Als die Geschichte beginnt, ist August Engelhardt auf einem Schiff die dünnen Beine übereinanderschlagend und einige imaginäre Krümel mit dem Handrücken von seinem Gewand wischend grimmig über die Reling auf das ölige, glatte Meer schauend. Man ist am Anfang des 20. Jahrhunderts und der Ort, der angepeilt wird, heißt Herbertshöhe. Deutschland hat Kolonien.
August Engelhardt hat es tatsächlich gegeben. Einigen gilt er als »erster Aussteiger«. Die Einschätzungen differier(t)en zwischen Visionär und Spinner; Tendenz zum letzteren. Engelhardt war nach »Deutsch-Neuguinea« aufgebrochen, erstand dort eine Kokosnussplantage (mit diebischem Vergnügen wird erzählt, wie er bereits beim Kauf übers Ohr gehauen wird), gründete einen »Sonnenorden« und pflegte seinen »Kokovorismus«, d. h. eine Art Kult um die ausschließliche Ernährung durch die Kokosnuss. Er tat dies meist splitternackt, wobei die Inselbewohner diese Zivilisationslosigkeit des Migranten zwar schockierte, von ihnen aber großzügig toleriert wurde. Leider hatte Engelhardt überhaupt kein merkantiles Talent (was forsch als Kapitalismuskritik umgearbeitet werden konnte), plagte sich zusehends mit leprösen Schwären, wurde am Ende wahnsinnig und starb dann kurz nach dem Ersten Weltkrieg. So weit, so gut. Aber es geht – wie fast immer – nicht nur um Fakten, es geht um Literatur. So dichtet Kracht seinem Roman-Personal einiges an, verquirlt es mit tatsächlich Geschehenem und etlichen Anekdötchen und das in einer manieriert-barocken Sprache, einer Mischung aus Elfriede-Jelinek-Duktus und »Prospero’s Books« von Peter Greenaway mit einer Prise Robinson-Crusoe-Abenteurertum (man beachte die Personalie Makeli, Engelhardts »Freitag«, der am Schluss dann Faust II und Ibsens »Gespenster« in deutscher Sprache vorgetragen zu würdigen weiß). Abgerundet wird dies mit einem schönen Umschlag im Tim-und-Struppi-Look (und irgendwie an Michael Ondaatjes neuem Buch erinnernd).
Sprachschnörkel, abgehangen ironisch
Entweder man gibt sich dem wortgewaltigen, zum Teil schwülstig-verschraubtem, gelegentlich abgehangen ironisch (Thomas-Mann-Epigonentum par excellence) daherkommenden Elaborat hin und vergnügt sich damit noch nicht einmal unter dem berühmten Fritz-Kortner-Niveau. Oder man kann mit solcher Literatur nichts anfangen, erschrickt vor deren artifizieller Sprachschnörkelverliebtheit, die zuweilen natürlich (in doppeltem Sinn) antiquiert daherkommen und denunziert das dann in neokolonialem Gestus, begierig die Vokabeln »Kanacke« und »Negermädchen« herausklaubend und – quasi als Todesstoß – ein anderes Büchlein des Autors heranziehend (einen, wie man hier schön nachlesen kann eher in skandalisiert-affektiertem Ton verfassten Mailwechsel). Hymne oder Zertrümmerung – ein dritter Weg scheint fast unmöglich. Wirklich?
Vielleicht zurück zur Literatur, zu dieser Moritat ohne den üblichen, so erleichternden Moralausgang. Wer spricht denn da? Ein allwissender Erzähler. Ein Zyniker – dem Duktus nach kaum unser Zeitgenosse, aber wer weiß? Auf jeden Fall jemand, der seine Figuren für eine gelungene Pointe ohne mit der Wimper zu zucken lächerlich macht. Etwas, was natürlich leicht fällt und die Figuren platt wie Pappkameraden werden lässt. Da erzählt ein hochnäsiger Schnösel, dem man halb angeekelt und halb neugierig bis zum Schluss folgt. Der freilich einigermaßen enttäuschend ist: das Schicksal jeder Figur wird auf konventionell-altmodische Art und Weise aufgelöst und so gar nichts Geheimnisvolles eines Epochenuntergangs bleibt.
Aber wer mag auf Dauer schon narzisstische Erzähler, die derart auf ihr Sujet herabblicken. Und ist nicht zu lächerlich, wie der Niedergang des »Imperiums« (vulgo: Deutschlands) im Kleinen bereits vorweg genommen wird – und das, obwohl es doch bis zur knappen Hälfte des 20. Jahrhunderts so aussah, als würde es das Jahrhundert der Deutschen werden. Aber als gut fünfundzwanzig Engelhardt-Jünger die neu aus dem Boden gestampfte Hauptstadt Rabaul erreichen und dem Kokovorismus frönen wollen, interveniert der Gouverneur beim Guru, doch für eine rasche Desillusionierung nebst Rücktransport zu sorgen (die Kosten werden Engelhardt von dem zu erwartenden Ernteertrag debitiert – dieser Ertrag wird dann niemals eintreten).
Da droht also das »Imperium« von 25 armseligen, von der Reise geschwächten und teilweise bereits todkranken Gestalten herausgefordert zu werden. Gegen Ende steht dann Engelhardt, ein Erfolgloser, längst verlassen von seinen Helfern, ein in mehrfacher Hinsicht Kranker, selber zur Disposition. Der Gouverneur erpresst einen heruntergekommenen Kapitän damit, den Kokosnuss-Mann umzubringen. Aber der Kapitän erinnert sich an schöne Schachpartien und daran, von Engelhardt immer wie ein vollwertiger Mensch angenommen worden zu sein und hat mit dem inzwischen vom Freigeist und strengen Vegetarier zum Antisemiten und Autokannibalen mutierten Mann (es bleibt nicht bei der Verkostung der Finger- und Zehennägel) mehr als nur Mitleid. Er kann es nicht und das Ende Engelhardts verzögert sich. Der Gouverneur wird abkommandiert; der Krieg ist ja schließlich verloren.
Ausflüge des Allwissenden
Immer wieder bricht Krachts Erzähler aus der Chronologie aus; meist nur für ein paar Momente. Inmitten der kolonialen Tropenhelm-Langeweile des »Deutschen Clubs« und/oder Engelhardts konfusem Vegetarier-Nudisten-Programm (nein, eine Satire auf den grassierenden Biowahn unserer Zeit ist hier nicht zu entziffern), leistet sich der Allwissende Ausflüge in die große, weite Welt und berichtet von vergangenen und zukünftigen Tagen. Was damit bezweckt werden soll, bleibt diffus. Geht es darum, das Schicksal zu evozieren? Oder auch nur um die Gleichzeitigkeit disparater Ereignisse in der Welt zu spiegeln? Handelt es sich um ein Spiel? Oder ist es pure Lust an der Provokation, etwa wenn (mindestens) zweimal der Mann mit einer absurde[n] schwarze[n] Zahnbürste im Gesicht vorkommt? Einmal beinahe lauernd im spektralen Münchner Sommerlicht nur ein paar Jährchen bevor seine Zeit gekommen sein wird, eine tragende Rolle im großen Finsternistheater zu spielen. Und noch einmal, weiter in der Vergangenheit suchend, als ein Granatsplitter sich wie ein weißer Wurm in die Wade des jungen Gefreiten der 6. Königlich Bayerischen Reserve-Division bohrt und dann doch einigermaßen bedauernd festgestellt wird, lediglich ein paar Zoll höher, zur Hauptschlagerader hin und nur wenige Jahrzehnte später hätten die Großeltern des Erzählers auf der Hamburger Moorweide nicht die mit Koffern beladene[n] Männer, Frauen und Kinder am Dammtorbahnhof in die Züge verfrachtet und ostwärts verschickt gesehen. Aber es bleibt nicht bei den assoziativen Cameo-Auftritten dieses Scheusals. So wird beispielsweise simultan zur Kokosplantage in der Südsee in der fernen Schweiz ein anderer junger Vegetarier herbeiphantasiert, bei einem Patentamt beschäftigt und den theoretischen Unterbau für seine Dissertation zusammenträgt, die Jahre später das gesamte bisherige Wissen der Menschheit auf den Kopf stellen wird. (Die anderen Gäste möge der geneigte Leser entdecken.)
Was bleibt also? Hyperaktive Zeitgenossen, die mit moralinsaurem Betroffenheitsgeifer Literaturkritik immer mehr zur Literatenkritik verkommen lassen. Und dann diejenigen, die sich im Gegenzug mit der übertriebenen Lobhudelei dieses eher mittelmäßigen Büchleins als Salon-Avantgardisten billig profilieren können. Beide Seiten missbrauchen den Gegenstand ihrer Betrachtung für ihre schnöde Selbstdarstellung. Das Buch wird gut verkauft werden und Christian Kracht vermutlich bis auf alle Zeiten ein Attribut wie »umstritten« oder »problematisch« bekommen. Damit zieht dann die Karawane weiter. Bis zum nächsten Skandal.
Es ist zum Kotzen.
Die kursiv gesetzten Passagen sind Zitate aus dem besprochenen Buch.
Aber das Cover ist wirklich schön.
Ach, gegen eine ordentliche, auch mit groben Waffen geführte Feuilleton-Prügelei hätte ich garnichts einzuwenden, wenn das nicht alles so furchtbar absehbar wäre. So scheint es mit zumindest, aber ich kenne den Imperium-Krawall eigentlich nur als Meta-Ereignis aus diesem Blog und einigen Kurz-Meldungen. Und da sieht das nach einer quasi abgekarteten Sache aus: Christian Kracht, dessen Rang im Literatur-System m.E. vor allem seiner Fähigkeit geschuldet ist, die niedrigen Instinkte deutscher Feuilletonisten zu bedienen; die Pseudo-Linken, deren Beiss-Reflex zuverlässig von Krachts elitär-ästhetizistischer Pose ausgelöst wird; die pseudo-kennerschaftlichen Neo-Konservativen, die pennälerhaft manierierte Wendungen und mit rechten Denkfiguren um 1900 kokettierende Formulierungen für großen Stil halten – und die Diskurs-Simulation auf dem Niveau von Königs Erläuterungen ist fertig. Da scheinen sich doch alle Beteiligten gesucht und gefunden zuhaben.
A. N. Herbst sagt es schön hier: http://albannikolaiherbst.twoday.net/stories/64976629/
@Doktor D
Mit groben Waffen, im Sinne einer gut geschriebenen Polemik, dagegen hat wohl kaum jemand etwas, aber was in der letzten Zeit, sei es in der Diskussion um Gauck oder auch Kracht, (wieder?) hoch schlägt sind so offensichtlich kontextentstellende Zitate oder Leserichtungen, die man fast nur mehr als Versuch Meinung zu machen, erklären kann — das ist schon jenseits von grob.
Aufschlussreich und ausführlich auch diese Besprechung, falls noch nicht bekannt.
@metepsilonema: Sich die Zitate zur eigenen Meinung suchen, hat ja auch eine schöne lange Tradition – und kann, gut gemacht, (fast) schon selbst Kunst sein, wenn auch eine schwarze. In der Kracht-Kontroverse findet die sich aber wohl eher nicht, da haben Sie recht. Vielleicht wäre das alles nicht so ärgerlich, wenn solche Pseudo-Debatten nicht soviel Platz und Energie im Feuilleton binden würden. Da hilft im Grunde wohl nur: Ignorieren.
So ganz vergleichbar finde ich die Gauck-Diskussion und die Imperium-Kontroverse eigentlich nicht: Von Menschen, die sich mir als Experten für Literatur präsentieren, erwarte ich literarisches Unterscheidungsvermögen – darin scheinen die Hauptprotagonisten der Imperium-Kontroverse kläglich versagt zu haben. Bei der Gauck-Diskussion hatte ich den Eindruck, dass sich hier die politische Öffentlichkeit zwar relativ unordentlich und chaotisch, aber am Ende doch ganz erfolgreich über einen politischen Vorgang aufgeklärt hat. Vom Mann, der Kommunismus und DDR ganz allein und eigenhändig zur Strecke gebracht hat, auf der einen und dem antisemitischen System-Gewinnler mit dem untrüglichen Riecher für die Fleischtöpfe der Macht auf der anderen Seite hat sich das Ganze, zumindest in den politisch relevanten Medien, doch auf eine ganz vernünftige Haltung und Berichterstattung eingependelt.
Und danke für den Link!
@Doktor D
Sich Zitate zur eigenen Meinung suchen ist völlig in Ordnung, auch sie zu arrangieren, wenn dabei der ursprüngliche Kontext und Sinn (weitgehend) erhalten bleibt. Wenn man literarisches Unterscheidungsvermögen erwarten darf, dann doch längst, dass korrekt zitiert wird. Ich meinte gar nicht die Diskussion im Ganzen, aber Teile, z.B. der TAZ-Kommentar der in diesem Artikel erwähnt wird (Gregor hat das unlängst verlinkt). Es beschädigt oder zerstört, wie sehr schön ausgeführt wird, das was man Diskussionskultur nennen kann.
@ metepsilonema, @ Doktor D.
Wo gibt es die von Ihnen beschworene Diskussionskultur denn? Hier doch auch nicht immer, wenn ich an die Diskussion in der Krawallschachtelauseinandersetzung u.a. denke. Es ist schade und das Schweigen vieler ist nicht allein einer allgemeinen Bloggermelancholie geschuldet, sondern auch konkreten Diskussionsbeiträgen.
Aber vielen Dank für die fairen und interessanten Beiträge von Ihnen.
Dann von Gauck noch mal zu Kracht. Ich habe das Buch einmal gelesen und nicht übel Lust es ein zweites Mal aufzuschlagen. Warum? Die Sprache war es nicht, jedenfalls nicht hauptsächlich. Kracht versucht sich an einer Art von historischer Bauchrednerei, die für ihn neu und ästhetisch gewagt ist. Anders als Sie, Herr Keuschnig, finde ich, dass sich dieses Wagnis gelohnt hat. Manchmal benutzt er Worte wie fidel, bei denen ich mich frage, ob es nicht ein wenig too much wird. Aber dieses Risiko ist in diesem Verfahren angelegt. Das Entscheidende aber ist doch der Bruch zwischen dem, was erzählt und wie erzählt wird. Und genau in diesem Bruch wirft das Buch die Fragen auf, die eine zweite Lektüre lohnen würden. Warum lebt Engelhardt in dem Roman noch Jahrzehnte, nachdem er todkrank und wahnsinnig von dem Kapitän verschont wurde? Wieso wird er zum Antisemiten (was er zu Beginn des Buches nicht war) – deutsches Schicksal oder gibt es Gründe, die in dem Buch angelegt sind? Sind die Cameoauftritte von Hitler, Hesse, Kafka, Thomas Mann und Einstein nur öde Gags? Ich weiss nicht, der Umgang Krachts mit Geschichte ist ja auch ein vielleicht problematischer Versuch der Relativierung, also Einstein ist nicht ganz fehl am Platz. Die wichtigste Frage: wer erzaehlt diese Geschichte überhaupt. Beim Lesen dachte ich, eine der Figuren, der Kapitän oder einer der Pflanzer wird es sein. Aber so ist es nicht. Mich hat der Erzähler an die unzuverlässigen Schwadroneure von Nabokov erinnert. Auch bei ihm, man vergisst das wegen seinem heutigen Heiligenstatus, bestand immer die Gefahr das Geschwafel von Humbert Humbert mit der Wahrheit von Lolita zu verwechseln. Bitte, lieber Herr Keuschnig, entschuldigen Sie die Länge, jetzt bin auch ins Schwafeln geraten.
Was, außer der unsäglich blöden dietzen Rezension, wäre ‘zum Kotzen’? Ich habe das Buch mit großer Lust gelesen & halte es für eines, das gut verkauft werden sollte, Kracht hat Dietz nicht nötig, genau so wenig, wie Dietz Kracht nicht nötig hat; sein Faschismusverdacht ist – mir fehlen die Worte – von einer Substanzlosigkeit, in der sich nicht das Objekt der Kritik wiederfindet, sondern vielmehr die Kritik selbst. Pfui, Teufel! Es mag sein, dass ich in meiner Lektüre altbacken bin, sozusagen an den Klassikern geschult, aber was Kracht in seinem auktorialen Erzählduktus hinkriegt, ist alles andere als epigonaler Schmalz, auch wenn man von Goethe bis Mann alle trapsen hört. Ich bin ein unbedingter Bewunderer dieser Kracht’schen Raffinesse!
Weshalb kann ich meinen Text nicht bearbeiten?
Danke für die Kommentare. Ich möchte darauf kurz eingehen.
Zum Kotzen lieber @Schein finde ich, dass dieses Buch aufgrund der Diez-Kritik für lange Zeit jeglicher literarischer Kritik enthoben sein dürfte. Es zeigt sich ja auch in diesen Kommentaren: Immer schwingt diese Unterstellung des Profilneurotikers, der sich vorher (vergeblich) an Gerhard Richter schon versuchte, irgendwie durch. Dadurch gibt es immer zwei Haltungen: Zum einen die zur Diez-Kritik (und somit die Tendenz, den Autor Kracht in Schutz zu nehmen). Zum anderen dann die Diskussion um das Buch, die von der Diskussion um Kracht kontaminiert bleibt.
Provokativ gefragt: Was wäre denn, wenn Kracht tatsächlich ein Protagonist der »neuen Rechten« wäre? Würde dies auf dieses Buch in irgendeiner Form »abfärben«? Wäre es dadurch schlechter? Die Frage, die sich ja bei den anderen üblichen Verdächtigen (Céline, Pound, Hamsun – um nur einige zu nennen [Benn und Jünger im deutschsprachigen Raum]) auch immer stellt – und merkwürdigerweise immer zuerst gestellt wird. Über die Verbannung von Céline in Frankreich habe ich irgendwo schon mal hingewiesen. Ist so was nicht bedenklich?
Dann also @Morels Versuch, Literaturkritik zu üben. Die Fragen, die Sie sich stellen, habe ich ja auch angerissen. Tatsächlich stellen sich die Fragen der Konsistenz eines Buches, das ja nicht als Epos angelegt ist, d. h. der Sinneswandel der Figur und die Intentionen des Erzählers können schon befragt und hinsichtlich ihrer Stimmigkeit überprüft werden. Die Cameo-Auftritte hat sich Kracht vielleicht von dem bildungshuberischen Umberto Eco abgeschaut, der ja auch ständig Berühmtheiten auftreten lässt (freilich unbekanntere als die bei Kracht, die in ihrer zum Teil grobschlächtigen Einführung doch ziemlich angeklebt wirken). Dahingehend passt auch der Auftritt eines US-Soldaten, der Engelhardt befragt und fasziniert von ihm ist und im Buch von Kracht »Kinnboot« heisst – eine Anspielung auf »Kinbot«, einem Erzähler bei Nabokov. (Dass Engelhardt danach noch Jahrzehnte lebt, habe ich nicht herausgelesen.)
Und tatsächlich: Warum wird dann Engelhardt plötzlich zum Antisemiten? Er, der Wagner so hasste. Interessante Frage. Die Beantwortung ist schwierig; sie greift aber vielleicht schon wieder in den Diez-Angriff hinein.
Also diesmal nicht nur der Versuch, das Werk vom Autor getrennt zu betrachten, sondern auch das Werk von einer denunziatorischen Kritik. Beides ist inzwischen wohl unmöglich geworden. Krachts Ästhetizismus wird jetzt schon in die Nähe von Ernst Jünger gerückt (man beachte die letzte Bemerkung dieses Postings). Womit seine Karriere als Schriftsteller einigermaßen besiegelt sein dürfte: Von nun an wird man alles, was er schreibt, sofort entweder unter einem gewissen »Verdacht« beäugen oder gar als politisches Metapher deuten. Schwer zu sagen, ob dies von Kracht intendiert war. Tatsächlich wird eine ästhetische Diskussion über den Ästhetizismus ja immer moralisch geführt. Jünger hat sich von dieser Vereinnahmung eigentlich nie erholt; er wurde immer und immer mit bestimmten Äußerungen konfrontiert. Man biss sich an ihm fest. Dabei spielte es irgendwann gar keine Rolle mehr, wie literarisch seine Texte waren – sie galten per se als »politisch«.
Am Ende wird der Betrieb eben »weiter ziehen«, Kracht bekommt sein Stigma (wird es unter Umständen pflegen [ist der Ruf erst ruiniert…]) und alle haben ihr Vergnügen gehabt. Mit Diskussionskultur hat das nichts mehr zu tun; eher mit einem Schmierentheater, wobei dies Vorsatz voraussetzt, was ich nicht glaube. Die literarisch-ästhetische Betrachtung wird auf der Strecke bleiben. Weniger als die Frage, wen Kracht hier epigonal »verwurstet«, hätte ich gerne gewusst, wen nicht.
@Schein: Korrekturen in den Kommentaren gehen leider nicht. Ich habe Ihren Schreibfehler eigenhändig korrigiert.
Vielen Dank für Ihre ausführliche Antwort. Literaturkritik wollte ich nicht üben, nur meinen Eindruck wiedergeben, das Buch sei weniger medioker als es bei Ihnen anklingt. Aber das sehen Sie anders, was Ihr gutes Recht ist. Danke auch für den Hinweis auf Kinbote – der ist der fälschende Herausgeber in Fahles Feuer und damit könnte der US-Soldat, wäre er ein Emigrant , mit dem Erzähler von Imperium zusammenfallen. Ein Rätsel gelöst.
@Norbert
Es freut mich, wenn Sie an dem einen oder anderen Text Gefallen gefunden haben. Über mittlerweile viele Jahre hinweg, kann ich für mich bilanzieren, dass Diskussionskultur im Netz existiert, in Form von Beiträgen und Kommentaren — ich verwendete nicht meine Zeit dafür, wenn sie nicht meinen Erwartungen entspräche. Dass das andere anders sehen und hier verschiedene Erfahrungen und Erwartungen herein spielen, momentgebundene, andere Ausschnitte und Interessen herein spielen, macht eine Bewertung schwierig. Aber wenn ich mir die Frage stelle, ob es mehr lesenswerte Artikel, Blogs und Kommentare im Netz gibt, als ich jemals werde lesen können, dann kann ich nicht anders als mit ja antworten, insofern bin ich optimistisch.
@Gregor
Ich meine da ein wenig die Erwartung nach einer Art von »reinem« Diskurs heraus zu hören, als würden ihn bestimmte Einwürfe »kontaminieren«. Das ist natürlich nicht gänzlich falsch, letztlich aber prägt jeder Beitrag den Diskurs, positiv oder negativ, liegt Veränderung nicht in seinem Wesen? Und sind nicht gerade in unserer Zeit all diese Krawalldiskurse recht bald vergessen?
Danke für die Korrektur, lieber Gregor! Ich halte das Buch allein aus einem Grund nicht für mittelmäßig: alle Rezepienten kommen in den Fallen um, die dessen Protagonist Engelhardt zu guter Letzt ausgehoben hat!
Reiner Diskurs und Stolperfallen
Nein, @metepsilonema, es gibt keine Sehnsucht nach einem »reinen« Diskurs. Oder doch: Wenn »rein« als Umschreibung für »sachbezogen« herzuhalten hat. Wobei ich herzu durchaus die gutgemachte Polemik zählen würde. Diez’ Vorwürfe sind aber weder sachbezogen noch polemisch. Sie dienen ausschließlich der Diffamierung des Autors über den Weg des »politisch korrekten«.
Ich glaube auch nicht, dass diese Krawalldiskurse bald vergessen sind. Wie ich schon versuchte zu erläutern, wird Kracht von nun an immer das Attribut »umstritten« oder, noch diffuser, »problematisch« anhaften. Alleine die Tatsache, dass jemand im »Spiegel« derart gegen den Autor Stellung bezogen hat, reicht aus, um diese Meinung als Teil des Diskurses zu erhalten und immer wieder – je nach Bedarf – aus der Schublade zu holen. Das meine ich mit der Kontamination. Es ist im übrigen so, wie ein Angeklagter in einem Indizienprozess, der dann doch freigesprochen wird bzw. vielleicht sogar (mangels Beweis) freigesprochen werden muss. De jure ist/bleibt er (oder sie) unschuldig. De facto haftet ihm/ihr dieses Etikett ein leben lang an. Der Medienmob kann zwar mit Gegendarstellungen eingefangen werden. Er hat aber seinen Virus längst in die Köpfe der Rezipienten gepflanzt.
Ja, @Schein, es kann sein, dass man in den Stolperfallen umkommt. Ich mag Bücher nicht, die derartige Fallen aufstellen. Ich glaube auch nicht, dass meine Kin
nboot‑Assoziation (die im übrigen geklaut ist; man höre hier) ein Rätsel auch nur annährungsweise löst, wie @Morel dies nahelegt. Es wird immer wieder neue Interpretationsräume geben. Das mag ich nicht, weil der Autor sich mit diesem selbstgeschaffenen Minenfeld alles vom Hals halten kann, was ihm nicht gefällt. Hinzu kommt, dass es zuweilen arg synthetisch aufgepfropft wirkt. Vielleicht liegt auch hiern ein Grund für Diez’ Attacke: Die Überforderung des Rezensenten.Jeeves hat vollkommen Recht.
In meiner Wahrnehmung, – ich habe Faserland, 1979 und seine Zeitschrift »Der Freund« fasziniert gelesen –, inszeniert sich Kracht schon sehr lange als Wiedergänger der Nationalrevolutionäre wie den Jünger-Brüdern und Ernst Niekisch – oder kokettiert zumindest damit. Ich hatte immer auch den Eindruck, dass es dabei sowohl um die Provokation der linken und rechten Spießerwelt ging als auch um die Immunisierung der eigenen Texte gegen literarische Beurteilung: Seine Texte schaffen es, den typischen deutschen Kritiker zur moralisch-politischen Positonierung zu zwingen (und die Ironie-/Ästhetizismus-Position ist ja hauptsächlich eine politische, keine ästhetische), bei vielen ihrer Leser aber großes Schwärmer-Tum zu erzeugen. Dazu dient auch die Zitate- und Anspielungsbastelei, die Krachts Texte immer sind: So eine Art Initationsritus. (Im »Freund« wurde auch immer wieder über Schwärmerei und Fan-Sein als die einzig wirklich relevante »kritische« Haltung diskutiert – und die auch ausprobiert.)
Aufgabe der Kritik wäre es natürlich, diese Strategien zu benennen und zu analysieren. Ich unterstelle Diez, dass er so was ähnliches vorhatte, aber nach der Lektüre des Kracht-Woodard-Briefwechsels Krachts Neo-Dada Neo-Nazis-Spielchen – so nennt das der Kracht- und Woodard-Freund Momus im Wehrhahn-Klappentext –, satt hatte und jetzt den Spieß einfach umdreht – und die Kunstfigur Kracht ruiniert, also das genaue Gegenteil von Schwärmerei als kritischer Haltung, sondern Abscheu und Hass. Insofern passt Diez Hatchet Job viel besser zur Szene aus der Kracht kommt (Tempo-Umfeld, Biller, Goetz), als das beherzte Festklammern am Ironiefähnchen, das die Kracht-Verteidiger praktizieren.
@Doktor D
Natürlich wäre es Aufgabe einer Literaturkritik, die von Ihnen genannten Strategien und Kontinuitäten zu benennen. Dagegen spricht der Markt, der eindeutige Positionierungen verlangt und am Ende nur noch »gut« oder »böse« kennt. Von Reich-Ranicki stammt ja der Satz aus dem »Literarischen Quartett«: ‘Taugt das Buch nun was oder nicht.’ Die meisten Kritiker bilden sich ihr Urteil und suchen dann im Buch nach den ihnen gemäßen Zitaten. Sie entkontextualisieren. Bei Kracht ist das Zitieren insofern schwierig, da er mit seinem allwissenden und belehrenden Erzähler ein großes Risiko eingeht (ich meine jetzt »Imperium« und nicht den Brief-/Mailwechsel). Meistens spielen dann auch noch persönliche Animositäten eine Rolle.
Die Debatte erinnert ja durchaus an die Diskussion um Botho Strauß’ »Anschwellender Bocksgesang« (die Vorwürfe, »neu-rechtes« Gedankengut zu bedienen, sind fast wortgleich) und Sloterdijks »Regeln für den Menschenpark«. Beides waren zwar keine fiktionalen Texte, wurden jedoch in ihrer Abseitigkeit vom Deutungsmainstream sozusagen vorauseilend diffamiert. Strauß’ Fehler war, seine Gedanken dezidiert als »rechts« auszuweisen. Das habe ich bis heute nicht verstanden, da er damit aus seiner Diagnose eine Prognose machte:
Es gibt nichts prägnanteres, mit dem man die Diez-/Kracht-Debatte kommentieren könnte als diese Zeilen (die, zugegeben, auch aus ihrem Kontext herausgeklaubt wurden).
Strauß ist dieses Attribut so richtig nicht mehr losgeworden. Sloterdijk sah sich nach seinem Text in der Fernsehsendung »Baden-Badener-Disput« (deren regelmässiger Gast er war) genötigt, eine Stellungnahme abzugeben, die ihn in die Reihe der Demokraten zurücküberweisen sollte. Handke, um einen anderen Abseitigen zu nennen, wird immer noch als »pro-serbisch« apostrophiert (wenn nicht gar noch mehr). Walser hat nach seiner Paulskirchenrede auch immer noch einen Hautgout. Die Liste ließe sich beliebig erweitern.
@Gregor
Ist das nicht als ein Misstrauen gegenüber dem sachbezogenen Diskurs lesbar? Ich will mich keineswegs für Rabulistik aussprechen, aber jedweder Ruf, positiv oder negativ und jedes Anhaften sind doch immer erst einmal Vorurteile, Gehörtes, die der Prüfung oder des Nachvollzugs bedürfen.
Oder anders herum: Wenn wir, was natürlich sein könnte, uns eher von diesen oberflächlichen und eher irrationalen Gerüchten leiten lassen, dann wären sie tatsächlich gefährlich. Dann müsste man aber wieder fragen: Machen wir uns mit dem Diskurs nicht etwas vor und in Wahrheit entscheiden ganz andere Faktoren?
@metepsilonema
Dieses Misstrauen per se sehe ich nicht. Wobei man natürlich definieren müsste, was »Diskurs« ist. Es ist natürlich mehr als nur das bloße Absondern von Meinungen oder Empfindungen. Diskurs ist für mich per se sachorientiert. Wenn Diez Zitate zurechtbiegt wie er dies möchte, hat das eigentlich nichts mit Diskurs zu tun.
Dennoch haften die Attribute in den vereinfachenden Strukturen der Medien an. Hierfür gibt es zahllose Beispiele. Das muss übrigens nicht immer negativ sein. Und auch ein Attribut wie »Nobelpreisträger« oder »Ex-Bundeskanzler« soll etwas bedeuten!
Vielleicht hast Du Recht und der Diskurs ist nur eine Schimäre oder eine Utopie. In Wahrheit ist es keine fein ziselierte Schachpartie, sondern ein Boxkampf.
Ohhhh, schade. Nun kommt raus, dass das schöne Cover geklaut ist (und zwar ohne Hinweis auf das Original), siehe hier.
Ob Sie’s glauben oder nicht – ich hatte die Webseite von Dominik Monheim nach dem Cover abgesucht, aber nichts gefunden. Dabei ist mir dann nur die Parallele zu Ondaatje aufgefallen. Dass es sich aber um eine, naja, »Weiterentwicklung« eines anderen Motives handelte, wusste ich nicht.
Mir kam das Cover die ganze Zeit so seltsam bekannt vor, ich hab’s dann aber als Leistung von Monheim verbucht, ein sozusagen generisches Ligne Clair-Cover produziert zu haben. Das Ganze (auch die Ähnlichkeiten mit dem Buch von marc Buhl) erinnert micht stark einen anderen »Appropriationsakt« Krachts: Layout und redaktionelles Konzept von »Der Freund« waren bis zur Papierqualität und ‑farbe vom USamerikanischen »The Believer« – sagen wir mal: inspiriert, offensichtlich auch ohne Hinweis, wo man das alles so her hat.
@Gregor
Auf eine Frage herunter gebrochen: Ist der Glaube an die Kraft von Argumenten, tatsächlich einer (auch wenn wir an den öffentlichen Diskurs in Demokratien denken)? Oder anders: Wie sehr lässt sich ein Literaturinteressierter von Ruf, Ruhm oder Hängengebliebenem bei der Wahl seiner Lektüre leiten?
Ein Literaturinteressierter muss in der heutigen Zeit (aber eigentlich schon immer) Prioritäten setzen. Hierbei rekurriert er auf eigene (Lese-)Erlebnisse, Einschätzungen, Urteile – und natürlich auch auf Hinweise von Freunden, Bekannten und aus dem Betrieb und den Medien. Ich wäre sehr stark dafür, Neuerscheinungen bekannter und weniger bekannter Schriftsteller zunächst neutral, d. h. ohne Autorennamen an Rezensenten zu verschicken. Sie schreiben dann ihre Besprechung, die sich notgedrungen auf das Buch konzentrieren müsste (man wird zwar Parallelen ausmachen, aber müsste dann immer Gefahr laufen, den Autor, den man ja nicht kennt, mit sich selbst vergleichen zu müssen). Auf das Ergebnis wäre ich sehr gespannt.
Das Ergebnis wäre vermutlich ebenso interessant (und schlagartig ernüchternd) wie die Aussagen von HiFi-Freaks, denen man Geräte im echten Blindtest vorspielen läßt, oder wie die Einschätzungen von Wein-Kennern, die man etikettenlose Flaschen verkosten läßt, oder wie die Meinungen von Kamera-Kundigen, denen man Fotos ohne Nennung der Aufnahme-Apparaturen vorlegt, oder, oder, oder...
@Ralph Stenzel
Wäre das wirklich so ernüchternd? Können nicht Weinkenner in Blindverkostungen Gutes von Schlechtem trennen und beurteilen?
Ich glaube, in der Literaturkritik hat man vor solchen Experimenten mehr Angst als anderswo. Jahrelang bekamen die Juroren des Ingeborg-Bachmann-Preises in Klagenfurt die Texte der Teilnehmer (außer denen, die sie selber ausgewählt hatten) erst bei der Lesung des Autors zu Gehör und zu Gesicht. Irgendwann hat man das geändert und ein oder zwei Wochen vorher bekommt nun jeder Juror alle Texte. Das nimmt deutlich den Reiz aus der Angelegenheit. Aber man scheut die Spontaneität. Wenn dann noch ein Autor oder eine Autorin das obligatorische Portrait verweigert, sieht man förmlich einige Kritiker wie Blinde im Wild herumtappen: ihnen fehlt mit der Biographie des Autors (und sei sie noch so kursorisch) der Bezugsrahmen, in dem sie ihre Kritik ausstellen können. Das ist m. E. ziemlich bedenklich.
Ernüchternd deshalb, weil sich auch die (selbst- oder fremdernannten) Koryphäen aller Fakultäten zuweilen ziemlich blamieren, wenn sie die Zuschreibung der zu beurteilenden Erzeugnisse nicht kennen (oder bewußt falsch mitgeteilt bekommen haben). Da zeigt sich dann, wie oft der Wunsch oder das Weltbild das Urteilsvermögen prägen bzw. trüben. Klar kann ein Weinkenner saure Plörre von einem Qualitätswein unterscheiden oder der Musikfreund ein Küchenradio von einer HiFi-Anlage, aber ab einem gewissen Qualitätslevel werden die Urteile ebenso esoterisch-blumig wie schwerlich reproduzierbar. Das schwülstige Geschwafel sichert den bewunderten Gurus aber ihren Status, deshalb scheuen sie ihre Enttarnung als doch-gar-nicht-so-kennerhafte-Blender...
@Gregor & Ralph
Gute Idee. Solcherart entstandene Besprechungen wären, wie schon festgestellt, spontaner und die Diskussion wird an bestimmten Punkten offen bleiben müssen, etwa mit der Feststellung, dass man noch einmal nachlesen müsste um dieser oder jener Deutung, diese oder jene Wertung zu bevorzugen. Der Leser hätte dann keine vorgegebenen Richtlinien und müsste letztlich sein Urteilsvermögen befragen.
Was man nicht vernachlässigen sollte ist der Kontext und die eigenen Befindlichkeiten (Welt), die bei jeder Rezeption mit hineinspielen und das Ergebnis beeinflussen. Ein Glas Wein etwa, schmeckt in einer geselligen Runde anders als alleine. Außerdem rufen bekannte Namen oder andere Etikettierungen Erinnerungen und Emotionen ab, die mit dem Genuss oder der Rezeption verbunden worden sind.
Vielleicht ist es oft eine Frage des Einlassen-Könnens, trotz einer positiven oder negativen Etikettierung. Andererseits benötigen wir Vorurteile um uns zunächst einmal im Dickicht orientieren zu können.
# 27 @ Ralph Stenzel
War es damals wirklich besser im Wettbewerb? Ich habe meine Zweifel. So wurde tatsächlich noch zu Zeiten M.Reich-Ranicki und auch später verfahren. Waren die Äußerungen deshalb spontaner oder qualitätsvoller.
In jeder Runde waren Leitstiere und es gab feste Rituale, kritsierst du meinen Kandidaten, mache ich deinen fertig.
Der ganze Bachmann-Wettbewerb war und ist nicht gerade ein Vorzeigebeispiel für gute Kritik und gute Texte.
Dagegen waren die Diskussionsrunden manchmal beim Quartett, wenn der Gast gut war, noch interessant oder zur Zeit beim Literaturclub. Es kommt auf die Teilnehmer der Runde an.
Wie kann jemand, der selbst so einen unangenehmen, kaum lesbaren Literaturkritikerjargon pflegt ernsthaft die Sprachschnörkelverliebtheit bemängeln, unabhängig von meiner eigenen Meinung zu Imperium?
Genau wie ich meinen Installateur kritisiere wenn er Fehler macht, obwohl ich seine Arbeit nicht selbst erledigen kann, oder die Missstände in der Politik, obwohl ich kein Berufspolitiker bin, die Fußballnationalmannschaft, wenn sie ein schlechtes Spiel abliefert, selbst aber gerade einmal Hobbykickerniveau habe oder eben ein misslungenes Buch, obwohl... usw. usf.
@ metepsilonema
Hältst du den Satz unter der Überschrift »Sprachschnörkel, abgehangen ironisch«
wirklich für gelungen? Dieser Satz in seinem entweder ‑oder Duktus und dem scheinbar intellektuellen Kritikerton (schwülstig verschraubt, artifizielle Sprachschnörkelverliebtheit) ist wahrlich keine Zierde einer guten, angemessenen Literaturkritik. Anders gesagt, hier hat der Handwerker gepfuscht, darf man doch kritisieren? Oder ist das Majestätsbeleidigung?
@Norbert
Die Berechtigung Kritik zu üben, hängt nicht damit zusammen wie man schreibt; genauer: Ich darf mir ein Urteil über einen Roman erlauben, unabhängig davon, ob ich selbst einen verfassen kann, unabhängig davon, ob meine Formulierungen perfekt sind.
Etwas anderes ist, ob eine Besprechung sachlich angemessen, oder stilistisch gelungen ist. Ob der Handwerker hier »gepfuscht hat« (ob also die Wendung von den abgehangenen Sprachschnörkeln zutreffen ist), kann ich nicht sagen, weil ich das Buch nicht kenne. Von den Besprechungen zu Krachts Buch, die ich bisher gelesen habe, ist diese hier nicht die schlechteste, aber auch nicht die beste.
Normalerweise lösche ich Kommentare, die nachweislich falsche E‑Mail-Adressen und/oder nichtssagende Pseudonyme verwenden. Dieser hier wurde nun kommentiert, was man im allgemeinen mit Trollkommentaren nicht machen soll.
Es geht auch nicht darum, ob »der Handwerker« gepfuscht hat. Man kann über Art und Weise der Kritik streiten. Dann erwarte ich jedoch eine entsprechende Auseinandersetzung. Die bloße Feststellung eines »scheinbar intellektuellen Kritikertons« reicht da nicht. (Die Anspielung, die im inkrimierten Zwischentitel liegt, wird ja erläutert. Das kann nicht so schwierig sein. Man kann es miß- oder gelungen finden, aber das ist – glücklicherweise – für das Verständnis völlig uninteressant.)
Im übrigen bin ich kein Zierden-Schreiber und nicht zuständig, eine wie auch immer »angemessene« Kritik zu verfassen. Dazu kommt: Ich weiß gar nicht, was das sein soll und wo diese Zeilenwächter sitzen, die das bestimmen.
@Gregor
Mit angemessen meine ich berechtigt im Sinne der vorgetragenen Argumentation. Ist sie nachvollziehbar? Trifft sie zu? Usw.
Da Kritiker sich im Diskurs befinden, müssen sie wiederum mit Kritik rechnen. Das ist also ein ganz normaler Vorgang, keine Wächterei (mir fällt nur gerade kein besseres Wort ein für »angemessen« oder »berechtigt« ein).
@metepsilonema
»Angemessen« kam ja ursprünglich nicht von Dir. Was Du meinst ist vermutlich eher, ob die Argumentationsführung stimmig ist. Mir ist ganz wichtig, dass das Geschreibe immer auch noch den Respekt vor dem Werk behält. Demzufolge wäre das Werk zu kritisieren, zu beurteilen, vielleicht auseinander zu pflücken und weniger oder im Idealfall gar nicht der Autor bzw. dessen Gesinnung oder Haltung.
Bei Kracht ist nun mehr als deutlich der Wunsch spürbar, jemanden wie Thomas Mann wenn nicht zu imitieren, so doch nachzueifern. Das kann seinerseits ironisch gemeint sein oder es ist der Hauch des Epigonentums spürbar. Das vermag ich nicht zu beurteilen. Aber ich muss es erwähnen und es ist mir m. E. dabei durchaus gestattet, ebenfalls eine ironische Metapher zu verwenden.
(Apropos Thomas Mann: Bei Tellkamp ist dieser Anspruch weitaus subtiler vorgetragen, aber auch spürbar. Auf die Idee des Ironischen kommt bei ihm allerdings nicht.)
Dass Kritik sozusagen selber in der Kritik steht, ist natürlich normal. Aber ich erwarte mehr als nur ein hastig reingerotztes Meinungs-Statement (zudem noch als komplett anonymer Teilnehmer, der weder eine korrekte Mail-Adresse angibt noch einen Blog als Referenz hat noch sachdienliche Hinweise gibt). Solche Art Kritik weise ich ab und tue ich mir nicht an. Das ist ungefähr so als würde an einem Haus vorbeigehen, an der Tür klingeln und dem Besitzer sagen, wie spießig doch sein Garten aussieht.
#35 @ Gregor Keuschnig
Nun, ich bin davon ausgegangen, dass »Anonym« ein Nick ist Weiter hatte ich auf die Reaktion von metepsilonema meinen Beitrag geschrieben.
Sie schreiben in Ihrer Antwort # 37, es sei für Sie wichtig, »dass das Geschreibe immer auch noch den Respekt vor dem Werk behält.« Genau das habe ich in dem angesprochenen Satz vermisst. Ich habe konkret diesen Satz und die verwendeten Bezeichnungen angesprochen.
Wenn jemand dieses Buch durchaus gelungen findet, hat er sich ja nach ihrerm Urteil noch unter dem von Fritz Kortner angesprochenen Niveau amüsiert. Wer möchte sich das nachsagen lassen.
Diese Behauptungen in dem Satz werden auch nicht belegt, sie bleiben bloße Behauptungen.
Was das Wort »angemessen« betrifft, ich könnte das auch von mir verwendete gut hinzunehmen, steht für mich gerade für den von Ihnen angesprochenen Respekt vor dem Werk und auch vor dem Autor.
Ich bin auch kein Zeilenwächter, lese mit Interesse Ihre Rezensionen und die anderen Beiträge, muss aber leider feststellen, dass, wie soll ich es sagen, Sie zumindest dünnhäutig sind, wenn jemand eine andere Meinung zu Teilen Ihrer Rezension oder Auffasungen hat.
Daher habe ich es vorgezogen, auf den Beitrag von metepsilonema zu antworten, da ich von ihr zwar nicht immer Zustimmung bekomme, aber doch fair und ruhig behandelt werde.
Ich habe diesmal auf Ihren Beitrag geantwortet, weil mir der Irrtum mit dem Nick unterlaufen ist.
@Gregor
Ich sehe da kaum Differenzen und habe den Kommentar oben auch nicht als den eines Trolls angesehen.
Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt: Ich bekam das Buch unlängst geschenkt und habe es nun doch gelesen. Ich kann vielem zustimmen was in Deiner Besprechung und den Kommentaren geschrieben wurde, mein »Problem« ist, dass es, bis auf wenige Stellen (dort wo der Sturm beschrieben wird und der Kapitän Slütter seine Hauptrolle spielt), jede Tiefe und Nähe vermissen lässt; es erscheint mir überhaupt nicht sinnvoll irgendwelchen Spuren, Mehrdeutigkeiten und verzwickten Angelegenheiten nachzuspüren, weil sich in keinster Weise andeutet, dass das von Bedeutung sein könnte, dass es ein Ergebnis einbrächte (wie gesagt mit Ausnahme weniger Stellen). Es ist stilistisch gekonnt gemacht, spielerisch, ironisch, manchmal spannend, ja mitreißend und es liest sich – nach wenigen Seiten – rasch und flüssig, man lernt bisweilen neue Ausdrücke und Wörter kennen und staunt vor mancher Formulierung, aber eben, das was ein Buch so unbedingt haben muss (sollte!), fehlt. — Ich kann mir vorstellen, wie oben bemerkt wurde, es einfach des Vergnügens wegen zu lesen, aber dafür (oder: ausschließlich dafür) bin ich der Falsche.
Eine kleine Korrektur noch, es ist m.E. nicht der Kapitän, sondern Engelhardt, der sich an die Schachpartie und die Annahme als vollwertiger Mensch erinnert (S 217): Aber der Kapitän erinnert sich an schöne Schachpartien und daran, von Engelhardt immer wie ein vollwertiger Mensch angenommen worden zu sein und hat mit dem inzwischen vom Freigeist und strengen Vegetarier zum Antisemiten und Autokannibalen mutierten Mann (es bleibt nicht bei der Verkostung der Finger- und Zehennägel) mehr als nur Mitleid.
@metepsilonema
Danke für die Reaktion. Naja, es kann natürlich ein Spiel des Autors sein, Brücken zu beginnen, auf den der Leser sich begibt. die aber dann plötzlich nicht mehr weitergehen.
In diesem Zusammenhang denke ich dann doch immer an Reich-Ranicki und seine Rede von dem »doppelten Boden«, den eine gute Erzählung (ein guter Roman) haben sollte. Eine griffige Formulierung, zu der ich bis jetzt nichts Passenderes gefunden habe. Ich stimme dem zu, wenngleich es natürlich im Einzelfall schwierig sein kann, diesen »doppelten Boden« nachzuweisen bzw., noch schwieriger, ihn als nicht vorhanden darzustellen.
Krachts »Imperium« ist ein manieristisches Textkunstwerk. Ich habe das sehr gerne gelesen. Aber eben nicht mehr.
Deinen Einwand bzgl. S. 217 werde ich nochmal prüfen. Danke.
Manieristisches Textkunstwerk ist eine treffende Beschreibung. Ich habe auch nicht ungern gelesen, wenngleich meist eine Art Distanz zwischen dem Buch und mir blieb, die mich verwundert — vielleicht ähnlich mancher barocken Kirche.
Ich will nicht leugnen, dass ein doppelter Boden vorhanden ist, der Autor spielt oder Brücken abbrechen lässt, aber das Buch fordert mich nicht auf danach zu suchen, es tritt mir nicht nahe genug (wobei das sicherlich auch an mir liegt). Selten scheinen mir die Stellen an denen ein Charakter (oder dessen Handlungen) beispielhaft für allgemein menschliche Belange wird (werden).
Ein Nachtrag noch zum doppelten Boden: Die muetzenfalterin zitiert Paul Auster hier ganz ähnlich: »Denn das ist die Funktion des Erzählens«, schreibt Auster, »jemandem eine bestimmte Sache vor Augen halten, indem man ihm eine andere zeigt.«
Pingback: Alles nichts ohne Glaubwürdigkeit « Die MEDIENWOCHE – Das digitale Medienmagazin
Irgendwie hat mein Pingback nicht funktioniert. Ich bin mit meiner Rezension von Imperium endlich fertig.
Deine Rezension war sehr inspirierend. Und auch die Diskussion ist immer wieder erstaunlich, liegt das jetzt an Kracht selbst oder wirklich an seinem Werk?
@Jan
Ich glaube, es lag in diesem Fall an der Diskussion um Krachts Buch. d. h. an Diez’ Text und die Versuche, Kracht zu diffamieren.