Joa­chim Zel­ter: Wie­der­se­hen

Joachim Zelter: Wiedersehen

Joa­chim Zel­ter: Wie­der­se­hen

Nach­dem Joa­chim Zel­ter 2010 mit »Der Minister­präsident« ge­konnt den Po­li­tik­be­trieb und drei Jah­re spä­ter die Li­te­ra­tur­sze­ne (»Ei­nen Blick wer­fen«) se­zier­te und per­si­flier­te, zielt er mit dem schel­misch-harm­lo­sen Ti­tel »Wie­der­se­hen« nun auf das in­sti­tu­tio­na­li­sier­te Bil­dungs­bür­ger­tum. Da­mit ist der Au­tor nun end­gül­tig auf­ge­bro­chen, ei­ne sa­ti­risch grun­dier­te Kul­tur­ge­schich­te der ak­tu­el­len Bun­des­re­pu­blik zu ver­fas­sen.

Nach mehr als zwan­zig Jah­ren lädt der un­kon­ven­tio­nel­le Deutsch­leh­rer Thor­sten Kort­hau­sen – von Fer­ne er­in­nert er an John Kea­ting aus dem »Club der to­ten Dich­ter« – sei­nen ein­sti­gen Mu­ster­schü­ler Ar­nold Lit­ten zu ei­ner klei­nen Par­ty nach Hau­se ein. Ar­nold ist in­zwi­schen ein an­ge­se­he­ner Ger­ma­ni­stik-Pro­fes­sor. Auf der Fahrt er­zählt er sei­ner Freun­din An­na die Be­son­der­hei­ten und Ex­tra­va­gan­zen Kort­hau­sens. Zum Bei­spiel des­sen er­ste Deutsch­stun­de in der Pri­vat­schu­le für »aus­nah­me­be­dürf­ti­ge Schü­ler«, die­ser »An­samm­lung von Auf­säs­sig­keit und Lust­losigkeit«. Nie­mand nahm den neu­en Leh­rer zur Kennt­nis. Schließ­lich be­tei­lig­te die­ser sich an ei­ner Schach­par­tie, die wäh­rend des Un­ter­richts ge­spielt wur­de. Ein ver­gnüg­lich zu le­sen­der An­ek­do­ten­strauß pras­selt da auf den Le­ser ein. So wird von Kort­hau­sen ei­ne Klas­sen­ar­beit Ar­nolds mit »Eins bis Sechs« be­no­tet – weil sie so­wohl sehr gu­te wie auch un­ge­nü­gen­de Pas­sa­gen ent­hält. Ein an­der­mal dann mit »Eins plus plus«. Oder die Sa­che mit dem Hund: Kort­hausen er­zählt Wun­der­din­ge von sei­nem Hund, den er ei­nes Ta­ges mit­bringt und die Auf­sicht bei ei­ner Klas­sen­ar­beit vor­neh­men lässt. Der Hund sei ag­gres­siv und bel­le so­fort wenn ge­schum­melt wür­de. Die Schü­ler sind ein­ge­schüch­tert und wa­gen kei­ne Ma­ni­pu­la­tio­nen. Am En­de er­öff­net Kort­hau­sen ih­nen, dass er den Hund aus dem Tier­heim ge­holt ha­be. Oder die­ser Schü­ler, der in vie­len Fä­chern Fünf stand und dann Vie­ren be­kommt, weil er mit Kort­hau­sen ei­nen stram­men Wald­lauf durch­steht.

Ar­nold und An­na tref­fen zu früh bei Kort­hau­sen ein. Der rü­stet zu ei­ner Rie­sen­fe­te. Bei­läu­fig er­fährt Ar­nold, dass er ei­nen Vor­trag hal­ten soll. Er ist voll­kom­men unvor­bereitet. Aber sich zu­rück­zie­hen kann er auch nicht, denn im­mer mehr Gä­ste tref­fen ein und for­dern ge­ra­de­zu sei­ne Auf­merk­sam­keit. Da sind zum ei­nen ehe­ma­li­ge und ak­tu­el­le Schü­ler, al­le­samt Hoch­be­gab­te wie »Nietz­sche«, ein Ana­gramm-Fe­ti­schist, John von Ha­vel, Ge­dächt­nis- und Re­zi­ta­ti­ons­ta­lent oder Ar­nolds ehe­ma­li­ger Klas­sen­ka­me­rad Küh­ne, der Schach­gu­ru. Und zum an­dern et­li­che Leh­rer, wie z. B. ein Tho­mas-Mann-Ex­per­te (sehr lang­wei­lig), ein Struk­tu­ra­list (sehr ein­sei­tig), ein La­tein­po­li­zist (sehr cho­le­risch). Al­le­samt kau­zi­ge Ge­stal­ten, Bes­ser­wis­ser, Be­rufs­em­pö­rer, al­so fast Kari­katuren. »Die Welt als Ir­ren­haus oder Kar­ne­val der Rol­len­spie­le mit Fik­tio­nen« – so emp­fin­det Ar­nold (und auch der Le­ser) die­ses »Ra­ri­tä­ten­ka­bi­nett«, wel­ches der Haus­herr Kort­hau­sen mit hek­ti­scher Hand zu di­ri­gie­ren ver­sucht. Und wie nicht an­ders zu er­war­ten war, miss­lingt Ar­nolds Vor­trag; die Fol­gen sind fa­tal.

Dann ist ir­gend­wann die Par­ty vor­bei und die Er­zäh­lung, par­don: No­vel­le, kippt auf den letz­ten 25 Sei­ten von ei­ner ra­san­ten Gro­tes­ke ins som­nam­bul Sur­rea­le und die sanf­te Ko­mik er­lischt. Vor­be­rei­tet wird da­mit die Poin­te am En­de des Bu­ches (kein Spoi­ler hier), die je­doch nicht ganz über­zeugt. (En pas­sant: Ein schreck­li­cher Druck­feh­ler auf Sei­te 119 ver­darb mir das Schluss­ver­gnü­gen.)

Ei­ni­ge Über­trei­bungs­schlei­fen, aber vor al­lem die in in­di­rek­ter Re­de ge­fass­ten Pas­sa­gen er­in­nern sprach­lich zu­wei­len sehr an Tho­mas Bern­hard. Trotz ge­le­gent­li­cher Dé­jà-lus in Be­zug auf Au­ers­ber­gers Abend­essen in »Holz­fäl­len« fehlt Ar­nold al­ler­dings die Ve­he­menz der mo­no­ma­ni­schen Mo­no­lo­gi­sie­ren­den Bern­hards. Den­noch: Zel­ter geht im­mer. Und ich bin schon ge­spannt auf sei­ne näch­ste No­vel­le.

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