Ma­thi­as Énard: Zo­ne

Matthias Énard: Zone

Mat­thi­as Énard: Zo­ne

Fast 600 Sei­ten ei­ne Sua­da oh­ne Punkt in 21 Ka­pi­teln (plus drei Ka­pi­tel »Zi­ta­te« aus ei­nem fik­ti­ven Buch aus dem li­ba­ne­si­schen Bür­ger­krieg). Ka­pi­tel, die über 40, 50 und mehr Sei­ten ge­hen – be­stehend nur aus ei­nem ein­zi­gen Satz; ei­ne Blei­wü­ste, in der sich der Le­ser zu­wei­len ver­irrt, ver­ir­ren soll, ganz schnell taucht er dort hin­ein, geht ge­le­gent­lich un­ter, be­haup­tet sich dann doch, in dem er Stel­len noch­mals liest (und nicht weiß, wo er be­gin­nen soll). Und er kann nicht ab­las­sen von die­sem in­ne­ren Mo­no­log, den wil­den As­so­zia­tio­nen, hi­sto­rio­gra­phi­schen Ein­schü­ben, Ge­dan­ken­ket­ten, (Liebes-)Beichten, Göt­ter­be­schwö­run­gen, Schimpf‑, Hass‑, Ekel- und Schmäh­ti­ra­den auf der Zug­fahrt von Mai­land nach Rom am 8. De­zem­ber 2004, als die Fahrt noch sechs­ein­halb, sie­ben Stun­den dau­er­te (und der »Eu­ro Star«, der es in drei schafft, noch nicht fuhr).

Da­bei wird der Le­ser zum Su­chen­den, For­schen­den, fast zum De­tek­tiv, längst be­vor er er­fährt, dass hier ein Söld­ner und spä­te­rer in­ter­na­tio­na­ler Spit­zel sin­niert. Je­mand, der Mit­te der 1990er Jah­re nach vier, fünf Jah­ren kroa­tisch-ser­bisch-bos­ni­schen Krie­gen und ei­ner kur­zen Zeit im Verbannungs‑, Zu­flucht- und Fol­ter­ort Ve­ne­dig in ei­nen Nach­rich­ten­dienst wech­seln konn­te, be­gin­nend in der Höl­le Al­ge­ri­ens als dritt­ran­gi­ger Ak­ten­füh­rer, in ei­ner Welt von lä­cheln­den Schläch­tern und Mör­dern, die Kin­dern die Keh­le durch­schnit­ten, mit Na­men, die ich nicht un­ter­schei­den konn­te. Da hat­te er die Ka­lasch­ni­kow ge­gen weit sub­ti­le­re, aber eben­so wirk­sa­me Tö­tungs­ma­schi­nen ein­ge­tauscht, Treib­jag­den, Ver­stecke, Ver­hö­re, De­nun­zia­tio­nen, De­por­ta­tio­nen, Er­pres­sun­gen, Kuh­han­del, Ma­ni­pu­la­tio­nen, Lü­gen, die mit Mor­den en­de­ten, mit zer­stör­ten Le­ben, in den Schmutz ge­zo­ge­nen Men­schen, ge­bro­che­nen Le­bens­läu­fen, ans Licht ge­zerr­ten Ge­heim­nis­sen. Von Agen­ten­ro­man­tik kei­ne Spur; wer hier die gän­gi­gen Kli­schee­bild­chen er­war­tet, soll lie­ber die Lek­tü­re mit den üb­li­chen Le­se­zir­kel-Ver­däch­ti­gen wei­ter­füh­ren.

-> wei­ter­le­sen bei Glanz und Elend