Mo­ni­ka Ma­ron: Ar­tur Lanz

Monika Maron: Artur Lanz
Mo­ni­ka Ma­ron: Ar­tur Lanz

»Er war viel­leicht fünf­zig Jah­re alt, von schma­ler Ge­stalt, mit blon­dem, leicht er­grau­tem Haar, das in kur­zen Locken wirr um sei­nen Kopf stand, als wür­de er es stän­dig mit den Hän­den durch­fah­ren.« So be­schreibt die Ich-Er­zäh­le­rin Char­lot­te Win­ter in Mo­ni­ka Ma­rons neue­stem Ro­man die Ti­tel­fi­gur Ar­tur Lanz. Sie sieht ihn vor dem Su­per­markt, dort, wo auch Ob­dach­lo­se zu­sam­men­kom­men. Win­ter sucht ein Ge­spräch mit ei­nem ver­zag­ten Mann, der die Streu­ner fast be­wun­dert: »Die ha­ben es doch gut, die ha­ben es hin­ter sich…Die stel­len kei­ne Fra­gen mehr, die brau­chen kei­ne Ant­wor­ten mehr. Al­le Fra­gen hei­ßen nur noch Schnaps und Bier und al­le Ant­wor­ten auch, bis es end­gül­tig vor­bei ist.«

Es dau­ert Mo­na­te, bis sie ihn wie­der­trifft und vom »Dra­ma« er­fährt, dass »in der Män­ner­see­le von Ar­tur Lanz tob­te«. Sein Ein­satz zur Ret­tung sei­nes Hun­des aus ei­nem Raps­feld be­glück­te und ver­än­der­te Ar­tur Lanz’ Sicht auf das Da­sein der­art, dass er al­les hin­ter sich ließ, was sein Le­ben bis­her struk­tu­rier­te. »Ein tie­fes Glück« stell­te sich ein, und sein Kör­per emp­fand ei­nen »sü­ßen Schmerz.« Es ist ei­ner der Schwach­punk­te des Ro­mans: Die Eu­pho­rie Art­urs teilt sich dem Le­ser nicht mit. Man denkt un­will­kür­lich an den groß­ar­ti­gen Dag Sol­stad und ei­ne sei­ner Haupt­fi­gu­ren, die ihr Le­ben än­dert, weil sie ei­nen Re­gen­schirm nicht öff­nen kann.

Hier bleibt das Er­eig­nis Be­haup­tung und die Fol­gen schei­nen eher ab­surd: Ar­tur Lanz ließ sich schei­den, mie­te­te sich ei­ne neue Woh­nung, wur­de herz­krank, und stürz­te sich in ein »wir­res Her­um­den­ken«. Sei­ne Ar­beit als Phy­si­ker ver­rich­tet er oh­ne En­thu­si­as­mus als Brot­er­werb. Und er er­zählt Win­ter von sei­nem Va­ter, den El­tern, der ehr­gei­zi­gen Mut­ter, sei­ner Kind­heit, von der Hy­po­thek, die er durch den Na­men be­kam, den ihm die Mut­ter gab: Ar­tur – der Held der Ar­tus­sa­ge. Wel­che Ver­pflich­tung. Aber, auch hier ernst­haft ge­fragt, sind zum Bei­spiel al­le Fe­li­xe der­art prä­dis­po­niert, wenn sie her­aus­ge­fun­den ha­ben, nicht per­ma­nent glück­lich sein zu kön­nen?

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Mi­cha­el Klee­berg: Glücks­rit­ter

»Glücks­rit­ter« nennt Mi­cha­el Klee­berg sei­nen neu­en Ro­man. Ro­man? Der Un­ter­ti­tel ver­rät An­de­res: »Re­cher­che über mei­nen Va­ter«. Ei­ne Bio­gra­phie? Nein, das ist es auch nicht. Viel­leicht »Au­to­fik­ti­on«? Ir­gend­wann hat­te sich die­ser Be­griff für solch ein li­te­ra­risch-bio­­­gra­­phi­­sches Schrei­ben ge­fun­den und hier scheint er zu pas­sen. Un­längst hat­te Klaus Kast­ber­ger bei ei­nem Text zum Bach­mann­preis ver­sucht, das (auto)biographische ...

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»Der Welt sind al­le Blät­ter ab­ge­fal­len«

Ei­ni­ge Lek­tü­re­ein­drücke zu Ol­ga Tok­ar­c­zuk

Olga Tokarczuk: Gesang der Fledermäuse
Ol­ga Tok­ar­c­zuk: Ge­sang der Fle­der­mäu­se

Ei­ni­ge Ta­ge vor der Be­kannt­ga­be der Li­te­ra­tur­no­bel­prei­se für 2018 und 2019 tauch­te der Na­me Ol­ga Tok­ar­c­zuk ne­ben den üb­li­chen Ver­däch­ti­gen auf. War da et­was durch­ge­sickert? Ei­ne Über­ra­schung war es dann doch (die grö­ße­re war al­ler­dings die Ver­ga­be für 2019 an Pe­ter Hand­ke). Als die Nach­richt kam, war die Au­torin auf ei­ner Le­se­rei­se durch Deutsch­land. Plötz­lich woll­ten al­le et­was von ihr; es gab ei­ne ei­lig ein­be­ru­fe­ne Pres­se­kon­fe­renz in Düs­sel­dorf. Der Kam­pa-Ver­lag druck­te nach, schien auch Rech­te von Aus­ga­ben von Tok­ar­c­zuks Bü­chern von an­de­ren Ver­la­gen suk­zes­si­ve auf­zu­kau­fen und be­müht sich, das Werk schnell und um­fas­send zu prä­sen­tie­ren. Als Ta­schen­buch­aus­ga­be ist jetzt Tok­ar­c­zuks Ro­man »Ge­sang der Fle­der­mäu­se« von 2009 (erst­mals in Deutsch 2011 bei Schöff­ling) er­hält­lich (Über­set­zung von Do­reen Dau­me). Ein Ein­stieg zu wo­mög­lich an­spruchs­vol­le­ren Tex­ten wie dem nicht zu­letzt von der Aka­de­mie als Opus ma­gnum ge­prie­se­nen »Die Ja­kobs­bü­cher«?

Ich ge­ste­he, dass mich die – so­zu­sa­gen in­of­fi­zi­el­le – Ru­bri­zie­rung »Kri­mi­nal­ro­man« (tat­säch­lich wird »Ro­man« als Gen­re ver­wen­det) für »Ge­sang der Fle­der­mäu­se« ein­ge­nom­men hat. (Was ich erst spä­ter re­cher­chier­te: das Buch bzw. wohl eher der Plot ist be­reits ver­filmt wor­den). Man kann al­so, so die Bot­schaft, sehr wohl ei­nen Kri­mi­nal­ro­man schrei­ben und trotz­dem den No­bel­preis er­hal­ten. Tat­säch­lich ist die­ses un­säg­li­che Schub­la­den­den­ken ge­gen­über der so­ge­nann­ten Genre­li­te­ra­tur fast nur noch in der deutsch­spra­chi­gen Re­zep­ti­on exi­stent. An­ders­wo ist man durch­aus in der La­ge, die Li­te­r­a­ri­zi­tät bei­spiels­wei­se von Kri­mi­nal­ro­ma­nen an­zu­er­ken­nen – so­fern sie denn vor­han­den ist.

Der Ro­man spielt in dem klei­nen Dorf Luf­cug (ein »in­of­fi­zi­el­ler« Na­me) auf ei­nem Hoch­pla­teau an pol­nisch-tsche­chi­schen Gren­ze. Es ist glück­li­cher­wei­se kein dys- oder uto­pi­sches Sze­na­rio; man be­wegt sich in der Ge­gen­wart. Im »Kes­sel« liegt die nächst­grö­ße­re Stadt Glatz (pol­nisch: Kłodz­ko; im Buch fast durch­gän­gig in der deut­schen No­men­kla­tur). Es be­ginnt im ei­sig-kal­ten, wind­um­to­sten Win­ter, als Ma­to­ga sei­nen meh­re­re hun­dert Me­ter ent­fernt woh­nen­den Nach­barn »Big­foot«, ei­nen an­de­ren, ere­mi­tisch-zän­ki­schen Be­woh­ner, tot in sei­nem Haus ent­deckt und Ja­ni­na Dus­ze­j­ko mit­ten in der Nacht auf­weckt. Sie schau­en sich die Lei­che an, su­chen ei­ne To­des­ur­sa­che. Schnell kom­men sie zu dem Schluss, dass er an ei­nem klei­nem Reh­kno­chen er­stickt ist. Für Ja­ni­na ist klar, dass dies die Ra­che der Re­he ist, die »Big­foot« ge­wil­dert hat­te. Er war ein Mann, der von der Na­tur leb­te, »die er aber nicht re­spek­tier­te«.

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Dra­gan Al­ek­sić: Her­ren­fahr­rad »Par­tizan«

Dragan Aleksić: Herrenfahrrad "Partizan"
Dra­gan Al­ek­sić:
Her­ren­fahr­rad »Par­tizan«

Dies­mal sind es 32 Ge­schich­ten auf knapp 180 Sei­ten. Nach den Kür­ze­ster­zäh­lun­gen in »Vor­vor­ge­stern« (2011), die­sen »Ge­schich­ten, die vom Glück han­deln« und dem Ro­man »Zwi­schen Ne­ra und Ka­radsch« (2013) lie­gen nun die neu­en Er­zäh­lun­gen des ju­go­sla­wi­schen Schrift­stel­lers Dra­gan Al­ek­sić, der seit 2006 in den USA lebt, ge­sam­melt vor. Ge­schrie­ben wur­den sie zwi­schen 2014 und 2018; ei­ni­ge wa­ren in Li­te­ra­tur­zeit­schrif­ten oder auch On­line be­reits er­schie­nen. Über­set­ze­rin­nen wa­ren El­vi­ra Ve­se­li­no­vić und Ma­scha Da­bić (es ist ver­zeich­net, wer wel­che Ge­schich­te be­treu­te).

Die Band­brei­te, die hier auf­ge­spannt wird, ist enorm. Die Spiel­or­te rei­chen von Ju­go­sla­wi­en (vor und nach den Welt­krie­gen, vor und nach den Bür­ger­krie­gen) über Deutsch­land, Spa­ni­en bis nach Eri­trea und den USA. Die The­men­pa­let­te ist kom­plex. Mal geht es um ei­ne Kon­ver­si­on vom Chri­sten­tum zum Is­lam, dann um zwei Hem­den aus Deutsch­land, ei­nem Amok­lauf bei ei­ner Hoch­zeit, der wie bei­läu­fig er­zählt wird oder Par­ti­sa­nen, die im­mer erst nach der Er­obe­rung durch die Rus­sen auf der Bild­flä­che er­schei­nen (»Mais­fres­ser« ge­nannt). Oft be­ginnt es harm­los, et­wa mit ei­ner Schach­par­tie, bei der je­mand plötz­lich stirbt. Und dann er­fährt man plötz­lich, dass der Ver­stor­be­ne noch am glei­chen Tag in ein Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger ab­trans­por­tiert wer­den soll­te.

Kei­ne zwei Ge­schich­ten fol­gen glei­chen Ge­set­zen. Tra­gik wech­selt mit Ko­mik. Eben noch Dorf­erleb­nis­se, dann kommt die Welt­ge­schich­te auf die Büh­ne. Da­nach wähnt man sich in ei­nem Mär­chen, et­wa wenn in der Ti­tel­ge­schich­te An­der­sen-haft ein Fahr­rad sein Schick­sal mit un­ter­schied­li­chen Be­sit­zern er­zählt. Oder wenn vom »Kö­nig al­ler Dich­ter« er­zählt wird, der in der Psych­ia­trie lebt. Man­ches ist hei­ter, wie et­wa die »Weih­nachts­ge­schich­te« über das Ehe­paar, das sich kurz vor dem Fest strei­tet und die Frau zu ih­ren Ver­wand­ten fährt. Am Weih­nachts­tag möch­te der Mann die Frau zu­rück­ho­len, aber da ist sie schon un­ter­wegs zu ihm. Manch­mal be­ginnt es fast ein biss­chen kit­schig, et­wa die Lie­bes­ge­schich­te von Da­co und La­mi­ja, um dann um­zu­schla­gen in ein Dra­ma. Oder die Ge­schich­te des Teil­neh­mers am Spa­ni­schen Bür­ger­krieg, der ver­wun­det in ein Haus ei­nes äl­te­ren Ehe­paa­res ge­bracht wird und dort von der 70jährigen Frau nach dem Tod des Ehe­manns ver­führt wird. Hier gibt es ei­ne Poin­te.

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He­le­na Ad­ler: Die In­fan­tin trägt den Schei­tel links

[...] Über­ra­schend dann: Die Lek­tü­re, die­se dau­er­plap­pern­de, syn­äs­the­ti­sche Ich-Er­­zäh­­le­rin mit ih­ren hy­per­ven­ti­lie­ren­den Wahr­neh­mun­gen strengt an. Fast je­der Satz von He­le­na Ad­ler schnei­det, beißt, trifft. Aber man täu­sche sich nicht: Wo an­de­re mit Re­pe­ti­tio­nen ar­bei­ten, wo die Zorn in blin­de Wut ge­rinnt, ist hier al­les un­ter Kon­trol­le. Und gleich­zei­tig in Auf­ruhr. Eben wa­ren die Ur­groß­el­tern noch ...

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Jac­cot­tets Grignan

Wie froh war ich in der Käl­te, als auf der Stra­ße zwi­schen Val­re­as und Grignan, ei­ner lan­gen Ge­ra­den durch ei­nen kur­zen Win­ter­nach­mit­tag, ein Wa­gen hielt. Ich wur­de mit­ge­nom­men von zwei Land­ar­bei­tern, die nach mei­nem À Grignan? so­gleich wei­ter­spra­chen, wäh­rend ich im Fond auf dem kal­ten, prall ge­spann­ten, wohl von Acker­er­de stau­bi­gen Kunst­stoff nicht recht wuss­te, wie ich mich ge­gen­über, oder ne­ben, der hin und her rol­len­den Zwie­bel ver­hal­ten soll­te, die im­mer wie­der dicht an mich her­an­kam. Viel­leicht wa­ren mei­ne Be­för­de­rer auch eher selb­stän­di­ge Land­wir­te, zu­min­dest was den ei­nen der bei­den an­ging. Sie un­ter­hiel­ten sich eif­rig über et­was das den Markt von Val­re­as be­traf. Auch von Bie­nen­kä­sten war die Re­de.

Hin­ter ei­nem Hö­hen­zug glitt der obe­re Teil ei­nes iso­liert ste­hen­den Turms vor­bei. Nach ei­ner Wei­le er­blick­te ich zwi­schen den Köp­fen die­ser bei­den so ein­deu­tig hie­si­gen Män­ner die Ort­schaft Grignan. We­der Dorf noch Städt­chen, ei­ne stein­haf­ti­ge Ve­du­te (wenn das Wort­spiel mit leib­haf­tig hier et­was Deut­lich­keit hin­zu­fü­gen kann); die Häu­ser dicht an­ein­an­der ge­drängt auf hal­ber Hö­he ei­nes Hü­gels, be­son­ders aber oben ent­lang, wie an­statt ei­nes Walls. Auf­fäl­lig, all die blan­ken Fen­ster, die aus der Hö­he dort ei­nen schö­nen Blick über die Fel­der bie­ten muss­ten. War es die Zwie­bel an mei­ner Sei­te, die mir ei­ne et­was mär­chen­haf­te Sicht­wei­se na­he­leg­te? Es war mir aber wirk­lich so, als be­kä­me je­ne Fen­ster­front in dem ge­ra­de herr­schen­den Licht selbst et­was Ge­sicht­ar­ti­ges, ja sie er­schien ge­ra­de­zu auf­merk­sam. Als wä­re all dies Glas nicht nur ein­ge­fasst, son­dern auch auf et­was ge­fasst — das sich zwi­schen den Bäu­men und Fel­dern dann na­tür­lich doch nie er­eig­ne­te. Es sei denn das Blin­ken ei­ner Axt, auf­ge­schrie­ben vor Jahr­zehn­ten von Jac­cot­tet, und das nun, in ei­ner an­de­ren Stun­de wohl, durch das Auf­blit­zen ei­nes Wa­gens in der Son­ne er­setzt wur­de.

Jac­cot­tet hat­te mir ein oder zwei Wo­chen vor­her in ei­nem Brief ei­ne al­te, noch in Se­pia­tö­nen ge­hal­te­ne An­sichts­kar­te ge­schickt. Die Ort­schaft, wie ich sie da aus dem fah­ren­den Wa­gen her­aus, lin­ker Hand, lin­ker Stützhand, hat­te hoch­wach­sen se­hen durch die Schei­be, war von ei­nem an­de­ren Zeit­ton, ent­sprach aber noch auf er­staun­li­che Wei­se dem al­ten Fo­to. So ge­nau ich das Se­pia­bild ge­mu­stert hat­te, mit all den Fas­sa­den, deut­li­chen Fen­stern und hier und da viel­leicht ei­ner schma­len, von et­was Ve­ge­ta­ti­on an­ge­zeig­ten Ter­ras­se: nir­gends war ein Pfeil oder Kreuz­chen des Schrei­bers aus­zu­ma­chen ge­we­sen. Nur im Brief gab es den Hin­weis, dass sein Haus sich auf eben die­ser Sei­te be­fän­de, und dass ich »ei­nes die­ser Ta­ge« vor­bei­schau­en kön­ne. Das Zei­chen wo­nach ich ge­sucht hat­te, ein Pfeil auf eins der Dä­cher je­ner Ve­du­te, wä­re üb­ri­gens zu nichts nüt­ze ge­we­sen, denn stracks dort­hin hät­te ich nicht an­ders als durch die Luft ge­lan­gen kön­nen — was aus dem schnell auf sie zu fah­ren­den Wa­gen ja fast ein we­nig der Fall war.

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Jub­liäums­tex­te

Am 30. Ju­ni wird der gro­ße Schrift­stel­ler Phil­ip­pe Jac­cot­tet 95 Jah­re alt. Vor fünf Jah­ren ha­be ich für »Glanz und Elend« ei­nen Text ver­fasst, der heu­er leicht an­ge­passt wur­de. Ich ste­he zu je­dem Wort. Hier geht es zum Text »Der Dich­ter als Die­ner des Sicht­ba­ren« Ei­ne Wür­di­gung ei­nes sei­ner Über­set­zer: »Zie­gen am Berg« * * ...

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Lud­wig Fels: Mond­be­ben

Ludwig Fels: Mondbeben
Lud­wig Fels: Mond­be­ben

Ein Auf­bruch in ein neu­es Le­ben. He­len und Olav Ost­ran­der, viel­leicht ir­gend­wo in den 30ern oder 40ern. Er, frü­her In­kasso­ein­trei­ber im Mi­lieu, der He­len einst vor ih­rem Ehe­mann be­schütz­te, in dem er die­sen kran­ken­haus­reif schlug. Das war un­ver­hält­nis­mä­ßig und gab an­dert­halb Jah­re Ge­fäng­nis. Aber da schwo­ren sich die bei­den schon Treue, hei­ra­te­ten und als er aus dem Knast kam, muss­te He­len noch mal kurz weg. Sie kam zu­rück mit dem un­ver­hoff­ten Er­be des On­kels. Es muss viel Geld sein. Sie sa­hen im In­ter­net in ei­nem fer­nen, war­men, fik­ti­ven Land (Ka­ri­bik? Afri­ka?) ein Haus auf ei­ner vor­ge­la­ger­ten In­sel. Nein, es ist mehr als ein Haus, ein Traum­haus. Der neue An­fang. »Geld war das Ma­te­ri­al, mit dem sich die Exi­stenz pan­zern ließ, war fast schon ei­ne Dro­ge ge­gen den Tod.«

So be­ginnt »Mond­be­ben« von Lud­wig Fels. Fast ein biss­chen wie die­se Do­ku-So­aps über Aus­wan­de­rer, die ihr Glück in fer­nen Län­dern su­chen. Aber es wird dann doch eher ein Da­vid-Lynch-Film. He­len und Olav sind ein biss­chen wie Lu­la und Sail­or – und doch ganz an­ders. Ihr schnip­pi­scher Dia­log­stil ver­birgt nur ober­fläch­lich die Sehn­sucht, es ge­schafft und den rich­ti­gen ge­fun­den zu ha­ben. Der Rest des Le­bens soll sorg­los wer­den. Und so sind die ge­gen­sei­ti­gen Be­schwö­run­gen des Glücks be­son­ders am An­fang in­fla­tio­när, im­mer wie­der Ver­si­che­run­gen »wie schön dies ge­hei­me Glück war«, näm­lich »zum Ver­rückt­wer­den schön«, denn »bald wür­den die Ster­ne ih­re Lie­der sin­gen«.

Und den­noch schwingt von An­fang an so ein un­heil­vol­les Ge­fühl mit. Sor­ge, dass es nicht so wird. Si­cher, Olav trinkt ein biss­chen zu viel, sei­ne Hän­de zit­tern bis­wei­len. Die Hit­ze ist fast un­er­träg­lich und es ist das Land mit den welt­weit größ­ten Rat­ten. Als er im Ho­tel-Re­sort »Ro­se­milk«, in dem die bei­den bis zum Be­zug des Hau­ses un­ter­ge­bracht sind, der Pro­sti­tu­ier­ten As­sump­ta, die von ei­nem Gast ge­schla­gen wird, hilft, be­kommt der schö­ne Schein er­ste Ris­se. Der Ver­tre­ter der Im­mo­bi­li­en­fir­ma (der Mr Mo­ses heißt – über­haupt: die­se Na­men!), ist Olav un­sym­pa­thisch und er lässt es ihm auch an­mer­ken. He­len ist ru­hi­ger, möch­te ih­ren Frie­den. Omi­nös die In­struk­tio­nen zum Geld­trans­fer; der ih­nen vor­ge­stell­te »No­tar« wirkt halb­sei­den. He­len zahlt trotz­dem. Und das Dra­ma be­ginnt.

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