Die Mär vom So­li­dar­pakt

Die Wel­len schla­gen hoch. Eben noch »Kul­tur­haupt­stadt Eu­ro­pas« (mit ent­spre­chen­den Aus­ga­ben und pro­ble­ma­ti­schen Un­ter­halts­ko­sten, die jetzt schein­bar un­rett­bar zu Bu­che schla­gen), und jetzt wie­der ein­mal plei­te: Die Ober­bür­ger­mei­ster des Ruhr­ge­biets for­dern ein En­de des »per­ver­sen Sy­stems« des so­ge­nann­ten »So­li­dar­pakts«. Schließ­lich sei­en ih­re Stra­ßen auch löch­rig und das Geld schon lan­ge nicht mehr vor­han­den. So be­rich­te­ten SZ, FTD, Spie­gel-On­line, Fo­cus-On­line, und noch vie­le an­de­re. Bei ei­ner Um­fra­ge auf tagesschau.de an die ge­neig­te Le­ser­schaft heisst es:

Durch den So­li­dar­pakt II er­hal­ten die ost­deut­schen Bun­des­län­der bis 2019 ins­ge­samt 156 Mil­li­ar­den Eu­ro. Da­mit sol­len die Le­bens­ver­hält­nis­se zwi­schen Ost und West an­ge­gli­chen wer­den. Das Geld da­für müs­sen der Bund, die Län­der und die Kom­mu­nen auf­brin­gen – und zwar un­ab­hän­gig da­von, wie de­ren ei­ge­ne Fi­nanz­la­ge ist.

Das ist nach­weis­lich falsch. Im »So­li­dar­pakt II« sind Son­der­er­gän­zungs­zu­wei­sun­gen im Rah­men des län­der­fi­nanz­aus­gleichs fest­ge­legt wor­den. Die Kom­mu­nen sind dar­an nicht be­tei­ligt.

In sei­nem Ar­ti­kel über die Kla­gen der Ruhr­ge­biet-OBs, gibt der WDR ei­ne durch­aus zu­tref­fen­de Er­klä­rung (auf das un­ter­stri­che­ne Wort klicken):

Als Auf­bau Ost wird um­gangs­sprach­lich ei­ne Son­der­ab­ga­be des Bun­des und der Län­der der al­ten Bun­des­re­pu­blik an die neu­en Bun­des­län­der im Osten be­zeich­net.

Der er­ste So­li­dar­pakt wur­de 1993 vom da­ma­li­gen Bun­des­kanz­ler Hel­mut Kohl (CDU) und den Re­gie­rungs­chefs der Län­der aus­ge­han­delt. Mit der Zu­satz­ab­ga­be soll­ten die wirt­schaft­li­chen und in­fra­struk­tu­rel­len De­fi­zi­te in den ost­deut­schen Län­dern auf­ge­holt wer­den. Die Son­der­hil­fen flos­sen zu­nächst ab 1995 für zehn Jah­re. En­de 2004 lief der ur­sprüng­li­che So­li­dar­pakt aus. Ins­ge­samt er­hiel­ten die neu­en Län­der und ih­re Kom­mu­nen über die­sen Fi­nanz­aus­gleich 94,5 Mil­li­ar­den Eu­ro. Am 1. Ja­nu­ar 2005 trat der So­li­dar­pakt II in Kraft. Der Bund ver­pflich­tet sich dar­in, den neu­en Län­dern für den Auf­bau Ost bis 2019 ins­ge­samt 156,5 Mil­li­ar­den Eu­ro zur Ver­fü­gung zu stel­len.

Un­ab­hän­gig vom So­li­da­ri­täts­pakt wird seit Ja­nu­ar 1995 auch der So­li­da­ri­täts­zu­schlag, um­gangs­prach­lich »So­li«, er­ho­ben. Es han­delt sich da­bei um ei­nen Zu­schlag zur Lohn‑, Ein­kom­mens- und Körper­schafts­steuer. Er wird von al­len Steu­er­pflich­ti­gen in Ost und West auf Grund­la­ge des Ein­kom­mens er­ho­ben und fließt eben­falls haupt­säch­lich in den Auf­bau Ost. Zwi­schen den Ein­nah­men aus dem So­li und den Aus­ga­ben durch den So­li­da­ri­täts­pakt be­steht kein Zu­sam­men­hang.

Ab­ge­se­hen da­von, dass die Struk­tur­pro­ble­me des Ruhr­ge­biets he­te­ro­ge­ner Na­tur und sehr viel­fäl­tig sind, gibt es bei den Kom­mu­nal­po­li­ti­kern schein­bar er­heb­li­che De­fi­zi­te, was die Ein­schät­zung des be­klag­ten Phä­no­mens an­geht. Das wä­re an sich schon be­dau­er­lich, wenn nicht auch die mei­sten Me­di­en die­se fal­schen An­ga­ben ver­brei­ten wür­den.

Die Er­klä­rung des WDR ist in­so­fern ein Fort­schritt, als im­mer­hin »So­li­dar­pakt II« und »So­li­da­ri­täts­bei­trag« ge­trennt wer­den (letz­te­rer ist ei­ne Ab­ga­be u. a. auf die Ein­kom­men­steu­er und wird wohl im We­sten wie auch im Osten er­ho­ben). Den­noch wird nicht dar­auf hin­ge­wie­sen, dass der Sprach­ge­brauch der Ober­bür­ger­mei­ster falsch ist. Denn die Ge­mein­den zah­len nicht in den »So­li­dar­pakt II« ein, son­dern sind ver­pflich­tet, ei­nen Teil ih­rer Ge­wer­be­steu­er­ein­nah­men an den so­ge­nann­ten »Fonds Deut­sche Ein­heit« ab­zu­füh­ren. Mit dem »So­li­dar­pakt II« das nichts zu tun.

Da­mit sind die Er­klä­run­gen ir­re­füh­rend, die be­haup­ten, dass ins­ge­samt 156,5 Mil­li­ar­den Eu­ro zur Ver­fü­gung ge­stellt wür­den. Dies gilt zwar für den »So­li­dar­pakt II«, ist aber da­hin­ge­hend falsch, dass es die Ge­mein­den gar nicht tan­giert. Statt­des­sen wird sug­ge­riert, die Städ­te und Ge­mein­den müss­ten die­se Sum­me auf­brin­gen.

Die West-Kom­mu­nen be­zah­len tat­säch­lich pro Jahr rd. 2,6 Mil­li­ar­den Eu­ro in den »Fonds Deut­sche Ein­heit«. Die Ge­wer­be­steu­er­ein­nah­men, die kon­junk­tur­mä­ßig stark schwan­ken kön­nen, lie­gen bei rund 30 Mil­li­ar­den Euro/Jahr (net­to).

Zu­ge­ge­ben, 2,6 Mil­li­ar­den Eu­ro klingt nicht so spek­ta­ku­lär wie 156,5 Mil­li­ar­den. (Und man be­kommt ei­ne Ah­nung, war­um es in den ent­spre­chen­den Kom­mu­nen so aus­se­hen könn­te, wie es aus­sieht.)

Die astro­no­mi­schen Schul­den von Städ­ten wie Dort­mund, Ober­hau­sen oder Es­sen kön­nen un­mög­lich al­lei­ne den Ab­ga­ben zum »Fonds Deut­sche Ein­heit« zu­ge­rech­net wer­den. Sie der­art ver­ein­fa­chend den Län­dern im Osten zu­zu­wei­sen, ist nur fahr­läs­sig, son­dern auch grob falsch.

Aber es war schon im­mer ein­fa­cher, die ei­ge­nen Ver­säum­nis­se an­de­ren an­zu­la­sten. Scha­de, dass die Me­di­en die­se Dik­tio­nen ein­fach über­neh­men. Fast al­lei­ne stand da die FAZ. Im­mer­hin.


PS: Die­ser Bei­trag sagt rein gar nichts aus über die even­tu­el­le Not­wen­dig­keit, ar­me Kom­mu­nen auch in West­deutsch­land zu un­ter­stüt­zen. Die Glei­chung, die jetzt von den Be­trof­fe­nen auf­ge­macht wird (Osten = Geld; We­sten = des­we­gen arm) ist je­doch un­zu­tref­fend und dum­mes Wort­ge­klap­per.


2 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Zu dem Ar­ti­kel in der FAZ ist al­ler­dings an­zu­mer­ken, dass hier wahr­schein­lich nicht im Dien­ste der Wahr­heit und der Auf­klä­rung ar­gu­men­tiert wur­de, son­dern bloß um dem Wahl­kampf von SPD und Han­ne­lo­re Kraft et­was den Wind aus den Se­geln zu neh­men. Die Sym­pa­thien der FAZ­ler dürf­te ja nicht den SPD­lern ge­hö­ren.

  2. Na­ja, die Zei­ten als die FAZ noch »rechts«, die Zeit »li­be­ral« und die FR »links« wa­ren, sind ei­gent­lich vor­bei. Ge­ra­de die FAZ legt er­staun­li­che Spa­ga­te hin: Ei­ner­seits ver­klagt man den Per­len­tau­cher für sei­ne Ver­lin­kun­ga­hin­wei­se, an­de­rer­seits ge­ben sich die Pi­ra­ten-Po­li­ti­ker im Feuil­le­ton und auch sonst wo die Klin­ke in die Hand. Von di­ver­sen Schirrmacher-»Ich-bin-jetzt-vielleicht-links«-Artikeln bis zum Gut­ten­berg-Bas­hing mal ab­ge­se­hen.

    Wel­che In­ten­ti­on der Ar­ti­kel hat­te (der na­tür­lich stark auf Vaatz Be­zug nimmt), ist mir ei­gent­lich egal. Es zählt nur, ob es stimmt oder nicht.

    (Er­in­nert mich an ei­ne Talk­show ir­gend­wann in den 80er Jah­ren; da­mals gab es noch nicht so vie­le. Ein­ge­la­den war u. a. Jut­ta Dit­furth die da­mals – noch? – bei den Grü­nen als »Fun­di« her­um­spuk­te. Ir­gend­wann sag­te dann ein CSU-Mann was. Die Dit­furth wur­de dar­auf an­ge­spro­chen und war ganz ver­dutzt: Sie müs­se dem ei­gent­lich zu­stim­men, aber weil es ein CSU-Mann sei, ge­he das doch gar nicht. Das kam oh­ne jeg­li­che Iro­nie.)