Am 6. September 2009 schrieb Iris Radisch in der Zeit zum Buch »Atemschaukel« von Herta Müller: »Es ist wie verhext: Jeder Versuch einer poetischen Überhöhung und Intensivierung – so betörend er in den früheren Müller-Romanen ausgefallen sein mag – wirkt hier abgeschmackt und formelhaft.« Radisch nannte Müllers Buch »parfümiert und kulissenhaft«. Als wenig später Müller den Literaturnobelpreis bekam, musste Radisch vermutlich zur Strafe einen Kommentar zur Verleihung schreiben und fand nur noch lobende Worte wie »romantisch-avantgardistisches Verfahren« und entdeckte einen »glanzvolle[n] poetische[n] Nebeneffekt«. Schließlich entdeckte sie in Müllers Prosa eine »große Kunst der Weltumdeutung und der Verwandlung«.
Eine ähnliche Verwandlung der Kritikeransicht kann bei Volker Weidermann diagnostiziert werden. In seiner Rezension zu Goetz’ »Johann Holtrop« stand Weidermann Goetz noch eher reserviert gegenüber (um es freundlich auszudrücken). Zwei Jahre und kein weiteres Buch später ist alles anders: Zum einen ist nur 1 x Weidermanns Lieblingswort »Welt« zu lesen – in der FAS-Rezension noch 20 x (in allen Schreibweisen). Und zum anderen wird er so richtig wütend, warum denn dieser Goetz nicht schon vorher den Büchnerpreis bekommen hat statt diese »mickrigen Preisträger« der letzten Jahre.
Und wieder einmal stellt man fest: Nicht nur Gebetsfahnen wehen im Wind.