Bo­tho Strauß: Mi­ka­do (I)

RÜCKKEHR Da gab es den Bäcker­mei­ster Al­win, der ei­nes Mor­gens nicht mehr in sei­ne Back­stu­be kam, sei­ne Frau My­ri­am ver­ließ und nach Me­xi­ko aus­wan­der­te. Dort kauf­te er sich ei­ne Pa­pier­fa­brik ein und wur­de ein er­folg­rei­cher Fa­bri­kant. Schließ­lich ge­hör­ten ihm zwölf Pa­pier­fa­bri­ken in ganz La­tein­ame­ri­ka. Nach fünf­und­zwan­zig Jah­ren kehr­te er nach Han­no­ver zu­rück. Dort leb­te sei­ne ...

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John Ban­ville: Die See

John Banville: Die See
John Ban­ville: Die See
Der Kunst­hi­sto­ri­ker Max kommt nach ei­nem hal­ben Jahr­hun­dert an die Stät­te sei­nes (schön­sten) Kind­heits­ur­laubs – ir­gend­wo an der bri­ti­schen See – zu­rück. Er quar­tiert sich in die ent­spre­chen­de Pen­si­on ein und es ent­wickelt sich mit der Zeit ein zau­ber­berg­ähn­li­cher Mi­kro­kos­mos: ein lan­ge my­ste­ri­ös blei­ben­der ehe­ma­li­ger Co­lo­nel, die Be­sit­ze­rin des Hau­ses, Miss Va­va­sour, die dann gar nicht die Be­sit­ze­rin ist und noch ein wei­te­res, klei­nes Ge­heim­nis hat (was na­tür­lich hier nicht ver­ra­ten wird) und Max. Sei­ne Frau An­na ist kürz­lich an Krebs ge­stor­ben, sein Be­ruf macht ihm kei­nen Spass mehr (ein Pro­jekt über den Ma­ler Pierre Bon­nard macht schon lan­ge kei­ne sub­stan­ti­el­len Fort­schrit­te mehr) und mit dem Ver­hält­nis zu sei­ner Toch­ter stimmt es auch nicht mehr (der po­ten­ti­el­le Schwie­ger­sohn ist [na­tür­lich!] nicht gut ge­nug).

John Ban­vil­les »Die See« ist bei al­ler Me­lan­cho­lie und ge­le­gent­li­chem Sen­ti­ment kein Be­richt ei­nes selbst­mit­lei­di­gen Hel­den, der in den »be­sten Jah­ren« die ob­li­ga­to­ri­sche Sinn­kri­se be­kommt.

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Pé­ter Ná­das: Be­hut­sa­me Orts­be­stim­mung

Péter Nádas: Behutsame Ortsbestimmung
Pé­ter Ná­das: Be­hut­sa­me Orts­be­stim­mung

Pé­ter Ná­das’ hoch­ge­lob­tes, klei­nes Büch­lein »Be­hut­sa­me Orts­be­stim­mung« ent­hält zwei klei­ne Ge­schich­ten. Die er­ste, die dem Buch den Ti­tel gab, er­zählt (?) von ei­nem klei­nen Dorf im länd­li­chen Un­garn, in das sich der be­kann­te Schrift­stel­ler ge­mein­hin be­gibt; dort (über­wie­gend?) lebt. Ná­das, der »Aus­stei­ger« ge­nannt wer­den kann (hier­in vie­len an­de­ren Schrift­stel­lern wie et­wa John Ber­ger oder An­drzej Sta­si­uk ähn­lich), ver­sucht hier ei­ne Er­zäh­lung über »sei­nen« Ort, »sein« Dorf und des­sen Struk­tu­ren und »funk­tio­nie­ren«. Man ist je­doch früh ge­neigt, hin­ter dem Be­griff des Er­zäh­lens ei­ne Fra­ge­zei­chen zu set­zen – denn so rich­tig ist es dann doch kei­ne Er­zäh­lung (Ná­das nennt bei­de dann auch tref­fend »Zwei Be­rich­te«). All­zu oft gibt es es­say­isti­sche Zü­ge und wer ei­ne bu­ko­li­sche, em­pha­ti­sche Hym­ne auf das »na­tür­li­che Le­ben«, auf den (von Ná­das an­der­wei­tig so her­vor­ge­ho­be­nen) Wald­bir­nen­baum er­war­tet, wird ent­täuscht wer­den; in­so­fern ist der Un­ter­ti­tel »Die ein­ge­hen­de Be­trach­tung ei­nes ein­sa­men Wald­bir­nen­baums« ein biss­chen ir­re­füh­rend.

Aus­ge­hend von die­sem Ort phan­ta­siert sich Ná­das durch die Jahr­hun­der­te und die Ge­schich­te, die von der frü­hen Be­sied­lung bis heu­te re­ka­pi­tu­lier­bar ist (die rö­mi­schen Ton­scher­ben sind fast all­ge­gen­wär­tig) und be­rich­tet da­bei (ja: be­rich­tet!) über die­ses Dorf und sein So­zi­al­we­sen. Al­les dich­te­risch und oh­ne Po­se; erst recht oh­ne Her­ab­las­sung (oder – was fast noch schlim­mer wä­re – stil­ler oder gar of­fe­ner Be­wun­de­rung).

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Sa­sa Sta­ni­sic: Wie der Sol­dat das Gram­mo­fon re­pa­riert

Saša Stanišić: Wie der Soldat das Grammofon repariert
Saša Sta­nišić: Wie der Sol­dat das Gram­mo­fon re­pa­riert

Na­tür­lich muss­ten die »kri­ti­schen« Ju­ro­ren des In­ge­borg-Bach­mann-Prei­ses 2004 »Was wir im Kel­ler spie­len…« aus­ein­an­der­neh­men. Ei­ner­seits die Blut­lee­re und Er­eig­nis­lo­sig­keit in der jun­gen, deutsch­spra­chi­gen Li­te­ra­tur be­kla­gend, an­de­rer­seits stets das ar­ti­fi­zi­el­le lo­bend – da wird dann ganz ger­ne das kri­ti­siert, was man ei­gent­lich bei den an­de­ren ver­misst (schon, weil es Rei­bungs­flä­che bie­tet). Das »pral­le« Le­ben war noch nie Sa­che der Kri­tik – sie zieht im Zwei­fel im­mer intro­spektive Be­lang­lo­sig­kei­ten dem epi­schen Er­zäh­len vor. So war es kein Wun­der, dass vor zwei Jah­ren Saša Sta­nišić’ Text im Wett­be­werb nicht re­üs­sier­te – beim Pu­bli­kum dar­um um­so mehr: er ge­wann den Pub­likumspreis, der aus ei­ner Ab­stim­mung im In­ter­net her­aus ver­ge­ben wur­de.

Ei­ne Ohr­fei­ge für die Ju­ry, die ih­ren ei­ge­nen Kri­te­ri­en miss­trau­te und ei­nen Bei­trag mit klein­li­cher At­ti­tü­de nie­der­mach­te, der ih­nen ver­mut­lich auch nicht po­li­tisch kor­rekt ge­nug er­schien und statt ei­nes Kla­ge­lie­des ob ei­ner Kind­heit in Ju­go­sla­wi­en (als es noch ein Ju­go­sla­wi­en war) ei­ne le­bens­fro­he Kind­heits­be­schwö­rung las (»ge­zwun­gen« war, zu le­sen), in der der jun­ge Al­eksand­ar zwar von den Schreck­lich­kei­ten des Krie­ges er­zähl­te (in et­wa im Ton ei­nes 12–14 jäh­ri­gen – hier hat­te man dann auch li­te­ra­tur­kri­tisch den He­bel an­ge­setzt), aber nicht im gän­gi­gen Be­trof­fen­heits­jar­gon des heu­tig Wis­sen­den, son­dern in ei­ner far­ben­fro­hen, hei­te­ren, ge­le­gent­lich al­ber­nen, dann aber durch­aus auch tief­grün­di­gen Art (da weiss der Er­zäh­ler dann doch et­was mehr als der jun­ge Al­eksand­ar: war­um auch nicht, denn Li­te­ra­tur ist kei­ne Do­ku­men­ta­ti­on).

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Von Zwie­beln und Ur­he­ber­rech­ten

Gün­ter Grass hat die Dis­kus­si­on um sei­ne SS-Zu­ge­hö­rig­keit ver­mut­lich mehr ge­trof­fen, als an­fangs an­ge­nom­men. Er hat je­den­falls ei­ne Un­ter­las­sungs­kla­ge ge­gen die FAZ er­wirkt, die Brie­fe von ihm an Karl Schil­ler in Gän­ze ver­öf­fent­licht hat­te. Grass sah das Ur­he­ber­recht bei sich. Ich bin kein Ju­rist, aber es gibt hier Zwei­fel. Die einst­wei­li­ge Ver­fü­gung, die er er­wirkt hat, sagt ja nichts über ein even­tu­el­les Ur­teil aus.

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Ar­no Gei­ger: Es geht uns gut

Arno Geiger: Es geht uns gut
Ar­no Gei­ger: Es geht uns gut
Phil­ipp ist ein Tau­ge­nichts; ein Tag­träu­mer. Ei­nem Be­ruf geht er of­fen­sicht­lich nicht nach. Er hat ein Ver­hält­nis mit der ver­hei­ra­te­ten Jo­han­na, die ihn be­sucht, wenn es mal Streit zu Hau­se ge­ge­ben hat. Ge­le­gent­lich schläft er auch noch mit der Post­bo­tin. Phil­ipp be­wohnt im April 2001 das lee­re Haus sei­ner Gross­el­tern. Wie es nicht an­ders kom­men kann, über­man­nen ihn die Er­in­ne­run­gen bzw. das, was er da­für hält. Zum Auf­räu­men und Aus­mi­sten (Tau­ben ha­ben sich in gro­sser Zahl im Dach­stuhl seit Jah­ren ein­ge­rich­tet) hat er we­der Kraft noch Ideen. Statt­des­sen schreibt er sei­ne Phan­ta­sien in ein Heft; der Le­ser wird im Un­kla­ren ge­las­sen, ob wir Phil­ipps Heft zu le­sen be­kom­men (da­ge­gen spricht, dass der [aukt­oria­le] Er­zähl­duk­tus nie­mals ver­las­sen wird).

Ar­no Gei­gers hym­nisch ge­prie­se­nes Fa­mi­li­en­epos (?) »Es geht uns gut« wur­de 2005 mit dem Deut­schen Buch­preis aus­ge­zeich­net. Könn­te man auf­grund der Qua­li­tät die­ses Bu­ches auf die Qua­li­tät der im Wett­be­werb um den Buch­preis ge­schei­ter­ten Kan­di­da­ten rück­schlie­ssen – so blie­be ei­nem ei­ne Men­ge po­ten­ti­el­ler Lek­tü­re er­spart. Wenn ein sol­ches Buch tat­säch­lich das be­ste ge­we­sen sein soll, kann es um die an­de­ren nicht gut ste­hen. Aber ge­mach – die Ve­he­menz der Kri­tik mu­tet bö­ser an, als ge­dacht.

Gei­ger zeich­net das Por­trait ei­ner öster­rei­chi­schen Fa­mi­lie, be­gin­nend in den 30er Jah­ren bis 2001.

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Chri­stoph Hein: In sei­ner frü­hen Kind­heit ein Gar­ten

Wenn man hi­sto­ri­sche Be­ge­ben­hei­ten li­te­ra­risch be­ar­bei­tet, so gibt es meh­re­re Fall­stricke, in die sich der Au­tor ver­fan­gen kann: Er kann mit sei­ner The­se der Er­eig­nis­se in ei­nen Fu­ror der Un­be­lehr­bar­keit ver­fal­len – die Ge­burt der Ver­schwö­rungs­theo­rie. Er kann in Ein­sei­tig­keit ver­sin­ken und den not­wen­di­gen Ab­stand ver­ges­sen – blin­de Par­tei­nah­me. Der schlimm­ste Fall ist aber das Ver­schwim­men von Fik­ti­on und Do­ku­men­ta­ri­schem. In­dem rea­le Er­eig­nis­se, die min­de­stens aus­schnitt­wei­se in ei­ner be­stimm­ten Zeit öf­fent­lich ge­macht wur­den, als Grund­la­ge li­te­ra­ri­scher Be­ar­bei­tung die­nen, ist dem Le­ser ab ei­nem ge­wis­sen Zeit­punkt nicht mehr klar, wann die Frei­heit des Dich­ter­den­kens be­ginnt und die Fak­ten zu die­sen Gun­sten auf­ge­ge­ben wer­den.

Christoph Hein: In seiner frühen Kindheit
Chri­stoph Hein: In sei­ner frü­hen Kind­heit

Be­reits auf den er­sten Sei­ten wird klar: Chri­stoph Hein be-(oder ver-?)arbeitet den Tod des mut­mass­li­chen Ter­ro­ri­sten Wolf­gang Grams vom Ju­ni 1993 auf dem Bahn­hof von Bad Klei­nen. Der Ort wird na­ment­lich nicht ver­frem­det – die Prot­ago­ni­sten sehr wohl. Wolf­gang Grams heisst Oli­ver Zu­rek; die Haupt­prot­ago­ni­sten die­ses Kam­mer­spiels, die El­tern, Ri­chard und Frie­de­ri­ke.

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Erich Wolf­gang Skwa­ra: Zer­brech­lich­keit oder Die To­ten der Place Bau­doy­er

Erich Wolfgang Skwara: Zerbrechlichkeit
Erich Wolf­gang Skwa­ra: Zer­brech­lich­keit

Am An­fang des Bu­ches sitzt der öster­rei­chi­sche Li­te­ra­tur­pro­fes­sor Stein, der in den USA lebt und ar­bei­tet, im Flug­zeug. Für ihn, dem hei­mat­lo­sen Welt­bür­ger, sind dies fast die schön­sten Stun­den; Hor­te der Ru­he; Zei­ten, in dem von ihm kei­ne Hand­lun­gen, kei­ne Ent­schei­dun­gen ab­ver­langt wer­den. Stein sieht ei­ne po­li­ti­sche Talk­show im Flug­zeug­fern­se­hen. Er nimmt nicht so­fort den Kopf­hö­rer, son­dern schaut nur dem Fern­seh­bild zu.

Dann wur­de ihm plötz­lich die Lä­cher­lich­keit die­ser Fern­seh­run­de be­wusst. Wie we­nig die hier zum Ge­spräch ge­la­de­nen Herr­schaf­ten zu über­zeu­gen ver­moch­ten, so­lan­ge der Ton aus­ge­schal­tet blieb! Al­lein am Ge­hört­wer­den hing ih­re Exi­stenz; wie sie da mit den Hän­den gro­sse Ge­sten in den Raum schrie­ben und mit ih­ren durch­wegs mü­den – denn be­gei­stert war da kei­ner mehr – Ge­sich­tern ein we­nig Lei­den­schaft für ihr The­ma vor­zu­täu­schen ver­such­ten, er­gab ein trau­ri­ges Bild...Das »Welt­ge­sche­hen« be­stand dar­in, dass dar­über ge­re­det wur­de.

Stein, 48 Jah­re alt, ver­hei­ra­tet, hat zwei fast er­wach­se­ne Töch­ter (15 und 19), ei­nen nicht be­son­ders an­stren­gen­den, aber gut do­tier­ten Be­ruf, der ihm al­ler­dings kei­ne Be­frie­di­gung ver­schafft, weil ihm die An­er­ken­nung ver­sagt bleibt (was wohl dar­an liegt, dass er ir­gend­wann schlicht­weg das In­ter­es­se an der Li­te­ra­tur ver­lo­ren hat [in­ter­es­san­te In­nen­an­sicht ei­nes zum Nicht­le­ser ge­wor­de­nen]). Sei­ne Flü­ge nach Eu­ro­pa die­nen meist nur ober­fläch­lich sei­nem Be­ruf; er be­sucht sei­nen Freund Sté­pha­ne in Pa­ris, ein sehr er­folg­rei­cher und be­kann­ter An­walt – in vie­lem das Ge­gen­stück zu Stein. Und er be­sucht sei­ne Ge­lieb­ten. Sté­pha­ne, der dem Be­ruf ver­haf­te­te Mensch, ex­tro­ver­tiert, mit wech­seln­den Frau­en­af­fä­ren, in den Tag hin­ein­le­bend – Stein der Grüb­ler, in­tro­ver­tiert; aber eben­falls mit wech­seln­den Ge­blieb­ten.

Der aukt­oria­le Er­zäh­ler, eher Stein zu­ge­wandt, weiss viel zum Ver­hält­nis der bei­den zu er­zäh­len – bis zur Fra­ge, was sie denn tat­säch­lich als Freun­de ver­bin­det oder ob es nicht nur ei­ne Art Bin­dung ist, die kei­ner von bei­den bis­her be­en­det hat (aus Be­quem­lich­keit oder Ge­wohn­heit). Frei­lich sind die Ban­de der De­ser­teu­re des Le­bens nicht mit den gän­gi­gen Mu­stern ei­ner nor­ma­len »Freund­schaft« zu cha­rak­te­ri­sie­ren. Ob­wohl Stein sich dann fast selbst ent­rü­stet zu­sieht, als er Sté­pha­ne zu des­sen 50. Ge­burts­tag ei­nen Flug in die Staa­ten schenkt. Sehn­süch­tig er­war­tet Stein, dass der Flug­gut­schein ver­fal­len mö­ge – kurz vor­her je­doch kün­digt der quir­li­ge Freund sein An­kom­men je­doch an.

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