Da ging ein Raunen durch das Publikum als Klaus Kastberger seine Wahl zum Bachmannpreis damit begründete, dass auch Ingeborg Bachmann den Text »Das Bein« von Valerie Fritsch gewählt hätte. Kastberger war klug genug Fritsch nicht innerhalb der Jurydiskussion am Donnerstag mit der Namenspatronin in Verbindung zu bringen. Am Sonntag dann, bei seiner kurzen Laudatio, die, wie er einleitend erklärte, deshalb so pathetisch sei, weil sie für den Hauptpreis gedacht war, assoziierte Kastberger sogar Bachmann mit Fritsch. Und tatsächlich: Wenn man sich Fritschs Vortrag mit ihrer dünnen, leisen Stimme anhört kann einem schon eine Parallele zu den berühmten Bachmann-Gedicht-Rezitationen einfallen, dieser »blaugefrorenen Stimme«, wie Michaela Falkner, einer der Teilnehmerinnen des Wettbewerbs 2015, dies in einem Aufsatz über Ingeborg Bachmann formulierte. Insofern war Fritschs Vortrag das, was heuer eine große Rolle spielte: Die Performance, der Vortrag, das Lautmalerische jenseits des bloßen Vorlesens. Und diese Dinge waren ja auch Ingeborg Bachmann sehr wichtig. Ihre Lesungen waren perfekte Inszenierungen: geheimnisvoll (»leise, stockende, unsicher zitternde und fast brechende Stimme«, so Peter Hamm), starke Frau und gleichzeitig wie ein armes, hilfebedürftiges Hascherl.
Mehrere AutorInnen schritten also sozusagen auf den inszenatorischen Pfaden von Ingeborg Bachmann: Nora Gomringer, Teresa Präauer, Jürg Halter, Ronja von Rönne und eben auch, allerdings am subtilsten, Valerie Fritsch. Jeder dieser Performanten griff zu einem bestimmten Duktus, vermutlich eingeübten rhetorischen Volten. Dass dies auch misslungen kann, erschien mir bei Monique Schwitter der Fall, der überladen vorgetragen wurde. Als ich ihren Text später noch einmal las, verstand ich erst die Lobe der Jury, die natürlich den Vorteil hatten, das Leseerlebnis schon Wochen vorher gehabt zu haben. Eine eher schlechte Performance fällt bei guten bzw. gut gemachten Texten nicht so auf. Experimentelle oder hoch ambitionierte Prosa wie von Michaela Falkner büßen jedoch bei falschen Betonungen und zu langsamem Lesen ein. Anders herum: Der sehr starke Text von Anna Baar, der sozusagen »konventionell« gelesen wurde, litt unter derartigem Performance-Gewitter dann derart, dass er unverdient preislos blieb.
Es wäre unfair Nora Gomringers Bachmannpreis-Gewinn rein auf das hörspielartige Vorlesen, die Inszenierung, zu schieben. Es spielt noch ein anderer Aspekt eine Rolle, der bei der Preisverleihung aufkam. Als sich der Juror Jurij Steiner bei einer Stichwahl für Nora Gomringer entschied, begründete er dies damit, dass es ein Text sei, bei dem man schon beim Hören »mitschuldig« würde. Erstaunlicherweise ging bei dieser Äußerung kein Raunen durch das Publikum. Dabei sprach Steiner das aus, was auch noch im Text steckt und keine unbedeutende Rolle spielt: Das protestantisch-calvinistische Element. Bei aller Lustigkeit der Erzählung über dieses frei nach Udo Jürgens »ehrenwerten Hauses« geht es um den Freitod eines 13jährigen Jungen nebst der entsprechenden Empörung der Erzählerin über die von den Nachbarskindern mehr oder weniger provozierte Tat und die Verdrängungsleistungen der Nachbarschaft. Auf zwei Zeilen wird dann auch noch ein Gebet für den Germanwings-Copiloten aufgerufen, der außer sich 149 andere Menschen in den Tod schickte. So verfolgt der Text auf ideale Weise zwei Bedingungen: Er ist unterhaltsam ohne trivial zu sein und versichert uns den moralischen Ablass nach der Lektüre (das ist das katholische Element). Mehr geht nicht auf den wenigen Seiten eines Wettbewerbsbeitrags und wenn man ehrlich ist, hat keiner der anderen Texte diesen Spagat geschafft. Aber ich mag nun einmal keine Texte, die mir laufend mit ihren Schulddeklarationen, seien sie auch noch so subtil eingebracht, hinterhergelaufen kommen. Da gehe ich lieber in Deckung.
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