Ab­schied von den Al­ten

An­ge­regt durch »en-pas­sant« in ei­nem Kom­men­tar wur­de ich auf ein kur­zes, aber interess­antes Ge­spräch in der FAZ zwi­schen Hu­bert Spie­gel und den bei­den Schrift­stellerinnen Si­byl­le Le­witschar­off und Fe­li­ci­tas Hop­pe auf­merk­sam. Un­ter dem leicht phi­li­ster­haf­ten Ti­tel »Ha­ben Sie Über­vä­ter, mei­ne Da­men?« ent­wickelt sich ein er­staun­li­ches Selbst­be­wusst­sein ei­ner Schrift­steller­ge­nera­ti­on den »al­ten Gar­den« ge­gen­über.

Es geht gleich in me­di­as res und es fal­len küh­ne Sät­ze, wie hier von Fe­li­ci­tas Hop­pe:

    Ist doch in­ter­es­sant, dass man mit dem Al­ter so nach­läs­sig wer­den kann, als sä­ße man im War­men und müß­te das ei­ge­ne Tun nicht mehr so rich­tig über­prü­fen. Und das kann man an ei­ni­gen le­ben­den, al­tern­den Schrift­stel­lern sehr ge­nau be­ob­ach­ten. Das ist ein An­ti­mo­dell. Man schaut sich’s an und sagt: so nicht.

Und wei­ter:

    Ich könn­te kei­ne ein­zi­ge Fi­gur der so­ge­nann­ten deut­schen Nach­kriegsliteratur be­nen­nen, we­der männ­lich noch weib­lich, die für mich von tie­fer­ge­hen­der Be­deu­tung wä­re. Da sind gu­te Bü­cher, na­tür­lich, aber es ist nichts da, wor­an ich mich ernst­haft ori­en­tie­ren könn­te.

Si­byl­le Le­witschar­off as­si­stiert kühl:

    ...man be­kommt ein Werk durch nichts so sehr satt, als da­durch, dass man im­mer den Au­tor da­vor sieht. Je­der, der zu lan­ge in der Öffent­lichkeit war, er­zeugt ir­gend­wann Über­druss beim Pu­bli­kum. Das ist fast na­tur­ge­ge­ben. Und noch wich­ti­ger: In dem Ma­ße, in dem En­er­gie in die Selbst­dar­stel­lung fließt, wird et­was sehr Kost­ba­res dem Werk ent­zo­gen. Das sind ver­lo­re­ne En­er­gien, die von gro­ßer Be­deu­tung sind. [...] Wer zu Leb­zei­ten als Per­son das Ram­pen­licht be­herrscht, läuft größ­te Ge­fahr, nach sei­nem Tod als Au­tor zu ver­schwin­den. Ist der Sarg­deckel erst zu, nimmt nie­mand je wie­der ein Buch von ihm in die Hand.

Bis hier­her könn­te man sich so ei­ni­ge Au­toren den­ken, bis dann Spie­gel (na­tür­lich!) auf Wal­ser und Grass di­rekt zu spre­chen kommt. Bei­de Au­toren sind ja bei der FAZ in Un­gna­de ge­fal­len – Wal­ser seit 2002; Grass seit Herbst ver­gan­ge­nen Jah­res. Da wird Si­byl­le Le­witschar­offs Dia­gno­se na­tür­lich gern ge­se­hen:

    Es ist wirk­lich der Schrecken die­ses deut­schen Groß­wet­ter-Kom­men­tars, der von die­sen bei­den Fi­gu­ren un­ab­läs­sig ge­for­dert wur­de. Man muss ja auch sa­gen, sie sind da­zu ver­führt wor­den, und zwar per­ma­nent. Ich glau­be, das hat ih­nen wirk­lich das Kreuz ge­brochen, auch wenn sie heu­te noch ver­ehrt wer­den, aber das hat sie wirk­lich in die Fal­le ge­lockt, in die Werks­fal­le so­wie­so. Wenn man per­ma­nent in die­ser Wei­se kom­men­tie­ren muss, sich der­art dem Zeit­geist aus­setzt und ja auch an die Spit­ze des Zeit­gei­stes möch­te, dann wird auch das ei­ge­ne Werk in­fil­triert. Man ist ja je­der Form der Vul­ga­ri­tät aus­ge­setzt.

Das soll wohl nun der To­des­stoss für das 68er-Dik­tum des »po­li­tisch en­ga­gie­ren­den Schrift­stel­lers« sein. Tat­säch­lich wir­ken die At­ti­tü­den die­ses Den­kens bis heu­te nach; Künst­ler im all­ge­mei­nen und Schrift­stel­ler im be­son­de­ren wer­den im­mer noch ger­ne als Kron­zeu­gen be­stimm­ter Wer­te zi­tiert. Ich glau­be je­doch, die bei­den Schrift­stel­le­rin­nen ir­ren da­hin­ge­hend, wenn sie glau­ben, ein Wal­ser nach der Pauls­kir­chen­re­de (die gräss­lich über­zeich­net wahr­ge­nom­men wur­de und in Wirk­lich­keit arg haus­backen war) oder ein Grass nach »Ein wei­tes Feld« sei von der po­li­ti­schen Avant­gar­de noch als se­riö­ser Kom­men­ta­tor auf­ge­fasst wor­den. Al­len­falls als »nütz­li­che Idio­ten« dien­ten sie in der ein oder an­de­ren »Ak­ti­on« (oder ei­nem Skan­däl­chen) als Ge­würz. In die­ser Tra­di­ti­on steht auch der mehr als über­flüs­si­ge Streit um Walsers »Tod ei­nes Kri­ti­kers«, in dem sich Schirr­ma­cher (äu­sserst rü­de) von sei­nem Über­va­ter ab­na­bel­te; dem­je­ni­gen, dem er Jah­re vor­her noch tap­fer die Lau­da­tio ge­le­sen hat­te und im Frie­dens­ge­spräch mit Ignatz Bu­bis die Wo­gen beim Rot­wein glät­te­te. (Selt­sam, dass an bei­den De­mon­ta­gen die FAZ und Schirr­ma­cher mehr als nur be­tei­ligt wa­ren; als soll­ten »Hitler’s child­ren« [Boh­rer] end­gül­tig der in­tel­lek­tu­el­le Gar­aus ge­macht wer­den – fragt sich nur: für wen?)

Wir er­fah­ren, dass sich Fe­li­ci­tas Hop­pe als Schrift­stel­le­rin ge­nug ist und Meinungsführer­schaften für sich ab­lehnt. Sie be­schreibt da­mit et­was, was jah­re­lang ver­pönt als »Rück­zug ins Pri­va­te« war. Mir kommt da­bei Pe­ter Hand­kes em­pha­ti­scher Aus­spruch »Ich bin ein Be­woh­ner des El­fen­bein­turms« in den Sinn – und er­gän­zend könn­te man für Hop­pe sa­gen: ‘ich bin es ger­ne’ (Hand­ke ver­stand das üb­ri­gens kei­nes­falls als so­zio­lo­gisch-eli­tä­ren Ab­gren­zungs­mo­dus).

Als es schon ein biss­chen ver­söhn­lich zu wer­den schien, und man fast Mit­leid mit den »al­ten Ker­len« be­kam, legt Frau Hop­pe noch ein­mal nach:

    ...das ist doch schön und hilf­reich, näm­lich, dass es sich nicht lohnt, die­sen Her­ren zu ver­trau­en. Man braucht ih­nen, au­ßer zu For­schungs­zwecken, ei­gent­lich nicht zu­zu­hö­ren. Da sind un­glaub­lich ag­gres­si­ve Über­le­bens­stra­te­gien am Werk, und hin­zu kommt ei­ne un­ge­heu­er­li­che Am­bi­ti­on.

Was mir ge­fällt, ist nicht der ge­le­gent­lich re­spekt­los-ar­ro­gan­te Ton, den die bei­den den »Al­ten« vor­wer­fen, aber sel­ber ge­le­gent­lich an den Tag le­gen. Dies sei vom Le­ser ver­ziehen. Pro­ble­ma­tisch ist es auch, fast im­pe­ra­tiv zu for­dern, vom ei­nen Ex­trem (den Ein­mischern) ins an­de­re (den Un­be­ein­druck­ten) zu ver­fal­len. Das klingt ein biss­chen nach Re­stau­ra­ti­on. Als sei Li­te­ra­tur im­mer nur in ei­nem ab­strak­ten Um­feld mög­lich und los­ge­löst von po­li­ti­schen und so­zia­len Strö­mun­gen. Be­ein­druckend ist al­ler­dings die Un­be­küm­mert­heit und La­ko­nie, mit der hier Denk­mä­ler zu­recht­ge­rückt wer­den.
Da­hin­ter steht aber dann wirk­lich ein wich­ti­ger Im­puls: Weg von der blo­ssen Person­alisierung von Li­te­ra­tur (»Der neue XY« ist da!« – »Na und?«) – hin zum »rei­nen«, »un­schuldigen« Buch, oh­ne Vor­ver­tei­lung im po­si­ti­ven (oder ne­ga­ti­ven) Sin­ne. Und oh­ne im Klap­pen­text so­fort al­les über den Au­tor zu er­fah­ren. Und oh­ne Me­di­en­rum­mel. Ich er­ken­ne die Sehn­sucht nach ei­nem frei­en Blick auf das Ge­schrie­be­ne – nicht auf den Schrei­ber. Und auch weg von der Au­then­ti­zi­täts­fal­le, in der Au­toren heu­te ganz schnell stecken (weil da­mit dann doch schnell Öf­fent­lich­keit an­ge­spro­chen wird). In die­ser Hin­sicht ist das Ge­spräch tat­säch­lich ein Ab­schied von den Al­ten. Und das ganz er­fri­schend.

8 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Lie­ber Gre­gor,
    ich dan­ke Ih­nen für die­sen Bei­trag. Da ich im Au­gen­blick we­nig Zeit ha­be, um mich noch aus­führ­li­cher mit den In­halt aus­ein­an­der zu set­zen, wer­de ich in den näch­sten Ta­gen, wenn mir die Ter­mi­ne im Ka­len­der wie­der mehr Raum las­sen, noch­mals vor­bei­schau­en.
    Es tut mir gut, bei Ih­nen zu le­sen.

  2. »Zu­hö­ren«? »Ver­trau­en«? Man hät­te kei­ne Ah­nung...
    Bis vor ein paar Jah­ren hät­te ich vor­be­halt­los zu­ge­stimmt, vor al­lem Le­witschar­off, de­ren – iro­ni­scher­wei­se – Nach­den­ken ich mehr als ihr Schrei­ben schät­ze, wäh­rend Hop­pe für mich we­der als Schrei­be­rin noch sonst­wie bis­her über­haupt ei­ne Be­rech­ti­gung hat. Wo­für stün­de sie denn?

    In ei­ner Li­te­rar­ur­sen­dung des BR letz­tens saß so ein hoff­nungs­los kon­ven­tio­nel­ler und eil­fer­ti­ger Mo­de­ra­tor vor Mar­tin Wal­ser, der mit der gan­zen Ge­ne­ro­si­tät sei­nes Al­ters und sei­nes tat­säch­lich tief-rei­chen­den und kei­nes­falls ab­ge­klär­ten Den­kens ihn mit sorg­sam und live er­wo­ge­nen aber ganz fri­schen Ant­wor­ten be­dach­te, Ant­wor­ten, de­ren Aus­maß und Über­ra­schun­gen gar nicht durch­dran­gen, zu­mal in die­sem For­mat §im Fern­se­hen«: 80 Jah­re, und – ich ha­be das schon mal ge­sagt – was für ein wun­der­ba­res State­ment: „Wer ein Jahr jün­ger ist, hat kei­ne Ah­nung!“ Und ge­ra­de Wal­ser er­scheint mir oft jün­ger als al­le die­se forsch aber eben auch et­was kurz­fri­stig For­mu­lie­ren­den, hin­ter de­ren Sät­zen kein Echo je nach­klingt.

    Hin­ter die Per­so­na­li­sie­rung kön­nen wir nie mehr zu­rück, da­ge­gen ste­hen in ei­ner al­les per­so­na­li­sie­ren­den Ge­sell­schaft die Au­toren zu sehr als „Mar­ken“ (das sieht man et­wa schon am dem ar­men „neu­en“ In­go Schul­ze: Das Stell­ver­tre­ter­da­sein wird ihm ge­ra­de­zu auf­ge­halst. Nicht lang, und er wird wie ein En­zens­ber­ger in die Pflicht ge­nom­men wer­den. Oder sie­he Durs Grün­bein usw. Al­le Li­te­ra­tur-In­stan­zen ha­ben ein Be­dürf­nis da­nach.)

    (Der ar­me Böll et­wa woll­te ei­gent­lich im­mer nur schrei­ben – und viel­leicht hät­te es sei­nen Bü­chern gut ge­tan. Aber nein, sie ha­ben ihn ge­nö­tigt, als Gut­men­schen her­zu­hal­ten. Und sei­ne Bü­cher sind heu­te prak­tisch be­lang­los, die Stif­tung in sei­nem Na­men aber macht Po­li­tik.)

    Ich war auch oft ge­nervt von Grass et.al. Aber was hilft es denn, wenn kei­ne an­de­ren da sind, bzw. an­de­re sich wohl­weis­lich ver­wei­gern. »Wer sich in die Öf­fent­lich­keit be­gibt, kommt dar­um um.«

    Man be­trach­te et­was die in­tel­lek­tu­el­le Tie­fen­schär­fe ei­nes Weiz­äckers ge­gen al­le sei­ne un­be­darf­ten Nach­fol­ger. Deutsch­land aber braucht die­sen Ty­pus des tie­fer Boh­ren­den, der kraft sei­ner Sta­tur da­steht, und dann auch ste­hen bleibt. Das ist ein­fach so. (Ei­nem Goe­the kann heu­te un­ge­straft vo­in je­der­mann ans Bein bzw. an den Sockel ge­pin­kelt wer­den.)

    Und »wir« brau­chen auch drin­gend ei­nen wie Bo­tho Strauß, der sich in der Tra­di­ti­on ei­nes Schmitt, Benn, Jün­ger... ab­wen­det und uns aus der Ucker­mark sei­ne kal­ten Schul­tern zeigt: Das ist eben­so wich­tig. (Ein drit­ter Ty­pus wä­re et­was so je­mand wie An­selm Kie­fer. Hand­ke ist ein ganz ei­ge­ner Fall ei­ge­ner Qua­li­tät usw. Sie­he aber auch Ar­no Schmidt. Es gä­be noch an­de­re...)

    Und, ich be­haup­te, die­se Hal­tun­gen, ra­di­kal zu­ge­wandt wie ra­di­kal ab­ge­wandt, als Ori­en­tie­rung, sind auch für vie­le im­mer noch wich­ti­ger als neue Hal­tun­gen ei­ner ge­wis­sen künst­le­ri­schen Ver­bla­sen­heit, die bis­her eben kei­ne „Mar­kie­rung“ hin­ter­las­sen ha­ben. Und zu­letzt: Die de­nun­zier­te „Am­bi­ti­on“ ha­ben ge­ra­de die­se Da­men sel­ber (und wenn man ein paar Hin­ter­grün­de aus dem Ver­lags­ge­schäft kennt, sind die Frau­en da längst die neu­en Ell­bo­gen­ty­pen – viel­leicht ist das gut so?).

    Der Witz ist aber, dass eben Grass auch im­mer noch ein Gi­gant ist, der De­bat­ten in Gang setzt (und in­ter­na­tio­nal ge­hört wird, und ver­kauft wie blö­de usw.). Er setzt ein­fach im­mer noch sei­ne Mar­ken in die Auf­merk­sam­keits­land­schaft der Li­te­ra­tur: Und sei es mit sei­ner un­se­li­gen, auch all­zu selbst­ge­wiss-eit­len Per­son, die, künst­le­risch er­schöpft, es im­mer noch schafft, „Deutsch­land“ auf ei­nen sei­ner Punk­te zu brin­gen. Ob man das noch hö­ren kann, oder nicht.

    (Und, Iro­nie hin oder her, auch der im­mer für ei­ne Groß­mäu­lig­keit gu­te Ma­xim Bil­ler schreibt brav sei­ne Adres­se an Wal­ser schreibt brav sei­ne Adres­se an Wal­ser).

  3. Pri­va­tes und Werk
    Na­tür­lich ist der Wunsch, die Per­so­na­li­sie­rung qua­si auf­zu­he­ben, uto­pisch. Wenn ich ein Buch von Hand­ke auf­schla­ge, aber der Au­tor mit »XY« an­ge­ge­ben wür­de – ich wür­de ihn doch schimp­fen, epi­go­nal zu Hand­ke zu schrei­ben.

    Ich bin mir der Un­mög­lich­keit al­so be­wusst. Und mir ist auch klar, dass die bei­den Schrift­stel­le­rin­nen auf der FAZ-Büh­ne vor­ge­führt wer­den – eben um den Al­ten eins aus­zu­wi­schen. Sei’s drum. Und: Ja, die Le­witschar­off ist nicht un­be­dingt ei­ne mei­ner Lieb­lings­au­torin­nen; ich ha­be al­ler­dings als Buch nur »Pong« ge­le­sen (fand da­mals den Bach­mann-Preis aber ge­recht­fer­tigt – das gan­ze Buch hielt aber nicht durch) und von Hop­pe ha­be ich nichts ge­le­sen – sie nur ge­le­gent­lich mal als hübsch fri­sier­te Au­torin im Fern­se­hen ge­se­hen. Aber war­um nicht? Wir soll­ten ihr / ih­nen nicht das ab­spre­chen, was wir sel­ber tun.

    Neu­lich Wal­ser ge­se­hen bei »druck­frisch«. Den­nis Scheck ver­ehrt ihn of­fen­sicht­lich und Walsers gra­vi­tä­ti­sches Er­schei­nungs­bild, das ge­le­gent­lich er­ra­tisch wirkt, die­se an­ge­nehm so­no­re Spra­che – ich schät­ze ihn in den In­ter­views (mehr als den Au­tor Wal­ser, des­sen Bü­cher mir oft­mals als arg ge­quäl­te Be­schrei­bungs­pro­sa da­her­kam – mit der gro­ssen Aus­nah­me des »sprin­gen­den Brun­nen«). Und vor Jah­ren bei Pe­ter Voß, als mit stei­gen­dem Rot­wein­kon­sum die Zun­ge im­mer locke­rer wur­de. Ich schät­ze ihn, was er zur Li­te­ra­tur, zum Ge­dicht, zu an­de­ren Au­toren, zum Äl­ter­wer­den zu sa­gen hat. Und na­tür­lich hö­re ich mir sei­ne po­li­ti­sche Mei­nung an. Die Pauls­kir­chen­re­de da­mals ha­be ich mir ex­tra be­sorgt, um beim Le­sen das »Bö­se« zu ent­decken – ich ha­be es nicht ge­fun­den. Au­sser, dass sich je­mand hart­näckig (kin­disch?) wei­ger­te, von »Schuld« zu spre­chen und statt­des­sen »Scham« sag­te. Das war der Skan­dal – der mehr über die Be­find­lich­keit der Re­pu­blik sagt(e), als so man­cher So­zio­lo­gie­band. Die Feh­de mit Reich-Ra­nicki? Ja, Wal­ser hat spät er­kannt, dass er von die­ser Sei­te kei­ne Un­ter­stüt­zung hat (Hand­ke wuss­te das schon 30 Jah­re vor­her) – und ist es nicht merk­wür­dig, dass al­le »gro­ssen Au­toren« bei R‑R kei­ne Gna­de fin­den (au­sser der von Ih­nen ein biss­chen arg ge­rupf­te Böll)?

    Zu Grass nur so­viel: Ja, man hat ihn ge­braucht. Hat. Und all die Re­den, Auf­sät­ze, Ein­mi­schun­gen, Ver­zet­te­lun­gen – sie wa­ren auch Auf­trags­ar­bei­ten. Das wird im FAZ-In­ter­view ja auch deut­lich. Aber hat Boh­rer nicht ein biss­chen recht, was die Mo­ti­va­ti­on angeht/anging? An­de­rer­seits – wie mein Freund Mi­cha­el Rol­off neu­lich schrieb: Was soll­ten sie sonst ma­chen?

    Die Angst, die ich im­mer ha­be: Hin­ter der po­li­ti­schen Mo­ral des Au­tors (oder auch Un­mo­ral?) ver­schwin­det sein Werk (min­de­stens für die Öf­fent­lich­keit). Hand­ke gilt bei vie­len Li­te­ra­tur­kri­ti­kern noch aus Aus­sät­zi­ger. Die ehr­li­chen un­ter ih­nen ver­su­chen, das zu tren­nen; es ge­lingt sel­ten. Und Strauß’, der sich sel­ber im »An­schwel­len­den Bocks­ge­sang« als »Rech­ter« be­schrie­ben hat? (Al­ler­dings die­sen Be­griff auch de­fi­nier­te.) Nur müh­sam un­ter­drück­te Sti­che­lei­en (na­tür­lich nicht bei je­man­dem wie Grei­ner; ei­ner der her­aus­ra­gen­den Li­te­ra­tur­kri­ti­ker).

    Und in den 80ern/90ern »muss­te« es Grass sein; vor­her »na­tür­lich« Böll. Im­mer wie­der fal­len die Kri­ti­ker (und wenn schon die – wie soll dann ei­ne Öf­fent­lich­keit schär­fer ur­tei­len?) auf die Ver­mi­schung zwi­schen Au­then­ti­zi­tät, Mo­ral und Qua­li­tät her­ein. Der Schrift­stel­ler sei gut – dann ist das Werk gut. Was ler­nen die­se Leu­te ei­gent­lich wäh­rend ih­res Stu­di­ums?

    Viel­leicht soll­te es in Deutsch­land mehr Übung wer­den, die (po­li­ti­schen) Mei­nun­gen von Schrift­stel­lern als pri­vat zu se­hen; los­ge­löst von ih­ren Wer­ken (na­tür­lich vice ver­sa!)?

    Ko­misch, die­ser Bil­ler...

  4. Regel(n) und ih­re Krei­se
    Ja: „Pri­va­tes & Werk“ – und da ist gleich so ein Punkt (im Blog geht das, in ei­nem Ar­ti­kel wä­re es wohl fehl am Platt­ze, wenn nicht so­gar schräg): Ist nicht längst „das Bild des Au­tors“ (bit­te die Gen­a­zi­no-Über­le­gun­gen mit ein­be­zie­hen, falls be­kannt) prä­sen­ter mehr als sein Werk?

    Um das al­so hier bloß­zu­le­gen: Ich ha­be Hop­pe ge­le­sen, fand es ver­lo­re­ne Zeit (das neue Buch ken­ne ich nicht, ha­be aber auch kei­ne Haar­brei­te an In­ter­es­se). Was da bei mir wirkt, ist ein selt­sa­mes Phä­no­men (was ich auch bei Ant­je Stru­bel be­ob­ach­te): Die Li­te­ra­tur von Les­bie­rin­nen ist lang­wei­lig!

    Ich bin mir im Kla­ren, dass das ei­ne bi­zar­re Be­mer­kung ist (und viel­leicht über­haupt, der­art Werk und Se­xua­li­tät zu ver­mi­schen, ob­wohl sie ja auch do­mi­nant oder sub­til ein­an­der re­geln). Aber wie­so mag ich Vir­gi­na Wolf, Ge­tru­de Stein und et­li­che an­de­re Lek­tü­ren, aber die Tex­te die­ser jun­gen Frau­en über­haupt nicht? (Und, um mei­ne ganz per­sön­li­che Fall­hö­he her­un­ter die­ser un­kor­rek­ten Be­trach­tungs­wei­se noch zu er­hö­hen: Ich ha­be meh­re­re les­bi­sche Freun­di­nenn, mit de­nen ich au­ßer­ge­wöhn­lich gut aus­kom­me.)

    Es scheint al­so doch so, dass „Hal­tung“ und Am­bi­tio­nen... und dann auch die Selbst­sti­li­sie­rung des Ei­gen­bil­des (der Au­tor als Mar­ke sei­ner selbst) da wir­ken. Und wie sich ihr Werk in mei­nem Kon­sum des­sel­ben frucht­bar ma­chen lässt. Im­mer­hin be­rührt es aber eben so auch die Un­ver­nünf­te der Le­ser (die ja mit-an­ge­spro­chen wer­den wol­len, bei al­ler Trag­schwe­re der ewi­gen Ar­gu­men­te). Muss ich mei­ne ei­ge­nen Ir­ra­tio­na­li­tä­ten her­vor­kra­men, wenn die Bü­cher so brav sind... ?

    ***

    Wal­ser fand ich frü­her als Schrift­stel­ler kaum in­ter­es­sant. Ich ent­deck­te ihn dann eben als den­ken­den Zeit­ge­nos­sen... und mitt­ler­wei­le hal­te ich ihn z.B. auch für ei­nen tol­len Ly­ri­ker hier und da, ei­nen fast im­mer in­ter­es­san­ten Es­say­isten, ei­nen wun­der­ba­ren Sprach-Men­schen. (Nur sei­ne Ro­ma­ne fes­seln mich lei­der gar nicht.) Aber als Ge­stalt ist er doch ins­ge­samt „frucht­bar“, auch was sei­ne öf­fent­li­chen An­stö­ßig­kei­ten be­trifft. Und die Bück­lin­ge vor R.R., dem „Rolls’Royce der deut­schen Li­te­ra­tur­kri­tik“ (G. Falk­ner), wä­ren eh schon im­mer all­zu zahl­reich. An­schei­nend brauch­te es da eben je­mand von Walsers Sta­tur.

    Falls Sie auf den Boh­rer Ar­ti­kel im Mer­kur zu Gra­s­sens „Be­kennt­nis“ an­spie­len (Aus­zug da­mals in der taz, glau­be ich?), ja, DAS hät­te schon lan­ge mal ge­sagt wer­den sol­len! Aber: Hat es nicht eben die­se ja, auch Selbst­ge­fäl­lig­keit von Grass ge­braucht, die­se „Fall­hö­he“, um das mal der­art for­mu­lie­ren zu kön­nen? (So auf­re­gend und auf den Punkt wie bei Boh­rer hat­te ich es bis­her nie ge­le­sen. )

    Ir­gend­wie scheint mir in all die­sen ge­gen­sei­ti­gen Ver­dik­ten der Aspekt der ge­gen­sei­ti­gen Be­din­gung all die­ser Ak­teu­re zu kurz zu kom­men. In­so­fern muss im Ge­samt­zu­sam­men­hang doch auch das Per­sön­li­che, das Ein­zel­ne, das Sub­jek­ti­ve da mit be­dacht wer­den. Wie aber macht man das? (Ich spie­le hier na­tür­lich auch noch ein­mal auf die in Blogs mög­li­chen Ton­la­gen an. Erst „Nam­haf­te“ kön­nen sich ja oft erst lei­sten, sich sub­jek­tiv wie in ei­nem Blog auch in den Groß-Zei­tun­gen aus­zu­drücken.)

    Was al­so bei den „Au­ßen­sei­tern“, den – zu­mal in Deutsch­land nö­ti­ger schei­nen­den – Kon­sens­stö­rern auf­fällt, ist, wie sehr sie doch zur Be­stim­mung ei­nes Ge­samt­kli­mas bei­tra­gen. Wie not­wen­dig sie sind! Wie wei­ter füh­rend!!! (Schon des­halb müss­te man Hand­ke er­he­ben! Und da­bei IST er frag­los noch ein Aus­nah­me­künst­ler!! Und ob die­ser Teil an „Kul­tur“ zur De­bat­te sich be­wah­ren lässt? Mit „Jün­ge­ren“? [Mir fiel das letz­tens an­ge­le­gent­lich die­ser Ein­tags­flie­ge Thor Kun­kel ein...])

    Um es mit ei­nem be­kann­ten Bei­spiel aus der Ky­ber­ne­tik zu sa­gen: Re­gu­liert ei­gent­lich der Ther­mo­stat die Raum­tem­pe­ra­tur oder die Raum­tem­pe­ra­tur den Ther­mo­sta­ten?

  5. „Das Bild des Au­tors ist der Ro­man des Le­sers“ (Wil­helm Gen­a­zi­no)
    Al­so „Bei­werk“ ist ein Oeu­vre si­cher nicht – man könn­te so­gar mit der Ver­tras­hung et­wa sol­cher Ka­li­ber wie DSDS von ei­ner ge­wis­sen Rück­lehr des Hand­werks spre­chen; „Mei­ster­schaft“ wird so zu sa­gen auf ei­ner Zeit­ebe­ne ega­li­siert) -, das Oeu­vre, an­ders­wie kom­plex, dar­in sper­ri­ger, kann nur schlecht in die an­de­re Me­di­en trans­fe­riert wer­den, wo der Schöp­fer aber prä­sent sein muss (weil es nun mal Prä­senz­me­di­en sind, näm­lich je­ne, die für die Bild-Wer­dung der auf­tre­ten­den Per­so­nen und ih­res je­wei­li­gen Gla­mour-Fak­tors sor­gen... wo­von sie dann sel­ber le­ben).

    Ih­re Zah­len (die ja „Quo­ten“ sind) ma­chen es deut­lich: Wo noch vor ein bis an­dert­halb Jahr­zehn­ten »neue« Au­toren Auf­la­gen von 3.000 zu er­zie­len wa­ren (Ro­ma­ne) und sie da­mit als re­la­ti­ver Er­folg gal­ten, fan­gen „Er­fol­ge“ heu­te viel hö­her an und rech­nen da­mit die Klein­auf­la­gen ganz raus (ich spre­che hier von den gu­ten al­ten Pu­bli­kums­ver­la­gen à la Ro­wohlt und Fi­scher et­wa, die jetzt nach Con­trol­ling-Weis­hei­ten ge­führt wer­den).

    Und Sie ha­ben recht: Bü­cher rei­chen nicht – ein „Bild“ des Au­toren wird ge­braucht (al­so al­les, was die­ses auf­rü­schen kann: Was al­so wie­der ei­nen Mehr­wert der me­dia­len Ver­mitt­lungs-Er­zäh­lung ge­ne­riert).

    Selbst wenn man sich üb­ri­gens da ver­wei­gert – am pro­mi­nen­te­sten na­tür­lich Pyn­chon – braucht es und gibt es auch ein „Bild“. Ich ver­mu­te, die gu­te al­te Benjamin’sche „Au­ra“ kön­nen da ei­ni­ges er­klä­ren, mit­samt der Dia­lek­ti­ken von Ori­gi­nal und Iden­ti­fi­ka­ti­on etc. Das kann man aber oh­ne Um­stän­de heu­te eben auch den „Mar­ken­cha­rak­ter“ ei­nes Na­mens, ei­ner Han­dels­wa­re nen­nen. Und als Künst­ler ver­schärft im Mo­dus der Ich-AG kommt man da nicht dran vor­bei.

    ***

    Das mit dme Les­ben­tum war in­so­fern ei­ne blö­de Be­mer­kung von mir, als es – als et­was Un­be­grif­fe­nes – dann doch wie­der auf ei­ne Un­ter­be­stimmt­heit zeigt: Ein Zeit­geist­mo­ment? Man muss ein­fach se­hen, dass auch die Kul­tur­wa­re „Li­te­ra­tur“ star­ken Sei­ten­ef­fekt-Mo­de-Strö­mun­gen un­ter­liegt, die sel­ber wie­der auf die Auf­merk­sam­keit und da­mit die Ver­brei­tungs­we­ge Ein­fluss ha­ben.

    Über­all hört man et­wa von der Por­no­gra­phi­sie­rung des Main­streams; an­ders­wo (et­wa im Mu­sik­busi­ness) war es schon im­mer we­sent­lich, „gut“ (in­ter­es­sant, ei­gen) aus­zu­se­hen. Auf die Ge­fahr hin, dass es noch ein­mal nach Res­sen­ti­ment klingt: Ha­ben Frau­en hier nicht Vor­tei­le? Gibt es nicht durch den Zwang zum Bild so et­was wie ei­ne Eff­emi­ni­sie­rung des Künst­ler­tums? (So wie Män­nern, Stich­wort „me­tro­se­xu­ell“, ein­ge­re­det wird, jetzt auch viel Geld in Hau­pfle­ge­mit­tel in­ve­stie­ren zu dür­fen.)

    „Gen­de­ri­sie­rung“: Es gibt da ei­nen Zu­sam­men­hang! (Und ich könn­te das wei­ter aus­bau­en.) Der Ty­pus je­den­falls des knor­ri­gen Al­ten (à la Grass) ver­liert eben­so wie der der „Söh­ne“. Bri­git­te-Kul­tur ist an­ge­sagt, aber Hei­den­reich nicht Kro­nau­er. Es geht ja viel­leicht tat­säch­lich eher um die Be­dürf­nis­se der Töch­ter heu­te, wenn man so will. (Wer liest, wer kauft denn die Me­di­en? Wer be­wer­tet sie, wer bringt sie in die Ka­nä­le? Was ist un­se­re „Ziel­grup­pe“, na? Frau­en über­all.)

    Aber ich will gar nicht po­le­mi­sie­ren. (Ob­wohl ich bei mir sel­ber im­mer mehr fest­stel­le, wie­viel Spaß es macht! Ich ver­mu­te näm­lich über­haupt, die­ses Ab­wä­gen von kom­ple­xen Ar­gu­men­ta­ti­ons­la­gen ist längst „out“. Man spricht vom „nar­row field“: Ver­schaff Dir ei­nen Über­blick und triff’ ei­ne Ent­schei­dung! Bauch­ge­fühl, so­zia­le In­tel­li­genz, In­tui­ti­on! It’s a wo­mens world! Das schafft ja auch viel Gu­tes... Üb­ri­gens las ich letz­tens ein enrst­haf­tes Pläyo­der da­für, über Bü­cher auch zu re­den, wenn man sie nicht ge­le­sen hat! Es war ha­ne­bü­chen... aber ich kann es hier trotz­dem schlecht wie­der­ge­ben.)

    ***

    Grass al­so (und wo­für er steht) ... ist für mich seit lan­gem ver­jährt. In­so­fern stimm­te das auch nicht ganz mit dem Ab­schied (und schon in den Acht­zi­gern... und ei­gent­lich ja im­mer... gab / gibt es die­se Ab­setz­be­we­gun­gen von den Al­ten [und Grass-Bas­hing ei­gent­lich seit ich den­ken kann]).

    Was man so von Wal­ser lääängst nicht sa­gen kann! (Man le­se et­wa sein Ge­burts­tags­in­ter­view in der FR vom Sams­tag! Al­lein die Fra­ge da­nach, wie­viel Recht der Au­tor ei­gent­lich hat – der Ein­zel­ne al­so, der ewig zu kurz Zi­tier­te, der mut­wi­lig Skan­da­li­sier­te usw. – sich ge­gen et­wa ei­nen Reich-Ra­nicki [die „BILD“-Zeitung, ge­gen al­le Bös­wil­li­gen oder auch nur Blö­den der Welt] auch mal mit so ei­nem Buch wie „Tod ei­nes Kri­ti­kers“ zu weh­ren... Denkt ei­ner der ei­lig Ein­ver­stan­de­nen mal dar­an, sich so ei­ne Fra­ge zu stel­len? War­um soll man ei­gent­lich im­mer der „Ver­Ant­WORT­lich­te“ sein? Mag sein, dass man sich der­art kurz­fri­stig ein­mal auf das dün­ne Eis sei­ner Fein­de be­gibt. Aber auch das ge­hört an­schei­nend heu­te mit zur öf­fent­li­chen Per­for­manz.)

    Zu­rück zum „Bild“: Viel­leicht MUSS man aber im­mer auch die Per­sön­lich­keit des Au­tors mit­be­den­ken, weil der Be­griff sel­ber längst ein an­de­rer ist. (Die klu­ge Bri­git­te Kro­nau­er denkt ja viel dar­über nach. Von Gen­a­zi­no da­zu das Buch glei­chen Ti­tels in der Kopf­zei­le.)

    Und Her­mann Lenz? Wer könn­te denn, oh­ne eben solch ei­ne men­schen­freund­li­che Per­sön­lich­keit (und die Er­fah­run­gen, die sie be­stä­tigt ha­ben!), die ei­ge­ne re­la­ti­ve Be­deu­tungs­lo­sig­keit ein­fach an­neh­men, sie hin­neh­men? An­de­rer­seits: Wie­viel Schmerz be­deu­tet das? (Nach mei­nem Emp­fin­den et­wa doch sehr spür­bar in „Selt­sa­mer Ab­schied“ z.B..)

    Und von solch ei­nem „Son­der­ling“ ist man dann wie­der gleich an die­sem win­zi­gen Re­gel­kreis-Füh­ler, der dann doch eben auf den gan­zen Raum (wie der Ein­zel­ne auf die Ge­sell­schaft) ir­gend­wie zu­rück­wirkt: Man hat ja gar kei­ne an­de­re Chan­ce als eben die, des je per­sön­li­chen Be­tei­ligt­seins – wie auch im­mer.

    Die Kehr­sei­te all der Sät­ti­gungs­ef­fek­te, wo je­der aus Schreib­schu­len in Leip­zig oder Hil­des­heim gleich zu ver­öf­fent­li­chen an­fängt, oh­ne „et­was er­lebt“ zu ha­ben, ist näm­lich dann auch wie­der die­se Su­che nach dem ganz an­de­ren, dem bis­her Über­se­he­nen, den Son­der­lin­gen mit ih­rem ganz ei­ge­nen Blick auf die Welt. Wer weiß schon, wo die­se Mo­den hin­füh­ren? Da­bei: die­se Mo­di­sten des Main­streams schie­len ja bald sel­ber wie­der auf die Son­der­lin­ge, weil sie, oh­ne de­ren bei­spiel­ge­ben­de äs­the­ti­sche In­ge­ni­o­si­tä­ten, eben auch bald nicht mehr wis­sen, wie’s wei­ter­geht. All die­se Best­sel­ler sind ja oft one-hit-won­der oder Son­nen­schirm-Schmö­ker, de­ren Ver­ges­sen­heit re­gelt sich selbst.

    Ra­disch hat es ein­mal in ei­nem schö­nen „Grundsatz“-Artikel (an­läss­lich der rüh­ri­gen aber auch et­was be­tu­li­chen Ak­ti­vi­tä­ten der „Stif­tung Le­sen“, glau­be ich) ge­sagt: Le­sen ge­wis­ser Li­te­ra­tur ist eben nur für We­ni­ge. An­son­sten ist Le­sen (Den­ken) ei­ne Kul­tur­tech­nik un­ter vie­len, die seit dem „ico­nic turn“ da­bei ist, ih­ren Stel­len­wert im­mer mehr zu ver­lie­ren. Und „Kir­mes­ge­du­del“ ist wie al­les Spek­ta­kel eben im­mer lau­ter, bun­ter, mehr­heits­fä­hi­ger. Aber (Wal­ser, in be­sag­tem In­ter­view): „Al­le Li­te­ra­tur wirft ei­nen wei­ßen Schat­ten“.

  6. Grat­wan­de­rung
    Die Ver­wei­ge­rung des »Bil­des« des Au­toren (Sie nann­ten Pyn­chon) ist ja in Wirk­lich­keit – viel­leicht! – auch nur Po­se. Das ist ja das, was vie­le Leu­ten wie Hand­ke vor­wer­fen, die sich ei­ner­seits als »Lass-mich-in-Ru­he« prä­sen­tie­ren – dann aber In­ter­views ge­ben. Bei Hand­ke war das al­ler­dings im Mai/Juni ver­gan­ge­nen Jah­res zwin­gend not­wen­dig, da man drauf und dran war, über sei­ne po­li­ti­schen Äu­sse­run­gen (die­se fast ab­sicht­lich, manch­mal wol­lü­stig miss­ver­ste­hend) sein Werk zu zer­stö­ren (sie­he auch die Ab­set­zung sei­nes Stückes in Frank­reich). Al­so muss­te er – als sei er ein un­ar­ti­ger Schü­ler – den zahl­rei­chen Nicht­le­sern und De­mon­tie­rern ex­pres­sis ver­bis er­klä­ren, dass er Sre­bre­ni­ca als schreck­lich emp­fin­det (das hat­te er zwar mehr­fach ge­schrie­ben, aber eben auf sei­ne Art). Hier wur­de Kon­for­mi­tät ein­ge­klagt, die ab­seits vom Werk steht, ja, wenn man das Werk kennt, über­flüs­sig ge­we­sen wä­re.

    Und da er­scheint es ein biss­chen arg heuch­le­risch, wenn Grass sich auf der Leip­zi­ger Buch­mes­se über die Jour­na­li­stik be­klagt, sie – durch­aus hand­ke­ähn­lich – un­flä­tig be­schimpft. Und das er, der jahr­zehn­te­lang auf der Kla­via­tur des Main­stream-Set­zers so vir­tu­os spiel­te, be­klagt das, was er sel­ber mit gro­sser Lust (zu­letzt dann noch ge­gen Hand­ke) ein­setz­te. Da tat er mir dann leid, der Gün­ter Grass, weil er end­lich ein­mal den Ge­gen­wind zu spü­ren be­kam, den er sel­ber im­mer und im­mer wie­der miss­lie­bi­gen Per­sön­lich­kei­ten ins Ge­sicht ge­bla­sen hat­te. Denn das »Grass-Bas­hing«, was Sie mei­nen, hör­te vor­her im­mer dann auf, wenn es auf die Per­son Grass ge­rich­tet war, d. h. man »un­ter­stell­te« ihm im­mer »das Gu­te« – ei­ni­ge (we­ni­ge; dar­un­ter Reich-Ra­nicki) fan­den nur den Weg ein biss­chen holp­rig. In­so­fern hat er na­tür­lich recht: Seit Herbst hat sich das grund­le­gend ge­än­dert (wo­mit wir wie­der bei dem Ge­spräch wä­ren). Die Kri­tik von Le­witschar­off und Hop­pe wä­re so frü­her nie in ei­ner »Gross­zei­tung« ge­druckt wor­den.

    Es ist aber so: Wenn erst ein­mal das »Gross-Feuil­le­ton« zum Ab­schuss ge­bla­sen hat, dür­fen auch die nie­de­ren Char­gen nach vor­ne und mal schie­ssen.

    ***
    Ich weiss nicht, ob es Frau­en leich­ter ha­ben. Als vor ei­ni­gen Jah­ren die »Fräulein-Wunder«-Literatur auf­kam (Ju­dith Her­mann et al.) dach­te ich das mal. Und wenn ei­ne (gut­aus­se­hen­de) Frau wie Ari­ad­ne von Schi­rach über die Por­no­gra­fi­sie­rung des Main­stream schreibt – dann ist das wohl so. Die Da­me hüpft nun von ei­ner Prä­sen­ta­ti­on zur an­de­ren – mit ei­ner ab­grund­tief ba­na­len und lä­cher­li­chen The­se, die längst nie­mand mehr be­strei­tet und All­ge­mein­gut ist. Da es aber Män­ner toll fin­den, wenn ei­ne Frau über so et­was er­zählt, und weil der »Spie­gel« auch mal wie­der je­man­den ent­deckt ha­ben will – sei’s drum. (Ne­ben­bei: Ha­ben Sie schon ein­mal Mu­sik­vi­de­os oh­ne Ton an­ge­schaut? Wie un­säg­lich pri­mi­tiv das dann wirkt! Ein gu­tes Mu­sik­vi­deo be­steht die­sen Test.)

    Hei­den­reich und Bri­git­te – das passt ja. Sie gibt ih­re Li­te­ra­tur­fa­vo­ri­ten dort ‘raus. Ich glau­be, Fi­gu­ren wie Reich-Ra­nicki oder Hei­den­reich die­nen den Leu­ten als An­ker. Man will sei­nem On­kel, El­tern, beste(n) Freund(in) was zum Ge­burts­tag, zu Weih­nach­ten oder als Mit­bring­sel schen­ken. Was bie­tet sich da an? Ein Buch. Aber wel­ches? Nie­mand über­blickt mehr das An­ge­bot (wie auch?). Und da gibt’s eben »Le­sen«, in der schreck­lich-tri­via­les ver­mie­den wird (hoch­li­te­ra­ri­sches al­ler­dings [na­tür­lich] auch; wie igorant muss man sein, um sa­gen zu können,d ass in der deutsch­spra­chi­gen Li­te­ra­tur der­zeit »nicht viel los« sei).

    Mit­tel­stands­un­ter­hal­tungs­pro­sa. In­sti­tu­tio­na­li­sier­tes Ba­nau­sen­tum: Wie oft die Hei­den­reich von »dicken Bü­chern« schwärmt und von »Schmö­kern« (mer­ke: je­mand, der »Schmö­kern« sagt und »Le­se­rat­te« und »Bü­cher­wurm« ist ver­lo­ren, und zwar für im­mer).

    Aber was mich auch im­mer merk­wür­dig me­lan­cho­lisch stimmt – ins­be­son­de­re, wenn ich so et­was von Ra­disch hö­re ( Le­sen ge­wis­ser Li­te­ra­tur ist eben nur für We­ni­ge): War­um sti­li­siert man das Le­sen von LITERATUR der­art hoch? Wenn Leu­te »Goe­the« hö­ren, win­ken sie doch ab – ob­wohl sie (au­sser viel­leicht in der Schu­le) nichts von ihm ge­le­sen ha­be. Aber da thront dann oben das Buch (das Werk) und ist »nichts für mich«. Und statt die­sem em­pha­tisch zu wi­der­spre­chen, pflegt man das eli­tä­re Ur­teil noch. Das ist na­tür­lich ei­ne schma­le Grat­wan­de­rung: Pro­fa­ni­siert man Li­te­ra­tur (wie Reich-Ra­nicki) in »gut« oder »schlecht«, in »Fäl­len« – oder ver­mit­telt man viel­leicht zu­nächst ein­mal. Es gab in den letz­ten Jah­ren ei­ne Fern­seh­sen­dung, die sich »Be­sten­li­ste« nann­te (mit Hu­bert Win­kels). Dort wur­den die Bü­cher, die die Li­te­ra­tur­kri­ti­ker auf die Be­sten­li­ste wähl­ten, in un­ter­schied­li­cher Art be­spro­chen: Durch Le­sung; Re­zen­si­ons­ge­spräch; Au­toren­ge­spräch; Streit­ge­spräch zwi­schen zwei Kri­ti­kern; fil­mi­sche Vor­stel­lung (eher sel­ten). Manch­mal wur­de aus ei­nem Buch in ei­ner Sen­dung vor­ge­le­sen – in der näch­sten gab’s dann ein Streit­ge­spräch – oder ähn­li­ches. Die Sen­dung war gut (trotz Win­kels’ ge­le­gent­li­chem Ober­leh­rer­ton) – wur­de aber nach un­ge­fähr 2 Jah­ren ein­ge­stellt. Ver­mut­lich wird es an der Quo­te ge­le­gen ha­ben – wo­bei es na­tür­lich schwie­rig ist, Sonn­tag mor­gen um 10 Uhr Zu­schau­er für so et­was zu be­gei­stern (nicht al­le wer­fen den Re­kor­der an).

    Die Schreib­schulele­ven wird man ver­mut­lich wie­der reich­lich beim Bach­mann-Preis vor­ge­setzt be­kom­men. Der Vor­wurf, die Au­toren er­le­ben nicht ge­nug, um was zu schrei­ben, führt aber u. U. in die Ir­re. Na­tür­lich kann es im Frie­den kei­ne Nachkriegs-(»Trümmer-«)literatur ge­ben. Aber: Wenn dann je­mand wie Sta­ni­sic auf­tritt und den Bos­ni­en-Krieg re­ka­pi­tu­liert, wird er zer­pflückt – weil er na­tür­lich was ris­kiert.

  7. Das Selbst-Bild als Text
    Der Vor­wurf zur Po­se ist leicht zu ma­chen... und auch zu be­grün­den, weil man sich als Bild­ver­wei­ge­rer ja doch in­ner­halb der Pa­ra­do­xien des Bil­des, näm­lich eben sei­ner Un­ent­rinn­bar­keit be­gibt: Du sollst Dir kein Bild ma­chen – das ruft das Bild na­tür­lich erst recht her­vor. (Ähn­lich wie bei der „In­di­zie­rung“ (wört­lich: des Fin­ger­zeigs [dar­auf], des Hin­wei­ses): Dies und das ... ist ver­bo­ten, al­so in­ter­es­siert sich je­der da­für usw.)

    Ob­wohl ich Hand­ke gern re­den hö­re – bei ihm gibt es ei­ne ähn­lich skru­pu­lö­se Vor­sich­tig­keit mit den Wör­tern wie et­wa auch bei Wal­ser, was gleich Tie­fen- und Be­deu­tungs­räu­me öff­net, ab­ge­se­hen da­von, dass es die Leicht­fer­tig­keit des al­ler­mei­sten öf­fent­li­chen Da­her­re­dens ent­larvt – ob­wohl ich ihm al­so gern zu­hö­re, selbst wenn er stot­tert oder schimpft (das ist bei ihm vol­ler kom­ple­xer An­klän­ge, „mensch­lich“ in ei­nem be­sten Sinn), ha­be ich nicht ver­stan­den, wie er sich auf die gar nicht zu ver­mei­den­den Ar­gu­men­ta­ti­ons­fal­len ein­las­sen konn­te. Hät­te er sich hin­ge­stellt und sein Bild des „Schwei­gen­den“ ab­ge­ge­ben, hät­te er viel­leicht mehr da­mit her­vor­ge­ru­fen?

    Ich ver­mu­te näm­lich, es geht um die­ses „Her­vor­ru­fen“ – mit­tels der Bil­der, des Un­ge­sag­ten al­so. Zu schwei­gen von kom­pli­zier­ten Ar­gu­men­ten: Al­lein die Wor­te sind näm­lich schon im­mer kom­plex über-be­setzt: Al­lein wer „Ju­go­sla­wi­en“ sagt, öff­net ei­nen Raum, in den er gar nicht mehr un­mo­du­liert hin­ein­spre­chen kann. Solch ei­ne An­stren­gung kann viel­leicht noch ein sorg­fäl­ti­ger Text lei­sten, aber auch das wä­re höchst un­ge­wiss. Und sie, die Hei­kel­heit der Ar­gu­men­ta­ti­on dann le­ben­di­ger Re­de aus­zu­set­zen, da­zu von ei­nem der­art le­ben­dig Su­chen­den, wa­chen, „be­ben­den“ Geist wie Hand­ke... das er­reicht sei­ne Adres­sa­ten kaum. (Bzw. dann eben nur als „Skan­dal“.)

    Hier schafft er es auch nicht mehr, sei­nen vor­geb­li­chen Kom­pen­tenz­man­gel im öf­fent­li­chen Re­den – nicht-flie­ßend, su­chend, skru­pu­lös... – in ei­nen Vor­teil an Glaub­wür­dig­keit zu trans­for­mie­ren: In der Po­li­tik muss man „si­cher“ sein, so ist es der Re­ze­pi­ent durch die zil­lio­nen­fa­chen weg-ge­zapp­ten Äu­ße­run­gen ge­wohnt. (Ent­lar­vend: Mer­kel sagt es zu je­der, auch der lä­cher­lich­sten Ge­le­gen­heit: „Ich bin fest da­von über­zeugt, dass...“ und es scheint bei ihr nicht nur ein In­diz für die In­halts­lee­re ih­rer Rhe­to­rik sel­ber, son­dern ge­ra­de­zu ein Kom­pe­tenz-Kom­pen­sat für das „weib­li­che“ Stan­ding ge­gen­über der er­bar­mungs­lo­sen Me­di­en­ma­schi­ne, die je­des Lip­pen­zucken ein­fängt: Sie hat das wohl auch bit­ter er­fah­ren, wie ihr „Bild“ ihr Wol­len über­formt. Und dann um­stellt von de­mon­stra­tiv selbst­ge­wis­sen Lan­des­für­sten. So wirkt das Bild der an­de­ren dann in ei­nem selbst.)

    Aber all das mit dem „Bild“ bleibt eh im­mer hei­kel. War­um ich mich trotz­dem dar­auf ein­las­se... ich den­ke, das mit dem „Bild“ ist kom­pli­ziert, und mich in­ter­es­sie­ren ge­ra­de die Pa­ra­do­xien. (Längst ist auch „Image“ et­was, das mehr­di­men­sio­nal zu se­hen ist: Selbst der Schla­ger­fatz­ke weiß, dass er auch Has­ser und Ver­äch­ter hat, die ihm zu­hö­ren, und dass er sie an­spricht, so oder so, dass er sie ge­ra­de­zu mit-adres­siert.)

    Hand­kes Stär­ke aber, dass er sein Bild nicht un­ter Kon­trol­le hat, dass er an­ders­wie „wahr“ spricht, wird ihm in ge­wis­sen Zu­sam­men­hän­gen zur Schwä­che. Und die­se Un­wäg­bar­kei­ten, be­son­de­re Sei­ten des je­wei­li­gen per­sön­li­chen An­teil des „Bil­des“, hat in Bild­me­di­en je­der von sich. Das ist, war­um das Me­di­en­bild dann auch so oft das fal­sche ist: Ent­we­der ist es über­kon­trol­liert – dann ist es ein­sei­tig und flach; oder es öff­net die­se an­de­ren Sei­ten – und ge­fähr­det dann die Per­son mit, die nicht in ih­rer „Rol­le“ als Spre­cher er­kannt wird – sie wird so zu sa­gen ver­wech­selt. Die Per­son aber bleibt zu­gleich in der Wahr­neh­mung sub­til als ei­ne an­de­re ge­dacht.
    (Das et­wa ist die Stär­ke sol­cher Leu­te wie Die­ter Boh­len und so man­cher „Mo­de­ra­to­rin“ so­wie der Nach­mit­tags­kra­wall­show­talk­gä­ste: What you see is what you get. Die Zwei­fel­lo­sig­keit schafft beim Zu­se­her fats so et­was wie ei­ne Er­leich­te­rung.)

    Dass ei­ne sol­che Öf­fent­lich­keit des Spek­ta­kels na­tür­lich auf Tie­fen­di­men­sio­nen ei­nes Wer­kes – egal ob ei­nes Hand­kes oder Grass’ – dann im Re­gel­fall: Dem der zu re­geln­den Skan­da­li­sie­rung, im Fal­le des ans stell­ver­tren­de Gu­te de­le­gier­te Au­toren dem nicht folgt, nicht ein­ge­hen kann, ist leicht ein­zu­se­hen.
    (Grass als No­bel-Schrift­stel­ler mit „dem“ Preis kann das aber auch dann nicht ver­zie­hen wer­den. Da­bei ist er mitt­ler­wei­le viel­leicht nur ein we­nig schrul­lig? Ich weiß: Darf man so de­spek­tier­lich ei­gent­lich nicht sa­gen, aber manch­mal kommt Schrul­lig­keit doch vor. Üb­ri­gens häu­fig bei Ab­ge­ho­ben­hei­ten à la No­bel­preis­trä­gern.)

    ***

    Was die Ver­weib­li­chung an­geht – na­he­lie­gend ja bei so ei­ner wei­chen Sa­che wie Li­te­ra­tur und ei­nem ge­dan­ken-klu­gen Ge­schlecht -, so woll­te ich sie nur erst ein­mal aufs er­ste Bild, auf die ober­ste Schicht Image ge­meint wis­sen: Auf die Art Ver­kaufs-Per­for­manz, wenn man dann mit sei­nem Er­zeug­nis in die Ver­wer­tungs­ka­nä­le ein­ge­speist wird.

    Von Schi­rach ha­be ich letz­tens plau­dern hö­ren (üb­ri­gens in „Kul­tur­zeit“ – ein eben­so wie sein Ge­gen­stand ober­fläch­li­cher Bei­trag lei­der): Die­ser Art von selbst­ge­wis­ser Ge­läu­fig­keit wür­de ich ver­mut­lich auch „im Nacht­le­ben“ nicht mehr be­geg­nen wol­len. Aber es ist ähn­lich bei an­de­ren (ob bei der jun­gen deut­schen ernst­haf­ten „De­bü­tan­tin“... oder wie ge­ra­de bei die­ser „Fo­to­mo­del Au­torin“ Ma­ri­sha Ir­gend­was aus den USA): Das Buch – nicht die Li­te­ra­tur – braucht die Ge­sich­ter, braucht den „Look“... ge­gen den sich dann na­tür­lich al­le ver­wah­ren. Ge­win­nen tun die Mar­keter: Wenn ei­ne Frau SO aus­sieht, muss man das auch zei­gen! Das „zei­gen“ schon die Zah­len...

    Und na­tür­lich muss das ge­gen das Schrei­ben da­hin­ter über­haupt nicht spre­chen. Aber Ih­ren Wunsch, dass man oft lie­ber nichts wei­ter von ei­nem Au­tor wüss­te, um sei­nen Text erst ein­mal un­be­hel­ligt le­sen zu kön­nen, tei­le auch ich.

    Das Ge­gen­teil ha­be ich aber in der Fa­mi­lie: Mei­ne Mut­ter, die viel liest... sä­he es aber gar nicht ein, ein Buch in die Hand zu­neh­men, wenn sie von dem Au­toren nicht sonst et­was ge­hört hät­te (im Zwei­fels­fall al­so „im Fern­se­hen“, Grund für sonst ei­ne Be­rühmt­heit) bzw. wenn die­ser Au­tor nicht auch über sich und sei­en Fa­mi­lie schrie­be. „Fik­ti­on“ als Ver­suchs­raum (und sei es nur für’s Den­ken ähn­lich wie in mei­ner Auf­fas­sung von Blogs) hat für man­che kaum Stel­len­wert. Da ist das Bild dann eben Wa­ren-In­for­ma­ti­on, so zu sa­gen „Aus­zeich­nung“ wie das Preis­schild, und ihm we­sent­lich zu­ge­hö­rig.

    Und die „Schmö­ker“ und „Bü­cher­rat­ten“... ja, die ster­ben wohl nicht so schnell aus. Le­sen be­deu­tet für vie­le eben auch das: Ge­müt­lich­keit im Eck­ses­sel oder un­term Son­nen­schirm! Das Buch als Me­di­um der Zu­rück­ge­zo­gen­heit. Und das bleibt si­cher auch so.!

    Was den (noch; par­ti­ell) ho­hen Stel­len­wert von Li­te­ra­tur an­ge­het, so ist das wohl ein Re­likt von Hu­ma­nis­mus und Bil­dungs­gut. Die­se ho­hen Wer­te sie sind et­was in Re­ser­ve, et­was, auf das man – im Fal­le dass – zu­rück­grei­fen kann. Viel­leicht ein Hall­raum auch des ei­ge­nen kul­tu­rel­len Selbst­ver­ste­hens (Goe­the, ein Deut­scher – im­mer­hin!). Dass „man“ ei­gent­lich ein pro­fa­ner Geist ist, das weiß je­der ir­gend­wie, wenn er auf sei­ner Fern­be­die­nung her­um­drückt. Man könn­te al­so, im Ernst­fall, im­mer noch Le­sen... auch wenn man es schon jetzt nicht mehr kann. Das „Thro­nen“ ist zu­gleich der Wert, und das, was ei­nen heim­lich dar­an ab­stößt. Man nimmt ja in Wahr­heit der Li­te­ra­tur ih­re Schwie­rig­keit oft übel. („Schreib wie Dir der Schna­bel ge­wach­sen ist.“) Da macht man sich lie­ber ge­mein.

    Die­se Win­kels-Sen­dung da­mals fand ich oft gut, weil sie – au­ßer in der no­to­ri­schen Be­reit­schaft zur Zu­schickung der Li­ste, für Samm­ler an­schei­nend – gar nicht mehr so sehr ver­such­te, sich an­zu­die­nen. Und dass man da, trotz der un­ver­meid­li­chen Schnell­vor­stel­lung des Au­tors, dann auch schon „et­was wis­sen“ muss­te, war wohl auch der Tod der Sen­dung. (Der kam al­ler­dings mit dem neu­en In­ten­dan­ten, ei­nem ZDF-Pro­porz-Men­schen... der dann auch noch das – flot­ter als an­ders­wo – Kul­tur­mag des SWF kipp­te und da­zu ei­ne halb­stün­di­ge Kunst­sen­dung ein­mal in der Wo­che, die es auf die­sem Sen­der gab, im­mer­hin!)

    Mit Win­kels hat­te ich mal zu tun, und weiß, dass er ein auf­rich­ti­ger Ver­mitt­ler ist, dem auch ein re­flek­tier­tes (me­dia­les) Selbst­ver­ständ­nis wich­tig ist. Und die­se D‑dorfer Hö­risch-Win­kels-Li­nie der Ver­mitt­lung fand ich lan­ge Zeit nicht die schlech­te­ste, weil sie ih­re Ka­te­go­ri­sie­run­gen viel­fäl­tig be­zog und da­bei im­mer of­fen leg­te, da­mit auch wei­ter­füh­rend und ur­teil­sof­fen blieb. Ih­ren Ver­su­chen zu Ur­tei­len muss­te ich nie fol­gen. Dass sie mit ih­rer Ken­ner­schaft auch des Ent­le­ge­ne­ren sel­ber wie­der­um Be­deu­tung und Stel­len­wert für sich usur­piert, ist le­gi­tim, und hat auch mit me­dia­len Auf­merk­sam­keits­kämp­fen zu tun. Dass W. sich nicht ent­blö­de­te, sich mal ne­ben Ka­ra­sek zu set­zen und sich auch noch von ihm maß­re­geln zu las­sen... na­ja. Re­vier­be­haup­tun­gen. Ka­ra­sek war dann ab ir­gend­wann wohl da, wo er lei­der hin­ge­hör­te (ist er da noch?): In Ra­te­sen­dun­gen.

    ***

    Das mit dem „Selbst­er­le­ben“ soll­te man, glau­be ich, nicht un­ter­schät­zen. Es – des­sen In­hal­te – braucht nicht ein­mal The­ma zu wer­den, aber man braucht die ei­ge­ne Per­son wohl doch schon als Re­so­nanz­raum des­sen, was die Fik­ti­on zwar leicht er­sinnt, aber un­ter Um­stän­den nicht rück­be­zo­gen be­kommt (sie­he et­wa die­ses „Pong“ Le­witschar­offs). Oft, fin­de ich, gibt’s bei Bach­mann-Kan­di­da­ten gu­te An­sät­ze, aber sie un­ter­lie­gen dann ent­we­der der Strikt­heit (und da­mit ein­tre­ten­der Blut­lee­re) ih­rer ei­ge­nen Idee, oder dann eben ei­nem Man­gel, von dem ich mei­stens ver­mu­te, dass er doch ein per­sön­li­cher ist: Wie man ein ela­bo­rier­tes Schreib­pro­gramm oder ei­ne Äs­the­tik durch­hält, wis­sen die al­le. Nur reicht das dann manch­mal nicht.

    Aber ins­ge­samt steht Bach­mann heu­te viel­leicht so­wie­so eher für die Even­ti­sie­rung von auch solch et­was aus dem (un­he­ro­isch ge­meint) Ein­sam­sten Kom­men­den wie Schrei­ben. Es ist wohl bal nicht mehr weit von Slam-Kla­mauk: Li­te­ra­tur als Ka­ba­rett. Und die mei­sten hal­ten das („Ora­li­tät“) auch noch für ei­ne Art Er­neue­rung!

  8. Ar­gu­men­ta­ti­ons­fal­le
    Hand­ke hat sich lan­ge der Ar­gu­men­ta­ti­ons­fal­le ver­wei­gert. Erst als die Dis­kre­di­tie­rung des ge­sam­ten Werks droh­te, be­zog er »ein­deu­tig« Stel­lung (in der FAZ und SZ). Ich fürch­te, es ging nicht an­ders – für die Mas­se wa­ren / sind sei­ne Ju­go­sla­wi­en-Tex­te ein­fach zu kom­pli­ziert und et­li­che woll(t)en sie auch falsch ver­ste­hen. Mit Grei­ners Po­si­ti­on – die ab­leh­nend war – hat­te ich nie Schwie­rig­kei­ten, aber mit vie­len an­de­ren Maul­hel­den (ge­meint sind nicht die dumm­drei­sten Blog­schwät­zer, die schon längst ver­gam­melt in ih­ren Grä­bern lie­gen wer­den, wenn Hand­kes Bü­cher im­mer noch Welt­li­te­ra­tur sein wer­den) wa­ren (sind) un­er­träg­lich; ins­be­son­de­re die­ser of­fen­sicht­lich alz­hei­me­ri­sier­te Ka­ra­sek.

    Und na­tür­lich muss da Hand­kes Re­den, was ja im­mer auch ein Su­chen ist, wie Ge­stam­mel und Ge­stot­ter da­her kom­men, weil es nicht so ge­leckt ist. (Im neue­sten Ge­sprächs­buch mit Pe­ter Hamm ist es sehr schön über­tra­gen.) Wel­che Skep­sis muss das »glat­te Re­den« ei­nes Grass er­zeu­gen – ist es / war es nicht oft ge­nug »Schrö­der-gleich« und nur Bau­stei­ne zu den je­wei­li­gen »The­men« ab­son­dernd? Was sind das für Schriftstel­ler, die auf je­de Fra­ge so­fort die wohl­ge­form­te Ant­wort für das Mi­kro­fon ha­ben?

    Und – was Mi­cha­el Rol­off im­mer be­tont – in In­ter­views narrt Hand­ke auch ge­le­gent­lich den / die Jour­na­li­sten. Das macht es auch nicht leich­ter! Und na­tür­lich noch sein Trotz (der über­flüs­si­ge »Som­mer­li­che Nach­trag«; die kryp­tisch-schö­ne »Tab­las von Daimiel«-Schrift – und – ja, das ist wohl Hand­ke – sei­ne Be­such auf Mi­lo­se­vic’ Be­er­di­gung).

    Hand­ke hat den »Spreng­stoff« sei­ner Ju­go­sla­wi­en-Schrif­ten m. E. un­ter­schätzt. Ich war da­mals in Frank­furt, als er fast die gan­ze »Win­ter­li­che Rei­se…« las (mit fe­ster Stim­me, aber sehr be­hut­sam) und da­nach die wil­de Dis­kus­si­on (u. a. mit ei­nem Ver­tre­ter ei­ner Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­ti­on – der ein­deu­tig das Buch nicht ge­le­sen hat­te und auf Ein­drücke der Le­sung ein biss­chen holp­rig re­kur­rier­te), die er an­fangs wie ein Un­be­tei­lig­ter fast be­lu­stigt zur Kennt­nis zu neh­men schien. Vor der Ver­an­stal­tung Ta­schen­kon­trol­le. Im Saal das Ver­hält­nis ca. 50:50; ein Trans­pa­rent ge­gen Hand­ke. Als der Men­schen­recht­ler zu pol­tern be­gann, fast Tu­mul­te. Hand­ke bat um Ru­he, dass der Mann aus­re­den kön­ne. Jür­gen Bu­sche ver­such­te da­mals die Mo­de­ra­ti­on; war aber nicht neu­tral (pro Hand­ke). Die ab­so­lu­te Stil­le dann, als Hand­ke er­zähl­te, wie er frü­her auf sei­nem Schul­weg den ge­le­gent­li­chen »Über­fäl­len« be­geg­ne­te: Er be­gann, die ihm kör­per­lich über­le­ge­nen Kna­ben nach ih­ren El­tern, ih­rem Zu­hau­se zu fra­gen – und sie be­gan­nen zu er­zäh­len; lie­ssen von ihm ab. Die­se Sze­ne wer­de ich nie ver­ges­sen. Kurz da­nach stand er ein­fach auf, ver­ab­schie­de­te sich knappund ging.

    Na­tür­lich ist auch bei Hand­ke vie­les »Po­se« – aber kei­ne »künst­li­che Po­se«. Er schaut dann nicht auf sei­nen Vor­teil und springt nicht auf Zü­ge, die gro­ssen Ruhm brin­gen (Ju­go­sla­wi­en sei sei­ne »Her­zens­sa­che« – so hat er es wohl mehr­fach for­mu­liert). Das stört(e) mich bei Grass im­mer: das Ge­schlif­fe­ne; Glat­te; das für-den-Sa­lon-fer­ti­ge. Jetzt ist er ver­letzt – oder spielt er nur den Ver­letz­ten (glau­be ich nicht). Und Grei­ner hat ja recht: Grass liegt so falsch nicht. Nur eben die­se Iro­nie des Schick­sals (die­se ab­ge­grif­fe­ne Flos­kel): Er, der frü­her im­mer wie­der auf den nack­ten Kai­ser zeig­te, ist jetzt sel­ber nackt.

    In »Es le­ben die Il­lu­sio­nen« (Ge­sprä­che mit Pe­ter Hamm) sagt Hand­ke ein­mal sinn­ge­mäss: Ihn in­ter­es­sie­ren Schrift­stel­ler nicht – nur die Bü­cher. So ganz wird das nicht stim­men (man sie­he die Brie­fe u. a. an Her­mann Lenz). Idee: Auch für mich soll es stim­men. Ich le­se zwar Bio­gra­fien (von Schrift­stel­lern), ver­ges­se aber schnell et­li­ches – wo­bei ich glau­be, ich ver­ges­se es »ab­sicht­lich«. An­son­sten neigt man zu sehr da­zu, vom pri­va­ten Le­ben her zu­viel in das Werk hin­ein­zu­in­ter­pre­tie­ren. Ob­wohl – und da geht es mir wie Ih­rer Frau Mut­ter – auch ich brau­che ge­le­gent­lich »Auf­fri­schung« und wenn nicht aus an­de­ren Bü­chern – so kommt sie dann auch schon ein­mal aus der ver­meint­li­chen Pro­mi­nenz. Und wie »stolz« ich dann bin, sa­gen zu kön­nen: Die­ses Buch von dem »be­rühm­ten« Au­tor XYZ in­ter­es­siert mich be­stimmt nicht (bspw. Kehl­mann – Ver­mes­sung der Welt). Olé.