Joa­chim Lott­mann: Hap­py End

Joachim Lottmann: Happy End

Joa­chim Lott­mann: Hap­py End

Ir­gend­wann hat das je­der ein­mal er­lebt. Man steht am Tre­sen in ei­ner Knei­pe und war­tet auf ein Bier. Da kommt ein Mensch (es ist im­mer ein Mann), nicht unsympa­thisch, stellt sich ne­ben ei­nem und be­ginnt, zu er­zäh­len. Über das Bier hier in der Knei­pe, die Be­die­nung, sei­ne Ar­beit, über Po­li­tik, sei­nen Ur­laub, sei­ne Be­zie­hung, die Un­ge­rech­tig­keit in der Welt – es geht ein­fach um Al­les. Erst ist man nett ab­ge­lenkt, nickt zu­wei­len aus Höf­lichkeit, aber ir­gend­wann wünscht man sich, dass ein ehe­ma­li­ger Schul­freund das Lo­kal be­tritt, das lei­se im Hin­ter­grund du­deln­de Ra­dio ei­ne welt­be­we­gen­de Nach­richt ver­kün­det oder min­de­stens dass das Mo­bil­te­le­fon klin­gelt – in­stän­dig er­sehnt man ei­nen so­zi­al halb­wegs glaub­wür­di­gen Grund, dem Re­de­schwall zu ent­flie­hen.

In et­wa ist das die Si­tua­ti­on mit Joa­chim Lott­manns neu­em Buch »Hap­py End«. Der wich­tig­ste Un­ter­schied ist, dass ich, der Le­ser, mich so­zu­sa­gen an Lott­manns Tre­sen ge­stellt ha­be. Und das da je­mand nicht über Be­zie­hungs­pro­ble­me er­zählt, son­dern be­reits auf den er­sten Sei­ten sei­ne Frau Eli­sa­beth, ge­nannt Sis­si, ei­ne 38jährige er­folg­rei­che Links­in­tel­lek­tu­el­le, die über das Elend in der Welt in Ver­gan­gen­heit und Ge­gen­wart ziel­si­cher schrei­ben kann und in »ger­ia­tri­schen« Fil­men heult, in den höch­sten Tö­nen lobt. Wei­ter geht es um Ur­laubs­rei­sen, Lek­tü­re­ein­drücke, Ko­lum­nen­schrei­be­rei (Schwer­punkt Tier­ko­lum­nen), sei­ne Ma­gen­schmer­zen, die auf ei­ne zu star­ke Ver­ein­nah­mung durch die so ver­göt­ter­te Frau hin­deu­ten und ei­ne Ge­heim­woh­nung in Wien. Dass ei­nem bei der Lek­tü­re der Kopf vor lau­ter Mü­dig­keit nicht auf das E‑­Book-Le­se­ge­rät fällt ver­mag man nur zu ver­mei­den, in­dem man die­sen ge­le­gent­lich schüt­telt. Ei­ne Me­lan­ge aus Hoff­nung, Pflicht­be­wusst­sein und Ma­so­chis­mus führt da­zu, dass man bis zum En­de liest.

»Buch der Wo­che« oder gar »Ro­man der Sai­son« ju­bi­lie­ren die Feuil­le­tons. Wie trost­los muss da ei­ne Wo­che, ei­ne Sai­son und auch gleich noch der An­spruch an Li­te­ra­tur sein, die­ses Buch zum Er­eig­nis zu adeln? An­de­re er­ken­nen in die­sem Buch gar ei­ne »Sa­ti­re« – ei­ne ve­ri­ta­ble Be­lei­di­gung für die grund­ehr­li­chen Sa­ti­ri­ker wie zum Bei­spiel Joa­chim Zel­ter, des­sen Sprach­ver­mö­gen dem von Lott­mann turm­hoch über­le­gen ist. Man­che Kri­ti­ker kom­pen­sie­ren schein­bar ih­re Mid­life-Cri­sis mit der be­din­gungs­lo­sen Af­fir­ma­ti­on die­ses Bu­ches. Da­bei wird man schon früh ge­warnt: »Ich ha­be der Welt nichts mitzu­teilen«, schreibt der Ich-Er­zäh­ler Jo­han­nes Loh­mer schon auf der drit­ten Sei­te. Und er be­hält Recht. Na­tür­lich ist das als Un­der­state­ment ge­meint und man stellt sich die so­ge­nann­ten Kri­ti­ker vor, wie sie ap­plau­die­rend vor dem Buch sit­zen und in ih­rem No­tiz­buch die fi­li­gra­ne Selbst­iro­nie des Au­tors lo­bend ver­mer­ken. Über­haupt ist al­les in die­sem Buch min­de­stens iro­nisch und wenn es zwei Sät­ze ein­mal nicht so ist, ent­schul­digt sich Loh­mer bei sei­nem Pu­bli­kum da­für, was na­tür­lich auch wie­der iro­nisch ist. Aber Iro­nie ist ein Ge­würz, ähn­lich wie Chi­li oder Knob­lauch und nicht die Spei­se.

Kei­ne Kri­tik über die­ses Buch kommt oh­ne die Tä­to­wie­rung Lott­manns als »Pop­li­te­rat« aus. Man­che glau­ben gar, er ha­be die­ses Gen­re er­fun­den (se­lig die­se Ah­nungs­lo­sen). Im Ge­gen­satz zu an­de­ren be­müht sich Lott­mann erst gar nicht, die­ses vir­tu­el­le Arsch­ge­weih des Feuil­le­tons los­zu­wer­den. Er macht aus der Not ei­ne Tu­gend und dankt es mit Rund­um- Be­triebs­be­spaßung in­klu­si­ve Na­me­drop­ping – mal mit rich­ti­gen Na­men (Tex Ru­bi­no­witz, Rai­ner Lang­hans, Tho­mas Dra­schan, Mat­thi­as Ma­tus­sek), mal mit müh­sam ca­mou­flier­ten. Ein Hö­he­punkt soll wohl die Aus­ein­an­der­set­zung mit Sa­ra-Re­becka Werk­mül­ler sein, der er mehr aus Ver­zweif­lung denn aus Nei­gung oder gar Ah­nung den Wolf­gang-Koep­pen-Preis zu­spricht, den er zwei Jah­re vor­her nach Si­byl­le Bergs Emp­feh­lung be­kom­men hat­te.

Es dau­ert für den Un­kun­di­gen drei Se­kun­den um fest­zu­stel­len, dass mit Sa­ra-Re­becka Werk­mül­ler An­na Ka­tha­ri­na Hahn ge­meint ist. Lott­mann, par­don: Loh­mer, hat nun für ge­fühl­te 100 Sei­ten Stoff sich über Werk­mül­ler, par­don: Hahn, de­ren Pro­sa, ih­ren Ehe­mann und den Suhr­kamp Ver­lag (»ehe­mals be­kann­ter, frü­her sehr se­riö­ser Ver­lag«) zu ver­lu­stie­ren. In sei­ner par­fü­mier­ten Ei­tel­keit druckt er sei­nen »Es­say« (Loh­mer über Lott­manns Text) aus der FAZ vom 12. April 2012 nach. Ein Ver­gleich mit dem Ori­gi­nal zeigt den Ein­bau sub­ti­ler Än­de­run­gen. Aus dem Koep­pen-Preis wird der »an­ge­se­he­ne Koep­pen-Preis« – schließ­lich ist Lohmer/Lottmann ja der Preis­trä­ger. Und es ist ja wirk­lich pein­lich, dass die FAZ »Kir Roy­al« und »Ros­si­ni« ver­wech­sel­te und »Karl Wer­ner Gauß« druck­te statt Karl-Mar­kus Gauß. Ab­ge­se­hen da­von, wird Hahn ziel­si­cher zu Werk­mül­ler kon­ver­tiert. Fast un­nö­tig zu er­wäh­nen, dass das na­tür­lich al­les un­glaub­lich lu­stig ist – et­wa wie Topf­schla­gen oder Fla­schen­dre­hen.

Lott­mann gibt den Hof­narr, tritt mit Won­ne in Fett­näpf­chen. Sei­ne Fi­gur be­kennt sich als »bis zur Hals­krau­se ho­mo­phob«, sieht in Ka­la­bri­en »Afri­kas Bevölkerungsmilliarde…im An­marsch« und ent­deckt vor al­lem im un­ge­lieb­ten Ber­lin die »es­ka­lie­ren­de Porno­graphisierung in Staat und Ge­sell­schaft«. Von Ha­rald Schmidt klaut er die For­de­rung des Rechts auf Dis­kri­mi­nie­rung al­ler. Lott­manns Schrei­be ist so et­was wie ei­ne Stellvertreter­prosa für all die Mei­nun­gen von Li­te­ra­tur­jour­na­li­sten, die die­se nie­mals öf­fent­lich äu­ßern wür­den, weil so­fort ein Kon­flikt mit dem Chef­re­dak­teur, dem Ver­le­ger oder ein­fach nur mit al­len an­de­ren droht. Er spricht sei­ne Sot­ti­sen ge­gen Gut­men­schen, Li­te­ra­tur­prei­se und Schrift­stel­ler­kol­le­gen das aus wie das Kind, das den Kai­ser nackt zeiht, – al­ler­dings ist im vor­lie­gen­den Fall die Er­kennt­nis des nack­ten Mon­ar­chen längst al­len be­kannt.

In Wirk­lich­keit fin­den ja mehr so­ge­nann­te Kul­tur­schaf­fen­de als man denkt Gut­men­schen und Alt-Acht­und­sech­zi­ger »ge­dan­ken­faul«, po­li­tisch des­in­ter­es­siert und an­stren­gend, hal­ten Bob Dy­lan für je­man­den, der »verwirrtes…pubertäres Zeug« »fa­selt«, fin­den Mar­le­ne Stre­eru­witz’ Pro­sa »gleich ei­nem äch­zen­den Ge­klap­per ei­nes Fia­kers« und »oh­ne Ta­lent« (da er­geht es Pa­so­li­ni schon bes­ser, der »mitt­le­res« Ta­lent hat­te), Ber­li­ner als »dün­kel­haft« und »selbst­ver­liebt« und hal­ten IKEA-Pro­duk­te für »kryp­to­spie­ßig«. Be­gei­stert ist Loh­mer da­ge­gen von Cheese­bur­gern TS, Be­ne­dikt XVI. (der Text spielt 2012) und na­tür­lich Wien.

Ernst neh­men kann und soll man ihn nicht. Im­mer­hin be­an­sprucht die Lek­tü­re nicht un­we­sent­lich Le­bens­zeit. Sie ist zäh. Das hat we­ni­ger mit dem Duk­tus der Sät­ze zu tun (kei­ne Angst, wer Li­sas Welt in »re­port Mainz« ver­steht, kommt auch hier mit), son­dern mit der un­auf­hör­lich rat­tern­den Poin­ten­ma­schi­ne, die recht vie­le Rohr­kre­pie­rer pro­du­ziert ähn­lich wi­der­spen­sti­gen Knall­bon­bons auf Sil­ve­ster­fei­ern.

Nur sel­ten ist es rich­tig wit­zig, et­wa wenn die Part­ne­rin von Karl Va­len­tin »Liesl Kar­stadt« heißt oder auf der Trab­renn­bahn Ber­lin-Ma­ri­en­dorf ei­ne Rei­te­rin vor­ge­stellt wird. Zu­wei­len gibt es hüb­sche Stel­len, wie die Be­schrei­bung ei­nes schein­bar in die Jah­re ge­kom­me­nen Ho­tels in Tra­ste­ve­re, Ita­li­en. Oder die Epi­so­de mit der jun­gen Ber­li­ner Nach­ba­rin mit ih­rem »Psy­cho-La­tein« am En­de des Bu­ches. Da lacht man ob man will oder nicht im Af­fekt; nur ein biss­chen un­ter sei­nem Ni­veau.

Man spürt förm­lich den Ehr­geiz Lott­manns ir­gend­et­was zwi­schen Tho­mas Bern­hard, Rai­nald Goetz, Ha­rald Schmidt und Lo­ri­ot ab­zu­lie­fern. Aber was für ei­ne Tra­gik: Von Bern­hard fehlt ihm der Fu­ror, von Goetz das schrift­stel­le­ri­sche Ta­lent, von Schmidt die Be­le­sen­heit und von Lo­ri­ot die Be­ob­ach­tungs­ga­be. »Hap­py End« ist kei­ne Li­te­ra­tur, noch nicht ein­mal ei­ne Schwar­te, son­dern nur ge­schmack­lich fa­der Ana­log­schin­ken.

21 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Nur um mich mal wie­der zu mel­den! Sau­be­rer Ver­riss, der mich, na­tür­lich oh­ne ei­ge­ne Kennt­nis des »Ana­log­schin­kens«, zum Grin­sen brach­te. Keu­sch­nig, wie ich ihn schät­ze.

  2. Dem schlie­ße ich mich an, hielt das Buch ge­stern in den Hän­den und wä­re bei­na­he (mal wie­der) dem klei­nen Hype der Feuil­le­tons um das Buch er­le­gen, ha­be es aber dann doch nicht mit­ge­nom­men.

  3. Bei Lott­mann den­ke ich im­mer an die­se Dar­stel­ler für Na­men aus dem Ir­gend­was-mit-Me­di­en/­Li­te­ra­tur-Be­triebs-Pro­le­ta­ri­at, die man schon mal ge­hört hat und die auch im­mer mal wie­der in ei­nem „neu­en For­mat“ mit­kap­sern, des­sen Ab­set­zung man dann aber schon wie­der ver­passt. Ach der war das – ein An­tip­pen der Fern­be­die­nung.
    (Ir­gend­wie doch auch gut, was al­les auf der Welt man auf Di­stanz hal­ten kann.)

  4. Ir­gend­wie doch auch gut, was al­les auf der Welt man auf Di­stanz hal­ten kann.
    Ja, das ist wirk­lich gut. Und ich fra­ge mich, ob man nicht ir­gend­wann als ein Hie­ro­ny­mus im Gehä­us (ein Idi­ot!?) en­det, wo­bei die­ses »en­den« nicht ne­ga­tiv zu ver­ste­hen ist. Es ist ein Selbst­schutz, er­fah­rungs­ge­sät­tigt nach dem Mot­to: »Das ken­ne ich«. Wei­te­re Be­schäf­ti­gung dann Zeit­ver­schwen­dung. Ich ha­be nicht viel mit Reich-Ra­nicki am Hut, aber ir­gend­wann, im hö­he­ren Al­ter, sag­te er mal, dass er nicht mehr so­viel Zeit ha­be, die­ses und je­nes zu le­sen. Ich se­lek­tie­re jetzt schon, wo­bei Lott­mann ein Rück­fall ist, zu­ge­ge­ben.

  5. Ist so ein schö­nes Bei­spiel, wie Li­te­ra­tur­kri­tik aus­se­hen könn­te. Man be­kommt ei­nen kom­plet­ten »Le­se­ein­druck« trans­por­tiert, und die Kauf­ent­schei­dung wird Dir ab­ge­nom­men. Macht Spaß, das zu le­sen.
    Da­bei die spon­ta­ne Idee: wä­re das nicht ein zu­sätz­li­ches Kri­te­ri­um für »Literatur«,–immer wenn die Me­ta-Er­zäh­lung (die Re­zen­si­on) mut­maß­lich bes­ser ist als sein Ge­gen­stand, ‑han­delt es sich mit Si­cher­heit nicht um Li­te­ra­tur!

  6. Auf die Idee, ein Buch von Lott­mann zu le­sen, wä­re ich so we­nig ge­kom­men wie dar­auf, das näch­ste Buch von Ka­ren Köh­ler oder He­le­ne He­ge­mann mir zu­zu­le­gen. In der Tat: die Le­se­zeit für schlecht ge­schrie­be­ne Bü­cher ist zu kurz. In­so­fern lä­se ich letz­te­re nur des­halb zu En­de, wenn da­bei ein gu­ter Ver­riß her­aus­springt. An­son­sten gilt: Ab­bre­chen, Buch weg­tun und in die Kel­ler­ki­ste packen.

    @ die_kalte_Sophie
    Net­te Idee aus dem Geist der li­te­ra­ri­schen Ro­man­tik. (Schle­gel) Und mein Re­den so­wie­so. Ich hof­fe, daß ich nicht ir­gend­wann ei­ne Be­spre­chung zu Kaf­kas „Pro­zess“ schrei­ben wer­de. Da hät­te mein Vet­ter Franz dann ein Pro­blem. Und das tä­te mir sehr leid.

  7. Oh je, oh je, da les’ ich doch lie­ber Lott­nann als Keu­sch­nigg (und als sei­ne Cla­qeu­re mit den lu­sti­gen Pseud­ony­men so­wie­so, die noch nicht mal ge­le­sen ha­ben, wor­über sie da das Näs­chen rümp­fen. Es geht man­chem halt nichts über ei­nen »sau­be­ren Ver­riss«.).

  8. @ Resch­ke: hier gibt’s kei­ne »Cla­que­re«, aber wo­her soll­ten Sie auch wis­sen, dass es au­ßer Geld und Macht noch un­zwei­deu­ti­ge Grün­de gibt, um ei­nen Ver­trau­ens­vor­schuss zu ge­wäh­ren... Und: Ja, das hat so­gar et­was mit Li­te­ra­tur zu tun. Frü­her nann­te man es »Mo­ral«, dann hat sich die Be­deu­tung des Wor­tes lei­der ins Ge­gen­teil ver­kehrt. Die ge­hei­me Zu­tat ist trotz­dem noch re­le­vant.

  9. Ja, »Cla­qeu­re«. Man schreibt das zwar et­was an­ders, aber nur drei Feh­ler in zwei Sätz­chen – das ist doch für ei­ne Be­triebs­nu­del gar nicht so schlecht.

  10. Ver­flixt, das Fran­zö­si­sche. Cla­queu­re. Any­way. was es mit der sog. Mo­ral auf sich hat, merkt man im­mer erst, wenn man ei­ner Fremd­ein­schät­zung be­geg­net, die so gar nicht hoch­flie­gend da­her­kommt. Es sind Mut­ma­ßun­gen über die Mo­ti­ve, die Be­weg­grün­de von je­mand Un­be­kann­ten, in de­nen die­ser wie­der­um sich »nicht wie­der­erkennt«. Mo­ral hat m.E.n. et­was mit Spie­geln zu tun. Und mit zer­bro­che­nen Spie­geln. Die Ge­schich­te des Be­griffs ist ei­ne »Ver­falls­ge­schich­te«, ganz so als woll­te uns der Be­griff sa­gen: Klappt im­mer we­ni­ger, ver­giss’ mich! Brauchst Du nicht.

  11. @die_kalte_Sophie
    Die Be­mer­kung zu den Cla­queu­ren galt Resch­ke.

    In­ter­es­san­te The­se zur Mo­ral als Spie­gel. Die glau­be ja, dass die Mo­ra­li­tät im Mo­ment sehr en vogue ist. In der Po­li­tik wird fast im­mer am En­de mo­ra­lisch ar­gu­men­tiert. Fragt sich nur, wes­sen im Na­men wel­cher »Mo­ral«.

  12. Ich bin der­sel­ben An­sicht: ab­seits der »kon­struk­ti­ven Vor­schlä­ge«, al­so Hin­wei­sen zur bes­se­ren Ver­wal­tung, geht es in der Po­li­tik nur um Mo­ral. Der Be­griff selbst spielt da­bei kei­ne Rol­le, aber die Zu­er­kenn­nung und das In-Ab­re­de-Stel­len funk­tio­niert wie vor hun­dert Jah­ren. Am schön­sten führt es im Mo­ment An­ton Hof­rei­ter vor. »Schön­sten«, ist na­tür­lich zy­nisch.
    Nichts an die­sem mo­no­li­thi­schen Sin­gu­lar (Mo­ral) ist ver­lo­ren ge­gan­gen. Stell­ver­tre­tend (»im Na­men«) für ei­ne Ge­samt­heit, ei­ne Ma­jo­ri­tät wird der Geg­ner ex­po­niert, falsch ge­spie­gelt und dif­fa­miert. Ich selbst ha­be es hef­tig bei der Ho­mo-Ehe er­lebt, wo ich aus­nahms­wei­se auf der »fal­schen Sei­te« stand. Bad News: Sy­stem funk­tio­niert. De­mo­kra­tie lebt auf nied­ri­gem Ni­veau.

  13. @die_kalte_Sophie
    Mo­ra­li­sie­ren­de Be­mer­kun­gen (An­grif­fe) die­nen da­zu ei­ne De­bat­te zu ent­schei­den und dem »Geg­ner« sei­ne Le­gi­ti­ma­ti­ons­ba­sis zu ent­zie­hen, vor al­lem dann, wenn das sach­lich schwie­rig ist. — War das vor hun­dert Jah­ren tat­säch­lich ge­nau­so der Fall? Ich wür­de zu­min­dest ver­mu­ten, dass un­ser Me­di­en­zeit­al­ter dies wei­ter be­för­dern müss­te.

  14. @ me­te ...Na­ja! Es hat sich schon ei­ni­ges ver­än­dert. Das Neue sind die Me­di­en, das stimmt. Die »Ab­gren­zungs­funk­ti­on«, die De­mar­ka­ti­on zwi­schen Moral/Unmoral, legitim/illegitim ist wohl die­sel­be ge­blie­ben. Stra­te­gisch, ar­gu­men­ta­tiv. Al­ler­dings er­scheint die Ab­gren­zung nun ak­tua­li­täts­be­zo­gen und »spon­tan«, weil sich La­ger- und Klas­sen­gren­zen auf­ge­löst ha­ben. Wir le­ben an­satz­wei­se in ei­nem po­li­ti­schen Ur­zu­stand, der sich wie ei­ne Mi­schung aus Pro­gres­si­vi­tät und Ver­wahr­lo­sung aus­nimmt. Ich ver­mu­te, da­her rührt die Kri­se des Par­la­men­ta­ris­mus, der fast schon rück­stän­dig ge­gen­über ei­nem to­tal be­weg­li­chen Po­li­tik­ver­ständ­nis er­scheint. »Par­tei­en?! Co­me on...«.

  15. Wel­chen E‑Reader nut­zen Sie denn ei­gent­lich? Und le­sen Sie aus­schließ­lich da­mit?

  16. @metepsilonema
    Die heu­ti­ge Form des Dis­kur­ses ist na­tür­lich ei­ne an­de­re als vor 100 Jah­ren. Da­mals gab es stren­ge Hier­ar­chien. Die­se Hier­ar­chien sind heut­zu­ta­ge flui­de; was zählt ist »für« oder »ge­gen« et­was zu sein, un­ab­hän­gig da­von, ob man auf an­de­ren Ge­bie­ten un­ter­schied­li­cher Mei­nung ist. Im­mer wird ein Kon­for­mi­täts­druck er­zeugt, in dem Po­si­tio­nen mit mo­ra­li­schen Kon­no­ta­tio­nen ver­se­hen, die im­mer sa­kro­sankt sind. Was dem Deut­schen um 1900 »der Kai­ser« war, ist dem Mo­ra­li­sten heu­te die Geg­ner­schaft zur Atom­ener­gie oder TTIP. Da­mals wie heu­te sind Be­fra­gun­gen die­ser Po­si­tio­nen nicht nur nicht mehr ge­wünscht, sie wer­den auch so­fort dif­fa­miert und de­nun­ziert. Statt die­se For­men der (ver­meint­li­chen) ja­ko­bi­ni­schen Tu­gend­herr­schaft zu be­fra­gen, ge­ben Me­di­en die­sem im­mer mehr nach, er­fin­den für sie ho­mo­ge­ne Grup­pen wie »die Netz­ge­mein­de«. Dass es hier­bei um ei­ne ve­ri­ta­ble Fil­ter­bla­se von oft­mals nur sehr ge­rin­gen Aus­ma­ßen han­delt, stört wohl im Ge­tö­se nicht.

  17. @ Gre­gor In­zwi­schen weit »off To­pic« (Lott­mann) möch­te ich noch was an­mer­ken. Die »Er­fin­dung« ho­mo­ge­ner Grup­pen, die ein wie­der­keh­ren­des Struk­tur­merk­mal die­ses Dis­kurs-Ge­tö­ses sind, hat mich von An­fang an SEHR ge­stört. Ich war zu­erst ver­wirrt, dann be­sorgt, in­zwi­schen bin ich of­fen be­stürzt und ver­är­gert, je nach Ta­ges­rhyth­mus. Das Ge­sche­hen ins­ge­samt er­in­nert mich an ei­nen Es­say-Ti­tel von Bau­dril­lard: Das »Zau­ber­ge­fecht, oder: Die letz­te Flö­te!«.
    Da­mals ging’s noch um die sog. Post­mo­der­ne. Tat­sa­che ist, dass heu­te das po­li­ti­sche Feld im­mer ver­ein­facht und syn­the­tisch dar­ge­stellt wird, was so­wohl die Fra­ge nach der Wirk­lich­keit als auch die Fra­ge nach der »Bril­le« bzw. Ideo­lo­gie nach sich zieht. Ob­wohl die klas­si­schen Fron­ten ein­ge­bro­chen sind, konn­te sich kei­ne Ra­tio­na­li­tät, kei­ne ein­heit­li­che Welt­sicht bil­den. Noch im­mer ist die »Si­mu­la­ti­on« ge­sell­schaft­li­cher Kon­flik­te den »wah­ren Kon­flik­ten« vor­ge­schal­tet. Nie­mand scheint durch­zu­drin­gen. Ab­ge­se­hen von der gar nicht mal so ver­hee­ren­den Viel­falt der Mei­nun­gen, stört mich die »un­nö­ti­ge Viel­falt« an Ver­ar­bei­tungs-Hilfs­ver­ein­fa­chun­gen doch schon SEHR.

  18. In al­ler Form ent­schul­di­ge ich mich für die drei mich fürch­ter­lich dis­qua­li­fi­zie­ren­den Tipp­feh­ler. Nach ei­nem Schlag­an­fall ist man nicht mehr so si­cher beim Schrei­ben. Aber kei­nes­wegs we­ni­ger si­cher im Ur­teil: das neue Buch von Lott­mann taugt wirk­lich nichts.