Blit­zen­de Aus­nah­men

3sat über­trug dies­mal al­les vom Bach­mann­preis 2022. Als Co­ro­­na-Re­­mi­­ni­s­­zenz dien­te die Tei­lung zwi­schen Ju­ry (im Stu­dio) und le­sen­den Au­toren (im Gar­ten; mit Zu­schau­ern). Der Wech­sel zwi­schen Stu­dio und Gar­ten wur­de von zwei Mo­de­ra­to­ren aus­ge­füllt. Cé­ci­le Schort­mann war im Gar­ten und las vor Be­ginn je­der Le­sung die On­line ver­füg­ba­ren Kurz­por­traits der Au­toren vor und sag­te die ...

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No Time to Kill

Die Kla­ge über die Mit­tel­mä­ssig­keit der Tex­te zum Bach­mann­preis-Be­werb ist fast schon Ri­tu­al. Sie ist zu­wei­len ge­prägt von Ent­täu­schun­gen, wird ge­nährt von ver­klä­ren­den Rück­blicken auf die Ver­gan­gen­heit und ist im­mer na­tür­lich sub­jek­tiv. Aber dass Tan­ja Mal­jart­schuk im letz­ten Jahr den Bach­mann­preis ge­won­nen hat­te, war mir wirk­lich ent­fal­len wie mir auch gänz­lich je­de Er­in­ne­rung an ihr Pro­sa­stück fehlt. Und dass ei­nem beim Le­sen ei­nes Tex­tes das Herz auf­ging, das ist nach Ma­ja Ha­der­lap ei­gent­lich nicht mehr bei mir pas­siert. Die in der Ver­gan­gen­heit durch­aus kind­li­che Vor­freu­de auf das Er­eig­nis weicht ei­nem bei­läu­fig rou­ti­nier­ten An­strei­chen im Ka­len­der.

Es liegt seit lan­gem in der Na­tur der Sa­che, dass sich dem Ur­teil der Ju­ro­ren1 be­reits ar­ri­vier­te Au­toren kaum mehr stel­len. Das hat mit so et­was wie Fall­hö­he zu tun. Vor al­lem Ver­la­ge mö­gen so et­was nicht.

Da ist ein Er­eig­nis wenn ein Au­tor, der, wie es in der Be­schrei­bung heisst »kei­ne Ver­öf­fent­li­chun­gen, Sti­pen­di­en oder Prei­se« vor­zu­wei­sen hat, teil­nimmt. Me­di­en jazzen die­sen Tat­be­stand hoch: »Noch nichts ver­öf­fent­licht: 22-Jäh­ri­ger für Bach­mann-Preis no­mi­niert« schreibt ei­ner (der dann das Vi­deo des Au­tors brav nach­er­zählt). Ich ha­be dann noch über Twit­ter ver­zwei­felt ver­sucht, dem Ver­fas­ser die­ses Ela­bo­rats den Un­ter­schied zwi­schen »No­mi­nie­rung« und »Teil­nah­me« zu er­klä­ren. Ich schei­ter­te. Es soll­te nicht das letz­te Schei­tern sein, wenn es dar­um ging, of­fen­sicht­li­che Feh­ler von Li­te­ra­tur­jour­na­li­sten wir­kungs­voll zu kor­ri­gie­ren. Aber egal.

Kaum je­mand be­merkt, dass die Kri­tik an den Tex­ten auf die Ju­ro­ren ver­weist, die die­se Tex­te aus­wäh­len oder, wie man es auch schon ein­mal hör­te, in Auf­trag ge­ben. Die gu­ten al­ten Zei­ten der Hil­fe­stel­lung durch den Pa­ten­ju­ror, der Lek­to­rie­rung schei­nen vor­bei zu sein. Al­les ist mög­lich: Über­bor­den­de Ad­jek­ti­ve, ei­gen­sin­ni­ge In­ter­punk­ti­on, Fi­gu­ren­na­men, die in un­ter­schied­li­chen Schreib­wei­sen im Text kur­sie­ren. Stoff für In­ter­pre­ta­tio­nen. Aber auch mehr?

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  1. hier gilt das generische Maskulinum – sorry 

Kom­ple­xi­tät nur be­dingt er­wünscht

Karin Röhricht: Wettlesen um den Ingeborg-Bachmann-Preis - Korpusanalyse der Anthologie Klagenfurter Texte (1977-2011)
Ka­rin Röh­richt: Wett­le­sen um den In­ge­borg-Bach­mann-Preis – Kor­pus­ana­ly­se der An­tho­lo­gie Kla­gen­fur­ter Tex­te (1977–2011)

Be­mer­kun­gen über Ka­rin Röh­richts Dis­ser­ta­ti­on zum Bach­mann­preis oder Wie kann man in Kla­gen­furt ge­win­nen?

Nach­dem ich von Ka­rin Röh­richts Mo­no­gra­phie um den In­ge­borg-Bach­mann-Preis erst nach der Ver­an­stal­tung von 2016 er­fah­ren hat­te, stand das Buch den gan­zen Win­ter über un­ge­le­sen im Re­gal. Jetzt, nach der un­längst ver­öf­fent­lich­ten Kan­di­da­ten­li­ste für die Ju­bi­lä­ums­ver­an­stal­tung 2017, schien mir die Zeit ge­kom­men, sich dem Buch zu wid­men und viel­leicht die in den letz­ten Jah­ren ste­tig zu­rück­ge­hen­de Kla­gen­furt-Eu­pho­rie wie­der ein biss­chen auf­le­ben zu las­sen. Da­zu war zu­nächst die Hür­de des doch arg pla­ka­ti­ven Ti­tels zu neh­men. »Wett­le­sen um den In­ge­borg-Bach­mann-Preis« ist die »Kor­pus­ana­ly­se der An­tho­lo­gie Klagen­furter Tex­te (1977–2011)« über­schrie­ben. Man darf sich je­doch von der zu­meist pe­jo­ra­ti­ven Ver­wen­dung der »Wettlesen«-Vokabel nicht be­ein­drucken las­sen, denn Röh­richt geht es nicht um ei­ne Wer­tung der Ver­an­stal­tung an sich, son­dern sie möch­te mit wis­sen­schaft­lich-em­pi­ri­schen Me­tho­den un­ter­su­chen, wel­che Tex­te in Kla­gen­furt re­üs­sie­ren und wel­chen Repräsen­tationsgrad für die deutsch­spra­chi­ge Li­te­ra­tur der Be­werb be­sitzt. Da­bei ist je­doch der ge­naue Blick auf den Un­ter­ti­tel mit dem Hin­weis auf die An­tho­lo­gie Kla­gen­fur­ter Tex­te (KT) von gro­ßer Re­le­vanz.

Be­vor sie je­doch mit Ana­ly­se los­legt, gibt es ei­nen gro­ben Über­blick über Ge­schich­te und Be­deu­tung des Wett­be­werbs. Haupt­re­fe­ren­zen sind die Auf­sät­ze und Stu­di­en von Do­ris Mo­ser1, die teil­wei­se mit ak­tu­el­len Ein­drücken er­gänzt wer­den. Hier ist auch die In­for­ma­ti­on zu fin­den, dass zwi­schen 1977 und 1996 »ins­ge­samt 42% der be­frag­ten Au­toren von ei­nem Ju­ry­mit­glied kon­tak­tiert wur­den»2. Ge­ne­rell wird da­von aus­ge­gan­gen, dass die Ju­ro­ren un­ter den ih­nen zu­ge­schick­ten Tex­ten wäh­len; dies scheint je­doch seit Be­ginn des Wett­be­werbs nicht im­mer der Fall ge­we­sen zu sein.3

Ei­ner der in­ter­es­san­te­sten Punk­te ist der heut­zu­ta­ge voll­kom­men ver­ges­se­ne Aspekt, dass die ver­meint­li­che Es­senz des Wett­be­werbs, die Pa­ten­schaft der Ju­ro­ren4 für je­weils zwei Au­toren, nicht im­mer prak­ti­ziert wur­de. Bis ein­schließ­lich 1982 be­stimm­ten mehr oder we­ni­ger die Ver­an­stal­ter die Teil­neh­mer; den Ju­ro­ren wur­de die Li­ste le­dig­lich vor Be­ginn vor­ge­legt. Seit 1983 wer­den die Au­toren von den Ju­ro­ren er­nannt5, wo­bei nicht ge­klärt wird, wie sich bei­spiels­wei­se 28 Teil­neh­mer auf die 11 Ju­ro­ren ver­tei­len. Seit 1987 no­mi­niert ein Ju­ror zwei Au­toren6, was al­ler­dings zu­wei­len nicht ganz funk­tio­niert (1987 ste­hen 11 Ju­ro­ren nur 19 Teil­neh­mern ge­gen­über).

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  1. Insbesondere "Der Ingeborg-Bachmann-Preis - Börse, Show, Event" aus dem Jahr 2004 

  2. S. 76, Fußnote 4 

  3. Zu klären wäre freilich, wieviel Autoren "befragt" wurden; dies kann ich nicht leisten, weil ich die Studie von Moser nicht vorliegen habe. 

  4. Ich halte es in diesem Text wie Röhricht und verwende das generische Maskulinum. 

  5. S. 55, Fußnote 98 

  6. S. 17 

Schmerz­haft gleich­gül­tig

Wenn man er­klärt, dass man sich die Le­sun­gen und Dis­kus­sio­nen zum Bach­mann­preis an­schaut, kommt im­mer mehr die mit­lei­di­ge Fra­ge: »War­um?« Sie im­pli­ziert zwei­er­lei: Zum ei­nen glaubt man nicht mehr an die Kraft der Li­te­ra­tur im Zei­chen des Fern­se­hens. Und zum an­de­ren wird da­mit auch gleich in ei­ner Mi­schung aus Mit­leid und Em­pö­rung die je­wei­li­ge Aus­wahl der Le­sen­den er­le­digt. Nein, die Le­sen­den im Bach­mann­preis re­prä­sen­tie­ren na­tür­lich nicht »die deutsch­spra­chi­ge Li­te­ra­tur« wie es dann mal apo­dik­tisch, mal vor­wurfs­voll heißt. Nach­träg­lich muss man die­ses De­men­ti ge­ra­de für den »Jahr­gang 2016« zur Hand ha­ben: Nein, das, was heu­er in Kla­gen­furt ge­le­sen wur­de ist kein re­prä­sen­ta­ti­ver Quer­schnitt der deutsch­spra­chi­gen Li­te­ra­tur. Da mag der Mo­de­ra­tor noch so Ani­ma­teurs­qua­li­tä­ten of­fen­bart ha­ben (was zu­wei­len pein­lich war). (Über das pein­li­che Sand­ka­sten­ar­ran­ge­ment »drau­ßen«, bei Zi­ta Be­reu­ter, schweigt man bes­ser.)

Aber es ist wo­mög­lich ein Quer­schnitt der in­zwi­schen in­fla­tio­nä­ren Stadt­schrei­ber- und Schreib­schul­pro­sa­isten, die sich von ih­ren Note­books er­he­ben und das re­pli­zie­ren, was sie ge­lernt ha­ben, wo­für sie aus­ge­zeich­net wur­den und was sie nun mit ei­nem selt­sam stoi­schen Selbst­be­wusst­sein als preis­wür­dig re­kla­mie­ren.

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Die Kla­gen­furt-For­mel oder Vi­deo Kil­led the Ra­dio Star

Im Wall­stein-Ver­lag ist vor kur­zem ein Buch mit dem in­ter­es­san­ten Ti­tel »Dichter­darsteller – Fall­stu­di­en zur bio­gra­phi­schen Le­gen­de des Au­tors im 20. und 21. Jahr­hundert« er­schie­nen. Die bei­den Her­aus­ge­ber Ro­bert Leucht und Ma­gnus Wie­land stel­len zu­nächst in ei­ner Ein­lei­tung die lan­ge ver­ges­se­ne The­se der »bio­gra­phi­schen Le­gen­de« des rus­si­schen Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft­lers Bo­ris To­maševskij aus dem Jahr 1923 vor. Schließ­lich gibt es Fall­stu­di­en di­ver­ser Au­toren, die die bio­gra­phi­schen Le­gen­den von Hu­go von Hof­manns­thal, Tho­mas Mann, Franz Kaf­ka, B. Tra­ven und Tho­mas Bern­hard un­ter­su­chen. Zu Pe­ter Hand­ke re­fe­riert Karl Wag­ner den »Auf­tritt« Hand­kes bei der Grup­pe 47 in Prin­ce­ton 1966 und setzt ihn in Re­la­ti­on zu an­de­ren, da­mals durch­aus üb­li­chen, weit­aus opu­len­te­ren Auf­trit­ten von Schrift­stel­lern in Kon­zert­hal­len oder Sta­di­en. Auch über Rol­len­zu­wei­sun­gen bei Dich­te­rin­nen gibt es ei­nen (sehr in­ter­es­san­ten) Bei­trag (von Eve­lyn Polt-Heinzl). Schließ­lich be­schäf­tigt sich ein Text mit Me­di­um Twit­ter und den »Ge­brauch« die­ses Me­di­ums von ame­ri­ka­ni­schen Au­toren wie vor al­lem Bret Ea­ston El­lis aber auch von Mark Z. Da­nie­lew­ski, Chuck Pa­lah­ni­uk und Lind­say Lo­han.

Die bio­gra­phi­sche Le­gen­de wird da­bei als Kon­struk­ti­on hin zum Werk in­ter­pre­tiert und als Ab­gren­zung zum em­pi­ri­schen Au­tor aber auch zur Au­toren­fi­gur im li­te­ra­ri­schen Text be­trach­tet. Sie ist so­mit ei­ne drit­te aukt­oria­le In­stanz; so­zu­sa­gen »zwi­schen« der rea­len Vi­ta des Au­tors und des­sen Werk. Sie ist vom Au­tor nur be­grenzt zu be­ein­flus­sen. In ei­nem der Auf­sät­ze im Buch wird To­maševskij da­hin­ge­hend zi­tiert, dass es im Ein­zel­fall »schwie­rig zu ent­schei­den [sei], ob die Li­te­ra­tur die­se oder je­ne Le­bens­er­schei­nung re­pro­du­ziert oder ob um­ge­kehrt die­se Le­bens­er­schei­nun­gen das Re­sul­tat des Ein­drin­gens li­te­ra­ri­scher Scha­blo­nen in das Le­ben ist«. Da­her darf, wie die Her­aus­ge­ber im Ré­su­mé des Bu­ches klar­stel­len, die bio­gra­phi­sche Le­gen­de nicht re­du­ziert wer­den auf »Po­se, Mar­ke, Image, In­sze­nie­rung oder Ha­bi­tus«. Die­se Selbst­in­sze­nie­rungs­stra­te­gien wer­den vom Au­tor (bzw. dem Ver­lag oder an­de­ren Ver­mark­tern) be­wusst ge­wählt. Da­ge­gen ver­schmel­zen in der bio­gra­phi­schen Le­gen­de bio­gra­phi­sche Aspek­te im Werk und Werk­aspek­te im Le­ben zu ei­ner neu­en äs­the­ti­schen Fi­gu­ra­ti­on.

Die bio­gra­phi­sche Le­gen­de bö­te sich an, die je­wei­li­gen li­te­ra­tur­wis­sen­schaft­li­chen La­ger zu ver­söh­nen: Zum ei­nen je­ne, die ei­ne strik­te Tren­nung von Werk und Le­ben for­dern. Und zum an­de­ren je­ne, die ei­nem Bio­gra­phis­mus frö­nen und je­de Text­stel­le mit dem rea­len Le­ben des Au­tors, der Au­torin in Be­zug brin­gen.

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In Deckung

Da ging ein Rau­nen durch das Pu­bli­kum als Klaus Kast­ber­ger sei­ne Wahl zum Bach­mann­preis da­mit be­grün­de­te, dass auch In­ge­borg Bach­mann den Text »Das Bein« von Va­le­rie Frit­sch ge­wählt hät­te. Kast­ber­ger war klug ge­nug Frit­sch nicht in­ner­halb der Ju­ry­dis­kus­si­on am Don­ners­tag mit der Na­mens­pa­tro­nin in Ver­bin­dung zu brin­gen. Am Sonn­tag dann, bei sei­ner kur­zen Lau­da­tio, die, ...

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Pu­bli­kums­preis als Far­ce

Mein Tweet an den Mo­de­ra­tor Chri­sti­an An­kowitsch und den ORF, dass es un­sin­nig sei, den Pu­bli­kums­preis bei den Ta­gen der deutsch­spra­chi­gen Li­te­ra­tur­kri­tik ab der er­sten Le­sung frei­zu­ge­ben, fand im­mer­hin ein Echo: @gregorkeuschnig @orf Irr­tum: Wenn man nur 1/2 Tag Zeit hat ab­zu­stim­men, ge­win­nen je­ne, die über gröss­te On­­li­ne-Ko­hor­te ver­fü­gen (Em­pi­rie) — ch_ankowitsch (@ankowitsch) 3. Ju­li ...

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Prä­li­mi­na­ri­en zu ei­nem Li­te­ra­tur­preis

Ei­ne klei­ne Te­tra­lo­gie zum Bach­mann­preis 2015

Ser­vice für Schnell­leser:
I. Fla­tu­len­zen
II. Weg mit den Pa­ten­schaf­ten!
III. Die Kri­tik in der Kri­se
IV. Jour­na­li­sti­sche Do­mi­nanz oder: Ver­mut­lich kei­ne »Mup­pet-Show« in die­sem Jahr

Für Al­les­le­ser (ein Pleo­nas­mus):

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