Mar­tin von Arndt: ego shoo­ter

»Ich glau­be, man soll­te über­haupt nur sol­che Bü­cher le­sen, die ei­nen bei­ßen und ste­chen. Wenn das Buch, das wir le­sen, uns nicht mit ei­nem Faust­schlag auf den Schä­del weckt, wo­zu le­sen wir dann das Buch? […] Wir brau­chen aber Bü­cher, die auf uns wir­ken wie ein Un­glück, das uns sehr schmerzt, wie der Tod ei­nes, den wir lie­ber hat­ten als uns, wie wenn wir in Wäl­der ver­sto­ßen wür­den, von al­len Men­schen weg, wie ein Selbst­mord…« (Franz Kaf­ka an Os­kar Pol­l­ak 1904)

Martin von Arndt: ego shooter

Mar­tin von Arndt: ego shoo­ter

Der Ein­stieg: Im Nu. Schon nach den er­sten Sei­ten des Bu­ches kann man sich die­sem Sog nicht mehr ent­zie­hen, der von Ko­vács Er­zähl­strom (ei­ne Nie­der­schrift?) aus­geht. Der Le­ser taucht mit dem Prot­ago­ni­sten in ei­ne Welt, die er so noch nie ge­se­hen hat. ego shoo­ter ist ein Aben­teu­er für den Le­ser; ein Buch, das beisst und sticht.

Und schnell ver­gisst man die gän­gi­gen Kli­schees der Nerds, die Tag und Nacht vor den Com­pu­tern hocken und »her­um­bal­lern«. Ko­vács ist zwar ein Spie­ler; ein Pro­fi­spie­ler. Er hat vie­les über die (deut­schen) »Flie­ger­hel­den« des er­sten und zwei­ten Welt­kriegs ge­le­sen und spielt näch­te­lang in spe­zi­el­len Fo­ren um Punk­te und Geld mit ent­spre­chen­den Flug­si­mu­la­to­ren. Aber der ad­ler ist ein Mensch, nicht nur ein see­len­lo­ser Be­nut­zer­na­me. Und es ist das Ver­dienst von Mar­tin von Arndt, dies in den Vor­der­grund des Bu­ches zu stel­len; ego shoo­ter ist pri­mär kein Psy­cho­gramm ei­nes »Bal­ler­spie­lers«. Es ist eher ei­ne Selbst­ver­ge­wis­se­rungs­schrift ei­nes Men­schen, der droht, an der Welt zu ver­zwei­feln (das er es noch nicht ist, macht ei­ne Qua­li­tät die­ses hoch­am­bi­tio­nier­ten und gran­dio­sen Bu­ches aus).

Für Ko­vács ist die nicht-stoff­lich fass­ba­re Welt der Flie­ger­pi­lo­ten mit den an ih­re Vor­bil­der er­in­nern­den Nicks die Rea­li­tät (in­ter­es­sant am Ran­de und auch ein In­diz: die Hin­ter­grün­de der Krie­ge, die sich in den Spiel­sze­na­ri­en spie­geln, wer­den von den Prot­ago­ni­sten of­fen­sicht­lich nicht be­fragt). Hier kann er re­üs­sie­ren, der ad­ler; hier wird er oh­ne wenn und aber ak­zep­tiert. Er lebt in die­ser ei­nen Wo­che, die die­ses Buch ab­deckt (im Klap­pen­text ist von ei­ner »Kar­wo­che« die Re­de) fast aus­schliess­lich und al­lei­ne in sei­ner Woh­nung, die er von sei­nem On­kel Ti­bor als Ei­gen­tum ge­erbt hat. Die rea­len so­zia­len Kon­tak­te sind nur sehr spo­ra­disch; me­at­space (»Fleischwelt«) heisst das »rich­ti­ge Le­ben« folg­lich, und Ko­vács geht – wenn mög­lich – der Haus­ge­mein­schaft­welt schon ein­mal per se aus dem Weg (hier gibt es al­ler­dings ei­ne Aus­nah­me, die dem zu­künf­ti­gen Le­ser je­doch nicht ver­ra­ten wer­den soll).

Die ein­zi­gen ihm wich­ti­gen Men­schen (Ti­bor und sei­ne gro­sse Lie­be He­le­na) sind schon tot. In­so­fern ist der Be­ginn des Bu­ches ei­ne Aus­nah­me: Ko­vács beim Arzt – Hirn­haut­ent­zün­dung lau­tet die Dia­gno­se. Ein­drücke aus dem me­at­space der Arzt­pra­xis; As­so­zia­tio­nen ei­ner fremd ge­wor­de­nen Welt. Ei­ne An­nä­he­rung gibt es nicht – statt Be­hand­lung wird er mit An­ti­bio­ti­ka und Al­ler­welts­rat­schlä­gen ab­ge­speist.

Im Lau­fe des Bu­ches be­kommt der Le­ser sei­ne Trink­ex­zes­se mit, sei­ne »Cock­tails« mit Be­ru­hi­gungs- und Schmerz­ta­blet­ten, Mor­phi­nen oder an­de­ren, ge­ra­de in Reich­wei­te ver­füg­ba­ren Me­di­ka­men­ten und Ge­trän­ken. Nein, man be­kommt sie nicht »mit« – man er­lebt sie. Die Art und Wei­se, wie Mar­tin von Arndt es ver­steht, die Schmer­zen sei­nes Hel­den spür­bar zu ma­chen – und am En­de so­gar auch beim Le­ser Kopf­schmer­zen zu er­zeu­gen -, ist fa­mos. Ein­mal wird das Auf­ste­hen nach ei­ner mehr oder we­ni­ger schlaf­los ver­brach­ten Nacht er­zählt – ei­ne prä­zi­se Er­zäh­lung des Mar­ty­ri­ums ei­nes Schmer­zens­men­schen, was man in ei­ner sol­chen In­ten­si­tät und Kraft in der zeit­ge­nös­si­schen Li­te­ra­tur sel­ten ge­le­sen ha­ben dürf­te. Und ein­mal, an ei­ner an­de­ren Stel­le, heisst es so schön: ei­ne der ent­deckun­gen des äl­ter­wer­dens war es, dass man stump­fer wird, aber nicht si­che­rer. dass schmerz schmerz ist. & bleibt.

Das Buch ist durch­gän­gig in Klein­schrei­bung; Ab­kür­zun­gen wie »&« oder Zah­len, die nu­me­risch ge­schrie­ben wer­den, er­zeu­gen zu­sätz­lich beim Le­sen ein ho­hes Tem­po. Man liest gie­rig. Das Buch lässt ei­nen nicht los. Als ich es nach un­ge­fähr der Hälf­te zur Sei­te leg­te und zu Bett ging, konn­te ich nicht ein­schla­fen. Ich sah Ko­vács in der Woh­nung; sah die ab­ge­kleb­ten Fen­ster, da­mit kein Ta­ges­licht den Mo­ni­tor des PC stört, ich sah den ta­blet­ten­schlucken­den Hel­den vor dem PC sit­zen – den Kopf so, dass er ihn nicht be­we­gen muss (nur den Ober­kör­per), um die enor­men Schmer­zen trotz der Ta­blet­ten­mix­tu­ren ei­ni­ger­ma­ssen aus­zu­hal­ten; ich sah ihn die Mail an sei­nen »Lie­fe­ran­ten« schrei­ben, bei dem er neue Ta­blet­ten und Ge­trän­ke or­der­te, ich sah ihn in sei­nem ein­sa­men Stolz sit­zend, sin­nie­rend über sein Le­ben, sei­ne Träu­me; ich sah ihn sich mit letz­ter Kraft auf­raf­fen und das Grab sei­nes On­kels Ti­bor auf dem Fried­hof be­su­chen – wie ein al­ter Mensch hält er dann Zwie­spra­che mit dem To­ten.

Ein paar Mal er­le­ben wir Ko­vács in Ak­ti­on – wenn er »fliegt«; sein »ego-shoo­ting«, sei­ne Mög­lich­keit, an Geld zu kom­men. Dann ist er in sei­nem Ele­ment; wirft mit den Fach­aus­drücken nur so um sich (glück­li­cher­wei­se gibt es am En­de des Bu­ches ein Glos­sar; dem Ver­lag sei Dank). Und ein­mal ge­lingt es ihm (of­fen­sicht­lich nach län­ge­rer Zeit), 150 Eu­ro zu ver­die­nen. Aber er wird alt; geht auf die drei­ssig zu. Das Kon­zen­tra­ti­ons­ver­mö­gen schwin­det. Die Angst da­vor ist zum Grei­fen na­he.

Und im­mer wie­der lässt er sein Le­ben Re­vue pas­sie­ren; wird zum in­nen­er­zäh­ler (Selbst­cha­rak­te­ri­sie­rung Ko­vács’). Das sind die Kern­sze­nen des Bu­ches: Die Er­in­ne­rung an die Mut­ter, die dau­ernd neue Lieb­ha­ber ver­schleisst und ih­ren hoh­len Satz du kommst klar?, der ih­re Küh­le und Lieb­lo­sig­keit dem Sohn ge­gen­über prä­gnant zeigt; die Sehn­sucht nach dem (ei­nem) im­mer un­be­kannt ge­blie­be­nen Va­ter; das Stu­di­um, das er ab­bricht; die Lie­be zu sei­ner Freun­din Le­na; der Tod des On­kel Ti­bor, der ihn ir­gend­wann zu Flug­schau­en mit­ge­nom­men hat­te. As­so­zia­tiv und dicht drin­gen wir in die­se Welt vor; aber nie stur grad­li­nig, eher mä­an­dernd (ein Lieb­lings­wort von Ko­vács).

Mar­tin von Arndt ge­lingt es, bei al­ler vor­der­grün­di­gen »Cool­ness« des Hel­den die tie­fe Sehn­sucht und Be­dürf­tig­keit Ko­vács’ an­schau­lich zu ma­chen. Sel­ten, dass der Held in ei­ne Art Mit­leid­s­par­lan­do aus­weicht. Nur ein‑, zwei­mal ist dann von der ver­lo­re­nen ge­ne­ra­ti­on die Re­de und Ko­vács kon­sta­tiert, er fin­de in die­ser ge­sell­schaft nicht statt – und dann scheint es, als wür­de er sei­ne In­di­vi­dua­li­tät zu Gun­sten der Zu­ge­hö­rig­keit ei­ner ir­gend­wie ge­ar­te­ten Grup­pe auf­ge­ben, und das ger­ne. Denn sein Le­bens­wil­len ist stark – und die ver­meint­li­che Aut­ar­kie teu­er er­kauft.

Zahl­rei­che zau­ber­haf­te Sze­nen rei­chern die­ses Buch an. Ko­vács ist ein be­gna­de­ter, se­zie­ren­der Be­ob­ach­ter und Ver­dich­ter. Er sieht ca­fés & knei­pen, in de­nen träu­me aus­ge­saugt wur­den oder er kon­sta­tiert nach der Be­trach­tung sei­nes de­for­mier­ten Äu­sse­ren bei­läu­fig drau­ssen strafft sich der wind, und am En­de be­merkt er, für ent­täu­schun­gen blieb kei­ne en­er­gie – wuch­ti­ge Bil­der.

Und die Er­in­ne­run­gen an sei­ne Schul­zeit (wun­der­bar die Er­zäh­lung vom ma­the­schock als Me­ta­pher für Ko­vács’ Le­ben [wei­te­re De­tails sol­len dem ei­ge­nen Le­sen nicht vor­grei­fen]) oder die Stu­di­en­zeit (er stu­dier­te Ar­chäo­lo­gie und welch skur­ri­les Er­leb­nis, als ihm Gal­len­flüs­sig­keit bei der Frei­le­gung ei­nes To­ten ins Ge­sicht spritzt) und spä­ter an sei­ne gro­sse Lie­be He­le­na. Man könn­te im­mer wei­ter zi­tie­ren (und der Le­ser er­in­nert sich plötz­lich an Pe­ter Hand­kes Lob­prei­sung »Als ich ‘Ver­stö­rung’ von Tho­mas Bern­hard las«).

Kas­ka­den von Bil­dern am En­de; das Buch wird wil­der. Mo­ti­ve wer­den im­mer wie­der va­ri­iiert. Kin­der­lie­der. Die Ab­sur­di­tät, wenn Ko­vács sei­nen Blut­druck misst, ob­wohl er weiss, dass das Mess­ge­rät de­fekt ist. Oder das map­ping sei­nes Kop­fes, um die Schmer­zen ex­akt lo­ka­li­sie­ren zu kön­nen (Ko­vács macht sich da­mit un­be­wusst [?] selbst zum Spiel­ob­jekt). Die­se zwang­haf­te Su­che nach Ge­wiss­hei­ten (die sich ir­gend­wann nur noch in den nack­ten Zah­len der Ab­schüs­se zu zei­gen schei­nen; den scores). Und am En­de ei­ne er­grei­fen­de Hoff­nungs­sze­ne, ei­ne Epi­pha­nie, die aber – ver­mut­lich? – nur ein De­li­ri­um ist (wirk­lich?).

Mar­tin von Arndts Prot­ago­nist ist in­tel­li­gent und – wie wohl­tu­end – nicht ei­ner je­ner lar­moy­an­ten Zy­ni­ker, die die Welt für sich er­klärt und mit ihr ab­ge­schlos­sen ha­ben. Das ist das Über­ra­schen­de, Wohl­tu­en­de, Neue, sich von dem üb­li­chen Li­te­ra­tur­brei, der von der deut­schen Kri­tik so über­schwäng­lich (und oft­mals grund­los) ge­fei­ert wird, Un­ter­schei­den­de. Das Buch ist der­art viel­schich­tig, dass sich im­mer neue As­so­zia­tio­nen auf­tun; man ist nach der Lek­tü­re noch lan­ge nicht »fer­tig«.

Ich fühl­te mich nach der Lek­tü­re von ego shoo­ter er­in­nert an Kaf­kas Dik­tum, man­ches Buch wir­ke »wie ein Schlüs­sel zu frem­den Sä­len des ei­ge­nen Schlos­ses«. Die­se Pro­sa wirkt und be­rührt. Und wie.

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  1. Wie im­mer, Gre­gor: 1A-Re­zen­si­on. Auch wenn die »di­ther-ef­fek­te« na­tür­lich an­ders flim­mern, wenn man aus­nahms­wei­se selbst ge­le­sen hat. Mei­ne Mei­nung: das Buch ist ein Mei­len­stein, ein Zeit­do­ku­ment, und weil es das er­ste und ver­mut­lich noch lan­ge das be­ste sei­ner Art ist, wird man es auch in 200 Jah­ren noch le­sen wol­len (ich je­den­falls :-) ).