Mal­te Her­wig: Die Frau, die Nein sagt

Malte Herwig: Die Frau, die Nein sagt

Mal­te Her­wig: Die Frau, die Nein sagt

Es ist der 23. Sep­tem­ber 1953. Ei­ne 32jährige Frau ver­lässt mit ih­ren bei­den Kin­dern (6 und 4) den Ge­lieb­ten. »Kei­ne Frau ver­lässt ei­nen Mann wie mich«, hat­te die­ser ge­tönt. »Ei­nen Mann, so reich und be­rühmt«. »Und sie? Hat­te schal­lend ge­lacht und ihm ent­geg­net, dann sei sie eben die er­ste Frau, die es fer­tig­bräch­te«.

Mit die­ser Sze­ne be­ginnt das Buch »Die Frau, die Nein sagt« von Mal­te Her­wig. Der Mann, den man nicht ver­lässt, ist Pa­blo Pi­cas­so. Er ist da­mals fast 73 Jah­re alt. Die Frau, die in ei­ner der we­ni­gen Re­por­ter­su­per­la­ti­ve in die­sem Buch »die be­rühm­te­ste Über­le­ben­de der Kunst­ge­schich­te« ge­nannt wird, ist Fran­çoi­se Gi­lot. Sie ist die Frau, die nach zehn Jah­ren Nein ge­sagt hat. Und bis heu­te im­mer dann Nein sagt, wenn es ihr passt. Mit al­len Kon­se­quen­zen.

Gi­lot ist Jahr­gang 1921 und 90 Jah­re alt, als sich der SZ-Re­por­ter Mal­te Her­wig bei ihr mel­det. Zehn Mo­na­te lebt die Da­me in New York, im Mai und Ju­ni zieht es sie nach Pa­ris. Sie ist Ma­le­rin ge­we­sen und ge­blie­ben. »5000 Zeich­nun­gen und 1600 Ge­mäl­de« fasst ihr Œu­vre aus 75 Jah­ren. » ‘Au­ßer ma­len tue ich ja nichts’ «, so die la­ko­ni­sche Be­grün­dung für die­ses Werk. Ih­re Zeit mit Pi­cas­so, als sie Mu­se, Mut­ter und Ge­lieb­te war, hat ihr Le­ben zwar ge­prägt, aber Her­wig re­du­ziert sie nicht dar­auf.

Na­tür­lich gab es glück­li­che Ta­ge, wie die­ses Bild, das auch im Buch ab­ge­druckt ist, zeigt. Die ein­zel­nen Etap­pen der Li­ai­son und den Ein­fluss Gi­lots auf Pi­cas­sos Schaf­fen wer­den her­aus­ge­ar­bei­tet. Pi­cas­so sei »der ein­sam­ste al­ler Men­schen« ge­we­sen, so Gi­lot. Dies trotz der zahl­rei­chen Ge­lieb­ten und ver­meint­li­chen Freun­de; Letz­te­re fast al­le Ja­sa­ger. Zur Ein­sam­keit ge­sellt sich die Un­si­cher­heit die­ses ver­meint­li­chen Ber­ser­kers Pi­cas­so. Und dann die­se Ei­fer­sucht als Ma­tis­se sie als Mo­dell nahm. Zu­wei­len zi­tiert Her­wig aus Gi­lots Buch über das Le­ben mit Pi­cas­so.

Das Ge­nie als mensch­li­ches Scheu­sal – man glaubt, dies zu ken­nen und ist dann doch im­mer wie­der über­rascht. Pi­cas­so be­leg­te sei­ne Ex-Ge­lieb­te, die Mut­ter sei­ner Kin­der, mit ei­nem Bann­strahl. Er, der be­rühm­te Mann, droh­te Ga­le­rien und Mu­se­en, ih­nen kei­ne Bil­der mehr zu lie­fern, wenn sie Bil­der von Fran­çoi­se Gi­lot aus­stel­len soll­ten. So schrumpft Grö­ße. Lan­ge Zeit mach­te der Be­trieb, die Kri­tik, mit. Man kennt das.

Aus ei­nem ge­plan­ten In­ter­view Her­wigs mit Gi­lot wer­den Ge­sprä­che. Es geht um ihr an­ti­per­spek­ti­vi­sches, Sym­me­trie ver­mei­den­des Ma­len, den Zau­ber des Schrei­bens mit Tin­te auf Pa­pier und das We­sen ei­ner Zeich­nung. Es geht um den Kunst­be­trieb, um Samm­ler, die den wah­ren Wert ei­nes Kunst­werks nicht er­ken­nen und nur auf den Preis schau­en. Gi­lot be­kennt frei­mü­tig, mit der zeit­ge­nös­si­schen Kunst we­nig bis nichts an­fan­gen zu kön­nen. Sie er­kennt nur ge­woll­te und da­her scha­le »Wit­zig­keit« und Pro­vo­ka­ti­ons­lust um der Pro­vo­ka­ti­on wil­len. Für War­hol hat sie nur ei­ne weg­wer­fen­de Hand­be­we­gung üb­rig. Die Selbst­dar­stel­lungs­kün­ste heu­ti­ger Ma­ler­für­sten und –für­stin­nen stößt sie ab. Frü­her ha­be man in der Kunst die Wahr­heit ge­sucht. Heu­te spie­le man ein Thea­ter. Mit 90 darf man das sa­gen oh­ne als Spie­ßer zu gel­ten. Wel­che Frei­heit.

Kurz kommt sie auch auf ih­re er­ste Ehe mit Luc Si­mon 1955, ei­nem Ma­ler, zu spre­chen, von dem sie noch ein wei­te­res Kind be­kam. Sie­ben Jah­re hielt die­se Ver­bin­dung, von der sie früh wuss­te, dass es ein Feh­ler ge­we­sen war. 1970, mit 49, hei­ra­te­te sie zum zwei­ten Mal – den Na­tur­wis­sen­schaft­ler Jo­nas Salk, der sie­ben Jah­re äl­ter war als sie. Die­se Ehe hielt bis zum Tod von Salk (1995) und war von Frei­heit, ge­gen­sei­ti­gem Re­spekt und Zu­nei­gung be­stimmt. Sie lern­te Ar­beits­kol­le­gen und Freun­de ih­res Man­nes ken­nen. Heu­te noch schwärmt sie von dem kind­lich-nai­ven In­ter­es­se die­ser Na­tur­wis­sen­schaft­ler für die Ma­le­rei von die­sen Men­schen.

Mal­te Her­wig kennt man nicht nur als neu­gie­rig-in­si­stie­ren­den Re­por­ter son­dern auch als ein­fühl­sa­men Er­zäh­ler, et­wa wenn er Pe­ter Hand­kes Idio­syn­kra­si­en in Be­zug auf sei­ne bei­den Vä­ter fi­li­gran her­aus­ar­bei­tet (»Mei­ster der Däm­me­rung«) oder die scham­voll kryp­ti­schen An­deu­tun­gen Mar­tin Walsers über sei­ne NSDAP-Mit­glied­schaft mit chir­ur­gi­scher Prä­zi­si­on frei­legt (»Die Flak­hel­fer«). Ähn­lich se­zie­rend und episch schil­dert er ein Kind­heits­er­leb­nis von Fran­çoi­se Gi­lot, das ein­schnei­dend und prä­gend für de­ren Per­sön­lich­keit sein wird.

Her­wig be­such­te auch Syl­vet­te Da­vid, die kurz nach Gi­lots Weg­gang für drei Mo­na­te die neue Mu­se von Pi­cas­so war und mit ih­rem blon­den Pfer­de­schwanz stil­bil­dend wur­de. Sie ist 1934 ge­bo­ren und nennt sich in­zwi­schen Ly­dia Cor­bett. Auch sie ist Ma­le­rin ge­wor­den. Die Tem­pe­ra­men­te zwi­schen David/Corbett und Gi­lot könn­ten nicht un­ter­schied­li­cher sein.

Noch ei­ne »Über­le­ben­de« al­so. Akri­bisch li­stet Her­wig die Schick­sa­le der an­de­ren »Pi­cas­so-Frau­en« auf – vom Frei­tod bis zum Wahn­sinn. Gi­lot ha­der­te nicht, mal­te wei­ter. Ihr »küh­les, nor­di­sches Tem­pe­ra­ment« (Vor­fah­ren aus der Nor­man­die!) half ihr da­bei. Sich den Ri­si­ken stel­len, auch das Schei­tern nut­zen, in das Le­ben ein­bau­en. »Reue? Nie­mals.« lau­tet ih­re Ma­xi­me. Män­ner in­to­nie­ren dann zu­meist »My Way« von Si­na­tra. Gi­lot malt und phi­lo­so­phiert: »Al­les hat sei­nen Platz im Le­ben, auch die schlim­men Er­fah­run­gen.«

Es ist spür­bar mehr als nur jour­na­li­sti­sches In­ter­es­se mit ei­ner Pri­se Em­pa­thie. Her­wig ist ver­zau­bert von der »Leb­haf­tig­keit« und Weis­heit Gi­lots, be­sucht sie über Jah­re hin­weg mehr­mals. Sie sei ei­ne »Le­bens­leh­re­rin«, le­be »im Ein­klang mit der Welt«. Die Di­stanz schwin­det. Gi­lot zeigt ihm, dem schein­bar Ta­lent­lo­sen, wie man zeich­net. Ei­nen ver­meint­lich fal­schen Strich in ei­ner Zeich­nung soll man nie­mals aus­ra­die­ren. Son­dern mit ihm wei­ter­zeich­nen. Manch­mal ver­wan­deln sich die Mal- und Zei­chen­stun­den in Le­bens­hil­fe-Se­mi­na­re. Her­wig ge­rät ins Schwär­men, macht aus sei­nem Her­zen kei­ne Mör­der­gru­be, öff­net sich nicht nur Gi­lot ge­gen­über, son­dern auch dem Le­ser die­ses Bu­ches. Ihn plag­ten Selbst­zwei­fel und Schreib­blocka­den, stell­te sich (und ihr) fast ein we­nig un­schul­dig die gro­ßen Fra­gen des Le­bens. Aus dem Be­fra­ger wird ein Fra­gen­der.

Nicht al­le Le­bens­weis­hei­ten von Fran­çoi­se Gi­lot sind strom­li­ni­en­för­mig. Man­ches ist sper­rig und so­gar wi­der­sprüch­lich – und ge­ra­de da­durch in­ter­es­sant. Ei­ner­seits er­scheint sie manch­mal et­was le­bens­mü­de – an­de­rer­seits be­wun­dert Her­wig dann wie­der ih­re Vi­ta­li­tät. Sie wi­der­spricht, dass sie zu­rück­ge­zo­gen le­be. Aber war­um soll­te sie mit »ir­gend­wel­chen« zeit­ge­nös­si­schen Künst­lern zu­sam­men­kom­men, wenn sie doch »Ma­tis­se, Braque und Pi­cas­so ken­nen­ge­lernt hat­te«. »Wenn du ein­mal so et­was er­lebt hast, willst du es doch nicht auf nied­ri­ge­rem Ni­veau wie­der­ho­len.« Auch in Be­zug auf ih­re Lei­den­schaft zu ih­ren Ehe­män­nern im Ver­gleich zur Lie­be­lei mit Pi­cas­so ar­gu­men­tiert sie ähn­lich.

»Die Frau, die Nein sagt«, er­schie­nen im klei­nen, aber fei­nen An­ker­herz-Ver­lag, ist ein in je­der Hin­sicht präch­ti­ger Band. Die Fo­to­gra­fien sind at­mo­sphä­risch dicht, Pa­pier und Druck ex­qui­sit. Mal­te Her­wig hat Fran­çoi­se Gi­lot ein wun­der­ba­res, ein opu­len­tes Denk­mal er­rich­tet.