Fritz H. Dinkelmann: Das OpferGerichtsreportagen von Fritz H. Dinkelmann lösten bei mir immer ein gesteigertes Interesse an den Menschen aus, die Verbrechen ausübten. Sie rüttelten dabei an die scheinbar so fest installierte „Rechtsordnung“, die glaubt, mit der Bestrafung einer Straftat diese nachträglich „auszugleichen«. Zwar ist allen Beteiligten klar, dass beispielsweise bei einem Mord oder Totschlag der jeweils Getötete nicht mehr lebendig wird, aber das in uns allen wesende Gefühl der Rache (oder ist es der Sühne?) muss befriedigt werden.
Hierfür dient das Strafrecht. Aber es kommt stets zu spät: Die Tat ist längst geschehen und meist ist das Geschehene unumkehrbar. Dem Prozess kommt dabei die Rolle des Vollstreckers des Sühnegedankens zu. In einem Rechtsstaat muss es einen Prozess geben, um zweifelsfrei festzustellen, ob die Tat vom Angeklagten tatsächlich ausgeübt wurde.
Rainald Goetz: Abfall für Alle
Ein Schriftsteller, einst als Provokateur auftretend und sich heute als Querulant sehend (mindestens als Schreiber, nicht so sehr als Alltagsmensch), entdeckt das Medium Internet und ermöglicht es uns, jeden seiner Tage schriftlich dort zu verfolgen. So Rainald Goetz 1998 mit einem über ein Jahr angesetzten Projekt. So ganz neu ist das natürlich nicht; Tagebücher gibt es seit eh und je, meistens sind sie aufgeblasen – dies meist dann, wenn es sich um mehr oder weniger erzwungene Notate handelt, die jemand gemacht hat, weil er eben glaubte jeden Tag etwas schreiben zu müssen.
Nach drei Jahren Gefängnis kommt Simon, jetzt 65 Jahre alt, in sein Dorf zurück – Schweizer Engadin; um 1935 (man muss die Zeit aus dem Erzählten rekonstruieren). Ein Jagdunfall, fahrlässige Tötung; viele Dörfler halten es für Mord. Und das ein Jahr nach der Auseinandersetzung im Dorf um die Jenischen, als sich Simon mit der Dorfnomenklatura angelegt hatte, die sie lieber heute als morgen aus dem Dorf wieder vertrieben hätten. Seine Frau ist während des Gefängnisaufenthalts verstorben – man hat es ihm nach der Beerdigung mitgeteilt.
Simon findet Unterkunft und Tagelohnarbeit; das Dorf ist hinsichtlich seiner Person gespalten. Seinen (unausgesprochenen) Wunsch, man möge diesen Unfall vergessen und sich an das erinnern, was er vorher für das Dorf geleistet hat, wird nicht erfüllt. Trotz der teilweise feindlichen Stimmung möchte er im Dorf – seiner Heimat – bleiben; eine (kurze) Beschäftigung im Hotel der nahegelegenen Stadt befriedigt ihn nicht. Er, Waldarbeiter Simon, der Einzelgänger, sucht das Dorf, die Gemeinschaft – und lehnt sie gleichzeitig ab. Hin- und hergerissen freundet er sich mit Vera an, die für sich und ihren Mann „sein“ Haus gekauft hat. Die dicke Theresa, die alles vom Dorf weiss, stört ihn aber bereits mit ihren Gewissheiten und Fakten.
Erst im letzten Drittel seines Buches »Im Keller« erzählt (berichtet?) Jan Philipp Reemtsma reflexiv über das ihm Zugestossene während seiner Entführung 1996. Vorher gibt es eine kurze chronologische Abfolge der Entführung, wie sie sich weitestgehend von aussen berichten lässt, gefolgt von einer chronologischen Erzählung in der dritten Person über das Sich-Ereignende. Diese beiden Teile haben ...
Ein vielgerühmter Roman – aber warum? Angeblich sei das allegorische, bildhafte so stark, so mächtig: hie die einwandernden Mexikaner, die ihr Stück vom Wohlstand mithaben wollen – dort das liberale Bürgertum der USA, schliesslich kapitulierend vor den Scharfmachern und Emigrantenhassern. Es ist in T. C. Boyles »América« dann tatsächlich so, wie sich Lieschen Müller im ...
In der Sendung „Druckfrisch“ am vergangenen Sonntag in der ARD führte Dennis Scheck ein Interview mit Franz Xaver Kroetz anlässlich seines neuen Buches „Blut und Bier“.
Vom üblichen Geplauder entwickelte es sich rasch – wie bei Kroetz nicht anders zu erwarten – zu einem sehr pointierten »Geschimpfe«.
Die Bürgerrechtler der ehemaligen DDR übernahmen einst für sich Adornos Prämisse: Es gibt bzw. gab kein gutes Leben im Schlechten. Dies sollte vor Reinwaschungen, Wehklagen und nachträglichem Widerstandspathos speziell der eigenen intellektuellen Schicht warnen. In »Ein weites Feld« hat Günter Grass diesen Begriff dahingehend umkreist, als er die DDR eine »kommode Diktatur« nennen ließ und ...