Chri­sti­an Kracht: Im­pe­ri­um

Christian Kracht: Imperium

Chri­sti­an Kracht: Im­pe­ri­um

Als die Ge­schich­te be­ginnt, ist Au­gust En­gel­hardt auf ei­nem Schiff die dün­nen Bei­ne über­ein­an­der­schla­gend und ei­ni­ge ima­gi­nä­re Krü­mel mit dem Hand­rücken von sei­nem Ge­wand wi­schend grim­mig über die Re­ling auf das öli­ge, glat­te Meer schau­end. Man ist am An­fang des 20. Jahr­hun­derts und der Ort, der an­ge­peilt wird, heißt Her­berts­hö­he. Deutsch­land hat Ko­lo­nien.

Au­gust En­gel­hardt hat es tat­säch­lich ge­ge­ben. Ei­ni­gen gilt er als »er­ster Aus­stei­ger«. Die Ein­schät­zun­gen differier(t)en zwi­schen Vi­sio­när und Spin­ner; Ten­denz zum letz­te­ren. En­gel­hardt war nach »Deutsch-Neu­­gui­nea« auf­ge­bro­chen, er­stand dort ei­ne Kokosnuss­plantage (mit die­bi­schem Ver­gnü­gen wird er­zählt, wie er be­reits beim Kauf übers Ohr ge­hau­en wird), grün­de­te ei­nen »Son­nen­or­den« und pfleg­te sei­nen »Ko­ko­vo­ris­mus«, d. h. ei­ne Art Kult um die aus­schließ­li­che Er­näh­rung durch die Ko­kos­nuss. Er tat dies meist split­ter­nackt, wo­bei die In­sel­be­woh­ner die­se Zivilisations­losigkeit des Mi­gran­ten zwar schockier­te, von ih­nen aber groß­zü­gig to­le­riert wur­de. Lei­der hat­te En­gel­hardt über­haupt kein mer­kan­ti­les Ta­lent (was forsch als Ka­pi­ta­lis­mus­kri­tik um­ge­ar­bei­tet wer­den konn­te), plag­te sich zu­se­hends mit leprö­sen Schwä­ren, wur­de am En­de wahn­sin­nig und starb dann kurz nach dem Er­sten Welt­krieg. So weit, so gut. Aber es geht – wie fast im­mer – nicht nur um Fak­ten, es geht um Li­te­ra­tur. So dich­tet Kracht sei­nem Ro­man-Per­so­nal ei­ni­ges an, ver­quirlt es mit tat­säch­lich Ge­sche­he­nem und et­li­chen An­ek­döt­chen und das in ei­ner ma­nie­riert-ba­rocken Spra­che, ei­ner Mi­schung aus El­frie­de-Je­li­nek-Duk­tus und »Prospero’s Books« von Pe­ter Greena­way mit ei­ner Pri­se Ro­bin­son-Crusoe-Aben­teu­rer­tum (man be­ach­te die Per­so­na­lie Ma­ke­li, En­gel­hardts »Frei­tag«, der am Schluss dann Faust II und Ib­sens »Ge­spen­ster« in deut­scher Spra­che vor­ge­tra­gen zu wür­di­gen weiß). Ab­ge­run­det wird dies mit ei­nem schö­nen Um­schlag im Tim-und-Strup­pi-Look (und ir­gend­wie an Mi­cha­el On­da­at­jes neu­em Buch er­in­nernd).

Sprach­schnör­kel, ab­ge­han­gen iro­nisch

Ent­we­der man gibt sich dem wort­ge­wal­ti­gen, zum Teil schwül­stig-ver­schraub­tem, ge­le­gent­lich ab­ge­han­gen iro­nisch (Tho­mas-Mann-Epi­go­nen­tum par ex­cel­lence) da­her­kom­men­den Ela­bo­rat hin und ver­gnügt sich da­mit noch nicht ein­mal un­ter dem be­rühm­ten Fritz-Kort­ner-Ni­veau. Oder man kann mit sol­cher Li­te­ra­tur nichts an­fan­gen, er­schrickt vor de­ren ar­ti­fi­zi­el­ler Sprach­schnör­kel­ver­liebt­heit, die zu­wei­len na­tür­lich (in dop­pel­tem Sinn) an­ti­quiert da­her­kom­men und de­nun­ziert das dann in neo­ko­lo­nia­lem Ge­stus, be­gie­rig die Vo­ka­beln »Ka­nacke« und »Ne­ger­mäd­chen« her­aus­klau­bend und – qua­si als To­des­stoß – ein an­de­res Büch­lein des Au­tors her­an­zie­hend (ei­nen, wie man hier schön nach­le­sen kann eher in skan­da­li­siert-af­fek­tier­tem Ton ver­fass­ten Mail­wech­sel). Hym­ne oder Zer­trüm­me­rung – ein drit­ter Weg scheint fast un­mög­lich. Wirk­lich?

Viel­leicht zu­rück zur Li­te­ra­tur, zu die­ser Mo­ri­tat oh­ne den üb­li­chen, so er­leich­tern­den Mo­ral­aus­gang. Wer spricht denn da? Ein all­wis­sen­der Er­zäh­ler. Ein Zy­ni­ker – dem Duk­tus nach kaum un­ser Zeit­ge­nos­se, aber wer weiß? Auf je­den Fall je­mand, der sei­ne Fi­gu­ren für ei­ne ge­lun­ge­ne Poin­te oh­ne mit der Wim­per zu zucken lä­cher­lich macht. Et­was, was na­tür­lich leicht fällt und die Fi­gu­ren platt wie Papp­ka­me­ra­den wer­den lässt. Da er­zählt ein hoch­nä­si­ger Schnö­sel, dem man halb an­ge­ekelt und halb neu­gie­rig bis zum Schluss folgt. Der frei­lich ei­ni­ger­ma­ßen ent­täu­schend ist: das Schick­sal je­der Fi­gur wird auf kon­ven­tio­nell-alt­mo­di­sche Art und Wei­se auf­ge­löst und so gar nichts Ge­heim­nis­vol­les ei­nes Epochen­untergangs bleibt.

Aber wer mag auf Dau­er schon nar­ziss­ti­sche Er­zäh­ler, die der­art auf ihr Su­jet herab­blicken. Und ist nicht zu lä­cher­lich, wie der Nie­der­gang des »Im­pe­ri­ums« (vul­go: Deutsch­lands) im Klei­nen be­reits vor­weg ge­nom­men wird – und das, ob­wohl es doch bis zur knap­pen Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts so aus­sah, als wür­de es das Jahr­hun­dert der Deut­schen wer­den. Aber als gut fünf­und­zwan­zig En­gel­hardt-Jün­ger die neu aus dem Bo­den ge­stampf­te Haupt­stadt Ra­baul er­rei­chen und dem Ko­ko­vo­ris­mus frö­nen wol­len, in­ter­ve­niert der Gou­ver­neur beim Gu­ru, doch für ei­ne ra­sche Des­il­lu­sio­nie­rung nebst Rück­trans­port zu sor­gen (die Ko­sten wer­den En­gel­hardt von dem zu er­war­ten­den Ern­te­er­trag de­bi­tiert – die­ser Er­trag wird dann nie­mals ein­tre­ten).

Da droht al­so das »Im­pe­ri­um« von 25 arm­se­li­gen, von der Rei­se ge­schwäch­ten und teil­wei­se be­reits tod­kran­ken Ge­stal­ten her­aus­ge­for­dert zu wer­den. Ge­gen En­de steht dann En­gel­hardt, ein Er­folg­lo­ser, längst ver­las­sen von sei­nen Hel­fern, ein in mehr­fa­cher Hin­sicht Kran­ker, sel­ber zur Dis­po­si­ti­on. Der Gou­ver­neur er­presst ei­nen her­un­ter­ge­kom­me­nen Ka­pi­tän da­mit, den Ko­kos­nuss-Mann um­zu­brin­gen. Aber der Ka­pi­tän er­in­nert sich an schö­ne Schach­par­tien und dar­an, von En­gel­hardt im­mer wie ein voll­wer­ti­ger Mensch an­ge­nom­men wor­den zu sein und hat mit dem in­zwi­schen vom Frei­geist und stren­gen Ve­ge­ta­ri­er zum An­ti­se­mi­ten und Au­to­kan­ni­ba­len mu­tier­ten Mann (es bleibt nicht bei der Ver­ko­stung der Fin­ger- und Ze­hen­nä­gel) mehr als nur Mit­leid. Er kann es nicht und das En­de En­gel­hardts ver­zö­gert sich. Der Gou­ver­neur wird ab­kom­man­diert; der Krieg ist ja schließ­lich ver­lo­ren.

Aus­flü­ge des All­wis­sen­den

Im­mer wie­der bricht Krachts Er­zäh­ler aus der Chro­no­lo­gie aus; meist nur für ein paar Mo­men­te. In­mit­ten der ko­lo­nia­len Tro­pen­helm-Lan­ge­wei­le des »Deut­schen Clubs« und/oder En­gel­hardts kon­fu­sem Ve­ge­ta­ri­er-Nu­di­sten-Pro­gramm (nein, ei­ne Sa­ti­re auf den gras­sie­ren­den Bio­wahn un­se­rer Zeit ist hier nicht zu ent­zif­fern), lei­stet sich der All­wis­sen­de Aus­flü­ge in die gro­ße, wei­te Welt und be­rich­tet von ver­gan­ge­nen und zu­künf­ti­gen Ta­gen. Was da­mit be­zweckt wer­den soll, bleibt dif­fus. Geht es dar­um, das Schick­sal zu evo­zie­ren? Oder auch nur um die Gleich­zei­tig­keit dis­pa­ra­ter Er­eig­nis­se in der Welt zu spie­geln? Han­delt es sich um ein Spiel? Oder ist es pu­re Lust an der Pro­vo­ka­ti­on, et­wa wenn (min­de­stens) zwei­mal der Mann mit ei­ner absurde[n] schwarze[n] Zahn­bür­ste im Ge­sicht vor­kommt? Ein­mal bei­na­he lau­ernd im spek­tra­len Münch­ner Som­mer­licht nur ein paar Jähr­chen be­vor sei­ne Zeit ge­kom­men sein wird, ei­ne tra­gen­de Rol­le im gro­ßen Fin­ster­nis­thea­ter zu spie­len. Und noch ein­mal, wei­ter in der Ver­gan­gen­heit su­chend, als ein Gra­nat­split­ter sich wie ein wei­ßer Wurm in die Wa­de des jun­gen Ge­frei­ten der 6. Kö­nig­lich Baye­ri­schen Re­ser­ve-Di­vi­si­on bohrt und dann doch ei­ni­ger­ma­ßen be­dau­ernd fest­ge­stellt wird, le­dig­lich ein paar Zoll hö­her, zur Haupt­schla­gera­der hin und nur we­ni­ge Jahr­zehn­te spä­ter hät­ten die Groß­el­tern des Er­zäh­lers auf der Ham­bur­ger Moor­wei­de nicht die mit Kof­fern beladene[n] Män­ner, Frau­en und Kin­der am Damm­tor­bahn­hof in die Zü­ge ver­frach­tet und ost­wärts ver­schickt ge­se­hen. Aber es bleibt nicht bei den as­so­zia­ti­ven Ca­meo-Auf­trit­ten die­ses Scheu­sals. So wird bei­spiels­wei­se si­mul­tan zur Ko­kos­plan­ta­ge in der Süd­see in der fer­nen Schweiz ein an­de­rer jun­ger Ve­ge­ta­ri­er her­bei­phan­ta­siert, bei ei­nem Pa­tent­amt be­schäf­tigt und den theo­re­ti­schen Un­ter­bau für sei­ne Dis­ser­ta­ti­on zu­sam­men­trägt, die Jah­re spä­ter das ge­sam­te bis­he­ri­ge Wis­sen der Mensch­heit auf den Kopf stel­len wird. (Die an­de­ren Gä­ste mö­ge der ge­neig­te Le­ser ent­decken.)

Was bleibt al­so? Hy­per­ak­ti­ve Zeit­ge­nos­sen, die mit mo­ra­lin­saurem Be­trof­fen­heits­gei­fer Li­te­ra­tur­kri­tik im­mer mehr zur Li­te­ra­ten­kri­tik ver­kom­men las­sen. Und dann die­je­ni­gen, die sich im Ge­gen­zug mit der über­trie­be­nen Lob­hu­de­lei die­ses eher mit­tel­mä­ßi­gen Büch­leins als Sa­lon-Avant­gar­di­sten bil­lig pro­fi­lie­ren kön­nen. Bei­de Sei­ten miss­brau­chen den Ge­gen­stand ih­rer Be­trach­tung für ih­re schnö­de Selbst­dar­stel­lung. Das Buch wird gut ver­kauft wer­den und Chri­sti­an Kracht ver­mut­lich bis auf al­le Zei­ten ein At­tri­but wie »um­strit­ten« oder »pro­ble­ma­tisch« be­kom­men. Da­mit zieht dann die Ka­ra­wa­ne wei­ter. Bis zum näch­sten Skan­dal.

Es ist zum Kot­zen.


Die kur­siv ge­setz­ten Pas­sa­gen sind Zi­ta­te aus dem be­spro­che­nen Buch.

46 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Ach, ge­gen ei­ne or­dent­li­che, auch mit gro­ben Waf­fen ge­führ­te Feuil­le­ton-Prü­ge­lei hät­te ich gar­nichts ein­zu­wen­den, wenn das nicht al­les so furcht­bar ab­seh­bar wä­re. So scheint es mit zu­min­dest, aber ich ken­ne den Im­pe­ri­um-Kra­wall ei­gent­lich nur als Me­ta-Er­eig­nis aus die­sem Blog und ei­ni­gen Kurz-Mel­dun­gen. Und da sieht das nach ei­ner qua­si ab­ge­kar­te­ten Sa­che aus: Chri­sti­an Kracht, des­sen Rang im Li­te­ra­tur-Sy­stem m.E. vor al­lem sei­ner Fä­hig­keit ge­schul­det ist, die nied­ri­gen In­stink­te deut­scher Feuil­le­to­ni­sten zu be­die­nen; die Pseu­do-Lin­ken, de­ren Beiss-Re­flex zu­ver­läs­sig von Krachts eli­tär-äs­the­ti­zi­sti­scher Po­se aus­ge­löst wird; die pseu­do-ken­ner­schaft­li­chen Neo-Kon­ser­va­ti­ven, die pen­nä­ler­haft ma­nie­rier­te Wen­dun­gen und mit rech­ten Denk­fi­gu­ren um 1900 ko­ket­tie­ren­de For­mu­lie­run­gen für gro­ßen Stil hal­ten – und die Dis­kurs-Si­mu­la­ti­on auf dem Ni­veau von Kö­nigs Er­läu­te­run­gen ist fer­tig. Da schei­nen sich doch al­le Be­tei­lig­ten ge­sucht und ge­fun­den zu­ha­ben.
    A. N. Herbst sagt es schön hier: http://albannikolaiherbst.twoday.net/stories/64976629/

  2. @Doktor D
    Mit gro­ben Waf­fen, im Sin­ne ei­ner gut ge­schrie­be­nen Po­le­mik, da­ge­gen hat wohl kaum je­mand et­was, aber was in der letz­ten Zeit, sei es in der Dis­kus­si­on um Gauck oder auch Kracht, (wie­der?) hoch schlägt sind so of­fen­sicht­lich kon­text­ent­stel­len­de Zi­ta­te oder Le­se­rich­tun­gen, die man fast nur mehr als Ver­such Mei­nung zu ma­chen, er­klä­ren kann — das ist schon jen­seits von grob.

    Auf­schluss­reich und aus­führ­lich auch die­se Be­spre­chung, falls noch nicht be­kannt.

  3. @metepsilonema: Sich die Zi­ta­te zur ei­ge­nen Mei­nung su­chen, hat ja auch ei­ne schö­ne lan­ge Tra­di­ti­on – und kann, gut ge­macht, (fast) schon selbst Kunst sein, wenn auch ei­ne schwar­ze. In der Kracht-Kon­tro­ver­se fin­det die sich aber wohl eher nicht, da ha­ben Sie recht. Viel­leicht wä­re das al­les nicht so är­ger­lich, wenn sol­che Pseu­do-De­bat­ten nicht so­viel Platz und En­er­gie im Feuil­le­ton bin­den wür­den. Da hilft im Grun­de wohl nur: Igno­rie­ren.
    So ganz ver­gleich­bar fin­de ich die Gauck-Dis­kus­si­on und die Im­pe­ri­um-Kon­tro­ver­se ei­gent­lich nicht: Von Men­schen, die sich mir als Ex­per­ten für Li­te­ra­tur prä­sen­tie­ren, er­war­te ich li­te­ra­ri­sches Un­ter­schei­dungs­ver­mö­gen – dar­in schei­nen die Haupt­prot­ago­ni­sten der Im­pe­ri­um-Kon­tro­ver­se kläg­lich ver­sagt zu ha­ben. Bei der Gauck-Dis­kus­si­on hat­te ich den Ein­druck, dass sich hier die po­li­ti­sche Öf­fent­lich­keit zwar re­la­tiv un­or­dent­lich und chao­tisch, aber am En­de doch ganz er­folg­reich über ei­nen po­li­ti­schen Vor­gang auf­ge­klärt hat. Vom Mann, der Kom­mu­nis­mus und DDR ganz al­lein und ei­gen­hän­dig zur Strecke ge­bracht hat, auf der ei­nen und dem an­ti­se­mi­ti­schen Sy­stem-Ge­winn­ler mit dem un­trüg­li­chen Rie­cher für die Fleisch­töp­fe der Macht auf der an­de­ren Sei­te hat sich das Gan­ze, zu­min­dest in den po­li­tisch re­le­van­ten Me­di­en, doch auf ei­ne ganz ver­nünf­ti­ge Hal­tung und Be­richt­erstat­tung ein­ge­pen­delt.

  4. @Doktor D
    Sich Zi­ta­te zur ei­ge­nen Mei­nung su­chen ist völ­lig in Ord­nung, auch sie zu ar­ran­gie­ren, wenn da­bei der ur­sprüng­li­che Kon­text und Sinn (weit­ge­hend) er­hal­ten bleibt. Wenn man li­te­ra­ri­sches Un­ter­schei­dungs­ver­mö­gen er­war­ten darf, dann doch längst, dass kor­rekt zi­tiert wird. Ich mein­te gar nicht die Dis­kus­si­on im Gan­zen, aber Tei­le, z.B. der TAZ-Kom­men­tar der in die­sem Ar­ti­kel er­wähnt wird (Gre­gor hat das un­längst ver­linkt). Es be­schä­digt oder zer­stört, wie sehr schön aus­ge­führt wird, das was man Dis­kus­si­ons­kul­tur nen­nen kann.

  5. @ me­tep­si­lo­n­e­ma, @ Dok­tor D.

    Wo gibt es die von Ih­nen be­schwo­re­ne Dis­kus­si­ons­kul­tur denn? Hier doch auch nicht im­mer, wenn ich an die Dis­kus­si­on in der Kra­wall­schach­tel­aus­ein­an­der­set­zung u.a. den­ke. Es ist scha­de und das Schwei­gen vie­ler ist nicht al­lein ei­ner all­ge­mei­nen Blog­ger­me­lan­cho­lie ge­schul­det, son­dern auch kon­kre­ten Dis­kus­si­ons­bei­trä­gen.
    Aber vie­len Dank für die fai­ren und in­ter­es­san­ten Bei­trä­ge von Ih­nen.

  6. Dann von Gauck noch mal zu Kracht. Ich ha­be das Buch ein­mal ge­le­sen und nicht übel Lust es ein zwei­tes Mal auf­zu­schla­gen. War­um? Die Spra­che war es nicht, je­den­falls nicht haupt­säch­lich. Kracht ver­sucht sich an ei­ner Art von hi­sto­ri­scher Bauch­red­ne­rei, die für ihn neu und äs­the­tisch ge­wagt ist. An­ders als Sie, Herr Keu­sch­nig, fin­de ich, dass sich die­ses Wag­nis ge­lohnt hat. Manch­mal be­nutzt er Wor­te wie fi­del, bei de­nen ich mich fra­ge, ob es nicht ein we­nig too much wird. Aber die­ses Ri­si­ko ist in die­sem Ver­fah­ren an­ge­legt. Das Ent­schei­den­de aber ist doch der Bruch zwi­schen dem, was er­zählt und wie er­zählt wird. Und ge­nau in die­sem Bruch wirft das Buch die Fra­gen auf, die ei­ne zwei­te Lek­tü­re loh­nen wür­den. War­um lebt En­gel­hardt in dem Ro­man noch Jahr­zehn­te, nach­dem er tod­krank und wahn­sin­nig von dem Ka­pi­tän ver­schont wur­de? Wie­so wird er zum An­ti­se­mi­ten (was er zu Be­ginn des Bu­ches nicht war) – deut­sches Schick­sal oder gibt es Grün­de, die in dem Buch an­ge­legt sind? Sind die Ca­me­o­auf­trit­te von Hit­ler, Hes­se, Kaf­ka, Tho­mas Mann und Ein­stein nur öde Gags? Ich weiss nicht, der Um­gang Krachts mit Ge­schich­te ist ja auch ein viel­leicht pro­ble­ma­ti­scher Ver­such der Re­la­ti­vie­rung, al­so Ein­stein ist nicht ganz fehl am Platz. Die wich­tig­ste Fra­ge: wer er­zaehlt die­se Ge­schich­te über­haupt. Beim Le­sen dach­te ich, ei­ne der Fi­gu­ren, der Ka­pi­tän oder ei­ner der Pflan­zer wird es sein. Aber so ist es nicht. Mich hat der Er­zäh­ler an die un­zu­ver­läs­si­gen Schwa­dro­neu­re von Na­bo­kov er­in­nert. Auch bei ihm, man ver­gisst das we­gen sei­nem heu­ti­gen Hei­li­gen­sta­tus, be­stand im­mer die Ge­fahr das Ge­schwa­fel von Hum­bert Hum­bert mit der Wahr­heit von Lo­li­ta zu ver­wech­seln. Bit­te, lie­ber Herr Keu­sch­nig, ent­schul­di­gen Sie die Län­ge, jetzt bin auch ins Schwa­feln ge­ra­ten.

  7. Was, au­ßer der un­säg­lich blö­den diet­zen Re­zen­si­on, wä­re ‘zum Kot­zen’? Ich ha­be das Buch mit gro­ßer Lust ge­le­sen & hal­te es für ei­nes, das gut ver­kauft wer­den soll­te, Kracht hat Dietz nicht nö­tig, ge­nau so we­nig, wie Dietz Kracht nicht nö­tig hat; sein Fa­schis­mus­ver­dacht ist – mir feh­len die Wor­te – von ei­ner Sub­stanz­lo­sig­keit, in der sich nicht das Ob­jekt der Kri­tik wie­der­fin­det, son­dern viel­mehr die Kri­tik selbst. Pfui, Teu­fel! Es mag sein, dass ich in mei­ner Lek­tü­re alt­backen bin, so­zu­sa­gen an den Klas­si­kern ge­schult, aber was Kracht in sei­nem aukt­oria­len Er­zähl­duk­tus hin­kriegt, ist al­les an­de­re als epi­go­na­ler Schmalz, auch wenn man von Goe­the bis Mann al­le trap­sen hört. Ich bin ein un­be­ding­ter Be­wun­de­rer die­ser Kracht’schen Raf­fi­nes­se!

  8. Dan­ke für die Kom­men­ta­re. Ich möch­te dar­auf kurz ein­ge­hen.

    Zum Kot­zen lie­ber @Schein fin­de ich, dass die­ses Buch auf­grund der Diez-Kri­tik für lan­ge Zeit jeg­li­cher li­te­ra­ri­scher Kri­tik ent­ho­ben sein dürf­te. Es zeigt sich ja auch in die­sen Kom­men­ta­ren: Im­mer schwingt die­se Un­ter­stel­lung des Pro­fil­neu­ro­ti­kers, der sich vor­her (ver­geb­lich) an Ger­hard Rich­ter schon ver­such­te, ir­gend­wie durch. Da­durch gibt es im­mer zwei Hal­tun­gen: Zum ei­nen die zur Diez-Kri­tik (und so­mit die Ten­denz, den Au­tor Kracht in Schutz zu neh­men). Zum an­de­ren dann die Dis­kus­si­on um das Buch, die von der Dis­kus­si­on um Kracht kon­ta­mi­niert bleibt.

    Pro­vo­ka­tiv ge­fragt: Was wä­re denn, wenn Kracht tat­säch­lich ein Prot­ago­nist der »neu­en Rech­ten« wä­re? Wür­de dies auf die­ses Buch in ir­gend­ei­ner Form »ab­fär­ben«? Wä­re es da­durch schlech­ter? Die Fra­ge, die sich ja bei den an­de­ren üb­li­chen Ver­däch­ti­gen (Cé­li­ne, Pound, Ham­sun – um nur ei­ni­ge zu nen­nen [Benn und Jün­ger im deutsch­spra­chi­gen Raum]) auch im­mer stellt – und merk­wür­di­ger­wei­se im­mer zu­erst ge­stellt wird. Über die Ver­ban­nung von Cé­li­ne in Frank­reich ha­be ich ir­gend­wo schon mal hin­ge­wie­sen. Ist so was nicht be­denk­lich?

    Dann al­so @Morels Ver­such, Li­te­ra­turkri­tik zu üben. Die Fra­gen, die Sie sich stel­len, ha­be ich ja auch an­ge­ris­sen. Tat­säch­lich stel­len sich die Fra­gen der Kon­si­stenz ei­nes Bu­ches, das ja nicht als Epos an­ge­legt ist, d. h. der Sin­nes­wan­del der Fi­gur und die In­ten­tio­nen des Er­zäh­lers kön­nen schon be­fragt und hin­sicht­lich ih­rer Stim­mig­keit über­prüft wer­den. Die Ca­meo-Auf­trit­te hat sich Kracht viel­leicht von dem bil­dungs­hu­be­ri­schen Um­ber­to Eco ab­ge­schaut, der ja auch stän­dig Be­rühmt­hei­ten auf­tre­ten lässt (frei­lich un­be­kann­te­re als die bei Kracht, die in ih­rer zum Teil grob­schläch­ti­gen Ein­füh­rung doch ziem­lich an­ge­klebt wir­ken). Da­hin­ge­hend passt auch der Auf­tritt ei­nes US-Sol­da­ten, der En­gel­hardt be­fragt und fas­zi­niert von ihm ist und im Buch von Kracht »Kinn­boot« heisst – ei­ne An­spie­lung auf »Kin­bot«, ei­nem Er­zäh­ler bei Na­bo­kov. (Dass En­gel­hardt da­nach noch Jahr­zehn­te lebt, ha­be ich nicht her­aus­ge­le­sen.)

    Und tat­säch­lich: War­um wird dann En­gel­hardt plötz­lich zum An­ti­se­mi­ten? Er, der Wag­ner so hass­te. In­ter­es­san­te Fra­ge. Die Be­ant­wor­tung ist schwie­rig; sie greift aber viel­leicht schon wie­der in den Diez-An­griff hin­ein.

    Al­so dies­mal nicht nur der Ver­such, das Werk vom Au­tor ge­trennt zu be­trach­ten, son­dern auch das Werk von ei­ner de­nun­zia­to­ri­schen Kri­tik. Bei­des ist in­zwi­schen wohl un­mög­lich ge­wor­den. Krachts Äs­the­ti­zis­mus wird jetzt schon in die Nä­he von Ernst Jün­ger ge­rückt (man be­ach­te die letz­te Be­mer­kung die­ses Po­stings). Wo­mit sei­ne Kar­rie­re als Schrift­stel­ler ei­ni­ger­ma­ßen be­sie­gelt sein dürf­te: Von nun an wird man al­les, was er schreibt, so­fort ent­we­der un­ter ei­nem ge­wis­sen »Ver­dacht« be­äu­gen oder gar als po­li­ti­sches Me­ta­pher deu­ten. Schwer zu sa­gen, ob dies von Kracht in­ten­diert war. Tat­säch­lich wird ei­ne äs­the­ti­sche Dis­kus­si­on über den Äs­the­ti­zis­mus ja im­mer mo­ra­lisch ge­führt. Jün­ger hat sich von die­ser Ver­ein­nah­mung ei­gent­lich nie er­holt; er wur­de im­mer und im­mer mit be­stimm­ten Äu­ße­run­gen kon­fron­tiert. Man biss sich an ihm fest. Da­bei spiel­te es ir­gend­wann gar kei­ne Rol­le mehr, wie li­te­ra­risch sei­ne Tex­te wa­ren – sie gal­ten per se als »po­li­tisch«.

    Am En­de wird der Be­trieb eben »wei­ter zie­hen«, Kracht be­kommt sein Stig­ma (wird es un­ter Um­stän­den pfle­gen [ist der Ruf erst rui­niert…]) und al­le ha­ben ihr Ver­gnü­gen ge­habt. Mit Dis­kus­si­ons­kul­tur hat das nichts mehr zu tun; eher mit ei­nem Schmie­ren­thea­ter, wo­bei dies Vor­satz vor­aus­setzt, was ich nicht glau­be. Die li­te­ra­risch-äs­the­ti­sche Be­trach­tung wird auf der Strecke blei­ben. We­ni­ger als die Fra­ge, wen Kracht hier epi­go­nal »ver­wur­stet«, hät­te ich ger­ne ge­wusst, wen nicht.


    @Schein: Kor­rek­tu­ren in den Kom­men­ta­ren ge­hen lei­der nicht. Ich ha­be Ih­ren Schreib­feh­ler ei­gen­hän­dig kor­ri­giert.

  9. Vie­len Dank für Ih­re aus­führ­li­che Ant­wort. Li­te­ra­tur­kri­tik woll­te ich nicht üben, nur mei­nen Ein­druck wie­der­ge­ben, das Buch sei we­ni­ger me­dio­ker als es bei Ih­nen an­klingt. Aber das se­hen Sie an­ders, was Ihr gu­tes Recht ist. Dan­ke auch für den Hin­weis auf Kin­bo­te – der ist der fäl­schen­de Her­aus­ge­ber in Fah­les Feu­er und da­mit könn­te der US-Sol­dat, wä­re er ein Emi­grant , mit dem Er­zäh­ler von Im­pe­ri­um zu­sam­men­fal­len. Ein Rät­sel ge­löst.

  10. @Norbert
    Es freut mich, wenn Sie an dem ei­nen oder an­de­ren Text Ge­fal­len ge­fun­den ha­ben. Über mitt­ler­wei­le vie­le Jah­re hin­weg, kann ich für mich bi­lan­zie­ren, dass Dis­kus­si­ons­kul­tur im Netz exi­stiert, in Form von Bei­trä­gen und Kom­men­ta­ren — ich ver­wen­de­te nicht mei­ne Zeit da­für, wenn sie nicht mei­nen Er­war­tun­gen ent­sprä­che. Dass das an­de­re an­ders se­hen und hier ver­schie­de­ne Er­fah­run­gen und Er­war­tun­gen her­ein spie­len, mo­ment­ge­bun­de­ne, an­de­re Aus­schnit­te und In­ter­es­sen her­ein spie­len, macht ei­ne Be­wer­tung schwie­rig. Aber wenn ich mir die Fra­ge stel­le, ob es mehr le­sens­wer­te Ar­ti­kel, Blogs und Kom­men­ta­re im Netz gibt, als ich je­mals wer­de le­sen kön­nen, dann kann ich nicht an­ders als mit ja ant­wor­ten, in­so­fern bin ich op­ti­mi­stisch.

    @Gregor
    Ich mei­ne da ein we­nig die Er­war­tung nach ei­ner Art von »rei­nem« Dis­kurs her­aus zu hö­ren, als wür­den ihn be­stimm­te Ein­wür­fe »kon­ta­mi­nie­ren«. Das ist na­tür­lich nicht gänz­lich falsch, letzt­lich aber prägt je­der Bei­trag den Dis­kurs, po­si­tiv oder ne­ga­tiv, liegt Ver­än­de­rung nicht in sei­nem We­sen? Und sind nicht ge­ra­de in un­se­rer Zeit all die­se Kra­wall­dis­kur­se recht bald ver­ges­sen?

  11. Dan­ke für die Kor­rek­tur, lie­ber Gre­gor! Ich hal­te das Buch al­lein aus ei­nem Grund nicht für mit­tel­mä­ßig: al­le Re­ze­pi­en­ten kom­men in den Fal­len um, die des­sen Prot­ago­nist En­gel­hardt zu gu­ter Letzt aus­ge­ho­ben hat!

  12. Rei­ner Dis­kurs und Stol­per­fal­len
    Nein, @metepsilonema, es gibt kei­ne Sehn­sucht nach ei­nem »rei­nen« Dis­kurs. Oder doch: Wenn »rein« als Um­schrei­bung für »sach­be­zo­gen« her­zu­hal­ten hat. Wo­bei ich her­zu durch­aus die gut­ge­mach­te Po­le­mik zäh­len wür­de. Diez’ Vor­wür­fe sind aber we­der sach­be­zo­gen noch po­le­misch. Sie die­nen aus­schließ­lich der Dif­fa­mie­rung des Au­tors über den Weg des »po­li­tisch kor­rek­ten«.

    Ich glau­be auch nicht, dass die­se Kra­wall­dis­kur­se bald ver­ges­sen sind. Wie ich schon ver­such­te zu er­läu­tern, wird Kracht von nun an im­mer das At­tri­but »um­strit­ten« oder, noch dif­fu­ser, »pro­ble­ma­tisch« an­haf­ten. Al­lei­ne die Tat­sa­che, dass je­mand im »Spie­gel« der­art ge­gen den Au­tor Stel­lung be­zo­gen hat, reicht aus, um die­se Mei­nung als Teil des Dis­kur­ses zu er­hal­ten und im­mer wie­der – je nach Be­darf – aus der Schub­la­de zu ho­len. Das mei­ne ich mit der Kon­ta­mi­na­ti­on. Es ist im üb­ri­gen so, wie ein An­ge­klag­ter in ei­nem In­di­zi­en­pro­zess, der dann doch frei­ge­spro­chen wird bzw. viel­leicht so­gar (man­gels Be­weis) frei­ge­spro­chen wer­den muss. De ju­re ist/bleibt er (oder sie) un­schul­dig. De fac­to haf­tet ihm/ihr die­ses Eti­kett ein le­ben lang an. Der Me­di­en­mob kann zwar mit Ge­gen­dar­stel­lun­gen ein­ge­fan­gen wer­den. Er hat aber sei­nen Vi­rus längst in die Köp­fe der Re­zi­pi­en­ten ge­pflanzt.

    Ja, @Schein, es kann sein, dass man in den Stol­per­fal­len um­kommt. Ich mag Bü­cher nicht, die der­ar­ti­ge Fal­len auf­stel­len. Ich glau­be auch nicht, dass mei­ne Kinnboot‑Assoziation (die im üb­ri­gen ge­klaut ist; man hö­re hier) ein Rät­sel auch nur an­näh­rungs­wei­se löst, wie @Morel dies na­he­legt. Es wird im­mer wie­der neue In­ter­pre­ta­ti­ons­räu­me ge­ben. Das mag ich nicht, weil der Au­tor sich mit die­sem selbst­ge­schaf­fe­nen Mi­nen­feld al­les vom Hals hal­ten kann, was ihm nicht ge­fällt. Hin­zu kommt, dass es zu­wei­len arg syn­the­tisch auf­ge­pfropft wirkt. Viel­leicht liegt auch hi­ern ein Grund für Diez’ At­tacke: Die Über­for­de­rung des Re­zen­sen­ten.

  13. In mei­ner Wahr­neh­mung, – ich ha­be Fa­ser­land, 1979 und sei­ne Zeit­schrift »Der Freund« fas­zi­niert ge­le­sen –, in­sze­niert sich Kracht schon sehr lan­ge als Wie­der­gän­ger der Na­tio­nal­re­vo­lu­tio­nä­re wie den Jün­ger-Brü­dern und Ernst Nie­kisch – oder ko­ket­tiert zu­min­dest da­mit. Ich hat­te im­mer auch den Ein­druck, dass es da­bei so­wohl um die Pro­vo­ka­ti­on der lin­ken und rech­ten Spie­ßer­welt ging als auch um die Im­mu­ni­sie­rung der ei­ge­nen Tex­te ge­gen li­te­ra­ri­sche Be­ur­tei­lung: Sei­ne Tex­te schaf­fen es, den ty­pi­schen deut­schen Kri­ti­ker zur mo­ra­lisch-po­li­ti­schen Po­si­to­nie­rung zu zwin­gen (und die Iro­nie-/Äs­the­ti­zis­mus-Po­si­ti­on ist ja haupt­säch­lich ei­ne po­li­ti­sche, kei­ne äs­the­ti­sche), bei vie­len ih­rer Le­ser aber gro­ßes Schwär­mer-Tum zu er­zeu­gen. Da­zu dient auch die Zi­ta­te- und An­spie­lungs­ba­ste­lei, die Krachts Tex­te im­mer sind: So ei­ne Art In­i­ta­ti­ons­ri­tus. (Im »Freund« wur­de auch im­mer wie­der über Schwär­me­rei und Fan-Sein als die ein­zig wirk­lich re­le­van­te »kri­ti­sche« Hal­tung dis­ku­tiert – und die auch aus­pro­biert.)
    Auf­ga­be der Kri­tik wä­re es na­tür­lich, die­se Stra­te­gien zu be­nen­nen und zu ana­ly­sie­ren. Ich un­ter­stel­le Diez, dass er so was ähn­li­ches vor­hat­te, aber nach der Lek­tü­re des Kracht-Woo­dard-Brief­wech­sels Krachts Neo-Da­da Neo-Na­zis-Spiel­chen – so nennt das der Kracht- und Woo­dard-Freund Mo­mus im Wehr­hahn-Klap­pen­text –, satt hat­te und jetzt den Spieß ein­fach um­dreht – und die Kunst­fi­gur Kracht rui­niert, al­so das ge­naue Ge­gen­teil von Schwär­me­rei als kri­ti­scher Hal­tung, son­dern Ab­scheu und Hass. In­so­fern passt Diez Hat­chet Job viel bes­ser zur Sze­ne aus der Kracht kommt (Tem­po-Um­feld, Bil­ler, Goetz), als das be­herz­te Fest­klam­mern am Iro­niefähn­chen, das die Kracht-Ver­tei­di­ger prak­ti­zie­ren.

  14. @Doktor D
    Na­tür­lich wä­re es Auf­ga­be ei­ner Li­te­ra­tur­kri­tik, die von Ih­nen ge­nann­ten Stra­te­gien und Kon­ti­nui­tä­ten zu be­nen­nen. Da­ge­gen spricht der Markt, der ein­deu­ti­ge Po­si­tio­nie­run­gen ver­langt und am En­de nur noch »gut« oder »bö­se« kennt. Von Reich-Ra­nicki stammt ja der Satz aus dem »Li­te­ra­ri­schen Quar­tett«: ‘Taugt das Buch nun was oder nicht.’ Die mei­sten Kri­ti­ker bil­den sich ihr Ur­teil und su­chen dann im Buch nach den ih­nen ge­mä­ßen Zi­ta­ten. Sie ent­kon­tex­tua­li­sie­ren. Bei Kracht ist das Zi­tie­ren in­so­fern schwie­rig, da er mit sei­nem all­wis­sen­den und be­leh­ren­den Er­zäh­ler ein gro­ßes Ri­si­ko ein­geht (ich mei­ne jetzt »Im­pe­ri­um« und nicht den Brief-/Mail­wech­sel). Mei­stens spie­len dann auch noch per­sön­li­che Ani­mo­si­tä­ten ei­ne Rol­le.

    Die De­bat­te er­in­nert ja durch­aus an die Dis­kus­si­on um Bo­tho Strauß’ »An­schwel­len­der Bocks­ge­sang« (die Vor­wür­fe, »neu-rech­tes« Ge­dan­ken­gut zu be­die­nen, sind fast wort­gleich) und Slo­ter­di­jks »Re­geln für den Men­schen­park«. Bei­des wa­ren zwar kei­ne fik­tio­na­len Tex­te, wur­den je­doch in ih­rer Ab­sei­tig­keit vom Deu­tungs­main­stream so­zu­sa­gen vor­aus­ei­lend dif­fa­miert. Strauß’ Feh­ler war, sei­ne Ge­dan­ken de­zi­diert als »rechts« aus­zu­wei­sen. Das ha­be ich bis heu­te nicht ver­stan­den, da er da­mit aus sei­ner Dia­gno­se ei­ne Pro­gno­se mach­te:

    »Über­haupt ist pi­kant, wie gie­rig der Main­stream das rechts­ra­di­ka­le Rinn­sal ste­tig zu ver­grö­ßern sucht, das Ver­pön­te im­mer wie­der und noch ein­mal ver­pönt, nur um of­fen­bar im­mer neu­es Was­ser in die Rin­ne zu lei­ten, denn man will’s ja schwel­len se­hen, die Auf­re­gung soll sich ja loh­nen. Das vom Main­stream Miß­bil­lig­te wird von die­sem groß­ge­zo­gen, auf­ge­päp­pelt, bis­wei­len so­gar ein­ge­kauft und aus­ge­hal­ten.«

    Es gibt nichts prä­gnan­te­res, mit dem man die Diez-/Kracht-De­bat­te kom­men­tie­ren könn­te als die­se Zei­len (die, zu­ge­ge­ben, auch aus ih­rem Kon­text her­aus­ge­klaubt wur­den).

    Strauß ist die­ses At­tri­but so rich­tig nicht mehr los­ge­wor­den. Slo­ter­di­jk sah sich nach sei­nem Text in der Fern­seh­sen­dung »Ba­den-Ba­de­ner-Dis­put« (de­ren re­gel­mä­ssi­ger Gast er war) ge­nö­tigt, ei­ne Stel­lung­nah­me ab­zu­ge­ben, die ihn in die Rei­he der De­mo­kra­ten zu­rück­über­wei­sen soll­te. Hand­ke, um ei­nen an­de­ren Ab­sei­ti­gen zu nen­nen, wird im­mer noch als »pro-ser­bisch« apo­stro­phiert (wenn nicht gar noch mehr). Wal­ser hat nach sei­ner Pauls­kir­chen­re­de auch im­mer noch ei­nen Haut­gout. Die Li­ste lie­ße sich be­lie­big er­wei­tern.

  15. @Gregor
    Ist das nicht als ein Miss­trau­en ge­gen­über dem sach­be­zo­ge­nen Dis­kurs les­bar? Ich will mich kei­nes­wegs für Ra­bu­li­stik aus­spre­chen, aber jed­we­der Ruf, po­si­tiv oder ne­ga­tiv und je­des An­haf­ten sind doch im­mer erst ein­mal Vor­ur­tei­le, Ge­hör­tes, die der Prü­fung oder des Nach­voll­zugs be­dür­fen.

    Oder an­ders her­um: Wenn wir, was na­tür­lich sein könn­te, uns eher von die­sen ober­fläch­li­chen und eher ir­ra­tio­na­len Ge­rüch­ten lei­ten las­sen, dann wä­ren sie tat­säch­lich ge­fähr­lich. Dann müss­te man aber wie­der fra­gen: Ma­chen wir uns mit dem Dis­kurs nicht et­was vor und in Wahr­heit ent­schei­den ganz an­de­re Fak­to­ren?

  16. @metepsilonema
    Die­ses Miss­trau­en per se se­he ich nicht. Wo­bei man na­tür­lich de­fi­nie­ren müss­te, was »Dis­kurs« ist. Es ist na­tür­lich mehr als nur das blo­ße Ab­son­dern von Mei­nun­gen oder Emp­fin­dun­gen. Dis­kurs ist für mich per se sach­ori­en­tiert. Wenn Diez Zi­ta­te zu­recht­biegt wie er dies möch­te, hat das ei­gent­lich nichts mit Dis­kurs zu tun.

    Den­noch haf­ten die At­tri­bu­te in den ver­ein­fa­chen­den Struk­tu­ren der Me­di­en an. Hier­für gibt es zahl­lo­se Bei­spie­le. Das muss üb­ri­gens nicht im­mer ne­ga­tiv sein. Und auch ein At­tri­but wie »No­bel­preis­trä­ger« oder »Ex-Bun­des­kanz­ler« soll et­was be­deu­ten!

    Viel­leicht hast Du Recht und der Dis­kurs ist nur ei­ne Schi­mä­re oder ei­ne Uto­pie. In Wahr­heit ist es kei­ne fein zi­se­lier­te Schach­par­tie, son­dern ein Box­kampf.

  17. Ohhhh, scha­de. Nun kommt raus, dass das schö­ne Co­ver ge­klaut ist (und zwar oh­ne Hin­weis auf das Ori­gi­nal), sie­he hier.

  18. Mir kam das Co­ver die gan­ze Zeit so selt­sam be­kannt vor, ich hab’s dann aber als Lei­stung von Mon­heim ver­bucht, ein so­zu­sa­gen ge­ne­ri­sches Li­gne Clair-Co­ver pro­du­ziert zu ha­ben. Das Gan­ze (auch die Ähn­lich­kei­ten mit dem Buch von marc Buhl) er­in­nert micht stark ei­nen an­de­ren »Ap­pro­pria­ti­ons­akt« Krachts: Lay­out und re­dak­tio­nel­les Kon­zept von »Der Freund« wa­ren bis zur Pa­pier­qua­li­tät und ‑far­be vom US­ame­ri­ka­ni­schen »The Be­lie­ver« – sa­gen wir mal: in­spi­riert, of­fen­sicht­lich auch oh­ne Hin­weis, wo man das al­les so her hat.

  19. @Gregor
    Auf ei­ne Fra­ge her­un­ter ge­bro­chen: Ist der Glau­be an die Kraft von Ar­gu­men­ten, tat­säch­lich ei­ner (auch wenn wir an den öf­fent­li­chen Dis­kurs in De­mo­kra­tien den­ken)? Oder an­ders: Wie sehr lässt sich ein Li­te­ra­tur­in­ter­es­sier­ter von Ruf, Ruhm oder Hän­gen­ge­blie­be­nem bei der Wahl sei­ner Lek­tü­re lei­ten?

  20. Ein Li­te­ra­tur­in­ter­es­sier­ter muss in der heu­ti­gen Zeit (aber ei­gent­lich schon im­mer) Prio­ri­tä­ten set­zen. Hier­bei re­kur­riert er auf ei­ge­ne (Lese-)Erlebnisse, Ein­schät­zun­gen, Ur­tei­le – und na­tür­lich auch auf Hin­wei­se von Freun­den, Be­kann­ten und aus dem Be­trieb und den Me­di­en. Ich wä­re sehr stark da­für, Neu­erschei­nun­gen be­kann­ter und we­ni­ger be­kann­ter Schrift­stel­ler zu­nächst neu­tral, d. h. oh­ne Au­toren­na­men an Re­zen­sen­ten zu ver­schicken. Sie schrei­ben dann ih­re Be­spre­chung, die sich not­ge­drun­gen auf das Buch kon­zen­trie­ren müss­te (man wird zwar Par­al­le­len aus­ma­chen, aber müss­te dann im­mer Ge­fahr lau­fen, den Au­tor, den man ja nicht kennt, mit sich selbst ver­glei­chen zu müs­sen). Auf das Er­geb­nis wä­re ich sehr ge­spannt.

  21. Das Er­geb­nis wä­re ver­mut­lich eben­so in­ter­es­sant (und schlag­ar­tig er­nüch­ternd) wie die Aus­sa­gen von Hi­Fi-Freaks, de­nen man Ge­rä­te im ech­ten Blind­test vor­spielen läßt, oder wie die Ein­schät­zun­gen von Wein-Ken­nern, die man eti­ket­ten­lo­se Fla­schen ver­ko­sten läßt, oder wie die Mei­nun­gen von Ka­me­ra-Kun­di­gen, de­nen man Fo­tos oh­ne Nen­nung der Auf­nah­me-Ap­pa­ra­tu­ren vor­legt, oder, oder, oder...

  22. @Ralph Sten­zel
    Wä­re das wirk­lich so er­nüch­ternd? Kön­nen nicht Wein­ken­ner in Blind­ver­ko­stun­gen Gu­tes von Schlech­tem tren­nen und be­ur­tei­len?

    Ich glau­be, in der Li­te­ra­tur­kri­tik hat man vor sol­chen Ex­pe­ri­men­ten mehr Angst als an­ders­wo. Jah­re­lang be­ka­men die Ju­ro­ren des In­ge­borg-Bach­mann-Prei­ses in Kla­gen­furt die Tex­te der Teil­neh­mer (au­ßer de­nen, die sie sel­ber aus­ge­wählt hat­ten) erst bei der Le­sung des Au­tors zu Ge­hör und zu Ge­sicht. Ir­gend­wann hat man das ge­än­dert und ein oder zwei Wo­chen vor­her be­kommt nun je­der Ju­ror al­le Tex­te. Das nimmt deut­lich den Reiz aus der An­ge­le­gen­heit. Aber man scheut die Spon­ta­nei­tät. Wenn dann noch ein Au­tor oder ei­ne Au­torin das ob­li­ga­to­ri­sche Por­trait ver­wei­gert, sieht man förm­lich ei­ni­ge Kri­ti­ker wie Blin­de im Wild her­um­tap­pen: ih­nen fehlt mit der Bio­gra­phie des Au­tors (und sei sie noch so kur­so­risch) der Be­zugs­rah­men, in dem sie ih­re Kri­tik aus­stel­len kön­nen. Das ist m. E. ziem­lich be­denk­lich.

  23. Er­nüch­ternd des­halb, weil sich auch die (selbst- oder frem­der­nann­ten) Ko­ry­phä­en al­ler Fa­kul­tä­ten zu­wei­len ziem­lich bla­mie­ren, wenn sie die Zu­schrei­bung der zu be­ur­tei­len­den Er­zeug­nis­se nicht ken­nen (oder be­wußt falsch mit­ge­teilt be­kom­men ha­ben). Da zeigt sich dann, wie oft der Wunsch oder das Welt­bild das Urteilsver­mögen prä­gen bzw. trü­ben. Klar kann ein Wein­ken­ner sau­re Plör­re von ei­nem Qua­li­täts­wein un­ter­schei­den oder der Mu­sik­freund ein Kü­chen­ra­dio von ei­ner Hi­Fi-An­la­ge, aber ab ei­nem ge­wis­sen Qua­li­täts­le­vel wer­den die Ur­tei­le eben­so eso­te­risch-blu­mig wie schwer­lich re­pro­du­zier­bar. Das schwül­sti­ge Ge­schwa­fel si­chert den be­wun­der­ten Gu­rus aber ih­ren Sta­tus, des­halb scheu­en sie ih­re Ent­tar­nung als doch-gar-nicht-so-ken­ner­haf­te-Blen­der...

  24. @Gregor & Ralph
    Gu­te Idee. Sol­cher­art ent­stan­de­ne Be­spre­chun­gen wä­ren, wie schon fest­ge­stellt, spon­ta­ner und die Dis­kus­si­on wird an be­stimm­ten Punk­ten of­fen blei­ben müs­sen, et­wa mit der Fest­stel­lung, dass man noch ein­mal nach­le­sen müss­te um die­ser oder je­ner Deu­tung, die­se oder je­ne Wer­tung zu be­vor­zu­gen. Der Le­ser hät­te dann kei­ne vor­ge­ge­be­nen Richt­li­ni­en und müss­te letzt­lich sein Ur­teils­ver­mö­gen be­fra­gen.

    Was man nicht ver­nach­läs­si­gen soll­te ist der Kon­text und die ei­ge­nen Be­find­lich­kei­ten (Welt), die bei je­der Re­zep­ti­on mit hin­ein­spie­len und das Er­geb­nis be­ein­flus­sen. Ein Glas Wein et­wa, schmeckt in ei­ner ge­sel­li­gen Run­de an­ders als al­lei­ne. Au­ßer­dem ru­fen be­kann­te Na­men oder an­de­re Eti­ket­tie­run­gen Er­in­ne­run­gen und Emo­tio­nen ab, die mit dem Ge­nuss oder der Re­zep­ti­on ver­bun­den wor­den sind.

    Viel­leicht ist es oft ei­ne Fra­ge des Ein­las­sen-Kön­nens, trotz ei­ner po­si­ti­ven oder ne­ga­ti­ven Eti­ket­tie­rung. An­de­rer­seits be­nö­ti­gen wir Vor­ur­tei­le um uns zu­nächst ein­mal im Dickicht ori­en­tie­ren zu kön­nen.

  25. # 27 @ Ralph Sten­zel

    War es da­mals wirk­lich bes­ser im Wett­be­werb? Ich ha­be mei­ne Zwei­fel. So wur­de tat­säch­lich noch zu Zei­ten M.Reich-Ranicki und auch spä­ter ver­fah­ren. Wa­ren die Äu­ße­run­gen des­halb spon­ta­ner oder qua­li­täts­vol­ler.
    In je­der Run­de wa­ren Leit­stie­re und es gab fe­ste Ri­tua­le, krit­sierst du mei­nen Kan­di­da­ten, ma­che ich dei­nen fer­tig.
    Der gan­ze Bach­mann-Wett­be­werb war und ist nicht ge­ra­de ein Vor­zei­ge­bei­spiel für gu­te Kri­tik und gu­te Tex­te.
    Da­ge­gen wa­ren die Dis­kus­si­ons­run­den manch­mal beim Quar­tett, wenn der Gast gut war, noch in­ter­es­sant oder zur Zeit beim Li­te­ra­tur­club. Es kommt auf die Teil­neh­mer der Run­de an.

  26. Wie kann je­mand, der selbst so ei­nen un­an­ge­neh­men, kaum les­ba­ren Li­te­ra­tur­kri­ti­ker­jar­gon pflegt ernst­haft die Sprach­schnör­kel­ver­liebt­heit be­män­geln, un­ab­hän­gig von mei­ner ei­ge­nen Mei­nung zu Im­pe­ri­um?

  27. Ge­nau wie ich mei­nen In­stal­la­teur kri­ti­sie­re wenn er Feh­ler macht, ob­wohl ich sei­ne Ar­beit nicht selbst er­le­di­gen kann, oder die Miss­stän­de in der Po­li­tik, ob­wohl ich kein Be­rufs­po­li­ti­ker bin, die Fuß­ball­na­tio­nal­mann­schaft, wenn sie ein schlech­tes Spiel ab­lie­fert, selbst aber ge­ra­de ein­mal Hob­by­kick­er­ni­veau ha­be oder eben ein miss­lun­ge­nes Buch, ob­wohl... usw. usf.

  28. @ me­tep­si­lo­n­e­ma
    Hältst du den Satz un­ter der Über­schrift »Sprach­schnör­kel, ab­ge­han­gen iro­nisch«
    wirk­lich für ge­lun­gen? Die­ser Satz in sei­nem ent­we­der ‑oder Duk­tus und dem schein­bar in­tel­lek­tu­el­len Kri­ti­ker­ton (schwül­stig ver­schraubt, ar­ti­fi­zi­el­le Sprach­schnör­kel­ver­liebt­heit) ist wahr­lich kei­ne Zier­de ei­ner gu­ten, an­ge­mes­se­nen Li­te­ra­tur­kri­tik. An­ders ge­sagt, hier hat der Hand­wer­ker ge­pfuscht, darf man doch kri­ti­sie­ren? Oder ist das Ma­je­stäts­be­lei­di­gung?

  29. @Norbert
    Die Be­rech­ti­gung Kri­tik zu üben, hängt nicht da­mit zu­sam­men wie man schreibt; ge­nau­er: Ich darf mir ein Ur­teil über ei­nen Ro­man er­lau­ben, un­ab­hän­gig da­von, ob ich selbst ei­nen ver­fas­sen kann, un­ab­hän­gig da­von, ob mei­ne For­mu­lie­run­gen per­fekt sind.

    Et­was an­de­res ist, ob ei­ne Be­spre­chung sach­lich an­ge­mes­sen, oder sti­li­stisch ge­lun­gen ist. Ob der Hand­wer­ker hier »ge­pfuscht hat« (ob al­so die Wen­dung von den ab­ge­han­ge­nen Sprach­schnör­keln zu­tref­fen ist), kann ich nicht sa­gen, weil ich das Buch nicht ken­ne. Von den Be­spre­chun­gen zu Krachts Buch, die ich bis­her ge­le­sen ha­be, ist die­se hier nicht die schlech­te­ste, aber auch nicht die be­ste.

  30. Nor­ma­ler­wei­se lö­sche ich Kom­men­ta­re, die nach­weis­lich fal­sche E‑­Mail-Adres­sen und/oder nichts­sa­gen­de Pseud­ony­me ver­wen­den. Die­ser hier wur­de nun kom­men­tiert, was man im all­ge­mei­nen mit Troll­kom­men­ta­ren nicht ma­chen soll.

    Es geht auch nicht dar­um, ob »der Hand­wer­ker« ge­pfuscht hat. Man kann über Art und Wei­se der Kri­tik strei­ten. Dann er­war­te ich je­doch ei­ne ent­spre­chen­de Aus­ein­an­der­set­zung. Die blo­ße Fest­stel­lung ei­nes »schein­bar in­tel­lek­tu­el­len Kri­ti­ker­tons« reicht da nicht. (Die An­spie­lung, die im in­kri­mier­ten Zwi­schen­ti­tel liegt, wird ja er­läu­tert. Das kann nicht so schwie­rig sein. Man kann es miß- oder ge­lun­gen fin­den, aber das ist – glück­li­cher­wei­se – für das Ver­ständ­nis völ­lig un­in­ter­es­sant.)

    Im üb­ri­gen bin ich kein Zier­den-Schrei­ber und nicht zu­stän­dig, ei­ne wie auch im­mer »an­ge­mes­se­ne« Kri­tik zu ver­fas­sen. Da­zu kommt: Ich weiß gar nicht, was das sein soll und wo die­se Zei­len­wäch­ter sit­zen, die das be­stim­men.

  31. @Gregor
    Mit an­ge­mes­sen mei­ne ich be­rech­tigt im Sin­ne der vor­ge­tra­ge­nen Ar­gu­men­ta­ti­on. Ist sie nach­voll­zieh­bar? Trifft sie zu? Usw.

    Da Kri­ti­ker sich im Dis­kurs be­fin­den, müs­sen sie wie­der­um mit Kri­tik rech­nen. Das ist al­so ein ganz nor­ma­ler Vor­gang, kei­ne Wäch­te­rei (mir fällt nur ge­ra­de kein bes­se­res Wort ein für »an­ge­mes­sen« oder »be­rech­tigt« ein).

  32. @metepsilonema
    »An­ge­mes­sen« kam ja ur­sprüng­lich nicht von Dir. Was Du meinst ist ver­mut­lich eher, ob die Ar­gu­men­ta­ti­ons­füh­rung stim­mig ist. Mir ist ganz wich­tig, dass das Ge­schrei­be im­mer auch noch den Re­spekt vor dem Werk be­hält. Dem­zu­fol­ge wä­re das Werk zu kri­ti­sie­ren, zu be­ur­tei­len, viel­leicht aus­ein­an­der zu pflücken und we­ni­ger oder im Ide­al­fall gar nicht der Au­tor bzw. des­sen Ge­sin­nung oder Hal­tung.

    Bei Kracht ist nun mehr als deut­lich der Wunsch spür­bar, je­man­den wie Tho­mas Mann wenn nicht zu imi­tie­ren, so doch nach­zu­ei­fern. Das kann sei­ner­seits iro­nisch ge­meint sein oder es ist der Hauch des Epi­go­nen­tums spür­bar. Das ver­mag ich nicht zu be­ur­tei­len. Aber ich muss es er­wäh­nen und es ist mir m. E. da­bei durch­aus ge­stat­tet, eben­falls ei­ne iro­ni­sche Me­ta­pher zu ver­wen­den.

    (Apro­pos Tho­mas Mann: Bei Tell­kamp ist die­ser An­spruch weit­aus sub­ti­ler vor­ge­tra­gen, aber auch spür­bar. Auf die Idee des Iro­ni­schen kommt bei ihm al­ler­dings nicht.)

    Dass Kri­tik so­zu­sa­gen sel­ber in der Kri­tik steht, ist na­tür­lich nor­mal. Aber ich er­war­te mehr als nur ein ha­stig rein­ge­rotz­tes Mei­nungs-State­ment (zu­dem noch als kom­plett an­ony­mer Teil­neh­mer, der we­der ei­ne kor­rek­te Mail-Adres­se an­gibt noch ei­nen Blog als Re­fe­renz hat noch sach­dien­li­che Hin­wei­se gibt). Sol­che Art Kri­tik wei­se ich ab und tue ich mir nicht an. Das ist un­ge­fähr so als wür­de an ei­nem Haus vor­bei­ge­hen, an der Tür klin­geln und dem Be­sit­zer sa­gen, wie spie­ßig doch sein Gar­ten aus­sieht.

  33. #35 @ Gre­gor Keu­sch­nig
    Nun, ich bin da­von aus­ge­gan­gen, dass »An­onym« ein Nick ist Wei­ter hat­te ich auf die Re­ak­ti­on von me­tep­si­lo­n­e­ma mei­nen Bei­trag ge­schrie­ben.
    Sie schrei­ben in Ih­rer Ant­wort # 37, es sei für Sie wich­tig, »dass das Ge­schrei­be im­mer auch noch den Re­spekt vor dem Werk be­hält.« Ge­nau das ha­be ich in dem an­ge­spro­che­nen Satz ver­misst. Ich ha­be kon­kret die­sen Satz und die ver­wen­de­ten Be­zeich­nun­gen an­ge­spro­chen.
    Wenn je­mand die­ses Buch durch­aus ge­lun­gen fin­det, hat er sich ja nach ih­rerm Ur­teil noch un­ter dem von Fritz Kort­ner an­ge­spro­che­nen Ni­veau amü­siert. Wer möch­te sich das nach­sa­gen las­sen.
    Die­se Be­haup­tun­gen in dem Satz wer­den auch nicht be­legt, sie blei­ben blo­ße Be­haup­tun­gen.
    Was das Wort »an­ge­mes­sen« be­trifft, ich könn­te das auch von mir ver­wen­de­te gut hin­zu­neh­men, steht für mich ge­ra­de für den von Ih­nen an­ge­spro­che­nen Re­spekt vor dem Werk und auch vor dem Au­tor.
    Ich bin auch kein Zei­len­wäch­ter, le­se mit In­ter­es­se Ih­re Re­zen­sio­nen und die an­de­ren Bei­trä­ge, muss aber lei­der fest­stel­len, dass, wie soll ich es sa­gen, Sie zu­min­dest dünn­häu­tig sind, wenn je­mand ei­ne an­de­re Mei­nung zu Tei­len Ih­rer Re­zen­si­on oder Auf­fasun­gen hat.
    Da­her ha­be ich es vor­ge­zo­gen, auf den Bei­trag von me­tep­si­lo­n­e­ma zu ant­wor­ten, da ich von ihr zwar nicht im­mer Zu­stim­mung be­kom­me, aber doch fair und ru­hig be­han­delt wer­de.
    Ich ha­be dies­mal auf Ih­ren Bei­trag ge­ant­wor­tet, weil mir der Irr­tum mit dem Nick un­ter­lau­fen ist.

  34. Er­stens kommt es an­ders und zwei­tens als man denkt: Ich be­kam das Buch un­längst ge­schenkt und ha­be es nun doch ge­le­sen. Ich kann vie­lem zu­stim­men was in Dei­ner Be­spre­chung und den Kom­men­ta­ren ge­schrie­ben wur­de, mein »Pro­blem« ist, dass es, bis auf we­ni­ge Stel­len (dort wo der Sturm be­schrie­ben wird und der Ka­pi­tän Slüt­ter sei­ne Haupt­rol­le spielt), je­de Tie­fe und Nä­he ver­mis­sen lässt; es er­scheint mir über­haupt nicht sinn­voll ir­gend­wel­chen Spu­ren, Mehr­deu­tig­kei­ten und ver­zwick­ten An­ge­le­gen­hei­ten nach­zu­spü­ren, weil sich in kein­ster Wei­se an­deu­tet, dass das von Be­deu­tung sein könn­te, dass es ein Er­geb­nis ein­bräch­te (wie ge­sagt mit Aus­nah­me we­ni­ger Stel­len). Es ist sti­li­stisch ge­konnt ge­macht, spie­le­risch, iro­nisch, manch­mal span­nend, ja mit­rei­ßend und es liest sich – nach we­ni­gen Sei­ten – rasch und flüs­sig, man lernt bis­wei­len neue Aus­drücke und Wör­ter ken­nen und staunt vor man­cher For­mu­lie­rung, aber eben, das was ein Buch so un­be­dingt ha­ben muss (soll­te!), fehlt. — Ich kann mir vor­stel­len, wie oben be­merkt wur­de, es ein­fach des Ver­gnü­gens we­gen zu le­sen, aber da­für (oder: aus­schließ­lich da­für) bin ich der Fal­sche.

    Ei­ne klei­ne Kor­rek­tur noch, es ist m.E. nicht der Ka­pi­tän, son­dern En­gel­hardt, der sich an die Schach­par­tie und die An­nah­me als voll­wer­ti­ger Mensch er­in­nert (S 217): Aber der Ka­pi­tän er­in­nert sich an schö­ne Schach­par­tien und dar­an, von En­gel­hardt im­mer wie ein voll­wer­ti­ger Mensch an­ge­nom­men wor­den zu sein und hat mit dem in­zwi­schen vom Frei­geist und stren­gen Ve­ge­ta­ri­er zum An­ti­se­mi­ten und Au­to­kan­ni­ba­len mu­tier­ten Mann (es bleibt nicht bei der Ver­ko­stung der Fin­ger- und Ze­hen­nä­gel) mehr als nur Mit­leid.

  35. @metepsilonema
    Dan­ke für die Re­ak­ti­on. Na­ja, es kann na­tür­lich ein Spiel des Au­tors sein, Brücken zu be­gin­nen, auf den der Le­ser sich be­gibt. die aber dann plötz­lich nicht mehr wei­ter­ge­hen.

    In die­sem Zu­sam­men­hang den­ke ich dann doch im­mer an Reich-Ra­nicki und sei­ne Re­de von dem »dop­pel­ten Bo­den«, den ei­ne gu­te Er­zäh­lung (ein gu­ter Ro­man) ha­ben soll­te. Ei­ne grif­fi­ge For­mu­lie­rung, zu der ich bis jetzt nichts Pas­sen­de­res ge­fun­den ha­be. Ich stim­me dem zu, wenn­gleich es na­tür­lich im Ein­zel­fall schwie­rig sein kann, die­sen »dop­pel­ten Bo­den« nach­zu­wei­sen bzw., noch schwie­ri­ger, ihn als nicht vor­han­den dar­zu­stel­len.

    Krachts »Im­pe­ri­um« ist ein ma­nie­ri­sti­sches Text­kunst­werk. Ich ha­be das sehr ger­ne ge­le­sen. Aber eben nicht mehr.

    Dei­nen Ein­wand bzgl. S. 217 wer­de ich noch­mal prü­fen. Dan­ke.

  36. Ma­nie­ri­sti­sches Text­kunst­werk ist ei­ne tref­fen­de Be­schrei­bung. Ich ha­be auch nicht un­gern ge­le­sen, wenn­gleich meist ei­ne Art Di­stanz zwi­schen dem Buch und mir blieb, die mich ver­wun­dert — viel­leicht ähn­lich man­cher ba­rocken Kir­che.

    Ich will nicht leug­nen, dass ein dop­pel­ter Bo­den vor­han­den ist, der Au­tor spielt oder Brücken ab­bre­chen lässt, aber das Buch for­dert mich nicht auf da­nach zu su­chen, es tritt mir nicht na­he ge­nug (wo­bei das si­cher­lich auch an mir liegt). Sel­ten schei­nen mir die Stel­len an de­nen ein Cha­rak­ter (oder des­sen Hand­lun­gen) bei­spiel­haft für all­ge­mein mensch­li­che Be­lan­ge wird (wer­den).

  37. Ein Nach­trag noch zum dop­pel­ten Bo­den: Die muet­zen­fal­te­rin zi­tiert Paul Au­ster hier ganz ähn­lich: »Denn das ist die Funk­ti­on des Er­zäh­lens«, schreibt Au­ster, »je­man­dem ei­ne be­stimm­te Sa­che vor Au­gen hal­ten, in­dem man ihm ei­ne an­de­re zeigt.«

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  39. Ir­gend­wie hat mein Ping­back nicht funk­tio­niert. Ich bin mit mei­ner Re­zen­si­on von Im­pe­ri­um end­lich fer­tig.
    Dei­ne Re­zen­si­on war sehr in­spi­rie­rend. Und auch die Dis­kus­si­on ist im­mer wie­der er­staun­lich, liegt das jetzt an Kracht selbst oder wirk­lich an sei­nem Werk?