In In­ter­view­ge­wit­tern

Fuß­ball-Deutsch­land hat sei­nen neu­en Auf- bzw. An­re­ger. Es ist das so­ge­nann­te In­ter­view mit Per Mer­te­sacker, we­ni­ge Mi­nu­ten nach dem Schluß­pfiff. Es ist ja längst zur (Un-)Sitte ge­wor­den, Spie­ler di­rekt nach dem Spiel zu be­fra­gen, als wür­den die­se nun von den fri­schen Ein­drücken des Spiels aus dem Näh­käst­chen plau­dern. Das tun sie fast nie, son­dern flüch­ten sich in die and­res­sier­ten Phra­sen, die sie und ih­re Kol­le­gen auf den fast täg­lich statt­fin­den­den »Pres­se­kon­fe­ren­zen« bis zur Per­fek­ti­on ha­ben er­ler­nen müs­sen, um die In­ter­view­ge­wit­ter be­stehen zu kön­nen.

Fuß­ball­spie­ler sind näm­lich seit ei­ni­ger Zeit nicht mehr nur Fuß­ball­spie­ler. Sie sind auch im­mer Me­di­en­ver­füg­ba­re, die prak­tisch je­der­zeit auf Ab­ruf für die in­for­ma­ti­ons­hei­schen­de Öf­fent­lich­keit be­reit zu ste­hen ha­ben. Ma­chen sie es nicht – wie ak­tu­ell Ba­sti­an Schwein­steiger – be­kom­men sie ei­nen bö­sen Film (wie ge­stern vor dem Al­ge­ri­en-Spiel), in dem sie halb dro­hend halb for­dernd den Rat ge­ben, er sol­le sich bit­te bald end­lich mal wie­der äu­ßern. Re­den ist Sil­ber, Schwei­gen ist Gold, so der Ge­mein­platz. Jour­na­li­sten wol­len aus Re­den Gold ma­chen, da­her kön­nen sie das Schwei­gen nicht er­tra­gen. Sie neh­men es per­sön­lich. Wort­spie­le wie »Schwei­ger-Stei­ger« sind nur halb lu­stig ge­meint. Am En­de wird der Bun­des­trai­ner be­fragt, war­um Schwein­stei­ger nichts sagt. Frü­her ha­ben Leh­rer bei ver­hal­tens­auf­fäl­li­gen Schü­lern die El­tern in die Schu­le zi­tiert. Heu­te petzt man beim Bun­des­trai­ner.

Es wä­re falsch zu glau­ben, die Jour­na­li­sten woll­ten sub­stanz­hal­ti­ge Stel­lung­nah­men. Sie er­göt­zen sich zu­nächst im Small­talk, kul­ti­vie­ren den Klatsch. Ger­hard Del­ling, der frü­her mit Gün­ther Net­zer im Dop­pel­pass in­tel­li­gen­te Sprach­spie­le wech­sel­te, ist zu ei­nem ähn­lich be­lang­lo­sen Phra­sen­dre­scher in Sa­chen DFB-Team ge­wor­den wie Kath­rin Mül­ler-Ho­hen­stein. Aber die­se Flos­kel­ge­bir­ge ha­ben nur ei­nen Zweck: Sie die­nen den an­de­ren Kol­le­gen als Stein­bruch. Da­her greift die Kri­tik an der an­geb­li­chen oder tat­säch­li­chen »Hof­be­richt­erstat­tung« nicht.

Ir­gend­wo muss sich ein Punkt fin­den, an dem man an­set­zen kann. Ei­ne dop­pel­deu­ti­ge Äu­ße­rung, ein Bon­mot, das ei­ne ge­wis­se Deu­tung zu­lässt, gar ei­ne Kri­tik? Der Har­mo­nie­raum, den die embedded-DFB-»Reporter« er­zeu­gen, ist na­tür­lich nur ei­ne Papp­ku­lis­se. Die Auf­ga­be be­steht dar­in, klein­ste Ris­se im Büh­nen­bild auf­zu­decken. Wä­re doch ge­lacht, wenn es nicht ir­gend­wann mal kracht. So­fort wird dann in ei­nen ehr­pus­se­li­gen In­ve­sti­ga­tiv­mo­dus um­ge­schal­tet.

Als Sa­mi Khe­di­ra nach dem USA-Spiel – er war nicht auf­ge­stellt – Kri­tik üb­te, wach­te so­gar Meh­met Scholl, der so­ge­nann­te ARD-Ex­per­te, aus sei­nem Dorn­rös­chen­schlaf auf. Scholl hat­te vor­her mit groß­vä­ter­li­chem »Der Jo­gi weiss schon, was er tut«-Duktus al­le Sy­stem- und Auf­stel­lungs­fra­gen an sich ab­pral­len las­sen. Was Spie­lern nicht ge­stat­tet wird, ist hier mög­lich: Der Ex­per­te schweigt bzw. weicht aus. Statt­des­sen zeig­te er Bil­der von sei­ner Kopf­massa­ge auf der Stra­ße. Sehr in­ter­es­sant.

Scholl weiss wo­von er nicht re­det. Er ist seit 2012 ge­hemmt, als er Ma­rio Go­mez di­rekt nach zwei Sieg­to­ren man­geln­de Ab­wehr­lei­stun­gen vor­warf. Da­nach durf­te er nicht mehr die Re­gio­nal­li­ga-Mann­schaft von Bay­ern Mün­chen trai­nie­ren. Scholls un­durch­dring­ba­re Ora­kel­sprü­che von Rio sind al­ler­dings ge­gen die Rol­len­er­war­tung des ober­sten Stamm­tisch-Mann­schafts­auf­stel­lers. Er er­klärt jetzt nur noch nach dem Spiel, war­um es gar nicht an­ders ge­sche­hen konn­te. Ein be­gna­de­ter Nach­kar­ter al­so, der nach Khe­di­ras Aus­sa­ge, die Mann­schaft müs­se zu­künf­tig noch schnel­ler spie­len, so­fort die An­stands­wau­wau-Kar­te zück­te.

Als ich neu­lich den Sport­teil der Süd­deut­schen Zei­tung auf­schlug, prä­sen­tier­te man dort stolz zehn Re­por­ter, die für die SZ in Bra­si­li­en von der WM be­rich­ten. Zehn. Die Fra­ge, wer die­se Ar­ti­kel, wer die­se Fil­me, die­se »bun­ten Bei­trä­ge« al­le noch kon­su­mie­ren soll, stellt sich für die Me­di­en an­schei­nend nicht. Ich ken­ne fast nur noch Leu­te, die zehn Mi­nu­ten vor dem Spiel ein­schal­ten. Of­fen­sicht­lich un­ter­lie­gen Me­di­en im­mer noch dem Trug­schluss, dass Quan­ti­tät et­was mit Qua­li­tät zu tun hat.

Mer­te­sacker lie­fer­te mit sei­nem spon­ta­nen »Aus­flip­pen« ge­gen 1.00 Uhr deut­scher Zeit ei­nen wohl­tu­en­den Kon­tra­punkt zum ein­ge­üb­ten ver­ba­len Be­lang­lo­sig­keits-Ti­ki-Ta­ka und Aus­druck ei­nes Me­di­en­über­drus­ses, den die Re­zi­pi­en­ten am Fern­seh­schirm we­nig­stens in bö­sem Ge­schimp­fe auf den je­wei­li­gen Fern­seh­kom­men­ta­tor ab­la­den kön­nen. Ein ähn­li­ches Ven­til steht den un­ter Dau­er­be­ob­ach­tung ste­hen­den Spie­lern nicht zu Ver­fü­gung. Im Ge­gen­teil. Brav po­sten die nicht­be­rück­sich­tig­ten Spie­ler, die man nicht Er­satz nen­nen darf, son­dern »1B-Spie­ler«, ih­re Sie­ges­wün­sche auf Twit­ter und Face­book. Sie müs­sen es tun, ein das Feh­len wür­de ih­nen schon als Af­front aus­ge­legt.

In­ter­es­sant wird sein, wie die Schwa­fe­l­er jetzt mit dem Ab­trün­ni­gen um­ge­hen. Zi­tie­ren sie ihn zum Rap­port und ver­lan­gen den Ko­tau? Oder kommt er noch mal mit Be­wäh­rung da­von? Bo­ris Büch­ler zu sei­nem lä­cher­li­chen Fra­ge­thea­ter zu be­glück­wün­schen, ist in dop­pel­ter Hin­sicht falsch. Zum ei­nen ist Mer­te­sacker nicht der Trai­ner, zum an­de­ren be­ginnt er »kri­ti­sche Jour­na­lis­mus« nicht auf dem Gang zur Ka­bi­ne nach zwei Stun­den Spiel.

Ach ja, am Frei­tag gibt es wie­der ein Fuß­ball­spiel mit deut­scher Be­tei­li­gung.

8 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Ich ken­ne fast nur noch Leu­te, die beim Spiel den Ton ab­schal­ten. Ei­ne Zwei­ka­nal­tech­nik für Sta­di­onat­mo­sphä­re (Ka­nal A) und Dumm­ge­bab­be­le (Ka­nal B) wä­re toll.

  2. Ich ha­be schon mal sel­ber ver­sucht, das Spiel vom Fern­se­hen aus zu kom­men­tie­ren. Da­bei ha­be ich er­kannt, dass man un­wei­ger­lich in Flos­keln und Phra­sen ver­fällt. Oder ein­fach nur die Na­men der Spie­ler auf­zählt (so­fern man sie er­kennt). Bis weit in die 80er wa­ren Fern­seh­kom­men­ta­re aus­schließ­lich de­skrip­tiv. Leu­te wie Ru­ben­bau­er ha­ben dann im­mer die Tak­tik er­klärt. Dann kam ir­gend­wann das Sta­ti­stik­un­we­sen da­zu. Ich glau­be, man über­schätzt die Mög­lich­kei­ten des Kom­men­ta­tors.

  3. Der Feh­ler ist sy­stem­im­ma­nent. Wenn man ei­nen Re­por­ter als au­to­ri­ta­ti­ven Welt­erklä­rer ans Mi­kro­fon setzt, wie es der deut­schen Men­ta­li­tät ent­spricht, müss­te die­ser ein aus­ge­spro­che­nes Un­ter­hal­tungs­ta­lent sein, um ei­ni­ger­ma­ßen ak­zep­ta­bel zu wir­ken. Sol­che Leu­te gibt es wahr­schein­lich, nur wür­de sie nie­mand in die­sen Be­an­ten­ver­wahr­an­stal­ten ans Mi­kro­fon las­sen.

    Das Pro­blem läßt sich leicht lö­sen, wenn man das Grund­kon­zept än­dert. In Eng­land, Frank­reich und Ita­li­en – da weiß ich es aus ei­ge­ner Er­fah­rung – wer­den im­mer zwei Re­por­ter mit (!) Fuß­ball­sach­ver­stand im Dia­log ein­ge­setzt. Funk­tio­niert um Wel­ten bes­ser. Ich schaue die gan­ze WM im Live­stream mit BBC-Kom­men­tar.

  4. @Otto Hil­de­brandt
    Sie ha­ben wohl Recht. Al­lei­ne: Wo soll­ten in D zwei (!) Re­por­ter mit Fuß­ball­sach­ver­stand (!!) her­kom­men, die zu­gleich nicht in DFB- und ÖR-Struk­tu­ren ein­ge­bet­tet sind?

  5. Es ist ja nicht so, daß Büch­ler ein Un­be­kann­ter wä­re (SZ). Sein in­qui­si­to­ri­scher Fra­gen­ka­ta­log un­ter­schrei­tet in der Re­gel noch den der in Le­gio­nen an­tre­ten­den was-ha­ben-sie-ge­dach­t/­ge­fühlt-Fra­ger, die sich al­len Ern­stes für se­riö­se Jour­na­li­sten hal­ten. Wenn Mer­te­sacker, des­sen Äu­ße­run­gen sich nor­ma­ler­wei­se wohlt­u­hend vom Rest der Be­tei­lig­ten ab­he­ben, mal sei­ne ihm zu­ge­dach­te Rol­le ver­gißt, ist das, den­ke ich, er­freu­lich. Aber, wie Sie ja schru­ben, toll!, da ist schon wie­der ’ne neue Ecke im Stein­bruch auf­ge­tan und ich freue mich schon dar­auf, wenn ein von H. Schmel­zer pro­du­zier­ter Bei­trag sich ei­ner et­wa­igen psy­chi­schen Des­ori­en­tie­rung Mer­te­sackers an­nimmt, und um die na­tio­na­le Schick­sals­be­deu­tung auch für den ge­neig­ten Bri­sant-Ro­te Ro­sen-etc-Zu­schau­er er­kenn­bar zu ma­chen mit ei­enm all­seits be­lieb­ten Ri­chard-Wag­ner-Med­ley un­ter­legt.

    Und na­tür­lich wird al­les so blei­ben und nicht hin­ter­fragt wer­den, so­lan­ge die mitt­ler­wei­le als Qua­li­täts­stan­dard ge­hei­lig­ten Quo­ten gut sind. Man er­set­ze das Wort Film mit Sport­jour­na­lis­mus in den Fra­gen, die einst J. Hem­bus auf­warf, als der Neue deut­sche Film auf­kam.

    »Was ist los mit dem deut­schen Film? Lie­ße sich das Di­lem­ma auf­glie­dern, so müss­te die Ant­wort lau­ten: Er ist schlecht. Es geht ihm schlecht. Er macht uns schlecht. Er wird schlecht be­han­delt. Er will auch wei­ter­hin schlecht blei­ben.«

    Al­les nicht neu, ich weiß, muß­te mal wie­der raus. Sagt halt kaum noch ei­ner.

  6. Ich ha­be we­der Ah­nung von – noch In­ter­es­se an – Fuss­ball. Aber ich kann was zum »Ton weg­dre­hen« bei­steu­ern.
    Frü­her ha­ben wir ab und an ei­ne an­de­re »Sport«-Sendung ge­se­hen: Ein Tanz­tur­nier, der Ton war ab­ge­schal­tet, es lie­fen die Rol­ling Stones, und es wur­de, äh, ge­raucht. Gin­ge si­cher auch bei Syn­chron­schwim­men, oder eben: Fuss­ball. Ei­gent­lich für je­den an­de­ren Quatsch im Färn­seh.
    .
    Das hat uns da­mals viel Freud­ne be­rei­tet.

  7. Ich ha­be das pro­biert: Ein Spiel an­schau­en oh­ne Ton, d. h. al­so auch oh­ne die Sta­di­on­ku­lis­se. Es geht ir­gend­wie nicht. Es ist et­wa so, als wür­de man sich beim Es­sen die Na­se zu­hal­ten.