Frank Schirrmachers »Ego – Das Spiel des Lebens« ist eine wilde Alarmmaschine und kapituliert allzu voreilig
Das Cover von »Ego – Das Spiel des Lebens« weckt Assoziationen an Mario Puzos Buch (und auch dem Film) »Der Pate«. Hier wie dort das Symbol der Manipulation: die Marionette. Am Ende zitiert Schirrmacher den französischen Schriftsteller Paul Valéry, dessen Figur Monsieur Teste die »Marionette« getötet hatte. Man muss genau lesen: Hier soll nicht die Marionette emanzipiert und von ihren Fäden befreit werden. Hier geht es um den Tod der Figur. Erst wenn diese tot ist, hat der Marionettenspieler keine Macht mehr. Das bemerkenswerte ist: Die Marionette sind wir selber bzw. das, was im Laufe der Zeit Besitz von uns genommen hat. Der Tod der Marionette ist, so kann man das interpretieren, die Exorzierung des Bösen in uns. Ob da der Satz Die Antwort war falsch als Slogan der Austreibung ausreicht?
Worum geht es? Schon früh das Bekenntnis, das Buch bestehe letztlich nur aus einer einzige[n] These, die des »ökonomische[n] Imperialismus«: Damit ist gemeint, dass die Gedankenmodelle der Ökonomie praktisch alle anderen Sozialwissenschaften erobert haben und sie beherrschen. Den Keim für diese Entwicklung zum »Ökonomismus« (das ist meine Formulierung, die womöglich ungenau ist, aber vielleicht gerade in ihrer Vereinfachung vorübergehende Hilfestellung bietet) findet Schirrmacher im Erfolg der Spieltheorie, die, so die These, den Kalten Krieg sozusagen gewonnen habe. Als das planwirtschaftliche System obsolet wurde, ahnte niemand, welche Auswirkungen dies haben würde. Die Physiker wechselten an die Wall Street und implementierten die Logik des Kalten Krieges in die Maschinen, die dann ab den 1990er Jahre immer mehr den Privatraum der Menschen eroberten.
Der neue Kalte Krieg
Im Kalten Krieg galt das »Gleichgewicht des Schreckens«. Wer den atomaren Erstschlag auslöste, musste damit rechnen, ebenfalls vernichtet zu werden. Zuerst zuschlagen hieß, als Zweiter vernichtet zu werden. Der Erstschlag bot keinen Gewinnanreiz. Dieses Szenario musste immer wieder neu angestrebt und als Prämisse etabliert bleiben bzw. werden. Damit war klar: Keiner würde riskieren, die Welt untergehen zu lassen, wenn er selbst dabei draufginge. Und das ist daraus nach 1990 geworden: Keiner wird riskieren, uns untergehen zu lassen, wenn wir dafür eine ganze Welt in den Abgrund stürzen, war 50 Jahre später nachweislich die Logik der Too-big-to-fail-Strategen von Lehman bis AIG.
Schirrmacher nennt dies pathetisch den neuen Kalten Krieg im Herzen unserer Gesellschaft, der nach dem Mauerfall zielgerichtet und lange Zeit unbemerkt vorbereitet wurde. Der bisher abgeschnittene Teil der Welt wurde sukzessive durch den neuen Informationskapitalismus erobert. Hierfür wurden Raubtieralgorithmen von den Quants (den Physikern des Kalten Krieges) entwickelt, verfeinert und in die Computersysteme implantiert. Inzwischen haben sich diese Systeme verselbständigt und optimieren sich unabhängig jeglichen Einflusses ihrer Schöpfer. Aus dem Homo oeconomicus des 19. Jahrhunderts, einem Wesen, das man nicht mehr durch diffuse Leidenschaften, sondern durch seine knallharten Interessen verstehen konnte, wird in der Gesellschaft des »ökonomischen Imperialismus«, der alles zur Ökonomie machte in Verbindung mit dem Computer, diesem elektronischen Funken, der zwischen Maschine und Mensch übersprang ein Homunculus, der alle literarischen Monster (Frankenstein, Jekyll/Hyde) in den Schatten stellt. Schirrmacher scheut nicht vor der Vermenschlichung der Maschinen-Algorithmen zurück; er gibt ihnen ein Wesen (aber keine Seele). HAL9000, schon diffus in »Payback« aufleuchtend, ist Realität geworden. Der ökonomische Agent, eine Figur, die ausschließlich nach egoistischen Motiven handelt, wird ab sofort hyperventilierend »Nummer 2« genannt. Noch ist er abzugrenzen von »Nummer 1«, dem echten Menschen mit Emotion, Kooperationsbereitschaft und Empathie. Aber »Nummer 2« nistet sich pandemisch in »Nummer 1« ein und lockt ihn mit falschen Versprechungen, sofern er sich rein ökonomistisch verhalte. Nummer 2 ist ein ideales, mathematisches Wesen, das gerne mörderische Spiele spielt. Man kann gut mit ihm rechnen, aber ziemlich schwer mit ihm leben. Er ist dabei nicht v o r dem Bildschirm, sondern i n der Maschine. Nummer 2, die soziale Programmierung des Menschen, habe nur zwei Gene: eines für Egoismus und eines für Profit (und vielleicht noch ein drittes für Angst). (Warum »vielleicht« ein drittes, wenn es zwei sein sollen?) Man möchte ihm antworten, dass es in Wirklichkeit nur eines ist: Diese Form des Profits um jeden Preis und der Egoismus sind die Doppelverglasungen des Fensters mit Ausblick auf die schöne, neue Huxley-Welt (schon in »Payback« sah Schirrmacher Huxley als wesentlich drohender an als Orwells »1984«). Am Ende des 20. Jahrhunderts, so Schirrmacher, operierte alles nach den Modellen der neoklassischen und neoliberalen Ökonomie. Und die Spieltheorie hatte es vermocht, selbst die zwischenmenschlichen Beziehungen nach diesem Bilde zu formen.
It’s the economy, stupid
Schon will man widersprechen. Ist die Spieltheorie tatsächlich die Siegerwaffe des Kalten Krieges gewesen? Einflüsse werden in der Wissenschaft durchaus diskutiert. Aber wurde sie – wie damals so vieles – nur am Rande instrumentalisiert und ausprobiert? Aber man kommt nicht recht zur Ruhe in diesem Buch. Das Kontinuum vom Kalten Krieg zur Ökonomisierung der Gesellschaft reicht dem Autor nicht. Mit großem Furor jettet er wie die Hauptfigur in H. G. Wells Roman »Die Zeitmaschine« durch die Jahrhunderte und nahezu jeder Protagonist der Zeitgeschichte – ob Naturwissenschaftler oder Aufklärer – wird am Ende zum Baustein der Entwicklung, in der der Mensch des 21. Jahrhunderts Eloi und Morlock gleichzeitig ist. Damit werden nicht nur wir (die Zeitgenossen), die schon durch künstliche Monster zum Werkzeug degradiert sind, zur willenlosen Kreatur, sondern auch noch unsere Vorfahren, denn im Fortschritt der Jahrhunderte sind bereits die Wesensatome des Niederträchtigen implantiert und wachsen unausweichlich heran. So gebiert das fatalistische Weltmodell Schirrmachers en passant einen veritablen Geschichtsrevisionismus: Die Ökonomie, nicht die Philosophie und erst recht nicht die abstrakte »Aufklärung«, setzte Technologie in soziale Organisation um. Wir ahnten es immer schon: It’s the economy, stupid? Yeah!
Aber es bedurfte neben der Physik noch einer anderen Naturwissenschaft, das Lebewesen Mensch zu einer Fabrik für Egoismus zu machen – das übernahm die Biologie. Gemeint ist vor allem Richard Dawkins, einer von Darwins gefährliche[n] Schüler[n], die sich an 1976 mit den Thesen vom »egoistischen Gen« zu Zulieferern neoliberaler Ökonomen machte[n], die es dann flugs in die Spieltheorie einschleusten. Nach Ende des Kalten Krieges war der Weg frei. Das große Sozialexperiment mit dem Menschen der Zivilgesellschaft begann zuerst mit der Automatisierung des Parketthandels der Finanzmärkte. Schirrmacher vermisst die nicht mehr brüllenden Devisen- und Aktienhändler mit ihren allseits unverständlichen Geheimzeichen, die aber immerhin ein Gefühl einer möglichen Decodierung gaben. Es war ja auch zu schön, sie in Filmen wie »Wall Street« als Ureinwohner einer fremden, geheimnisvollen Welt bewundern zu dürfen, statt die inzwischen vor schaufenstergroßen PCs brütenden Schweiger, die man am besten (und am irritierendsten) mit protzig-unheilsschwangerer Wagner-Musik aus dem »Ring des Nibelungen« untermalen möchte (wenn sie nicht gerade ein Interview geben oder in einer Talkshow ihr Buch vorstellen).
Schirrmacher stellt klar: Es geht nicht um Psychologie (das war gestern), es geht um Analyse – und schließlich Infiltration. Das Problem ist, dass wir Zeugen eines Umbruchs werden, in dem […] Modelle die Wirklichkeit codieren und dadurch selbst wirklich werden. Dauernd weist er darauf hin, dass Nummer 2 nicht nur Beobachter, sondern immer auch Akteur ist, dessen Berechnungen zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden, weil die Spieltheorie ist nicht nur deskriptiv, sondern auch normativ. Sie postuliert nicht nur Egoisten, sie produziert sie. Nummer 2 handelt nicht mehr i m Markt, er w a r der Markt. Der Körper verschwindet in der Maschine. Einst als »Sklave« des Menschen gedacht, wird der Computer zum Herrscher desselben.
Nummer 2 ist davon besessen, die Spielzüge der anderen Seite vorauszusehen, zu reproduzieren und mithilfe des Nash-Gleichgewichts zu beantworten. Alle Resultate menschlichen Handelns werden darauf reduziert, ob sie dem jeweiligen Ich dienen. Es gibt, so die Theorie, kein altruistisches Verhalten mehr. Irgendwann kommt der Moment, in dem sich dieses Verhalten aus»zahlen« soll. Schirrmacher ist über diese Deutung immer wieder empört, plädiert in den seltenen Stellen die nicht deskriptiv sind, für die Unberechenbarkeit des Menschen und adelt ein bisschen naiv die menschlichen Schwächen zu Stärken (aber dazu später).
Die Anthropomorphisierung
Inzwischen wurde die Mensch-Maschine-Kommunikation…von der Maschine-Maschine-Kommunikation abgelöst. Die Folgen sind paradoxerweise Unberechenbarkeiten – aber nicht von Menschen, sondern Maschinen, d. h. eines sich selbst überlassenen und ständig selbstoptimierenden Systems. Schirrmacher anthropomorphisiert permanent und spricht einmal sogar von annähernd biologische[n] Organismen. Wäre es nicht so platt, könnte man Goethes Zauberlehrling als treffendes Bild zitieren. Die Deutung legt nahe, dass wir vom Zauberlehrling, dem die Codierungen abhanden gekommen sind zum schnöden Mitglied der Armee der wassertragenden Besen werden – oder bereits geworden sind.
Verharmlosung ist Schirrmachers Sache nicht und so muss die Skandalisierungsmaschine ständig am Laufen gehalten werden. Bis zum Zerreißen wird der Rekurs zum Kalten Krieg strapaziert: Nach einem 50 Jahre währenden Kalten Krieg zwischen einem sozialwirtschaftlichen und einem planwirtschaftlichen System, die beide über die Atombombe verfügten, befinden wir uns nach dem Ende des Kommunismus in einem neuen Kalten Krieg zwischen demokratischen Nationalstaaten und globalisierten Finanzmarktkörpern.
Dies hat naturgemäß Auswirkungen auf das Arbeitsleben der Menschen. Früher habe der Mensch seine Arbeitskraft »verkauft« – heute seine Seele, so die emphatisch-faustische Conclusio Schirrmachers und er fragt sich: Wie kann man auf Dauer ohne seelische Beschädigungen in einer Gesellschaft bleiben, die von jedem Menschen annimmt, er sei vernünftig, wenn er aus Eigennutz handelt? Es ist in Wirklichkeit eine Frage nach anderen Belohnungsmodellen als pekuniärer Natur. Aber diese Frage wird nicht gestellt; die Obsession will Futter, keine Rezepte.
In den besten Szenen des Buches führt die Spur von der manisch-besessenen Belegsuche in das Verräterische der Sprache. Etwa, wenn die unterschiedlichen Bedeutungen des Wortes »Risiko« herausarbeitet werden: Risiko, lautete die […] im Jahre 1921 formulierte Formel, ist etwas, an das man ein Preisetikett kleben kann. Risiko, sagten die Pokerspieler der RAND-Corporation, ist etwas, was man reduzieren kann, wenn man den Gegenspieler auf sein egoistisches Überlebensinteresse festnagelt. Risiko, sagten die Moody-Leute, ist etwas, für das der Preis so hochgetrieben werden muss, dass niemand es sich leisten kann, die Bombe platzen zu lassen. Oder auch wenn kurz über die Verheißungen der »Wissensgesellschaft« reflektiert wird: Die »Wissensgesellschaft« liebt immaterielle Güter und virtuelles Kapital, betreibt…die Entkleidung…Einzelner und ganzer Unternehmen, und ihr darwinistischer Evergreen heißt »lebenslanges Lernen«. In Wahrheit bedeutet »lebenslanges Lernen« oft das Gegenteil dessen, was es suggeriert. Häufig genug geht es um die Fähigkeit, ständig zu verlernen, an was man noch gestern geglaubt hat, auch seine eigene Identität. Dabei ist der skandalisierend wirkende letzte Halbsatz eigentlich überflüssig – die Aussicht, sein Gelerntes in kürzester Zeit oft genug vergessen zu müssen, böte reichlich Stoff zur Diskussion (vielleicht läge hierin auch eine Chance zur Veränderung). Aber da ist der Autor ganz schnell wieder enteilt.
Der Vorletzte gewinnt das Spiel
Schirrmacher berichtet auch von einigen »schwarzen Schwänen« (Popper lässt grüßen), d. h. unbekannten und unkontrollierbaren Systemfehlern wie dem »Flash Crash« vom 6. Mai 2010, die kurzzeitig Kurse ins Bodenlose fallen lassen und die Agenten fassungslos auf ihre Maschinen blicken lassen. Diese Vorgänge seien ungeklärt, schreibt er und rührt ein bisschen in der Apokalypse-Trommel. Was wäre aber, wenn die gesamten Vermögenswerte auf der Welt plötzlich – und auch einmal dauerhaft – atomisiert würden? Eine theoretische Frage. Aber wie sieht es mit den Blasen aus, die es tatsächlich gibt? Für Schirrmacher sind es lediglich falsch eingesetzt[e] Informationen. Kann aber es nicht auch sein, dass die Modelle, die Berechnungen von Nummer 2, doch nicht derart antizipativ und analytisch sind, wie dies suggeriert wird? Denn sicher ist für ihn: Es handelt sich bei den krisenhaften Ausbuchtungen nicht um das Versagen Einzelner (Menschen). Denn die angeblichen menschlichen Schwächen sind ja für Schirrmacher Stärken. Was also, wenn diese Unberechenbarkeiten durch die »menschlichen Schwächen« – die ja Stärken sind – die algorithmischen Berechnungen konterkarieren? Da dies nicht sein darf – weil sonst das deterministische Weltbild angekratzt wird – kommt es nicht vor.
Und nur ganz am Rande werden die unterschiedlichen Modelle der Spieltheorie gestreift. Beispielsweise zwischen einmaligen und wiederholten Spielen. Zum einen gibt ein sogenanntes »One-Shot-Game«. Hier wird ein Spiel simuliert, das es nur einmal gibt. Dies kommt dem Kalten Krieg sehr nahe. Grob gesagt bestand ja die Aufgabe darin, ein Gleichgewicht zu halten, damit das Spiel nicht fortschreitet bzw. endet. Eine andere Version geht jedoch von sich endlos wiederholenden Spielmöglichkeiten aus. Dies wären beispielsweise die Börsengeschäfte. (Daneben gibt es sehr wohl auch Spielmodelle, die kulturelle und soziale Parameter jenseits des reinen Egoismus-Denkens berücksichtigen.) Schirrmacher dämonisiert aber die Algorithmen und den implantierten Egoismus von Nummer 2 derart, dass dieser ohne Rücksicht auf die Verluste anderer agiere. Wenn er nun die Immobilienblase anspricht und die Perversion, die zur Verfügung gestellten Hauskredite noch als Aktiva verschleiert zu verkaufen, so bleibt die Frage, was passiert, wenn dieses Geschäft irgendwann an seine Grenzen kommt.
Hier zeigt sich, wie fragil der Vergleich zum Kalten Krieg und den spieltheoretischen Modellen ist. Damals wurde je nach Bedarf und Einschätzung aufgerüstet und es wurden Bomben gebaut. Schirrmacher schreibt, stattdessen würde heute Geld gedruckt. Aber dieses Verhalten ist doch nur eine rustikale Chemotherapie im Kampf gegen einen zäh sich weiter ausbreitenden Krebs, der den Körper, den er benötigt, am Ende zerstören wird. Und das hat wenig mit der Logik des Kalten Krieges zu tun (denn damals nahm man eben den finalen Crash gerade nicht in Kauf), sondern eher mit einem schnöden Schneeballsystem, dass nur darauf aus ist, am Ende Vorletzter zu sein, denn den Letzten »beißen die Hunde«, d. h. der Letzte bleibt auf wertlosen Papieren sitzen. Im Kalten Krieg war dagegen auch der Vorletzte der Verlierer. Schirrmachers Kommentar hierzu ist unbefriedigend. Diffus rät er: Ein Systemfehler des Ausmaßes, mit dem wir heute zu tun haben, müsste eine große Revision einleiten. Aber wenn die Dominanz der Algorithmen bereits derart weit fortgeschritten ist – woher soll diese Revision kommen?
Die unterschätzte Politik
Den einzigen Mitspieler, der dies tun könnte, sieht Schirrmacher eher hilflos: die Politik, die sich spätestens seit 2008 im Irrflug befinde. Dabei wurden die Bedingungen für den Usurpator Nummer 2 weit vor 2008 geschaffen – und zwar von der Politik und nicht, wie Schirrmacher glauben macht, von den Kalten Kriegern um Reagan, irgendwelchen zu Quants mutierten Physikern, die vom Militär zur Ökonomie abgewandert waren oder Biologen, die glaubten egoistische Gene und Meme gefunden zu haben (die Hirnforscher mit ihren bunten MRT-Bildchen lässt Schirrmacher merkwürdigerweise unangetastet). Grandios unterschätzt Schirrmacher das, was man fast als »ökonomistische Wende« bezeichnen könnte und die in den angelsächsischen Ländern ihren Ursprung nahm und dann, zu Beginn der 00er Jahre nach Europa schwappte. Der erste Stein, der die Säulen der Neoklassik wieder errichtete, war die Aufhebung des Glass-Steagall-Paktes von 1999 durch Bill Clinton. Dieses Abkommen war seit 1933 in Kraft und sah unter anderem und vor allem eine scharfe Trennung zwischen Investmentbanken und Geschäftsbanken vor. Die Aufhebung schuf nun die Grundlage für das, was dann Jahre später »systemrelevante Banken« genannt wurde. In wenigen Jahren waren derart große, eng und undurchsichtig miteinander verflochtene Banken entstanden, dass nicht nur die verhältnismäßig wenigen Spekulanten im Investmentbereich ihre Vermögen verlieren konnten, sondern auch Unternehmen und die Sparer der Mittelschicht. (Das die »Lehman«-Bank 2008 in die Pleite entlassen wurde, ging nur, weil es sich um eine reine Investmentbank handelte. Aber ihre Verflechtungen mit der übrigen Wirtschaft waren derart stark, dass längere Zeit ein Domino-Effekt drohte.)
Spätestens ab Ende der 1990er Jahre wurden in Europa und den USA von der Politik die Schleusen für ein wirtschaftsliberales Modell gestellt, dass die Wohlfahrt großer Teile der Bevölkerung in die Hände von Unternehmen legte. Wenn es denen gut ginge, so die These, dann bliebe auch etwas für die Arbeitnehmer. Fords Spruch, dass Autos keine Autos kauften, wurde, polemisch formuliert, zum neuen Sozialstandard (insbesondere in den jungen osteuropäischen Demokratien). Die Deregulierung sollte verknöcherte Strukturen aufsprengen. Die Ineffizienz großer, staatlicher Institutionen galt als zu überwindendes Hindernis für den Wohlstand aller. Vergessen wurde dabei, dass auch große, private Institutionen bzw. Unternehmen ineffizient werden. Der Zeitgeist wehte das Ideal eines harmonischen Dreiklangs zwischen Ökonomie, Ökologie und Sozialdemokratie heran. 1998 stellten in 11 von damals 15 Ländern der EU Sozialdemokraten die Regierung. Der deutsche Bundeskanzler schmückte sich mit dem Attribut »Genosse der Bosse«. In atemberaubender Geschwindigkeit knüpfte Tony Blair in Großbritannien mit seiner »New Labour«-Ideologie neue Fäden zum Thatcherismus der 1980er Jahre. Die USA bereiteten sich spätestens ab 2001 auf zwei Kriege vor, was am besten mit sinkenden Zinsen funktioniert. Fast »nebenbei« wurde die Binnenkonjunktur mit einem Bauboom angekurbelt. Vermutlich wurden jetzt erst die von Schirrmacher so gefürchteten Algorithmen implementiert. Aber vorher hatte die Politik gehandelt.
Natürlich passt die Politik als eher hilfloser Zuschauer besser in eine 300-seitige Verschwörungsschrift, deren erste Ausläufer bereits in »Payback« festzustellen waren. Indem Schirrmacher aber die Politik derart randständig behandelt, zeigt sich die Schwäche seiner Argumentation: Was Menschen geschaffen haben, können sie auch wieder abschaffen, resorbieren oder mindestens reglementieren. Niemand braucht einer Vision einer neuen Welt von »Informations-Markt-Staaten«, wie Schirrmacher die »Market-States«-Theorie von Philip Bobbitt übersetzt, in der aus Überwachungsstaaten Überwachungsmärkte werden, zu folgen. Computersysteme lassen sich, wenn sie nicht mehr umprogrammierbar sein sollten, vom Netz nehmen. Es gäbe andere Möglichkeiten, beispielsweise den Börsenhandel zu handhaben.
Einfach ausschalten
In die Niederungen dieser Überlegungen begibt sich Schirrmacher nicht. Das von Nummer 2 gekaperte Individuum ist das Fatum des modernen Menschen im 21. Jahrhundert. Jeder Mensch muss zum Manager seines eigenen Ichs werden wird da konstatiert und natürlich ist es der neue Kapitalismus, der es geschafft habe die Verantwortung auf das Ich der Menschen abzuwälzen. So bewege man sich ständig im Radarmodus, führe ein Leben wie ein Börsentrader, der menschliche Gedanken und Handlungen transmutiert in konsumierbare Stoffe. Jedes Kind weiß inzwischen Alles ist Geld. Wir finden uns wieder in einer Welt, die einem keine Chance gewährt, etwas anderes zu sein als eine Ego-Maschine, wenn er als rationales Wesen gelten will und am Gesamtkuchen ein kleines Stückchen abbekommen möchte. Die Frage, was geschehe, wenn die Systeme unsere Präferenzen nicht abbilden, sondern aktiv erschaffen, ist rhetorischer Natur – genauso wie Schirrmachers Antwort: Dann wäre technologischer Determinismus endgültig sozialer Determinismus geworden.
Gegen deterministische Sichtweisen lässt sich schwer argumentieren. Denn »wer als Werkzeug nur einen Hammer hat, sieht in jedem Problem einen Nagel« (Paul Watzlawick zugeschrieben). Insofern erstaunt es nicht, dass Schirrmacher das vielbeschworene (und zuweilen medial reichlich strapazierte) »Primat der Politik« überhaupt nicht in Erwägung zieht; er dementiert es nicht einmal explizit. Stattdessen entwirft er gegen Ende nur recht schmallippig ein individuelles Aussteigermodell. Von der Grundannahme getragen, dass der Schalter, mit dem man seinen Computer und sein Handy anschaltet […] den elektrischen Funken, der Nummer 2 zum Leben erweckt entfacht kann der Ausweg nur darin bestehen, die Ökonomisierung unseres Lebens von einem mittlerweile fest in die Systeme verdrahteten Mechanismus des egoistischen und unaufrichtigen Menschenbildes zu trennen. Und vielleicht ist es ganz einfach: nicht mitspielen. Jedenfalls nicht nach den Regeln, die Nummer 2 uns aufzwingt. Aber wenn die Vereinnahmung derart fortgeschritten, zum Teil sogar irreversibel sein soll wie behauptet wird, wie kann dann überhaupt eine Trennung durchgeführt werden? Und was, wenn das Refugium des Verweigerers, desjenigen, der nicht sein Handy auf Dauerbetrieb eingestellt hat, nicht davor schützt, von den weltweiten Spekulationen mittellos gemacht zu werden, und zwar in dem Moment, wenn das Finanzsystem zusammenbricht?
Wäre es tatsächlich unmöglich, dass die Ökonomisierung der Gesellschaft irgendwann wieder obsolet werden könnte? Wie lange dauern eigentlich Zyklen, die man, grob vereinfacht, Zeitgeist nennen könnte? Sind nicht die Verfechter der »Neoklassik« längst wieder auf dem Rückmarsch, weil sie die sozialen Verwerfungen nicht mehr kontrollieren können? Indem Schirrmacher diese Fragen ausblendet und den Einzelnen als prädisponiertes Objekt eines Spiels definiert, dessen man sich maximal nur noch durch ausschalten entziehen kann (ohne dass sich damit tatsächlich etwas für ihn und seine Situation ändert), betreibt er selber eine jener selbsterfüllende Prophezeiungen, die er andererseits beklagt.
Es ist nicht nur die Krise des Finanzsystems, von dem wir reden, sondern eines kognitiven Systems, das zwischen Information und Wissen nicht mehr zu unterscheiden vermag, weil alles zu Spielzügen (oder Drehbuchszenen) geworden ist). Das ist die Quintessenz von Schirrmachers These. Dabei rekurriert er, wie sich am umfangreichen bibliografischen Teil zeigt, fast ausschließlich auf Quellen aus Großbritannien und vor allem den USA (erstaunlich, am Rande, dass von den 408 Quellenangaben 361 Kindle-Versionen sind, aus denen Schirrmacher zitiert – ein Technikfeind im klassischen Sinn ist Schirrmacher also nicht).
Das gallische Dorf und Suhrkamp
Nach all diesem geballten Fatalismus ist es fast erstaunlich, dass Schirrmacher ein gallisches Dorf ausgemacht hat: Die große Transmutations-Maschine hat Deutschland noch nicht erreicht, aber nur weil hier…die Realwirtschaft die Rolle der bodenständigen Vernunft spielen kann. Sonderbar dieser Rekurs auf die Bodenständigkeit der Vernunft – jene Vernunft, die ja in Angelsachsien schon durch hypertrophe Algorithmen in egomanische Aktion kanalisiert worden ist (sofern den die These stimmt). Schirrmacher sieht also in Deutschland durchaus eine Kultur des Verzichts auf Rendite zu Gunsten anderer, nicht sich direkt pekuniär niederschlagender Werte. Damit wird einem sofort klar, warum Schirrmacher Ende vergangenen Jahres mit enorm großer Vehemenz für die aktuelle Suhrkamp-Geschäftsführerin eingetreten war (»Dies ist kein Schundroman«, 20.12.2012 und »Ein literarischer Stern soll verglühen«, 27.12.2012). Ulla Unseld-Berkéwicz, die vor einigen Jahren im Feuilleton ob ihrer vermeintlichen Irrationalität(en) übel geschmähte, widersetzt sich der Forderung des Minderheitsgesellschafters Barlach nach einem auskömmlichen »Renditekorridor«. Damit agiert sie ausdrücklich nicht nach dem Prinzip von Nummer 2. Für Schirrmacher ist dieses Verhalten ein Fanal.
Tatsächlich ist in den Medien weitgehend unberücksichtigt geblieben, dass der Suhrkamp-Verlag aktuell keine Kredite bei den Banken beansprucht, sondern im Gegenteil liquide Mittel auf Konten besitzt. In der Ansicht der Ökonomen der Neoklassik ist dies jedoch ein Makel: Der Verlag müsste nach ihrer Logik das Geld einsetzen und gegebenenfalls Kredite aufnehmen, um zu investieren oder – wie es Barlach suggeriert – ihn auszahlen zu können. Für Schirrmacher sind es Unternehmen wie Suhrkamp, die das Land vor der Auslieferung an die Ego-Monster bewahrt.
»Ego – Das Spiel des Lebens« ist ein hysterisches Buch geschrieben mit dem Vorschlaghammer eines grobschlächtigen Alarmismus. Damit bietet es sowohl den Verfechtern neoklassischer Finanzökonomie, euphemistisch (und damit falsch) als »neoliberal« oder auch nur »liberal« bezeichnet, als auch pseudo-avantgardistischen Intellektuellen, die die Aufklärung in Gefahr sehen (die sehen sie immer in Gefahr, wenn ihre Weltsicht nicht ausreichend kolportiert wird) breite Einfallstore. Allesamt feuern sie auf die (zahlreichen) weichen Flanken des Buches. Die einen entdecken am zwanghaft-reduktionistischen Festhalten an der Verbindung Kalter Krieg zum Ego-Kapitalismus über die Spieltheorie eine mehr als fragwürdige Kausalkette. Tatsächlich wurde der Kalte Krieg mit der reinen (algorithmischen) Spieltheorie nicht überwunden. Stattdessen wurden Verhandlungen, Kooperationen und Abkommen zu einem essentiellen Bestandteil politischer (!) Entscheidungen. Unterschätzt wird auch die Attraktivität des Kapitalismus für diejenigen, die ihn gewaltsam entbehren mussten. Die anderen sehen wiederum ihr Märchenmodell vom »Jeder-ist-seines-Glückes-Schmied« beschädigt, obwohl die entsprechenden Fußnoten eines solchen Systems sofern es zur alleinigen Maxime wird (nepotistische Netzwerkkommunikation in Eliten beispielsweise) im Buch gar nicht erst thematisiert werden.
Schirrmacher hält den Kapitalismus nicht per se für schlecht. Seine Kritik richtet sich auch nicht gegen den Homo oeconomicus auf dem Wochen- oder im Supermarkt. Sie richtet sich gegen den in der Gesellschaft drohenden, selbstverständlich gewordenen Diskurs, alles einzupreisen und zu ökonomisieren und egomanisches Verhalten als Selbstverständlichkeit und unausweichlich darzustellen und zu belohnen, soziales und kollaboratives dagegen eher abzustrafen (bzw. als zu langatmig zu verwerfen). Gegen ein Gemeinwesen, welches dem »Wettbewerb« alles unterwirft und in der sich Politik nach dem Marktverhalten ausrichtet. Sie richtet sich gegen die Nummer 2 in der Schul- und Universitätspolitik, in der Kultur, in der sozialen Interaktion zwischen Menschen.
Wer hier mit politischer Gesäßgeographie von »links« oder »rechts« kommt, hat nichts verstanden. Schirrmacher geht es um die Konservierung eines in Deutschland noch zum Teil sehr gut erhaltenen Kulturgutes: des Provinzialismus. So steht der deutsche, »vernünftige« ökonomische (und wohl auch politische) Provinzialismus, der Eigensinn des unternehmerischen Mittelstands, der sich nicht von smarten Universitätsjüngelchen in Renditekorridore zwängen lässt und die so oft verspottete Biederkeit der deutschen Politik für den Kontrapunkt zur »Brave New World« der Globalisierung, die Ulrich Beck noch 2007 so wunderbar naiv zähmen und in einen globalen Kosmopolitismus mit (deutschen) Sozialstandards überführen wollte.
Schirrmacher erzeugt mit den rhetorischen Mitteln der neurotischen Überreizung ein eher unelegantes, dystopisch-deterministisches Verschwörungs-Narrativ, aber es kann nicht jeder ein Umberto Eco sein. Womöglich dient die überbordende, auf Dauer ermüdende Paranoia (dem Kalten-Krieg-Denken der 1950er/60er Jahre gelegentlich nicht ganz unähnlich) als rhetorischer Trick. Aber wenn es dann heißt, am Ende könne es sogar nur ein falscher Tweet sein, der alles aufs Spiel setzen vulgo: das Leben ruinieren kann, vermag man nur noch den Kopf zu schütteln.
Die kursiv gesetzten Passagen sind Zitate aus dem besprochenen Buch.
Nach diesem Referat kann ich nur sagen: ich muss dieses Buch lesen! (Was ich allerdings gerade getan habe)Das einzige Gegenargument ist »Hysterie« und »Alarmismus«. Der Rezensent, fixiert auf Schirrmacher-Bashing, übersieht dabei völlig, dass beides die Kennzeichen der Krise selbst waren und sind: hat Schirrmacher von einer »Welt am Abgrund« geredet oder die Finanzwirtschaft? Hat er das mögliche Ende Europas und des Euro beschworen? Wer hat diese rhetorischen nukes denn gezündet? Das Buch , so lese ich das, reagiert darauf. In einem Inzerview zitiert Schirrmacher Greenspsn: »Unser ganzes Denkgebäude ist zusammengebrochen«. Insofern kann ich in dieser Fleißarbeit leider kein valides Gegenargument erkennen sondern im Gegenteil völlige Böindheut gegenüber den politischen und rhetorischen Spezifika der Krise. Ist halt fein, sich über FS zu erheben. Ach: und war es nicht ein Tweet, der eine Olympionikin Olympia kostete? Einem Piraten den Job? Ein Facebook Eintrag, der zu Kündigung führte? Zu Mobbing und Selbstmord: 1 Satz war das. Gutes Referat, ressentimentgeladene Snslyse. Wann findet Schirrmacher endlich einen sachlichen Gegner auf Augenhöhöhe? Da die Kritik fehlt, halte ich es lieber mit dem Lob von Ulrich Beck in El Pais.
Erst einmal ein Danke für diese Rezension eines, habe ich nach ihrer Lektüre, den Eindruck, hochinteressanten Buches. Vielleicht, weil ich kein Problem mit der – ecco! – »Spiel»annahme habe, daß Verschwörungstheorien durchaus Träger von Wahrheiten sein, also Wirklichkeiten abbilden können, kann ich in der Kritik ein Schirrmacher-Bashing eigentlich nicht erkennen, wie mein Vorkommentator es unterstellt; das zwar spürbare Ressentiment ist jedenfall nicht »automatisch« Bashing. Voreingenommenheiten sind, wenn sie verstellt werden, sich also unkenntlich machen, sehr viel kritischer zu betrachten. Zu kurz allerdings wird auf Schirrmaches Haltung zum Suhrkamp/Barlach-Komplex eingegangen, bei dem es sich schlicht um einen gesellschafterrechtlichen Konflikt handelt, zu dem eine der beiden Parteien faktisch Anlaß gab. Auch schon Schirrmachers Thesen haben damit wenig zu tun; ein solcher Konflikt wäre auch in den Jahrzehnten zuvor notwendigerweise entstanden, immer dann nämlich, wenn (Minderheiten-)Gesellschafter zu einem Unternehmen Kapital beisteuern, ohne daß ihre dadurch entstehenden Rechte beachtet werden. Auch, ob Suhrkamp oder Siemens oder Schlecker, spielt bei so etwas gar keine Rolle.
Ich habe das Buch noch nicht gelesen; es scheint mir aber interessant zu sein, daß Schirrmacher offensichtlich sein eigenes Lebensfeld, den Kulturbetrieb nämlich, nicht ebenfalls explizit seiner eigenen Analyse zu unterziehen scheint. Trügt mich der Eindruck? Und dann wüßte ich gerne, wie Sie Ihre Ansicht über die asteride Rolle des Provenzialismus untermauern wollen und weshalb ausgerechnet er sich als Widerpart eignen können soll. Hier empfinde auch ich einen Haken, nein, ich spüre mehrere, in Ihrer Rezension, die genau da dem Gesetz einer Rhetorik folgt, die Sie andererseits Schirrmacher vorwerfen.
@Stefan
Meinen Text als »Referat« zu bezeichnen und »Schirrmacher-Bashing« zu unterstellen, könnte mich veranlassen, ebenfalls zu unterstellen: Entweder Sie haben meinen Versuch nicht (genau) gelesen – oder das Buch nicht. Nun ja.
Schirrmacher belässt es ja nicht bei der Beschreibung der »Spezifika« der Krise, sondern beschreibt seine Wahrnehmung des unaufhaltsamen Status quo, in dem er die amerikanischen Verhältnisse, wie sie sich ihm darstellen, auf Europa überträgt. Dabei suggeriert er eine Unausweichlichkeit, die uns am Ende zu maschinenhaften Egomanen abzurichten droht und vergisst die elementaren Steuerungen durch die Politik. Dass dies nicht geschieht, spricht ja nicht gegen die Möglichkeit, dass es geschehen könnte. Aber diese Möglichkeit zieht er nicht in Betracht, weil sie schlecht ins Konzept passt.
Keine Ahnung, welcher »Tweet« einer Olympionikin die Teilnahme gekostet haben soll. Wenn Sie die Ruderin meinen: die hatte ihre Teilnahme schon absolviert und stolperte nicht über einen Tweet durch sich, sondern über eine Denunziation der Medien. Das ist ein Unterschied. Dass bei den Piraten Positionen durch Tweets und Facebook-Einträge (oder auch nur SMS) vakant werden können, liegt in der Natur der Sache, weil ihre Kommunikation fast ausschließlich hierüber läuft und es sich um eine Horde erbarmungswürdiger Narzissten handelt. Sie würden niemals die Herrschaft des Fernsehens über die Politik beklagen, nur weil jemand in einer Talkshow eine skandalisierende Aussage trifft.
Ich habe die Besprechung von Ulrich Beck in der »Welt« nicht gelesen, geschweige denn in »El País«. Das überlasse ich großzügig den Verstehern.
@ANH
Natürlich ist der Suhrkamp-Fall ein firmeninterner Gesellschafterstreit. Im Gegensatz zu unzähligen anderen Konflikten dieser Art wird er jedoch in der Öffentlichkeit ausgetragen. Und es erscheinen zwei Parteien: Zum einen Frau Unseld-Berkéwicz und zum anderen Herr Barlach. Die Äußerungen Barlachs lassen sich vereinfacht auf zwei Sätze zusammenfassen: 1. Der Verlag verdient einfach zu wenig Geld. 2. Weg mit den Nischenbüchern, die nicht profitabel sind. Damit prallen vordergründig zwei Welten aufeinander: die eine, die eine Mischkalkulation betreibt und auch abseitige, sperrige Artikel im Sortiment führt, sofern sie gewissen ästhetischen Bedingungen (die der Verlag selber erstellt hat) genügen. Und zum anderen der des rein an der Rendite orientierte Geschäftsmanns, der, noch einmal vereinfacht, das Buch zur reinen Handelsware macht. In diesem sich derart abzeichnenden Konflikt ergreift Schirrmacher Partei für den Protagonisten, der sich nicht dem »Markt« und dessen Regularien unterwirft und auf eine gewisse »Optimierung« verzichtet. Dies habe ich als exemplarischen Fall für Schirrmachers Anti-Ego-Ideal gesehen. Diese Deutung mag abseitig oder falsch sein, aber es ist eine These.
Ja, Schirrmacher verliert kein Wort über spezifische Branchen (außer die Banken, aber auch nur periphär).
Natürlich benutze ich »Provinzialismus« als rhetorische Figur gegen das, was Schirrmacher da zu uns überschwappen sieht. Wenn er, wie im Buch, die Vernunft des Mittelstands lobend hervorhebt (das genaue Zitat ist in meiner Besprechung), dann kann ich mit gutem Gewissen diesen Schluß ziehen. (Im übrigen ist »Provinzialismus« für mich kein Schimpfwort. Mich stört er eher als Kampfbegriff beispielsweise wenn deutschsprachige Literatur als »provinziell« bezeichnet wird, wenn sie in einer mittleren Stadt spielt, während Bücher aus amerikanischen Peripherie-Orten niemals derart pejorativ bedacht werden.)
Nur um ein Detail zu ergänzen: Schon Anfang der 70er Jahre geriet die Übertragung der Spieltheorie auf plitische Fragestellungen in den USA in die Kritik, vor allem durch Historiker, die nämlich früher als die Ökonomen bemerkten, dass sich politische Kräfte mitnichten so rational verhalten wie ein Einkäufer beim Preisvergleich. Das war auch den Politiker selbst immer bewusst, die nämlich schon früh die »Verständigungspolitik« wichtiger fanden als die Drohgebärden. Es war nur schwierig, unter der Doktrin, dass Ost und West politisch inkompatibel sein, den Vorrat an Atomwaffen zu ignorieren. Den »Homo Oeconomicus« sollte man dabei weniger in der Politik als vielmehr bei der Rüstungsindustrie suchen.
Weil der Homo Oecomicus immer nur eine Chimäre und keine hinreichende Beschreibung von Handlungsmotiven war – ob in der Wirtschaft oder sonst wo in der Gesellschaft – ist die Annahme, das Vorteilsdenken würde inzwischen tatsächlich unser aller Herzen und Seelen besitzen, schon auf der Sach- und Beobachtungsebene einfach falsch. Die Argumente, die dagegen aufzuführen sind, sind Legion. Sie werden von der Spieltheorie selbst zur Verfügung gestellt, ferner von der Wirtschaft, der Psychologie in allen erdenklichen Formen, der Neurowissenschaft, und am Ende auch durch die Beobachtung, dass die Wirtschaft selbst durch zunehmende Arbeitsteilung immer mehr ihren Doppelcharakter entfaltet – die überall zu beobachtende Kooexistenz von egoistischen Handlungsmotiven mit kooperativem Wirtschaften. Es gibt kein Wirtschaften ohne Zusammenwirken.
Man kann natürlich leicht das lesende Publikum zur Zustimmung verführen, wenn man die Formulierungen, die gerade allegmein en vogue sind, mit irgendeiner herbeizitierten und zusammengereimten Herleitung verbindet. Ich meine, momentan muss man ja nur sagen, die Banken haben das Weltgeschehen und die ganze Politik im Griff und man bekommt zu seiner Begründung Applaus, egal wie sie lautet. Mit Fug und guten Argumenten, aber mit weniger Applaus-Appeal, könnte man das Gegenteil behaupten, dass nämlich die Politik bereits vor Jahrzehnten begonnen hat, den Finanz-Verstand auszuschalten, um stattdessen den ungetrübten »politischen Willen»durchzusetzen (vergl. dazu zum Exempel »Warum Europas Herzen immer noch verrottet sind«, .
Noch eins, warum mir Ihre Besprechung gut gefällt: Es fällt mir immer mehr auf, wie den Menschen das Vernünftigbleiben immer schwerer zu fallen scheint. Auf mich wirkt es so, als hätte es auch Schirrmacher aufgegeben, über die Sachverhalte und Zusammenhänge vernünftig und differenziert nachzudenken, um stattdessen die These rauszuhauen, die gerade am beliebtesten ist, lediglich mit einem neuen »Argument« versehen. Das bringt niemanden weiter, sondern trägt nur zum Tumult bei. Das ist für mich die große Enttäuschung, der Verlust von Dialektik und Nachdenklichkeit zugunsten von populistischer Meinungsmacherei, mit der dann der Feuilletonchef der FAZ sogar die Pop-Talkshows im TV bespielen kann. Insofern sehe ich in dieser Rezension einen angenehmen Kontrapunkt.
[Wer immer das war – Kommentar gelöscht, wegen falscher E‑Mail Adresse]
@Fritz Iversen
Schirrmacher nimmt ja streng genommen nicht den »Homo oeconomicus« als Ego-Monster, sondern den die elektronischen Systeme sukzessive infiltrierenden Algorithmus (der natürlich von Menschen programmiert und entwickelt wurde), die »Nummer 2«, also eine Art Weiterentwicklung.
Es wäre interessant gewesen, den tatsächlichen Teil von »Ökonomie«, also das, was man mal ein bisschen ungenau »soziale Marktwirtschaft« nannte, in den Entscheidungen und Handlungen der Protagonisten zu untersuchen. Indem man nämlich eine Austeritätspolitik betreibt und für die Bankschulden bürgt und damit den Zusammenbruch bzw., weniger pathetisch, den Konkurs von Banken bewusst unterbindet. betreibt man gerade keine »Ökonomie, sondern Lobbyismus und Politik. Das weiß Schirrmacher sehr gut. Aber er sieht den Fehler in der Programmierung von Maschinen zum egoistischen Handeln.
Vermutlich weiss niemand, was geschehen würde, wenn bspw. die spanische »Banka« pleite gehen würde. Daher reagiert man mit der Fütterung des Fuchses, der vorher die Hühner gefressen hatte – damit er bitteschön nicht noch mehr Hühner fresse.
Schirrmachers Thesen sind womöglich deshalb populär, weil sie das diffuse Gefühl der Ohnmacht bestätigen. Verschwörungstheorien leben davon, dass ihre Unausweichlichkeit den Betrachter zum Zuschauer macht, der nichts mehr ändern kann. Also entsteht auch keine Schuld, da andere Mächte den Gang der Dinge beschleunigen.
Von Schirrmacher erwarte ich schon seit seinem vorletzten Buch, dass er bald überschnappt. Insofern kann ich seine Szenarien der Entfesselung, Maschinisierung und Ego-Zwangs-Manien gut nachvollziehen. Alles nur eine Frage der Zeit...
Es ist, um Kommentar beizupflichten, schon merklich, dass der Glaube an die Vernunft, d.h. ihre EXISTENZ, ihre Kraft, ihre Sinnhaftigkeit abnimmt. Dass daran konkurrierende Theorien (?!) oder struktur-gewalttätige Algorhythmen Schuld sein könnten, glaube ich nicht. Der Vernunft-Begriff impliziert zwar Pläne und Prognosen, aber nicht alle Pläne, Prognosen und abgeleiteten Handlungen sind »vernünftig«. Das ist kategorialer Quatsch, bzw. (wie Schirrmacher es ausdrücken würde) das Eindringen der polemischen Absicht in den eigenen, der Ordnung halber aber stets zu pflegenden Begriffsapparat. Merke: sich selbst taktisch-hysterisch über den Haufen zu argumentieren, bringt niemanden eine Vorteil (spieltheoretisch betrachtet).
Danke i.üb. an Keuschnig, der die Korrektur am Begriff »Neoliberalismus« durchgeführt hat, mit Verweis auf die neoklassischen Theorien. In der Tat tut hier Übersicht not. Inzwischen geistert immer mehr Halbwissen durch den Äther.
@die_kalte_Sophie
Eben dieses »Übergeschnappt«-Sein ist es ja, was mich verwundert. Und dann überlegen lässt, ob dieses Buch ist eine Art Erzählung ist.
(Zur Vernunft und deren merkwürdig untergeordnete Rolle im Diskurs: d’accord!)
Was ist von dem Vorwurf der allzuvielen Fehler im EGO-Buch zu halten? Übertreibt der Merkur?
@Jeeves
Der »Merkur« bezieht sich nicht auf das Ego-Buch, sondern auf »Payback«.
Hier noch eine interessante Deutung.
(Und, ich habe das schon mal gesagt: Ich habe Schirrmacher immer eher als eine Art Blogger gesehen – also weniger als »Journalist« [»objektiv«, abwägend etc.], wie es immer noch von Leuten wir ihm erwartet wird.)
Ehrlich gesagt kann ich mit diesem Text wenig anfangen. Abgesehen davon, dass er dauernd »Roloff« statt »Rohloff« schreibt, werden da Sachen miteinander verknüpft, die wenig miteinander zu tun haben. Ich zweifle ernsthaft an, dass Schütte das Buch wirklich gelesen hat; womöglich urteilt er aufgrund der Sekundärliteratur. Hierfür spricht sein letzter Satz zum Schirrmacher-Buch: »Prüfe sich doch einmal jeder, ob er frei davon & kein homo oeconomicus ist – und wenn (falls): warum, wobei, wodurch?« – Um diese Prägung bzw. Verführbarkeit geht es F. S. eigentlich gar nicht. Es geht um das Fatum, diesem Denken durch Maschinen (Computer) sozusagen vereinnahmt zu werden, d. h. meine tatsächlichen Entscheidungen spielen gar keine Rolle mehr, sondern werden im Sinne von Nummer 2, der nicht Homo oeconomicus ist, für mich getroffen. (Das ist jetzt stark verkürzt.)
Im Grunde ist »Ego« ein Essay, der mit einer großen apodiktischen Geste daherkommt und im bibliografischen Teil den Leser mit 408 Angaben füsilieren möchte. Man müsste nun – in Anlehnung an Rohloff – nicht nur die Grammatikfehler aufzählen (so etwas fällt mir in der Regel eher selten auf), sondern die Zitate durchforsten nebst deren Übersetzungen. Aber wer macht das?
Ich verstehe, was Sie mit dem »Blogger«-Rubrum sagen wollen, obwohl das ja implizit schon bedeutet, dass »Blogger« per se emotionale Schreiber sind, die es, salopp formuliert, nicht so genau mit der Recherche nehmen. Für mich sind Schirrmachers regelmässige Analysen, die immer perfekt orchestriert sind, Belege dafür, wie in Medien überhaupt noch kontroverse Problematiken noch wahrgenommen werden: als alarmistische Übertreibungen mit steilen Thesen. Die Verbindung »Prominenter« und »apokalyptische These« ist dabei derart faszinierend, dass die eigentliche Auseinandersetzung vor lauter Ehrfurcht gar nicht zustande kommt, bzw. Monate oder Jahre später. Dann gibt es aber wieder eine neue These, ein neues Buch. Will sagen: Der abwägende Journalist hat nur Potential für Seite 5 unten links bzw. einen dreiminütigen »Kulturzeit«-Beitrag. Maximal. Das ist das Dilemma. Aber auch schon wieder Kulturkritik.
Aber wenn es doch nun mal so ist, das mit dem Alarmismus? Alles kritisieren es und müssen ihn doch mehr oder minder bedienen. Tatsächlich passt das ja nicht mal mit dem Analyse-Gestus des Buches.
Worauf ich hinauswollte – und Schütte traue ich da sozusagen Insiderwissen zu -, ist der Teil an persönlicher Motivation, so etwas zu schreiben. Jemand, der die Welt tiefer lesen und sie warnen will (sie „retten“), verknüpft ja doch stark sein Sendungsbewusstsein mit einem vernommenen Ruf. (Bzw. einem existierenden, den es da zu verteidigen gilt.) Wenn das Buch also – oder auch nur verlegerisch – ein Schnellschuss ist, ein salvatorischer, würde das Einiges an den kritisierten Argumenten und vor allem den Tonlagen erklären. (Wie die Flüchtigkeitsfehler ihrerseits etwas erklären.) (Wie aber die Tonlagen heutzutage ganz wichtig ist, die Öffentlichkeiten als „sound“.)
Letztlich unterliegt dem aber auch die von einem längeren Atem abhängende Literatur, siehe Goetz und so manche andere: Sie muss eben etwas schneller werden – und kann es manchmal auch.
Ich merke bei mir selber, dass ich so manches gar nicht mehr lesen will (es auch nicht muss) , aber in den mir aufbereiteten Lesarten doch bestens mit Aktualität und „Agenda-Setting“ bedient werde. Dafür braucht es zuspitzende Autoren, die einen Gedanken- oder Analyse-Mehrwert bereitstellen für ein Medien- und mind-set, das damit schon bedient ist. „Ego“ ist so gesehen in mehrerer Hinsicht etwas für und auf einem Markt.
Und auch der Blogger fühlt sich ja berufen. Schirrmacher (und dieses „Gefühl“ hatte ich bei ihm von Anfang an), passt da wunderbar rein. Mit einem Altkanzler-Wort: „Er ist der Mann der Stunde… immer wieder.“ (So nehme ich ihn wahr, und die Frage ist, ob es bei all diesen Dingen dann um Kritik noch geht: Die ist schon mit eingerechnet, braucht es ja, um das Gedankengebäude zu transportieren. Letztlich brauche ich dann auch gar nicht mehr einverstanden sein. Als solch einen Autor sehe ich S. Und in zwei Jahren geht es dann um ganz was anderes.)
Sind nicht gerade diese »zuspitzenden« Autoren das, was man irgendwann nicht mehr lesen kann (oder mag)? Wird mir nicht inzwischen zu häufig gerade das hyperventilierende, aufrüttelnde, »engagierte« geboten? Und wird nicht gerade durch diese Schnellschuss-Strategie der Wert dessen, was gesagt werden soll, unter Umständen auch entwertet?
Wie steht es um die »Enthüllungen« von Rohloff? Es sind einerseits grammatikalische Fehler. Andererseits soll F.S. in »Payback« falsch oder entstellend zitiert haben. Merde, kann man da sagen. Aber ist dadurch schon die These widerlegt? Ich meine, nein. So ist dieses notwendig genau hinschauende auch immer etwas Spießiges. Rohloff hätte dies nie unternommen, wenn ihm nicht F. S. oder die These oder beides in gewisser Weise unsympathisch gewesen wäre. Aber andererseits wäre ein solches Buch nie durch ein Lektorat gegangen, wenn nicht F. S. dort als Autor gestanden hätte.
Muss nicht die Gesinnungskritik immer mitbedacht werden? Gerade bei jemandem wie Schirrmacher, der vermeintlich in Drachenblut gebadet haben soll? Ein bisschen kommt mir das vor, als untersuche man Bücher immer mehr wie jene öminösen Doktorarbeiten. Wenn dann nichts oder nur wenig bleibt, geht’s an die Grammatik. So vermeidet man zielsicher den Diskurs in der Sache. Aber das liegt dann auch daran, mit welchem Aplomb ein solches Buch begleitet wird.
Vielleicht ist sogar schon der Titel »Ego« eine triviale Verkürzung dessen, was tatsächlich gesagt werden soll: Dass ein gemeinhin als darwinistisch bezeichnetes, jeglichen ethischen Verhaltens entleertes Verhalten in die Maschinen implantiert wurde. Überspitzt formuliert bringt so etwas aber nur sehr vorläufig den erhofften Gewinn. Unerklärt bleiben die Blasen, und, vor allem: die Folgen hieraus. Diffus wird das Drucken von Geld als Maßnahme genannt, aber damit gewinnt man nur Zeit. Was ich Schirrmacher vorwerfe ist, dass er seinen Status quo nicht zu Ende denkt. Das bedeutet – abermals pointiert formuliert – das er zu wenig Science-Fiction bietet, statt zu viel.
Ich tue mir, ohne das Buch gelesen zu haben, äußerst schwer auch nur ansatzweise in Schirrmachers Überlegungen hinein zu finden (sie also: nachzuvollziehen).
Ein Umstand ist, soweit ich das sehe, bedenkenswert: In dem Buch scheint die Überlegung zu stecken, dass entweder eine Theorie (mit einigem Erklärungswert) zu einer Art Weltsicht wurde (mutierte) oder aber, dass jemand (oder viele — der Autor? die Menschen?) Welt und Theorie miteinander verwechselt haben. Jedenfalls bedeutet der Erfolg einer ökonomischen Theorie, wie der jeder anderen wissenschaftlichen, nicht, dass sie wahr ist, nur weil sie Erfolg hat. Ein Irrtum, den man häufig beobachten kann. Der springende Punkt ist nun: Sitzt Schirrmacher diesem Irrtum alleine auf (reflektierte er diesen Umstand?)? Wurde dies absichtlich propagiert, des ökonomischen Erfolgs wegen und sind wir am Ende zu reinen (!) Egoisten geworden, gab es also eigentlich niemals etwas, das man Irrtum nennen könnte? Wie auch immer: Den Unterschied zwischen Theorie und Wirklichkeit ins Auge zu bekommen, kann dem Diskurs, dessen Mängel oben völlig richtig benannt wurden, eigentlich nicht schaden.
Die Angelegenheit mit der Marionette hätte ich anders gedeutet (zugegeben eng an das Theater angelehnt): Nur der tatsächliche Beinahe-Tod derselben, macht das Spiel überhaupt erst möglich.
Schirrmachers These geht dahin, dass wir sozusagen zu reinen Egoisten dressiert werden und diesem Schicksal nicht mehr entgehen können, da alle anderen Umstände diesem Denken untergeordnet sind (sehr verkürzt). Mir ist gerade dieses schicksalshafte, was mir nicht gefällt. Selbst wenn inzwischen Maschinen, Algorithmen uns »fremdsteuern«, dann kann dies bei entsprechender Einsicht jederzeit abgebrochen werden. Die Strukturen, warum dies vielleicht nicht geschieht, beleuchtet Schirrmacher gar nicht.
Schirrmachers Ego-These ist ja keineswegs neu, nur ihre Herleitung (so weit ich das sehen kann). Wir haben das hier irgendwann schon einmal diskutiert, ich weiß allerdings nicht mehr wo, im Sinn einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung (Technisierung, Individualisierung, Spezialisierung).
Pingback: Treu bis in den Tod – Schirrmacher bekämpft das Methusalem-Komplott | bluthilde
De mortuis nihil nisi bene. Da er nun so früh abgetreten ist, bekommt er bestimmt noch vor seinem sechzigsten eine histrionisch-kritische Gesamtausgabe. Darin der Methusalem-Komplott, dem er Leben wie Tod gewidmet hat!