Wenn und Aber

Ein kur­zer Rück­blick auf »2001: Odys­see im Welt­raum«

Ge­stern1 zum er­sten Mal »Odys­see 2001« von Stan­ley Ku­brick ge­se­hen, als Vi­deo und mit fünf­zig Jah­ren Ver­spä­tung ge­wis­ser­ma­ßen; sei­ner­zeit hat­te mich »Bar­ry Lyn­don« tief be­ein­druckt, der Ein­druck ist bis heu­te ge­blie­ben.

Die­se aben­teu­er­li­che Rei­se zum Mond und wei­ter zum Ju­pi­ter ist ei­gent­lich ein Kam­mer­stück: we­ni­ge Men­schen, die Räu­me im All und in den recht ge­räu­mi­gen Raum­schif­fen fast leer, ob­wohl der Mond in die­sem Jahr 2001 schon ei­ne Men­schen­ko­lo­nie zu be­her­ber­gen scheint. Die gan­ze zwei­te Hälf­te (oder län­ger) sind da nur zwei Fi­gu­ren, bzw. drei, zwei Men­schen und ein Com­pu­ter, am En­de nur noch ei­ner, der sich ver­wir­rend ver­viel­facht.

Stam­mes­ge­schich­te und In­di­vi­du­al­ge­schich­te; An­fang und En­de und Neu­an­fang. Zeit­ko­lo­rit: die psy­che­de­li­sche Rei­se, ein LSD-Trip, künst­li­che Far­ben, die in ra­sen­den Wel­len auf dich zu­ge­schos­sen kom­men. Das Au­ge ist, was es sieht.

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  1. Den Beitrag erhielt ich vor einigen Tagen zugeschickt. - G. K. 

Wi­der ein Recht auf Ver­tu­schen

Die di­gi­ta­le Welt, die seit ei­ni­gen Jah­ren erup­tiv die Le­bens­ge­wohn­hei­ten der Men­schen zu ver­än­dern scheint, hat ei­nen neu­en Rechts­be­griff her­vor­ge­bracht, der den re­vo­lu­tio­nä­ren Im­pe­tus auf ei­ne neue, in Win­des­ei­le er­rich­te­te Um­ge­hungs­stra­ße um­lei­ten möch­te und den wir­ren Ver­kehr auf den Da­ten­au­to­bah­nen ent­la­sten soll. Es ist die Re­de vom »Recht auf Ver­ges­sen« bzw. »Recht auf Ver­ges­sen­wer­den«, wel­ches durch das Ur­teil des Euro­päischen Ge­richts­hofs die Ord­nungs­sehn­sucht des ana­lo­gen Bie­der­manns zu er­fül­len trach­tet.

Das Ur­teil ge­stat­tet ab so­fort prak­tisch je­dem die über ihn ab­ge­spei­cher­ten Hin­wei­se, die ei­ne Such­ma­schi­ne fin­det, de­ak­ti­vie­ren zu las­sen. Der vom Link be­trof­fe­ne In­halt sel­ber wird da­bei we­der ge­prüft noch ist er Ge­gen­stand des In­ter­es­ses. Er muss nicht ent­fernt wer­den, was auch ent­behr­lich ist, da im di­gi­ta­len Voll­rausch der Über­brin­ger längst zur wich­tig­sten Per­son wur­de. Er­leich­tert stellt man fest, dass Ge­or­ge Or­wells Dys­to­pie des Zei­tungs­fäl­schens je nach po­li­ti­scher Groß­wet­ter­la­ge prak­tisch aus­fällt. Hät­te Or­well al­ler­dings von Such­ma­schi­nen und dem In­ter­net auch nur ei­ne Ah­nung ent­wickelt, hät­te sein Ro­man ziem­lich si­cher das Ur­teil an­ti­zi­piert.

Die Furcht des Heu­ri­sti­kers

Der Ar­chi­var des di­gi­ta­len Zeit­al­ters ist ei­ne Ma­schi­ne, die mit von Men­schen in ei­ne be­stimm­te Rei­hen­fol­ge pro­gram­mier­ten Kri­te­ri­en Me­di­en auf­spürt. Wie beim Bi­blio­the­kar, der ei­nem frü­her auf Such­be­grif­fe hin ei­ne Aus­wahl prä­sen­tier­te, sind die Kri­te­ri­en der Ma­schi­ne letzt­lich un­ge­wiss. Über­haupt sind die Ge­mein­sam­kei­ten zwi­schen mensch­li­chen Fin­dern und Ma­schi­nen ver­blüf­fend: Bei­de wäh­len aus, zu­meist nach quan­ti­ta­ti­ven Kri­te­ri­en. Ab­sei­ti­ges kommt eher sel­ten vor. Der mensch­li­che Ar­chi­var hat sel­ten ei­ne Sei­te 2; der in Such­ma­schi­nen agie­ren­de Fra­ger ver­wen­det die ihm an­ge­bo­te­ne zwei­te Sei­te eben­falls sehr sel­ten. Man sucht das schnel­le Re­sul­tat.

Die Tech­ni­fi­zie­rung der Wis­sens­su­che im In­ter­net ist dem Heu­ri­sti­ker un­heim­lich. Der Mensch, der ge­lernt hat, sich als Kro­ne der Schöp­fung zu se­hen, kann sich nicht da­mit ab­fin­den, ei­ner Ma­schi­ne un­ter­le­gen zu sein. So hat es Jahr­zehn­te ge­dau­ert bis die Schach­spie­ler ak­zep­tiert ha­ben, dass Com­pu­ter ih­nen in na­he­zu al­len Spiel­si­tua­tio­nen auf Dau­er über­le­gen sein wer­den. Men­schen sind ge­zwun­gen, sich in ei­ne Par­al­lel­welt zwei­ter Klas­se zu­rück­zu­zie­hen. Hier do­mi­niert der Feh­ler. In der Ana­ly­se der Par­tie ent­deckt dann die Ma­schi­ne, wie es hät­te bes­ser wei­ter ge­hen kön­nen. Die Scha­dens­be­gren­zung geht nur noch da­hin, dass Men­schen bei ih­ren Wett­kämp­fen nicht ver­bo­te­ner­wei­se auf der Toi­let­te die Hil­fe der Ma­schi­nen ab­fra­gen.

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Von Quants und an­de­ren Mon­stern

Frank Schirr­ma­chers »Ego – Das Spiel des Le­bens« ist ei­ne wil­de Alarm­ma­schi­ne und ka­pi­tu­liert all­zu vor­ei­lig

Frank Schirrmacher: Ego - Das Spiel des Lebens
Frank Schirr­ma­cher: Ego – Das Spiel des Le­bens
Cover - Mario Puzo: Der Pate
Co­ver – Ma­rio Pu­zo: Der Pa­te

Das Co­ver von »Ego – Das Spiel des Le­bens« weckt As­so­zia­tio­nen an Ma­rio Pu­zos Buch (und auch dem Film) »Der Pa­te«. Hier wie dort das Sym­bol der Ma­ni­pu­la­ti­on: die Ma­rio­net­te. Am En­de zi­tiert Schirr­ma­cher den fran­zö­si­schen Schrift­steller Paul Va­lé­ry, des­sen Fi­gur Mon­sieur Te­ste die »Ma­rio­net­te« ge­tö­tet hat­te. Man muss ge­nau le­sen: Hier soll nicht die Ma­rio­net­te eman­zi­piert und von ih­ren Fä­den be­freit wer­den. Hier geht es um den Tod der Fi­gur. Erst wenn die­se tot ist, hat der Ma­rio­net­ten­spie­ler kei­ne Macht mehr. Das be­mer­kens­wer­te ist: Die Ma­rio­net­te sind wir sel­ber bzw. das, was im Lau­fe der Zeit Be­sitz von uns ge­nom­men hat. Der Tod der Ma­rio­net­te ist, so kann man das in­ter­pre­tie­ren, die Ex­or­zie­rung des Bö­sen in uns. Ob da der Satz Die Ant­wort war falsch als Slo­gan der Aus­trei­bung aus­reicht?

Wor­um geht es? Schon früh das Be­kennt­nis, das Buch be­stehe letzt­lich nur aus ei­ner einzige[n] The­se, die des »ökonomische[n] Im­pe­ria­lis­mus«: Da­mit ist ge­meint, dass die Ge­dan­ken­mo­del­le der Öko­no­mie prak­tisch al­le an­de­ren So­zi­al­wis­sen­schaf­ten er­obert ha­ben und sie be­herr­schen. Den Keim für die­se Ent­wick­lung zum »Öko­no­mis­mus« (das ist mei­ne For­mu­lie­rung, die wo­mög­lich un­ge­nau ist, aber viel­leicht ge­ra­de in ih­rer Verein­fachung vor­über­ge­hen­de Hil­fe­stel­lung bie­tet) fin­det Schirr­ma­cher im Er­folg der Spiel­theorie, die, so die The­se, den Kal­ten Krieg so­zu­sa­gen ge­won­nen ha­be. Als das planwirt­schaftliche Sy­stem ob­so­let wur­de, ahn­te nie­mand, wel­che Aus­wir­kun­gen dies ha­ben wür­de. Die Phy­si­ker wech­sel­ten an die Wall Street und im­ple­men­tier­ten die Lo­gik des Kal­ten Krie­ges in die Ma­schi­nen, die dann ab den 1990er Jah­re im­mer mehr den Pri­vat­raum der Men­schen er­ober­ten.

Der neue Kal­te Krieg

Im Kal­ten Krieg galt das »Gleich­ge­wicht des Schreckens«. Wer den ato­ma­ren Erst­schlag aus­lö­ste, muss­te da­mit rech­nen, eben­falls ver­nich­tet zu wer­den. Zu­erst zu­schla­gen hieß, als Zwei­ter ver­nich­tet zu wer­den. Der Erst­schlag bot kei­nen Ge­winn­an­reiz. Die­ses Sze­na­rio muss­te im­mer wie­der neu an­ge­strebt und als Prä­mis­se eta­bliert blei­ben bzw. wer­den. Da­mit war klar: Kei­ner wür­de ris­kie­ren, die Welt un­ter­ge­hen zu las­sen, wenn er selbst da­bei drauf­gin­ge. Und das ist dar­aus nach 1990 ge­wor­den: Kei­ner wird ris­kie­ren, uns un­ter­ge­hen zu las­sen, wenn wir da­für ei­ne gan­ze Welt in den Ab­grund stür­zen, war 50 Jah­re spä­ter nach­weis­lich die Lo­gik der Too-big-to-fail-Stra­te­gen von Leh­man bis AIG.

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Frank Schirr­ma­cher: Payback

Frank Schirrmacher: Payback
Frank Schirr­ma­cher: Payback

In den 1980er Jah­ren ver­dich­te­te sich ins­be­son­de­re in links­in­tel­lek­tu­el­len Krei­sen die Furcht, ja Angst, vor ei­ner staat­lich kon­trol­lier­ten und re­gu­lier­ten Welt, ei­ner Art »Über­wa­chungs­staat« ge­mäß dem Schreckens­bild des En­de der 40er Jah­re ge­schrie­be­nen Bu­ches »1984« von Ge­or­ge Or­well. In der Bun­des­re­pu­blik be­ka­men die Vor­be­hal­te durch ei­ne ge­plan­te Volks­zäh­lung zu­sätz­li­che Nah­rung (wo­bei im Ver­gleich mit den heu­ti­gen tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten die Äng­ste von da­mals ge­ra­de­zu put­zig er­schei­nen). Frank Schirr­ma­cher zi­tiert in sei­nem Buch »Payback« ei­ne Stel­le aus Neil Post­mans Buch »Wir amü­sie­ren uns zu To­de« aus dem Jahr 1985, in dem die­ser die Dif­fe­renz zwi­schen Or­wells »1984« und dem an­de­ren, vi­sio­när-schau­ri­gen Ro­man des 20. Jahr­hun­derts, Al­dous Hux­leys »Schö­ne neue Welt«, her­aus­ar­bei­tet:

»Or­well warnt da­vor, dass wir von ei­ner von au­ßen kom­men­den Macht un­ter­drückt wer­den. Aber in Hux­leys Vi­si­on braucht man kei­nen Gro­ßen Bru­der, um die Men­schen ih­rer Au­to­no­mie, Ver­nunft und Ge­schich­te zu be­rau­ben. Er glaub­te, dass die Men­schen ih­re Un­ter­drückung lie­ben und die Tech­no­lo­gien be­wun­dern wer­den, die ih­nen ih­re Denk­fä­hig­keit neh­men. Or­well hat­te Angst vor den­je­ni­gen, die Bü­cher ver­bie­ten wür­den. Hux­ley hat­te Angst da­vor, dass es gar kei­nen Grund mehr ge­ben könn­te, Bü­cher zu ver­bie­ten. In ‘1984’ wer­den Men­schen kon­trol­liert, in­dem man ih­nen Schmer­zen zu­fügt. In der ‘Schö­nen neu­en Welt’ wer­den Men­schen kon­trol­liert, in­dem man ih­nen Freu­de zu­fügt.«

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