Ent­täuscht

Man wähnt die deut­sche Bun­des­re­gie­rung er­tappt: »Brü­der­le be­grün­det AKW-Not­stopp mit Wahl­kampf«. Ei­ne Mi­schung aus Ent­rü­stung und »Hab-ich-doch-ge­wußt« liest man in den Le­ser­kom­men­ta­ren der ent­spre­chen­den Fo­ren. Der To­des­stoß für Schwarz-Gelb bei den Land­tags­wah­len am Wo­chen­en­de ist vor­pro­gram­miert. 1 Brü­der­le = die Ein­heit für po­li­ti­sche Dumm­heit??

Ich ha­be dar­auf­hin den Ur­sprungs­ar­ti­kel der »Süd­deut­schen Zei­tung« ge­nau ge­le­sen. Und war ei­ni­ger­ma­ßen ent­täuscht. Denn in den kol­por­tier­ten Aus­sa­gen von Mi­ni­ster Brü­der­le am Ran­de ei­ner Sit­zung ist mit­nich­ten da­von die Re­de, dass das Mo­ra­to­ri­um nur aus wahl­kampf­tak­ti­schen Grün­den be­schlos­sen wur­de. Die Ori­gi­nal­text­stel­le in der SZ lau­tet:

Aus­weis­lich des Pro­to­kolls der Sit­zung gibt Brü­der­le dar­auf ei­ne fol­gen­schwe­re Ant­wort: »Der Mi­ni­ster be­stä­tig­te dies«, steht dar­in, »und wies er­läu­ternd dar­auf hin, dass an­ge­sichts der be­vor­ste­hen­den Land­tags­wah­len Druck auf der Po­li­tik la­ste und die Ent­schei­dun­gen da­her nicht im­mer ra­tio­nal sei­en.«

Dar­aus folgt:

    1. Brü­der­le be­stä­tigt den schein­bar pa­nisch ge­wor­de­nen Wirt­schaft­bos­sen, dass das Mo­ra­to­ri­um ver­kün­det wur­de.
    2. Er be­ru­higt sie mit der Aus­sa­ge, dass un­ter po­li­ti­schem Druck schon ein­mal nicht ra­tio­na­le Ent­schei­dun­gen ge­trof­fen wür­den. Da­mit greift er di­rekt die Ent­schei­dung der Kanz­le­rin (und sei­nes Vor­sit­zen­den We­ster­wel­le) an. Hier ei­ne In­kon­si­stenz fest­zu­stel­len, ist nicht be­son­ders schwie­rig, da im De­zem­ber noch ei­ne Lauf­zeit­ver­län­ge­rung be­schlos­sen wur­de. Auch die Kri­ti­ker die­ses Mo­ra­to­ri­ums, die Mer­kel Op­por­tu­nis­mus vor­wer­fen, spre­chen der Art und Wei­se des Schwenks die Glaub­wür­dig­keit ab.
    3. Brü­der­le »outet« sich als AKW-Be­für­wor­ter (Im Üb­ri­gen sei er, Brü­der­le, ein Be­für­wor­ter der Kern­ener­gie, auch mit Rück­sicht auf Bran­chen, die be­son­ders viel En­er­gie ver­brau­chen. »Es kön­ne da­her kei­nen Weg ge­ben, der sie in ih­rer Exi­stenz ge­fähr­de«, be­fin­det Brü­der­le laut Pro­to­koll.). Die­se sei­ne Ge­sin­nung ist nicht be­son­ders neu. Dass er den ver­stör­ten Wirt­schafts­len­kern ein biss­chen auf die of­fe­ne Wun­de pu­stet, ist aus sei­ner Sicht ver­ständ­lich.

Den­noch: Ei­ne di­rek­te Aus­sa­ge, Mer­kel ha­be das Mo­ra­to­ri­um nur we­gen der Land­tags­wah­len be­schlos­sen, ist Brü­der­les Äu­ße­run­gen nicht zu ent­neh­men. Auch ist mit kei­nem Wort er­wähnt, dass nach den Wah­len der ur­sprüng­li­che Zu­stand wie­der her­ge­stellt wird. Hier­bei han­delt es sich bei den Jour­na­li­sten au­gen­schein­lich um ei­ne be­son­de­re Form der ko­gni­ti­ven Ver­zer­rung, den so­ge­nann­ten »Be­stä­ti­gungs­feh­ler«. In­dem Brü­der­le der Kanz­le­rin ei­ne ir­ra­tio­na­le Ent­schei­dung un­ter­stellt, die auf­grund emo­tio­na­ler und nicht un­be­dingt sach­li­cher Er­wäh­nung ge­trof­fen wur­de, ist nicht aus­ge­drückt, dass es sich um ein vor­sätz­lich ma­ni­pu­la­ti­ves Ma­nö­ver han­delt.

Dies ist die In­ter­pre­ta­ti­on der Jour­na­li­sten. Aber viel­leicht legt die SZ ja noch mit ein­deu­ti­ge­ren Aus­sa­gen nach? Oder ist das schon wie­der ein Wahl­kampf­ma­nö­ver von Schwarz-Gelb, um die ver­lo­re­ne Stamm­wäh­ler­schaft wie­der zu ge­win­nen?

Im üb­ri­gen wä­re es von Mer­kel tö­richt, nach drei Mo­na­ten wie­der zur Ta­ges­ord­nung über­zu­ge­hen. Hier­für ist die Dis­kus­si­on um die Atom­ener­gie in der Ge­sell­schaft viel zu sehr emo­tio­nal auf­ge­la­den. Ei­nes dürf­te nicht mehr zu ver­hin­dern sein: Der Stim­men­an­teil von Schwarz-Gelb bei den Land­tags­wah­len am Sonn­tag wird ver­mut­lich ato­mi­siert. In dop­pel­ter Hin­sicht.


Zwei Punk­te gilt es zu klä­ren. Zu­nächst bin ich we­der Par­tei- noch Re­gie­rungs­freund. Wer die­ses Blog re­gel­mä­ssig liest, wird dies be­stä­ti­gen kön­nen. Es geht mir nicht dar­um, Schwarz-Gelb für ir­gend­et­was zu recht­fer­ti­gen oder an­zu­kla­gen. Das über­las­se ich den Be­scheid­wis­sern. Und zum an­de­ren ha­be ich ei­ne de­zi­dier­te Mei­nung zur Atom­kraft – und dies – ja, das ist mög­lich! – oh­ne Be­kennt­nis­but­ton.

19 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Ich bin sehr ge­spannt, was sich in BW ab­spie­len wird. Es wird, wie im­mer es aus­geht, sehr si­gni­fi­kant sein.
    Und wenn mich das schon als Öster­rei­cher in­ter­es­siert, wie neu­gie­rig müs­sen dann wohl die Deut­schis sen?

  2. Die­se Schlag­zei­len über die AUs­sa­gen von Brü­der­le sind der To­des­stoß. Die FDP ist in BW zwar tra­di­tio­nell ei­gent­lich stark. Den­noch dürf­te auch je­mand wie Map­pus als CDU-Spit­zen­kan­di­dat et­li­che Li­be­ra­le ab­schrecken und zu Hau­se blei­ben las­sen. Ver­mut­lich wird es den er­sten grü­nen MP in Deutsch­land ge­ben.

    PS:

    Hier kann man ein biss­chen her­um­spie­len: http://www.election.de/cgi-bin/call_mandate.pl?bgcolor=ffffdd&methode=Lague&sitze=120&parteien=CDU,SPD,GRÜNE,FDP,DIE LINKE,Sonstige&stimmen=38.0,22.0,25.0,6.0,4.0,5.0

    Wenn die Lin­ke rein­kommt, rei­chen CDU und FDP ins­ge­samt 42,5% um Grün-Rot zu blockie­ren.

  3. Das mit den But­tons bit­te ich zu Ent­schul­di­gen: hier un­ten ist Wahl­kampf. Ich war neu­lich bei mei­ner er­sten Wahl­ver­an­stal­tung: Map­pus. Ich ken­ne die Ar­gu­men­te, die ich ge­gen ihn ins Feld stel­le. Ich woll­te mal über­prü­fen ob die auch Gül­tig­keit ha­ben. Das ist so.
    Aber da war es auch voll von Auf­kle­bern und am schlimm­sten war, dass man als In­tro so ei­nen (wahr­schein­lich in Düs­sel­dorf) pro­du­zier­ten Wer­be­film ge­lie­fert be­kam. Da­bei hat­te Lu­sche (so heißt der Kan­di­dat der CDU aus Süd­ba­den) sei­nen Gast so vor­ge­stellt, das man ihm PERSÖNLICH be­geg­nen kön­ne. Der Ab­lauf al­so: der Film, im An­schluss auf Kern­aus­sa­gen re­du­zier­te In­hal­te. Dann Ap­plaus. Schnel­ler Ab­gang.
    Lie­ben Gruß aus dem son­ni­gen Mark­gräf­ler­land!

  4. But­tons ste­he ich grund­ätz­lich ne­ga­tiv ge­gen­über; auch wenn sie For­mu­lie­run­gen tra­gen, die ich ei­gent­lich mag. (Mei­ne Mut­ter wur­de 1972 aus ei­nem Ge­schäft hin­aus­ge­wor­fen, wil sie »Wil­ly wäh­len« trug.) Ich hat­te Sie da­bei über­haupt nicht vor dem Au­ge, son­dern re­kur­rier­te auf die in­fla­tio­nä­re Aus­stat­tung bsp. in Face­book-Ava­ta­ren.

    Map­pus hal­te ich für ei­nen Po­li­ti­ker, der ganz schnell ver­schwin­den soll­te. Ein see­len­lo­ser Ap­pa­rat­schik. Da­mit das mal klar ist. Den SPD-Kan­di­da­ten kennt hier kein Mensch. Ich glau­be, BW könn­te mit dem grü­nen MP gut le­ben. Ich wür­de es wün­schen, um zu se­hen, wie das funk­tio­niert. Ich pro­gno­sti­zie­re in je­dem Fall zwei Jah­re spä­ter ei­ne kom­plet­te Er­nüch­te­rung. (Der deut­sche Fö­de­ra­lis­mus muss grund­le­gend ver­än­dert wer­den. Aber das ist ein an­de­res The­ma.)

  5. In­ter­es­sant, dass Du den Ar­ti­kel an­spricht. Ur­sprüng­lich stand dort:

    Näch­stes Jahr ist Mer­kel sie­ben Jah­re im Amt. Das ist ei­ne ma­gi­sche Zahl, nicht nur im Mär­chen. Es gibt über­haupt nur zwei Bun­des­kanz­ler, die län­ger durch­ge­hal­ten ha­ben.

    Ein User sprach Aug­stein auf Face­book an, dass es drei Kanz­ler ge­we­sen sei­en, die län­ger als sie­ben Jah­re an der Macht wa­ren: Ade­nau­er, Schmidt und Kohl.

    Ich wand­te dar­auf­hin ein, dass es vier wa­ren, denn auch Schrö­der war sie­ben Jah­re und ein Mo­nat im Amt. Jetzt steht dort:

    Näch­stes Jahr ist Mer­kel sie­ben Jah­re im Amt. Das ist ei­ne ma­gi­sche Zahl, nicht nur im Mär­chen. Es gibt über­haupt nur drei Bun­des­kanz­ler, die län­ger durch­ge­hal­ten ha­ben.

    Was soll ich mit ei­nem Jour­na­li­sten an­fan­gen, der der­art be­ra­tungs- und fak­ten­re­si­stent ist? Ab­ge­se­hen ist es Un­sinn, schon jetzt den 22.11.2012 zu an­ti­zi­pie­ren, da Aug­stein sel­ber im wei­te­ren Ver­lauf des Ar­ti­kels schreibt, dass die Mer­kel­däm­me­rung be­reits ein­setzt.

  6. Auch ma­the­ma­tisch ist die The­se ziem­lich sinn­los: Vier Kanz­ler (Ade­nau­er, Schmidt, Kohl, Schrö­der) ha­ben 35 Jah­re von 56 Jah­ren (bis 2005) re­giert. Dann könn­te man so lan­ge Kanz­ler­schaf­ten eher als die Re­gel an­se­hen, weil in 62% der BRD-Re­gie­rungs­jah­re so ein Kanz­ler im Amt war. Au­ßer­dem er­ge­ben 56 Jah­re durch 7 Kanz­ler ge­nau 8 Jah­re je Kanz­ler. Wenn Frau Mer­kel zwei Wahl­pe­ri­oden durch­hält, ist sie gu­ter Durch­schnitt, denn für Ade­nau­er und Kohl las­sen sich gu­te ex­ter­ne Grün­de fin­den, die ih­re ex­trem lan­gen Zei­ten er­klä­ren.

  7. Brü­der­le ver­sucht m.E. ei­nen Spa­gat: Er will auf der ei­nen Sei­te die In­du­strie bei der Stan­ge hal­ten, an­de­rer­seits weiß er, dass man be­züg­lich der Kern­ener­gie po­li­ti­sche Kon­zes­sio­nen ma­chen muss oder will.

    Klap­pen tut das sel­ten.

  8. Hät­te er doch we­nig­stens den Mut, zu sei­nen Aus­sa­gen zu ste­hen bzw. die­se zu prä­zi­sie­ren. Statt­des­sen sagt er ei­nen Tag spä­ter, er sei falsch zi­tiert wor­den. Schwach.

  9. Auf die­ses Phä­no­men trifft man in der Po­li­tik häu­fig: Ein­mal ge­mach­te Aus­sa­gen wer­den schon kur­ze Zeit spä­ter re­la­ti­viert oder ge­leug­net. Viel­leicht pro­vo­ziert un­se­re me­di­al durch­drun­ge­ne Öf­fent­lich­keit das »gro­ße« oder »star­ke« Wort; oder man über­sieht, dass ein In­ter­view oder ei­ne Be­ra­tung hin­ter ver­schlos­se­nen Tü­ren nicht so pri­vat sind, wie man glaubt.

  10. Mög­li­cher­wei­se konn­te Herr Brü­der­le die Grün­de gar nicht ken­nen,
    ...weil er gar nichts von der Ent­schei­dung ge­wusst hat­te.

    Zu­min­dest stell­te es die Stutt­gar­ter Zei­tung am Sams­tag so dar:

    »Bei Be­ginn der BDI-Prä­si­di­ums­sit­zung ist noch nicht be­kannt ge­we­sen, dass die Lauf­zeit­ver­län­ge­rung aus­ge­setzt wird. Dies er­fuh­ren meh­re­re Teil­neh­mer erst im Ver­lauf über Be­nach­rich­ti­gun­gen aufs Han­dy – auch BDI-Prä­si­dent Hans-Pe­ter Kei­tel, der dar­auf­hin Brü­der­le nach des­sen Ein­schät­zung frag­te. Den Mi­ni­ster, so be­rich­tet der Sit­zungs­teil­neh­mer über sei­nen Ein­druck, ha­be das Mo­ra­to­ri­um ge­nau­so über­rascht wie die Mit­glie­der des Prä­si­di­ums. Mit sei­ner im­pro­vi­sier­ten Be­mer­kung ha­be der Li­be­ra­le wohl ka­schie­ren wol­len, dass er über die Ent­schei­dung der Kanz­le­rin nicht im Bil­de war. Die­sen Ein­druck hät­ten auch an­de­re Teil­neh­mer ge­habt. Brü­der­le ha­be nicht wie ein kal­ter Po­lit­pro­fi ge­wirkt, son­dern sei von den Er­eig­nis­sen in Ja­pan sehr be­trof­fen ge­we­sen.«

  11. Tja, das kommt dann zu spät: Mer­kels ein­sa­me Ent­schei­dun­gen. Ver­mut­lich hat­te Rött­gen da­von auch nichts ge­wußt. Der Re­gie­rungs­stil der kanz­le­rin er­in­nert im­mer mehr als Schrö­der. Ob­wohl sie dann ge­stern nicht den Schrö­der ge­macht hat, wie ich kurz ein­mal dach­te. Hier­für fehlt ihr – die Cou­ra­ge.

  12. Cou­ra­ge, oder...
    Ir­gend­ja­mend sag­te ge­stern, ich glau­be, es war bei An­ne Will, Frau Mer­kel wer­de nicht den Schrö­der ge­ben, weil sie ner­ven­stär­ker sei als er. (Wenn ich mich recht ent­sin­ne)

  13. ja, kann sein, dass sie ner­ven­stär­ker und noch macht­ori­en­tier­ter ist. Wo­bei man nach­träg­lich nicht weiss, ob Schrö­der schon den Po­sten bei Gaz­prom im Kopf hat­te.

  14. Mer­kels ein­sa­me Ent­schei­dun­gen

    Letz­te Wo­che sag­te Frau Mer­kel: »In den näch­sten Ta­gen wird das Ka­bi­nett und der Bun­des­tag den AWACS-Ein­satz be­schlie­ßen«. Dass Frau Mer­kel per De­kret die Ge­wal­ten­tei­lung auf­he­ben kann, wur­de mit kei­nem Wort nir­gends hin­ter­fragt. Nicht dass ich Nor­bert Lam­mert sehr schät­ze, aber sein fast rüh­ren­der Ver­such die Rech­te des Par­la­men­tes wie­der ins rech­te Licht zu rücken, zol­le ich Re­spekt.

  15. @Peter42
    Bei­spiels­haft ein Tweet von Re­gie­rungs­spre­cher Sei­bert am 16.03.2011: »Bun­des­re­gie­rung be­schließt neu­es Kin­der­schutz­ge­setz. Jun­ge El­tern kön­nen künf­tig bes­ser be­treut wer­den.«

    Als ein Pro­test­sturm an­schwillt kor­ri­giert sich Sei­bert: »...stimmt. Muss kor­rekt hei­ßen: Bun­des­ka­bi­nett bil­ligt Ge­setz­ent­wurf... Par­don.«

    Die Kor­rek­tur er­folgt schnell. Aber an der Spra­che kann man sie er­ken­nen...