sen­tiert. Die Über­set­zung des Ge­dich­tes sei noch nicht ganz fer­tig so Rad­ako­vić spä­ter. Das Über­set­zen geht al­so wei­ter. Gut so.