Die Fas­zi­na­ti­on des Deckels

Die Be­richt­erstat­tung in den deut­schen Me­di­en über den gro­ßen Er­folg der so­ge­nann­ten »Ab­zocker-In­itia­ti­ve« des Un­ter­neh­mers Tho­mas Min­der in der Schweiz ist in­ten­siv. Aber sie ist oft falsch und schlicht­weg zu ein­fach. Statt das Pu­bli­kum über die In­hal­te der Schwei­zer In­itia­ti­ve auf­zu­klä­ren, wer­den grif­fi­ge For­meln ge­fun­den, die mit der Rea­li­tät nur we­nig zu tun ha­ben.

Die Neue Zür­cher Zei­tung macht die­se kom­ple­xi­täts­re­du­zie­ren­de Be­richt­erstat­tung in »klei­ne­ren« Me­di­en aus. Da­zu ge­hört aus Schwei­zer Sicht of­fen­sicht­lich die »Welt«, die mit ih­rer Schlag­zei­le »Ma­na­ger­ge­häl­ter sol­len in der Schweiz künf­tig ge­deckelt wer­den – so ha­ben die Bür­ger des Lan­des ent­schie­den« man­geln­de jour­na­li­sti­sche »Fi­nes­se« zei­ge, so die NZZ. Im­mer­hin hat man dort in­zwi­schen die Schlag­zei­le ver­än­dert.

Die man­geln­de jour­na­li­sti­sche Fi­nes­se ist be­son­ders deut­lich im deut­schen Fern­se­hen bzw. de­ren On­line-An­ge­bo­ten. Auf heute.de wur­de am 03.03. ge­mel­det: »Die Schwei­zer Bür­ger ha­ben ge­gen ho­he Ma­na­ger­ver­gü­tun­gen ab­ge­stimmt.« Erst im wei­te­ren Text­ver­lauf wird er­läu­tert, dass es die Ak­tio­nä­re sein sol­len, die die Ver­gü­tun­gen be­stim­men. Das hät­te man we­nig­stens in der heu­te-Sen­dung am 04.03. zu­sam­men mit ei­ni­gen De­tails ver­mel­den kön­nen. Aber Pe­tra Ger­ster ver­kün­det, die Schweiz ha­be be­schlos­sen, »ex­or­bi­tant ho­he Ma­na­ger­ge­häl­ter zu deckeln«. Auch im wei­ter­füh­ren­den Film wird dies be­haup­tet – wo­mög­lich sind die auf der Stra­ße ein­ge­sam­mel­ten Mei­nun­gen von Pas­san­ten mit ex­akt die­ser Fra­ge zu­stan­de ge­kom­men. Am En­de ver­wies man – wie das so oft ge­schieht – auf das In­ter­net­an­ge­bot des Sen­ders. Ei­ne Un­sit­te, die im­mer häu­fi­ger zu be­ob­ach­ten ist. Zu­mal das Ma­te­ri­al dort auch nur teil­wei­se kor­rekt ist.

Vor dem »heu­te-Jour­nal« sug­ge­riert das Lauf­band mit dem Be­griff »Bo­nus­brem­se« eben­falls et­was, was es so gar nicht ge­ge­ben hat. Claus Kle­ber hebt zu ei­nem Lob­lied über die di­rek­te De­mo­kra­tie in der Schweiz an. In der nach­fol­gen­den Be­richt­erstat­tung wird nicht mehr di­rekt von ei­ner Decke­lung ge­spro­chen. Klaus Nie­ding von der Schutzgemein­schaft deut­scher Wert­pa­pier­an­le­ger darf so­gar die Un­ter­schie­de zwi­schen dem Ver­hal­ten deut­scher und schwei­zer Ak­tio­nä­re an­deu­ten (in Deutsch­land ver­schenkt je­der Ak­ti­en-Käu­fer fast au­to­ma­tisch sein Haupt­ver­samm­lungs-Stimm­recht bei der Be­schaf­fung an die Bank).

Die ARD mach­te es nur we­nig bes­ser. Die er­ste Mel­dung lau­te­te: »Schwei­zer wol­len Ma­na­ger­ge­häl­ter be­gren­zen«. Der wei­ter­füh­ren­de Text ist un­ge­nau, teil­wei­se un­rich­tig. Ef­fekt­ha­sche­risch wird von ei­nem »Ge­setz ge­gen Gier« ge­spro­chen, wel­ches in der Schweiz nun in­stal­liert wer­de. In der »ta­ges­schau« vom 04.03. ist von dem Schwei­zer Vo­tum zur »Be­gren­zung von Ma­na­ger­ge­häl­tern« die Re­de. Und auch in den »ta­ges­the­men« wird von der Decke­lung von »Bo­ni« und »Ge­häl­tern« ge­re­det und sug­ge­riert, es gin­ge dar­um. Kaum wird auf die Ar­chi­tek­tur in­ner­halb der AG ein­ge­gan­gen; erst Alo­is Thei­sen im »Kommen­tar« stellt fest, dass for­mal in Deutsch­land jetzt schon die Ak­tio­nä­re die Ent­schei­dun­gen tref­fen. Die Un­ter­schei­de in den Ak­ti­en­ge­set­zen zwi­schen Deutsch­land und der Schweiz in­ter­es­siert Thei­sen na­tür­lich nicht. Er schmeißt sich lie­ber mit sei­nen For­de­run­gen nach dem Ein­griff des Staa­tes an das Pu­bli­kum her­an.

Der Fas­zi­na­ti­on des nicht vor­han­de­nen Deckels wi­der­ste­hen nur we­ni­ge Jour­na­li­sten. Bei­spiels­wei­se Peer Teuw­sen auf »zeit-on­line«. Dort heißt es klipp und klar: »Min­der geht es auch nicht dar­um, die Ma­na­ger­ge­häl­ter zu deckeln. Er will, dass die Ak­tio­nä­re ge­ne­rell mehr zu sa­gen ha­ben.« Man kann das al­les nach­le­sen, näm­lich hier und hier. Aber dann hät­te man die­se wohl­fei­le Be­wun­de­rungs­ma­schi­ne­rie für die De­mo­kra­tie in der Schweiz nicht so en­thu­sia­stisch an­stim­men kön­nen. Ein Lob von den Me­di­en, die da­mals, bei der In­itia­ti­ve zum Mi­na­rett-Ver­bot 2009 ein­dring­lich vor den Ein­flüs­sen di­rek­ter De­mo­kra­tie zu Gun­sten von »Po­pu­li­sten« warn­ten. So ist das, wenn Ge­sin­nun­gen Jour­na­lis­mus be­trei­ben.

15 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Sehr gut und ge­nau be­ob­ach­tet! Ein ein­drucks­vol­les Bei­spiel, wie die Me­di­en – oh­ne Un­ter­schied ob ÖR oder rein kom­mer­zi­ell – die Nach­richt bis zur völ­li­gen Ent­stel­lung der Sach­la­ge ent­dif­fe­ren­zie­ren, Haupt­sa­che sie krie­gen es ir­gend­wie hin, et­was Auf­re­gung in die Mel­dung zu in­ji­zie­ren. Es fehlt nicht mehr viel und man muss bei je­dem »Skan­dal« und »Auf­re­ger« als Er­stes ver­mu­ten, dass es sich nur um ei­ne zu­recht ge­bo­ge­ne Schein-Nach­richt han­delt.

  2. Ich glau­be bei Kier­ke­gaard steht die Be­mer­kung, dass je­mand, der dau­ernd »Feu­er« ruft ob­wohl gar nichts pas­siert ist ir­gend­wann nicht mehr wahr­ge­nom­men wird, wenn es dann tat­säch­lich brennt.

  3. Ich ha­be, ich weiß nicht mehr in wel­chem Re­a­dio­sen­der, ge­hört, die Ak­tio­nä­re wol­len nun, nach­dem sie dür­fen, be­stim­men, dass die Bo­ni das Grund­ge­halt nicht über­schrei­ten dür­fen. Wenn das al­les ist, sag­te ich mir und frag­te mich, ob das Jah­res- oder das Mo­nats­ge­halt ge­meint ist, denn das wur­de nicht ge­sagt, und dann sah ich vor mei­nem in­ne­ren Au­ge die lä­cheln­den Ma­na­ger, die ih­re Bo­ni nun halt an­ders de­kla­rie­ren wer­den. Sie wer­den die Grund­ge­häl­ter er­hö­hen und die Bo­ni übers Jahr ver­teilt ein­sam­meln, an­statt wie bis­her auf ei­nen Schlag am Jah­res­en­de. Cha­peau, tol­le PR-Kam­pa­gne für die Ab­zocker, (Neu: Ab­zocken jetzt ver­ant­wor­tungs­be­wusst und de­mo­kra­tisch!) Tipp­top­pe Des­in­for­ma­ti­on.

  4. Schön be­ob­ach­tet! Viel­leicht wur­de ja ei­ne Agen­tur­mel­dung un­ge­prüft über­nom­men. Ich ha­be bei uns nur in der Pres­se nach­ge­le­sen, al­ler­dings erst heu­te, da hat man kaum (oder gar nicht) von Decke­lung ge­schrie­ben. Da­für ging dort in ei­nem Kom­men­tar un­ter, dass nicht die Ge­ne­ral­ver­samm­lung die Ge­häl­ter fest­le­gen soll, son­dern ein von die­ser ge­wähl­ter Ver­gü­tungs­aus­schuss.

    De­mo­kra­tie ist, wenn ab­ge­stimmt wird, wie es sein soll. Oder so.

  5. @Gregor-Prinzipiell hast Du ja recht, aber ich ha­be er­heb­li­che Zwei­fel, ob die mei­sten Schwei­zer im De­tail ge­wusst ha­ben, wor­über sie ab­stimm­ten. In den Schwei­zer Me­di­en je­den­falls fir­mier­te die »Min­der-In­itia­ti­ve« auch im­mer nur rei­ße­ri­schen als »Ab­zocker-In­i­ta­ti­ve«.

  6. »Schwei­zer wol­len Ma­na­ger­ge­häl­ter be­gren­zen« Die­ser Satz ist nicht wirk­lich un­rich­tig, denn im gan­zen Wahl­kampf ging es ei­gent­lich um ein En­de von ex­or­bi­tan­ten Löh­nen. Nur die über­wäl­ti­gen­de Mehr­heit der Ab­stim­men­den woll­ten eben ge­nau ei­ne Be­gren­zung der Ma­na­ger­ge­häl­ter.

  7. Die Min­der-In­itia­ti­ve ist in der Schweiz fast nur als Ab­zocker-In­itia­ti­ve be­kannt. Dem Volk ging es ein­deu­tig um ei­ne Be­gren­zung der Ge­häl­ter und nicht um mehr Ak­tio­närs­rech­te. Von dem her sind sämt­li­che In­ter­pre­ta­tio­nen der deut­schen Zei­tun­gen rich­tig, auch wenn ef­fek­tiv nun ein­fach die Ak­tio­nä­re ent­schei­den kön­nen.

  8. @Stephanie
    Wo­mög­lich mei­nen Sie die EU-In­itia­ti­ve zur Re­gle­men­tie­rung der Bo­ni auf das Dop­pel­te der Ge­häl­ter (hier zum Bei­spiel). Die Schwei­zer In­itia­ti­ve sieht vor, dass auf der Ge­ne­ral­ver­samm­lung (die in et­wa der Haupt­ver­samm­lung nach deut­schem Ak­ti­en­recht ent­spricht), »über die Ge­samt­sum­me al­ler Ver­gü­tun­gen (Geld und Wert der Sach­lei­stun­gen) des Ver­wal­tungs­ra­tes, der Ge­schäfts­lei­tung und des Bei­ra­tes« ab­ge­stimmt wird, und zwar jähr­lich.

    Fer­ner ist ei­ne Im­ple­men­tie­rung ei­nes »Ver­gü­tungs­aus­schus­ses« vor­ge­se­hen. Da­von un­ab­hän­gig wird fest­ge­stellt, dass die Vor­stän­de »kei­ne Ab­gangs- oder an­de­re Ent­schä­di­gung, kei­ne Ver­gü­tung im Vor­aus, kei­ne Prä­mie für Fir­men­käu­fe und ‑ver­käu­fe und kei­nen zu­sätz­li­chen Be­ra­ter- oder Ar­beits­ver­trag von ei­ner an­de­ren Ge­sell­schaft der Grup­pe« er­hal­ten sol­len.

  9. @Mark Loos­li und @Jonas I.
    Volks­tüm­lich mag der Satz stim­men, de ju­re ist er falsch. Es geht – wie man nach­le­sen kann- nicht um Be­gren­zung von Ge­häl­tern, son­dern um Ein­gren­zung von Son­der­lei­stun­gen wie Ab­fin­dun­gen oder Vor­aus­ver­gü­tun­gen.

    Die Crux an dem fal­schen Schluß in den deut­schen Me­di­en liegt dar­in, dass sug­ge­riert wird, die Schwei­zer hät­ten die Ge­häl­ter »ge­deckelt« und so et­was lie­ße sich nun auf die deut­schen AGs ein­fach über­tra­gen. Da­mit wer­den vor­ran­gi­ge Fra­gen ein­fach nicht ge­stellt: Wel­che Rol­le spie­len Auf­sichts­rä­te in deut­schen AGs? – Mei­stens ei­ne schlech­te, weil sie sich teil­wei­se so­gar aus ehe­ma­li­gen Vor­stän­den zu­sam­men­set­zen und/oder ein­fach nur Ab­nicker sind. Ei­ne Fra­ge könn­te auch sein, ob man das deut­sche Ak­ti­en­ge­setz in Be­zug auf die Auf­sichts­rä­te nicht ent­schei­dend än­dert. Oder, was die Grü­nen vor­schla­gen, die steu­er­li­che Ab­setz­bar­keit von Ein­künf­ten ein­schrän­ken. Da­für bräuch­te man kei­ne EU und vor al­lem kei­ne Bri­ten, de­ren po­li­ti­sches Sy­stem durch den Fi­nanz­markt längst kor­rum­piert ist.

  10. »Durch­schnitt­lich acht Mil­lio­nen Eu­ro ver­dien­te ein Kon­zern­chef 2011 in der Schweiz – ver­gli­chen mit 6,7 Mil­lio­nen Eu­ro in Deutsch­land oder Groß­bri­tan­ni­en.« schreibt Spie­gel On­line http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/schweiz-beschliesst-eines-der-schaerfsten-aktiengesetzte-der-welt-a-886640.html

    Die­ser Ver­gleich hinkt na­tür­lich ge­wal­tig, wenn man be­denkt, dass das Lohn­ni­veau hier in der Schweiz ins­ge­samt weit mehr als 20% über dem deut­schen liegt und schwei­zer Ma­na­ger dem­nach re­la­tiv we­ni­ger ver­die­nen.

  11. @ Gre­gor

    Na­tür­lich ist es de ju­re falsch. Aber es muss dar­auf hin­ge­wie­sen wer­den, dass auch in der Schweiz von ei­nem Gross­teil der Be­völ­ke­rung die In­itia­ti­ve als Be­gren­zung von Bo­ni wahr­ge­nom­men wur­de, auch wenn noch gar nicht klar ist, was die Ak­tio­nä­re ent­schei­den wer­den. Es han­delt sich ganz klar um ei­nen Ent­scheid ge­gen ho­he Ma­na­ger­ge­häl­ter (Pa­ra­de­bei­spiel Va­sel­la) und nicht für mehr Ak­tio­när­rech­te. Wenn die­se im Vor­der­grund des Ab­stim­mungs­kamp­fes ge­stan­den hät­ten, so hät­te sich kein Mensch um die In­itia­ti­ve ge­schert.

  12. @Torsten
    Die Be­to­nung liegt na­tür­lich auf »re­la­tiv«. Der Aus­lö­ser, der der In­itia­ti­ve wohl den letz­ten Schub gab – @Jonas I. spricht da­von in sei­nem Kom­men­tar – ist der so­ge­nann­te Va­sel­la-Ef­fekt, nach dem ein zu­rück­ge­tre­te­ner Novartis-»Präsident« 72 Mil­lio­nen SFR als ei­ne Art »Ent­schä­di­gung« be­kom­men soll­te.

    @Jonas I.
    Gibt es Un­ter­su­chun­gen da­zu, in­wie­fern die tat­säch­li­chen De­tails der In­itia­ti­ve be­wer­tet wur­den? (Ich bin im­mer ein biss­chen skep­tisch, wenn man so schnell da­bei ist, die Po­pu­la­ri­sie­rung des Dis­kur­ses dem Pu­bli­kum an­zu­la­sten...)

  13. Laut Ein­schät­zun­gen von Ex­per­ten ging es den Stimm­bür­gern dar­um, ein Zei­chen zu set­zen. Vor al­lem sei auch die emo­tio­na­le Kom­po­nen­te stark mit­ein­ge­flos­sen (noch ver­stärkt, weil zwei Wo­chen vor den Ab­stim­mun­gen be­kannt wur­de, dass No­v­ar­tis-Chef Va­sel­la für ein fünf­jäh­ri­ges Kon­kur­renz­ver­bot 72 Mio CHF kas­sie­ren soll). Bis es de­tail­lier­te­re Un­ter­su­chun­gen gibt, dau­ert es wohl noch ei­ne Wei­le.

  14. Apro­pos Fi­nes­se:
    Gre­gor Keu­sching 6. Mrz. 2013 um 9:22 :
    »... vor al­lem kei­ne Bri­ten, de­ren po­li­ti­sches Sy­stem durch den Fi­nanz­markt längst kor­rum­piert ist.«

  15. @Gregor Keu­sch­nig Nein, es ging ex­pli­zit um die so­ge­nann­te »Ab­zocker-In­itia­ti­ve«. Ich weiß nichts über die me­dia­le Dar­stel­lung und die Wahr­neh­mung in der Schweiz, aber in der Bun­des­re­pu­blik wur­de ja wirk­lich, wie Sie es im Ar­ti­kel dar­ge­stellt ha­ben, ganz gro­ßes Ki­no be­trie­ben, und ich bin wirk­lich froh, dass im Netz ei­ne ge­wis­se Ge­gen­öf­fent­lich­keit (noch?) mög­lich ist und In­for­ma­tio­nen re­cher­chier­bar sind, nach de­nen Qua­li­täts­jour­na­li­stin­nen und ‑jour­na­li­sten gar nicht erst su­chen.