Es ist schwierig, in der allgemeinen Skandalisierung um die Frankfurter Richterin, die dann flugs zum Beleg für die »Koranhörigkeit« der deutschen Justiz aufgeblasen wird, eine besonnene, ruhige Stimme zu finden, die sich dem allgemeinen Gegeifer nicht anschliesst. Selbst so liberale und normalerweise verantwortungsvolle Politiker wie Dieter Wiefelspütz von der SPD waren nicht vor vorschnellen Verurteilungen gefeit; da wollte wohl niemand zurückstehen.
Heribert Prantl stellt in der heutigen Ausgabe der »Süddeutschen Zeitung« klar, dass die »Affäre«, die (von den üblichen Verdächtigen liebend gerne) als »Kulturkampf« hochstilisiert wird, nur ein juristischer Pups ist.
Dabei lässt Prantl – natürlich! – keinen Zweifel daran, dass die Begründung der Richterin grober Unfug ist. Natürlich darf man sich nicht auf den Koran beziehen, der (je nach Auslegung) häusliche Gewalt rechtfertigen könnte. Aber Prantl stellt auch klar:
Die Richterin hat kein Urteil gefällt. Und sie hat mitnichten geduldet, dass der marokkanische Ehemann seine Frau prügelt. Sie hat auch nicht ein eheliches Züchtigungsrecht gebilligt. Das ist alles Unsinn. Das Gericht hatte den prügelnden Ehemann der scheidungswilligen Frau schon im Juni 2006 aufgrund des Gewaltschutzgesetzes aus der Ehewohnung verbannt; es untersagte dem Mann, sich der Wohnung weiter als fünfzig Meter zu nähern.
Es ging nun darum, ob der Frau zuzumuten war, mit der Scheidung noch die (wenigen Monate) abzuwarten, bis das nach dem Gesetz obligatorische Trennungsjahr abläuft. Die Richterin kam nun zu dem Schluss, dies sei zumutbar, begründete dies jedoch mit dem törichten Hinweis darauf, dass die Eheleute aus einem anderen Kulturkreis stammten. Prantl weiter: Das war eine unwürdige, eine obszöne Begründung, mit der die Richterin wohl davon ablenken wollte, dass sie zu bequem war, rasch ein Scheidungsurteil zu fällen, das sich ein paar Monate später quasi von selbst schreibt.
Der justizinterne Kontrollmechanismus hat allerdings sehr wohl funktioniert – die Richterin wurde als befangen erklärt und ersetzt; die Sache anders entschieden.
Am Ende wird Prantl dann sehr deutlich:
Für Hysterie gibt es keinen Anlass. Wer nun einen »Koran-Alarm« auslöst und behauptet, die Justiz sei islamhörig, der betreibt Hetze.
Dem ist wenig hinzuzufügen. Wer diese »Affäre« wollüstig aufbauscht und so nebenbei noch die Unabhängigkeit der Justiz besser »kontrollieren« möchte, sät etwas, was er irgendwann dann ungern ernten will. Also besser den Schaum vorm Mund abwischen und den Kopf für die wichtigen Sachen freimachen. So wenig Vertrauen hat unsere Justiz wirklich nicht verdient.
Und noch etwas: Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass gerade diejenigen, die mit den westlichen Werten unter dem Arm spazieren gehen, die Schlimmsten, die Pharisäerhaftesten sind.
Deine dezidiertere Betrachtungsweise
war wie immer sachlich filletierend. Danke, dass du nebenbei noch
die Hystericas und die Sämänner/frauen an ihren Schaum vor dem Mund erinnerst. Ich befürchte allerdings, ihnen mangelt an Verstand
und Durchdringungsfähigkeit der Sachlage.
Pharisäerhaft ist eine gelungene Attributierung.LgCleos
in diesem Zusammenhang
...hörte ich soeben die Vorankündigung in der ARD, dass am Sonntagmittag der Presseclub sich mit diesem Fall und der Frage: »Will der Islam uns unterwandern?« befassen wird. Manchmal kann man sich nur noch an den Kopf fassen.
Mal abwarten
Ist natürlich eine billig-blöde, quotenheischende Ankündigung. Aber mal sehen. Immerhin soll Heribert Prantl auch eingeladen sein, und der kommt ja meistens gerne...
Die Sendung war ja dann ziemlich ausgewogen. Interessant – am Rande – fand ich, dass Prantl den Begriff »Leitkultur« verwandt und definiert hat. Ich glaube, das hätte er vor zwei, drei Jahren noch nicht gemacht.
Absolut blödsinnig finde ich den aktuellen Titel des »Spiegel«: »Mekka Deutschland« heisst es da heute. Das ist derart primitiv, dass man nur noch melancholisch auf die Zeit zurückblicken kann, in der der »Spiegel« noch so etwas wie Journalismus betrieben hat. Wie tief kann eigentlich eine Redaktion noch fallen, um die (vermeindliche) Konkurrenz übertrumpfen zu wollen?
Gut..!
du bist cool geblieben.Aber was die Richterin betrifft bin ich anderer Meinung. Es würde mich interessieren was du zu dem
meinst was ich auf meiner Seite geschrieben habe?
Es geht nicht...
um »cool« bleiben oder nicht. Es geht darum, einen Sachverhalt richtig einzuschätzen und nicht in einem blinden Alarmismus zu verfallen. Wenn Du anderer Meinung bist als ich was die Richterin angeht, dann findest Du ihre Einschätzung, jemand müsse damit rechnen verprügelt zu werden, wenn man aus diesem Kulturkreis kommt, also richtig? – Ich kann leider nicht lesen, was Du dazu geschrieben hat, da Dein Blog derzeit wohl deaktiviert ist.
Die Richterin hat kein Urteil gefällt.
E‑B-E‑N. Urteil schreiben ist nicht delegierbar, mühsam und, die notwendige Ernsthaftigkeit sei vorausgesetzt, recht zeitaufwändig – Richter der unteren Instanzen gehen diesem Stress gerne und häufig aus dem Weg. Wie erfinderisch die Damen und Herren hierbei sein können, wie weit juristischer Freestyle gehen kann, ist dem Laien in der Regel nicht bekannt.
Ihrem Urteil über die Verwertung der Materie kann man sich freilich nur anschließen.
Finde ich gut
dass du nicht auf den fahrenden Zug aufgesprungen bist und die Sache noch einmal hinterfragt hast. So weit haben es die meisten Online-Magazine nicht geschafft (schaffen wollen?). Ein guter Beweis dafür, dass ein Blog manchmal doch journalistischer sein kann, als so manche Zeitung. ;)