An­ton Hun­ger: Blatt­kri­tik

Anton Hunger: Blattkritik

An­ton Hun­ger: Blatt­kri­tik

Es klingt viel­ver­spre­chend: Sein Buch »Blatt­kri­tik« soll kei­ne po­pu­li­sti­sche Me­di­en­schel­te sein, so ver­spricht der Au­tor An­ton Hun­ger im Vor­wort. Und dann schreibt er vom über­bor­den­den mo­ra­li­schen Ri­go­ris­mus der Jour­nalisten, die sehr oft die Wahr­heit bie­gen, bis die Sto­ry passt und sich ei­nen Bio­top ge­schaf­fen ha­ben, der ger­ne Gu­tes von Bö­sem schei­det. An Bei­spie­len wer­de ge­zeigt dass Jour­na­li­sten Maß­stä­be, die sie an an­de­re an­le­gen, häu­fig für sich nicht gel­ten las­sen. Sie fühl­ten sich, so Hun­ger, zu­neh­mend als die Über­le­ge­nen. Das klingt al­les sehr gut und viel­ver­spre­chend. Bei al­le­dem will Hun­ger sei­ne 17jährige Tä­tig­keit als Kommunikations­chef bei Por­sche aus­drück­lich nicht di­rekt the­ma­ti­sie­ren – was er al­ler­dings ver­mut­lich aus (arbeits-)rechtlichen Grün­den auch gar nicht darf. Im­mer­hin lässt er sich zu dem Aper­çu ver­lei­ten, dass so man­cher jour­na­li­sti­sche Er­guss zur am En­de ge­schei­ter­ten Über­nah­me von VW durch Por­sche noch nicht ein­mal die Gras­wur­zeln streif­te. Da winkt ei­ner mit dem Zaun­pfahl, um ihn ganz schnell wie­der zu ver­stecken.

So weit, so gut. Es fol­gen kraft­voll ge­schrie­be­ne Auf­sät­ze, die so gut wie al­le re­le­van­ten jour­na­li­sti­schen und po­li­ti­schen Af­fä­ren der letz­ten Jah­re Re­vue pas­sie­ren las­sen. Es be­ginnt mit dem Fall von Bun­des­prä­si­dent Wulff, den Hun­ger im Nah­kampf mit der ver­ein­ten Me­di­en-­Land­schaft von »Spie­gel« bis »FAZ« strau­cheln sieht. Na­tür­lich hebt er auch die »Bild«-Zeitung her­vor, die sich ur­plötz­lich in der Rol­le des un­er­schrocke­nen Auf­klä­rers und des Kämp­fers für die Pres­se­frei­heit wie­der­fand. Auch wenn er (richtiger­weise) at­te­stiert, »Bild« kön­ne nur noch Trends ver­stär­ken, die als Stim­mung in der Be­völ­ke­rung schon vor­han­den sind, aber kaum ei­ge­ne set­zen, ver­fällt er in der Wieder­holung der Mär von der Part­ner­schaft zwi­schen »Bild« und Wulff. Da­bei stützt er sich auf die Stu­die »Bild und Wulff – Ziem­lich be­ste Part­ner« von Hans-­Jür­gen Arlt und Wolf­gang Storz [pdf] und über­nimmt die For­mu­lie­rung der »seit vie­len Jah­ren er­prob­te Geschäfts­beziehung« zwi­schen »Bild« und Wulff oh­ne Ein­schrän­kung. Zwar ana­ly­siert die Stu­die auf höchst in­ter­es­san­te Wei­se die Spra­che der »Bild« in Be­zug auf Wulff und des­sen po­si­ti­ver Dar­stel­lung. Al­ler­dings be­rück­sich­tigt Hun­ger die Feh­ler lei­der nicht: Zum ei­nen wer­den »Bild« mit »bild.de« und »Bild am Sonn­tag« in ei­nen Topf ge­wor­fen – ein Pro­blem, dass die Au­toren sel­ber ein­räu­men. Da­bei hat­te »Bild am Sonn­tag« 2010 aus­drück­lich und mas­siv Joa­chim Gauck als po­ten­ti­el­len Bun­des­prä­si­den­ten fa­vo­ri­siert (»Yes, we Gauck«-Schlag­zei­le). Und zum an­de­ren wird schlicht­weg aus­ge­blen­det, dass sich »Bild« und »Bild am Sonn­tag« kri­tisch mit Wulffs Re­de zum 3. Ok­to­ber 2010 aus­ein­an­der­setz­ten (»...der Is­lam ge­hört in­zwi­schen auch zu Deutsch­land«), wie man bei­spiels­wei­se hier, hier und hier nach­le­sen kann und ins­be­son­de­re Po­li­ti­kern von CDU/CDU, die den Bun­des­prä­si­den­ten kri­ti­sier­ten, ein Fo­rum bo­ten, wäh­rend man par­al­lel ei­ne »Yellow-Press«-Stategie ver­folg­te. Fak­to­ren, die üb­ri­gens nicht nur bei Hun­ger ver­nach­läs­sigt wer­den, son­dern auch im Buch »Der bö­se Wulff?« von Mi­cha­el Götschen­berg.

»Bild« trenn­te die Gla­mour-Fi­gur Wulff und den Bun­des­prä­si­den­ten. Et­was, was Wulff eben­falls prak­ti­zier­te (wie man an­hand ei­ner Ana­ly­se sei­nes Fern­seh­auf­tritts vom 4. Ja­nu­ar 2012 gut nach­voll­zie­hen kann). Die »Ge­schäfts­be­zie­hung« mit »Bild«, die Wulff viel­leicht wirk­lich als ei­ne Art in­for­mel­le Ab­spra­che be­trach­te­te, galt für die Re­dak­ti­on nur so lan­ge, wie sie für das Or­gan ei­nen Vor­teil ver­sprach. Die Kipp­punk­te in der »Be­zie­hung« zwi­schen »Bild« und Wulff er­wähnt Hun­ger nur un­zu­rei­chend. Und lei­der bie­tet er auch in der wei­te­ren Be­trach­tung der Af­fä­re nur die üb­li­chen Ste­reo­ty­pen: Da ist in­fla­tio­när von Schau­spiel oder Tra­gö­die die Re­de; Be­grif­fe, die längst zu hoh­len Phra­sen her­ab­ge­wür­digt wur­den. Na­tür­lich gibt es je­ne me­dia­le Hy­bris, die sich im Ge­spräch Wulffs mit Schau­sten und Dep­pen­dorf ex­em­pla­risch zeig­te (Zim­mer­mie­te für die Über­nach­tung ei­nes Freun­des). Aber sie nur an die­sen Punk­ten fest­zu­ma­chen, greift zu kurz. We­der den Rück­tritt Horst Köh­lers und die me­dia­len Im­pli­ka­tio­nen und Hy­ste­ri­sie­run­gen, die hier auf­brau­sten, noch Ab­läu­fe und Ti­ming der Wulff-Ge­schich­te wer­den ein­ge­hend un­ter­sucht. Das wä­re aber not­wen­dig ge­we­sen, um nicht ei­nen schnö­den Auf­guss der Chro­no­lo­gie ver­setzt mit ei­ner Por­ti­on ab­ge­stan­de­ner Auf­re­gung in Rich­tung Me­di­en zu ser­vie­ren.

War­um wur­de Köh­ler für Aus­sa­gen der­art ab­ge­straft, die längst gän­gi­ge und for­mu­lier­te Po­li­tik Deutsch­lands wa­ren? Und wie kam die Nils Mink­mar von der »FAS« da­zu schon vor Weih­nach­ten 2011 von ei­nem ver­meint­li­chen Aus­bruch Wulffs auf Diek­manns Mail­box zu schrei­ben? Wel­che Grün­de trieb auch die se­riö­sen Me­di­en (die Hun­ger zu recht eben­falls mit spit­zen Fin­gern an­fasst) da­zu, die Tröpf­chen­in­fu­sio­nen aus dem Sprin­ger-Haus gie­rig auf­zu­sau­gen und wie­der­zu­ge­ben? Man den­ke an den Auf­tritt von Ma­s­co­lo (»Spie­gel«) und Blo­me (»Bild«) bei »Gün­ther Jauch«, in der sich Ma­s­co­lo vor der Ka­me­ra die Zi­ta­te aus dem Wut­an­ruf Wulffs von Blo­me be­glau­bi­gen lässt – die ein­zi­ge Quel­le des »Spie­gel« war »Bild« (spä­ter dann rhe­to­risch-pflicht­schul­digst ei­ni­ge di­stan­ziert-pseu­do­kri­ti­sche Sätz­chen ge­gen »Bild«). So zu­tref­fend Hun­gers Dia­gno­sen sind (et­wa wenn er in der Selbst­über­hö­hung zu ober­sten Rich­tern im Jour­na­lis­mus ei­ne An­ma­ßung sieht) und so un­be­strit­ten die kam­pa­gnen­ar­ti­gen Spiel­chen bei­spiels­wei­se des »Spie­gel« 2002 wa­ren (»Wir ha­ben be­schlos­sen, dass Rot-Grün weg muss« zi­tiert Hun­ger den ehe­ma­li­gen Chef­kor­re­spon­den­ten von »n‑tv« und »RTL« Ger­hard Hof­mann) – so er­mü­dend sind blo­ße Auf­zäh­lun­gen jour­na­li­sti­scher Schwei­ne­rei­en, wenn sie nicht kon­tex­tua­li­siert und be­fragt wer­den.

Pu­bli­kums­be­schimp­fung, wenn ei­nem nichts mehr ein­fällt

Fast ver­zwei­felt ver­fällt Hun­ger im­mer wie­der in die Be­schimp­fung des Pu­bli­kums: Es ge­hört zur Hy­bris des Pu­bli­kums, von ge­sell­schaft­li­chen Wür­den­trä­gern oh­ne Ab­stri­che mo­ra­li­sches Han­deln zu ver­lan­gen. An an­de­rer Stel­le wird dem em­pö­rungs­be­rei­ten Pu­bli­kum der jour­na­li­sti­sche Sit­ten­ver­fall noch deut­li­cher in die Schu­he ge­scho­ben: Das Pu­bli­kum liebt den Skan­dal, ko­stet ihn aus und in­ter­es­siert sich dann nicht mehr für die of­fen­kun­di­ge Fehl­lei­stung des An­grei­fers, so schreibt Hun­ger. Ei­nen über­prüf­ba­ren Be­leg für die The­se des skand­al­lie­ben­den Pu­bli­kums bleibt er schul­dig. Ge­gen­bei­spie­le bie­ten sich da­für an: In Deutsch­land ver­fiel man we­der in Ter­ror-Wahn noch ging der Pa­ra­noia über Schwei­ne- und Vo­gel­grip­pen auf dem Leim. Und kurz vor­her hieß es noch, die Leu­te ver­zeih­ten sehr wohl klei­ne­re Fehl­trit­te von Pro­mi­nen­ten, oh­ne die­se so­fort zu rich­ten. Stimmt dies, so müs­sen Jour­na­li­sten mo­ra­lisch grenz­wer­ti­ges Han­deln erst zum Skan­dal auf­pum­pen, um über­haupt noch ei­ne Re­ak­ti­on her­vor­zu­ru­fen. Wie auf­re­gend wä­re es ge­we­sen, die ver­meint­li­chen Skan­da­le (Köh­ler, Grass-Ge­dicht, Va­ti­leaks – all dies kommt vor) ab­seits von hy­ste­ri­schem Ge­kreisch zu ana­ly­sie­ren.

Mit Ver­ve nimmt sich Hun­ger des Wirt­schafts­jour­na­lis­mus an. Die Über­schrift ei­nes Ka­pi­tels lau­tet, der Wirt­schafts­jour­na­lis­mus ha­be sei­ne Glaub­wür­dig­keit ver­spielt. Wer zwei Öko­no­men nach der rich­ti­gen Ant­wort auf die Schul­den­kri­se fragt, er­hält drei Ant­wor­ten. Aber die­se Zwei­fel am ei­ge­nen Ur­teil­vers­mö­gen wer­den nicht the­ma­ti­siert, wenn­gleich es ein in­tel­lek­tu­el­les Ge­bot wä­re. Aber wor­an liegt das? Hun­ger greift in der Not zu Kli­schees. Mal ent­deckt er bei den Jour­na­li­sten man­geln­de Sach­kennt­nis. Dann wie­der den Zwang zur schnel­len, grif­fi­gen Schlag­zei­le (der wo­mög­lich auf ei­ner Fehlein­schätzung des Lesers/Zuschauers be­ruht, aber auch das the­ma­ti­siert er nicht). Aber wie sieht es mit der schlei­chen­den In­fil­tra­ti­on des Jour­na­lis­mus bei­spiels­wei­se durch Unter­nehmen aus? Hun­ger zi­tiert Pe­ter Slo­ter­di­jk, der von »ein­ge­bet­te­ten Jour­na­li­sten« spricht. Das war es aber dann. Dass dies mehr als nur ein wei­te­res Vor­ur­teil ist, zeigt sich an den ak­tu­el­len Vor­wür­fen über Hof­be­richt­erstat­tung über Thys­sen Krupp durch vom Unter­nehmen per­fekt or­ga­ni­sier­te Lu­xus­rei­sen von Jour­na­li­sten. Die­se Vor­gän­ge wer­den in be­son­ders per­fi­der Form tot­ge­schwie­gen; nur Jörg Ei­gen­dorf vom »Welt-In­ve­sti­ga­ti­v­­team«, Da­vid Goeß­mann vom »Deutsch­land­funk« und ei­ne Jour­na­li­stin vom »Wall Street Jour­nal« the­ma­ti­sier­ten dies. Die »FAZ« ver­fasst schüch­tern ei­ne klei­ne Mel­dung. In den Haupt­nach­rich­ten­sen­dun­gen des Fern­se­hens schweigt man sich aus. Al­len­falls die Ver­strickun­gen von Be­triebs­rats­mit­glie­dern in die Kor­rup­ti­on war der »heute«-Sendung des ZDF ei­ne kur­ze Mel­dung wert. Kein Ver­gleich zur Em­pö­rung über Lu­xus- und Sex­rei­sen von VW- oder Er­go-Mit­ar­bei­tern. Ver­mut­lich ver­steht man die­ses lau­te Schwei­gen in ei­ge­ner Sa­che als jour­na­li­sti­schen Corps­geist.

Da­bei könn­te doch ge­ra­de Hun­ger als ehe­ma­li­ger PR-Ma­na­ger aus dem Näh­käst­chen plau­dern oder min­de­stens Be­zie­hun­gen spie­len las­sen, oh­ne da­bei sei­nen ehe­ma­li­gen Ar­beit­ge­ber des­avou­ie­ren zu müs­sen. Statt­des­sen ver­wur­stet er den hin­läng­lich ana­ly­sier­ten Fall Hunzinger/Scharping, ver­dammt pau­schal PR-Rhe­to­rik und spricht eher all­ge­mein vom PR-Büt­tel der Fi­nanz­welt, den die Jour­na­li­sten all­zu wil­lig zi­tie­ren wür­den. Als Kron­zeu­gen für die Un­tie­fen der Pu­blic Re­la­ti­ons dient ihm Klaus Kocks, den er als vor­der­grün­dig zu den Ehr­li­che­ren er­klärt, weil die­ser sich selbst und die Bran­che als po­ten­ti­el­le Lüg­ner dar­stellt. Aber auch hier re­fe­riert er nur aus des­sen Bü­chern und In­ter­views. Ei­ge­ne Re­cher­chen und neue Fak­ten gibt es nicht.

Statt­des­sen rät er den Jour­na­li­sten PR-Be­grif­fe wie »Ret­tungs­pa­ket« oder »Rettungs­schirm« zu ver­mei­den und statt­des­sen von »Kre­dit­pa­ket« oder »Bürg­schaft« [zu] spre­chen. Die Be­grün­dung ist in­ter­es­sant: Es sei­en Be­grif­fe, die Nor­mal­bür­ger auch ver­ste­hen könn­ten. Da­bei lässt er au­ßer Acht, dass die Ver­wen­dung der »Rettungs«-Vokabeln we­ni­ger die Re­zi­pi­en­ten über­for­dert (die­se An­nah­me zeugt wie­der ein­mal von ei­ner ziem­lich ne­ga­ti­ven Sicht auf die­se), son­dern als sprach­ma­ni­pu­la­ti­ve Eu­phe­mis­men Ver­wen­dung fin­den. Die Auf­ga­be wä­re dem­nach nicht der Aus­tausch von Be­grif­fen, son­dern die Her­aus­stel­lung, war­um ge­ra­de die­se Be­grif­fe in der Po­li­tik ver­wen­det wer­den.

Der wuch­tig an­ge­grif­fe­ne Wirt­schafts­jour­na­lis­mus be­kommt dann plötz­lich und über­raschend neu­es Le­ben ein­ge­haucht. Hun­ger zi­tiert aus ei­ner Stu­die, nach­dem die Wer­te für Glaub­wür­dig­keit beim Jour­na­li­sten noch hö­her lie­gen als bei Po­li­ti­kern. Das be­nutzt er zur Kehrt­wen­de und sieht den (Wirtschafts-)Journalismus dann of­fen­bar als ei­ne Art Volks­hoch­schu­le, wenn er (wo­mög­lich äu­ßerst po­pu­lär) schreibt: Nicht den or­tho­do­xen Lehr­stuhl­in­ha­bern und In­sti­tuts­vor­ste­hern oder den Ban­kern und Fi­nanz­po­li­ti­kern ein­fach nach­zu­plap­pern, son­dern die Sicht der Din­ge aus Sicht des Bür­gers und Ver­brau­chers zu er­klä­ren, denn, so schließt er non­cha­lant aus ei­ner Um­fra­ge (die mit Hil­fe ei­ner Bank in Auf­trag ge­ge­ben wur­de): Das Volk will Ant­wor­ten. Ant­wor­ten von Jour­na­li­sten auf die Eu­ro­kri­se? Wie soll das funk­tio­nie­ren, wenn wo­mög­lich noch nicht ein­mal die rich­ti­gen Fra­gen ge­stellt wer­den? Schließ­lich kon­sta­tiert Hun­ger sel­ber, wie un­ei­nig sich die so­ge­nann­ten Ex­per­ten in der Be­wer­tung öko­no­mi­scher Vor­gän­ge sind.

Edel­fe­dern mit Hei­li­gen­schein

Auch ge­gen die Edel­fe­dern wet­tert Hun­ger: Jour­na­li­sten, ins­be­son­de­re je­ne Gat­tung, die sich dem lu­pen­rei­nen in­ve­sti­ga­ti­ven Be­reich ih­res Ge­wer­bes zu­ord­net, lau­fen ger­ne mit ei­nem Hei­li­gen­schein durch Re­dak­ti­ons­räu­me und öf­fent­li­che Wan­del­hal­len. Wenn sie wie­der ein­mal An­rü­chi­ges »auf­ge­deckt« und ihr Blatt da­mit ge­schmückt ha­ben, wird das zur Schau ge­tra­ge­ne Ego kaum noch er­träg­lich. Da­bei un­ter­sucht Hun­ger den inter­essanten Aspekt, dass so man­che Rechts­Institution auf »ver­läss­li­che« Jour­na­li­sten setzt, um über die Öf­fent­lich­keit Druck auf den oder die Be­schul­dig­ten aus­zu­üben. So­mit wür­de, so die The­se, gar kei­ne pri­mär jour­na­li­sti­sche Lei­stung vor­lie­gen: man nimmt das zur Ver­fü­gung ge­stell­te Ma­te­ri­al und/oder wird, im schlimm­sten Fall, ent­spre­chend in­stru­men­ta­li­siert.

Hun­ger sieht es durch­aus kri­tisch, wie weit in­zwi­schen der In­for­man­ten­schutz bei Af­fä­ren­flü­ste­rern geht, die un­ter Um­stän­den auch ver­trau­li­che Din­ge an Jour­na­li­sten wei­ter­ge­ben dür­fen. Und war­um wird es per se als An­griff auf die Pres­se­frei­heit ge­wer­tet, In­for­man­ten von Jour­na­li­sten bei Rechts­ver­stö­ßen hab­haft zu wer­den? Statt die­se Fra­gen ana­ly­tisch an­zu­ge­hen, misst Hun­ger dem so­ge­nann­ten in­ve­sti­ga­ti­ven Jour­na­lis­mus ei­ne über­trie­be­ne Rol­le zu. Da­mit be­treibt er viel­leicht un­be­wusst je­nen Sen­sa­tio­na­lis­mus, den er so ab­lehnt.

Da­bei gibt es wirk­lich gu­te An­sät­ze in die­sem Buch. Et­wa die Er­kennt­nis, dass die Wirklichkeit…medial in­sze­niert wer­de. Jetzt hät­te man ger­ne ei­ni­ge Bei­spie­le; der Köh­ler-Rück­tritt bö­te sich zum Bei­spiel an. Oder die Nei­gung von Jour­na­li­sten, ih­re blo­ßen Ver­mu­tun­gen als Fak­ten dar­zu­stel­len und die­se dann zum Maß­stab ih­rer wei­te­ren Be­wer­tun­gen zu ma­chen. So wer­den Per­so­nen aber auch Trends rauf- und spä­ter wie­der run­ter­ge­schrie­ben: Es ge­nügt, wenn die Er­war­tung der Jour­na­li­sten nicht be­frie­digt wur­de. Dies zu un­ter­su­chen wä­re sehr viel in­ter­es­san­ter ge­we­sen, als das leid­lich durch­ge­nu­del­te Döpf­ner-Fahr­stuhl-Zi­tat zu wie­der­ho­len oder sich an Ex­zes­sen ei­nes Pseu­do-Jour­na­lis­mus wie Wit­wen­schüt­teln ab­zu­ar­bei­ten.

Gut wird von Hun­ger her­aus­ge­ar­bei­tet, war­um Vor­gän­ge von den Me­di­en mit Vor­lie­be per­so­na­li­siert wer­den (wo­bei der Aspekt der ge­woll­ten Ver­ein­fa­chung von Sach­ver­hal­ten nicht an­ge­spro­chen wird; es geht Hun­ger aus­schließ­lich dar­um, dass man ein »Ge­sicht« bes­ser prä­sen­tie­ren kann, als ei­ne Grup­pe). Auch die Fest­stel­lung, dass Ver­le­ger und Chef­re­dak­teu­re im­mer mehr zu Ver­lags­ma­na­gern mu­tie­ren, die die nur ein Re­zept ken­nen: spa­ren, schlie­ßen, strei­chen, ist nicht ganz neu, aber ein wich­ti­ger Aspekt. Aber was macht Hun­ger dar­aus? Nennt er Bei­spie­le? Lei­der nicht. Statt­des­sen zi­tiert er Frank Schirr­ma­cher, der sich em­pört, dass die näch­ste Ge­ne­ra­ti­on Re­dak­teu­re zu ver­ar­men dro­he. Und be­dau­er­li­cher­wei­se un­ter­lässt es Hun­ger (aus Un­kennt­nis oder weil es ihm nicht in die Ar­gu­men­ta­ti­on passt?), wie er­bärm­lich die »FAZ« die im­mer zahl­rei­cher wer­den­den frei­en Au­toren be­zahlt. Der Schrift­stel­ler Al­ban Ni­ko­lai Herbst schrieb da­zu nach Ab­rech­nung für ei­nen sei­ner Bei­trä­ge auf sei­ner Web­sei­te: »Wie soll Schirr­ma­cher ge­sagt ha­ben? ‘Es ist ei­ne Eh­re, für die »FAZ« zu schrei­ben’, das sei des Ho­no­rars ge­nug«.

Zu gro­ßer Form läuft er schließ­lich auf, wenn es gilt, die so­ge­nann­te Schwarm­in­tel­li­genz im Netz an­zu­grei­fen. Für Hun­ger al­le­samt nur Pa­ra-­Jour­na­li­sten, die mit wah­ren und fal­schen Be­haup­tun­gen – vor­zugs­wei­se im Netz – ex­pe­ri­men­tie­ren. Kron­zeu­ge ge­gen die »Schwarm­d­umm­heit« wird für ihn Frank Schirr­ma­cher, den er teil­wei­se ver­zer­rend zi­tiert. Aber er über­nimmt das längst schlaff am Mast bau­meln­de Fähn­chen »Qualitäts­journalismus« – ei­ne Be­zeich­nung, die er an an­de­ren Or­ten in sei­nem Buch so ve­he­ment in­fra­ge stellt. Hun­ger greift dann noch den Trans­pa­renz­wahn auf und echauf­fiert sich über Goog­le-Apo­stel, die Bet­ti­na Wulffs Such­ma­schi­nen­re­sul­ta­te schul­ter­zuckend dem Al­go­rith­mus zu­wei­sen. (Herr­lich üb­ri­gens der Ge­dan­ke, die­je­ni­gen, die ein In­ter­es­se an dem Ruf­mord an Bet­ti­na Wulff ha­ben, hät­ten so lan­ge ge­klickt, bis der Goog­le-Al­go­rith­mus ent­schied, Leu­ten, die nach »Bet­ti­na Wulff« su­chen, gleich »Pro­sti­tu­ier­te« mit­zu­lie­fern.) Und schliess­lich wird Gut­ten­Plag zum Fall­beil der Netz-Guil­lo­ti­ne und Ur­sa­che und Wir­kung ir­gend­wie wun­der­lich ver­dreht. Zwi­schen­durch wen­det sich Hun­ger auch noch der Ur­he­be­rechts­de­bat­te zu. Wäh­rend beim The­ma Netz und Jour­na­lis­mus Frank Schirr­ma­cher und beim Ur­he­ber­recht Ste­fan Nig­ge­mei­er als Re­fe­ren­zen und Zi­tat­ge­ber die­nen, durch­zie­hen die The­sen von Jens Berg­mann und Bern­hard Pörk­sen über Skan­da­le in den Me­di­en prak­tisch das gan­ze Buch. Da­ge­gen wä­re nichts ein­zu­wen­den, wenn nicht auch hier die Zi­ta­te al gu­sto ver­wen­det wür­den.

Vier­te Ge­walt?

Ein gu­tes Bei­spiel für Hun­gers Un­dif­fe­ren­ziert­heit zeigt sich an der von Schirr­ma­cher pa­ra­phra­sier­ten The­se der ein­sei­ti­gen In­for­ma­ti­on, die das Netz för­de­re: Ori­en­tiert man sich…nur am Netz, wird man ei­ne Welt ken­nen­ler­nen, die man oh­ne­hin schon kennt oder die ei­nen ge­ra­de in­ter­es­siert. Aber was ist dar­an netz­spe­zi­fisch, sich In­for­ma­tio­nen über The­men­ge­bie­te zu be­sor­gen, für die man sich in­ter­es­siert? Ist die »Ab­schot­tung«, die ei­nem vor »un­lieb­sa­men« Er­kennt­nis­sen be­schüt­zen soll, im Netz nicht mit­un­ter schwie­ri­ger als in den »klas­si­schen« Me­di­en? Ein Bei­spiel: In den 70er/80er Jah­ren wuss­te man, wel­che po­li­tisch-re­ak­tio­nä­re Stoß­rich­tung das »ZDF-Ma­ga­zin« mit Ger­hard Lö­wen­thal hat­te. Es war ein Ein­fa­ches, sich von die­ser pro­pa­g­ada­glei­chen Berichter­stattung zu ab­sen­tie­ren: Man schal­te­te ein­fach nicht mehr ein. Und jetzt? Es ist ziem­lich leicht, die nicht in­ter­es­sie­ren­den Sei­ten in ei­ner Zei­tung oder ei­nem Ma­ga­zin ein­fach zu über­blät­tern. Was aber, wenn ei­nem nun im Netz ei­ne per­sön­li­che Emp­feh­lung, ein Link, dar­auf führt? Zwar glau­be ich auch, dass am En­de die In­for­ma­ti­ons­ka­nä­le nach per­sön­li­chen Nei­gun­gen aus­ge­sucht wer­den. Aber dies kann un­mög­lich dem Netz an­ge­la­stet wer­den – es ist (un­ter an­de­rem) ein Schutz vor der Über­in­for­ma­ti­on. Se­lek­ti­on im Netz fällt un­ter Um­stän­den so­gar schwe­rer; ver­langt grö­ße­ren Auf­wand in der »Ver­mei­dung« des Un­er­wünsch­ten, auch wenn grup­pen­dy­na­mi­sche Pro­zes­se, die zu di­cho­to­mi­schen Welt­bil­dern füh­ren, zwei­fel­los auch hier ei­ne ge­wich­ti­ge Rol­le spie­len. Aber hier­für hät­te man das Meu­te- und Schwarm­ver­hal­ten von Jour­na­li­sten und auch Re­zi­pi­en­ten un­ter­su­chen müs­sen, statt es vor­ei­lig und pau­schal zu de­nun­zie­ren.

Und ir­gend­wann möch­te man, dass sich der Au­tor dann bit­te ent­schei­det: »Vier­te Ge­walt« oder nicht? Wor­in lä­ge ei­ne Le­gi­ti­ma­ti­on durch Jour­na­li­sten, zur »Vier­ten Ge­walt« zu wer­den? Und wenn ja, dann möch­te ich ei­nen Ent­wurf zur Ge­wal­ten­tei­lung se­hen, denn es kann nicht sein, dass die »Vier­te Ge­walt« die an­de­ren do­mi­niert. Über­ra­schend ist es dann schon, wenn Hun­ger mit sei­ner bom­ba­sti­schen Jour­na­li­sten­kri­tik plötz­lich schreibt, die Pres­se ha­be ei­ne auf­klä­re­ri­sche Rol­le zu spie­len, an der Sei­te der Macht­lo­sen ge­gen­über den Mäch­ti­gen zu ste­hen, zu re­cher­chie­ren und nie­der­zu­schrei­ben. Plötz­lich re­det er ei­nem Ge­sin­nungs­jour­na­lis­mus das Wort. Wie kommt er dar­auf? Und wo ist denn die­ser An­spruch der vor­aus­ge­nom­me­nen Par­tei­lich­keit fest­ge­schrie­ben? Da­ge­gen fällt mir im­mer wie­der Hanns-Joa­chim Fried­richs Dik­tum vom Jour­na­li­sten ein, der sich mit kei­ner Sa­che ge­mein ma­chen dür­fe – eben auch nicht mit der ver­meint­lich »gu­ten« Sa­che. Zu­mal sich dann die Fra­ge nach De­fi­ni­ti­on und Fest­le­gung des »Gu­ten« stellt.

Hun­gers Her­an­ge­hens­wei­se in die­sem Buch ist lei­der all­zu kom­ple­xi­täts­re­du­zie­rend. Die Feh­ler­ana­ly­se, die »Blatt­kri­tik«, wür­de sich im Un­ter­su­chen des All­tags­jour­na­lis­mus zei­gen. Wie ma­ni­pu­la­tiv sind die mit Ob­jek­ti­vi­tät da­her­kom­men­den jour­na­li­sti­schen Bei­trä­ge, die sich bei nä­he­rer Be­trach­tung als Mei­nungs­ma­che ent­pup­pen? War­um wer­den Kom­men­ta­re nicht mehr als sol­che kenn­zeich­net? Viel­leicht kann man hier­an die »Kri­se des Jour­na­lis­mus« fest­ma­chen, wie neu­lich Ste­fan Sas­se in ei­ner wirk­li­chen »Blatt­kri­tik« ein­warf. Oder man könn­te nach In­ten­tio­nen for­schen (wie zum Bei­spiel hier) und ver­su­chen, den Stand des Jour­na­lis­mus im In­ter­net-Zeit­al­ter zu er­mit­teln. Hier­an hat Hun­ger aber kein In­ter­es­se. Hun­ger er­leich­tert sich mit Af­fek­ten; die zum Teil bou­le­var­deske Spra­che tut sein üb­ri­ges und ist mit der Zeit ko­los­sal er­mat­tend. Ganz si­cher wird er die­se Kri­tik we­der le­sen, ge­schwei­ge denn an­neh­men. Denn sie stammt ja nur von ei­nem Pöb­ler im Netz.

Die kur­siv ge­setz­ten Pas­sa­gen sind Zi­ta­te aus dem be­spro­che­nen Buch.

2 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Ver­ehr­ter Herr Kol­le­ge Keu­sch­nig,

    gu­te Kri­tik. Cha­peau! Man­ches un­ter­schrei­be ich, man­ches na­tür­lich nicht. Grad so viel zum Wink mit dem Zaun­pfahl: Sie schrei­ben von der »am En­de ge­schei­ter­ten Über­nah­me von VW durch Por­sche«. Was ist dar­an ge­schei­tert, wenn die bör­sen­no­tier­te Ge­sell­schaft Por­sche SE mit ih­ren stimm­be­rech­tig­ten Ge­sell­schaf­tern Por­sche und Piech knapp 51 Pro­zent an Volks­wa­gen hält? Sie ha­ben lei­der auch nur die For­mu­lie­rung von den an­de­ren Ga­zet­ten über­nom­men.

    Be­ste Grü­ße
    An­ton Hun­ger