Frank Fi­scher: Welt­mül­ler

Frank Fischer: Weltmüller

Frank Fi­scher: Welt­mül­ler

Jo­han­nes Welt­mül­ler ist ein öster­rei­chi­scher Schau­spieler und Trä­ger Iff­land-Rings. Er wur­de von der be­kann­ten Nach­wuchs­re­gis­seu­rin Hen­ri­ke Zöll­ner für ih­re neue In­sze­nie­rung von Becketts »War­ten auf Go­dot« en­ga­giert. / In der Leip­zi­ger In­nen­stadt ist ein neu­es Kunst­werk mit dem Na­men »Län­der-Le­xi­con« sei­ner Be­stim­mung über­ge­ben wor­den. 192 Län­der wer­den durch 192 Ka­cheln mit je 10 mar­kan­ten Aus­sa­gen zum je­wei­li­gen Land sym­bo­li­siert. / Und ei­ne schlech­te Ko­pie der Ro­sen­ma­don­na des Ma­nie­ri­sten Fran­ces­co Maz­zo­la ge­nannt Par­mi­gia­ni­no wird bei Christie’s für 4.465 Pfund von ei­nem deut­schen Mu­se­ums­ku­ra­tor er­stei­gert.

Drei Kul­tur­er­eig­nis­se aus den Jah­ren 2010, 2007 und 2003 über die in aus­führ­li­chen Ar­ti­keln be­rich­tet wird. Recht schnell merkt der Le­ser, dass die­se Be­ge­ben­hei­ten ih­re Ge­schich­te ha­ben. / Welt­müller flüch­tet aus dem Schau­spiel­haus in ei­nem Ta­xi und ver­ur­sacht ei­nen Un­fall. / Die Tex­te der Ka­cheln des Kunst­wer­kes sind nicht nur kryp­tisch, son­dern va­ri­ie­ren so­gar auf selt­sa­me Wei­se ir­gend­wann. Aus­ge­rech­net auf der Ka­chel für Deutsch­land gibt es nicht zehn son­dern nur neun Hin­wei­se. Zu­dem di­stan­ziert sich der Künst­ler nicht nur von sei­nem Kunst­werk son­dern be­strei­tet so­gar sei­ne Ur­he­ber­schaft. / Und das Ori­gi­nal der Ro­sen­ma­don­na, wel­ches in Dres­den hängt, ent­puppt sich als Ko­pie, wäh­rend ei­ne als Ko­pie de­kla­rier­te Ro­sen­ma­don­na in Ita­li­en das Ori­gi­nal zu sein scheint.

Fast ge­nia­lisch der Ein­fall, Welt­mül­ler als Go­dot auf die Be­set­zungs­li­ste zu set­zen und so mit den Er­war­tun­gen des Thea­ter­pu­bli­kums auf die­se neue Va­ri­an­te des Beckett-Stücks zu spie­len. / Voll­kom­men über­ra­schend, wenn ein Kunst­werk wie das der Ka­cheln zu Leip­zig plötz­lich oh­ne Schöp­fer da­steht. Wie soll jetzt die In­ter­pre­ta­ti­ons­ma­schi­ne ge­füt­tert wer­den? / Und fast skan­da­lös, die an­hand des Rückens des Kunst­wer­kes ein­wand­frei fest­stell­ba­re Au­then­ti­zi­tät des Ge­mäl­des aus staats- und kul­tur­po­li­ti­schen Er­wä­gun­gen hin­aus zu leug­nen und statt­des­sen den Über­brin­ger der schlech­ten Nach­richt zu be­stra­fen.

Es soll Leu­te ge­ben, die Frank Fi­schers »Zer­stö­rung der Leip­zi­ger Stadt­bi­blio­thek im Jahr 2003« für ei­nen Tat­sa­chen­be­richt ge­hal­ten ha­ben. Mit den neu­en drei Re­por­ta­gen ist das schwie­ri­ger. Je­der weiß, dass der ak­tu­el­le Iff­land-Ring-Trä­ger an­ders heißt. Schnell stellt sich her­aus, dass es das Kunst­werk in Leip­zig nicht gibt. Und über die Ro­sen­ma­don­na ist kein Fäl­schungs­skan­dal pu­blik ge­wor­den. Frank Fi­scher er­zählt die­se Ge­schich­ten als Frank Fi­scher im Duk­tus der Re­por­ta­ge. Der Au­tor des Bu­ches »Welt­mül­ler« darf da­bei nicht mit dem Zei­tungs­schrei­ber ver­wech­selt wer­den. Der Au­tor Frank Fi­scher schreibt die Ar­ti­kel ei­nes ge­wis­sen Jour­na­li­sten Frank Fi­scher. Die­ser schreibt wie aus ei­ner längst ver­gan­ge­nen Zeit – et­wa als Hel­mut Dietl noch lu­stig und Ha­rald Schmidt noch ori­gi­nell wa­ren in ei­ner selt­sa­men Me­lan­ge aus An­dre­as Roß­mann von der FAZ und dem Ich-Er­zäh­ler aus Tho­mas Bern­hards Er­re­gungs­ro­man »Holz­fäl­len«.

Aber ir­gend­wie traut der Au­tor der fein­sin­nig-sub­ti­len Iro­nie des Jour­na­li­sten nicht so recht und streut statt­des­sen im­mer wie­der ei­ni­ge Mo­le­kü­le Um­ber­to-Eco-Rät­sel­bal­sam in die Zei­len. Ich mei­ne da­bei nicht die zahl­rei­chen An­spie­lun­gen auf di­ver­se (Schein-)Heroen des Feuil­le­tons bzw. der Kul­tur­sze­ne. Sie sind – bei ent­spre­chen­der Kennt­nis der jeweil­igen Kampf­zo­ne – leicht zu­zu­ord­nen. Wenn nicht ist es schlimm und vor al­lem nicht re­le­vant für die Lek­tü­re. Na­tür­lich wer­den en pas­sant die Haus­göt­ter des Au­toren Frank Fi­scher (Chri­sti­an Kracht, Ju­lio Cor­tá­zar und Rai­nald Goetz) er­wähnt. Aber war­um nicht? Stö­rend da­ge­gen die Ver­su­che zu­sätz­li­cher Be­deu­tungs­auf­la­dun­gen durch al­ler­lei (Zahlen-)Mystizismen. Das geht schon im Ham­sun­schen Vor­wort los (die gan­ze Ge­schich­te steht hier). Schrö­din­gers Kat­ze taucht ge­fühlt in­zwi­schen in fast je­dem zwei­ten Buch auf (sel­ten so ele­gant wie hier). Die Ge­heim­nis­se ei­nes 65.537-Ecks er­schlie­ßen sich mir ein­fach nicht, den Trip nach Bue­nos Ai­res und die Er­kennt­nis­se für das Ka­chel­kunst­werk fand ich nicht schlüs­sig und die In­ter­pre­ta­ti­on des Wor­tes »Le­xi­con« (ins­be­son­de­re des »con«) et­was kon­stru­iert. Aber so ist das bei Um­ber­to Eco halt.

Ge­lit­ten hat da­durch zum ei­nen die fein­füh­li­ge Kri­tik am »Hy­per­bo­lis­mus« des Feuil­le­tons (das Wort fällt ein­mal) und – vor al­lem – des Bil­dungs­bür­ger­tums. Bei­de ha­ben bei avant­gardistisch an­mu­ten­den Pro­jek­ten (die bei nä­he­rer Sicht viel­leicht auch ein­fach nur ge­wis­se Af­fek­te be­die­nen soll­ten) enorm gro­ße Pro­ble­me, die un­ter Um­stän­den in den Van­da­lis­mus bzw. zu feuil­le­to­ni­sti­schen Scher­ben­ge­rich­ten füh­ren. Wenn ei­ne Fi­gur »Go­dot« be­setzt ist – und das mit der­ar­ti­ger Pro­mi­nenz – dann baut sich ei­ne Erwart­ungshaltung auf, die nicht be­schä­digt wer­den darf, son­dern er­füllt wer­den muss. Ähn­li­ches gilt für das Ka­chel-Kunst­werk, dem bald der Künst­ler ab­han­den kommt. So­fort bricht die in­sti­tu­tio­na­li­sier­te Deu­tungs­in­du­strie zu­sam­men und der »ge­mei­ne« Kul­tur­kon­su­ment ba­lan­ciert über ei­nen Ab­grund an Un­si­cher­heit. Voll­ends skur­ril wird es, als sich her­aus­stellt, dass die Ko­pie der Ro­sen­ma­don­na ein Ori­gi­nal ist, aber es gleich­zei­tig nicht sein darf. Das ist so­zu­sa­gen der Ge­gen­ent­wurf zum Bel­trac­ci-Skan­da­lon. Ein­zig der Jour­na­lis­mus hat im­mer ein The­ma, weil er op­por­tu­ni­stisch Sym­pa­thien und An­ti­pa­thien aus­rich­ten kann. Zu­wei­len zei­gen die bei­den Fi­schers die­ses Tau­meln im un­ge­lieb­ten Un­ge­wis­sen, die­ses Ver­las­sen der heim­li­chen In­ter­de­pen­den­zen zwi­schen Kunst und Pres­se, mit spitz­bü­bi­schem Lä­cheln.

Zum an­de­ren wird viel zu sel­ten das vor­aus­ei­len­de Jau­len der Kul­tur­bran­che the­ma­ti­siert, wel­ches sich bei je­der pas­sen­den Ge­le­gen­heit um sin­ken­de För­der­gel­der echauf­fiert – dann je­doch bei­spiels­wei­se aus ei­nem ve­ri­ta­blen Grö­ßen­wahn her­aus die Be­stuh­lung des Schau­spiel­hau­ses da­hin­ge­hend er­wei­tert, da­mit die als ex­tra­or­di­när hoch­ge­jazz­te Beckett-In­sze­nie­rung auch tat­säch­lich im größ­ten deutschspra­chi­gen (und nicht nur größ­ten deut­schen) Thea­ter statt­fin­den kann. Über der­lei An­ti­no­mien ei­nes im Prin­zip im­mer noch rund­um sat­ten Kul­tur­be­trie­bes hät­te man ger­ne mehr ge­le­sen.

Die schön­ste Pas­sa­ge in die­sem ver­gnüg­li­chen Büch­lein ist die der Schil­de­rung der Ham­let-In­sze­nie­rung mit Hun­den als Dar­stel­lern (»Hun­de-Ham­let«). Wo­bei nicht Idee und Dar­stel­lung an sich so ent­zückend sind. Nein, es ist Fi­schers (wes­sen?) Glau­be an das Pu­bli­kum. Die Re­gis­seu­rin hat­te »die ge­sam­te Text­lei­stung so­zu­sa­gen in die Köp­fe der Zu­schau­er ver­la­gert«. Un­denk­bar? Schein­bar nicht, denn das Pu­bli­kum schien »das nicht im ge­ring­sten zu stö­ren«. Es gab am En­de Ova­tio­nen. Wohl dem, der an ein solch text­si­che­res Pu­bli­kum, wel­ches sich deut­lich jen­seits des Abon­nen­ten-Bil­dungs­bür­gers be­we­gen muss, glaubt!