Jörn Birk­holz: Schach­brett­ta­ge

Jörn Birkholz: Schachbretttage

Jörn Birk­holz: Schachbrett­tage

Be­ne­dikt Buch­holz ist 37 Jah­re alt hat sei­nen er­sten Ro­man mit dem Ti­tel »De­ran­giert« ge­schrie­ben. Buch­holz ver­lässt sich nicht auf sei­nen Ver­lag, son­dern te­le­fo­niert Buch­händ­ler ab, ob sie sei­nen Ro­man nicht in ihr Sor­ti­ment über­neh­men möch­ten. Spä­ter wird er noch ein­mal ei­ne sol­che Rund­ruf­ak­ti­on star­ten und nach Mög­lich­kei­ten für ei­ne Le­sung fra­gen. »Schachbrett­tage« be­ginnt mit den Te­le­fon­dia­lo­gen zwi­schen Au­tor und Buch­hand­lun­gen aus al­len Re­gio­nen Deutsch­lands. Da­bei kom­men al­le denk­ba­ren Miss­ver­ständ­nis­se vor, wo­bei das stän­di­ge Ver­ball­hor­nen des ja äu­ßerst kom­pli­zier­ten Na­mens Buch­holz noch das harm­lo­se­ste ist. Ins­be­son­de­re die Re­ak­tio­nen Be­ne­dikts sind min­de­stens gro­ßer Rund­funk und er­in­nern in ih­rer la­ko­ni­schen Ko­mik zu­wei­len an den gro­ßen Mei­ster des Hu­mors: Lo­ri­ot. Vor al­lem, weil al­les nur ein ganz klei­nes biss­chen über­trie­ben zu sein scheint.

Die Sa­ti­re auf den Be­trieb setzt sich nach den Te­le­fon­dia­lo­gen (nach et­wa ei­nem Drit­tel des Bu­ches) fort. Ich-Er­zäh­ler Buch­holz be­ginnt von sei­nen Le­se­rei­sen durch die Pro­vinz zu er­zäh­len. Ak­tu­ell geht es Rü­gen. Vik­tor Klein be­glei­tet ihn. Er liest aus dem Buch vor, nicht Buch­holz. War­um, bleibt un­ge­klärt. Der fein-iro­ni­sche Ton, die su­perb kon­stru­ier­te Si­tua­ti­ons­ko­mik der Te­le­fon­dia­lo­ge, weicht ei­ner sa­lop­pen, zu­wei­len ener­vie­rend-der­ben Spra­che. Die Ab­sur­di­tä­ten und klei­nen Ka­ta­stro­phen wer­den nicht nur slap­stick­haft (und da­mit stark über­trie­ben) in­sze­niert, son­dern sind oft­mals lei­der all­zu sehr vor­her­seh­bar. Wenn Be­ne­dikt Vik­tor an­ruft, der im Zug sitzt, bricht na­tür­lich an der ent­schei­den­den Stel­le die Lei­tung zu­sam­men. Das Zim­mer in der Pen­si­on ent­puppt sich als »Ho­ney­moon-Suite für Psy­cho­pa­then« und nennt sich »Pi­ra­ten­traum«. Die Ver­mie­te­rin ist spie­ßig, trä­ge und be­griffs­stut­zig. Fast kein Vor­ur­teil wird jetzt aus­ge­las­sen: »Im Osten hat je­des Kaff ei­ne Frie­dens­stra­ße, ei­nen Frie­dens­ring oder ei­ne Stra­ße des Frie­dens. Fried­lie­ben­de Men­schen eben.« Die Le­sung am Abend »läuft sehr gut. Al­le fünf Be­su­cher, ein­schließ­lich Lei­te­rin, lau­schen an­däch­tig.« Weil es ein Ab­rech­nungs­pro­blem mit dem zwei­ten Zim­mer für Vik­tor gibt, be­kommt Buch­holz am näch­sten Mor­gen den Bann­strahl: ewi­ges Haus­ver­bot.

Das Lu­xus­ho­tel am neu­en Le­sungs­ort (eben­falls auf Rü­gen) mit dem rie­si­gen Schach­brett im In­nen­hof er­füllt al­le gän­gi­gen Vor­stel­lun­gen von sol­cher Art Re­sort-Ho­tels. »Die Toi­let­te ist so über­trie­ben sau­ber, dass es fast un­an­ge­bracht scheint, hier ei­nen Hau­fen zu set­zen.« Die er­ste Le­sung hat ex­akt zwei Be­su­cher, die auch noch auf Ne­ben­säch­lich­kei­ten im Ro­man her­um­rei­ten. »In die­sem ver­damm­ten Ho­tel sind et­wa zwei­hun­dert Leu­te ab­ge­stie­gen, doch neun­und­neun­zig Pro­zent hat­ten heu­te Abend was Bes­se­res vor; man kann es ih­nen nicht ver­den­ken.«

Fast lo­gisch, dass Be­ne­dikt Hartz-IV-Emp­fän­ger ist. Er stellt nun un­ter­wegs fest, dass er mit der Mie­te in Rück­stand ist. Ei­ne Über­wei­sung kann er aber nicht vor­neh­men, da das ALG II nicht be­zahlt wur­de. Er ver­sucht dies nun te­le­fo­nisch am Strand zu klä­ren: »Mei­ne Le­der­schu­he ver­sin­ken im Sand. Ich bin der Ein­zi­ge am Strand in schwar­zem Cord­an­zug. Ich zie­he Blicke auf mich.« Der Dia­log mit dem »Fall­ma­na­ger« knüpft wie­der an die Te­le­fo­na­te vom Be­ginn des Bu­ches an. Die Miss­ver­stän­de po­ten­zie­ren sich mit der Dau­er des Ge­sprächs; am En­de glaubt der Job­cen­ter-Sach­be­ar­bei­ter noch, dass sich Be­ne­dikt von sei­nem Le­se­rei­sen­ho­no­rar (75 Eu­ro) ei­nen präch­ti­gen Ur­laub auf Rü­gen gön­ne.

Als Be­ne­dikt und Vik­tor am Sams­tag noch ein­mal im Lu­xus­ho­tel le­sen, gleicht der Ver­an­stal­tungs­raum ei­nem Tau­ben­schlag. Die Wo­chen­end­ur­lau­ber (Bet­ten­wech­sel!) müs­sen sich erst ein­mal ori­en­tie­ren: »Sie kom­men und ge­hen, wie es ih­nen ge­fällt. Ei­ni­ge schnup­pern kurz rein und ver­schwin­den wie­der. An­de­re blei­ben ei­ne Wei­le und ge­hen dann mit­ten in ei­nem Ka­pi­tel hin­aus, und vie­le von de­nen, die ge­blie­ben sind, tu­scheln un­ge­niert mit­ein­an­der.«

Die plötz­li­che Ver­än­de­rung bei Vik­tor, dem Vor­le­ser, und des­sen fast über­stürz­te Be­en­di­gung der Ver­an­stal­tung nimmt man zu­nächst nicht be­son­ders wahr. Drei Vier­tel des schma­len Bänd­chens sind er­reicht. Be­ne­dikt geht auf sein Zim­mer und über­win­det sich, sei­ne ehe­ma­li­ge Freun­din, die nach Finn­land zu­rück­ge­kehrt ist, an­zu­ru­fen. Er er­fährt da­bei, dass sie ei­nen neu­en Le­bens­part­ner hat. Ir­gend­wie be­kommt man als Le­ser spä­te­stens jetzt das Ge­fühl, ja die Be­fürch­tung, das Buch plät­sche­re nun so da­her. Aber dann ge­schieht das voll­kom­men Un­er­war­te­te: Ein Ho­tel­gast stürzt von sei­nem Bal­kon di­rekt auf das Schach­brett im In­nen­hof. Dort liegt nun die blut­über­ström­te Lei­che.

Plötz­lich än­dert sich auch die Er­zähl­per­spek­ti­ve im Buch. Ab­wech­selnd wird nun aus der Sicht von Vik­tor und der Ho­tel­ma­na­ge­rin, Frau Amo­r­in, er­zählt. Da­bei ent­steht unver­mittelt und voll­kom­men un­er­war­tet ein ve­ri­ta­bles Kri­mi­nal­stück (der Ver­lag führt das Buch auch als »Kri­mi«), von dem na­tur­ge­mäss hier nichts ver­ra­ten wer­den kann. Auf den letz­ten bei­den Sei­ten nimmt der Au­tor dann noch ei­ne Per­spek­tiv­ver­än­de­rung vor. Auch die­se soll­te dem jetzt hof­fent­lich neu­gie­rig ge­wor­de­nen Le­ser nicht aus­ge­plau­dert wer­den. Der Schluss sei dann al­len po­ten­ti­el­len Form- wie Plot-Kri­ti­kern schon vor­ab ins Stamm­buch ge­schrie­ben: »Al­les We­sent­li­che wur­de ge­sagt, al­les Wei­te­re wä­re Ge­schwa­fel.« Das ist al­les ziem­lich mu­tig, weil si­cher­lich ge­gen so man­chen Schreib­schul­strich ge­bür­stet.

Aber le­sen Sie selbst.