Angeregt durch »en-passant« in einem Kommentar wurde ich auf ein kurzes, aber interessantes Gespräch in der FAZ zwischen Hubert Spiegel und den beiden Schriftstellerinnen Sibylle Lewitscharoff und Felicitas Hoppe aufmerksam. Unter dem leicht philisterhaften Titel »Haben Sie Überväter, meine Damen?« entwickelt sich ein erstaunliches Selbstbewusstsein einer Schriftstellergeneration den »alten Garden« gegenüber.
Es geht gleich in medias res und es fallen kühne Sätze, wie hier von Felicitas Hoppe:
Ist doch interessant, dass man mit dem Alter so nachlässig werden kann, als säße man im Warmen und müßte das eigene Tun nicht mehr so richtig überprüfen. Und das kann man an einigen lebenden, alternden Schriftstellern sehr genau beobachten. Das ist ein Antimodell. Man schaut sich’s an und sagt: so nicht.
Und weiter:
Ich könnte keine einzige Figur der sogenannten deutschen Nachkriegsliteratur benennen, weder männlich noch weiblich, die für mich von tiefergehender Bedeutung wäre. Da sind gute Bücher, natürlich, aber es ist nichts da, woran ich mich ernsthaft orientieren könnte.
Sibylle Lewitscharoff assistiert kühl:
...man bekommt ein Werk durch nichts so sehr satt, als dadurch, dass man immer den Autor davor sieht. Jeder, der zu lange in der Öffentlichkeit war, erzeugt irgendwann Überdruss beim Publikum. Das ist fast naturgegeben. Und noch wichtiger: In dem Maße, in dem Energie in die Selbstdarstellung fließt, wird etwas sehr Kostbares dem Werk entzogen. Das sind verlorene Energien, die von großer Bedeutung sind. [...] Wer zu Lebzeiten als Person das Rampenlicht beherrscht, läuft größte Gefahr, nach seinem Tod als Autor zu verschwinden. Ist der Sargdeckel erst zu, nimmt niemand je wieder ein Buch von ihm in die Hand.
Bis hierher könnte man sich so einige Autoren denken, bis dann Spiegel (natürlich!) auf Walser und Grass direkt zu sprechen kommt. Beide Autoren sind ja bei der FAZ in Ungnade gefallen – Walser seit 2002; Grass seit Herbst vergangenen Jahres. Da wird Sibylle Lewitscharoffs Diagnose natürlich gern gesehen:
Es ist wirklich der Schrecken dieses deutschen Großwetter-Kommentars, der von diesen beiden Figuren unablässig gefordert wurde. Man muss ja auch sagen, sie sind dazu verführt worden, und zwar permanent. Ich glaube, das hat ihnen wirklich das Kreuz gebrochen, auch wenn sie heute noch verehrt werden, aber das hat sie wirklich in die Falle gelockt, in die Werksfalle sowieso. Wenn man permanent in dieser Weise kommentieren muss, sich derart dem Zeitgeist aussetzt und ja auch an die Spitze des Zeitgeistes möchte, dann wird auch das eigene Werk infiltriert. Man ist ja jeder Form der Vulgarität ausgesetzt.
Das soll wohl nun der Todesstoss für das 68er-Diktum des »politisch engagierenden Schriftstellers« sein. Tatsächlich wirken die Attitüden dieses Denkens bis heute nach; Künstler im allgemeinen und Schriftsteller im besonderen werden immer noch gerne als Kronzeugen bestimmter Werte zitiert. Ich glaube jedoch, die beiden Schriftstellerinnen irren dahingehend, wenn sie glauben, ein Walser nach der Paulskirchenrede (die grässlich überzeichnet wahrgenommen wurde und in Wirklichkeit arg hausbacken war) oder ein Grass nach »Ein weites Feld« sei von der politischen Avantgarde noch als seriöser Kommentator aufgefasst worden. Allenfalls als »nützliche Idioten« dienten sie in der ein oder anderen »Aktion« (oder einem Skandälchen) als Gewürz. In dieser Tradition steht auch der mehr als überflüssige Streit um Walsers »Tod eines Kritikers«, in dem sich Schirrmacher (äusserst rüde) von seinem Übervater abnabelte; demjenigen, dem er Jahre vorher noch tapfer die Laudatio gelesen hatte und im Friedensgespräch mit Ignatz Bubis die Wogen beim Rotwein glättete. (Seltsam, dass an beiden Demontagen die FAZ und Schirrmacher mehr als nur beteiligt waren; als sollten »Hitler’s children« [Bohrer] endgültig der intellektuelle Garaus gemacht werden – fragt sich nur: für wen?)
Wir erfahren, dass sich Felicitas Hoppe als Schriftstellerin genug ist und Meinungsführerschaften für sich ablehnt. Sie beschreibt damit etwas, was jahrelang verpönt als »Rückzug ins Private« war. Mir kommt dabei Peter Handkes emphatischer Ausspruch »Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms« in den Sinn – und ergänzend könnte man für Hoppe sagen: ‘ich bin es gerne’ (Handke verstand das übrigens keinesfalls als soziologisch-elitären Abgrenzungsmodus).
Als es schon ein bisschen versöhnlich zu werden schien, und man fast Mitleid mit den »alten Kerlen« bekam, legt Frau Hoppe noch einmal nach:
...das ist doch schön und hilfreich, nämlich, dass es sich nicht lohnt, diesen Herren zu vertrauen. Man braucht ihnen, außer zu Forschungszwecken, eigentlich nicht zuzuhören. Da sind unglaublich aggressive Überlebensstrategien am Werk, und hinzu kommt eine ungeheuerliche Ambition.
Was mir gefällt, ist nicht der gelegentlich respektlos-arrogante Ton, den die beiden den »Alten« vorwerfen, aber selber gelegentlich an den Tag legen. Dies sei vom Leser verziehen. Problematisch ist es auch, fast imperativ zu fordern, vom einen Extrem (den Einmischern) ins andere (den Unbeeindruckten) zu verfallen. Das klingt ein bisschen nach Restauration. Als sei Literatur immer nur in einem abstrakten Umfeld möglich und losgelöst von politischen und sozialen Strömungen. Beeindruckend ist allerdings die Unbekümmertheit und Lakonie, mit der hier Denkmäler zurechtgerückt werden.
Dahinter steht aber dann wirklich ein wichtiger Impuls: Weg von der blossen Personalisierung von Literatur (»Der neue XY« ist da!« – »Na und?«) – hin zum »reinen«, »unschuldigen« Buch, ohne Vorverteilung im positiven (oder negativen) Sinne. Und ohne im Klappentext sofort alles über den Autor zu erfahren. Und ohne Medienrummel. Ich erkenne die Sehnsucht nach einem freien Blick auf das Geschriebene – nicht auf den Schreiber. Und auch weg von der Authentizitätsfalle, in der Autoren heute ganz schnell stecken (weil damit dann doch schnell Öffentlichkeit angesprochen wird). In dieser Hinsicht ist das Gespräch tatsächlich ein Abschied von den Alten. Und das ganz erfrischend.
Lieber Gregor,
ich danke Ihnen für diesen Beitrag. Da ich im Augenblick wenig Zeit habe, um mich noch ausführlicher mit den Inhalt auseinander zu setzen, werde ich in den nächsten Tagen, wenn mir die Termine im Kalender wieder mehr Raum lassen, nochmals vorbeischauen.
Es tut mir gut, bei Ihnen zu lesen.
»Zuhören«? »Vertrauen«? Man hätte keine Ahnung...
Bis vor ein paar Jahren hätte ich vorbehaltlos zugestimmt, vor allem Lewitscharoff, deren – ironischerweise – Nachdenken ich mehr als ihr Schreiben schätze, während Hoppe für mich weder als Schreiberin noch sonstwie bisher überhaupt eine Berechtigung hat. Wofür stünde sie denn?
In einer Literarursendung des BR letztens saß so ein hoffnungslos konventioneller und eilfertiger Moderator vor Martin Walser, der mit der ganzen Generosität seines Alters und seines tatsächlich tief-reichenden und keinesfalls abgeklärten Denkens ihn mit sorgsam und live erwogenen aber ganz frischen Antworten bedachte, Antworten, deren Ausmaß und Überraschungen gar nicht durchdrangen, zumal in diesem Format §im Fernsehen«: 80 Jahre, und – ich habe das schon mal gesagt – was für ein wunderbares Statement: „Wer ein Jahr jünger ist, hat keine Ahnung!“ Und gerade Walser erscheint mir oft jünger als alle diese forsch aber eben auch etwas kurzfristig Formulierenden, hinter deren Sätzen kein Echo je nachklingt.
Hinter die Personalisierung können wir nie mehr zurück, dagegen stehen in einer alles personalisierenden Gesellschaft die Autoren zu sehr als „Marken“ (das sieht man etwa schon am dem armen „neuen“ Ingo Schulze: Das Stellvertreterdasein wird ihm geradezu aufgehalst. Nicht lang, und er wird wie ein Enzensberger in die Pflicht genommen werden. Oder siehe Durs Grünbein usw. Alle Literatur-Instanzen haben ein Bedürfnis danach.)
(Der arme Böll etwa wollte eigentlich immer nur schreiben – und vielleicht hätte es seinen Büchern gut getan. Aber nein, sie haben ihn genötigt, als Gutmenschen herzuhalten. Und seine Bücher sind heute praktisch belanglos, die Stiftung in seinem Namen aber macht Politik.)
Ich war auch oft genervt von Grass et.al. Aber was hilft es denn, wenn keine anderen da sind, bzw. andere sich wohlweislich verweigern. »Wer sich in die Öffentlichkeit begibt, kommt darum um.«
Man betrachte etwas die intellektuelle Tiefenschärfe eines Weizäckers gegen alle seine unbedarften Nachfolger. Deutschland aber braucht diesen Typus des tiefer Bohrenden, der kraft seiner Statur dasteht, und dann auch stehen bleibt. Das ist einfach so. (Einem Goethe kann heute ungestraft voin jedermann ans Bein bzw. an den Sockel gepinkelt werden.)
Und »wir« brauchen auch dringend einen wie Botho Strauß, der sich in der Tradition eines Schmitt, Benn, Jünger... abwendet und uns aus der Uckermark seine kalten Schultern zeigt: Das ist ebenso wichtig. (Ein dritter Typus wäre etwas so jemand wie Anselm Kiefer. Handke ist ein ganz eigener Fall eigener Qualität usw. Siehe aber auch Arno Schmidt. Es gäbe noch andere...)
Und, ich behaupte, diese Haltungen, radikal zugewandt wie radikal abgewandt, als Orientierung, sind auch für viele immer noch wichtiger als neue Haltungen einer gewissen künstlerischen Verblasenheit, die bisher eben keine „Markierung“ hinterlassen haben. Und zuletzt: Die denunzierte „Ambition“ haben gerade diese Damen selber (und wenn man ein paar Hintergründe aus dem Verlagsgeschäft kennt, sind die Frauen da längst die neuen Ellbogentypen – vielleicht ist das gut so?).
Der Witz ist aber, dass eben Grass auch immer noch ein Gigant ist, der Debatten in Gang setzt (und international gehört wird, und verkauft wie blöde usw.). Er setzt einfach immer noch seine Marken in die Aufmerksamkeitslandschaft der Literatur: Und sei es mit seiner unseligen, auch allzu selbstgewiss-eitlen Person, die, künstlerisch erschöpft, es immer noch schafft, „Deutschland“ auf einen seiner Punkte zu bringen. Ob man das noch hören kann, oder nicht.
(Und, Ironie hin oder her, auch der immer für eine Großmäuligkeit gute Maxim Biller schreibt brav seine Adresse an Walser schreibt brav seine Adresse an Walser).
Privates und Werk
Natürlich ist der Wunsch, die Personalisierung quasi aufzuheben, utopisch. Wenn ich ein Buch von Handke aufschlage, aber der Autor mit »XY« angegeben würde – ich würde ihn doch schimpfen, epigonal zu Handke zu schreiben.
Ich bin mir der Unmöglichkeit also bewusst. Und mir ist auch klar, dass die beiden Schriftstellerinnen auf der FAZ-Bühne vorgeführt werden – eben um den Alten eins auszuwischen. Sei’s drum. Und: Ja, die Lewitscharoff ist nicht unbedingt eine meiner Lieblingsautorinnen; ich habe allerdings als Buch nur »Pong« gelesen (fand damals den Bachmann-Preis aber gerechtfertigt – das ganze Buch hielt aber nicht durch) und von Hoppe habe ich nichts gelesen – sie nur gelegentlich mal als hübsch frisierte Autorin im Fernsehen gesehen. Aber warum nicht? Wir sollten ihr / ihnen nicht das absprechen, was wir selber tun.
Neulich Walser gesehen bei »druckfrisch«. Dennis Scheck verehrt ihn offensichtlich und Walsers gravitätisches Erscheinungsbild, das gelegentlich erratisch wirkt, diese angenehm sonore Sprache – ich schätze ihn in den Interviews (mehr als den Autor Walser, dessen Bücher mir oftmals als arg gequälte Beschreibungsprosa daherkam – mit der grossen Ausnahme des »springenden Brunnen«). Und vor Jahren bei Peter Voß, als mit steigendem Rotweinkonsum die Zunge immer lockerer wurde. Ich schätze ihn, was er zur Literatur, zum Gedicht, zu anderen Autoren, zum Älterwerden zu sagen hat. Und natürlich höre ich mir seine politische Meinung an. Die Paulskirchenrede damals habe ich mir extra besorgt, um beim Lesen das »Böse« zu entdecken – ich habe es nicht gefunden. Ausser, dass sich jemand hartnäckig (kindisch?) weigerte, von »Schuld« zu sprechen und stattdessen »Scham« sagte. Das war der Skandal – der mehr über die Befindlichkeit der Republik sagt(e), als so mancher Soziologieband. Die Fehde mit Reich-Ranicki? Ja, Walser hat spät erkannt, dass er von dieser Seite keine Unterstützung hat (Handke wusste das schon 30 Jahre vorher) – und ist es nicht merkwürdig, dass alle »grossen Autoren« bei R‑R keine Gnade finden (ausser der von Ihnen ein bisschen arg gerupfte Böll)?
Zu Grass nur soviel: Ja, man hat ihn gebraucht. Hat. Und all die Reden, Aufsätze, Einmischungen, Verzettelungen – sie waren auch Auftragsarbeiten. Das wird im FAZ-Interview ja auch deutlich. Aber hat Bohrer nicht ein bisschen recht, was die Motivation angeht/anging? Andererseits – wie mein Freund Michael Roloff neulich schrieb: Was sollten sie sonst machen?
Die Angst, die ich immer habe: Hinter der politischen Moral des Autors (oder auch Unmoral?) verschwindet sein Werk (mindestens für die Öffentlichkeit). Handke gilt bei vielen Literaturkritikern noch aus Aussätziger. Die ehrlichen unter ihnen versuchen, das zu trennen; es gelingt selten. Und Strauß’, der sich selber im »Anschwellenden Bocksgesang« als »Rechter« beschrieben hat? (Allerdings diesen Begriff auch definierte.) Nur mühsam unterdrückte Sticheleien (natürlich nicht bei jemandem wie Greiner; einer der herausragenden Literaturkritiker).
Und in den 80ern/90ern »musste« es Grass sein; vorher »natürlich« Böll. Immer wieder fallen die Kritiker (und wenn schon die – wie soll dann eine Öffentlichkeit schärfer urteilen?) auf die Vermischung zwischen Authentizität, Moral und Qualität herein. Der Schriftsteller sei gut – dann ist das Werk gut. Was lernen diese Leute eigentlich während ihres Studiums?
Vielleicht sollte es in Deutschland mehr Übung werden, die (politischen) Meinungen von Schriftstellern als privat zu sehen; losgelöst von ihren Werken (natürlich vice versa!)?
Komisch, dieser Biller...
Regel(n) und ihre Kreise
Ja: „Privates & Werk“ – und da ist gleich so ein Punkt (im Blog geht das, in einem Artikel wäre es wohl fehl am Plattze, wenn nicht sogar schräg): Ist nicht längst „das Bild des Autors“ (bitte die Genazino-Überlegungen mit einbeziehen, falls bekannt) präsenter mehr als sein Werk?
Um das also hier bloßzulegen: Ich habe Hoppe gelesen, fand es verlorene Zeit (das neue Buch kenne ich nicht, habe aber auch keine Haarbreite an Interesse). Was da bei mir wirkt, ist ein seltsames Phänomen (was ich auch bei Antje Strubel beobachte): Die Literatur von Lesbierinnen ist langweilig!
Ich bin mir im Klaren, dass das eine bizarre Bemerkung ist (und vielleicht überhaupt, derart Werk und Sexualität zu vermischen, obwohl sie ja auch dominant oder subtil einander regeln). Aber wieso mag ich Virgina Wolf, Getrude Stein und etliche andere Lektüren, aber die Texte dieser jungen Frauen überhaupt nicht? (Und, um meine ganz persönliche Fallhöhe herunter dieser unkorrekten Betrachtungsweise noch zu erhöhen: Ich habe mehrere lesbische Freundinenn, mit denen ich außergewöhnlich gut auskomme.)
Es scheint also doch so, dass „Haltung“ und Ambitionen... und dann auch die Selbststilisierung des Eigenbildes (der Autor als Marke seiner selbst) da wirken. Und wie sich ihr Werk in meinem Konsum desselben fruchtbar machen lässt. Immerhin berührt es aber eben so auch die Unvernünfte der Leser (die ja mit-angesprochen werden wollen, bei aller Tragschwere der ewigen Argumente). Muss ich meine eigenen Irrationalitäten hervorkramen, wenn die Bücher so brav sind... ?
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Walser fand ich früher als Schriftsteller kaum interessant. Ich entdeckte ihn dann eben als denkenden Zeitgenossen... und mittlerweile halte ich ihn z.B. auch für einen tollen Lyriker hier und da, einen fast immer interessanten Essayisten, einen wunderbaren Sprach-Menschen. (Nur seine Romane fesseln mich leider gar nicht.) Aber als Gestalt ist er doch insgesamt „fruchtbar“, auch was seine öffentlichen Anstößigkeiten betrifft. Und die Bücklinge vor R.R., dem „Rolls’Royce der deutschen Literaturkritik“ (G. Falkner), wären eh schon immer allzu zahlreich. Anscheinend brauchte es da eben jemand von Walsers Statur.
Falls Sie auf den Bohrer Artikel im Merkur zu Grassens „Bekenntnis“ anspielen (Auszug damals in der taz, glaube ich?), ja, DAS hätte schon lange mal gesagt werden sollen! Aber: Hat es nicht eben diese ja, auch Selbstgefälligkeit von Grass gebraucht, diese „Fallhöhe“, um das mal derart formulieren zu können? (So aufregend und auf den Punkt wie bei Bohrer hatte ich es bisher nie gelesen. )
Irgendwie scheint mir in all diesen gegenseitigen Verdikten der Aspekt der gegenseitigen Bedingung all dieser Akteure zu kurz zu kommen. Insofern muss im Gesamtzusammenhang doch auch das Persönliche, das Einzelne, das Subjektive da mit bedacht werden. Wie aber macht man das? (Ich spiele hier natürlich auch noch einmal auf die in Blogs möglichen Tonlagen an. Erst „Namhafte“ können sich ja oft erst leisten, sich subjektiv wie in einem Blog auch in den Groß-Zeitungen auszudrücken.)
Was also bei den „Außenseitern“, den – zumal in Deutschland nötiger scheinenden – Konsensstörern auffällt, ist, wie sehr sie doch zur Bestimmung eines Gesamtklimas beitragen. Wie notwendig sie sind! Wie weiter führend!!! (Schon deshalb müsste man Handke erheben! Und dabei IST er fraglos noch ein Ausnahmekünstler!! Und ob dieser Teil an „Kultur“ zur Debatte sich bewahren lässt? Mit „Jüngeren“? [Mir fiel das letztens angelegentlich dieser Eintagsfliege Thor Kunkel ein...])
Um es mit einem bekannten Beispiel aus der Kybernetik zu sagen: Reguliert eigentlich der Thermostat die Raumtemperatur oder die Raumtemperatur den Thermostaten?
„Das Bild des Autors ist der Roman des Lesers“ (Wilhelm Genazino)
Also „Beiwerk“ ist ein Oeuvre sicher nicht – man könnte sogar mit der Vertrashung etwa solcher Kaliber wie DSDS von einer gewissen Rücklehr des Handwerks sprechen; „Meisterschaft“ wird so zu sagen auf einer Zeitebene egalisiert) -, das Oeuvre, anderswie komplex, darin sperriger, kann nur schlecht in die andere Medien transferiert werden, wo der Schöpfer aber präsent sein muss (weil es nun mal Präsenzmedien sind, nämlich jene, die für die Bild-Werdung der auftretenden Personen und ihres jeweiligen Glamour-Faktors sorgen... wovon sie dann selber leben).
Ihre Zahlen (die ja „Quoten“ sind) machen es deutlich: Wo noch vor ein bis anderthalb Jahrzehnten »neue« Autoren Auflagen von 3.000 zu erzielen waren (Romane) und sie damit als relativer Erfolg galten, fangen „Erfolge“ heute viel höher an und rechnen damit die Kleinauflagen ganz raus (ich spreche hier von den guten alten Publikumsverlagen à la Rowohlt und Fischer etwa, die jetzt nach Controlling-Weisheiten geführt werden).
Und Sie haben recht: Bücher reichen nicht – ein „Bild“ des Autoren wird gebraucht (also alles, was dieses aufrüschen kann: Was also wieder einen Mehrwert der medialen Vermittlungs-Erzählung generiert).
Selbst wenn man sich übrigens da verweigert – am prominentesten natürlich Pynchon – braucht es und gibt es auch ein „Bild“. Ich vermute, die gute alte Benjamin’sche „Aura“ können da einiges erklären, mitsamt der Dialektiken von Original und Identifikation etc. Das kann man aber ohne Umstände heute eben auch den „Markencharakter“ eines Namens, einer Handelsware nennen. Und als Künstler verschärft im Modus der Ich-AG kommt man da nicht dran vorbei.
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Das mit dme Lesbentum war insofern eine blöde Bemerkung von mir, als es – als etwas Unbegriffenes – dann doch wieder auf eine Unterbestimmtheit zeigt: Ein Zeitgeistmoment? Man muss einfach sehen, dass auch die Kulturware „Literatur“ starken Seiteneffekt-Mode-Strömungen unterliegt, die selber wieder auf die Aufmerksamkeit und damit die Verbreitungswege Einfluss haben.
Überall hört man etwa von der Pornographisierung des Mainstreams; anderswo (etwa im Musikbusiness) war es schon immer wesentlich, „gut“ (interessant, eigen) auszusehen. Auf die Gefahr hin, dass es noch einmal nach Ressentiment klingt: Haben Frauen hier nicht Vorteile? Gibt es nicht durch den Zwang zum Bild so etwas wie eine Effeminisierung des Künstlertums? (So wie Männern, Stichwort „metrosexuell“, eingeredet wird, jetzt auch viel Geld in Haupflegemittel investieren zu dürfen.)
„Genderisierung“: Es gibt da einen Zusammenhang! (Und ich könnte das weiter ausbauen.) Der Typus jedenfalls des knorrigen Alten (à la Grass) verliert ebenso wie der der „Söhne“. Brigitte-Kultur ist angesagt, aber Heidenreich nicht Kronauer. Es geht ja vielleicht tatsächlich eher um die Bedürfnisse der Töchter heute, wenn man so will. (Wer liest, wer kauft denn die Medien? Wer bewertet sie, wer bringt sie in die Kanäle? Was ist unsere „Zielgruppe“, na? Frauen überall.)
Aber ich will gar nicht polemisieren. (Obwohl ich bei mir selber immer mehr feststelle, wieviel Spaß es macht! Ich vermute nämlich überhaupt, dieses Abwägen von komplexen Argumentationslagen ist längst „out“. Man spricht vom „narrow field“: Verschaff Dir einen Überblick und triff’ eine Entscheidung! Bauchgefühl, soziale Intelligenz, Intuition! It’s a womens world! Das schafft ja auch viel Gutes... Übrigens las ich letztens ein enrsthaftes Pläyoder dafür, über Bücher auch zu reden, wenn man sie nicht gelesen hat! Es war hanebüchen... aber ich kann es hier trotzdem schlecht wiedergeben.)
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Grass also (und wofür er steht) ... ist für mich seit langem verjährt. Insofern stimmte das auch nicht ganz mit dem Abschied (und schon in den Achtzigern... und eigentlich ja immer... gab / gibt es diese Absetzbewegungen von den Alten [und Grass-Bashing eigentlich seit ich denken kann]).
Was man so von Walser lääängst nicht sagen kann! (Man lese etwa sein Geburtstagsinterview in der FR vom Samstag! Allein die Frage danach, wieviel Recht der Autor eigentlich hat – der Einzelne also, der ewig zu kurz Zitierte, der mutwilig Skandalisierte usw. – sich gegen etwa einen Reich-Ranicki [die „BILD“-Zeitung, gegen alle Böswilligen oder auch nur Blöden der Welt] auch mal mit so einem Buch wie „Tod eines Kritikers“ zu wehren... Denkt einer der eilig Einverstandenen mal daran, sich so eine Frage zu stellen? Warum soll man eigentlich immer der „VerAntWORTlichte“ sein? Mag sein, dass man sich derart kurzfristig einmal auf das dünne Eis seiner Feinde begibt. Aber auch das gehört anscheinend heute mit zur öffentlichen Performanz.)
Zurück zum „Bild“: Vielleicht MUSS man aber immer auch die Persönlichkeit des Autors mitbedenken, weil der Begriff selber längst ein anderer ist. (Die kluge Brigitte Kronauer denkt ja viel darüber nach. Von Genazino dazu das Buch gleichen Titels in der Kopfzeile.)
Und Hermann Lenz? Wer könnte denn, ohne eben solch eine menschenfreundliche Persönlichkeit (und die Erfahrungen, die sie bestätigt haben!), die eigene relative Bedeutungslosigkeit einfach annehmen, sie hinnehmen? Andererseits: Wieviel Schmerz bedeutet das? (Nach meinem Empfinden etwa doch sehr spürbar in „Seltsamer Abschied“ z.B..)
Und von solch einem „Sonderling“ ist man dann wieder gleich an diesem winzigen Regelkreis-Fühler, der dann doch eben auf den ganzen Raum (wie der Einzelne auf die Gesellschaft) irgendwie zurückwirkt: Man hat ja gar keine andere Chance als eben die, des je persönlichen Beteiligtseins – wie auch immer.
Die Kehrseite all der Sättigungseffekte, wo jeder aus Schreibschulen in Leipzig oder Hildesheim gleich zu veröffentlichen anfängt, ohne „etwas erlebt“ zu haben, ist nämlich dann auch wieder diese Suche nach dem ganz anderen, dem bisher Übersehenen, den Sonderlingen mit ihrem ganz eigenen Blick auf die Welt. Wer weiß schon, wo diese Moden hinführen? Dabei: diese Modisten des Mainstreams schielen ja bald selber wieder auf die Sonderlinge, weil sie, ohne deren beispielgebende ästhetische Ingeniositäten, eben auch bald nicht mehr wissen, wie’s weitergeht. All diese Bestseller sind ja oft one-hit-wonder oder Sonnenschirm-Schmöker, deren Vergessenheit regelt sich selbst.
Radisch hat es einmal in einem schönen „Grundsatz“-Artikel (anlässlich der rührigen aber auch etwas betulichen Aktivitäten der „Stiftung Lesen“, glaube ich) gesagt: Lesen gewisser Literatur ist eben nur für Wenige. Ansonsten ist Lesen (Denken) eine Kulturtechnik unter vielen, die seit dem „iconic turn“ dabei ist, ihren Stellenwert immer mehr zu verlieren. Und „Kirmesgedudel“ ist wie alles Spektakel eben immer lauter, bunter, mehrheitsfähiger. Aber (Walser, in besagtem Interview): „Alle Literatur wirft einen weißen Schatten“.
Gratwanderung
Die Verweigerung des »Bildes« des Autoren (Sie nannten Pynchon) ist ja in Wirklichkeit – vielleicht! – auch nur Pose. Das ist ja das, was viele Leuten wie Handke vorwerfen, die sich einerseits als »Lass-mich-in-Ruhe« präsentieren – dann aber Interviews geben. Bei Handke war das allerdings im Mai/Juni vergangenen Jahres zwingend notwendig, da man drauf und dran war, über seine politischen Äusserungen (diese fast absichtlich, manchmal wollüstig missverstehend) sein Werk zu zerstören (siehe auch die Absetzung seines Stückes in Frankreich). Also musste er – als sei er ein unartiger Schüler – den zahlreichen Nichtlesern und Demontierern expressis verbis erklären, dass er Srebrenica als schrecklich empfindet (das hatte er zwar mehrfach geschrieben, aber eben auf seine Art). Hier wurde Konformität eingeklagt, die abseits vom Werk steht, ja, wenn man das Werk kennt, überflüssig gewesen wäre.
Und da erscheint es ein bisschen arg heuchlerisch, wenn Grass sich auf der Leipziger Buchmesse über die Journalistik beklagt, sie – durchaus handkeähnlich – unflätig beschimpft. Und das er, der jahrzehntelang auf der Klaviatur des Mainstream-Setzers so virtuos spielte, beklagt das, was er selber mit grosser Lust (zuletzt dann noch gegen Handke) einsetzte. Da tat er mir dann leid, der Günter Grass, weil er endlich einmal den Gegenwind zu spüren bekam, den er selber immer und immer wieder missliebigen Persönlichkeiten ins Gesicht geblasen hatte. Denn das »Grass-Bashing«, was Sie meinen, hörte vorher immer dann auf, wenn es auf die Person Grass gerichtet war, d. h. man »unterstellte« ihm immer »das Gute« – einige (wenige; darunter Reich-Ranicki) fanden nur den Weg ein bisschen holprig. Insofern hat er natürlich recht: Seit Herbst hat sich das grundlegend geändert (womit wir wieder bei dem Gespräch wären). Die Kritik von Lewitscharoff und Hoppe wäre so früher nie in einer »Grosszeitung« gedruckt worden.
Es ist aber so: Wenn erst einmal das »Gross-Feuilleton« zum Abschuss geblasen hat, dürfen auch die niederen Chargen nach vorne und mal schiessen.
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Ich weiss nicht, ob es Frauen leichter haben. Als vor einigen Jahren die »Fräulein-Wunder«-Literatur aufkam (Judith Hermann et al.) dachte ich das mal. Und wenn eine (gutaussehende) Frau wie Ariadne von Schirach über die Pornografisierung des Mainstream schreibt – dann ist das wohl so. Die Dame hüpft nun von einer Präsentation zur anderen – mit einer abgrundtief banalen und lächerlichen These, die längst niemand mehr bestreitet und Allgemeingut ist. Da es aber Männer toll finden, wenn eine Frau über so etwas erzählt, und weil der »Spiegel« auch mal wieder jemanden entdeckt haben will – sei’s drum. (Nebenbei: Haben Sie schon einmal Musikvideos ohne Ton angeschaut? Wie unsäglich primitiv das dann wirkt! Ein gutes Musikvideo besteht diesen Test.)
Heidenreich und Brigitte – das passt ja. Sie gibt ihre Literaturfavoriten dort ‘raus. Ich glaube, Figuren wie Reich-Ranicki oder Heidenreich dienen den Leuten als Anker. Man will seinem Onkel, Eltern, beste(n) Freund(in) was zum Geburtstag, zu Weihnachten oder als Mitbringsel schenken. Was bietet sich da an? Ein Buch. Aber welches? Niemand überblickt mehr das Angebot (wie auch?). Und da gibt’s eben »Lesen«, in der schrecklich-triviales vermieden wird (hochliterarisches allerdings [natürlich] auch; wie igorant muss man sein, um sagen zu können,d ass in der deutschsprachigen Literatur derzeit »nicht viel los« sei).
Mittelstandsunterhaltungsprosa. Institutionalisiertes Banausentum: Wie oft die Heidenreich von »dicken Büchern« schwärmt und von »Schmökern« (merke: jemand, der »Schmökern« sagt und »Leseratte« und »Bücherwurm« ist verloren, und zwar für immer).
Aber was mich auch immer merkwürdig melancholisch stimmt – insbesondere, wenn ich so etwas von Radisch höre ( Lesen gewisser Literatur ist eben nur für Wenige): Warum stilisiert man das Lesen von LITERATUR derart hoch? Wenn Leute »Goethe« hören, winken sie doch ab – obwohl sie (ausser vielleicht in der Schule) nichts von ihm gelesen habe. Aber da thront dann oben das Buch (das Werk) und ist »nichts für mich«. Und statt diesem emphatisch zu widersprechen, pflegt man das elitäre Urteil noch. Das ist natürlich eine schmale Gratwanderung: Profanisiert man Literatur (wie Reich-Ranicki) in »gut« oder »schlecht«, in »Fällen« – oder vermittelt man vielleicht zunächst einmal. Es gab in den letzten Jahren eine Fernsehsendung, die sich »Bestenliste« nannte (mit Hubert Winkels). Dort wurden die Bücher, die die Literaturkritiker auf die Bestenliste wählten, in unterschiedlicher Art besprochen: Durch Lesung; Rezensionsgespräch; Autorengespräch; Streitgespräch zwischen zwei Kritikern; filmische Vorstellung (eher selten). Manchmal wurde aus einem Buch in einer Sendung vorgelesen – in der nächsten gab’s dann ein Streitgespräch – oder ähnliches. Die Sendung war gut (trotz Winkels’ gelegentlichem Oberlehrerton) – wurde aber nach ungefähr 2 Jahren eingestellt. Vermutlich wird es an der Quote gelegen haben – wobei es natürlich schwierig ist, Sonntag morgen um 10 Uhr Zuschauer für so etwas zu begeistern (nicht alle werfen den Rekorder an).
Die Schreibschuleleven wird man vermutlich wieder reichlich beim Bachmann-Preis vorgesetzt bekommen. Der Vorwurf, die Autoren erleben nicht genug, um was zu schreiben, führt aber u. U. in die Irre. Natürlich kann es im Frieden keine Nachkriegs-(»Trümmer-«)literatur geben. Aber: Wenn dann jemand wie Stanisic auftritt und den Bosnien-Krieg rekapituliert, wird er zerpflückt – weil er natürlich was riskiert.
Das Selbst-Bild als Text
Der Vorwurf zur Pose ist leicht zu machen... und auch zu begründen, weil man sich als Bildverweigerer ja doch innerhalb der Paradoxien des Bildes, nämlich eben seiner Unentrinnbarkeit begibt: Du sollst Dir kein Bild machen – das ruft das Bild natürlich erst recht hervor. (Ähnlich wie bei der „Indizierung“ (wörtlich: des Fingerzeigs [darauf], des Hinweises): Dies und das ... ist verboten, also interessiert sich jeder dafür usw.)
Obwohl ich Handke gern reden höre – bei ihm gibt es eine ähnlich skrupulöse Vorsichtigkeit mit den Wörtern wie etwa auch bei Walser, was gleich Tiefen- und Bedeutungsräume öffnet, abgesehen davon, dass es die Leichtfertigkeit des allermeisten öffentlichen Daherredens entlarvt – obwohl ich ihm also gern zuhöre, selbst wenn er stottert oder schimpft (das ist bei ihm voller komplexer Anklänge, „menschlich“ in einem besten Sinn), habe ich nicht verstanden, wie er sich auf die gar nicht zu vermeidenden Argumentationsfallen einlassen konnte. Hätte er sich hingestellt und sein Bild des „Schweigenden“ abgegeben, hätte er vielleicht mehr damit hervorgerufen?
Ich vermute nämlich, es geht um dieses „Hervorrufen“ – mittels der Bilder, des Ungesagten also. Zu schweigen von komplizierten Argumenten: Allein die Worte sind nämlich schon immer komplex über-besetzt: Allein wer „Jugoslawien“ sagt, öffnet einen Raum, in den er gar nicht mehr unmoduliert hineinsprechen kann. Solch eine Anstrengung kann vielleicht noch ein sorgfältiger Text leisten, aber auch das wäre höchst ungewiss. Und sie, die Heikelheit der Argumentation dann lebendiger Rede auszusetzen, dazu von einem derart lebendig Suchenden, wachen, „bebenden“ Geist wie Handke... das erreicht seine Adressaten kaum. (Bzw. dann eben nur als „Skandal“.)
Hier schafft er es auch nicht mehr, seinen vorgeblichen Kompentenzmangel im öffentlichen Reden – nicht-fließend, suchend, skrupulös... – in einen Vorteil an Glaubwürdigkeit zu transformieren: In der Politik muss man „sicher“ sein, so ist es der Rezepient durch die zillionenfachen weg-gezappten Äußerungen gewohnt. (Entlarvend: Merkel sagt es zu jeder, auch der lächerlichsten Gelegenheit: „Ich bin fest davon überzeugt, dass...“ und es scheint bei ihr nicht nur ein Indiz für die Inhaltsleere ihrer Rhetorik selber, sondern geradezu ein Kompetenz-Kompensat für das „weibliche“ Standing gegenüber der erbarmungslosen Medienmaschine, die jedes Lippenzucken einfängt: Sie hat das wohl auch bitter erfahren, wie ihr „Bild“ ihr Wollen überformt. Und dann umstellt von demonstrativ selbstgewissen Landesfürsten. So wirkt das Bild der anderen dann in einem selbst.)
Aber all das mit dem „Bild“ bleibt eh immer heikel. Warum ich mich trotzdem darauf einlasse... ich denke, das mit dem „Bild“ ist kompliziert, und mich interessieren gerade die Paradoxien. (Längst ist auch „Image“ etwas, das mehrdimensional zu sehen ist: Selbst der Schlagerfatzke weiß, dass er auch Hasser und Verächter hat, die ihm zuhören, und dass er sie anspricht, so oder so, dass er sie geradezu mit-adressiert.)
Handkes Stärke aber, dass er sein Bild nicht unter Kontrolle hat, dass er anderswie „wahr“ spricht, wird ihm in gewissen Zusammenhängen zur Schwäche. Und diese Unwägbarkeiten, besondere Seiten des jeweiligen persönlichen Anteil des „Bildes“, hat in Bildmedien jeder von sich. Das ist, warum das Medienbild dann auch so oft das falsche ist: Entweder ist es überkontrolliert – dann ist es einseitig und flach; oder es öffnet diese anderen Seiten – und gefährdet dann die Person mit, die nicht in ihrer „Rolle“ als Sprecher erkannt wird – sie wird so zu sagen verwechselt. Die Person aber bleibt zugleich in der Wahrnehmung subtil als eine andere gedacht.
(Das etwa ist die Stärke solcher Leute wie Dieter Bohlen und so mancher „Moderatorin“ sowie der Nachmittagskrawallshowtalkgäste: What you see is what you get. Die Zweifellosigkeit schafft beim Zuseher fats so etwas wie eine Erleichterung.)
Dass eine solche Öffentlichkeit des Spektakels natürlich auf Tiefendimensionen eines Werkes – egal ob eines Handkes oder Grass’ – dann im Regelfall: Dem der zu regelnden Skandalisierung, im Falle des ans stellvertrende Gute delegierte Autoren dem nicht folgt, nicht eingehen kann, ist leicht einzusehen.
(Grass als Nobel-Schriftsteller mit „dem“ Preis kann das aber auch dann nicht verziehen werden. Dabei ist er mittlerweile vielleicht nur ein wenig schrullig? Ich weiß: Darf man so despektierlich eigentlich nicht sagen, aber manchmal kommt Schrulligkeit doch vor. Übrigens häufig bei Abgehobenheiten à la Nobelpreisträgern.)
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Was die Verweiblichung angeht – naheliegend ja bei so einer weichen Sache wie Literatur und einem gedanken-klugen Geschlecht -, so wollte ich sie nur erst einmal aufs erste Bild, auf die oberste Schicht Image gemeint wissen: Auf die Art Verkaufs-Performanz, wenn man dann mit seinem Erzeugnis in die Verwertungskanäle eingespeist wird.
Von Schirach habe ich letztens plaudern hören (übrigens in „Kulturzeit“ – ein ebenso wie sein Gegenstand oberflächlicher Beitrag leider): Dieser Art von selbstgewisser Geläufigkeit würde ich vermutlich auch „im Nachtleben“ nicht mehr begegnen wollen. Aber es ist ähnlich bei anderen (ob bei der jungen deutschen ernsthaften „Debütantin“... oder wie gerade bei dieser „Fotomodel Autorin“ Marisha Irgendwas aus den USA): Das Buch – nicht die Literatur – braucht die Gesichter, braucht den „Look“... gegen den sich dann natürlich alle verwahren. Gewinnen tun die Marketer: Wenn eine Frau SO aussieht, muss man das auch zeigen! Das „zeigen“ schon die Zahlen...
Und natürlich muss das gegen das Schreiben dahinter überhaupt nicht sprechen. Aber Ihren Wunsch, dass man oft lieber nichts weiter von einem Autor wüsste, um seinen Text erst einmal unbehelligt lesen zu können, teile auch ich.
Das Gegenteil habe ich aber in der Familie: Meine Mutter, die viel liest... sähe es aber gar nicht ein, ein Buch in die Hand zunehmen, wenn sie von dem Autoren nicht sonst etwas gehört hätte (im Zweifelsfall also „im Fernsehen“, Grund für sonst eine Berühmtheit) bzw. wenn dieser Autor nicht auch über sich und seien Familie schriebe. „Fiktion“ als Versuchsraum (und sei es nur für’s Denken ähnlich wie in meiner Auffassung von Blogs) hat für manche kaum Stellenwert. Da ist das Bild dann eben Waren-Information, so zu sagen „Auszeichnung“ wie das Preisschild, und ihm wesentlich zugehörig.
Und die „Schmöker“ und „Bücherratten“... ja, die sterben wohl nicht so schnell aus. Lesen bedeutet für viele eben auch das: Gemütlichkeit im Ecksessel oder unterm Sonnenschirm! Das Buch als Medium der Zurückgezogenheit. Und das bleibt sicher auch so.!
Was den (noch; partiell) hohen Stellenwert von Literatur angehet, so ist das wohl ein Relikt von Humanismus und Bildungsgut. Diese hohen Werte sie sind etwas in Reserve, etwas, auf das man – im Falle dass – zurückgreifen kann. Vielleicht ein Hallraum auch des eigenen kulturellen Selbstverstehens (Goethe, ein Deutscher – immerhin!). Dass „man“ eigentlich ein profaner Geist ist, das weiß jeder irgendwie, wenn er auf seiner Fernbedienung herumdrückt. Man könnte also, im Ernstfall, immer noch Lesen... auch wenn man es schon jetzt nicht mehr kann. Das „Thronen“ ist zugleich der Wert, und das, was einen heimlich daran abstößt. Man nimmt ja in Wahrheit der Literatur ihre Schwierigkeit oft übel. („Schreib wie Dir der Schnabel gewachsen ist.“) Da macht man sich lieber gemein.
Diese Winkels-Sendung damals fand ich oft gut, weil sie – außer in der notorischen Bereitschaft zur Zuschickung der Liste, für Sammler anscheinend – gar nicht mehr so sehr versuchte, sich anzudienen. Und dass man da, trotz der unvermeidlichen Schnellvorstellung des Autors, dann auch schon „etwas wissen“ musste, war wohl auch der Tod der Sendung. (Der kam allerdings mit dem neuen Intendanten, einem ZDF-Proporz-Menschen... der dann auch noch das – flotter als anderswo – Kulturmag des SWF kippte und dazu eine halbstündige Kunstsendung einmal in der Woche, die es auf diesem Sender gab, immerhin!)
Mit Winkels hatte ich mal zu tun, und weiß, dass er ein aufrichtiger Vermittler ist, dem auch ein reflektiertes (mediales) Selbstverständnis wichtig ist. Und diese D‑dorfer Hörisch-Winkels-Linie der Vermittlung fand ich lange Zeit nicht die schlechteste, weil sie ihre Kategorisierungen vielfältig bezog und dabei immer offen legte, damit auch weiterführend und urteilsoffen blieb. Ihren Versuchen zu Urteilen musste ich nie folgen. Dass sie mit ihrer Kennerschaft auch des Entlegeneren selber wiederum Bedeutung und Stellenwert für sich usurpiert, ist legitim, und hat auch mit medialen Aufmerksamkeitskämpfen zu tun. Dass W. sich nicht entblödete, sich mal neben Karasek zu setzen und sich auch noch von ihm maßregeln zu lassen... naja. Revierbehauptungen. Karasek war dann ab irgendwann wohl da, wo er leider hingehörte (ist er da noch?): In Ratesendungen.
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Das mit dem „Selbsterleben“ sollte man, glaube ich, nicht unterschätzen. Es – dessen Inhalte – braucht nicht einmal Thema zu werden, aber man braucht die eigene Person wohl doch schon als Resonanzraum dessen, was die Fiktion zwar leicht ersinnt, aber unter Umständen nicht rückbezogen bekommt (siehe etwa dieses „Pong“ Lewitscharoffs). Oft, finde ich, gibt’s bei Bachmann-Kandidaten gute Ansätze, aber sie unterliegen dann entweder der Striktheit (und damit eintretender Blutleere) ihrer eigenen Idee, oder dann eben einem Mangel, von dem ich meistens vermute, dass er doch ein persönlicher ist: Wie man ein elaboriertes Schreibprogramm oder eine Ästhetik durchhält, wissen die alle. Nur reicht das dann manchmal nicht.
Aber insgesamt steht Bachmann heute vielleicht sowieso eher für die Eventisierung von auch solch etwas aus dem (unheroisch gemeint) Einsamsten Kommenden wie Schreiben. Es ist wohl bal nicht mehr weit von Slam-Klamauk: Literatur als Kabarett. Und die meisten halten das („Oralität“) auch noch für eine Art Erneuerung!
Argumentationsfalle
Handke hat sich lange der Argumentationsfalle verweigert. Erst als die Diskreditierung des gesamten Werks drohte, bezog er »eindeutig« Stellung (in der FAZ und SZ). Ich fürchte, es ging nicht anders – für die Masse waren / sind seine Jugoslawien-Texte einfach zu kompliziert und etliche woll(t)en sie auch falsch verstehen. Mit Greiners Position – die ablehnend war – hatte ich nie Schwierigkeiten, aber mit vielen anderen Maulhelden (gemeint sind nicht die dummdreisten Blogschwätzer, die schon längst vergammelt in ihren Gräbern liegen werden, wenn Handkes Bücher immer noch Weltliteratur sein werden) waren (sind) unerträglich; insbesondere dieser offensichtlich alzheimerisierte Karasek.
Und natürlich muss da Handkes Reden, was ja immer auch ein Suchen ist, wie Gestammel und Gestotter daher kommen, weil es nicht so geleckt ist. (Im neuesten Gesprächsbuch mit Peter Hamm ist es sehr schön übertragen.) Welche Skepsis muss das »glatte Reden« eines Grass erzeugen – ist es / war es nicht oft genug »Schröder-gleich« und nur Bausteine zu den jeweiligen »Themen« absondernd? Was sind das für Schriftsteller, die auf jede Frage sofort die wohlgeformte Antwort für das Mikrofon haben?
Und – was Michael Roloff immer betont – in Interviews narrt Handke auch gelegentlich den / die Journalisten. Das macht es auch nicht leichter! Und natürlich noch sein Trotz (der überflüssige »Sommerliche Nachtrag«; die kryptisch-schöne »Tablas von Daimiel«-Schrift – und – ja, das ist wohl Handke – seine Besuch auf Milosevic’ Beerdigung).
Handke hat den »Sprengstoff« seiner Jugoslawien-Schriften m. E. unterschätzt. Ich war damals in Frankfurt, als er fast die ganze »Winterliche Reise…« las (mit fester Stimme, aber sehr behutsam) und danach die wilde Diskussion (u. a. mit einem Vertreter einer Menschenrechtsorganisation – der eindeutig das Buch nicht gelesen hatte und auf Eindrücke der Lesung ein bisschen holprig rekurrierte), die er anfangs wie ein Unbeteiligter fast belustigt zur Kenntnis zu nehmen schien. Vor der Veranstaltung Taschenkontrolle. Im Saal das Verhältnis ca. 50:50; ein Transparent gegen Handke. Als der Menschenrechtler zu poltern begann, fast Tumulte. Handke bat um Ruhe, dass der Mann ausreden könne. Jürgen Busche versuchte damals die Moderation; war aber nicht neutral (pro Handke). Die absolute Stille dann, als Handke erzählte, wie er früher auf seinem Schulweg den gelegentlichen »Überfällen« begegnete: Er begann, die ihm körperlich überlegenen Knaben nach ihren Eltern, ihrem Zuhause zu fragen – und sie begannen zu erzählen; liessen von ihm ab. Diese Szene werde ich nie vergessen. Kurz danach stand er einfach auf, verabschiedete sich knappund ging.
Natürlich ist auch bei Handke vieles »Pose« – aber keine »künstliche Pose«. Er schaut dann nicht auf seinen Vorteil und springt nicht auf Züge, die grossen Ruhm bringen (Jugoslawien sei seine »Herzenssache« – so hat er es wohl mehrfach formuliert). Das stört(e) mich bei Grass immer: das Geschliffene; Glatte; das für-den-Salon-fertige. Jetzt ist er verletzt – oder spielt er nur den Verletzten (glaube ich nicht). Und Greiner hat ja recht: Grass liegt so falsch nicht. Nur eben diese Ironie des Schicksals (diese abgegriffene Floskel): Er, der früher immer wieder auf den nackten Kaiser zeigte, ist jetzt selber nackt.
In »Es leben die Illusionen« (Gespräche mit Peter Hamm) sagt Handke einmal sinngemäss: Ihn interessieren Schriftsteller nicht – nur die Bücher. So ganz wird das nicht stimmen (man siehe die Briefe u. a. an Hermann Lenz). Idee: Auch für mich soll es stimmen. Ich lese zwar Biografien (von Schriftstellern), vergesse aber schnell etliches – wobei ich glaube, ich vergesse es »absichtlich«. Ansonsten neigt man zu sehr dazu, vom privaten Leben her zuviel in das Werk hineinzuinterpretieren. Obwohl – und da geht es mir wie Ihrer Frau Mutter – auch ich brauche gelegentlich »Auffrischung« und wenn nicht aus anderen Büchern – so kommt sie dann auch schon einmal aus der vermeintlichen Prominenz. Und wie »stolz« ich dann bin, sagen zu können: Dieses Buch von dem »berühmten« Autor XYZ interessiert mich bestimmt nicht (bspw. Kehlmann – Vermessung der Welt). Olé.