Sa­scha Lo­bo: Stroh­feu­er

Sascha Lobo: Strohfeuer

Sa­scha Lo­bo: Stroh­feu­er

Ir­gend­wann sitzt Ste­fan, der knapp 25jährige Ich-Er­zäh­ler in Sa­scha Lo­bos Ro­man »Stroh­feu­er«, in sei­ner Stamm­bar, ei­ner Yup­pie­höl­le und dach­te wei­ter nach. In der Po­se des nach­denk­li­chen Man­nes an der Bar ge­fiel ich mir au­ßer­or­dent­lich gut; im Glas ei­nen neun­zehn­jäh­ri­gen Glen­craig, den ei­nen El­len­bo­gen auf­ge­stützt, die Hand lo­se zum Kinn ge­führt, den Ober­kör­per bei ge­ra­dem Rücken leicht nach vorn ge­lehnt. Ver­schie­de­ne Kör­per­hal­tun­gen wer­den durch­pro­biert und er über­leg­te, mit wel­cher mich Frau­en am ehe­sten an­spre­chen wür­den. Und der Le­ser er­fährt noch: Mit mei­ner Wir­kung im Raum be­schäf­tig­te ich mich oft, ei­gent­lich im­mer und die Kon­trol­le über mei­ne Wir­kung war ein we­sent­li­cher Teil mei­ner Kom­mu­ni­ka­ti­on.

Ste­fan lei­det in die­sem Buch an vie­lem – nur nicht an man­geln­dem Selbst­be­wusst­sein. Sein Nar­ziss­mus wird nur noch von der Rü­pel­haf­tig­keit sei­nes Teil­ha­bers Thor­sten über­trof­fen. Bei­de be­trei­ben so et­was wie ei­ne Werbe‑, IT- oder Mar­ke­ting­agen­tur – ei­ne die­ser merk­wür­di­gen »Dotcom«-Firmen in der Blü­te­zeit der New Eco­no­my En­de der 90er Jah­re. 2001 kommt es zum öko­no­mi­schen Zu­sam­men­bruch auch für die Agen­tur im Ro­man, der mit den Ter­ror­an­schlä­gen vom 11. Sep­tem­ber 2001 ver­knüpft wird. In Wirk­lich­keit zer­platz­te die Bla­se ja schon an­dert­halb Jah­re vor­her. »Stroh­feu­er« er­zählt Ste­fans (und Thor­stens) Ge­schich­te mit die­ser Agen­tur.


Er­zählt? Na­ja. Bü­cher, die schon auf der er­sten Sei­te mit ei­ner Be­wer­bungs­schrei­ben-Pro­sa für die Po­si­ti­on des Tür­ste­hers ei­nes neu er­öff­nen­den Bor­dells auf­war­ten, soll­te man ei­gent­lich schnell­stens ent­sor­gen: Ich war ein Mei­ster dar­in, Nu­an­cen in Mi­mik, Ge­stik und Aus­spra­che von an­de­ren Men­schen wahr­zu­neh­men und ge­schickt und schnell dar­auf zu re­agie­ren. Und kurz dar­auf kommt Ste­fan zu der Er­kennt­nis: weil ich Ge­sich­ter le­sen konn­te, konn­te ich auch Men­schen ma­ni­pu­lie­ren. Nach die­ser ge­ball­ten Do­sis Hy­bris treibt dem Le­ser nur noch die Hoff­nung knir­schend wei­ter.

Aber die Spra­che Lo­bos ver­sagt fast im­mer, wenn Ste­fan über sich und sei­ne Be­find­lich­kei­ten schwa­dro­niert. Vie­les ist ent­we­der un­frei­wil­lig ko­misch oder ir­gend­wann nur noch red­un­dant. So ist das Se­xu­al­le­ben Ste­fans trotz Freun­din Le­na durch­aus pro­mis­kui­tiv, aber mehr als vö­geln oder ficken be­kommt man nicht ge­bo­ten. Da­für gibt es dann ein Ka­pi­tel mit der Schil­de­rung ei­ner Nacht­fahrt von 1450 Ki­lo­me­tern in sie­ben­ein­halb Stun­den. Le­na schick­te be­zie­hungs­pro­ble­ma­ti­sche SMS und Ste­fan woll­te sie in Gstaad über­ra­schen, nach­dem er noch ei­ne ehe­ma­li­ge Kol­le­gin ge­vö­gelt hat­te. Beim Le­sen der Au­to­fahrt hat man das Ge­fühl, die rea­len sie­ben­ein­halb Stun­den ne­ben Ste­fan zu sit­zen. Aus­gie­big wird man über den je­wei­li­gen Ta­cho­stand in­for­miert. Ir­gend­wie pas­send dann Le­nas Re­ak­ti­on, die ih­rem Lo­ver na­tür­lich nicht um den Hals fällt, son­dern ihn sehr ernst an­sieht. Im­mer­hin ist ihr Aus­spruch tref­fend: »Du bist der ein­zi­ge Mensch, den ich ken­ne, bei dem ei­ne nächt­li­che Rei­se in die Schweiz nicht zwin­gend be­deu­tet, dass er mich liebt.« In sei­nem fort­schrei­ten­den Rea­li­täts­ver­lust in­ter­pre­tiert Ste­fan dies als coole[n] Lie­bes­be­weis. Auch das Ge­schenk ei­nes Su­per-Kopf­hö­rers, des­sen Preis er vor­sorg­lich nur un­ge­nü­gend ent­fernt, da­mit man ihn noch er­ken­nen kann, ver­fängt nicht, weil er den Kopf­hö­rer aus Ver­se­hen in sei­ner Grö­ße ge­kauft hat­te. Aha.

Vie­le Bil­der Lo­bos wir­ken in ih­rem ge­ra­de­zu krampf­haf­ten Be­mü­hen um Ori­gi­na­li­tät pa­ra­do­xer­wei­se ge­ra­de des­we­gen höl­zern. Et­wa wenn es von Le­na heisst, sie sei das Ge­gen­stück zu ei­ner Son­nen­blu­me: Wenn die Son­ne un­ter­ging, blüh­te sie auf. Als Ste­fan ein­mal un­ge­kämmt ins Bü­ro kommt, macht ihn Tho­mas auf sei­ne Bums­pal­me auf­merk­sam. Oder wenn San­dra, die Kol­le­gin, ih­re Au­gen­brau­en ein­zeln he­ben konn­te, ist dies das Na­palm des Flir­tens (ich glau­be, das kann Ines Pohl auch). Die Ver­hand­lungs­stra­te­gie des Good Cop, Bad Cop-Rol­len­spiels ist ein ur­alter Hut. Und die Sprich­wort­ver­ball­hor­nung Aus dem Brow­ser­ver­lauf, aus dem Sinn für das Ver­ges­sen des Part­ners, ihn beim Sur­fen auf Por­no­sei­ten er­wischt zu ha­ben, ist höch­stens sub­ori­gi­nell. Voll­ends ins Lä­cher­li­che kippt es, wenn ver­sucht wird, die Hy­bris Thor­stens als Gro­tes­ke zu in­sze­nie­ren. Bei­spiel­haft da die Sze­ne, als ein säu­mi­ger Zah­ler mit ma­fio­sen Me­tho­den zur Über­wei­sung der Wu­cher-Rech­nung ge­nö­tigt wer­den soll­te: Man woll­te ein Schwein vor sei­nem Haus und in des­sen Bei­sein köp­fen. Lei­der müs­sen zwei un­schul­di­ge Fer­kel dran glau­ben und das im Kof­fer­raum er­stick­te Tier dient als Hit­ler­schwein dem all­ge­mei­nen Amü­se­ment der Be­leg­schaft.

Beim Mo­ra­li­sie­ren reicht es ma­xi­mal zur ve­ri­ta­blen Bau­ern­schläue. Et­wa, wenn Ste­fan vor sich sel­ber be­kräf­tigt, Le­na nicht an­ge­lo­gen zu ha­ben, als sie ihn frag­te, ob er San­dra oder Ka­thi ge­küsst hät­te. Ich sag­te nein, denn ich hat­te San­dra und Ka­thi ge­küsst. Das es dann zum Drei­er kam, war auch nicht mit­tei­lungs­not­wen­dig, denn schließ­lich: Nach Sex hat­te sie nicht ge­fragt. Ste­fans Spe­zia­li­tät ist es nicht zu lü­gen und den­noch un­glaub­lich weit von der Wahr­heit ent­fernt zu sein. Wenn er es mit ei­ner ge­ra­de ent­las­se­nen, an­de­ren Kol­le­gin treibt, die zu­dem noch von ih­rem Freund schwan­ger ist, fand er es an­re­gend und zu­dem an­ge­nehm, dass wir nicht auf Ver­hü­tung ach­ten muss­ten. Und die Aus­flü­ge in die Kind­heit als geachtete[r] Mur­mel­ban­kier für we­ni­ge Ta­ge kom­men über den Er­kennt­nis­wert ei­ner stu­den­ti­schen Ver­tre­tungs­stun­de in VWL nicht hin­aus.

Über­trof­fen wer­den Ste­fans Cha­rak­ter­de­fi­zi­te vom et­was äl­te­ren Thor­sten, ei­nem auf den er­sten Blick ein­neh­men­den und ver­trau­en­er­wecken­den Men­schen der Ka­te­go­rie Kühl­schrank­ver­käu­fer in Grön­land, in Wahr­heit cho­le­risch, grö­ßen­wahn­sin­nig und rück­sichts­los, den­noch enorm um­trie­big und durch­aus »krea­tiv«, der auch schon mal ein Ge­schäfts­mo­dell mit Ben­zin zum Down­loa­den ent­wirft. Nach ei­nem Aus­ra­ster kurz vor der un­ver­meint­li­chen In­sol­venz der Agen­tur »ge­steht« Thor­sten sei­nem Kum­pel un­ter dem Brüggel’schen Syn­drom zu lei­den. Par­al­le­len zu ganz an­de­ren Be­trü­gern, die so ger­ne »epi­brie­ren«, kom­men ei­nem da zwangs­läu­fig.

Na­tür­lich kann man ein­wen­den, dass ge­nau die Hy­bris und Groß­kot­zig­keit ei­ner Welt, die so ein­fach ge­strickt und ober­fläch­lich ist, »ab­ge­bil­det«, ge­schil­dert wer­den soll­te: Da sind Nerds sind eben so, wie man sich Nerds vor­stellt. Frau­en erst recht. Und Dot­com-Grün­der ent­we­der Se­xu­al­prot­ze oder – wie Thor­sten – in die­sem Punkt eher ein biss­chen un­ter­be­mit­telt. Und im Bü­ro wer­den strom­berg­mä­ßig die Jo­ghurts mit klei­nen Schild­chen ver­se­hen. Ent­wick­lun­gen bei den Prot­ago­ni­sten fin­den nicht statt; 25jährige Grei­se. Tief­gang ist nicht zu er­war­ten, weil nicht vor­han­den. Da­her, so könn­te man ar­gu­men­tie­ren, sei es nicht Lo­bos Feh­ler, dass man zu­ver­läs­sig nach ei­ner Mi­nu­te weiss, wer ein Arsch­loch ist (der bleibt es dann auch für den Rest des Bu­ches).

Aber Li­te­ra­tur ist nicht Ka­pi­tu­la­ti­on vor der Rea­li­tät. Und Au­then­ti­zi­tät er­ringt man nicht in kol­por­ta­ge­haf­ter An­bie­de­rung an ei­ne ge­we­se­ne Wirk­lich­keit. Die Kom­pri­mie­rung al­ler mög­li­chen Kli­schees in be­stimm­te Fi­gu­ren­ty­pen soll­te man Die­ter We­del über­las­sen (der so was bes­ser kann). Lo­bo würzt sei­nen Ro­man zu­wei­len mit Iro­nie, ja Zy­nis­mus und stat­tet sei­ne Haupt­fi­gu­ren mit ei­ner ge­hö­ri­gen Por­ti­on Ar­ro­ganz aus, da­mit es viel­leicht noch als Pop­li­te­ra­tur durch­geht. Aber auch das ver­fängt nicht, weil letzt­lich nur ein gleich­för­mi­ger Ton er­zeugt wird. Ei­nen Ton, den man in­zwi­schen über­all liest, sieht und hört.

In der Schil­de­rung die­ser merk­wür­di­gen Grün­der­zeit­stim­mung Mit­te der 90er Jah­re ist das Buch bes­ser. Es ge­währt Ein­blicke in die Potemkin’sche Welt der Dot­com-Un­ter­neh­men mit ih­rem Ge­fa­sel von der Welt­markt­füh­rer­schaft. Et­wa, wenn ernst­haft vor dem Teu­fel Um­satz ge­warnt wird und statt­des­sen lie­ber wö­chent­lich neue Leu­te ein­ge­stellt und opu­len­te Par­tys ge­fei­ert wer­den, um ge­mäss dem Bran­chen­code Wich­tig­keit und Po­tenz zu si­mu­lie­ren. In­ve­sto­ren wer­den mit die­ser Art von Schnee­ball­sy­stem ei­ne ge­wis­se Zeit be­täubt. Das wird er­zählt, oh­ne es mit dem Press­luft­ham­mer ein­fach nur zu be­haup­ten. In den be­sten Sze­nen ge­lin­gen hier Evo­ka­tio­nen der hi­sto­ri­schen Si­tua­tio­nen. Und man ahnt, wie die »Web‑2.0«-Blase mit ähn­li­chen Heils­ver­spre­chen (weil ähn­li­chen Prot­ago­ni­sten) ent­ste­hen konn­te.

Ein Ernst-Wil­helm Händ­ler, al­so gu­te Li­te­ra­tur aus und über die Ar­beits­welt, ist sel­ten. Zu­wei­len drif­ten sie ent­we­der in ei­ne Skur­ri­li­tät ab (Wil­helm Gen­a­zi­nos »Abschaffel«-Romane bei­spiels­wei­se). An­de­re sind ent­we­der zu dicht an ih­rem Ge­gen­stand oder ha­ben we­nig Ah­nung und in­ter­pre­tie­ren nur ih­re Ein­drücke, die sie aus zwei­ter Hand ge­won­nen ha­ben. Je­mand wie Kath­rin Rög­g­la ge­hört zur zwei­ten Ka­te­go­rie. Sa­scha Lo­bo in die er­ste. Sein näch­stes Buch kann fast nur bes­ser wer­den.


Die kur­siv ge­setz­ten Pas­sa­gen sind Zi­ta­te aus dem be­spro­che­nen Buch.

18 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Dass Sie sich die­ses Buch tat­saech­lich an­ge­tan ha­ben, hat mich doch ein biss­chen ueber­rascht. Der Ver­riss dann we­ni­ger.

    In­ter­es­sier­te Sie das The­ma.. oder woll­ten Sie ueber­prue­fen, ob es tat­saech­lich so schlecht ist, wie man es man­chen Kri­ti­ken nach ver­mu­ten koenn­te? (Aber: Hut ab, dass sie ihm ei­ne Chan­ce ge­ge­ben ha­ben)

  2. Ja, das The­ma (Wirt­schafts­bla­se) in­ter­es­siert mich. Zu­mal es tat­säch­lich we­nig gu­te Bü­cher (und Kri­mis) über die Wirt­schaft gibt.

    Ich glau­be ei­gent­lich nicht, dass ich da ei­nen Ver­riss ge­schrie­ben ha­be.

  3. Zum The­ma Bör­sen­crash woll­te ich mir auch mal ein wis­sen­schaft­li­ches Buch an­tun (»Why Stock Mar­kets Crash« Di­dier Sor­net­te), bin aber lei­der nicht weit über die zu­min­dest schon in­ter­es­san­te Ein­lei­tung hin­aus­ge­kom­men. – Ro­ma­ne hät­ten ja die Chan­ce die per­sön­li­che Sei­te, von sol­chen Phä­no­me­nen zu be­leuch­ten, da ha­be ich in der Tat noch nie von ei­nem gu­tem Buch ge­hört (auch wenn aus der dot-com Bla­se doch auch ein Blog her­vor­ge­gan­gen ist – und der Don Al­phon­so hat doch auch ein Buch dar­über ge­schrie­ben, ah­ja »Li­qui­de« – )

    In­ter­es­sant dass sich die Wahr­neh­mung so un­ter­schei­det, viel­leicht se­he ich nur den Ver­riss, den ich er­war­te­te:
    »die Spra­che Lo­bos ver­sagt fast im­mer..«
    »Nach die­ser ge­ball­ten Do­sis Hy­bris treibt de[n] Le­ser nur noch die Hoff­nung knir­schend wei­ter.« ...
    und vor al­len Din­gen der letz­te Satz lie­ßen mich die­sen dann auch in Ih­rer Re­zen­si­on se­hen.

    Al­ler­dings ma­chen Sie ja auch Ein­schrän­kun­gen:
    »Tief­gang ist nicht zu er­war­ten, weil nicht vor­han­den. Da­her, so könn­te man ar­gu­men­tie­ren, sei es nicht Lo­bos Feh­ler, dass man zu­ver­läs­sig nach ei­ner Mi­nu­te weiss, wer ein Arsch­loch ist.«
    Nur schie­ßen Sie da ja auch nach:
    »Aber Li­te­ra­tur ist nicht Ka­pi­tu­la­ti­on vor der Rea­li­tät.«

    Die­ser Satz ge­fällt mir sehr. Ei­nen Ro­man muss man eben for­men, muss man Real­tität poe­ti­sie­ren, trans­for­mie­ren.

  4. Viel­leicht ist der ein­zig wirk­lich ge­lun­ge­ne Wirt­schafts­ro­man »Bud­den­brooks« von Tho­mas Mann. Mit der Angestellten/Arbeitswelt wird man ja ak­tu­ell bei Händ­ler fün­dig. Gen­a­zi­nos Ab­schaf­fel-Ro­ma­ne fal­len mir noch ein. Na­tür­lich in Ki­no »Wall Street« von Oli­ver Stone – ei­gent­lich un­er­reicht, was die Schil­de­rung von markt­ra­di­ka­len Aus­wüch­sen an­geht (ich mei­ne den er­sten Film!).

    Mit Don Al­phon­so hab ich ja so mei­ne Schwie­rig­kei­ten.

    Zum Ver­riss: Ein Ver­riss wie ich ihn ver­ste­he will auch im­mer ein biss­chen den Au­tor »ver­rei­ßen«. Da­her ist er zu­meist das Pro­dukt ei­ner ent­täusch­ten Er­war­tung des Le­sers dem Buch UND dem Au­tor ge­gen­über. Im vor­lie­gen­den Fall in­ter­es­siert mich der Au­tor nur se­kun­där. Ver­mut­lich wä­re ich oh­ne des­sen (pseudo-)Prominenz aber gar nicht auf die­ses Buch ge­sto­ssen. Und viel­leicht wä­re es oh­ne des­sen Pro­mi­nenz auch gar nicht ver­legt wor­den (ob­wohl es soooo schlecht nicht ist). Lo­bo ist längst zu ei­nem Pseu­do­ex­per­ten mu­tiert, der von den Me­di­en mit den Kom­pe­ten­zen für be­stimm­te The­men aus­ge­stat­tet wor­den ist. Ei­ne Art von Ar­nim der IT-Bran­che.

  5. ..bei Ih­rem Haupt­be­fund, dass es dem Ro­man nicht ge­lingt die In­halts­lo­sig­keit und Lee­re der Dot-Com­ler zu li­te­r­a­ri­sie­ren, viel­mehr blei­be er ge­nau ih­rer Sprach­lo­sig­keit und Flach­heit ver­haf­tet – wenn ich das so rich­tig ver­stan­den ha­be – muss­te ich an Ame­ri­can Psy­cho den­ken. Auch wenn ich lei­der nur den Film ken­ne, so scheint mir doch Bret Ea­ston El­lis po­ten­ti­ell ein Au­tor der sol­che Lee­re noch ra­di­ka­ler dar­stellt (kon­se­quent aus der Ich-Per­spek­ti­ve; so wer­den wohl schon mal sei­ten­wei­se Haar­kuren oder ir­gends­o­ein Zeugs be­schrie­ben) und so doch auch wie­der li­te­r­a­ri­siert hat.

    (Die drei: Dot-Com­ler, Ame­ri­can Psy­cho, der Wall­street­ler sind das al­les ei­gent­lich Yup­pies?)

    Die Bud­den­b­rocks ha­ben mich doch ziem­lich kalt­ge­las­sen auch wenn ich Manns Wil­le zur Form im­mer noch be­wun­de­re (da muss ich zu­ge­ben, dass mich Hand­kes Äu­ße­run­gen zu Mann da­zu be­wegt ha­ben mich noch wei­ter von die­sem zu ent­fer­nen – die neu­er­li­chen Äu­ße­run­gen im Zeit-In­ter­view tref­fen doch schon wie­der – und auch wenn die kur­zen Er­zäh­lun­gen mir ein­mal sehr ge­fie­len,.. ir­gend­wann war’s doch im­mer Wie­der­ho­lung: hier der kränk­lich-an­ders­ar­ti­ge Bo­he­mi­en {oder sonst­wie Frem­der}, dort die Welt, zu der er nie ge­hö­ren kann) Aber ich schwei­fe ab. Ei­gent­lich woll­te ich fra­gen, ob die Bud­den­brooks so sehr hier rein­pas­sen. Das ist doch ein Por­trait des ab­dan­ken­den Bür­ger­tums, das sich über­holt hat auch nur noch als lee­re Hül­le da­hin­west (hier ei­ne Par­al­le­le?), und die Wirt­schaft, die Händ­ler über­neh­men das Ru­der (den zwei­ten Teil müss­te ich noch mehr mit ei­nem Fra­ge­zei­chen ver­se­hen: denn kam das Bür­ger­tum nicht auch aus dem auf­stre­ben­den Han­del – was ist es al­so was da Neu­es her­an­zieht und das Bür­ger­tum ab­löst? – lei­der ist die Lek­tü­re auch was lan­ge her, als dass die­se In­ter­pre­ta­ti­on Prä­zi­si­on be­an­spru­chen kann..)

    Zu Don Al­phon­so wür­de ich Sie ger­ne mehr fra­gen. Jetzt doch nur so­viel als dass ich ihn mein­te, als ich von je­nem Blog­ger sprach, der sich der Dis­kur­se rühm­te, die aber doch meist nur Be­stä­ti­gung des Bei­trags sind.. oder im San­de ver­lau­fen (so als ich ein­mal mit­dis­ku­tier­te, als er sich über die gan­ze, un­hör­ba­re neue Mu­sik ver­brei­te­te – das kam mir so lä­cher­lich vor: er un­ter­stell­te den Hö­rern die­ser Mu­sik, dass sie die­se nicht mö­gen, weil man Zwölf­ton­mu­sik ja ein­fach nicht mö­gen kann, und da­her wohl nur we­gen des Di­stink­ti­ons­ge­winns sich die­ser Tor­tur un­ter­zö­gen... aber was für ei­nen arm­se­li­gen Di­stink­ti­ons­ge­winn lässt sich denn um­ge­kehrt dar­aus zie­hen, die Neue Mu­sik zu ver­dam­men?)

    — Der Au­tor spuckt ei­nem wohl im­mer in die Sup­pe, so sehr man des­sen Tod auch schon aus­rief, so ganz un­sicht­bar bleibt er wohl nicht und auch der Re­zen­sent kann nicht im­mer ganz an ihm vor­bei..

  6. Lo­bo ist längst zu ei­nem Pseu­do­ex­per­ten mu­tiert, der von den Me­di­en mit den Kom­pe­ten­zen für be­stimm­te The­men aus­ge­stat­tet wor­den ist. Ei­ne Art von Ar­nim der IT-Bran­che.

    Das liegt wohl auch dar­an, daß Fach­re­dak­teu­re nicht mehr zwin­gend Ah­nung vom Fach ha­ben müs­sen.

  7. @Phorkyas
    »Ame­ri­can Psy­cho« ist nicht pri­mär ein Wirt­schafts­ro­man; er spielt nur in der Yup­pie-Sze­ne sel­ber und zeigt ei­nen der­ran­gier­ten Cha­rak­ter. Auf­ge­peppt wird das Gan­ze durch ei­nen Sus­pen­se, der den Le­ser zum Voy­eur von Ba­tem­ans Irr­sinn wer­den lässt. El­lis’ Ro­man ist mit die­sem hier nicht in ei­nem Atem­zug zu nen­nen.

    Manns »Bud­den­brooks« ist ja auch – wie spä­ter der »Zau­ber­berg« – ei­ne Art »Pro­to­koll« ei­ner un­ter­ge­hen­den Zeit. Ent­schei­dend ist, dass die Prot­ago­ni­sten ih­ren Un­ter­gang nicht ver­hin­dern kön­nen (der, der es in den Bud­den­brooks an­strebt, schei­tert auch) – und ihn auch nicht an­ti­zi­pie­ren (hier­für sind sie zu stark in­vol­viert). Im »Zau­ber­berg« kommt das En­de ab­rupt – die Kli­nik war ein Par­al­lel­uni­ver­sum. Die Kaufs­manns­fa­mi­lie aus Lü­beck er­lebt den Pro­zess haut­nah.

    @virtualmono
    Fach­kennt­nis­se sind ja im Jour­na­lis­mus zum Teil hin­der­lich. Ge­nom­men wird nur der-/die­je­ni­ge, die über die be­ste Ver­net­zung ver­fügt. Wis­sen ist ja se­kun­där. Das merkt man ja al­ler­or­ten längst.

  8. Die As­so­zia­ti­on zu »Ame­ri­can Psy­cho« kam auch eher von Wall Street, in­ne­rer Lee­re und den Yup­pies, im Wirt­schafts­res­sort hat­te ich den nicht ver­or­ten wol­len. – Ich bin mir bei­na­he si­cher, dass ich mit El­lis nicht viel an­fan­gen könn­te (ge­nau­so wie mit Bu­kow­ski und der Beat Ge­ne­ra­ti­on – das ist für mich doch al­les die fal­sche Au­then­ti­zi­tät, bzw. ist es schon falsch sich über­haupt auf das Spiel mit der Au­then­tiz­ät ein­zu­las­sen, denn was dann ent­steht mag al­les sein, aber be­stimmt nicht au­then­tisch), aber den­noch wür­de ich es zu­min­dest als künst­le­ri­sche Mög­lich­keit gel­ten las­sen wol­len... Mit den »Bud­den­brooks« woll­te ich gar kei­nen Ver­gleich an­stel­len, dass es mich per­sön­lich nicht ge­packt hat, wie z.B. auch »Ham­let«.. und auch die »Lein­wand«, heißt ja nicht, dass ich de­ren Qua­li­tät nicht an­er­ken­ne und auch schät­ze (ob so ein Buch dann zün­det oder nicht, hängt viel­leicht auch mit der ei­ge­nen Re­zep­ti­ons­bio­gra­phie zu­sam­men – wenn die ent­spre­chen­den Stel­len für »Iden­ti­tät« o.ä. schon be­setzt sind, ist es für ei­nen Neu­an­kömm­ling viel­leicht schwer noch Sym­bol­wert zu ent­fal­ten..)

    Ex­per­te ist doch je­der, der dem Ar­ti­kel­schrei­ber als Zi­tat- und Stich­wort­ge­ber zu­pass kommt – .. aber bei der heu­ti­gen Auf­fä­che­rung und dem gras­sie­ren­den Spe­zia­li­sten­tum sind wir da nicht al­le Di­let­tan­ten?

  9. Bei »Ame­ri­can Psy­cho« ist ja ge­ra­de das per­fi­de, dass die »Iden­ti­tät« über Be­ruf, Sta­tus, Sex, Mar­ken­kla­mot­ten u. ä. nicht (mehr?) funk­tio­niert. Nur beim Mor­den ist Ba­te­man so­zu­sa­gen »au­then­tisch«. Und im Kühl­schrank lie­gen dann die Va­gi­nas der er­mor­de­ten Frau­en wie Tro­phä­en, die ih­ren be­son­de­ren Reiz dar­in ent­fal­ten, nicht ge­zeigt wer­den zu dür­fen.

    (Die »Bud­den­brooks« ha­ben mich üb­ri­gens auch nicht »ge­packt«. Den­noch zweif­le ich nicht dar­an, dass es gro­sse Li­te­ra­tur ist – ich se­he das ge­nau wie Sie.)

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    Ex­per­ten­tum: Ich glau­be nicht, dass es so ein­fach ist. Ent­schei­dend ist ja, ob Per­son X als Zi­tat­ge­ber über­haupt wahr­ge­nom­men wird. Lo­bo se­he ich hier in ei­ner Li­nie mit je­man­den wie Grass (nur auf an­de­ren Ge­bie­ten); der Ge­dan­ke ist im üb­ri­gen ge­klaut und nicht von mir. Die­se Fi­gu­ren bie­ten sich AUCH im­mer wie­der an. Und sind so­gar be­lei­digt, wenn man sie NICHT be­fragt. Die Auf­ga­be des Jour­na­li­sten wä­re es, die Äu­sse­run­gen der Be­frag­ten ein­zu­schät­zen. Das kön­nen sie nt­we­der nicht oder ma­chen es nicht; mei­stens bei­des. Das Ex­per­ten­tum per­p­etu­iert sich so­mit im­mer wei­ter...

  10. Und die­se Per­fi­di­tät ist es ver­mut­lich, die mich ab­sto­ßen wür­de. Aber ist das nicht ge­wis­ser­ma­ßen Kul­tur-/Ge­sell­schafts­kri­tik von der an­de­ren Sei­te: so wie Ador­no (von der War­te der Bil­dung und Tra­di­ti­on?) nicht mü­de wur­de den her­auf­zie­hen­den Dä­mon der Ent­in­di­viua­li­sie­rung durch un­se­re mo­der­ne Mas­sen­kul­tur zu be­schwö­ren, so de­kli­niert El­lis in die­sem Ro­man eben­je­nes ent­leer­te Ich (von der an­de­ren Sei­te her kom­mend, der der Mas­sen­kul­tur?) durch.

    Lei­der ist die­se Dis­kus­si­on et­was im luft­lee­ren Raum, da ich den El­lis ja nicht ge­le­sen ha­be. Aber dass er sehr (selbst-)destruktiv zu Wer­ke geht, und ei­ne Ge­sell­schaft zeigt, in der »Iden­ti­tät« sinn­los ge­wor­den ist, das lässt sich schon vom Film her er­ah­nen. – (Die Idee ist be­stimmt nicht neu, vgl. Do­ri­an Gray etc., aber viel­leicht in ih­rer schlach­te­ri­schen Bru­ta­li­tät und Per­fi­di­tät schon auf ei­nem schwer über-/un­ter­biet­ba­rem Ni­veau.) – Die Fra­ge ist nun mei­nes Er­ach­tens, ob man mit die­sem Ge­sell­schafts­bild, das da ge­zeich­net wird, et­was an­fan­gen kann oder nicht. Ich ver­mu­te, dass un­se­re Ab­leh­nung des Ro­mans sich auch dar­aus spei­sen könn­te: dass wir die­ses Bild nicht tie­len und uns die­se Un­mög­lich­keits­er­klä­rung von Sinn­stif­tung, Iden­ti­tät ab­surd er­scheint?
    [Nun könn­te ich an die­sem Punkt viel­leicht auch ver­su­chen mei­nen Haupt­vor­be­halt ge­gen­über »Der Lein­wand« aus­zu­drücken: Der Ro­man ver­liert sich in ei­nem ma­the­ma­ti­schen {das ist jetzt auch aus ei­ner an­de­ren Re­zen­si­on} Spie­gel­spiel, so dass der Le­ser am En­de auch vor ei­ner lee­ren Lein­wand steht – man könn­te al­so fast sa­gen, dass er Iden­ti­täts­stif­tung gar nicht ver­sucht, son­dern sich ins Spiel flüch­tet]

    (Den Le­ser, den die Bud­den­brooks wirk­lich be­we­gen, müsst man wohl erst noch er­fin­den.)

  11. Man könn­te »Ame­ri­can Psy­cho« auch deu­ten als Be­leg da­für, dass es ei­ne In­di­vi­dua­li­sie­rung gar nicht gibt, ob­wohl je­der so tut. Hier­für sind die fast stu­pi­de Auf­zäh­lun­gen der Mar­ken­klei­dung und ‑Ac­ces­soires der Prot­ago­ni­sten Be­leg. Durch die Ver­wen­dung die­ser Mar­ken­ar­ti­kel, die ja in­ner­halb ei­ner Sub­kul­tur Er­ken­nungs­zei­chen set­zen bzw. erst den Zu­gang zu ei­ner be­stimm­ten Sub­kul­tur er­mög­licht, wird der In­di­vi­dua­lis­mus wie­der auf­ge­ho­ben. »Au­ßen­sei­ter« möch­te kei­ner sein – ei­gent­lich ein Pa­ra­do­xon ei­ner Ge­sell­schaft, die die In­di­vi­dua­li­sie­rung so hoch hält. Streng ge­nom­men dürf­te es dann gar kei­ne »Au­ßen­sei­ter« ge­ben.

    Man kann dies schon im Bus an­hand der Schul­kin­der se­hen. Es gab ei­ne Zeit, als be­stimm­te Rück­säcke ab­so­lut »hip« wa­ren. Die Din­ger wa­ren un­prak­tisch und nicht sehr prak­ti­ka­bel, aber das spiel­te kei­ne Rol­le: je­der trug »East­pak«. In­zwi­schen ist das wie­der ab­ge­flaut.

    So et­was wie Iden­ti­tät wird durch die weit­ge­hen­de Kom­mer­zia­li­sie­rung un­se­res Le­bens längst ma­ni­pu­liert und fast ad ab­sur­dum ge­führt. Iden­ti­tät wird nicht mehr selbst er­lebt bzw. de­fi­niert, son­dern durch an­de­re »ver­mit­telt«. Gleich­zei­tig wird sie zum Gol­de­nen Kalb ei­nes In­di­vi­dua­lis­mus, der je­doch gar nicht exi­stiert (s. o.). Ein Teu­fels­kreis.

    Wo­mit wir wie­der beim The­ma von »Stroh­feu­er« sind: Die Dot­com-Bla­se war für je­den BWL-Stu­den­ten im zwei­ten Se­me­ster als sol­che zu er­ken­nen. Den­noch gab/gibt es we­ni­ge Ver­wei­ge­rer. Die­se Bla­sen funk­tio­nie­ren nach ei­ner Art Schnee­ball­sy­stem: Die In­itia­to­ren ge­win­nen am mei­sten. Dann die­je­ni­gen, die schnell auf den Zug auf­ge­sprun­gen sind. Den Letz­ten bei­ßen sprich­wört­lich die Hun­de: Er zahlt die Ze­che, weil die Klu­gen längst recht­zei­tig aus­ge­stie­gen sind.

    Ei­ne Dis­kus­si­on über »Die Lein­wand« müss­te man se­pa­rat füh­ren. Ich glau­be, dass die Deu­tung, der Ro­man flüch­te sich in das Spiel, nur dann rich­tig ist, wenn man aus­schließ­lich die Iden­ti­täts­kar­te spielt. Dann hät­ten Sie recht. Ich glau­be aber, dass der Ro­man viel klü­ger agiert und die »Iden­ti­tät« der Prot­ago­ni­sten (ins­be­son­de­re von Wechs­ler) nicht die ent­schei­den­de Rol­le spielt (sic!).Bücher, die für ih­re Prot­ago­ni­sten Iden­ti­täts­stif­tung ver­su­chen, hal­te ich für ex­trem pro­ble­ma­tisch, weil sie den Le­ser mit der Au­toren­sicht usur­pie­ren. Stein als Au­tor ist klug ge­nug, sich aus die­ser »Dis­kus­si­on« her­aus­zu­hal­ten. Wechs­lers psy­chi­sche Stö­rung (ist sie ein Trau­ma? et­was auf­grund ei­nes Mor­des?) wird er­zählt. Der Le­ser bleibt da­bei so klug (oder dumm) wie Wechs­ler.

  12. Iden­ti­tät als mensch­li­ches Be­dürf­nis – ein kur­zer Ein­wurf.
    Ich glau­be, dass das Be­dürf­nis nach Iden­ti­tät (d.h. ei­ner Deu­tung von Le­ben und Exi­stenz) nicht ge­sell­schaft­lich ver­mit­telt (be­dingt), und ihr Sinn oder Un­sinn letzt­lich auf ei­ner per­sön­li­chen Ebe­ne fest­zu­ma­chen ist (wo­bei man wahr­schein­lich we­der von dem ei­nen noch dem an­de­ren spre­chen kann). Ab­surd ist nicht das Be­dürf­nis, ab­surd ist die ver­such­te Er­fül­lung im An­ge­sicht ih­rer Un­mög­lich­keit.

  13. @Phorkyas
    Steins klu­ge, kul­tur­theo­re­ti­sche An­spie­lun­gen sind sie nicht dann so­gar die bil­dungs­bür­ger­li­che Ent­spre­chung von Ba­tem­ans Par­fum?
    Das se­he ich nicht so. Stein ist kein »Na­me­drop­per« wie zum Bei­spiel ein Um­ber­to Eco, der sich tat­säch­lich mit sei­nem Wis­sen ein­bal­sa­miert und be­wun­dert wer­den möch­te. Oder gar Bol­a­no, der tat­säch­lich die bil­dungs­bür­ger­li­chen As­so­zia­tio­nen aus­hebt wie klei­ne Fal­len, in die die Kri­ti­ker nur all­zu ger­ne tap­pen.

    Dass Ge­dich­te den Le­ser ge­le­gent­lich mehr af­fi­zie­ren kön­nen als ei­ne mehr­hun­dert­sei­ti­ge Er­zäh­lung (weil sie eben noch mehr »ver­dich­ten«) ist ja der Grund, die­se zu le­sen.

  14. Ab­surd ist nicht das Be­dürf­nis, ab­surd ist die ver­such­te Er­fül­lung im An­ge­sicht ih­rer Un­mög­lich­keit.
    Ja, das ist fast rei­ner Exi­sten­tia­lis­mus. War­um nicht.

    Ich möch­te kurz er­klä­ren, was ich mein­te: Ein Mensch, der lau­fend mit der Fra­ge nach sei­ner Iden­ti­tät her­um­läuft und dar­über re­flek­tiert, wird kei­ne zu­frie­den­stel­len­de Ant­wort fin­den und sich höch­stens in De­pres­sio­nen oder als Mas­sen­mör­der wie­der­fin­den. Ro­ma­ne, die nun be­wusst ei­ne Iden­ti­täts­su­che als sol­che the­ma­ti­sie­ren, sind für mich so lang­wei­lig wie die Mit­tei­lung, was ein Prot­ago­nist zu Mit­tag ge­ges­sen hat. Die Su­che oder Er­fül­lung nach der ei­ge­nen Iden­ti­tät kann zwar mit­schwin­gen, aber höch­stens als bzw. in ei­ner Er­zäh­lung; als ei­ne Art mo­der­ner Ent­wick­lungs­ro­man so­zu­sa­gen, nur oh­ne den päd­ago­gi­schen Un­ter­ton.

  15. (zum Ein­wurf: Iden­ti­tät muss wohl dia­lek­tisch er­kun­det wer­den – wie auch Ge­sell­schafts­kri­tik sich nur so be­werk­stel­li­gen lässt.)

    »Bü­cher, die für ih­re Prot­ago­ni­sten Iden­ti­täts­stif­tung ver­su­chen, hal­te ich für ex­trem pro­ble­ma­tisch.«

    D’­ac­cord. Was je­mand sei, lässt sich na­tür­lich nicht de­kre­tie­ren. So ge­se­hen wä­re ich auch skep­tisch, wenn mir ein Ro­man ei­ne Iden­ti­tät, ein Rol­len­bild an­preist (hmm.. wer­den Bü­cher ei­gent­lich nicht auch oft so ver­kauft?). Das fängt schon an, wenn sie die Iden­ti­tät ei­ner Ge­ne­ra­ti­on (Golf, X, Nuller­jah­re..) kon­stru­ie­ren.... Aber soll­te ein Ro­man nicht zu­min­dest den Ver­such ei­ner Selbst­tran­szen­die­rung wa­gen – auch sei es nur, um gran­di­os zu schei­tern (was viel­leicht der ein­zi­ge Weg der Er­fül­lung ist).

    Sie schrei­ben, »Stein als Au­tor [sei] klug ge­nug, sich aus die­ser ‘Dis­kus­si­on’ her­aus­zu­hal­ten«. Ge­nau die­se Klü­ge­l­ei ist mein Vor­wurf. Sie lang­wei­len »Ro­ma­ne, die nun be­wusst ei­ne Iden­ti­täts­su­che als sol­che the­ma­ti­sie­ren, [..] wie die Mit­tei­lung, was ein Prot­ago­nist zu Mit­tag ge­ges­sen hat.« – mich lang­weilt, dass Stein in die­ses aus­ge­klü­gel­te Spiel aus­weicht. So steht für ihn nichts auf dem Spiel, er ist fein her­aus. So wird aber auch nichts ver­han­delt. Es ist letzt­lich ge­nau­so ge­gen­stands­los wie Ba­tem­ans Af­ter Shaves – oh, die­sen bö­sen Ver­gleich, der sich nun auf­drängt, neh­men Sie bit­te nicht per­sön­lich (ich rich­te ihn aber ger­ne ge­gen mich selbst) – Steins klu­ge, kul­tur­theo­re­ti­sche An­spie­lun­gen sind sie nicht dann so­gar die bil­dungs­bür­ger­li­che Ent­spre­chung von Ba­tem­ans Par­fum? Kon­ver­gie­ren dann nicht so­gar bei­de in das Glei­che: dass un­se­re Post­mo­der­ne auch Post-iden­ti­tät be­deu­tet? – Es sträubt sich ein­fach al­les in mir da­ge­gen, sei das auch Re­ak­ti­on und noch so alt­backen und über­holt.

    »Ich las­se mein Ge­sicht auf Ster­ne fal­len,
    Die wie ge­trof­fen aus­ein­an­der hin­ken.
    Die Wäl­der wan­dern mond­wärts, schwar­ze Qual­len,
    Ins Blau­meer, dar­aus mei­ne Blicke win­ken.

    Mein Ich ist fort. Es macht die Ster­nen­rei­se.
    Das ist nicht Ich, wo­von die Klei­der schei­nen.
    Die Ta­ge ster­ben weg, die wei­ßen Grei­se.
    Ich­lo­se Ner­ven sind voll Furcht und wei­nen.«
    Paul Boldt (1914?)

    ...Auch wenn ich die­ses Ge­dicht nicht un­be­dingt ge­lun­gen fin­de, ich kann mir nicht hel­fen, es be­wegt mich doch im­mer noch mehr (als Stein, El­lis – die höch­stens rei­zen und an­sta­cheln).

    PS. Hui­zin­ga ver­such­te in sei­nem »Ho­mo lu­dens« das Spiel auch als Ge­gen­teil des Ernsts zu be­stim­men. Dass die­ses auch wie­der dia­lek­tisch ist, schnei­det er aber lei­der nur an: Man be­ob­ach­te nur Men­schen beim Spiel, wie tod­ernst das zur Sa­che geht – ja, er be­trach­tet lan­ge die Spiel­ver­der­ber, die von den Spie­len­den hef­ti­ger ver­folgt wer­den, als die Be­trü­ger (er zi­tiert ein Roll-/Mas­ken­en­spiel, in dem die Spiel­ver­der­ber so­gar ge­tö­tet wer­den): die Spiel­ver­der­ber wei­sen näm­lich auf die Spiel­haf­tig­keit des Spiels hin und stö­ren so des­sen Ge­nuss – viel­leicht ist Stein für mich al­so so ein Spiel­ver­der­ber.. aber mo­men­tan wür­de ich eher be­haup­ten, dass er sich ei­gent­lich nie ernst­haft auf das Spiel ein­ge­las­sen hat. Die­se Di­stanz, die er zum Iden­ti­täts­spiel hat, hat­te ich letzt­lich auch zum Buch..
    (Tut mir leid, dass das jetzt doch zu­viel zu Stein war.. und selbst auch noch so­viel Klü­ge­l­ei ent­hält – ich hof­fe es ist trotz­dem et­was für Sie da­bei.)

  16. @Gregor

    Dan­ke für die Er­klä­rung, ich hat­te in der Tat nicht ganz ver­stan­den, was Du oben mein­test (ob­wohl ich mit mei­nem Ein­wurf ei­gent­lich nicht auf die Li­te­ra­tur ge­zielt ha­be).

    Ich möch­te aber be­strei­ten, dass man nicht zu ei­ner be­frie­di­gen­den Ant­wort kom­men kann – sie hängt m.E. sehr von den zu­grun­de lie­gen­den An­nah­men und vom Aus­gangs­punkt ab. Aber viel­leicht passt es bes­ser dort­hin.

    @phorkyas

    Dia­lek­tisch? Kannst Du mir er­läu­tern wie Du das Du meinst (mir ist meist un­klar was mit dia­lek­tisch ge­meint ist)?

  17. @Gregor Keu­sch­nig: Man soll­te den ei­ge­nen Wor­ten auch nicht im­mer fol­gen, so man­che Me­ta­pher er­lei­det dann ih­ren be­ruech­tig­ten Schiff­bruch. – So auch mein Par­fum. Die Lein­wand wuer­de ich auch nicht zu die­ser Li­te­ra­tur­li­te­ra­tur, al­so je­ner Gat­tung zaeh­len, de­ren Lek­tue­re ein Aus­weis kon­tem­po­rae­rer Ken­ner­schaft zum Ein­tritt in die hoe­he­re feuil­le­to­ni­sier­te Ge­sell­schaft weil sie be­staen­dig um sich selbst kreist je­doch un­fae­hig den Le­ser zu be­we­gen – so denn je­ne Gat­tung exi­stiert (Sie nann­ten ja ein paar moeg­li­che Bei­spie­le).

    Die Dis­kus­si­on nahm ih­ren Aus­gangs­punkt doch dar­in:
    Lo­bos Buch.. hat kei­ne Spra­che (wuer­de Kri­ti­ker jetzt sa­gen?), nun koenn­te man die­se Sprach­lo­sig­keit aber als ge­wollt, ge­ra­de als kuenst­le­ri­schen Aus­druck ge­nau der Sprach­lo­sig­keit des mo­der­nen, markt­wirt­schaft­lich er­fass­ten Men­schen se­hen – wo­mit das Buch ge­wis­ser­ma­ssen auf ei­ner Ebe­ne schei­tern wuer­de, um auf der naechst­hoe­he­ren zu punk­ten (Nur als Moeg­lich­keit ge­spro­chen, von der Re­zen­si­on be­kam ich nicht ge­ra­de den Ein­druck, als wae­re das wirk­lich der Fall – dass ich Ame­ri­can Psy­cho er­waehn­te, war nun auch nur, weil ich dort ein moeg­li­ches Bei­spiel sah, wo ein aehn­li­ches Prin­zip ver­wirk­lich sein koenn­te..)
    Und dann wa­ren wir auch schon mit­ten in der Iden­ti­taets­dis­kus­si­on, Ben­ja­min Stein kam noch hin­zu und mit mei­nen ge­wohnt un­scharf, as­so­zier­ten Ein­wuer­fe, hol­per­te die Dis­kus­si­on so da­hin. – Ich moech­te die­sen Punkt auch nicht ueber Ge­buehr stra­pa­zie­ren; es ging mir auch nicht so sehr dar­um, dass Steins Pro­sa mich nicht af­fi­zier­te. Im Ge­gen­teil ha­be ich sie ‘ge­fres­sen’, ein kla­rer, schnoer­kel­lo­ser Stil, aber das bzw. die En­den in der Mit­te des Bu­ches ha­ben mich so ent­taeuscht, dass ich mich durch den zwei­ten Teil schon ein biss­chen schlep­pen muss­te und es ganz am En­de mehr nur noch ein Ach­sel­zucken her­vor­rief: Was war da jetzt Neu­es zur Iden­ti­taet?

    Das ist ver­mut­lich un­ge­recht... und ich wer­de wohl selbst nie in der La­ge sein, ein sol­ches Buch her­vor­zu­brin­gen,.. aber ir­gend­wie fehl­te da was.. und es ist schwer ge­nau sa­gen, was da ge­fehlt hat, die In­gre­di­en­zi­en wa­ren ja al­le vor­han­den, nur ge­zuen­det hat’s bei mir nicht (da ist nun­mal auch das sub­jek­ti­ve Mo­ment der Li­te­ra­tur).

    @metepsilonema: Ent­schul­di­ge bit­te – der Ein­wurf mit dem »dia­lek­tisch« war et­was dumm. Die Dis­kus­si­on fran­ste nun schon so aus, da hat­te das et­was von ‘ab­kan­zeln’... und da­bei war/ist mir selbst noch nicht so ganz klar was un­ter dia­lek­tisch zu ver­ste­hen sei. – Ei­ne Moeg­lich­keit ist viel­leicht die der dia­lek­ti­schen Be­griffs­er­kun­dung. So als spuer­te man dem nach, wel­che Be­grif­fe und De­fi­ni­tio­nen ein Be­griff schon vor­aus­setzt und wel­che Wi­der­sprue­che er schon in sich traegt, die es dann auf­zu­loe­sen gel­te (so aehn­lich geht es wohl bei Pless­ner und sei­ner phi­lo­so­phi­schen An­thro­po­lo­gie) – ich dach­te aber zu­naechst an Ador­no, mit dem: Es gibt kein rich­ti­ges Le­ben im fal­schen. – Nun, aber was ist denn nun rich­tig, was falsch? Das ist ver­mut­lich ge­nau­so sinn­los wie die Fra­ge: Wer bin ich? -

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