Di­gi­ta­le Nar­ziss­ten

Was sind ei­gent­lich Web­logs? Wel­che Er­war­tun­gen sind mit ih­nen ver­knüpft? Wird mit Web­logs wirk­lich die Öf­fent­lich­keit de­mo­kra­ti­siert? Oder sind die­se ho­hen Er­war­tun­gen be­reits Ma­ku­la­tur, in dem die Mas­se der »per­sön­li­chen Ta­ge­bü­cher« eher ba­na­les, pein­li­ches oder schlicht­weg be­lang­lo­ses auf­zei­gen?

Der Es­say von Ge­ert Lo­vink mit dem Ti­tel Blog­ging, the ni­hi­list im­pul­se (in deutsch un­ter dem Ti­tel Di­gi­ta­le Ni­hi­li­sten bei »Lett­re In­ter­na­tio­nal«, Heft 73, er­schie­nen; Aus­zü­ge hier) ver­sucht, die­se Fra­gen zu be­ant­wor­ten. Das Ver­dienst die­ser Un­ter­su­chung liegt u. a. dar­in, dass der Au­tor um Ob­jek­ti­vi­tät be­müht ist; Kas­san­dra­ru­fe über die ver­lo­re­ne Kraft des »Web 2.0« sind ihm eben­so fremd wie die em­pha­ti­sche Aus­ru­fung ei­ner neu­en basis­demokratischen Ge­sell­schafts­ord­nung. Ne­ben Zi­ta­te von Ex­per­ten für di­gi­ta­le Me­di­en gibt es Re­kur­se u. a. auf Heid­eg­ger, Ca­net­ti, Bau­dril­lard und (na­tür­lich) Slo­ter­di­jk.

Lo­vink ver­sucht nichts we­ni­ger als die Qua­dra­tur des Krei­ses: Den Be­griff des Web­logs aus ei­nem De­fi­ni­ti­ons- und Er­ken­nungs­ge­spinst zu ent­wir­ren und dann die Zu­kunft die­ses ’neu­en Me­di­ums’ vor­her­zu­sa­gen. Da­bei ist es ganz klar, dass es durch die He­te­ro­ge­ni­tät des Ge­gen­stan­des gro­be Ver­all­ge­mei­ne­run­gen gibt und das der Auf­satz ge­le­gent­lich ins Schwim­men kommt (in der eng­li­schen Spra­che scheint sich der Au­tor bes­ser aus­drücken zu kön­nen als im Deut­schen). In­so­fern sol­len die­se ge­le­gent­lich gro­ben Ver­ein­fa­chun­gen nicht kri­ti­siert und the­ma­ti­siert wer­den; auch die­se Be­trach­tung hier wird aus Grün­den der Über­sicht­lich­keit nicht al­le Ver­äste­lun­gen glei­cher­ma­ssen be­rück­sich­ti­gen kön­nen.

Das Web­log als Mar­ke – ent­stan­den aus ei­nem Über­druss vor der Ein­weg­kom­mu­ni­ka­ti­on klas­si­scher Me­di­en.

Ca­ra­vag­gio: Der Nar­ziss

Web­logs sind – kurz­ge­fasst – mei­nungs­star­ke, sub­jek­ti­ve Tex­te ei­nes meist un­ter Pseud­onym schrei­ben­den Web­log-In­ha­bers (des so­ge­nann­ten Blog­gers [der Einfach­heit hal­ber wird die­ser Termi­nus über­nom­men, ob­wohl er ästhe­tisch nicht im­mer be­frie­digt]) über al­le mög­li­chen The­men (pri­va­tes, po­li­ti­sches, so­zia­les; Hin­wei­se auf an­de­re Me­di­en­pro­duk­te nebst kur­zer Be­wer­tung, usw). Im Ide­al­fall sind Blog­ger un­ter­ein­an­der mög­lichst zahl­reich ver­bun­den (Syndikats­bildung), so dass die Il­lu­si­on ei­nes gro­sses Dis­kurs­rau­mes ent­steht (der al­ler­dings auch die Ge­fahr über­trie­be­ner Selbst­referentialität be­inhal­tet). Die Soft­ware, mit der Blog­ger ar­bei­ten, ist frei ver­füg­bar (in der Re­gel bei ei­nem Ho­ster), ein­fach zu be­die­nen und fast un­end­lich va­ria­bel (wich­tig für das in­di­vi­du­el­le und »ein­zig­ar­ti­ge« Er­schei­nungs­bild; ein Web­log ist auch im­mer ei­ne »Mar­ke«). Die Tex­te sind in der Re­gel kurz (ge­nannt wer­den ein­mal 250 Wör­ter – al­so es wä­re hier schon lan­ge Schluss), mit prä­gnan­ten Über­schrif­ten, leicht zi­tier­bar und mit Lei­den­schaft ge­schrie­ben.

Im Lau­fe des Auf­sat­zes wird der wich­tig­ste Im­pe­tus be­nannt: Blog­ger sind der ein­sei­ti­gen Kom­mu­ni­ka­ti­on von oben nach un­ten durch die gän­gi­gen, klas­si­schen Me­di­en (Zei­tung, Ra­dio, Fern­se­hen) über­drüs­sig. Sie se­hen sich und ih­re Mei­nung nicht mehr re­prä­sen­tiert und ver­wen­den hier­für das Blog, in dem sie die nor­ma­le, sta­ti­schen Re­zep­ti­on von In­formation auf­bre­chen (prä­zi­ser for­mu­liert: um­keh­ren).

In der deut­schen Fas­sung des Auf­sat­zes wird üb­ri­gens die Be­zeich­nung Main­stream-Me­di­en ver­wen­det, was un­ge­nau ist, da man die­sen Be­griff dop­pel­deu­tig ver­ste­hen kann: Sind da­mit die Me­di­en­grup­pen ge­meint, die gän­gig sind (al­so Print­me­di­en, Ra­dio, Fern­se­hen) oder die­je­ni­gen, die den Main­stream be­stim­men? Die Schnitt­men­ge zwi­schen bei­den mag zwar sehr gross sein – es muss aber un­be­dingt her­aus­ge­stellt wer­den, dass ins­be­son­de­re bei den Print­me­di­en noch zahl­rei­che Er­zeug­nis­se exi­stie­ren, die ab­seits gän­gi­gen Mei­nungs-Main­streams pu­bli­zi­stisch tä­tig sind. Ich ver­wen­de da­her eher die Be­zeich­nung »klas­si­sche Me­di­en« für die gän­gi­gen Gat­tungs­me­di­en.

Zwar wird oft­mals noch Re­fe­renz auf ein klas­si­sches Me­di­um ge­nom­men – der Blog­ger be­nutzt dies je­doch nur als Ein­stieg für ei­nen ei­ge­nen Bei­trag, der dann lo­bend, kri­tisch, ab­leh­nend oder gar feind­se­lig sein kann; manch­mal auch nur hin­wei­send. In­so­fern fun­giert das Web­log häu­fig als ein Ven­til des sich zu kurz ge­kom­men füh­len­den Mei­nungs­jun­kies.

Wel­che Aus­wir­kun­gen so et­was ha­ben kann, er­kennt man bei­spiels­wei­se an Blogs, die in gro­sser Fre­quenz auf Agen­tur­mel­dun­gen re­kur­rie­ren, um sich mit recht ein­fach struk­tu­rier­ten Mei­nungs­bil­dern de­rer an­zu­neh­men. An sol­chen Blogs lie­ssen sich sehr schön die Gren­zen auf­zei­gen: Nie­mand kann über den Nah­ost­kon­flikt, die ak­tu­el­len Un­ru­hen im Kon­go, das Elend der Flücht­lin­ge in Dar­fur, die Gen­tech­nik, die po­li­ti­sche La­ge in fast je­dem eu­ro­päi­schen Land, den Mi­cro­soft-Kon­zern, Hartz IV, al­le mög­li­chen le­ben­den und to­ten Schrift­stel­ler und Es­say­isten – kurz: nie­mand ver­mag über al­le The­men in glei­cher Kom­pe­tenz ei­ne sach­ge­rech­te Äu­sse­rung zu tun, die et­was an­de­res als ei­ne un­ge­fäh­re Mei­nung dar­stellt. Wenn dann in Kom­men­ta­ren auf dem Blog beispiels­weise Wi­der­sprüch­lich­kei­ten im Mei­nungs­bild oder er­gän­zen­de Fak­ten be­nannt wer­den, die­se dif­fe­ren­zier­te­re (und oft auch un­ter Um­stän­den kom­pe­ten­te) an­de­re Sicht je­doch mit Lö­schen der je­wei­li­gen Kom­men­ta­re be­ant­wor­tet wird, dann zeigt sich das, was Lo­vink in sei­nem Auf­satz the­ma­ti­siert: Die Am­bi­va­lenz des Phä­no­mens des Blog­gens. In der eng­li­schen Ver­si­on des Auf­sat­zes heisst es sehr schön The pushy to­ne is what makes blogs so rhe­to­ri­cal­ly po­or. (Der an­ma­ßen­de Ton macht die rhe­to­ri­sche Ar­mut der Blogs aus. – ei­ge­ne Über­set­zung.) Wir kom­men hier­auf noch zu­rück.

Wer braucht die­se un­ge­fragt ab­ge­ge­be­nen Mei­nun­gen? Und – nicht un­wich­tig -: Wo sind die­se Bei­trä­ge ir­gend­wann? Ein Ex­per­te wird zi­tiert: In vier­zig Jah­ren wird das In­ter­net in ei­ner gi­gan­ti­schen Im­plo­si­on der Dumm­heit kol­la­bie­ren. Bleibt die Fra­ge, wie­so ei­gent­lich erst in vier­zig Jah­ren.

Blog­ger sind Nar­ziss­ten.

Lo­vinks The­se (grob ver­ein­facht): Blog­ger sind Me­di­en­zy­ni­ker, die sich mit der Vergeb­lichkeit der Ob­jek­ti­vi­tät in den Me­di­en ab­ge­fun­den ha­ben und aus der »privi­legierten« Blog-Per­spek­ti­ve (= mehr oder we­ni­ger un­be­tei­lig­te Au­ssen­per­spek­ti­ve) ei­ne Art au­sser­me­dia­le (Fundamental-)Opposition be­trei­ben. Die­se The­se ist nicht ganz von der Hand zu wei­sen, aber war­um dies dann ir­gend­wann mit Ni­hi­lis­mus ver­quirlt und un­ter­füt­tert wer­den soll, er­schliesst sich mir ehr­lich ge­sagt nicht.

Ich glau­be, dass das Phä­no­men ei­ne an­de­re Ur­sa­che hat: Blog­ger sind Nar­ziss­ten, die ih­re per­sön­li­chen Er­eig­nis­se und Be­wer­tun­gen oh­ne be­son­de­re Nach­fra­ge (die­se er­gibt sich [im Ide­al­fall] erst spä­ter durch das Pu­bli­kum) pu­bli­zie­ren. Da­bei gilt, dass je­der Text den An­spruch der Wahr­heit im­pli­ziert; et­li­che Blog­ger glau­ben schein­bar, ih­re Sicht sei ein Ob­jek­ti­vi­täts­mo­no­pol. Sie­he oben: pushy.... Dann wird es pro­ble­ma­tisch – wenn das an­fangs als er­fri­schend emp­fun­de­ne Quänt­chen Ver­mes­sen­heit ins Ver­bis­se­ne, Queru­lantische und Bes­ser­wis­se­ri­sche ab­glei­tet (l’art pour l’art), wel­ches sich der argu­mentativen Aus­ein­an­der­set­zung wi­der­setzt.

Ei­ne wei­te­re Ge­fahr des Phä­no­mens Web­log: Die »Sturz­flut der Ba­na­li­tä­ten« (Neil Post­man) könn­te da­zu bei­tra­gen, dass ziem­lich schnell ein Über­druss am Kon­sum von Web­logs ent­steht. Dies gilt vor al­lem für die per­sön­li­chen Blogs, die sich mehr oder we­ni­ger mit den in­ti­men Ein­zel­hei­ten (bei­spiels­wei­se aus Beruf‑, Pri­vat- und Se­xu­al­le­ben) be­schäf­ti­gen, ih­ren Ex­hi­bi­tio­nis­mus ge­nüss­lich ver­ba­li­sie­ren und – vor al­lem – die nicht un­er­heb­li­chen »Appetitanreger«-Blogs, die als »Ein­stieg« für zahl­rei­che kom­mer­zi­el­le An­ge­bo­te fun­gie­ren (meist ins On­line-Glücks­spiel oder für por­no­gra­fi­sche In­hal­te). Rein prak­ti­scher Na­tur sind da­ge­gen bei­spiels­wei­se Sport- und Ver­eins­blogs, die ent­we­der als Er­satz für ein we­sent­lich teu­re­res Prin­ter­zeug­nis be­trie­ben wer­den oder be­stimm­te Fans (vir­tu­ell) ver­bin­den sol­len.

Lo­vinks Es­say ist hier (und nicht nur hier) üb­ri­gens wi­der­sprüch­lich. Ei­ner­seits fin­den Ver­fech­ter die­ser Ba­na­li­sie­rungs­the­se bei ihm Raum – an­de­rer­seits ru­dert er wie­der zu­rück, in dem er Ver­all­ge­mei­ne­run­gen das Wort re­det.

Wie ist es aber mit den am­bi­tio­nier­ten bzw. sich am­bi­tio­niert ge­ben­den Web­logs be­stellt? Je­ne, die sich mit Kul­tur, Kunst, Po­li­tik, Na­tur­wis­sen­schaft, Phi­lo­so­phie und/oder Ge­sell­schafts­phä­no­me­nen be­schäf­ti­gen? Wel­cher Mehr­wert liegt bei­spiels­wei­se beim Le­ser ei­nes Bu­ches, die Re­zen­si­on ei­nes ihm meist voll­kom­men un­be­kann­ten Blog­gers zu le­sen bzw. die­se gleich­ran­gig zu den Re­zen­sio­nen zu ge­wich­ten, die von pro­fes­sio­nel­len Li­te­ra­tur­kri­ti­kern ver­fasst wer­den? Ist es im »Wikipedia«-Zeitalter über­haupt noch re­le­vant, wel­che For­mal­qua­li­fi­ka­ti­on ein Au­tor hat? Falls die­se Be­ob­ach­tung stimmt – wel­che »Qua­li­fi­ka­ti­on« gilt denn dann?

Die­se Fra­gen sind nicht un­mit­tel­bar Ge­gen­stand von Lo­vinks Be­trach­tung. Es ist dort viel­mehr von ei­ner Art In­ter­de­pen­denz der klas­si­schen Me­di­en mit den Web­logs die Re­de. Ja, es wird gar der Blog als Kon­kur­renz zur oben be­schrie­be­nen Ein­weg­kom­mu­ni­ka­ti­on be­nannt (ähn­lich dem eu­pho­risch for­mu­lier­ten Wi­ki­pe­dia-Bei­trag über Web­logs). Be­grün­det wird das u. a. mit der Par­ti­zi­pa­ti­ons­mög­lich­keit bei Web­logs. Im Ge­gen­satz zur Zei­tung oder dem Fern­se­hen ist es häu­fig mög­lich, ei­nen Kom­men­tar zum Bei­trag un­mit­tel­bar an­schlie­ssen und so­mit ei­ne Dis­kus­si­on auf­kom­men zu las­sen (und da­mit kom­plett an­ders als die Mög­lich­keit, sich in Le­ser­brie­fen aus­zu­drücken). Die­se Par­ti­zi­pa­ti­ons­mög­lich­keit gilt (oder galt?) als re­vo­lu­tio­när.

Blog­gen ist die Be­haup­tung der ter­ri­to­ria­len Dis­kurs­ho­heit.

Mei­ne Er­fah­run­gen mit Web­logs die­ser Art sind da am­bi­va­len­ter. Und da­mit kom­men wir wie­der auf die The­se von den nar­ziss­ti­schen Blog­gern. In Wahr­heit ist die Be­reit­schaft, ei­ne kon­tro­ver­se Dis­kus­si­on zur ei­ge­nen The­se ein­zu­ge­hen, bei vie­len Blog­be­trei­bern nur mar­gi­nal aus­ge­prägt. Der Blog­ger sucht pri­mär Zu­stim­mung; Ap­plaus. Er grup­piert mit Vor­lie­be Gleich­ge­sinn­te um sich. Man wi­der­spricht sich ma­xi­mal nu­an­ciert. Die Ab­gren­zung er­folgt be­reits auf der sprach­li­chen Ebe­ne; je­de Blog-Com­mu­ni­ty hat ih­re ei­ge­nen sprach­li­chen Codes mit ent­spre­chen­den »Kor­rekt­hei­ten« und »Un­kor­rekt­hei­ten«. Der Blog­ger ist Herr­scher mit der ihm zur Ver­fü­gung ge­stell­ten Soft­ware; das Web­log ist sein Ter­ri­to­ri­um. Die Lösch­ta­ste ist sei­ne schärf­ste Waf­fe; sie sub­sti­tu­iert in der gröss­ten Not das feh­len­de Ar­gu­ment.

Spä­te­stens dann bricht sich der nar­ziss­ti­schen Es­ka­pis­mus, der nur noch die ei­ge­ne Welt­sicht gel­ten lässt, Bahn; ein im Zeit­al­ter der glo­ba­len Kom­mu­ni­ka­ti­on ei­gent­lich tra­gi­ko­mi­sches Phä­no­men. Er ist ein ent­schei­den­der Grund da­für, dass Web­logs – ent­ge­gen der Be­haup­tun­gen en­thu­si­as­mier­ter Me­di­en­theo­re­ti­ker – kaum Ein­fluss auf die Mei­nungs­bil­dung in klas­si­schen, se­riö­sen Me­di­en fin­den.

Wer hat je ernst­haft ver­sucht, ei­ne Dis­kus­si­on auf ei­nem ex­tre­mi­sti­schen oder ras­si­sti­schen Web­log zu füh­ren? Wenn es dort mög­lich ist, zu kom­men­tie­ren, dann ist die Soft­ware oft ge­nug so pro­gram­miert, dass vor Ver­öf­fent­li­chung des Kom­men­tars ge­fil­tert wird (mit dem Er­geb­nis, dass der Kom­men­tar meist nicht er­scheint). Die ur­sprüng­li­che In­ten­ti­on ei­nes frei­en, par­ti­zi­pa­to­ri­schen Me­di­ums ist längst per­du. Die Ver­knüp­fun­gen der gleich­ge­sinn­ten Blogs un­ter­ein­an­der füh­ren un­ter Um­stän­den zu Blog-Krie­gen, in de­nen un­lieb­sa­me Blog­ger ad ho­mi­nem de­nun­ziert und so­gar be­droht wer­den. Das ur­sprüng­li­che re­bel­li­sche Ele­ment ge­gen ei­ne wie auch im­mer emp­fun­de­ne Meinungs­macht an­zu­schrei­ben, pro­du­ziert ir­gend­wann sel­ber ag­gres­si­ve Abgrenzungs­affekte und mün­den im oben be­schrie­be­nen Es­ka­pis­mus. Der Dar­wi­nis­mus im Netz nimmt zu und wird künst­lich ver­mehrt: Vie­le Blog­ger ha­ben meh­re­re Web­logs mit un­ter­schied­li­chen Pseud­ony­men; das Phä­no­men des mul­ti­plen Blog­gers.

Die Schlacht um die Dis­kurs­ho­heit ist auch in der deutsch­spra­chi­gen ‘Blogo­sphä­re’ längst ent­brannt. Der einst heh­re An­spruch ei­ner ge­sell­schaft­li­chen De­mo­kra­ti­sie­rung durch das Netz (und Web­logs) ist durch den Pö­bel längst des­avou­iert bzw. ni­vel­liert wor­den. Be­stimm­te Blog­ho­ster sind in­zwi­schen der­art von ei­ner be­stimm­ten an­ti­auf­klä­re­ri­schen Mei­nungs­kli­en­tel usur­piert, dass es bei den An­ders­den­ken­den zum gu­ten Ton ge­hört, dort kei­nen Blog zu be­sit­zen. Aber war­um soll­ten vir­tu­el­le Com­mu­ni­ties auch an­de­ren Ge­set­zen un­ter­wor­fen sein als in der »rea­len« Ge­sell­schaft? Wel­cher Links­par­tei-An­hän­ger hat schon ein­mal in ei­ner NPD-Ver­an­stal­tung kri­ti­sche Fra­gen ge­stellt? (Ne­ben­bei: War­um soll­te man sei­ne Per­len...?)

Schlei­chen­de Tri­via­li­sie­rung auch in den klas­si­schen Me­di­en.

Wie be­reits oben er­wähnt, ha­ben Web­logs kei­nes­falls ei­nen (grö­sse­ren) Ein­fluss auf die tra­di­tio­nel­len Me­di­en (we­nig­stens was Deutsch­land an­geht). War­um auch? Die Mas­se der Web­logs – das schim­mert bei Lo­vink durch (den ich jetzt im­mer mehr ver­las­se) – sind im be­schrie­be­nen Spek­trum ein­di­men­sio­nal, sprach­lich küm­mer­lich, ba­nal oder ein­fach nur nar­ziss­ti­sche Mei­nungs­pro­sa oh­ne Re­le­vanz und In­for­ma­ti­ons­wert. Nach der Lek­tü­re ei­ni­ger Blogs könn­te man Franz-Jo­sef Wag­ner glatt für den Pu­lit­zer-Preis vor­schla­gen und hält den Stamm­tisch ei­nes be­lie­bi­gen ober­baye­ri­schen Bier­lo­kals schnell für das philo­sophische Quar­tett. In Wirk­lich­keit ist »Vol­kes Stim­me« al­so we­ni­ger Ver­hei­ssung als Dro­hung; ei­gent­lich ei­ne Bin­sen­weis­heit, die man auch oh­ne Blogs schon min­de­stens ahn­te. Und auch die en­thu­sia­stisch­sten Ver­fech­ter herr­schafts­frei­er Dis­kur­se kä­men da ge­legentlich ins Grü­beln – wür­den sie doch nur auch ein­mal den Müll aus ih­rem (po­rö­sen) El­fen­bein­turm run­ter­brin­gen.

Das klingt jetzt schlim­mer, als es ge­meint ist. Es gibt sehr vie­le nicht nur wit­zi­ge, un­ter­halt­sa­me, son­dern an­spruchs- und ni­veau­vol­le deutsch­spra­chi­ge Web­logs. Und so ist auch bei mir jetzt ein Phä­no­men auf­ge­tre­ten, wel­ches beim Blog­gen oft die Hand des Schrei­bers führt: Der Ver­such, mit hy­ste­ri­sie­ren­der Über­trei­bungs­rhe­to­rik und/oder Ef­fekt­ha­sche­rei ver­zwei­felt Pu­bli­kum an sich zu bin­den (was bei ent­spre­chen­der Schreib­tech­nik auch ge­lingt); oft ge­paart mit den Mit­teln der Po­la­ri­sie­rung oder gar Pro­vo­ka­ti­on. Hier­durch wol­len sie sich (ge­le­gent­lich all­zu krampf­haft) von den tra­di­tio­nel­len Me­di­en­ma­chern un­ter­schei­den. Die­se sä­gen längst sel­ber am Ast, auf dem sie lan­ge so be­hag­lich Platz ge­nom­men ha­ben und grei­fen sel­ber im­mer häu­fi­ger zu alar­mi­sti­scher Spra­che und hy­ste­risch an­mu­ten­den Droh­sze­na­ri­en – man muss als Blog­ger eben nur noch »ei­nen drauf­set­zen« kön­nen, um im ka­ko­pho­nen Me­di­en­ka­rao­ke doch noch ir­gend­wie wahr­ge­nom­men zu wer­den. Was zählt, ist die Auf­merk­sam­keit; so rasch sie sich auch ver­flüch­tigt. Da wirkt ein eher dif­fe­ren­zier­ter, um Aus­ge­wo­gen­heit be­müh­ter Dis­kurs­stil, oft ge­nug zu lang­wei­lig.

Aber auch die sich so in den Vor­der­grund stel­len­den, sich se­ri­ös ge­ben­den Jour­na­li­sten (oder auch bei­spiels­wei­se Li­te­ra­tur­kri­ti­ker – um das Bei­spiel von oben wie­der aufzu­nehmen) un­ter­schei­den sich im­mer we­ni­ger von di­let­tie­ren­den Blog­gern, die sich in ei­ni­gen Be­rei­chen ja durch­aus ein Spe­zi­al­wis­sen an­ge­eig­net ha­ben, wel­ches der zum Ge­ne­ra­li­sten­tum ver­damm­te Jour­na­list im Ein­zel­fall gar nicht zur Ver­fü­gung hat bzw. ha­ben kann (nie­mand ist Ex­per­te von al­lem). Al­so kein Grund zur Ab­ge­ho­ben­heit oder Ar­ro­ganz.

Der investigative Journalist

Der in­ve­sti­ga­ti­ve Jour­na­list


Was der kri­ti­sche Be­ob­ach­ter lei­der mehr als oft be­mer­ken muss: Der sich der Re­cher­che ver­pflich­ten­de und in­ve­sti­ga­ti­ve Jour­na­list mit unbe­stechlichem Blick und vorur­teilsfreiem Ar­bei­ten ist in­zwischen wei­ten­teils nur noch ei­ne hübsch kon­ser­vier­te Mu­mie, die in den Chef­re­dak­tio­nen zu be­stimm­ten Fest­an­ge­le­gen­hei­ten im­mer wie­der ger­ne her­vor­ge­holt wird – man ist er­in­nert an Ba­tes’ Mut­ter in »Psy­cho«. Die Me­di­en­ma­cher sind be­dau­er­li­cher­wei­se fast voll­stän­dig ih­rem selbst­ver­fass­ten Dik­tum er­le­gen, nur die schnel­le Nach­richt sei ei­ne gu­te Nach­richt. Statt der schlei­chen­den Ver­ein­fa­chungs­ten­den­zen durch Qua­li­tät ent­ge­gen­zu­tre­ten, pas­sen sie sich mal mehr, mal we­ni­ger zäh­ne­knir­schend dem gna­den­los ver­ein­fa­chen­den Hype der gän­gi­gen Trivial­organe an. Man fühlt sich in We­stern­fil­me hin­ein­ver­setzt, in de­nen zu­nächst ge­schos­sen und erst da­nach die De­lin­quenz über­prüft wur­de.

Ha­ben mir nicht bei­spiels­wei­se is­rae­li­sche, li­ba­ne­si­sche oder ira­ni­sche Blogs mehr mit­zu­tei­len, wie je­ne Kor­re­spon­den­ten von Ra­dio und Fern­se­hen, die ih­re In­for­ma­tio­nen un­ter Um­stän­den durch vie­le Fil­ter er­hal­ten? Liegt hier nicht über­haupt noch ei­ne Exi­stenz­be­rech­ti­gung von so et­was wie Web­logs? Sie brin­gen uns das Frem­de, Un­be­kann­te na­he, auf das wir so nie­mals sto­ssen wür­den. Aber auch hier muss die Fra­ge nach der Au­then­ti­zi­tät und Wahr­haf­tig­keit ge­stellt wer­den. Nicht we­ni­ge die­ser Web­logs ha­ben sich in nach­hin­ein als ge­schickt ge­tarn­te Pro­pa­gan­da­in­stru­men­te her­aus­ge­stellt. Aber: Auch Jour­na­li­sten sind oft un­frei­wil­lig in die ent­spre­chen­den Fal­len ge­tappt. (In den USA ist das »un­frei­wil­lig« seit der »Embedded«-Kampagne bei ei­ni­gen Me­di­en in­zwi­schen zu strei­chen.)

Aber längst sind Web­logs auch dem ve­lo­zi­fe­ri­schen Nach­rich­ten­hype aus­ge­lie­fert. Über Web­sei­ten wie Tech­no­ra­ti bei­spiels­wei­se wer­den die rhi­zo­ma­ti­schen Ver­lin­kun­gen von Blogs ge­li­stet (und zum Be­wer­tungs­mass­stab er­ho­ben) und wer dort ein neu­es The­ma ent­spre­chend pro­mi­nent (al­so zeit­lich schnell) ver­tritt, wird von den nach­fol­gen­den Blog­gern ent­spre­chend oft ver­linkt, was wie­der­um mehr Auf­merk­sam­keit bringt, usw. Blog­ger be­zie­hen näm­lich so­wohl aus den klas­si­schen Me­di­en als auch von Blogs sel­ber ih­re In­for­ma­tio­nen. Auch hier ist der re­cher­chie­ren­de Be­ar­bei­ter der Nach­richt, des The­mas, eher sel­ten. Dies na­tür­lich auch des­we­gen, weil Blog­gen nor­ma­ler­wei­se ein Freizeit­phänomen ist. Hier kommt man dann zu den De­fi­ni­tio­nen vom An­fang wie­der zu­rück.

Blog­gen in Deutsch­land.

Noch ein­mal kurz zu­rück zu Ge­ert Lo­vink: Es ist zu ver­mu­ten, dass er weit­ge­hend die Blog­ger­sze­ne in den USA be­schreibt. In Deutsch­land ist dies al­les noch ein biss­chen be­schau­li­cher: Ho­ster, die Blogs vom Netz neh­men, weil man dort drei Mo­na­te kei­nen Bei­trag ge­po­stet hat, ken­ne ich nicht. An­de­rer­seits spricht der Auf­satz ein wich­ti­ges The­ma an: Die Ver­gäng­lich­keit all die­ses Schrift­tums. Es ist näm­lich tat­säch­lich so, dass das Ge­dächt­nis des In­ter­net durch­aus be­grenzt ist; Goog­le Cache wird Tex­te nicht ewig be­hal­ten.

Hier­in könn­te ein men­ta­li­täts­be­ding­ter Grund lie­gen, dass sich das Blog­gen in Deutsch­land ver­hält­nis­mä­ssig schwer tut: War­um soll ich viel Ar­beit in Bei­trä­ge oder Kom­men­ta­re stecken, wenn der Blog viel­leicht schon bald off­line ist? Dies gilt ins­be­son­de­re für (de­zi­dier­te und sorg­fäl­ti­ge) Kom­men­ta­re – hier be­ge­be ich mich in die Ab­hän­gig­keit des je­wei­li­gen Blog­be­sit­zers, der die­sen ent­fer­nen kann oder ein­fach näch­ste Wo­che sei­nen ge­sam­ten Blog löscht.

Ein an­de­rer Grund, der bei Lo­vink gar kei­ne Rol­le zu spie­len scheint, liegt in der zu­nehmenden Pra­xis in Deutsch­land, Blog­ger auf­grund von Nich­tig­kei­ten ab­zu­mah­nen, die als »Ver­stö­sse ge­gen das Mar­ken­recht« oder »An­griff auf die Per­sön­lich­keits­rech­te« auf­ge­bla­sen wer­den und da­mit un­lieb­sa­me Stim­men zum Schwei­gen zu brin­gen. Es geht wohl­ge­merkt nicht um Be­lei­di­gun­gen, die merk­wür­di­ger­wei­se oft ge­nug un­ge­ahn­det blei­ben – es geht um die in Mo­de ge­kom­me­nen Ab­mahn­wel­len be­stimm­ter rück­grat­lo­ser Win­kel­ad­vo­ka­ten. Ge­le­gent­lich geht (glück­li­cher­wei­se) der Schuss nach hin­ten los. Aber wenn ein Blog­ger ein­mal ei­ne Rech­nung über meh­re­re hun­dert Eu­ro er­hält oder plötz­lich ei­ne Un­ter­las­sungs­er­klä­rung mit meh­re­ren –zig­tau­send Eu­ro Wert vor­lie­gen hat – dann ver­geht ganz schnell die Lei­den­schaft; Ein­schüch­te­rung als Prin­zip.

Be­stür­zend ist in die­sem Zu­sam­men­hang, dass die »Kol­le­gen« aus den tra­di­tio­nel­len Me­di­en hier mei­stens un­be­tei­ligt zu­se­hen; ja ge­le­gent­lich so­gar mit­ma­chen (man den­ke an die pro­zes­sua­le Aus­ein­an­der­set­zung der »FAZ« mit »Per­len­tau­cher«; ei­gent­lich kein Web­log, aber der Pro­zess­ge­gen­stand be­trifft Blog­ger durch­aus).

Pri­va­te, am­bi­tio­nier­te Web­logs sind – un­ab­hän­gig von ih­rer ak­tu­el­len Be­deu­tung – nichts­de­sto­trotz für die klas­si­schen Me­di­en ein Dorn im Au­ge; sie stel­len min­de­stens theo­re­tisch lang­fri­stig ei­ne po­ten­ti­el­le Ge­fahr dar. Dass vie­le jetzt in ih­rem vir­tu­el­len An­ge­bot Blogs ser­vie­ren, wi­der­spricht dem nicht. Jour­na­li­sten, die auf der Web­sei­te ih­rer Zei­tung blog­gen, sol­len die ent­spre­chen­de Blog­ger-Kli­en­tel an die tra­di­tio­nel­len Me­di­en bin­den. Ver­ein­nah­mung durch Um­ar­mung. Da­bei ist der we­sent­li­che Un­ter­schied zwi­schen Jour­na­list und Blog­ger ei­gent­lich nicht auf­zu­he­ben: Ein Blog­ger hat eben nicht die Mög­lich­keit, wie ein Jour­na­list in ei­nem Me­di­um zu be­rich­ten – das ist ja ge­ra­de der Grund für sei­nen Web­log. Hier­aus kann sich – im Ide­al­fall – ei­ne Un­ab­hän­gig­keit in der Be­wer­tung ei­nes Sach­ver­hal­tes zei­gen, die dem Jour­na­li­sten, der un­ter Um­stän­den an be­stimm­te Vor­ga­ben der Re­dak­ti­on ge­bun­den ist oder öko­no­mi­sche Rück­sich­ten auf Wer­be­kun­den zu neh­men hat, so nicht im­mer mög­lich ist. »Blog­jour­na­list« ist in die­sem Sin­ne ein Oxy­mo­ron, wenn er den Re­dak­ti­ons­jour­na­li­sten meint, der sich vir­tu­ell zu­sätz­lich auf der Web­sei­te sei­ner ei­ge­nen Re­dak­ti­on äu­ssert.

Der Trend ist schon vor­bei, be­vor er an­ge­fan­gen hat?

Die Spe­ku­la­ti­on über die Zu­kunft von Web­logs – ge­ra­de auch im deutsch­spra­chi­gen Raum – ist mü­ssig. Si­cher­lich wer­den in den näch­sten Jah­ren ei­ni­ge Blog­ger üb­rig­blei­ben, wäh­rend die gro­sse Mas­se ver­schwin­den wird. Die durch­schnitt­li­che Zeit, die ein Web­log heu­te on­line ist, liegt bei sechs Mo­na­ten. Schnell sind an­de­re Frei­zeit­an­ge­bo­te at­trak­ti­ver. Wer bleibt, hat es ent­we­der »ge­schafft« (und gilt als ar­ri­viert) oder hat ei­ne klei­ne, ihm aber ge­nü­gen­de Schar Gleich­ge­sinn­ter um sich.

‘Ar­ri­vier­ter Blog­ger’ ist al­ler­dings das zwei­te Oxy­mo­ron in die­sem Auf­satz: Ähn­lich ei­ner »au­sser­par­la­men­ta­ri­schen Op­po­si­ti­on«, die dann im Par­la­ment und Jah­re spä­ter auf den Re­gie­rungs­bän­ken Platz nimmt, läuft der Blog­ger, der sich ne­ben den gro­ssen, klas­si­schen Me­di­en be­haup­ten kann, Ge­fahr, ir­gend­wann in ei­ner »sanf­ten Um­ar­mung« gro­sse Tei­le sei­nes un­ab­hän­gi­gen Gei­stes durch Ein­bin­dung in vor­her nicht ge­kann­te Zwän­ge op­fern zu müs­sen. Das be­ginnt noch harm­los bei dem täg­li­chen Ab­ruf der Be­su­cher­quo­te und en­det un­ter Um­stän­den in Phä­no­me­nen wie Schreib­blocka­den. Web­logs als Sprung­brett für ei­ne wie im­mer ge­ar­te­te jour­na­li­sti­sche Kar­rie­re dürf­te bei vie­len Blog­gern ein Grund (ge­we­sen) sein, da­mit zu be­gin­nen. Und in der Er­nüch­te­rung, dass nie­mand an die Tü­re klopft, wird die Woh­nung schnell wie­der ge­räumt.

Ret­tungs­ver­such. War­um nicht Kräf­te in ei­nem Fo­rum bün­deln?

Die Ver­ein­ze­lung der Blog­ger ist ei­ner­seits ge­wollt (Nar­ziss­mus), an­de­rer­seits ver­lin­ken sich Gleich­ge­sinn­te, um im Blogroll (der Li­ste, der von ih­nen »abon­nier­ten Web­logs«) ei­ne Art Do­ku­men­ta­ti­on über ih­re Ge­sin­nungs­freun­de auf­zu­zei­gen. Der ar­gu­men­ta­ti­ve Aus­tausch ist bei vie­len nicht un­be­dingt er­wünscht – das hat­ten wir be­reits. Den­noch gibt es Web­logs, auf de­nen nicht nur der Al­lein­herr­scher do­mi­niert und sei­ne Cla­queu­re um sich ver­sam­melt, son­dern die ei­nen Plu­ra­lis­mus pfle­gen.

Statt nun durch das »Track­backen« (die Ver­lin­kung ei­nes Bei­tra­ges auf den ei­ge­nen Web­log) ei­ne in­ter­es­san­te und an­spruchs­vol­le Dis­kus­si­on in ei­nem kon­tro­ver­sen Be­reich zu zer­split­tern (»Ich ha­be hier [es folgt der Link zum ei­ge­nen Web­log] was da­zu ge­sagt und neh­me auch noch auf die­sen Kom­men­tar [Link ei­nes drit­ten Web­logs] Stel­lung...«) und für den un­be­tei­lig­ten aber in­ter­es­sier­ten Le­ser trans­pa­rent und frucht­bar zu ma­chen, könn­te man die Kräf­te der ein­zel­nen Blogs auf ei­nem Fo­rum zu­sam­men­fü­gen. Die­ses Fo­rum soll­te ei­nen ge­wis­sen An­spruch for­mu­lie­ren, in­ter­dis­zi­pli­när sein und – vor al­lem! – mo­de­riert wer­den. (Hier schei­den sich al­ler­dings be­reits zum er­sten Mal die Gei­ster: die Ver­fech­ter des selbst­or­ga­ni­sier­ten, grup­pen­dy­na­mi­schen und an­ti­au­to­ri­tä­ren Stils se­hen das ganz an­ders und wit­tern in je­der Mo­de­ra­ti­on ei­nen Akt des Zen­s­ur­teu­fels.) Es soll­te al­le Vor­tei­le ei­nes Web­logs ha­ben und sei­nen Mehr­wert durch die Bün­de­lung der plu­ra­li­sti­schen Dis­kur­se ge­ne­rie­ren.

Die Ver­su­che im deutsch­spra­chi­gen Raum, so et­was auf die Bei­ne zu stel­len, sind nicht all­zu zahl­reich. Aber es gibt sie. Ne­ben Gi­ga ist da vor al­lem na­tür­lich Nensch zu nen­nen. Vor neun Mo­na­ten be­schäf­tig­te ich mich be­reits hier mit der Zu­kunft die­ses On­line­fo­rums. In der Zwi­schen­zeit hat sich nichts ge­tan; seit kur­zer Zeit wird nun wie­der ein­mal ein Re­launch in Aus­sicht ge­stellt.

Die Grün­de für das der­zeit ra­chi­ti­sche Er­schei­nungs­bild von Nensch sind viel­fäl­tig und wür­den den Ge­gen­stand die­ses Auf­sat­zes spren­gen. Sie sind viel­schich­ti­ger Na­tur und nicht zu­letzt in per­sön­li­chen Ei­tel­kei­ten der »Com­mu­ni­ty« zu su­chen. Die ent­schei­den­de und viel in­ter­es­san­te­re Fra­ge ist, war­um es Nensch nie ge­lang – auch in den Spit­zen­zei­ten – ei­ne kon­stant gro­sse Zahl von Be­nut­zern an­zu­spre­chen und zur Teil­nah­me zu moti­vieren, wäh­rend par­al­lel da­zu das eher an ju­gend­li­che ori­en­tier­te Fo­rum Gi­ga auf meh­re­re ‑zig­tau­send User kam.

Es gibt rd. 100 Mil­lio­nen deut­sche Mut­ter­sprach­ler. Zu den an­ge­spro­che­nen Spit­zen­zei­ten ver­sam­mel­ten sich bei Nensch rd. 50 User pro Wo­che, die re­gel­mä­ssig mit Bei­trä­gen und/oder Kom­men­ta­ren ak­tiv teil­nah­men. Mehr als 1600 Men­schen sind bei Nensch der­zeit (rd. vier Jah­re nach der Grün­dung) nicht an­ge­mel­det. Die Fra­ge ist: War­um hat ein ni­veau- und an­spruchs­vol­les Fo­rum kein Wachs­tum schaf­fen kön­nen? Wird der Markt über­schätzt?

An­de­rer­seits: Das m. E. der­zeit ak­tiv­ste und in­ter­es­san­te­ste Fo­rum ist das der Ta­ges­schau. Hier wer­den zwar die The­men vor­ge­ge­ben, aber je­der User kann in­ner­halb des The­mas selbst wie­der Un­ter­the­men for­mu­lie­ren (was ge­le­gent­lich zu un­nö­ti­gen Zer­split­te­run­gen führt). Der­zeit sind dort rd. 16.000 User an­ge­mel­det; die Zahl der re­gel­mä­ssi­gen Kom­men­tie­rer er­scheint je­doch auch über­sicht­lich. Das Fo­rum wird ziem­lich streng mo­de­riert; die zur Ver­fü­gung ge­stell­ten Tools sind ein­ge­schränkt (bei­spiels­wei­se kei­ne Bil­der).

Die Ent­wick­lung des Web­logs steck­te im Jahr 2003, al­so bei Grün­dung von Nensch, noch in den Kin­der­schu­hen. Hät­te ein sol­ches Fo­rum heu­te mit an­de­rer Soft­ware und ag­gres­si­ver Wer­bung trotz­dem ei­ne Chan­ce? An­ders ge­fragt: Wür­den die Blog­ger ih­re si­che­ren und kom­for­ta­blen Herr­scher­ses­sel ih­rer Web­logs zu Gun­sten der har­ten Bän­ke ei­nes Fo­rums auf­ge­ben, nur um ei­nen (nicht in je­dem Fall si­che­ren) Mehr­wert in ei­ner nicht zer­splitterten Dis­kus­si­on wil­len? Wä­re ei­ne sol­che Fu­si­on von »Qua­li­täts­blogs« über­haupt wünschens­wert? Oder wä­re sie gar not­wen­dig, um durch die­se Bün­de­lung ei­ne Dis­kurs­ho­heit zu ge­ne­rie­ren, die eben nicht nur ei­ne kri­ti­sche Mas­se er­reicht, son­dern ei­ne grö­sse­re Ver­brei­tung hät­te? Wie schafft man es, ein mög­lichst breit ge­fä­cher­tes Meinungs­spektrum an­zu­spre­chen, oh­ne aber so­fort den Pö­bel do­mi­nie­rend zu ha­ben? Wer or­ga­ni­siert die so­zia­len Dif­fe­ren­zen, die si­cher­lich schnell ent­ste­hen dürf­ten? Oder sind die gän­gi­gen Ver­net­zungs­mög­lich­kei­ten über die Web­logs aus­rei­chend, um den klas­si­schen Me­di­en da­mit (ein­mal) pa­ro­li bie­ten zu kön­nen?

Oder ist das Ein­tau­chen in die vir­tu­el­le Welt der Blogo­sphä­re oder der Fo­ren nur ein em­pheme­res Ver­lan­gen? Die Be­ant­wor­tung die­ser Fra­ge dürf­te sich ein Stück weit von den Mög­lich­kei­ten her klä­ren, die dem Be­nut­zer ge­bo­ten wer­den und die er zu­lässt. Auf Dau­er dürf­te selbst dem ei­tel­sten Nar­ziss­ten der Ap­plaus der Cla­queu­re zu lang­wei­lig wer­den. Dürf­te? Müss­te!


Dank für den Link zu Lo­vinks Es­say an Mi­cha­el Rol­off

20 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Sie ma­chen es ei­nem nicht leicht, ist ja wohl auch nicht Ih­re Ab­sicht, zu so ei­nem all­um­fas­sen­den Auf­satz ei­nen Kom­men­tar zu schrei­ben. Ih­re Be­ob­ach­tun­gen und An­mer­kun­gen zur Blog­phä­re ins­ge­samt, kann ich weit­ge­hend nach­voll­zie­hen, aber es fällt mir schwer, mit glei­cher Ernst­haf­tig­keit über die Zu­kunft die­ses mo­men­tan so mo­di­schen Me­di­ums nach­zu­sin­nen.
    Ir­gend­wann ha­be ich mal kurz be­schrie­ben war­um ich blog­ge und das ist für mich auch das ein­zi­ge Kri­te­ri­um: Ich schrei­be halt ger­ne klei­ne Ge­schich­ten und hof­fe, dass sie auch für an­de­re, vor al­lem für un­se­re Ver­wand­ten, Freun­de und Be­kann­ten , denn die stel­len den Haupt­teil der Le­ser, in­ter­es­sant sind. Wenn sich noch je­mand da­für in­ter­es­siert, ist’s mir na­tür­lich recht. Bei­trä­ge mit oft­mals holz­schnitt­ar­ti­ger Mei­nungs­äu­ße­rung ver­fas­se ich mit der Il­lu­si­on, die Ver­öf­fent­li­chung im Netz wür­de mei­ne Sicht der Din­ge welt­weit hin­aus­po­sau­nen und auch pro­vo­zie­ren, was na­tür­lich ei­ne völ­lig nai­ve Selbst­täu­schung ist, die mir aber ge­fällt.
    Wenn ich je­man­den ziel­ge­rich­tet er­rei­chen will, schicke ihm den Bei­trag per mail. Da be­kommt man manch­mal lu­sti­ge Re­ak­tio­nen.
    Ziem­lich egal ist mir, was auf man­chen Pri­mi­tiv­sei­ten ab­ge­son­dert wird und wenn sich be­stimm­ten Grup­pen in ih­rem Dünn­pfiff suh­len – von mir aus, sol­len sie doch. Es ist ge­nau­so ir­rele­vant wie mei­ne Er­güs­se.
    Ir­gend­wann, da stim­me ich mit Ih­nen wie­der­ein­mal über­ein, wird sich auch das Blog­gen über­lebt ha­ben, wo doch so­wie­so schon al­les ge­sagt ist, nur noch nicht von je­dem ( Carl Va­len­tin).
    Nicht über­le­ben wird sich, bei Ih­nen wie bei mir, die Lust dar­an, Din­ge auf­zu­schrei­ben und um das ei­ner klei­nen, aber in­ter­es­sier­ten Le­ser­schaft zu­zu­füh­ren, wer­den wir im­mer ei­nen Weg fin­den, auch oh­ne Blog.
    Ein Letz­tes noch: Sie fra­gen rhe­to­risch, wel­chen Mehr­wert es dem Le­ser ei­nes Bu­ches brin­ge, ei­ne Re­zen­si­on ei­nes ihm völ­lig un­be­kann­ten Blog­gers zu le­sen ...Nun, Ih­re Re­zen­sio­nen le­se ich mit Ge­nuss, die man­cher pro­fes­sio­nel­ler Re­zen­sen­ten oft­mals nur ge­lang­weilt. Auch wenn sich das jetzt sehr nach Claque an­hört, ich hof­fe, es freut Sie den­noch.

  2. Den Spruch von Va­len­tin...
    kann­te ich noch nicht – er trifft aber den Na­gel auf den Kopf. Ich hab in der Zi­ta­ten­dan­bank auf der of­fi­zi­el­len Home­page noch ein an­de­res, mar­kan­tes Zi­tat ge­fun­den: Ich bin auf Sie an­ge­wie­sen, aber Sie nicht auf mich! Mer­ken Sie sich das!

    Sehr in­ter­es­sant fin­de ich Ih­re Fest­stel­lung: »Nicht über­le­ben wird sich, bei Ih­nen wie bei mir, die Lust dar­an, Din­ge auf­zu­schrei­ben und um das ei­ner klei­nen, aber in­ter­es­sier­ten Le­ser­schaft zu­zu­füh­ren, wer­den wir im­mer ei­nen Weg fin­den, auch oh­ne Blog.« Sie ha­ben zwar da­hin­ge­hend recht, dass ich im­mer schon Tex­te ver­fasst ha­be, al­ler­dings sel­ten bis nie dar­an dach­te, die­se zu pu­bli­zie­ren. Das war erst durch das In­ter­net mög­lich; als Di­let­tant hat man in pro­fes­sio­nel­len Re­dak­tio­nen kei­ne Chan­ce.

    Der Grund für mein Schrei­ben lag / liegt je­doch nicht im Wunsch der Wei­ter­ver­brei­tung. Ich ha­be fest­ge­stellt, dass ich mir das Ge­le­se­ne bes­ser mer­ken, es auch bes­ser im Kon­text mit an­de­ren Tex­ten ru­bri­zie­ren kann, wenn ich hier­über schrei­be. Es ist al­so letzt­lich ei­ne Art, mir die Bü­cher bes­ser ein­zu­prä­gen (No­ti­zen ver­fas­sen reicht bei mir üb­ri­gens nicht). Die Ver­öf­fent­li­chung ist se­kun­där; sie dis­zi­pli­niert al­ler­dings (was ich mer­ke, wenn ich al­te Be­spre­chun­gen her­vor­ho­le und sie – sel­ten – für die­sen Blog »auf­be­rei­te«).

    Was die Blogo­sphä­re an­geht, ha­ben Sie na­tür­lich auch Recht: Was in­ter­es­sie­ren mich die Aus­wüch­se, der »Dünn­pfiff«? Na­ja, ir­gend­wie in­ter­es­siert es mich fast zwangs­läu­fig. Sie kom­men nicht um­hin, dass gro­be Ver­all­ge­mei­ne­run­gen in der Öf­fent­lich­keit (»die Blog­ger«; »die Jour­na­li­sten«) im­mer von dem Bild ge­prägt wer­den, was vor­herrscht. Und wenn es in­zwi­schen Web­logs gibt, die ein­deu­tig ras­si­sti­sches Ge­dan­ken­gut äu­ssern, so ist das schon wich­tig. Es wä­re für mich bei­spiels­wei­se un­mög­lich, bei ei­nem Ho­ster ei­nen Web­log zu ha­ben, der ge­gen die­se Web­logs nichts un­ter­nimmt.

    Das Lob für die Re­zen­sio­nen neh­me ich ger­ne auf und dan­ke da­für.

    [EDIT: 2007-03-14 08:12]

  3. Eph­eme­res Ver­lan­gen & der re­le­vant-set
    Hal­lo Gre­gor Keu­sch­nig,

    ich hat­te mei­ne No­ti­zen noch mal kurz über­ar­bei­ten wol­len – sie wa­ren mir viel zu lang ge­ra­ten, zu­min­dest für ei­nen Kom­men­tar zu lang -, und auf ein­mal merk­te ich, dass dem Lovink’schen An­satz von den Nar­ziss­ten / Ni­hi­li­sten viel­leicht doch mehr ab­zu­ge­win­nen ist. Fa­zit: Mein Ma­te­ri­al wä­re im Mo­ment ein­fach zu um­fang­reich, und ich wür­de es sel­ber ger­ne noch ein­mal struk­tu­rie­ren.

    (Da ich sonst eher vom li­te­ra­ri­schen Schrei­ben kom­me, le­ge ich Wert eher auf ein­zel­ne ver­suchs­wei­se Ge­dan­ken­füh­rung, nicht so sehr auf Stren­ge oder gar Sy­ste­ma­ti­ken; das Ver­wür­fel­te an Ge­dan­ken kann so oft an­ders­wie zu Tref­fern füh­ren. Ich mer­ke aber au­ßer­dem, dass ich – mit teils an­de­ren Ak­zen­tu­ie­run­gen – teil­wei­se zu ähn­li­chen Schluss­fol­ge­run­gen, wie Sie kom­me, so dass ich es nicht nur spie­geln möch­te.)

    Um es ein­mal – kurz – von hin­ten an­zu­ge­hen: eph­eme­res Ver­lan­gen. Ich ver­mu­te, da­mit tref­fen Sie et­was. War­um woll­ten / soll­ten sich selbst­be­wuss­te Bei­trä­ger im Span­nungs­feld zwi­schen Kon­sens­druck und „anything goes – lais­sez fai­re“ (oder eben al­le an­de­ren, die es nicht ein­mal ernst mei­nen) ei­ner Fo­rums­dis­zi­plin un­ter­wer­fen? Ist nicht ge­ra­de das Da­sein als „Ele­men­tar­teil­chen“ der neue Ho­ri­zont, wie sonst auch (ge­sell­schaft­li­che Ato­mi­sie­rung, Bin­dungs­lo­sig­keit, Mo­bi­li­tät)? Ja, Ap­plaus ist si­cher lang­wei­lig. („Wer ap­plau­diert, er­klärt sich ein­ver­stan­den... wie kann er ge­meint sein?“) Ich den­ke, nur ei­ne Min­der­heit sucht den tat­säch­li­chen Aus­tausch de­zi­dier­ter Hal­tun­gen als ei­nen Weg zum Wei­ter­kom­men, sei es im Streit. Spiel­re­geln be­deu­te­ten ja wie­der Ver­bind­lich­keit.

    Kann es aber sein, dass da – ne­ben Träg­heit, Des­in­ter­es­se usw. – auch ein Mo­ment an Ver­geb­lich­keit mit­spielt? Man müss­te sei­ne Mo­ti­ve, d.h. letzt­lich sei­ne Il­lu­sio­nen of­fen­le­gen. Ich sel­ber se­he mich nicht als Pes­si­mist, aber be­zweif­le nach mei­nen Er­fah­run­gen vie­les, ob es der An­stren­gung (noch / noch ein­mal) wert wä­re.

    Ich se­he nur: Für mich ist das Blog­gen et­was an­de­res, als für die mei­sten an­de­ren. Das kann ich auch „eph­eme­res Ver­lan­gen“ nen­nen. Mei­ne ernst­haf­ten An­stren­gun­gen ge­hen ganz an­ders­wo­hin, bzw., ich ent­neh­me dann dem ne­bei ge­führ­ten „Ver­suchs­raum Blog“ dann nach­träg­lich für mich, was ich dort spie­le­risch ge­win­nen kann. Mir reicht das.

    Mit dem „streng mo­de­rier­ten Fo­rum“ ha­ben Sie si­cher recht. (So et­was gibt es aber doch in den USA, pro­fes­sio­na­li­siert dann um Re­dak­tio­nen... so­wie um nur et­was an­ders de­fi­nier­te Re­geln dann wie­der im üb­li­chen Me­di­en-Raum.) Aber dar­in se­he ich nur EINE Mög­lich­keit von bes­se­ren Blogs. Re­le­vanz­en, auf die Min­der­hei­ten hof­fen, kann auch an­ders­wie ent­ste­hen. Die, auf die ich set­zen wür­de (mit X Res­sour­cen für In­for­ma­tio­nen, mit de­nen ich mich gut be­dient füh­le) von mir aus auch im Nar­ziss­mus Ein­zel­ner für Ein­zel­ne. Ehr­lich ge­sagt hät­te ich für er­schöp­fen­de Be­schäf­ti­gung da­mit gar kei­ne Zeit.

    Das Ge­fü­jl der Ver­geb­lich­keit aber rührt ja eben auch um die Schwie­rig­keit der Er­klär­bar­keit der Welt. (Et­wa der von Ih­nen auf­ge­zähl­ten Phä­no­me­ne. Und jetzt kommt auch noch der viel­leicht nicht ein­mal mehr auf­zu­hal­ten­de Kli­ma­wan­del. Im­mer öf­ter mei­ne ich, die Leu­te schau­ten zwar mit weit of­fe­nen Au­gen, ja, auch stau­nend fast, was da pas­siert... aber dann wid­men sie sich doch ih­rem Eis in­mit­ten des „schö­nen Wet­ters“. Die An­ti­quiert­heit des Men­schen. Baudrillard’sche Fa­ta­li­tät: Es ist nicht zu än­dern.)

    Was wä­re denn IHR per­sön­li­ches Ver­lan­gen? Wä­re es nicht als eben Ih­res eben­so „eph­emer“? Er­hof­fen Sie für sich ei­ne Be­deu­tung in die­sem rie­si­gen Chor der dis­pa­ra­ten Stim­men? Was wol­len Sie der Welt denn sa­gen? Was wä­re Ih­re Am­bi­ti­on? (Ich mei­ne das nicht po­le­misch.)

    Wenn Sie sich den Print­markt an­se­hen – wer heu­te noch qua­li­ta­ti­ve Ana­ly­se sucht, der liest dort -, so ist der eben­so ato­mi­siert... kan­ni­ba­li­siert kann man schon sa­gen. Al­les gibt es längst für al­le Ziel­grup­pen in x‑fachen Va­ria­tio­nen. Und was re­üs­siert? Peo­p­le-Quatsch wie „Va­ni­ty Fair“. Oder sie­he über­haupt die Even­ti­sie­rung des Jour­na­lis­mus auch in der mar­gi­na­len Mel­dung, in der zu­neh­men­den Ver­quickung mit PR und Spon­so­ren­tum. Da lo­be ich mir mei­ne – ja nur welt­ab­ge­wandt schei­nen­den – Feuil­le­tons. Wo­mög­lich sind Re­le­vanz­en längst nur mehr dort, wo bis zum Über­druss an­ge­dien­te Mehr­hei­ten es gar nicht mehr hin­schaf­fen?

    Wohl ge­merkt: Ich se­he mich den­noch nicht als Zy­ni­ker – und schon gar nicht als Ni­hi­list (ob­wohl es im Lovink’schen Sin­ne nicht ganz von der Hand zu wei­sen wä­re). Der Nar­ziss­mus er­klärt es aber auch (hät­te ich kei­nen ein­zi­gen Le­ser, mach­te ich trotz­dem wei­ter). Ich den­ke, mit der For­mel vom „eph­eme­ren Ver­lan­gen“ lie­gen Sie ins­ge­samt nicht so falsch.

    P.S.
    (Sie ha­ben, glau­be ich, ei­nen pay-ac­count bei two­day, oder? Wenn Sie das hier als Task wei­ter­füh­ren, wer­de ich dem­nächst punk­tu­ell im­mer mal wie­der drauf ein­ge­hen, und viel­leicht kommt man im Ein­zel­nen der Aspek­te et­was wei­ter?
    [Ich hat­te es mir in Stich­wor­te zer­legt: Form, Hype, Mar­ke­ting, Wahr­heit, Sen­dungs­be­wusst­sein, Di­ver­si­tät... etc. ]
    Die­ser Wunsch, et­was sy­ste­ma­tisch zu fas­sen, führt oft zum Weg­fall von Dis­pa­ra­tem, aber er­klärt des­sen Pro­mi­nenz doch nicht.)

  4. Vie­len Dank für die­sen Kom­men­tar. Wir hat­ten ja an­satz­wei­se schon hier die Dis­kus­si­on be­gon­nen. Ich möch­te auf ei­ni­ge Punk­te kurz ein­ge­hen (eher un­ge­ord­ne­te Ge­dan­ken).

    Fo­rum und Fo­rums­dis­zi­plin
    Mei­ne Er­fah­run­gen mit Fo­ren sind am­bi­va­len­ter Na­tur – wie mit Web­logs auch. Ein sich selbst or­ga­ni­sie­ren­des Fo­rum, in dem je­der das macht, was er will, und nur durch ei­nen amor­phen Grup­pen­druck »dis­zi­pli­niert« wird, funk­tio­niert nicht. Es be­darf »Spiel­re­geln«, um über­haupt in so et­was wie Dis­kus­si­on ein­tre­ten zu kön­nen. An­dern­falls ar­tet es ziem­lich schnell in wü­ste Be­schimp­fun­gen aus. Das ist auch der Grund, war­um ich nicht (mehr) auf Blogs kom­men­tie­re, die si­gna­li­sie­ren, dass sie kei­ne ab­wei­chen­de Mei­nung ge­stat­ten. Das sind üb­ri­gens mit­nich­ten nur die üb­li­chen ex­tre­mi­sti­schen Schwach­köp­fe; die le­se ich erst gar nicht. Aber die Zeit, ei­ne Mei­nung zu le­sen und dann bei der Kom­men­tie­rung un­will­kom­men zu sein, ist ver­schwen­det. Ich könn­te hier jetzt Na­men nen­nen, las­se es aber.

    Die­se Hal­tung aber ist es, die zu ei­ner Ato­mi­sie­rung bei­trägt. Und hier­in – in der Mög­lich­keit des zi­vi­li­sier­ten Dis­kur­ses – liegt der (noch vor­han­de­ne) Vor­teil bspw. des klas­si­schen Feuil­le­tons z. B. der »ZEIT«, der »FAZ« oder der »SZ«.

    Die nicht (bzw. kaum) in­sti­tu­tio­nell ver­tre­te­ne, »kri­ti­sche Mas­se« ist in die­sen Dis­kur­sen al­ler­dings nicht oder kaum ver­tre­ten, da oft ge­nug ei­ne ge­wis­se Be­triebs­blind­heit im Feuil­le­ton ein­ge­tre­ten ist. Der ein­zel­ne Blog­ger, der bspw. de­zi­diert Hand­kes Ju­go­sla­wi­en-Tex­te un­ter­sucht, oh­ne schon per se das fer­ti­ge Ur­teil pa­rat zu ha­ben, hat da kei­ne Chan­ce. Da­her die va­ge Idee ei­ner Bün­de­lung der Kräf­te.

    Ein Fo­rum hat den Vor­teil, dass sich im Ide­al­fall Grup­pen bil­den, die sich ge­gen­sei­tig »be­fruch­ten«. Das ist bei Nensch ab und an ein­ge­tre­ten; zu­ge­ge­be­ner­ma­ssen sel­ten. Die Cli­quen- bzw. Grüpp­chen­bil­dung ist m. E. nicht pri­mär falsch bzw. ei­ner Dis­kus­si­on ab­träg­lich.

    Mei­ne The­se ist: Wer lan­ge bloggt, al­so qua­si die vol­le »Frei­heit« ge­niesst, wird nur schwer ei­nen zu­sätz­li­chen »Mehr­wert« dar­in er­ken­nen, die­se Po­si­ti­on auf­zu­ge­ben. Sie be­stä­ti­gen das mehr oder we­ni­ger di­rekt. Ich hal­te das im üb­ri­gen auch nicht für schlimm – ich kon­sta­tie­re hier nur.

    Über Fo­ren in den USA ha­be ich zu we­nig Ah­nung. Ich ken­ne K5 und ha­be ei­ni­ge In­for­ma­tio­nen aus Möl­lers Buch.

    In­ten­ti­on
    Ih­re In­ten­ti­on des Blog­gens ist in der Tat ei­ne an­de­re als bspw. mei­ne. Hier gibt es In­for­ma­tio­nen über Stu­di­en zum Blog­gen; man kommt hier so recht nicht wei­ter.

    Schön fin­de ich Ih­re Ana­lo­gie des Lu­the­ri­schen Ap­fel­bäum­chens auf Ihr Blog­gen. Die­se Sicht ist mir ziem­lich fremd, wo­bei wir bei Ih­rer ap­pell­ar­ti­gen Fra­ge wä­ren:

    Was wä­re denn IHR per­sön­li­ches Ver­lan­gen? Wä­re es nicht als eben Ih­res eben­so „eph­emer“? Er­hof­fen Sie für sich ei­ne Be­deu­tung in die­sem rie­si­gen Chor der dis­pa­ra­ten Stim­men? Was wol­len Sie der Welt denn sa­gen? Was wä­re Ih­re Am­bi­ti­on? (Ich mei­ne das nicht po­le­misch.)

    Ich neh­me es wirk­lich nicht po­le­misch und kann nur reich­lich na­iv ant­wor­ten: Ich weiss es nicht ge­nau. Die pro­fa­ne Ant­wort ha­be ich oben be­reits ge­ge­ben: Wenn ich über et­was schrei­be, bleibt die Be­schäf­ti­gung mit dem The­ma (bzw. dem Buch) län­ger haf­ten und ist in­ten­si­ver. Das kann aber nur ein Teil die­ses »eph­eme­ren Ver­lan­gens« sein. Ich glau­be ge­le­gent­lich, es ist wie ein Be­rufs­wunsch, den man als Kind ge­habt hat: Ir­gend­wann weiss man nicht mehr, was man dar­an ei­gent­lich so toll fand.

    Und: Ja, viel­leicht ist es tat­säch­lich ein Nar­ziss­mus, der sich aus der An­ma­ssung speist, dass ir­gend­je­man­den das, was zu ei­nem be­stimm­ten The­ma denkt, in­ter­es­siert, ja: zu in­ter­es­sie­ren hat.

    Aus­blick
    Ih­re wei­te­ren Kom­men­ta­re sind na­tür­lich will­kom­men. Den Ac­count schlie­sse ich ‑noch- nicht, al­so kei­ne Sor­ge.

  5. Ein CERN für an­de­ren Ar­ten von Ele­man­t­ar­teil­chen
    Die Fra­ge ist, ob Ato­mi­sie­rung per se schlecht ist... ob Blog oder In­ter­net-Raum nicht eben pri­mär Spiel­wie­sen sind auch für „eph­eme­re Ver­lan­gen“? Der Drang zur Ge­mein­schafts­bil­dung kann sich ja durch­aus er­ge­ben (bzw. es gibt ihn ja aus­rei­chend: die Kon­sens­for­men, die „Ge­walt­tä­tig­kei­ten ih­rer Pro­duk­ti­ons­ge­wiss­hei­ten“ [Rai­nald Götz] sind ja Teil des Pro­blems) – und sei es nur als Um­keh­rung über Sät­ti­gungs­ef­fek­te oder die letzt­end­lich um sich grei­fen­de Ori­en­tie­rungs­lo­sig­keit. Das Be­dürf­nis nach „Zu­sam­men­sein“ (im Sloterdijk’schen Sin­ne: Bla­sen, Kon­ti­nu­en, Sphä­ren zu bil­den mit de­ren Les­ar­ten) wird ja an­ders­wo im an­geb­lich rea­len Le­ben ge­nug ge­pflegt.

    Geht es aber um – im wei­te­sten Sin­ne – po­li­ti­sche An­teil- oder Wir­kungs­nah­me, müss­te man dem neu­en Me­di­um wohl auch Zeit ge­ben, et­was „er­wach­se­ner“ zu wer­den. Und ja, ge­gen die all­seits ein­ge­ris­se­nen Sit­ten hel­fen dann auch nur Ein­sicht und Selbst­dis­zi­plin. Wer aber fühl­te sich bei all der Selbst­ver­wirk­li­chung und Ich-Göt­te­rei da­zu be­ru­fen? Zu wel­chem hö­he­ren Zweck?

    Will sa­gen: So, wie man sich dar­an ge­wöhnt hat, dass im Netz „al­les um­sonst“ ist – und qua­li­ty con­tent eben nur für Min­der­hei­ten -, so müss­te man die non­cha­lan­ten Ver­hal­tens­wei­sen eben mit­be­den­ken und dar­aus sel­ber wie­der Fun­ken zu schla­gen ver­su­chen. Sie zu­min­dest hin­neh­men kön­nen.

    Denn: Mir sind doch bei der Su­che nach neu­en Äu­ße­rungs­for­men auch im­mer wie­der Mo­men­te auf­ge­fal­len, die man hät­te ver­stär­ken kön­nen, im Sin­ne von Of­fen­heit im In­halt und in der Form. Nur war da nie je­mand, der die un­schul­di­gen Fin­der (For­mu­lie­rer) hät­te er­mu­ti­gen oder erst ein­mal dar­auf auf­merk­sam ma­chen kön­nen – zu­vie­les geht erst­mal un­ter. Und das bringt mich wie­der dar­auf, dass ei­ner­seits sol­che Din­ge wohl be­nannt und ge­för­dert ge­hö­ren (Fo­rum), an­de­rer­seits so zu sa­gen evo­lu­tiv und co-evo­lu­tio­när sich auch durch­set­zen kön­nen müs­sen. Viel­leicht ab­sor­biert die Mehr­heit um ih­res Be­har­rens wil­len das Ro­he, nicht gleich Ein­zu­ge­mein­den­de? Viel­leicht stö­ren aber man­che sich auch an eben alt­her­ge­brach­ten For­men, die sie um ih­rer selbst wil­len ein­ge­hal­ten ver­ste­hen?

    Mich fas­zi­niert die­ser Ge­dan­ke von der „Schwarm-In­tel­li­genz“. Dass vie­le zu­sam­men et­was wis­sen / schaf­fen kön­nen, das ih­nen als ein­zel­nen nicht ge­län­ge. Wie bil­den sich da aber die Über­schüs­se, die Über­sprün­ge, die wei­ter­füh­ren­den Ef­fek­te? Et­wa nicht oft auch aus ei­nem qua­si Un­be­wuss­ten der Men­ge? Et­was das ihr eben noch nicht vor-for­mu­liert wor­den war?

    (In bio­lo­gi­schen Schwär­men gibt es kein ein­zel­nes Tier das führt, son­dern es sind an­schei­nend ge­wis­se we­sent­li­che Pa­ra­me­ter, her­aus de­ren Ver­än­de­run­gen es dann zu Po­ten­zia­len und Ver­stär­kungs­ef­fek­ten und da­mit wie­der zu Dy­na­mi­ken kommt.)

    Für mich müss­te es in ei­ner neu­en Art Fo­rum aber auch um ei­ne Hö­he die­ser neu­en Qua­li­tä­ten ge­hen, denn das rei­ne me-too Kom­men­tie­ren bringt es we­der bei (dem al­les be­han­deln­den) spie­gel-on­line noch et­wa in den (neue The­men) Hei­se-Fo­ren, Te­le­po­lis. Letzt­lich ste­hen gu­te Bei­trä­ge dann auch mit dem, was an ih­nen wei­ter­füh­rend wä­re und wie­der auf­ge­nom­men wer­den müss­te, als to­te En­den da.
    Wo­mög­lich bin ICH aber auch das Pro­blem, weil ich zu­vie­le Din­ge im­mer schon weiß (zu wis­sen mei­ne)?

    Viel­leicht ist das Hand­ke-Ju­go­sla­wi­en The­ma ein gu­tes Bei­spiel.
    Ich in Düs­sel­dorf, an dem Hei­ne-Preis-Ver­ga­be-Ort, ha­be hier nicht ei­ne Stim­me ver­nom­men, die mich da­mals hät­te auf­hor­chen las­sen (wie dann wie­der Grei­ner, Hart­wig, März... oder eben Bo­tho Strauß über­re­gio­nal), ob­wohl es et­wa in den lo­ka­len opinio.de-Foren „Wel­len“ schlug (von der „Rhei­ni­schen Post“ be­trie­ben, ein meist als kon­ser­va­tiv klas­si­fi­zier­tes Blatt). Aber mehr als das Hin- und Her der zu er­war­ten­den, an­ders­wo längst leer­ge­lau­fe­nen Ar­gu­men­te er­gab sich tat­säch­lich nicht.
    (Das hat na­tür­lich auch im­mer da­mit zu tun, dass ein selbst­re­fle­xi­ver Blick auf die ei­ge­nen Vor­stel­lun­gen über sol­che Kon­sens-Kor­rekt­hei­ten gar nicht üb­lich ist: Die ver­meint­li­chen [Schwarm-Parameter]-Gewissheiten sind zu stark. Al­lein die Fra­ge, her­aus wel­chen Vor­stel­lun­gen man ei­gent­lich von ei­nem Schrift­stel­ler nur die Dop­pe­lung von mo­ra­li­schen Kor­rekt­hei­ten statt neu­er, an­de­rer, be­rei­chern­de­rer Ge­dan­ken über die Welt oder ei­nen ih­rer Sach­ver­hal­te er­war­tet. Usw.)

    Ich bin es seit lan­gem ge­wohnt, eher auf ein­zel­ne Stim­men zu ach­ten: Im­mer ist es ei­ne ein­zel­ne, die et­was an­ders, mit an­de­ren Be­to­nun­gen oder Un­ter­tö­nen spricht. Die­se ein­zel­ne Ver­suchs­po­si­ti­on aber dar­zu­stel­len, sie – eh ent­spre­chend fra­gil – un­ter dem Druck et­wa vie­ler Kon­sens-Kom­men­tie­run­gen, de­nen sie su­spekt ist, nicht auf­zu­ge­ben... das ist nicht viel­leicht per se sel­ten?

    Aus mei­nem Blick­win­kel wä­re Ato­mi­sie­rung da eben die Stär­ke, näm­lich in dem ein­zel­nen Neu­tri­no, dass sei­ne an­ders­wie leuch­ten­de La­dung ab­gibt... auch wenn es dann doch un­ter dem Feu­er der Mas­sen­mehr­heit von vorn­her­ein mit dem Ver­schwin­den be­droht ist. Wür­de ich es aber sel­ber er­ken­nen, wenn es an mei­nem Be­wusst­seins­ho­ri­zont ge­ra­de et­was dun­kel ist? Oder wenn sei­ne ir­ra­tio­na­le Be­we­gung mei­ner Be­har­rungs­träg­heit zu wi­der läuft? Usw. Viel­leicht müss­te man mal ein Fo­rum star­ten, in dem die un­wahr­schein­lich­sten Mei­nun­gen co-evo­lu­tio­när un­ter­sucht und ge­för­dert wür­den?

    (Pey­mann et­wa, als ei­ner der We­ni­gen, der an­ders­wie auf Klar ein­ging, wur­de trotz sei­ner als „bi­zarr“ eti­ket­tier­ten Po­si­ti­on doch ei­ni­ger­ma­ßen wei­ter­ver­brei­tet... sol­che Ef­fek­te. Da­ge­gen steht dann na­tür­lich die be­kann­te Öko­no­mie der Auf­merk­sam­keit: Mög­lichst „schrill rü­ber­kom­men“ und sich um Sinn und Ver­stand da­bei kaum mehr küm­mern.)

    Statt, dass ich das hier wei­ter spin­ne... wie hät­ten Sie sich die Be­hand­lung des The­mas denn vor­ge­stellt?

  6. Kom­ple­xi­täts­re­du­zie­rung als Er­geb­nis?
    Ich ver­ste­he Ih­re (in mei­nen Au­gen sehr idea­li­sti­sche) Idee des Vor­teils ei­ner Ato­mi­sie­rung, bin mir aber nicht si­cher, ob sie auf Me­di­en an­ge­wen­det wer­den kann. Der Aus­sa­ge, dass in »rea­len Le­ben« das Be­dürf­nis nach »Zu­sam­men­sein« ge­nug ge­pflegt ist, wi­der­spre­che ich so­gar: Ich se­he ge­ra­de hier­in ei­nen we­sent­li­chen Punkt, war­um es Blogs gibt. Und ich se­he hier­in auch wie­der ei­nen Grund für ei­ne ge­wis­se Er­nüch­te­rung, wenn sich die Er­war­tun­gen (das Fin­den von »Gleich­ge­sinn­ten«) nicht er­fül­len.

    Man kann sich na­tür­lich auf den Stand­punkt stel­len, dass je­der »ato­mi­sier­te« Web­log ei­nen ge­wis­sen An­teil an dem hat, was Sie so tref­fend po­li­ti­sche An­teil- oder WIr­kungs­nah­me nen­nen. Es mag die ent­spre­chen­den Kom­mu­ni­ka­ti­ons­theo­rien ge­ben, die dies be­stä­ti­gen.

    Was mir ge­fällt, ist der Ge­dan­ke ei­ner Art evo­lu­ti­ver Durch­set­zung von Äu­sse­run­gen (ich hof­fe, ich ha­be Sie da rich­tig ver­stan­den). Vor­aus­set­zung da­für ist al­ler­dings, dass die­se Äu­sse­run­gen im Mei­nungs­kon­text des »Schwarms« mul­ti­pli­ziert wer­den. Will sa­gen: Mei­ne Ein­ord­nung über Hand­kes Ju­go­sla­wi­en­bü­cher wird nur dann ei­ne ir­gend­wie ge­ar­te­te Ge­wich­tung er­lan­gen, wenn sie ge­le­sen wird. Le­sen ist hier na­tür­lich wört­lich zu ver­ste­hen und nicht im di­gi­ta­len Sin­ne als »Klicken«.

    Was Sie zu den »mee-too«-Kommentarforen sa­gen, ist na­tür­lich un­ein­ge­schränkt rich­tig. Hier­in liegt ein zu­sätz­li­ches Fru­stra­ti­ons­po­ten­ti­al: Te­le­po­lis soll (wie man mir be­rich­tet hat) furcht­bar sein; selbst im »Tagesschau«-Forum ist man vor dem Pö­bel nicht im­mer si­cher. Kom­men­tar­mög­lich­kei­ten auf Web­sei­ten bspw. der »FAZ«, der »SZ«, der »ZEIT« o. ä. die­nen den Be­trei­bern ja letzt­lich nur da­zu, un­mit­tel­ba­ren Re­ak­tio­nen auf ih­re Ar­ti­kel zu er­hal­ten. Da spielt hin­ein, dass die Grup­pe der klas­si­schen »Le­ser­brief­schrei­ber« er­wei­tert wer­den soll – die Mehr­heit der 20–40jährigen greift heut­zu­ta­ge eher zur Mail oder nutzt eben die Kom­men­tar­funk­ti­on. Ei­ne plu­ra­li­sti­sche Dis­kus­si­on kann (und soll wohl auch) hier nicht ent­ste­hen; al­lei­ne schon des­we­gen nicht, weil die Kom­mu­ni­ka­ti­on von »oben nach un­ten« nicht auf­ge­bro­chen wird.

    Bei Nensch wur­den (wer­den) die Bei­trä­ge aus der »Com­mu­ni­ty« sel­ber ge­schrie­ben und von ihr auch kom­men­tiert und dis­ku­tiert. Et­was ähn­li­ches ver­sucht man mit der »Rea­ders Edi­ti­on«, wo­bei hier auch ba­na­le All­tags­mel­dun­gen über Fuss­ball oder Ce­le­bri­ty Ein­gang fin­den und das Kon­zept ver­wäs­sern.

    Ge­ra­de ein sol­ches The­ma wie Handke/Jugoslawien kann auf gän­gi­gen Mei­nungs­fo­ren nicht dis­ku­tiert wer­den. Ich woh­ne ja auch in Düs­sel­dorf und war da­mals gar nicht auf die Idee ge­kom­men, bei der »Rhei­ni­schen Post« ir­gend et­was hier­zu nach­zu­le­sen.

    Der Hei­ne-Preis-Streit hat aber auch in der Blogo­sphä­re fast nur er­nüch­tern­des ge­bracht: Auf two­day war das Ver­hält­nis un­ge­fähr 4:1 »ge­gen Hand­ke«. Hier­über wä­re noch nichts zu sa­gen. Al­lei­ne die »Be­grün­dun­gen« wa­ren auf­schluss­reich: Fast al­le der­je­ni­gen, die sich in wü­sten Be­schimp­fun­gen er­gos­sen hat­ten so gut wie kei­ne ent­spre­chen­den Bü­cher von Hand­ke ge­le­sen, son­dern re­kur­rier­ten nur auf Aus­sa­gen Drit­ter (u. a. sol­cher Idio­ten wie NRW-MP Rütt­gers). Er­schien in ei­nem Me­di­um ein ab­wä­gen­der Ar­ti­kel, bro­del­te des Spiess­bür­gers See­le und droh­te mit dem Ab­be­stel­len des Abos. Ein Blog­ger mein­te, er wer­de jetzt ein­mal was von Hand­ke le­sen – und ern­te­te Un­ver­ständ­nis.

    Die­se Tat­sa­che, dass man sich heut­zu­ta­ge of­fen­sicht­lich nicht mehr schämt, kom­pli­zier­te Sach­ver­hal­te, über die man sich nicht aus er­ster Hand in­for­miert hat bzw. in­for­mie­ren möch­te, trotz­dem apo­dik­tisch zu kom­men­tie­ren, ist be­zeich­nend. Letzt­lich ni­vel­lie­ren sol­che Kom­ple­xi­täts­re­du­zie­rer das gan­ze »Ge­wer­be« auf das Ni­veau ei­nes Stamm­tischs. Es trö­stet nur schwach, dass sol­ches Ver­hal­ten nicht al­lei­ne auf die Blogo­sphä­re be­schränkt ist: Har­ry Ro­wohlt schrieb auch was in der »ZEIT« über den Hei­ne-Preis und Hand­ke und ge­stand dar­in, nach der »Pu­bli­kums­be­schimp­fung« nichts mehr von Hand­ke ge­le­sen zu ha­ben.

    Den von Ih­nen an­ge­spro­che­nen Pey­man­n/Klar-Punkt se­he ich an­ders. Pey­mann hat sich und sein je­wei­li­ges Thea­ter im­mer schon ver­stan­den, ef­fekt­voll dar­zu­stel­len. Kei­ne noch so pla­ka­ti­ve Pro­vo­ka­ti­on war ihm da zu scha­de. Er hat un­glaub­li­ches für deutsch­spra­chi­ge Kul­tur ge­lei­stet und hier­für ge­bührt ihm gro­sser Dank. Aber nach dem Tod von Tho­mas Bern­hard ist sein Thea­ter bzw. sei­ne Art des Thea­ters kaum noch auf­grund der künst­le­ri­schen Aspek­te in den Fo­kus ge­rückt; die In­ten­danz am BE hat ihn noch mehr mar­gi­na­li­siert. Da kommt ei­ne Stel­lung­nah­me zu Klar (und das An­ge­bot, ihn zu be­schäf­ti­gen) ge­ra­de recht, sich wie­der in den Schlag­zei­len zu fin­den. Da­zu pas­sen auch die Selbst­be­weih­räu­che­run­gen der Pres­se­stel­le des BE. Und den­ken Sie dar­an, dass sich Pey­mann schon frü­her für RAF­ler ein­ge­setzt hat (man den­ke an die Sa­che mit Ens­slins Zahn­ersatz). Und »ne­ben­bei« wird dann Pey­manns Mei­nung gleich mit ge­lie­fert. Exo­tis­mus – zu­mal, wenn er elo­quent vor­ge­tra­gen wird – zieht im­mer noch.

    Auf wei­te­re Aspek­te von Ih­nen bin ich sehr ge­spannt. (Vor­stel­lun­gen ir­gend­wel­cher Art hat­te ich kei­ne.)

  7. Ni­schen­exi­stenz – Noch ein­mal zur Gue­ril­la-Par­ti­zi­pa­ti­on von Ein­zel­stim­men
    Kom­ple­xi­tät als Weg in die Ato­mi­sie­rung? »An­ge­sichts der schwie­ri­gen Welt­la­ge hilft nur ei­nes, den Schwie­rig­keits­grad der Kunst zu er­hö­hen.« (Alex­an­der Klu­ge 1967 Ar­ti­sten)

    Im­mer­hin: die Me­di­en und ih­re Ziel­grup­pen, der Markt (wie die ge­sell­schaftl. Grup­pen auch) – sie zer­fal­len ja! Na­tür­lich wird es im­mer auch Samm­lun­gen und Ni­schen ge­ben (das bringt ja auch Vor­tei­le), aber al­le Gro­ßen bün­deln das Dis­pa­ra­te der Spe­zi­al­in­ter­es­sen seit eh und je. Was schwin­det, ist nur der Kon­sens­druck: Dass al­so jem., der sich für Sport in­ter­es­siert, sich auch leid­lich in Eu­ro­pa­po­litk aus­kennt, jem. der Kreuz­wort­rät­sel löst, weiß, dass es auch ei­ne Bör­sen­sei­te gibt. Usw. Die­se Aus­schließ­lich­keit löst auch die ei­ge­ne Ver­bind­lich­kei­ten, das ei­ge­ne Be­tei­ligt­sein: Ir­gend­je­mand wird sich im Pro­blem­fall schon dar­um küm­mern!

    War­um wir ei­ne zu­neh­men­de Sin­gle-Ge­sell­schaft sind, trotz all des Un­ter­hal­tungs-Rem­mi­dem­mis, der Sport­klubs, die um Mit­glie­der pla­ka­tie­ren, der Be­die­nung noch des ab­we­gig­sten Spe­zi­al­in­ter­es­ses, über­las­se ich mal der So­zio­lo­gie. Mit all der »Selbst­ver­wirk­li­chung« des Ein­zel­nen aber schwin­det sei­ne An­schluss­fä­hig­keit, sein Kom­pa­ti­bi­li­tät. Dass al­le ir­gend­wie wol­len, aber nicht mehr recht kön­nen, könn­te an un­zäh­li­gen Phä­no­me­nen auf­ge­zählt wer­den.

    Ei­gent­lich müss­te es we­ni­ger um Gleich- als um An­der­ge­sinn­te ge­hen! Aber das mach­te na­tür­lich er­heb­li­che­re Mü­he, und setz­te wohl auch ei­ne an­de­re Be­wussts­ein­la­ge vor­aus. Aber, um noch ein­mal Bau­dril­lard zu be­mü­hen: Es ist ja der An­de­re, der mir mein So­sein er­mög­licht.

    Tat­säch­lich, so le­se ich Blogs: Se­lek­tiv, un­sy­ste­ma­tisch... aber im­mer nach der Spur Aus­schau hal­tend, die als »ra­di­ka­li­siert« Ein­zel­nes et­was an In­ten­si­tät ver­spricht, in dem ich mich sel­ber, in ei­nem Teil­chen­auf­blit­zen so zu sa­gen, be­grei­fen kann (oder zu­min­dest auf ei­ne an­de­re Idee da­von kom­men).

    Si­cher taug­ten Blogs und ‑Fo­ren grund­sätz­lich auch zur Ver­stän­di­gung über Sach­ver­hal­te, aber es ist doch ge­ra­de die­se Auf­rü­stung (oder auch: The Em­power­ment) des Ein­zel­nen, des Sub­jekts in sei­nem Son­der­fall, das auch des­sen Sub­jek­ti­vi­tät dann her­aus­stellt. Und gilt sie nicht ge­ra­de­zu als die Er­wei­te­rung, als die neue und we­sent­li­che Dif­fe­renz­qua­li­tät zu den »al­ten Me­di­en«, wo die Ob­jek­ti­vie­run­gen ja schon seit ge­lei­stet wer­den (und trotz­dem eben ih­re Re­le­vanz vor den Kom­ple­xi­tä­ten der Welt)?

    Dass die al­ler­mei­ste Sub­jek­ti­vi­tät dann so we­nig an­schluss­fä­hig ist – bzw. wenn al­le Mehr­heits­teil­chen wild feu­ern das Exo­ten­teil­chen dann eben auch un­ter­geht -, ist ei­en an­de­re Sa­che.

    Und die von Ih­nen ge­se­he­ne Kom­ple­xi­täts­re­du­zie­rung ist so­wie­so der Me­ga­trend! Mehr als ein, zwei Kenn­zei­chen ei­ner Sa­che kann das In­fo- und Un­ter­hal­tungs­ge­flu­te­te Durch­schnitts­be­wusst­sein gar nicht pro­zes­sie­ren?

    Ich glau­be manch­mal, der un­se­li­ge Kohl hat mit sei­ner For­mel vom »kol­lek­ti­ven Frei­zeit­park Deutsch­land« da­mals et­was auf den Punkt ge­bracht, das im­mer noch gilt, und zwar bis in die neu­er­dings so ge­nann­te »di­gi­ta­le Bo­hè­me« (auch wenn ein zu­neh­mend grö­ße­rer Teil der Be­völ­ke­rung aus­ge­schlos­sen wird oder sich mehr an­stren­gen muss: Da frisst dann eben Le­bens­er­werb al­le Bür­gers­tu­gen­den von An­teil­nah­me oder so­gar po­li­ti­scher Wil­lens­bil­dung.)

    ***

    Was aber – bei im­mer­hin ca. 80 Mil­lio­nen in D, an die 300 Mil­lio­nen in EU – wenn es auf die ein­zel­ne Stim­me eben gar nicht an­kommt (an­kom­men kann)?

    Viel­leicht sind ja Ca­sting-Shows die neu­en For­men von Par­ti­zi­pa­ti­on? An­dys 15 Mi­nu­ten für je­den? So­zio­lo­gen spre­chen von ei­ner neu­en Art der so­zia­len Per­for­manz, ein mu­ti­ges Her­vor­tre­ten, dass ri­si­ko­be­haf­tet ist, aber – un­ter style-kri­ti­schen Au­gen den an­de­ren – be­lohnt wer­den kann. Sie­he et­wa auch al­le die »Künst­ler«, die Mo­de­ra­to­ren, die.... Auf­tre­ten­den, die es ei­gent­lich nicht kön­nen, sich aber trau­en. Und die Er­folg da­mit ha­ben, weil sie frech ge­nug sind oder »gut aus­se­hen«.

    Was, wenn die­se Ef­fek­te eben auch bei Blogs zu­ta­ge tre­ten? Mehr je­den­falls als die­se Em­power­ment-Uto­pi­sten von den »re­al exi­stie­ren­den« ge­sell­schaft­li­chen Kräf­ten, näm­lich po­li­ti­schen Im­po­ten­zen, die über all den zu stil­len­den Un­ter­hal­tungs­be­dürf­nis­sen zur The­ma­ti­sie­rung an­de­rer Fra­gen ih­rer Exi­stenz gar nicht mehr kom­men?

    Aber ich will gar nicht wei­ter po­le­mi­sie­ren (ob­wohl das im Blog manch­mal ein Ven­til fin­det, ein durch­aus Lust­vol­les: Den an­de­ren mal die ewig über­hör­te Mei­nung sa­gen! Auch ein Mo­tiv!).

    Es ist ein biss­chen schi­zo­phren:
    Ei­ner­seits ist ei­ne ge­wis­se Ernst­haf­tig­keit wohl im­mer nur für We­ni­ge. An­de­rer­seits soll aber auch gel­ten »Du bist Deutsch­land«. Und das heißt doch dann wohl mit al­lem, was ei­ner je bei­zu­tra­gen hat.

    (Üb­ri­gens – ich er­wäh­ne es auch, da Sie das Wort »Pö­bel« be­nut­zen -, fiel mir auf, zwei­mal wur­de der Eli­te­be­griff in letz­ter Zeit pro­mi­nent im Feuil­le­ton be­fragt: Es gin­ge da we­sent­lich um so et­was wie die Selbst­zu­rück­nah­me des Ein­zel­nen, ich glau­be, das Wort »Adel« fiel in der Über­schrift. Die Wie­der­ent­deckung der »Eli­te« sei aber in er­ster Li­nie ein Zei­chen der Kri­se. Dass Eli­te aber auch et­was At­trak­ti­ves ist... dar­in lä­ge oft die ver­bor­ge­ne Wur­zel ih­rer Ab­leh­nung.)

    ***

    Was man fest­hal­ten muss, ist wohl: Kom­ple­xe Sach­ver­hal­te brau­chen Ver­mitt­lung. Von da­her wird es mit Plu­ra­lis­mus im­mer we­ni­ger weit her sein. (Da kann man an­de­re kom­ple­xe Din­ge dann in Buz­zwords ab­han­deln: PISA, Mi­gran­ten­tum, Ver­wahr­lo­sung, Zwei­drit­tel-Ge­sell­schaft etc.)

    Viel­leicht muss man so­gar, hat man wei­ter­ge­hen­de An­sprü­che, mit den Blogs ar­bei­ten, die es eben so gibt? Über­flo­ge­ne Mel­dung letz­tens: Die Da­me von »Lys­sas Lounge« über­nimmt jetzt ei­ne Re­dak­ti­on bei der Welt-on­line? Na, al­so! Ich den­ke aber, ich wer­de mir wei­ter nach The­men bzw. Au­toren die Tex­te aus­su­chen, die mich an­ge­hen.

    PS noch zu Hand­ke:
    (Von Pey­mann weiß ich zu we­nig, er fiel mir nur als ei­ne der we­ni­gen »dis­si­den­ten« Stim­men auf. Ist es nicht auch in sol­chen Zu­sam­men­hän­gen oft so, dass da je­de ein­zel­ne zählt? Das ist ja mit das Elend der Ein­zel­nen, dass sie sich noch vor ih­ren Al­li­an­zen hü­ten müs­sen. Und wenn al­le auf Exo­tis­mus re­agie­ren, wird er – zu­mal als Thea­ter­mann – wohl wis­sen, wie er ihn ein­zu­set­zen hat: »win/win« mit der PR im­mer auch ein biss­chen für sich sel­ber. Co­si fan tut­te!)

    Ich fand es sei­ner­zeit ge­ra­de in­ter­es­sant ein­mal zu hö­ren, was denn »die Leu­te« zu dem The­ma so zu sa­gen hat­ten. Ei­ner­seits mit ei­nem Sei­ten­blick auf OB Er­win, dem ich so­viel li­te­ra­ri­schen Ver­stand nicht zu­bil­li­ge, als dass er den ein­mal von die­ser Ju­ry no­mi­nier­ten und im­mer­hin ja nam­haf­ten Au­tor sich nicht zur Selbstschmückung ge­wünscht hät­te.

    An­de­rer­seits über­haupt mit ei­nem ge­wis­sen In­ter­es­se auf das rüh­ri­ge, aber ewig pro­vin­zi­el­le Dorf an der Düs­sel. Denn sie­he da: Kaum ein Po­li­ti­ker hat­te et­was von Pe­ter Hand­ke ge­le­sen – aber zu­stän­dig fühl­ten sie sich al­le! Ha­ha!

    Und so, mei­ne ich mich zu er­in­nern, war dann auch oft der Te­nor von be­son­ne­ren Stim­men in opi­nio: Ja, Künst­ler... Ver­spon­ne­ne eben! Aber: Kunst­stadt D‑dorf: Beu­ys! Wilp! Bringt doch Re­nom­mee! (So de­ren win/win). Und man sol­le doch den Ruf der Stadt da­mit / nicht / jetzt nicht noch mehr aufs Spiel set­zen, so oder so.
    (Ich rät­se­le dann im­mer, ob es ei­nen ety­mo­lo­gi­schen Zu­sam­men­hang gibt und wie er zu er­klä­ren wä­re, wenn, dass in »Lo­kal­pa­trio­tis­mus« das eng­li­sche »RIOT« steckt.)

    PS zum PS
    (und das jetzt mit ei­nem Sei­ten­blick auch auf den Bei­trag von kra­nich: Er sagt es ja sehr gut auf sei­ne Wei­se und führt ei­nen sehr gu­ten, viel­leicht über­haupt wei­ter­füh­ren­den Be­griff ein: Wech­sel­sei­tig­keit.
    (Und zur Kurz­fri­stig­keit: Ja, viel­leicht sind die Po­ten­zia­le längst da, ar­bei­ten und wir­ken und wir se­hen sie nicht, au­ßer, wie im­mer, ih­re Ober­flä­chen­ef­fek­te?)

    Ich möch­te es aber wie­der per­sön­li­cher wen­den:
    Kei­ne Ah­nung, was ich an Kom­men­ta­ren zu Hand­ke sei­ner­zeit er­war­tet hat­te. Aber ich war auf mei­ne Wei­se »er­schüt­tert«. Und zu­gleich, das fällt mir jetzt auf: Hat­te ich nicht, zu mei­ner ei­ge­nen Mies­heit, mei­ne An­nah­men in eben die­se Un­be­darft­hei­ten auch ein­mal wie­der be­stä­tigt se­hen wol­len?

    Ich hat­te da­mals ei­ner Mail­freun­din in Frank­reich et­was da­zu schrei­ben wol­len, er­in­ne­re mich aber, dass ich es dann nach ei­ni­gem Auf­wand ab­ge­bro­chen hat­te – et­was, das bei mir sel­ten vor­kommt! Es war dann aber das The­men­mit­ein­an­der zu kom­plex in dem aus mei­ner Per­spek­ti­be An­zu­spre­chen­den, zu kom­pli­ziert aber auch in den Be­rüh­run­gen von et­was in mir sel­ber... ver­suchs­wei­ser Stimm­fin­dung in et­was bis­her Un­ge­sag­tem, in der »an­de­ren Wahr­heit« von Li­te­ra­tur, im Ge­stus der Ein­spruch­nah­me, mei­nem ei­ge­nen Au­ßen­sei­ter­tum... und dann eben auch in die­ser Stadt, in ih­ren In­sti­tuio­nen zur Ge­mein­schafts­fin­dung, in die­ser Ge­sell­schaft. Es war so zu sa­gen ein Mo­ment sel­ber an Po­li­tik! An selbst­haf­ter Ele­men­tar­teil­chen-Po­li­tik, um es ein­mal so ver­quer zu sa­gen!

    Ich er­wäh­ne das auch, um noch ein­mal auf das not­wen­dig Ver­ein­zel­te so man­cher Blog-Stim­me hin­zu­wei­sen. (In der Quan­ten­phy­sik üb­ri­gens ge­hen die al­ler­mei­sten Exo­ten-Teil­chen auch ein­fach un­ter, sie kön­nen ih­re Po­ten­zia­le nicht wirk­sam ma­chen.)

    Kon­kret: Es hat frü­her für mich ver­schie­dent­lich Mög­lich­kei­ten ge­ge­ben, in lo­ka­len In­sti­tu­tio­nen et­wa, mei­ne Stim­me als rea­le An­teil­na­me ein­zu­brin­gen (ich ken­ne heu­te noch Leu­te dort, in so ge­nann­ten Kul­tur­gre­mi­en et­wa). Es war dann mir aber letzt­lich nie mög­lich. Ohn­macht, und zwar sol­che, die ele­men­tar mit mei­nen per­sönlci­hen Mög­lich­kei­ten zu tun hat­te, die auf die ob­jek­ti­ven, sel­ber aber wie­der­um kom­ple­xen Ver­hält­nis­se tref­fen. Ich hal­te dies tat­säch­lich für ei­ne weit­ver­brei­tet vor­kom­men­de, für ei­ne ge­sell­schaft­li­che Su­tua­ti­on: Der Ein­zel­ne an­ge­sichts der (ihm nicht ein­mal a prio­ri feind­lich ge­son­ne­nen) Über­macht.

    Zu­gleich stel­le ich fest – et­wa bei frei­en Künst­ler­grup­pen, selt­sam un­be­stimm­ten Kunst­lä­den und Ak­ti­vi­tä­ten hier und -, dass im­mer mehr »in­kom­men­sura­ble« Ein­zel­ne auf­tau­chen, dass sie an­ders­wie ein­mal da sind, hier Auf­tre­ten, dort et­was Pla­ka­tie­ren, wie­der Un­ter­ge­hen... an­ders­wie wei­ter­wir­ken. Ich ha­be da­für kei­ne Theo­rie. (Sie könn­te viel­leicht an­schlie­ßen an die »Cool Killer«-Zeiten, ur­ban-art-Be­we­gun­gen, auch so­zia­le Stadt­teil­kom­man­dos, Spon­tis etc.)

    Ich den­ke aber, dass es auch da kri­ti­sche Mas­sen ge­ben kann, Über­sprün­ge hier und da, Un­ter­wan­de­run­gen, die all die Schäubles der Welt nicht mal nam­haft ma­chen könn­ten, ge­schwei­ge denn kon­trol­lie­ren. Ich ha­be nicht die Il­lu­si­on, dass die­se Po­ten­zia­le mal zu et­was wirk­lich Be­we­gen­dem rei­chen wer­den. (Al­lein dass seit dem Wech­sel­balg des »Neu­be­ginns« ei­ne sol­che ver­än­de­rungs­un­wil­li­ge Par­tei wie die CDU der­art Be­stand hat, sagt mehr über die Be­woh­ner die­ses Lan­des und die Viel­zahl der Ein­zel­nen dar­an Ver­zwei­fel­ten.)

    Für mich per­sön­lich al­ler­dings stel­len sie in eben ih­ren Po­ten­zia­len (et­was, das per­ma­nent mit so et­was wie ei­nem Mög­lich­keits­ho­ri­zont ver­bun­den bleibt) eher et­was An­schließ­ba­res dar, als die seit lan­gem mit den üb­li­chen Träg­heits­kräf­ten durch­setz­ten Be­we­gun­gen. Ideen-Gue­ril­la-Mar­ke­ting der an­de­ren Art, wo sie, Ideen und ih­re Kräf­te, wie Quan­ten­teil­chen »tun­neln« und an­ders­wie in Er­schei­nung tre­ten mö­gen. War­um nicht hier und da in ei­nem Blog, wenn sie – Ent­schul­di­gung, falls ich die Me­ta­pho­rik bis­her et­was über­stra­pa­zier­te – ei­nen sol­chen »Er­eig­nis­ho­ri­zont« bie­ten?

  8. ...ach ja, das noch: Stich­wort „Zeit­ge­nos­sen­schaft“, In­ter­es­san­te Mel­dung da­zu
    Frank­fur­ter All­ge­mei­ne Zei­tung, 17.03.2007
    Die Schrift­stel­le­rin­nen Sy­bil­le Le­witschar­off und Fe­li­ci­tas Hop­pe be­gra­ben im In­ter­view mit Hu­bert Spie­gel die Kol­le­gen Mar­tin Wal­ser und Gün­ter Grass, de­ren »per­ma­nen­te Zeit­ge­nos­sen­schaft« ihr Werk zer­stö­re. Le­witschar­off wird recht deut­lich: »Ich glau­be, das hat ih­nen wirk­lich das Kreuz ge­bro­chen, auch wenn sie heu­te noch ver­ehrt wer­den, aber das hat sie wirk­lich in die Fal­le ge­lockt, in die Werks­fal­le so­wie­so. Wenn man per­ma­nent in die­ser Wei­se kom­men­tie­ren muss, sich der­art dem Zeit­geist aus­setzt und ja auch an die Spit­ze des Zeit­gei­stes möch­te, dann wird auch das ei­ge­ne Werk in­fil­triert. Man ist ja je­der Form der Vul­ga­ri­tät aus­ge­setzt .« (Her­vor­he­bung von mir)

  9. Kom­ple­xi­täts­re­du­zie­rung und Small­talks
    Kohls Aus­spruch vom »kol­lek­ti­ven Frei­zeit­park« fand ich nie ganz un­tref­fend – ich in­ter­pre­tie­re es ver­mut­lich aber ein biss­chen an­ders als er. Der ehe­ma­li­ge Bun­des­prä­si­dent Ri­chard von Weiz­säcker gab Kohl in­di­rekt vor vie­len Jah­ren recht, als er mein­te, die deut­sche Ge­sell­schaft ha­be jahr­zehn­te­lang in ei­ner Art »stil­lem Über­ein­kom­men« (mei­ne Wor­te) mit der Po­li­tik ei­nen »Ver­trag« ge­schlos­sen: Die Po­li­ti­ker sol­len sich um den Wohl­stand und des­sen Ver­meh­rung küm­mern – im Ge­gen­zug küm­mern sich die Bür­ger nicht zu de­tail­liert um die Po­li­tik (und die Po­li­ti­ker).

    Die Fol­gen die­ses »Kon­trak­tes« er­le­ben wir heu­te. Im­mer dort, wo dann – ent­ge­gen der ur­sprüng­li­chen In­ten­ti­on – ei­ne Stel­lung­nah­me ge­bo­ten er­scheint, kommt es dann zu der von Ih­nen als Me­ga­trend be­schrie­be­nen Kom­ple­xi­täts­re­du­zie­rung. Das kann man über­all se­hen – von Feuil­le­ton-The­men wie Hand­kes Ju­go­sla­wi­en­bü­cher bis zur alar­mi­sti­schen »Klimawandel«-Diskussion, die selt­sa­me Blü­ten treibt und schon längst die tat­säch­li­chen Im­pli­ka­tio­nen zu Gun­sten grif­fi­ger aber lei­der sinn­lo­ser Im­pe­ra­ti­ve ver­ges­sen zu ha­ben scheint. Sie er­gibt sich aus der Crux, über nichts mehr Be­scheid zu wis­sen, aber ge­nö­tigt zu sein, zu al­lem et­was sa­gen zu müs­sen. Dem sind Po­li­ti­ker von Amts we­gen viel­leicht noch ent­schuld­bar ver­fal­len (nein, ei­gent­lich nicht ent­schuld­bar!). Aber Blog­ger? War­um nicht aus Re­spekt vor der ei­ge­nen Un­wis­sen­heit ein­mal schwei­gen?

    In­so­fern ist üb­ri­gens ihr Bild des Mo­de­ra­tors oder der un­se­li­gen Ca­sting-Shows tref­fend – hier ge­winnt nicht un­be­dingt der­je­ni­ge, der »fach­lich« der be­ste ist, son­dern der be­ste Ver­mark­ter (und: ja, um so et­was be­haup­ten und sa­gen zu kön­nen, ha­be ich mir na­tür­lich ei­ni­ge die­ser »DSDS«-Sendungen an­ge­se­hen).

    Ei­ner­seits ist al­so ein ge­sell­schaft­li­cher Druck vor­han­den, sich zu al­len mög­li­chen kom­ple­xen The­men äu­ssern zu kön­nen (und nicht nur auf dem Ni­veau ei­nes small­talks bei Par­tys) – an­de­rer­seits er­folgt das na­tür­lich mei­stens auf ei­nem Ni­veau des Di­let­tan­ten (hier ver­wen­det im ur­sprüng­li­chen Sinn). Web­logs mul­ti­pli­zie­ren ir­gend­wann die­sen Di­let­tan­tis­mus, der durch die Syn­di­kats­bil­dung (das Ver­lin­ken von/mit Gleich­ge­sinn­ten) müh­se­lig zu­ge­klei­stert wird.

    Das Pro­blem ist da­bei, dass auch die pro­fes­sio­nel­le Jour­na­li­stik im­mer mehr ei­nem Di­let­tan­tis­mus fröhnt, der manch­mal ge­ra­de­zu er­bärm­lich ist. Und noch ein­mal: Ich möch­te Di­let­tant nicht als aus­schliess­lich ne­ga­tiv kon­no­tiert ver­ste­hen!

    Im­mer wenn bei Nensch ar­gu­men­ta­ti­ons­re­si­sten­te Zeit­ge­nos­sen auf­tauch­ten, war der gän­gig­ste Rat­schlag: »Nicht ant­wor­ten – Don’t feed the troll«. Ich emp­fand das im­mer als reich­lich pa­ra­dox – ei­ner­seits ist ja man ge­ra­de auf ei­nem Fo­rum tä­tig, um ei­nen Dis­kurs zu pfle­gen, an­de­rer­seits sind mit be­stimm­ten Zeit­ge­nos­sen ab ei­nem ge­wis­sen Punkt of­fen­sicht­lich kei­ne ver­nünf­ti­gen Dis­kus­sio­nen mehr mög­lich. (Ich ha­be da­mals schwe­ren Her­zens ver­sucht, mit an die DFTT-Re­gel zu hal­ten; nicht im­mer er­folg­reich, üb­ri­gens.) Ein Web­log ist da der idea­le Aus­weg – nach ei­ner ge­wis­sen Zeit blen­det sich die Kli­en­tel, die sich über die In­hal­te des Blog­gers auf­regt oder sich ge­lang­weilt fühlt, ein­fach aus – man ist un­ter sich. Der Blog­ger ist al­so der »selbst­ver­wirk­lich­te Ein­zel­ne« (um Ihr tref­fen­des Wort ein we­nig ab­zu­än­dern) – des­sen »An­schluss­fä­hig­keit« aber schwin­det. Von hier zum So­lip­sis­mus ist es al­so nicht mehr weit, oder?

    Ihr em­pha­ti­scher An­satz ist nun, dies nicht als be­son­ders schlimm zu er­ach­ten. Im Ver­trau­en (ich glau­be nicht, dass noch je­mand mit­liest): Ich stim­me dem ja da­hin­ge­hend zu, weil ich ja sel­ber ei­nen Web­log ha­be und eben die oben be­schrie­be­nen Ver­fah­rens­mu­ster in­zwi­schen sel­ber (zu mei­nem Leid­we­sen – teil­wei­se) prak­ti­zie­re. Ein ge­le­gent­li­cher Blick über den Tel­ler­rand al­ler­dings of­fen­bart grau­si­ges; es gibt Web­logs, die der­art ras­si­stisch sind, dass sich ei­nem die Haa­re zu Ber­ge stel­len (sie ze­le­brie­ren dies als be­son­ders tu­gend­haf­te und frei­heit­li­che Mei­nungs­äu­sse­rung; rhe­to­risch nicht un­ge­schickt [die­se mein­te ich mit »Pö­bel«] und üb­ri­gens weit ent­fernt zum dump­fen Ras­sis­mus der üb­li­chen Dumm­köp­fe). Hier­auf dann nicht zu ant­wor­ten hat im­mer auch ein we­nig mit still­schwei­gen­der Ak­zep­tanz zu tun; ein Di­lem­ma. Ich ken­ne ei­nen Blog­ger, der ge­le­gent­lich in an­de­ren Blogs (und auch Fo­ren) der­art be­schimpft wird, dass im Nu ei­ne vir­tu­el­le Lynch­mob­stim­mung auf­kommt, die ad ho­mi­nem geht.

    * * *

    Es ist ja nicht so, wie uns vor 25–30 Jah­ren er­zählt wur­de: Man bre­che das öf­fent­lich-recht­li­che Mo­no­pol des Ra­di­os und Fern­se­hens zu Gun­sten pri­va­ter An­bie­ter – und die Mei­nungs­viel­falt pras­selt über uns her­ein. Ich er­in­ne­re mich an flam­men­de Ap­pel­le für »Bür­ger­rund­funk« und von der schö­nen Zeit, wenn Fern­seh­gre­mi­en von den Knech­tun­gen der Par­tei­en­in­fil­tra­ti­on frei sei­en; das biss­chen Wer­bung… Und was ha­ben wir be­kom­men? Ich ver­knei­fe mir Auf­zäh­lun­gen. 1993 wur­de dann (man war schon mit RTL und SAT1 zu­ge­klei­stert) ein am­bi­tio­nier­ter In­for­ma­ti­ons- und Nach­rich­ten­sen­der ge­grün­det: VOX. Ich glau­be, es dau­er­te nicht ein­mal ein hal­bes Jahr, bis die gan­zen wirk­lich in­for­ma­ti­ven und an­spruchs­vol­len Sen­dun­gen zu Gun­sten der üb­li­chen Ein­heits­so­sse ver­schwun­den wa­ren – es gab nicht ge­nug Quo­te. Und wo gibt es Qua­li­täts­fern­se­hen im Mo­ment? Bei den öf­fent­lich-recht­li­chen – in Ni­schen von »3Sat« und »Ar­te«. (Neu­lich, ein Ver­wand­ter in Bay­ern. Es wur­ded von der Mie­ter­ge­mein­schaft ab­ge­stimmt, wel­che Fern­seh­ka­nä­le von der Sat-An­la­ge über­nom­men wer­den; es ge­hen aus tech­ni­schen Grün­den nur 12 oder 15. Ir­gend­wann stand dann zur Dis­kus­si­on: Ent­we­der »Ka­bel 1« und »Su­per-RTL« oder »3Sat« und »Ar­te«. Brauch ich das Er­geb­nis nen­nen?)

    In die­sem Sin­ne stim­me ich Ih­nen al­so auch zu: Wir müs­sen nur lan­ge ge­nug su­chen, um in der Blogo­sphä­re so et­was wie »3Sat« zu ent­decken – die Fra­ge ist aber, ob der Blog­ger, der dies ja in der Re­gel frei­zeit­mä­ssig be­treibt, dies durch­hält.

    Was Sie zum »lo­ka­len Ein­brin­gen« sa­gen, deckt sich mit dem, was ich von an­de­rer Sei­te im­mer wie­der ge­hört ha­be. En­ga­gier­te man sich bspw. po­li­tisch in Par­tei­en auf lo­ka­ler Ebe­ne, wur­de man zu­nächst ein­mal zum Pla­kat­kle­ben ab­ge­stellt; die Rah­men­be­din­gun­gen wa­ren längst aus­ge­kun­gelt, be­vor man sei­ne Ideen und Ge­dan­ken hät­te ein­brin­gen kön­nen. Ich hal­te es je­doch für fa­tal, zu glau­ben, durch ei­ne Ni­schen­öf­fent­lich­keit wie das Blog­gen wä­re die Mög­lich­keit der Par­ti­zi­pa­ti­on hö­her. Das hiel­te ich für ei­ne Täu­schung. Hier wür­de ich eher auf mei­nen Ge­dan­ken über ein Fo­rum ver­wei­sen – wel­ches durch­aus plu­ra­li­stisch ein könn­te, aber eben grund­ver­schie­den vom Main­stream wä­re.

    * * *
    Zum sehr in­ter­es­san­ten Kom­men­tar der »Zeit­ge­nos­sen­schaft« äu­sse­re ich mich spä­ter oder so­gar in ei­nem se­pa­ra­ten Bei­trag.

  10. Der Ein­zel­ne und sei­ne Ruh­mes­hal­len
    Zum „stil­len Über­ein­kom­men“ à la Frei­zeit­park-CDU-Staat. Mag denn wirk­lich je­mand auf Dau­er mit den un­in­spi­rier­ten Fi­gu­ren bei sol­chen schar­fen Sa­chen wie Ge­sund­heits­re­form und Krip­pen­plät­ze be­lä­stigt wer­den? Oder an­ders her­um: Wer wä­re da noch fä­hig und wach ge­nug für im­mer wie­der mi­kropsko­pi­sches Nach­den­ken über der­art öde, wenn auch eben­so längst not­wen­dig kom­ple­xe Sach­ver­hal­te?

    Al­ler­dings ist so et­was wie „Schwei­gen“ wohl gar nicht mehr mög­lich: Al­les braucht un­ent­wegt Nach­schub.
    (So­gar ich mit mei­nem To­bak krie­ge Mails, war­um ich kei­ne Bei­trä­ge mehr ein­stel­le!)

    Aber so oder so: Bleibt nicht al­les Ver­blen­dungs­zu­sam­men­hang?
    Ein Lehr­stück der Ein­spruch des ehe­ma­li­gen Ge­ne­ral­inspek­teurs Nau­mann letz­tens zur „Ah­nungs­lo­sig­keit un­se­rer Po­li­ti­ker“ – im­mer­hin so­gar Stein­mei­er, der Mi­ni­ster des Äu­ße­ren! – zu „welt­po­lit­schem“ Han­deln, al­so der So­phi­stik wg. den neu­en ame­ri­ka­ni­schen Rak­ten­sta­tio­nie­rungs­plä­nen und dem „tak­ti­schen“ Auf­tritt Pu­tins inm Mün­chen. Es mach­te es schlag­ar­tig deut­lich: Po­li­tik ist we­sent­lich auch ein Il­lu­si­ons­thea­ter. Soll man es aber er­grün­den wol­len, wenn ei­nem die not­wen­di­ge „In­for­ma­ti­on“ aber per se vor­ent­hal­ten wird resp. ma­ni­pu­liert scheint?

    Lehr­stücke auch, die­se zä­hen „Auf­klä­run­gen“ um die CIA-Flug­zeu­ge oder die­se Sa­che mit Kur­naz, im­mer­hin ein Bür­ger mit Ver­fas­sungs­rech­ten! Was ist da ge­lau­fen und was läuft da im­mer noch, wäh­rend uns auf den Bild­schir­men die zä­hen Ri­tua­le de­rer in­for­ma­tio­nel­len Auf­klä­rung vor­ge­führt wer­den: Durch an­de­re un­in­spi­rier­te Fi­gu­ren. De­mo­kra­tie, Po­li­tik, Me­di­en... un­se­re der­art ver­han­del­te und täg­lich „up­ge­da­te­te“ Welt... Kann man sich noch da­für in­ter­es­sie­ren?

    Die Fra­gen sind na­tür­lich rhe­to­risch, aber sie zie­len auf ein ge­fühl­tes Mo­ment von Ab­ge­kop­pelt­sein von sol­cher Art Welt, und zwar auch durch ih­re – her­ge­stell­te, nicht mehr zu un­ter­lau­fen­de – Kom­ple­xi­tät. Al­so wen­det man sich ab. Und be­haup­tet sich an­ders­wo. Jour­na­lis­mus wä­re dann, sol­che Zu­sam­men­hän­ge nach­hal­tig auf­zu­klä­ren (und im­mer­hin gibt es das hier noch: In den USA, mit weit­ge­hend un­ver­stell­ten „Tendenz“-Nachrichten, ha­ben des­halb Blog­ger tat­säch­lich ein an­de­res „stan­díng“).

    Um auf das Blog­gen hier zu­rück­zu­kom­men: Die­se Art Un­ernst im Wis­sen über kaum ei­ner­ma­ßen zu sich­ten­de The­men herrscht ja auch da. Und ist das aber nicht ein gu­tes Zei­chen? Kön­nen wir ei­ne ver­nünf­ti­ge Ab­schät­zung tref­fen, wenn wir gar nicht wis­sen, dass et­wa Pu­tin von den Ame­ri­ka­nern über de­ren neu­er­li­chen Rak­ten­un­sinn lan­ge in­for­miert war und die­sen Vor­sprung dann zu ei­nem tak­tisch gu­ten Zeit­punkt auf der Ta­gung in Mün­chen zu ei­nem mo­ral-stra­ge­ti­schen „Vor­sprung“ ge­gen­über dem We­sten nut­zen konn­te? Usw. Wer woll­te das al­les durch­blicken? Wen noch ernst neh­men?

    (Apros­pos Bahr, der si­cher ein ernst zu neh­men­der Mensch ist, aber ist der auch nur den In­for­mier­te­ren durch­schau­bar? Ist er nicht der Pro­to­typ des Ge­hei­men Un­ter­händ­lers, Fä­den­zie­hers. Man kann dann auf die grund­recht­li­che Ver­fasst­heit sol­cher Hin­ter­grund-Po­li­ti­ker im­mer nur hof­fen. Und den­noch gibt es da­bei die still-eli­tä­re Hal­tung: Wir müs­sen das tun, es ist zu Deutsch­lands Be­stem, wir wis­sen schon, was zu ir­gend­je­mands Be­sten ist... ob­wohl es de­mo­kra­ti­schen Ver­fah­rens­pro­zes­sen zur Kon­sens­fin­dung ent­ge­gen steht. Wer ent­schei­det das wann, wenn es den üb­li­chen Ver­ha­rens­re­gu­la­ri­en ent­zo­gen ist?)

    Ich will nur sa­gen, dass all die „In­for­ma­ti­on“, we­der die wohl­fei­le noch die po­ten­zi­ell-ver­füg­ba­re, längst nicht mehr durch­schaut wer­den kann, und dass je­der – ich hier ge­ra­de -, der ver­sucht sie ab­zu­wä­gen und sich da­bei be­wusst ist, wie­viel er – Kom­ple­xi­täts­re­du­zie­rung – aus­zu­las­sen hat, in dem Ge­fühl der da­bei fäl­li­gen Ohn­macht nicht ganz falsch liegt. War­um es al­so ernst neh­men? War­um sich nicht die glei­che Frei­heit neh­men? War­um ni­vcht Blog­gen und un­ver­ANT­WORT­lich da­her­re­den? Wenn man dann noch sieht, mit was und wie breit sich Zeit­ge­nos­sen „im Fern­se­hen“ äu­ßern dür­fen? Man könn­te an­neh­men: Ei­ne Idio­ten­re­pu­blik! Und müss­te sich doch den Vor­wurf der eli­tä­ren An­ma­ßung an­hö­ren, weil es die­sen Wunsch nach der Par­ti­zi­pa­ti­on al­ler gibt!

    (Da ist mir Bo­tho Strauß dann im­mer so sym­pa­thisch: Ich den­ke, dass bei all den längst gän­gi­gen öf­fent­li­chen Af­fek­ten auch der des schlich­ten Ekels, der der of­fe­nen Ver­ach­tung sei­ne Be­rech­ti­gung hat. Die, die in da­für zei­hen und sich sel­ber in ih­ren ba­sis­de­mo­kra­ti­schen Di­stink­tio­nen adeln, kom­men mir da durch ih­re Ge­läu­fig­kei­ten nur an­ders­wie blind­gän­ge­risch vor. )

    Wä­re es al­so nicht wirk­lich bes­ser, und zwar für al­le, ein­fach mal ab und zu den Mund zu hal­ten? Aber Schwei­gen, glau­be ich, ist eben längst et­was Un­mög­li­ches.

    ***

    Das mit den „Pri­va­ten“ ist ganz übel. Aber da ha­be ich auch zu der gan­zen Ar­gu­men­tie­re­rei kei­ne Lust mehr: Ab­schal­ten den Dreck, weil ihn nun wirk­lich nie­mand braucht. Aber bin ich da nicht auch in ei­ner ge­wis­sen Nä­he zum mir sonst frem­den „Ter­ro­ris­mus“? Ich glau­be, es ist aber auch ein gu­tes Bei­spiel für mein Ni­schen-Ar­gu­ment: Es GIBT ein­fach nicht ge­nug Nach­fra­ge nach Dif­fe­renz. Und Zy­ni­ker sa­gen: Der ge­sell­schaft­li­che Bo­den­satz, der sich Junk-Ti­vi an­sieht, muss eben auch ir­gends ge­bün­delt wer­den.

    (Mir fällt da im­mer der Satz des graus­li­gen RTL-Tho­ma ein: „Der Wurm muss dem Fisch schmecken nicht dem Ang­ler“. Ja, aber! Er als ge­sell­schaft­lich-re­le­van­te Kraft – heu­te noch agi­ler „Be­ra­ter“ etw bei Ber­tels­mann – über­nimmt na­tür­lich doch kei­ne Fol­gen für die An­alpha­be­ti­sie­rung, nur für den Pro­fit. Der Fisch stinkt da aber tat­säch­lich – und an­hal­tend! – vom Kopf her.)

    Es bleibt bei „ar­te“ – im­mer­hin! Es bleibt bei der Ni­sche – sonst gä­be es eben gar nichts! Und am be­sten ist es (für mich, der sich da ab­ge­kop­pelt hat), sich dar­über auch nicht mehr groß auf­zu­re­gen, weil man doch zu sehr zum Don Qui­chot­te wird.

    Der gro­ße Ein­zel­ne – die Li­nie Schmitt, Jün­ger, Benn.... oder heu­te Bo­tho Strauß, Dá­vila et­wa – ist ja für un­ser­eins auch kein prak­ti­sches Vor­bild. Die – als Ab­strak­tum zu ver­tei­di­gen­de – Mas­se ekelt uns aber doch an. Zwi­schen­we­sen al­so, sind die mei­sten, die sich noch – an­teil-neh­mend & in­di­vi­dua­li­stisch – äu­ßern da nicht für ih­re Ni­schen ge­macht? Je­der (s)ein Son­der­fall und zu­gleich Teil­chen in et­li­chen Strö­mun­gen? Al­so ist so ein Blog im­mer­hin ei­ne Art di­stan­zier­te Teil­nah­me, sein klei­nen Be­trag in der rie­si­gen Text­mas­se im­mer­hin ein­zu­spei­sen... be­vor man völ­lig (völ­lig ver­zwei­felt? wie die Leu­te der RAF? ge­ra­de Ohn­macht ist ja oft Grund für ra­di­ka­le Ge­walt), und als Mei­nungs-Ge­samt­heit im Main­stream dann eh un­ter­geht.

    Ich nei­ge im­mer zu dem „eph­eme­ren Ver­lan­gen“. Die Tus­si, die sich in ih­rem Tus­si­tum dort spreizt, die Schü­ler in ih­ren pu­ber­tä­ren Aben­teu­ern, all die The­men-Spe­zia­li­sten in ih­rem Son­der­wis­sen eben­so... es wirkt da auch im­mer ein Nar­ziss­mus. Ins Blog aus­ge­la­gert wer­den auch die­se Mo­men­te von Ent­deckung, von ei­ge­nen Be­son­der- d.h. Selbst­hei­ten, von Ge­fun­den- (Erwählt‑, Erhört‑, Errettet‑, Erlöst-)sein. Das Blog ist, als Ort der „Stim­me“, wie im­mer auch mo­du­liert, auch ein „Ruf“ selbst, dort al­lein eben­so wie her­aus­ge­stellt zu sein, mit sich be­ru­fen und zu­gleich un­ter al­le an­de­ren.
    (Fällt mir ge­ra­de ein: Slo­ter­di­jk ar­bei­tet die­se Sei­ten sehr gut her­aus in sei­nem Auf­satz über Bach und das „Si­re­nen-Sta­di­um“. Sie­he aber auch den „ora­len Fun­da­men­ta­lis­mus“. Das al­les in „Sphä­ren I Bla­sen“. Viel­leicht lie­gen je­weils in sol­chen Tie­fe mehr Grün­de, als das ober­fläch­li­che Me­di­um den­ken lässt?)

  11. Di­lem­ma­ta
    Ja, auch Iris Ra­disch hat ver­gan­ge­nes Jahr ein­mal den Re­spekt vor der Schreib­hem­mung ein­ge­for­dert; ver­steckt (wie sonst gar nicht bei ihr) der Hieb auf die Ge­schwät­zig­keit der Me­di­en. Auf ei­nem Blog so et­was ein­zu­for­dern, be­deu­tet je­doch vom Metz­ger die Um­stel­lung auf ein ve­ge­ta­ri­sches An­ge­bot an­zu­re­gen. Und, nein, mit al­ler Ent­schie­den­heit GEGEN ein un­ver­ANT­WORT­li­ches da­her­re­den – DAS be­kom­me ich doch über­all schon ge­lie­fert. Um es klar zu sa­gen: Vie­le Blogs un­ter­schei­den sich doch nur mar­gi­nal von pri­mi­ti­ven Stamm­ti­schen. Und man er­schrickt, wenn man er­fährt, wer denn da­hin­ter­steht: manch­mal (oft ge­nug) Stu­den­ten; Mit­tel­stand – kurz: Leu­te, von de­nen man an­de­res er­war­ten dürf­te. Will ich aber bei bier­se­li­gen Stamm­ti­schen da­bei­sein? Nein; wirk­lich nicht. (Ne­ben­bei die Fra­ge, ob die »aka­de­mi­schen Stamm­ti­sche« bes­ser sind.)

    Und s/Sie brin­gen es auf den Punkt: Ei­ner­seits der Wunsch nach Rück­zug aus dem Po­li­ti­schen – an­de­rer­seits der Wunsch nach Par­ti­zi­pa­ti­on. »Was denn nun?« fra­ge ich den­je­ni­gen, der mir nach fünf Mi­nu­ten von mehr Bür­ger­be­tei­li­gung schwärmt, aber nie und nim­mer Ar­gu­men­ten auf­ge­schlos­sen ist. Man kann sehr leicht ge­gen »die Ge­sund­heits­re­form« sein, wenn man sich das Ding nicht durch­ge­le­sen hat. Will ich das aber? Ehr­lich ge­sagt, nein. Aber ich müss­te es, wenn ich hier­über (mit) zu ent­schei­den hät­te.

    Wir kön­nen uns aber eben ge­ra­de nicht die­sen un­in­spi­rier­ten Gei­stern aus­lie­fern! Wir sind zum Mit­den­ken ver­ur­teilt; we­nig­stens zum Fra­gen (Hand­ke!). Aber dann mein Ekel, wenn ich ei­ne Sen­dung in Ra­dio und Fern­se­hen an­hö­re, bei der dann ir­gend­wel­che Leu­te an­ru­fen und Po­li­ti­ker (oder Jour­na­li­sten) be­fra­gen. Die­se Leu­te ha­ben näm­lich mei­stens kei­ne Fra­gen mehr, weil sie nur ih­re Ant­wort durch­ge­hen las­sen. Fünf Mi­nu­ten ein Held sein und sei­nen Ser­mon ab­las­sen! Ein­weg­kom­mu­ni­ka­ti­on mal an­ders; mul­ti­me­dia­les Schmie­ren­thea­ter. Mit Recht auf dem Rück­zug. Nein, ich bin de­zi­diert ge­gen gross­flä­chi­ge Volks­ent­schei­de (Aus­nah­men auf kom­mu­na­ler Ebe­ne und die ganz gro­ssen Ent­schei­de [EU-Ver­fas­sung oder so et­was ähn­li­ches!]). Sonst hät­ten wir ganz schnell To­des­stra­fe für Kin­der­schän­der; die D‑Mark; den Aus­tritt Deutsch­lands aus der EU. Der Bür­ger wird ei­gent­lich durch sei­ne Re­prä­sen­tan­ten vor sich selbst ge­schützt. Aber was, wenn die­se Re­prä­sen­tan­ten nicht mehr in­te­ger sind?

    Und: Ich ver­trau­te ei­nem Egon Bahr noch, dass er »das Be­ste« woll­te und mach­te – und schliess­lich muss­ten sich ja die Pro­duk­te sei­ner Di­plo­ma­tie den Ab­stim­mun­gen stel­len. Aber traue ich heu­te noch je­man­dem wie Stein­mei­er? Wohl eher nicht.

    Zu den Blogs: Ich se­he Ihr Ar­gu­ment der Ni­schen­exi­stenz. Aber wenn sich ein Ni­schen­blog­ger in die Ni­sche be­gibt, dann ver­hun­gert er dort, oder? Wird viel­leicht zum »Au­ti­sten«? Wie die Leu­te in der U‑Bahn, die mit auf­ge­pfropf­ten Kopf- oder Ohr­hö­rern den gan­zen Wa­gen be­schal­len, nur um sich ab­zu­schot­ten? Neu­lich schrieb mir je­mand, dem ich an­deu­te­te, dass ich den Blog schlie­sse, ich sei doch so was wie »3sat« oder »SZ«, al­so »un­ver­zicht­bar«. Und Re­dak­teu­re dort wür­den doch auch nicht auf Zah­len, Quo­ten, Le­ser­brie­fe schau­en. Klang al­les gut – aber es stimmt nicht. Na­tür­lich schau­en sie dar­auf und selbst ein öf­fent­lich-recht­li­cher Sen­der wie »3sat« steht un­ter Le­gi­ti­ma­ti­ons­druck. Ei­ne Sen­dung wie »Kul­tur­zeit« kann so gut sein, wie sie will – oh­ne Quo­te wür­de sie nicht wei­ter­be­stehen (zur Si­cher­heit ver­passt man sich ge­ra­de dort ei­ne neue po­li­tisch-kor­rek­te Li­nie). Und »ar­te« fin­det je­der toll, guckt aber kei­ner.

    Ab­schal­ten, den Dreck der Pri­va­ten. Ja, ein­ver­stan­den. Aber da­mit blen­den Sie so­fort rd. 30–40% (50%?) der Be­völ­ke­rung aus, die ih­re In­for­ma­tio­nen fast aus­schliess­lich hier be­zie­hen! Und die­se Leu­te ent­schei­den ja die Wah­len! Und man über­le­ge ein­mal: Die Par­tei­en be­kla­gen, dass sich »tra­di­tio­nel­le Bin­dun­gen« an sie auf­lö­sen. Sie soll­ten es als Chan­ce se­hen – denn ein Wäh­ler, der heu­te CDU ge­wählt hat, steht dort nicht mehr drei­ssig Jah­re lang un­ver­rück­bar. Sie ha­ben es aber lie­ber, wenn der »Wech­sel­wäh­ler« ins La­ger der »Nicht­wäh­ler« wech­selt – auch, wenn sie na­tür­lich das Ge­gen­teil sa­gen. ‘Wenn ich sei­ne Stim­me schon nicht be­kom­men kann, dann der an­de­re auch nicht.’ Das ist ei­ne Po­li­tik des »ver­brann­ten Wäh­lers« (statt ver­brann­te Er­de), die dort seit Jahr­zehn­ten be­trie­ben wird.

    Im Grun­de ge­nom­men sind RTL und SAT1 »Rie­sen­ni­schen« für das sich so rasch und be­reit­wil­lig ent­po­li­ti­sie­ren­de Volk. Und dann vor­ge­stern kurz im Fern­se­hen Mi­cha­el Nau­mann mit ei­nem Blu­men­strauss, als er von 99% der De­le­gier­ten der Ham­bur­ger SPD zum Kan­di­da­ten für die Ham­bur­ger Bür­ger­schaft ge­wählt wur­de. Man stel­le sich Nau­mann vor, wie er mit RTL-Zu­schau­ern dis­ku­tiert. (Ken­nen Sie noch den »hei­ssen Stuhl«?) – Di­lem­ma: Sol­che Leu­te müs­sen in die Po­li­tik – sind für die Mas­se der Wäh­ler aber so exo­tisch wie ein blau­es Ka­nin­chen.

    Wer ist in der Ni­sche? »ar­te« oder »RTL«? Oder bei­de in je­weils an­de­ren Ecken (so nennt man das beim Bo­xen wohl)? Sinn­voll muss es doch sein, ei­nen Dis­kurs zwi­schen bei­den zu su­chen – und zwar oh­ne An­bie­de­rung an die Mas­se. Ist es nicht ei­ne Schan­de, dass öf­fent­lich-recht­li­ches Fern­se­hen (ARD / ZDF) mehr und mehr zur will­fäh­ri­gen Hu­re des Mas­sen­ge­schmacks ver­kommt? An ei­nem Sonn­tag gab es von 8 Uhr bis 17 Uhr Sport auf der ARD. Be­zah­le ich für Bi­ath­lon, Lang­lauf, Ski­sprin­gen und Bob­fah­ren? Wohl­ge­merkt: Das wa­ren kei­ne Welt- oder Eu­ro­pa­mei­ster­schaf­ten, son­dern mei­sten­teils nur »nor­ma­le« Welt­cup-Spie­le. Brot und Spie­le – aber wo ist da der An­spruch? Und war­um lau­fen denn Bü­cher­sen­dun­gen um 23.30 Uhr sonn­tags? Weil sie um 22.45 Uhr mal ei­ne nied­ri­ge Ein­schalt­quo­te hat­ten?

    Und da sind Web­logs eben nichts an­de­res als ein Spie­gel­bild der me­dia­len Ge­sell­schaft. Da­her tei­le ich den Op­ti­mis­mus nicht, ob­wohl ich das Po­ten­ti­al durch­aus se­he. Aber auch im Fern­se­hen steckt ein gro­sses Po­ten­ti­al – es wird nur nicht ge­nutzt.

    Eph­eme­res Ver­lan­gen – Zeit­ver­treib. Nicht we­ni­ger. Aber auch nicht mehr. Oder?

  12. Brot & Spie­le – und die blin­den Flecke des ei­ge­nen Un­ver­mö­gens
    ...eph­eme­res Ver­lan­gen un­ser al­len Zeit­ver­treibs (al­so ob mit oh­ne oh­ne vor­ge­scho­be­nen Über­bau von kip­pen­den Grün­den).

    Ja, das trifft was! Was ist aber dann mit der De­mo­kra­tie, wenn man sie ver­wirk­lich­te? Müss­te man nicht al­so ein­mal die Un­ver­nunft der Mas­sen „zu sich selbst kom­men las­sen“? (Oder ist sie da schon im­mer?)

    Sonst bleibt es ja beim sta­tus quo der­je­ni­gen, die sich mög­lichst nicht in ih­ren Ge­wiss­hei­ten er­schüt­tern las­sen wol­len. (Letz­tens wäh­rend des War­tens auf ei­nem Zug­bahn­steig ge­hört: „Die Aus­län­der neh­men den Deut­schen ih­re Ar­beits­plät­ze weg,“ tat­säch­lich mit al­lem Ernst an Über­zeu­gung. Ist so et­was über­haupt noch ar­gu­men­tier­bar? Wel­cher Auf­wand macht da­zu Sinn? Soll­te man sol­che Din­ge nicht an sich sel­ber zuzgrun­de ge­hen las­sen?) (Al­le Fra­gen hier sind na­tür­lich rhe­to­risch.)

    Mir ist Bahr auch sym­pa­thi­scher als Stein­mei­er, aber ... gibt es über­haupt ei­ne Wahl? Sind es nicht „ge­fühl­te“ Ar­gu­men­te, die Zu­stim­mung (Stim­men) brin­gen? In­so­fern war Schrö­der schon rich­tig, wie es jetzt auch Mer­kel ist: Ir­gend­wie drückt sich der Zeit­geist auch in den Tem­pe­ra­men­ten und Men­ta­li­tä­ten der pro­mi­nent im Na­men an­de­rer Agie­ren­den aus. (Und Kohl hat­te je­nes un­sym­pa­thi­sche Deutsch­land viel­leicht auch ver­dient?)

    Mir kommt es manch­mal so vor, als ob man die Schwä­chen des Sy­stems, die Stumpf­heit der Mehr­hei­ten, die Idio­tie der Me­di­en, die­se gan­ze trä­ge Um­wäl­zung na­mens Fort­schritt, wäh­rend der der Welt­geist an­geb­lich zu sich fin­det... das man an­schei­nend das al­les in Kauf zu neh­men hat, um „Frei­heit“ – dann auch in sei­nen Ela­bo­rie­run­gen, et­wa der Wis­sen­schaft, der Kunst – zu­min­dest eben in ih­ren Ni­sche re­la­tiv un­be­drängt sich rea­li­sie­ren zu las­sen.

    Die­ses „Ver­hun­gern“... wenn ich et­wa ein un­ge­sel­li­ger Mensch bin, der sich eher für ent­le­ge­ne Kunst- als für die gän­gi­gen Ge­sell­schafts­the­men in­ter­es­siert, der in kei­nen Ver­ein oder schon gar ei­ne Par­tei ein­tre­ten mag, den Fuß­ball nicht in­ter­es­siert und auch sonst kei­ne Mas­sen­sa­chen... bin ich dann nicht per se ab­ge­hängt? Ei­ne Ni­schen-Eix­stenz? Eher we­nig an­schluss­fä­hig an ir­gend­ei­ne Art Kon­sens? Ich fra­ge mich das sel­ber. Wel­che Art Par­ti­zi­pa­ti­on ist mir noch mög­lich?

    Und: Ist im Mo­ment des In­ter­es­ses des Per­sön­li­chen, wie es nur schwe­rer ver­ge­sell­schaft wer­den kann – Ob­sess­sio­nen, Lei­den­schaf­ten, Ma­nien, Agres­sio­nen... – nicht im­mer auch „au­ti­stisch“? Und wä­re das nicht gut, an­ge­sichts ei­ner al­les bis ins Rest­lo­se ver­ein­nah­men wol­len­den Idee na­mens „Po­li­tik“? (Der Wi­der­sprü­che bin ich mir be­wusst, aber es wä­ren eben auch die Wi­der­sin­ne, die dar­an zu er­wecken wä­ren. Die Ir-ra­tio, die das Un­ver­ein­nehm­ba­re des Ei­gen­sten viel­leicht sel­ber re-prä­sen­tiert.)

    Oh­ne Iro­nie: Manch­mal emp­fin­de ich ja auch so et­was wie ei­ne ans An­ony­me ge­rich­te­te Dank­bar­keit für die Mög­lich­keit mei­ner Rand­exi­stenz.

    Klei­ne Zwi­schen­be­mer­kung zum Fern­se­hen:
    Ich schau fast nichts an­de­res als „ar­te“ – nicht, weil ich so dif­fe­renz­süch­tig bin oder mir sel­ber auf die Schul­ter klop­fen will: Ich wür­de mich ger­ne mal un­ter mei­nem Ni­veau ge­mein ma­chen... aber mich auch nicht mehr da­für ekeln müs­sen (et­wa bei die­ser al­les-ver­seu­chen­den Co­me­dy). Es geht al­so kaum. Und sie­he da: Die in­ter­es­san­te­sten, un­ge­se­hend­sten Bil­der kom­men tat­säch­lich oft in die­sen Ex­pe­ri­men­tier­sen­dun­gen nach Mit­ter­nacht! Ich be­schwe­re mich al­so nicht, son­dern bin froh, dass es über­haupt ei­ne Ecke da­für gibt!!

    „Kul­tur­zeit“ al­ler­dings er­tra­ge ich kaum mehr: Ei­gent­lich ist das auch nur mehr ei­ne Ecken-Kon­sens­sen­dung, die mir schon in der An­mo­de­ra­ti­on auf­gibt, mit wel­cher Hal­tung und wel­chen Denk­bau­stei­nen ich das fol­gen­de The­ma nun auf­zu­neh­men ha­be: „Muss man das nicht auch im Zu­sam­men­hang mit dem Na­tio­nal­so­zia­lis­mus se­hen?“ Ja, wie denn sonst? Brav!
    Will sa­gen, dass bei dis­kurs-kor­rek­ter Über-Ab­deckung von re­le­van­ten The­men eben­falls Ver­fla­chungs- und Red­un­danz-Ef­fek­te ein­set­zen: Denk­faul­heit! Al­le Auf­klä­rung ni­vel­liert sich auf dme er­reich­ten Ni­veau! Das ist we­ni­ger zy­nisch ge­meint als ein Pro­blem eben der Ver­mitt­lung: We­ni­ger wä­re mehr!

    (Und auch dort längst je­der Ma­ga­zin-kon­form Bei­trag auf­gepimpt mit über­flüs­si­ger Mu­sik, mit im­mer mehr MTV-Äs­the­tik, al­les ver­meint­lich nicht so­fort Ver­trau­te so­fort auf ei­nen mitt­le­ren Stand der an­zu­neh­men­den In­for­ma­ti­ons­pe­gels dar­über ge­bracht! Sie las­sen die Bil­der, die Ge­sich­ter, die Be­son­der­hei­ten nicht aus­re­den! Da­zu kommt al­les zu­se­hends schmis­sig, kon­su­mier-er­wart­bar, re­pro­duk­tiv bis in die For­ma­li­en: Geht’s um Ma­le­rei et­wa, klim­pert im­mer ein Kla­vier – im­mer!. Bit­te ein­mal kei­ne Kla­vier­un­ter­ma­lung, wenn ge­mal­te Bil­der ge­zeigt wer­den, ein­mal nur, ja?! Dan­ke!
    Ich den­ke, die­se Re­dak­ti­on bräuch­te drin­gend Er­neue­rung, ei­ne Frisch­zel­len­kur! Und vor­her et­li­che Er­schüt­te­run­gen ih­rer Selbst­ge­wiss­hei­ten. )

    Das mit dem „Spocht“ hat wohl mit Geld zu tun: Die wis­sen, dass sich nur Min­der­hei­ten für solch exo­ti­sche Dis­zi­pli­nen in­ter­es­sie­ren, aber es bin­det ge­sell­schaft­li­che Grup­pen, er­zeugt die Il­lu­si­on der „Ver­sor­gung“ (ein we­sent­li­cher Be­griff für die Ö.R.!) und bringt bil­li­ge Sen­de­for­ma­te.

    Das, was ein­mal Vor­teil war – vie­le Lan­des­an­stal­ten, Viel­falt – ist sel­ber zur Er­star­rung ge­wor­den. „Kul­tur“ ist nur ein bun­ter Fleck für Min­der­hei­ten im „au­di­ence flow“ für den Main­stream.

  13. Ze­men­tie­rung der Ge­wiss­hei­ten – und an­de­res...
    Ge­nau dar­um ging es mir bei der Be­schrei­bung der mei­sten der ak­tu­el­len Web­logs: Sie wol­len sich nicht in ih­ren Ge­wiss­hei­ten er­schüt­tern las­sen. Ich las­se das Wört­chen »mög­lichst« so­gar noch weg! Die Fra­ge ist nun, ob das ei­ne Tu­gend ist oder ein Elend.
    Im be­schrie­be­nen Bei­spiel (am Bahn­steig) ist es na­tür­lich ein Elend. Mei­ne Zeit, als ich dem dann wi­der­sprach, mich (ver­bal) ein­misch­te, ist längst vor­bei (ge­nau­er ge­sagt: ich ha­be es nur 2–3 mal ge­macht). Aber im Blog?

    Neh­men wir das ak­tu­el­le Bei­spiel um die »Ko­ran-Rich­te­rin« (so ei­ne Ti­tel­zei­le auf ei­nem Web­log). Wer hat ernst­haft den Sach­ver­halt vom Af­fekt ge­löst? We­ni­ge. Wer die Nach­richt zu­erst mög­lichst def­tig kom­men­tier­te, hat­te das mei­ste Echo. Rea­gans Ge­setz: Ei­ne Lü­ge so­lan­ge wie­der­ho­len, bis sie nur noch ge­glaubt wer­den kann; Wi­der­spruch nicht in den Sinn kommt.

    Ist das die »neue Frei­heit«? Ja, Frei­heit ist an­stren­gend – im­pli­zit das Aus­hal­ten des An­de­ren. Aber was ist, wenn ich das An­de­re schön aus­blen­den kann mit der »Blog­wirk­lich­keit«? Wirft nicht die­ses af­fek­tier­te Ver­hal­ten ge­nau das schlech­te Licht auf die »Blog­ger«, die sie ver­die­nen? Ist ein Hartz ty­pisch für al­le Per­so­nal­chefs? Na­tür­lich nicht – aber je­der weiss nun, was mög­lich ist. Da ist ein Drang nach Ver­ein­fa­chung – ge­ra­de weil die Welt so kom­plex ist. Das Vor­ur­teil ist des­we­gen sehr be­quem und es in ab­ge­schlos­se­nen Zir­keln zu kul­ti­vie­ren war noch nie so leicht wie heu­te (frü­her brauch­te man hier­für »Lo­gen«).

    Wie ge­le­gen ei­ni­gen Ge­sin­nungs­freun­den die­se Ent­glei­sung der Frank­fur­ter Rich­te­rin kam! End­lich hat­ten sie (wie­der) Fut­ter für ih­re The­se. Wel­che Wol­lust aus ih­ren Zei­len trief­te, als sie drei, vier ei­lig hin­ge­schmier­te Zei­tungs­ar­ti­kel ver­lin­ken konn­ten! Was un­ter­schei­det die­se Leu­te von der Per­son am Bahn­steig und ih­rer The­se? Web­logs sind Mög­lich­kei­ten – aber vor al­lem auch Her­aus­for­de­run­gen! Und da ist Ih­re The­se na­tür­lich sehr tref­fend: Man muss den Müll in Kauf neh­men, um un­ter ihm die Pre­tio­sen zu fin­den. In der Tat ha­be ich manch­mal das Ge­fühl, die Su­che im Netz ist das mo­der­ne Gold­su­chen und Blogs sind die Claims. Hier­in liegt ja auch der Charme: Das ei­ge­ne Blog kann zum an­ar­chi­schen Raum wer­den; zur Spiel­flä­che. Und wie beim Gold­su­chen schaut man na­tür­lich, was sich in den an­de­ren Claims so tut – aber nur, wenn man will.

    * * *

    Und na­tür­lich ist es ein Ver­gnü­gen (in man­chen Din­gen) ei­ne »Rand­exi­stenz« zu sein – es sein zu dür­fen (frei­lich mit den Kon­se­quen­zen, die es mit sich bringt). Und die Am­bi­va­lenz in der Sa­che: Rand­exi­sten­zen kön­nen nur mög­lich sein, weil vie­le ex­akt das ma­chen, was man dann sel­ber für sich ab­lehnt bzw. so nicht ma­chen wür­de. Die­ses Pa­ra­do­xon er­le­be ich oft ge­nug sel­ber. Sie er­wähn­ten es ja schon ein­mal. Die Mas­se, der man (freund­lich aus­ge­drückt) ei­ne ge­wis­se Am­bi­va­lenz ent­ge­gen­bringt, er­mög­licht erst das, was »So­sein« nen­nen könn­te. Be­son­ders krass (hier trifft das ver­hunz­te Wort) ist das bei »Aus­stei­gern« zu se­hen: Das Aus­stei­gen ist nur mög­lich, weil es ge­nug »Drin­blei­ber« gibt. Wür­den al­le gleich­zei­tig »aus­stei­gen«, gin­ge es schon nicht mehr. [Als vor län­ge­rer Zeit ein­mal am Bahn­hof ein her­un­ter­ge­kom­me­ner Mann mor­gens die Zug­rei­sen­den (mei­stens Pend­ler) mit den Wor­ten be­schimpf­te: »Ihr Idio­ten! Ihr geht ar­bei­ten! Ich brauch das nicht…« (die un­flä­ti­gen Aus­drücke las­se ich weg) und dann gleich­zei­tig um Geld er­such­te – mei­ne Ant­wort: Ich kön­ne noch nichts ge­ben, son­dern müss­te das Geld, was ich viel­leicht ihm ge­ben woll­te, heu­te erst ein­mal ver­die­nen!]

    * * *

    Manch­mal fra­ge ich mich, ob Ni­schen­da­sein nicht als Eu­phe­mis­mus für vor­ei­lig selbst dia­gno­sti­zier­te Be­deu­tungs­lo­sig­keit steht. Frü­her ha­be ich Fern­seh­leu­te, die über ih­ren Quo­ten­fe­ti­schis­mus ge­spro­chen ha­ben, für ex­al­tiert ge­hal­ten. De­ren Pro­gramm hat­te doch mir ge­fal­len – al­so was soll’s. Wenn man ei­nen Blog hat, al­so – im Klei­nen – auf der »an­de­ren Sei­te« steht, schaut man (= ich) plötz­lich, wie vie­le Leu­te was le­sen, wie vie­le Klicks auf­grund von Goog­le ge­ne­riert wer­den (al­so zu­nächst ein­mal kei­ne Le­ser, son­dern »Lauf­kund­schaft«), usw. Wenn ich nun fest­stel­le, dass es mir in mehr als ei­nem Jahr nicht ge­lun­gen ist, si­gni­fi­kant Zu­griffs­zah­len zu stei­gern, so kann ich mich na­tür­lich auf die Ni­sche stüt­zen und be­haup­ten, ich schrei­be eben nur für ei­ne ge­wis­se Kli­en­tel oder ich kann The­men­aus­wahl und Schreib­stil be­fra­gen. Er­ste­res ist be­quem – letz­te­res muss dann Kon­se­quen­zen ha­ben. Das hat nichts da­mit zu tun, was stimmt (ver­mut­lich im­mer bei­des ein biss­chen).

    Neu­lich schrieb mir je­mand, dass ihm ei­ni­ge Re­zen­sio­nen (ich sa­ge lie­ber »Be­gleit­schrei­ben«) auf mei­nem Blog ge­fal­len. Ex­akt die­se ha­ben je­doch eher über­sicht­li­che Zu­griffs­zah­len (viel­leicht auch des­we­gen, weil sie we­nig bis gar nicht kom­men­tiert wer­den; Kom­men­ta­re ge­ne­rie­ren ja im­mer Zu­grif­fe). Sei­ne (er­nüch­tern­de) Ant­wort war, dass es viel­leicht mit der Län­ge der Bei­trä­ge zu tun ha­be. Ver­mut­lich hat er da­mit so­gar recht – aber was wä­re ernst­haft die Kon­se­quenz? Dau­men rauf – Dau­men run­ter? Es gibt ei­nen an­de­ren Blog auf two­day, der sich mit Bü­chern be­schäf­tigt. Dort schrei­ben Leu­te – wie sie es nen­nen – »Re­zen­sio­nen«. Die­se be­stehen mei­stens aus ei­nem Zi­tat aus dem Klap­pen­text des Bu­ches und ei­ner mit »Mei­nung« über­schrie­be­nen »Re­zen­si­on«, die aus ca. 10–12 Zei­len be­steht. Bei den Buddden­brooks stand da sinn­ge­mäss, dass der/die »Re­zen­sen­tIn« sich ge­freut hat­te, das dicke Buch zu »En­de ge­le­sen zu ha­ben; schliess­lich sei es ja ein Klas­si­ker. Die Spra­che von Tho­mas Mann wur­de dann noch ir­gend­wie als an­ti­quiert be­zeich­net. Am Schluss gibt’s ein Tool, wel­ches ei­ne Be­wer­tung an­zeigt (ich glau­be es sind ma­xi­mal 5 Käst­chen [ähn­lich den »Ster­nen«] zu ver­ge­ben). Wä­re das für mich die Al­ter­na­ti­ve? Na­tür­lich nicht.

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    Ein paar Wor­te zum »Spocht«. Ich mag das; schaue auch Fuss­ball (ha­be die WM al­ler­dings oh­ne Fah­ne und an­de­re sicht­ba­re Zei­chen ver­bracht). Ich hal­te Sport auch für ab­so­lut not­wen­dig. Er bie­tet den Men­schen ei­ne Sehn­sucht: Kla­re Re­geln, die je­der ver­steht und auch an­wen­den kann (da­her ist ein Spiel wie Fuss­ball so po­pu­lär – und an­de­re Sport­ar­ten eher nicht) und – vor al­lem – ein sicht­ba­res, ver­hält­nis­mä­ssig schnel­les Re­sul­tat, wel­ches ein­deu­tig ist. Kei­ne Deu­tung ist bei ei­nem 2:1 Er­geb­nis mög­lich. Es müs­sen kei­ne Ent­wick­lun­gen (wie in der Po­li­tik) ab­ge­war­tet wer­den; kei­ne lang­wie­ri­gen Pro­zes­se. Die Span­nung wird im Nu auf­ge­löst; nach 2 Stun­den weiss man, wer »der Bes­se­re« ist. Ich glau­be, dass ein Spiel wie Fuss­ball auch iden­ti­täts­stif­tend ist. Das kann dann na­tür­lich aus es­ka­lie­ren – sie­he Hoo­li­ga­nis­mus. Aber frü­her sind die Völ­ker in die Schlach­ten ge­zo­gen, um sich »zu be­wei­sen« – heu­te hat man sei­ne »Stell­ver­tre­ter« – hoch­be­zahl­te »Pro­fis«, die »für ei­nen« in (ei­nen über­schau­ba­ren) Krieg zie­hen. Die even­tu­el­le Nie­der­la­ge ist dann auch kei­ne Schmach mehr – flugs wer­den dann ein oder meh­re­re Spie­ler zur »Fla­sche« er­klärt, usw. Die mo­der­nen Tra­gö­di­en wer­den in den Sport­are­nen die­ser Welt ge­schrie­ben; Kri­mis und Sport er­lau­ben die Ka­thar­sis des 21. Jahr­hun­derts. Das sagt auch ei­ni­ges aus.

    * * *
    Ob­wohl es nicht zum The­ma ge­hört – ei­ni­ge Wor­te zu »Kul­tur­zeit«. Ihr Ur­teil tei­le ich im gro­ssen und gan­zen. Die Re­dak­ti­on be­darf ver­mut­lich wirk­lich neu­er Im­pul­se; mit Schrecken se­he ich im­mer der Wo­che ent­ge­gen, wenn Ti­na Men­dels­ohn die Mo­de­ra­ti­on über­nimmt (im­mer mit er­ho­be­nem Text­mar­ker beim In­ter­view; gräss­lich) – und schaue in­zwi­schen dann auch nicht mehr. Vie­le Bei­trä­ge sind al­ler­dings gar nicht re­dak­tio­nell, son­dern lie­fen vor­her in an­de­ren (vor­wie­gend ARD-)Sendungen (»ttt«; »Welt­spie­gel«). Der Sen­dung gut es nicht gut, dass sie der­art po­li­ti­siert wor­den ist – und doch arg das eu­ro­zen­tri­sti­sche Welt­bild ver­tritt.

  14. Mein Bei­trag zur Zu­kunft der Ge­sell­schaft
    Viel­leicht be­rührt es ja teil­wei­se ein Grund­ver­ständ­nis, ob man so weit von sich ab­se­hen kann, sich sel­ber an­ders­wo ver­suchs­wei­se ein­mal an­ders­wie zu be­grei­fen? Es ist wohl wie mit den Deut­schen auf Mal­lor­ca: Man­che be­stehen auf Brat­kar­tof­feln wie zu Hau­se, an­de­re wol­len das „ur­sprüng­li­che“ Mal­lor­ca, das auch die eu­ro-sub­ven­tio­nier­ten Ein­woh­ner gar nicht mehr ken­nen kön­nen (und die ha­ben es auch von den über Jahr­tau­send ein­ge­wan­der­ten Pi­ra­ten­völ­kern syn­kre­ti­stisch ge­wis­ser­ma­ßen ent­wickelt – Mal­lor­ca wä­re so ge­se­hen et­was ganz Un­be­kann­tes... wenn man es nur ein­mal so be­grei­fen könn­te!).

    Bei­des be­rührt aber in je­dem Fall die Fra­ge: Wer ist man – zu­letzt: in egal wel­cher Be­trach­tungs­wei­se ‑sich da­bei selbst? Und sind die an­geb­li­chen Ge­wiss­hei­ten tat­säch­lich ei­ge­ne oder nur sol­che, die man in­mal oh­ne Nach­den­ken über­nom­men hat und al­so kaum je aus an­de­rem Blick­win­kel be­trach­tet? Und sind sie (als Selbst­sta­bi­li­sie­rung) dann ei­ne Frei­heit oder ei­ne Ein­engung? Usw.

    Ich woll­te wie­der „die Ni­sche“ an­pei­len... Denk-Ni­schen, Lieb­lings-Glau­bens­sät­ze-Er­ker, Über­zeu­gungs-Oh­ren­ses­sel, Über­bau­ten-Ge­häu­se... al­les Merz­bau­ten der Per­son, in der sie sich ein­rich­tet. Al­les in sei­ner Be­dingt­heit im­mer mit-be­den­ken ist ja aber auch müh­sam. Und ist die­se Fran­fur­ter Rich­tern, mit dem Ver­such of­fen­bar das Frem­de in sei­nen Rechts­vor­stel­lun­gen mit ein­zu­be­zie­hen nicht auch da schon in ei­ner „Ni­sche“, ei­ner gut-deut­schen ei­gent­lich, ei­ne die zei­gen will, dass sie da­zu ge­lernt hat? (Man den­ke hier aber auch ein­mal kurz an den „Tu­gend-Ter­ror“, sie­he Jes­sen, ZEIT.)

    Was dann die Ma­ni­pu­la­tio­nen an­geht: Schaf­fen wir sie nicht wie­der sel­ber? (Und die­se BILD-Be­tit­lung „Ko­ran-Rich­te­rin“: Wol­len wir denn nicht, das et­was auf dem Punkt ist? Kön­nen wir al­le die Kor­rekt­hei­ten in ih­ren Um­ständ­lich­kei­ten im­mer noch mit­be­den­ken? Ist die Ar­beit am „Rich­ti­gen“ nicht auch ei­ne Art Ver­engt­heit un­se­rer „Kon­sens-Frei­heit“, die wir ger­ne ein­mal los­wür­den? Be­frei­ung durch La­chen à la „Bo­rat“.)

    Schein­frei­hei­ten. Letz­tens äu­ßer­te je­mand den Ge­dan­ken, dass in all dem über­bor­den­den Aus­spre­chen, das al­le in ih­ren Blogs lei­sten, sie da­mit den Kon­troll­in­stan­zen in die Hän­de spie­len. (Nicht un­be­dingt gleich big-brot­her oder der Ju­stiz, aber de­nen, die In­ter­es­se an ak­tu­el­len Gei­stes­hal­tun­gen ha­ben, egal ob es die Ge­heim­dien­ste des Staa­tes oder die der öko­no­mi­schen Trend-Scouts sind, oder ir­gend­wel­cher So­zio­lo­gen. Es gibt mitt­ler­wei­le auch Text-Tools, die mit Da­ten­bank-Tech­ni­ken gro­ße Word-Scans nach catch-words durch­füh­ren kön­nen, um zu se­ma­ti­schen Aus­wer­tun­gen zu kom­men. In Mar­bach wird an­geb­lich auch über­legt, ob man nicht al­les ver­suchs­wei­se Ge­äu­ßer­te mal eben für Ewig­kei­ten zu spei­chern hät­te. Oder „My­space“: Für ein biss­chen Fun und „fal­sche Freun­de“ ver­ra­ten al­le gleich un­ge­hemmt ihr In­tim­stes. Usw.)

    Wor­auf ich hin­aus­will, ist, dass wir sel­ber längst durch­drun­gen sind von al­len mög­li­chen Tech­ni­ken und Kul­tur-Tech­ni­ken aus dis­pa­ra­ten Be­rei­chen, die zu kom­plex sind, sie in ih­ren mög­li­chen Aus­wir­kun­gen im­mer erst ein­mal zu durch­den­ken... de­ren Ge­samt­heit uns aber so­wie­so in die­ser Sphä­re hält, uns in un­se­rem Tun dort so­gar „selbst“-ausweitet, aber eben auch im­mer ge­nau­er „for­ma­tiert“ (im Foucault’schen Sin­ne: Al­len die Tech­nik ge­ben, und al­le wä­ren in­ner­halb die­ser Tech­ni­ken der Macht: Al­le krie­gen ein Mo­bil­te­le­fon, aber al­le Ver­bin­dungs­da­ten wer­den zen­tral ge­spei­chert... Und un­ser ei­gen­stes Herz ist tiefst-fin­ster).

    Wä­ren al­so die Ni­sche, die Klein­heit, die An­ony­mi­tät... nicht sel­ber (zu­min­dest im An­satz und ei­ner ge­wis­sen Ten­denz der Be­weg­lich­keit, auch der Ver­wei­ge­rung) klei­ne Be­din­gun­gen, uns dem zu ent­zie­hen? Die im­pli­zi­te Ver­wei­ge­rung als die letz­te „po­li­ti­sche“? Das „Klei­ner-Den­ken“, das Hu­schen über die „Tau­send Pla­t­au­es“ auch im Text, statt auf die Klick­zah­len und die Schlag­zei­len, al­so die Mi­ni-Re­le­vanz im Nach­hall sei­ner Den­ke zu schie­len? Die Ni­sche, die Un­be­merkt­heit als letz­te Frei­heit, die dann auch hier und da in Ge­dan­ken ein­mal tat­säch­lich die For­ma­tiert­hei­ten un­te­räuft?

    (Und: Wenn man – ich tu das nach wie vor auf Te­le­po­lis – die hard facts der Kul­tur- und Me­di­en­wis­sen­schaft­ler ver­folgt, die die Aus­wir­kung und Tat­säch­lich­kei­ten des In­ter­nets und sei­ner Tech­ni­ken un­ter­su­chen, kommt man doch eh von all den schö­nen Uto­pie-Bla­sen – ana­log an­schei­nend den wirt­schaft­li­chen aus der Grün­der- und Boom-Zeit – ab. Blooms „Me­me“ und das glo­ba­le Ge­hirn, Teil­hard de Char­din mit sei­ner No­o­sphä­re – tol­le Sci­ence Fic­tion! An­re­gend zu le­sen, wenn man ei­ne al­te Schwä­che fürs Uto­pi­sche hat. Aber die Rea­li­en sind dann, dass sol­che Fin­ster­män­ner wir Mur­doch den gan­zen Tee­nie-Spaß auf­kau­fen und sie ih­rer Su­per-Vi­si­on un­ter­zie­hen: Und die lau­tet: Pro­fit!. Und was ist mit ei­nem sol­chen An­satz wie dem „Bun­des­tro­ja­ner“? Ist das Bö­se denn im­mer und über­all gleich mit da­bei? Wenn wir kom­men: An­schei­ned ja! Ich brau­che nur in mein Coo­kie-Ver­zeich­nis zu schau­en, mit wem ich es beim Sur­fen durchs Welt­wei­te Wun­der­ba­re zu tun be­kom­me: Mind-Share ist im­mer da­bei: Je­mand er­drei­stet sich al­so un­ge­fragt, mich, mein biss­chen Geist im Auf­trag an­de­rer mit an­de­ren wie­der­um zu tei­len! Wer schöpft mich da aus / ab? Tat­säch­lich bin ich al­so mit all mei­nen wun­der­ba­ren Frei­hei­ten im­mer im Netz ei­ner Kon­trol­le – und im­mer auch schon der Click- und der Quo­ten­depp: „Ei­ne Frei­heit, und ihr nicht ent­rin­nen...“ (oder so ähn­lich heißt es schon bei Schil­ler; der wuss­te viel­leicht mehr über Schein-Frei­hei­ten als wir!).

    ***

    Dass mei­ne ei­ge­ne Rand­exi­stenz al­so ein Ni­schen-Da­sein per se ist... und wo­mög­lich so­gar auch noch ei­ne Lu­xus-Fal­le: Das ist mir be­wusst. Und um es auch zu­zu­ge­ben: Ich sel­ber ha­be, als ich mich auf die­se Web­ar­beit ein­ge­las­sen ha­be, früh al­le die­se nai­ven Träu­me ge­träumt, von der Schnel­lig­keit, dem un­be­grenz­ten Aus­tausch, der Ra­di­kal-De­mo­kra­tis­e­rung, der Be­fruch­tung der Gei­ster... und dann auch ver­ste­hen müs­sen, dass die Leu­te sich selbst gar nicht ge­nug zu­rück­las­sen kön­nen, um in ei­nen sol­chen Raum an­ders­wie zu agie­ren. Sie brin­gen im­mer al­les von sich mit!

    Er­in­nert sich noch je­mand an Sher­ry Turk­le? Die in­tel­li­gen­te Le­gi­ti­ma­ti­on für ei­ne er­wei­ter­te Web-Exi­stenz! Aber an­schei­nend geht es gar nicht dar­um. Zu­min­dest nicht, wenn sie Mas­sen-wei­se vor­kom­men: Wie man über­all ver­neh­men kann, ist es in „Se­cond Life“ noch ein­fäl­ti­ger als in der Rea­li­tät, der sie dort­hin für ei­ne Spielexi­stenz ent­flie­hen wol­len! Um es wie­ne­risch zu sa­gen: Wo der Geist hin­kommt, wird es stu­pid... Statt Viel­heit nur Mehr­heit, und die über­all. Da wird es schnell auch mal dik­ta­to­risch...

    Viel­leicht ist „Be­deu­tungs­lo­sig­keit“ ja der Preis, der für das biss­chen mehr an Frei­heit zu ent­rich­ten ist? (Zu­min­dest der, sich nicht von der de fac­to De­fi­ni­ti­ons­macht der Mehr­heit zu un­ter­wer­fen. Selt­sa­mer­wei­se wird „Be­deu­tung“ – eh oft erst im Nach­hin­ein – häu­fig von ei­ner Span­nung zwi­schen der Mas­se und den Ein­zel­nen er­zeugt: Man kann sei­ne ei­ge­ne Be­deu­tung vor der Quan­ti­tät letzt­lich im­mer auch leicht un­ter­schät­zen... sie­he noch ein­mal das Ele­men­tar­teil­chen, das dann doch in ei­ner be­stimm­ten Ket­te von Re­ak­tio­nen den Un­ter­schied macht.)

    ***

    Ich will mich nicht auf­spie­len mit mei­nem Me­di­en-Des­il­lu­sio­nis­mus, aber auch die­se Er­fah­rung mit der Klick- und Le­ser­zahl ha­be ich vor et­wa 10 Jah­ren schon ein­mal ge­macht. Es war die mit ei­ni­gem Auf­wand be­trie­be­ne Site ei­ner klei­nen Künst­ler­grup­pe, sei­ner­zeit mit sämt­lich nur denk­ba­rem ak­tu­el­len und am­bi­tio­nier­ten „Con­tent,“ den ich als Re­dak­teur teil­wei­se zu­sam­men­brach­te... an man­chen Ta­gen gab es hun­dert Be­su­cher! Als ich aber ei­nes Ta­ges ei­nes mei­ner Ob­jet Trou­vés ein­stell­te, ein Fund­stück, des­sen ob­szö­nen Text ich tran­skri­bier­te, weil ich es für in­ter­es­sant hielt und auch für zei­gens­wert... stie­gen die Klick­zah­len rasch in die Tau­send, und ent­spre­chend der Traf­fic. Ich be­griff da­mals, dass ich mir kei­ne Mü­he mehr ge­ben brauch­te, es sei denn, ich wä­re dau­er­haft mit den we­ni­gen ernst­haf­ten In­ter­es­sen­ten zu­frie­den. Aber da­für all die Ar­beit? Und die im­mense Kri­tik (für mei­nen „Sub­jek­ti­vis­mus“)? Es ist wohl doch ei­ne Ko­sten-Nut­zen-Re­la­ti­on. Heu­te füh­le ich mich ge­ra­de­zu pri­vi­le­giert! Ich bin, ra­di­kal un­ver­bun­den, frei­er so zu­sa­gen auch um mei­ne „Be­deu­tung“. (In ei­nem weit­ge­hend „auf­klä­re­ri­schen“ Zu­sam­men­hang se­he ich mich da­bei aber im­mer noch.)

    ***

    Beim Sport ge­lingt es mir nicht mehr von den Phä­no­me­nen drum­her­um weg­zu­schau­en, ob Ma­ni­pu­la­tio­nen wie in Ita­li­en oder durch „Spit­zen­funk­tio­nä­re“ wie Sepp Blat­ter, ob be­ju­bel­ter Fa­schi­sten­gruss in ei­nem Rie­sen­sta­di­on wie in Rom oder dem klei­nen mie­sen Schlä­ger­spaß am Wo­chen­en­de in der Pro­vinz­stadt, der für die ei­ge­ne Fru­st­ab­fuhr den Tod an­de­rer in Kauf nimmt: von dem drecki­gen Geld und dem Na­rio­na­lis­mus-Hype mal ganz zu schwei­gen. Ehr­lich ge­sagt, kann mir mein Ur­teil da gar nicht ra­di­kal ge­nug sein. Ich den­ke so­gar, dass sich an die­sem Teil­be­reich der tat­säch­li­che Zu­stand un­se­rer Ge­sell­schaft viel bes­ser ab­le­sen lässt, als an der re­gle­men­tier­ten Po­li­tik: Es ist Krieg!

    (Gen­a­zi­no sagt letz­tens ir­gend­wo, dass un­ser All­tag längst „ka­ta­stro­phi­sche Zü­ge“ an­ge­nom­men hat, und er be­zog es auf Lärm, Ge­walt, Mas­sen­über­fül­lung... auf ei­ne Sze­ne in sei­nem neu­en Buch, die zur Welt­mei­ster­schaft spielt: Plötz­lich leuch­te­te mir sein Ein­fall mit dem sich auf­lö­sen­den Kör­per des Prot­ago­ni­sten auch ein – der ver­liert erst ein Ohr, dann ei­nen Zeh: Es fällt aber nie­man­dem wei­ter auf: Wir ha­ben bei all der Ko­ma­trin­ke­rei und der Vo­gel­grip­pe, bei Irak und Glo­ba­li­sie­rung den Pe­gel für so et­was wie ei­nen nor­ma­len Blick auf uns ver­lo­ren, bzw. die­se „Norm“ hat tau­sen­de von Lö­chern. – Auch da emp­fin­de ich mei­ne Ni­sche als Pri­vi­leg.

    Wie­viel der „deut­sche Wahn­sinn“ ei­gent­lich mit mir sel­ber zu tun hat, weiß ich nicht. Manch­mal den­ke ich: Mehr, als mich raus­hal­ten kann ich nicht tun. Aber das wä­re mein be­ster Bei­trag!)

  15. »Me­di­en-Des­il­lu­sio­nis­mus«
    Schö­nes (vor­läu­fi­ges?) Ré­su­mé?! Die »nai­ven Träu­me« ma­chen ja das Auf­wa­chen so hart. Blogs be­grei­fe ich dann fast nur noch als ei­nen Akt der Ver­zweif­lung. Der Blog­ger ist der Un­er­hör­te. Manch­mal glau­be ich auch, die Er­mög­li­chung all die­ser Äu­sse­run­gen (wie das Blog­gen) ist nur Ven­til – zum Ab­re­agie­ren. Ein Si­mu­lie­ren von Plu­ra­li­tät der Mei­nungs­äu­sse­rung. Speaker’s Cor­ner. Das Schlim­me da­bei ist: Es ist gleich­gül­tig ge­wor­den.

    Die­se Gleich­gül­tig­keit gibt es in Dik­ta­tu­ren nicht (ich ha­be nie in ei­ner ge­lebt). Dort hat das Wort noch ei­nen Wert – mit oft fa­ta­len Fol­gen. Manch­mal – und jetzt bit­te nicht falsch ver­ste­hen – wä­re ei­ne sol­che Ge­wich­tung des Wor­tes fast wün­schens­wert. End­lich wie­der ler­nen, »zwi­schen den Zei­len« zu schrei­ben und zu le­sen (und nicht nur bei Schrift­stel­lern)! End­lich wie­der Wor­te su­chen! Aber es geht ja nicht – es ist voll­kom­men hirn­ris­sig, sich des­we­gen dik­ta­to­ri­sche Ver­hält­nis­se zu wün­schen. Aber es ist Pa­ra­dox: In der frei­en Mei­nungs­äu­sse­rung liegt im­ma­nent das Mo­ment des Ni­vel­lie­ren­den; des Be­lie­bi­gen und auch des Ba­na­len. Das ab­ge­wo­ge­ne, prü­fen­de, ta­sten­de, su­chen­de Wort lässt bei uns (fast) nur Gleich­gül­tig­keit zu­rück.

    Da­her »Ta­bu­brü­che« – die we­ni­gen, die noch blei­ben (man den­ke an Eva Her­man: Die blo­sse Ab­wei­chung von ge­sell­schaft­lich ad­ap­tier­ten Im­pe­ra­ti­ven plus ei­ne ge­schick­te Mar­ke­ting­stra­te­gie ge­nügt). Und da­her schla­gen so vie­le Blog­ger auch die­se schril­len, lau­ten Tö­ne an: So wer­den sie ge­hört (we­nig­stens in­ner­halb der Sze­ne). Krö­nung der Auf­merk­sam­keit: Sie wer­den (meist mit nich­ti­gen Grün­den) ge­mass­re­gelt (einst­wei­li­ge Ver­fü­gun­gen; Kla­gen). Hier­aus sau­gen sie dann Nek­tar. Das schlimm­ste aber – im um­ge­kehr­ten Fall: Nie­mand be­ach­tet sie.

    Und nur hier­in ha­ben wir ver­mut­lich ei­nen Dis­sens: Ich se­he nicht, dass das »Ele­men­tar­teil­chen« den Un­ter­schied ma­chen kann. Oder nur im Sin­ne des­sen, was ich als blu­tig­ster Laie in »Cha­os­theo­rien« ge­hört ha­be. In der Me­di­zin nennt man das wohl Ho­möo­pa­thie. Oder beim Ge­hen im Wald schaut man fas­zi­niert auf den »Amei­sen­hau­fen« – hat die ein­zel­ne Amei­se ei­ne Idee ih­res Schaf­fens, ih­res Bei­trags? (Ganz si­cher nicht)

  16. „Laut der neue­sten, gro­ben Schät­zung von Blog­he­rald gibt es heu­te welt­weit rund 100 Mil­lio­nen Blogs, und es ist na­he­zu un­mög­lich, ei­ne all­ge­mei­ne Ein­schät­zung über ih­re „Na­tur“ ab­zu­ge­ben oder sie in prä­zi­se Gen­res zu un­ter­tei­len. Doch ich wer­de eben dies ver­su­chen. Es ist von stra­te­gi­scher Be­deu­tung, kri­ti­sche Ka­te­go­rien ei­ner Theo­rie des Blog­gens zu ent­wickeln,...“
    Mir scheint, Über­le­gun­gen zu ei­ner Theo­rie (oder auch „nur“ zur Pra­xis) des Blog­gens, kran­ken oft dar­an, die all zu kur­ze Exi­stenz- und Ent­wick­lungs­zeit des Ge­gen­stan­des zu un­ter­schät­zen. Auch Ge­ert Lo­vink wen­det sich nach ei­ner rhe­to­ri­schen Ein­schrän­kung („ist na­he­zu un­mög­lich“) ziem­lich un­be­küm­mert sei­nem The­ma zu.
    Ich glau­be, daß die „Blogo­sphä­re“ wei­ter­hin Po­ten­ti­al zu ganz neu­en und un­er­war­te­ten Er­schei­nun­gen hat. Und zwar des­halb, weil vie­le Blogs die Aus­ein­an­der­set­zung ei­nes In­di­vi­du­ums, des Blog­gers, mit sei­ner um­ge­ben­den Rea­li­tät spie­geln. Sie spie­geln die­se Aus­ein­an­der­set­zung und sind selbst ei­ne spe­zi­fi­sche Form die­ser Aus­ein­an­der­set­zung. Neue Mo­men­te der Rea­li­tät und des Rea­li­täts­be­zugs der In­di­vi­du­en wer­den, so mei­ne Ver­mu­tung, zu ge­ge­be­ner Zeit neue, viel­leicht er­heb­li­che Aus­wir­kun­gen auf’s Blog­gen ha­ben.
    Mei­ne Blogger-„Startposition“ ist nicht zu tren­nen von mei­nem in­ten­si­ven, viel­jäh­ri­gen Ta­ge­buch­schrei­ben. Ei­ne Funk­ti­on des­sen war im­mer Selbst­ver­stän­di­gung. Die­se Funk­ti­on bleibt im doch öf­fent­li­chen Blog­gen (er­staun­li­cher­wei­se) fast oh­ne Ein­schrän­kung er­hal­ten. Dem liegt durch­aus ei­ne be­stimm­te Auf­fas­sung vom Men­schen, von mei­nem „per­sön­lich­sten Ich“ in der Ge­sell­schaft zu Grun­de. Da­zu ge­hört nicht zu­letzt der Ge­dan­ke: Mei­ne Selbst­ver­stän­di­gung kann für Drit­te ei­nen Wert ha­ben.
    Zu­gleich hat­te mein Ta­ge­buch für mich im­mer die Funk­ti­on ei­ner Ma­te­ri­al­samm­lung und zu­gleich ei­nes Le­bens­be­richts „nach drau­ßen“. Ich wür­de Zeug­nis ab­le­gen. Kon­kret hät­te ich die­se Ab­sicht bei Fort­exi­stenz der DDR und Nicht­vor­han­den­sein ei­nes WWW in ei­ner Form ver­wirk­licht. Heu­te ha­ben sich in­halt­li­che Aus­rich­tung und tech­ni­sche Form des be­ab­sich­tig­ten Be­zeu­gens gra­vie­rend ge­wan­delt aber der Grund­im­puls, ziem­lich tief in mei­ner Le­bens­kon­zep­ti­on ver­an­kert, bleibt wirk­sam; kein flüch­ti­ger An­trieb.
    Zeug­nis ab­zu­le­gen kann ei­ne ein­sa­me Ver­an­stal­tung sein: „Ec­ce ho­mo!“ und kaum je­mand schaut hin. Wie wich­tig bin ich denn? Oh­ne al­le Hilfs­mit­tel wür­de ich mich viel­leicht nur drei oder fünf Leu­ten mit­tei­len kön­nen. Des­halb sind für mich täg­li­che Be­su­cher­zah­len des Blogs von 100 phan­ta­stisch, über­tref­fen al­le Er­war­tun­gen..
    Wie wich­tig sind mir Dis­kus­sio­nen, Kom­men­ta­re? Mit­tel­präch­tig. Na­tür­lich ist die Be­stä­ti­gung schön, ver­stan­den zu wer­den oder An­re­gun­gen zu­rück zu be­kom­men, doch im Grun­de ge­nügt mir das Wis­sen, daß die Be­su­che­rIn­nen (zu 35% Wie­der­ho­lungs­tä­ter) sich ihrs ‘raus­ge­nom­men ha­ben. Der Zu­ge­winn er­gibt sich für mich nicht so sehr aus der di­rek­ten wech­sel­sei­ti­gen Dis­kus­si­on­be­tei­li­gung als viel­mehr aus der Pfle­ge mei­nes „klei­nen per­sön­li­chen Blog­pro­zes­ses“, soll hei­ßen: Aus der Füh­rung mei­nes ei­ge­nen Blogs, der ei­ni­ger­ma­ßen sy­ste­ma­ti­schen Wahr­neh­mung von und mit­un­ter ak­ti­ven Be­tei­li­gung an ca. 35 Adres­sen mei­ner Blogroll, so­wie der spo­ra­di­schen Sich­tung wei­te­rer Blogs und Web­sites.

    Dan­ke für das hie­si­ge schö­ne An­ge­bot zur Be­tei­li­gung.

    [EDIT: 2007-03-15 20:14]

  17. Exi­stenz- und Ent­wick­lungs­zeit
    Dan­ke für die­se Schil­de­rung.

    Mir scheint, Über­le­gun­gen zu ei­ner Theo­rie (oder auch „nur“ zur Pra­xis) des Blog­gens, kran­ken oft dar­an, die all zu kur­ze Exi­stenz- und Ent­wick­lungs­zeit des Ge­gen­stan­des zu un­ter­schät­zen.
    Das ist na­tür­lich der »Knack­punkt«. Sind wir zu un­ge­dul­dig? Oder suh­le ich mich be­reits im Ab­ge­sang auf die Blog­ger­sze­ne (in­fil­triert von »Jour­nal« hier)?

    Dei­ne op­ti­mi­sti­sche Sicht fin­de ich in­ter­es­sant. Kannst Du noch ein biss­chen mehr zu den Aus­wir­kun­gen sa­gen, die sich für das Blog­gen er­ge­ben sol­len?

    [EDIT: 2007-03-16 11:02]

  18. Das Blog­gen scheint mir ein be­deu­ten­des Werk­zeug der In­di­vi­dua­li­sie­rung zu sein und zu­gleich Aus­druck der­sel­ben.
    Frü­her ha­be ich ei­ne lei­den­schaft­lich-op­ti­mi­sti­sche Sicht auf In­di­vi­dua­li­sie­rung ge­habt, die ich als ei­nen not­wen­di­gen Un­ter­bau oder bes­ser ge­sagt den un­ver­zicht­ba­ren Ge­gen­pol des so­zia­li­sti­schen Kol­lek­ti­vis­mus wahr­ge­nom­men ha­be.
    Das Kol­lek­tiv kön­ne nur echt wer­den, wenn das In­di­vi­du­um vor­her kei­nen „Kol­lek­tiv­stein“ auf dem an­de­ren ge­las­sen hat. Da­nach kä­me es „nur“ (!) dar­auf an, so mei­ne Vor­stel­lung, daß die frei­en In­di­vi­du­en aus frei­er Ent­schei­dung ih­re Bin­dun­gen ge­stal­ten.
    Be­züg­lich der Mög­lich­kei­ten, Fä­hig­kei­ten, Be­reit­schaft und Ab­sicht der In­di­vi­du­en sol­ches tat­säch­lich zu tun, ha­be ich mir im­mer Neu­gier und im­mer auch star­ke Zwei­fel er­laubt; wenn über­haupt, dann nur sehr ein­ge­schränk­ten Op­ti­mis­mus (nach dem Un­ter­gang der DDR in ei­ner kom­mu­ne­ar­ti­gen Sze­ne da­zu zahl­rei­che Er­fah­run­gen ge­macht).
    Ob nun op­ti­mi­sti­sche Per­spek­ti­ve von In­di­vi­dua­li­sie­rung oder nicht – ih­re Rea­li­tät be­zweif­le ich nicht.
    Be­deu­ten­des Mo­ment z.B. der Um­gang des In­di­vi­du­ums mit In­for­ma­tio­nen. Das Blog­gen be­deu­tet enor­me Ak­ti­vie­rung der dem In­di­vi­du­um ver­füg­ba­ren In­for­ma­tio­nen ein­schließ­lich ei­nes wach­sen­den An­teils selbst ge­ne­rier­ter In­for­ma­ti­on. Eben­so gra­vie­rend (in Um­fang wie in Struk­tur) be­ein­flußt es die In­for­ma­ti­ons­auf­nah­me des In­di­vi­du­ums. Der Blog­ger krem­pelt sein gan­zes per­sön­li­ches In­for­ma­ti­ons­ma­nage­ment um, in ge­wis­sem Sin­ne schafft er es über­haupt erst. In An­be­tracht der schnel­len Ent­wick­lung der Hard­ware- und Soft­ware­be­din­gun­gen des Blog­gens, ist die­ser Pro­zeß noch lan­ge nicht am En­de. Und di­to in An­be­tracht der im WWW sprung­haft zu­neh­men­den In­for­ma­ti­ons­men­ge, ein­schließ­lich zu fin­den­der Qua­li­tät.
    Ge­wiß der WWW-“Dünnpfiff“/Marktschrott nimmt eben­falls sprung­haft zu. Das ei­ge­ne, stän­dig durch die per­sön­li­che Er­fah­rung über­prüf­te In­fo­ma­ti­ons- und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­kon­zept bie­tet m.A. n. aber aus­rei­chen­den Schutz.
    In­for­ma­ti­on im Blog ist im­mer, zu­min­dest po­ten­ti­ell, so­zia­les Si­gnal, ent­hält, wenn auch viel­leicht nur höchst ab­strakt, die Mög­lich­keit, daß In­di­vi­du­en an­ein­an­der „an­docken“. Das ein­räu­men, heißt kei­nes­wegs der Vor­stel­lung ei­ner ei­ge­nen Blog­ger-Ge­mein­schaft an­zu­hän­gen. Das liegt mir fern.
    Ihr „so­zia­ler Grund“ muß die In­di­vi­du­en zur Bin­dung drän­gen. Das ist, wenn es pas­siert, zu­nächst völ­lig un­ab­hän­gig vom Blog­gen. Wenn es aber pas­siert, dann könn­te das Blog­gen zum enorm pro­duk­ti­ven Ve­hi­kel wer­den. Ein bis­her un­vor­stell­ba­res Maß „un­mit­tel­ba­rer Ge­sell­schaft­lich­keit“ der In­di­vi­du­en (von ih­nen ge­wollt) könn­te Wirk­lich­keit wer­den. Ich ver­ste­he je­den, der heu­te prak­tisch Null An­sät­ze zu sol­chen so­zia­len Ten­den­zen sieht. Mei­ne Er­fah­rung aber, wie un­glaub­lich ver­schie­den die­sel­be „Mas­se Mensch“ im Ver­lauf we­ni­ger Jahr­zehn­te denkt, flößt mir größ­te Zwei­fel ein, das heu­te un­be­strit­ten und all­ge­mein Selbst­ver­ständ­li­che als end­gül­tig zu be­trach­ten.

    [EDIT: 2007-03-22 16:24]

  19. Im Grun­de ge­nom­men be­schreibst Du aus per­sön­li­cher Sicht das, was en-pas­sant mit »Ato­mi­sis­erung« meint.

    Na­tür­lich ist Blog­gen in­di­vi­dua­li­stisch; der po­le­mi­sche Ti­tel mei­nes Auf­sat­zes hier, der von »Nar­ziss­ten« spricht, ist al­ler­dings nicht um­sonst ge­wählt. Die Ge­fahr in die­sem In­di­vi­dua­lis­mus liegt na­tür­lich in dem, was schon be­spro­chen wur­de (Ein­di­men­sio­na­li­tät; Kom­ple­xi­täts­re­du­zie­rung, usw). Wenn je­mand wie Pe­ter Tu­ri als Fa­zit von an­dert­halb Jah­ren Blog­gen sagt Blog­gen macht süch­tig, dick, ag­gres­siv und kurz­at­mig, stiehlt Le­bens­zeit und bringt am En­de nix ein ist das m. E. mehr als ei­ne hübsch ge­setz­te Poin­te – son­dern äu­sserst re­si­gna­tiv. (Mein Ein­druck ist üb­ri­gens, dass man sich in die­sen »Al­pha­blog­ger«- oder »Betablogger«-Kreisen nur noch um sich sel­ber und/oder sei­ne Ran­kings dreht; bspw. hier – na­ja, was soll’s.)

    Was mich im­mer skep­tisch macht, ist, wenn mit neu­en me­dia­len Mög­lich­kei­ten ei­ne Art Pa­ra­dies be­schrie­ben wird. Ich ha­be noch in Er­in­ne­rung, als in West­deutsch­land in den 80er Jah­ren Ideen über »freie« Ra­dio­sta­tio­nen kur­sier­ten, die so et­was wie »Bür­ger­funk« pro­ga­gier­ten, der los­ge­löst vom Kor­sett der öf­fent­lich-recht­li­chen »Mei­nungs­ma­fia« zur wah­ren und rich­ti­gen und au­then­ti­schen und nütz­li­chen In­for­ma­ti­on füh­ren soll­te.

    Nun, Lo­kal­ra­dio­sta­tio­nen heut­zu­ta­ge sind der Re­gel nur pri­mi­ti­ve Du­del­funk­sen­der, die vom Kom­merz um­ne­belt (= am Le­ben er­hal­ten) wer­den. Und was das Pri­vat­fern­se­hen an­geht – das wis­sen wir ja al­le, wel­che »Qua­li­täts­schü­be« da kom­men.

    Auf­grund die­ser Er­fah­run­gen (und na­tür­lich auch der Re­so­nanz auf mei­nen Blog hier) bin ich skep­tisch. Der ge­konnt ge­schrie­be­ne Par­ty­plausch oder die wit­zi­ge All­tags­schil­de­rung wird im­mer ein Pu­bli­kum be­kom­men. Hier­in dürf­te die Zu­kunft des Blog­gens lie­gen. Aber ein Blog, der in ir­gend­ei­ner Wei­se den tra­di­tio­nel­len Me­di­en »Kon­kur­renz« macht oder auf sie re­kur­riert, dürf­te auf Dau­er kei­ne Chan­ce ha­ben. Es sei denn, er ist sich selbst ge­nug.

    [EDIT: 2007-03-23 09:11]

  20. Der Blog als Lo­gik un­se­rer Zeit
    Vor­weg: Ich ha­be die oben ste­hen­den Kom­men­ta­re nur über­flo­gen, falls sich man­ches wie­der­holt, bit­te ich um Ver­zei­hung.

    Blog­gen ist mitt­ler­wei­le ein ver­brei­te­tes Phä­no­men. Das hat meh­re­re Grün­de: Zum ei­nen ist das tech­ni­sche »Sub­strat« vor­han­den, zum an­de­ren ha­ben vie­le Men­schen (in un­se­rer west­li­chen Welt) auch Zu­gang da­zu, sei es nun als Le­ser oder als Schrei­ben­de. Das Blog­gen re­sul­tiert aber auch aus ge­sell­schaft­li­chen Ent­wick­lun­gen bzw. treibt es die­se wei­ter vor­an – ich den­ke hier an wech­sel­wir­ken­de, sich selbst ver­stär­ken­de Pro­zes­se.

    Zu­vor viel­leicht noch zu dem im­mer wie­der be­an­stan­de­ten »Müll« in den Wei­ten des World Wi­de Web. Man soll­te sich dar­über viel­leicht nicht über Ge­bühr er­re­gen, vor­al­lem wenn man be­denkt, dass vie­les was frü­her in Ta­ge­bü­cher ge­krit­zelt wur­de, was auf flie­gen­den Blät­tern no­tiert wur­de, heu­te eben in ei­nem Blog, in Fo­ren, oder auf per­sön­li­chen Sei­ten in di­gi­ta­li­sier­ter Form de­po­niert wird. Ist nun ein­mal so. Be­dau­erns­wert, be­kla­gens­wert, aber nicht mehr als zu an­de­ren Zei­ten.

    Drei Schlag­wor­te: »In­di­vi­dua­li­sie­rung«, »Öko­no­mi­sie­rung der Le­bens­welt«, »Post­mo­der­ne«. An­hand die­ser ist es viel­leicht mög­lich, sich dem Phä­no­men zu nä­hern, es ver­steh­bar zu ma­chen. Ich bin mir nicht gänz­lich si­cher ob ich auf dem rich­ti­gen Weg bin, aber es scheint mir so, als ob das Blog­gen ei­ne Kon­se­quenz un­se­rer Zeit ist, sich qua­si lo­gisch aus ihr ab­lei­ten lässt. Und ich bin mir ziem­lich si­cher: Ei­ne mo­no­kau­sa­le Er­klä­rung gibt es nicht. Und: Al­le Er­klä­run­gen sind mit­ein­an­der ver­wo­ben. Al­so zum er­sten:

    Die Individualisierung/>
    Da­zu wur­de oben be­reits ei­ni­ges ge­sagt, da­her viel­leicht nur so viel: Es scheint lo­gisch, dass das Netz »mit­in­di­vi­dua­li­siert«, das heißt die vir­tu­el­le Ebe­ne die ge­sell­schaft­li­che spie­gelt. Ein Blog lie­fert die Mög­lich­keit ganz ge­zielt, eben das, was mich als In­di­vi­du­um in­ter­es­siert, oder be­langt, zu be­han­deln, zu kom­men­tie­ren, und gleich­zei­tig für »al­le« ein­seh­bar zu ma­chen. Ein Blog er­mög­licht, sich mit Fa­cet­ten die­ser un­ge­heu­er kom­pli­zier­ten, un­über­schau­ba­ren und in De­tail­wis­sen auf­ge­split­ter­ten Welt zu be­schäf­ti­gen. Das iso­lier­te In­di­vi­du­um, von der Viel­fäl­tig­keit der Welt über­wäl­tigt und ab­ge­sto­ssen, be­ginnt wie­der mit Tei­len, mit Split­tern die­ser Welt zu in­ter­agie­ren – auf tex­tu­el­ler, vir­tu­el­ler Ebe­ne. Ja, viel­leicht ist ge­ra­de die­se Il­lu­si­on ein ganz we­sent­li­cher Punkt: Mein Blog er­mög­licht es mir in die Welt hin­aus­zu­schrei­en, ich wer­de ge­hört und wahr­ge­nom­men! Und wenn wir an Kri­sen­ge­bie­te den­ken stimmt das teil­wei­se so­gar, denn Blogs aus sol­chen Re­gio­nen wer­den ger­ne ge­le­sen.

    Ökonomisierung/>
    Du schriebst, ein Blog ist auch ei­ne Mar­ke. Ge­nau. Mann kann sich ver­kau­fen, an­bie­ten, prä­sen­tie­ren und dar­stel­len. Din­ge die der all­ge­gen­wär­ti­ge Markt for­dert. Schrift­stel­ler, Po­li­ti­ker, Jour­na­li­sten, Stars, Sport­ler – sie al­le ver­mark­ten et­was, näm­lich sich selbst – und sie ha­ben ih­re Fan­ge­mein­den, die kon­su­mie­ren wol­len (zu­meist wahr­schein­lich nicht mehr; die For­de­run­gen die Du bei­spiels­wei­se an ei­nen Blog stellst sind gänz­lich an­de­re). Ein Blog ist al­so die Mög­lich­keit ein be­stimm­tes Selbst­bild zu ver­brei­ten, zu trans­por­tie­ren, Wer­bung zu ma­chen, und zwar auf ganz »per­sön­li­cher« Ebe­ne, aber – und das ist wie­der­um wich­tig – für al­le sicht- und les­bar.

    Das pos­mo­der­ne Paradigma/>
    Ein Blog bie­tet auch die Mög­lich­keit der Mo­de­ra­ti­on und kommt da­mit dem, was man – zu­ge­ge­ben ver­ein­facht – als post­mo­der­ne Be­lie­big­keit be­zeich­net, ent­ge­gen. Ich kann mit Hil­fe mei­nes Blogs »al­les« sein, je­de Mei­nung ver­tre­ten, ein­mal die­ses, dann je­nes. Das rea­le In­di­vi­du­um, das sich mit ver­schie­de­nen Iden­ti­tä­ten zu schmücken ver­steht (der Markt for­dert!), tut im Web ge­nau das­sel­be. Es will glit­zern und schau­spie­lern. Ei­nen fe­sten Kern gibt es nicht. Hier kann man per­fekt tar­nen und täu­schen, mehr aus sich ma­chen als tat­säch­lich da ist, lü­gen, schwin­deln, schön re­den – al­les ist mög­lich, die »Wahr­heit« na­tür­lich auch. Der Blog ver­an­kert die­ses Schau­spiel (man fin­det ihn wie­der), im Ge­gen­satz zum Chat, wo man ein ähn­li­ches Spiel trei­ben kann, aber eben die­sen An­ker­punkt nicht hat.

    Un­se­re Zeit »for­dert« den Blog, sie be­dingt ihn, und er wie­der­um sie – in­so­fern wird das Phä­no­men von Dau­er sein.