Lud­wig Fels: Mond­be­ben

Ludwig Fels: Mondbeben

Lud­wig Fels: Mond­be­ben

Ein Auf­bruch in ein neu­es Le­ben. He­len und Olav Ost­ran­der, viel­leicht ir­gend­wo in den 30ern oder 40ern. Er, frü­her In­kasso­ein­trei­ber im Mi­lieu, der He­len einst vor ih­rem Ehe­mann be­schütz­te, in dem er die­sen kran­ken­haus­reif schlug. Das war un­ver­hält­nis­mä­ßig und gab an­dert­halb Jah­re Ge­fäng­nis. Aber da schwo­ren sich die bei­den schon Treue, hei­ra­te­ten und als er aus dem Knast kam, muss­te He­len noch mal kurz weg. Sie kam zu­rück mit dem un­ver­hoff­ten Er­be des On­kels. Es muss viel Geld sein. Sie sa­hen im In­ter­net in ei­nem fer­nen, war­men, fik­ti­ven Land (Ka­ri­bik? Afri­ka?) ein Haus auf ei­ner vor­ge­la­ger­ten In­sel. Nein, es ist mehr als ein Haus, ein Traum­haus. Der neue An­fang. »Geld war das Ma­te­ri­al, mit dem sich die Exi­stenz pan­zern ließ, war fast schon ei­ne Dro­ge ge­gen den Tod.«

So be­ginnt »Mond­be­ben« von Lud­wig Fels. Fast ein biss­chen wie die­se Do­ku-So­aps über Aus­wan­de­rer, die ihr Glück in fer­nen Län­dern su­chen. Aber es wird dann doch eher ein Da­vid-Lynch-Film. He­len und Olav sind ein biss­chen wie Lu­la und Sail­or – und doch ganz an­ders. Ihr schnip­pi­scher Dia­log­stil ver­birgt nur ober­fläch­lich die Sehn­sucht, es ge­schafft und den rich­ti­gen ge­fun­den zu ha­ben. Der Rest des Le­bens soll sorg­los wer­den. Und so sind die ge­gen­sei­ti­gen Be­schwö­run­gen des Glücks be­son­ders am An­fang in­fla­tio­när, im­mer wie­der Ver­si­che­run­gen »wie schön dies ge­hei­me Glück war«, näm­lich »zum Ver­rückt­wer­den schön«, denn »bald wür­den die Ster­ne ih­re Lie­der sin­gen«.

Und den­noch schwingt von An­fang an so ein un­heil­vol­les Ge­fühl mit. Sor­ge, dass es nicht so wird. Si­cher, Olav trinkt ein biss­chen zu viel, sei­ne Hän­de zit­tern bis­wei­len. Die Hit­ze ist fast un­er­träg­lich und es ist das Land mit den welt­weit größ­ten Rat­ten. Als er im Ho­tel-Re­sort »Ro­se­milk«, in dem die bei­den bis zum Be­zug des Hau­ses un­ter­ge­bracht sind, der Pro­sti­tu­ier­ten As­sump­ta, die von ei­nem Gast ge­schla­gen wird, hilft, be­kommt der schö­ne Schein er­ste Ris­se. Der Ver­tre­ter der Im­mo­bi­li­en­fir­ma (der Mr Mo­ses heißt – über­haupt: die­se Na­men!), ist Olav un­sym­pa­thisch und er lässt es ihm auch an­mer­ken. He­len ist ru­hi­ger, möch­te ih­ren Frie­den. Omi­nös die In­struk­tio­nen zum Geld­trans­fer; der ih­nen vor­ge­stell­te »No­tar« wirkt halb­sei­den. He­len zahlt trotz­dem. Und das Dra­ma be­ginnt.

Dann prü­gelt sich As­sump­ta mit He­len, die da­durch schwer am Au­ge ver­letzt wird. Man be­sucht den In­sel­arzt, Dr Cha­lie (auch hier kein Punkt!), ein Zy­ni­ker, der sich in der ei­nen Nacht, in der He­len zur Be­ob­ach­tung im so­ge­nann­ten Kran­ken­haus liegt, an­geb­lich an ihr »reibt«. Der ge­plan­te Aus­flug auf das Fest­land zur in­ter­na­tio­na­len Kli­nik am näch­sten Tag kann nur un­ter Auf­bie­tung hor­ren­der Be­stechungs­sum­men statt­fin­den, da im gan­zen Land be­waff­ne­te Un­ru­hen aus­ge­bro­chen sind. Aber die Kli­nik ist ge­schlos­sen. Schreck­lich zu­ge­rich­te­te Lei­chen sta­peln sich in den Stra­ßen; das Gras färbt sich rot.

Der Geld­emp­fän­ger ist nicht er­reich­bar, um den Er­halt zu be­stä­ti­gen. Man war­tet, schaut auf ei­nem per­ma­nent de­fek­ten Schwarz­weiß­fern­se­her im »Ro­se­milk« omi­nö­se Fuß­ball­spie­le wie Tschad ge­gen Pa­na­ma oder Ma­da­gas­kar ge­gen Tas­ma­ni­en. Im­mer­hin er­laubt die Im­mo­bi­li­en­fir­ma, dass Olav und He­len schon in das Haus ein­zie­hen dür­fen. »Wo­mög­lich wür­de heu­te der schön­ste Tag ih­res Le­bens sein«, heißt es. Aber man ahnt: Er ist es nicht. Es gibt kei­nen Strom und kein Was­ser, das Haus ist leer, das Gras ver­dorrt, der Swim­ming­pool leer und ver­dreckt mit Kot von de­nen, die dort vor­her ge­haust ha­ben. Olav trinkt oh­ne En­de, pin­kelt ro­te Tröpf­chen, He­len ist ver­letzt am Au­ge, das Geld ist ver­schwun­den und die In­sel­po­li­zei ist kei­ne Hil­fe; im Ge­gen­teil. Die Im­mo­bi­li­en­fir­ma ver­langt Mie­te und Kau­ti­on für das Haus. Sie hän­gen mit der Po­li­zei zu­sam­men. Ma­ro­die­ren­de Kin­der­ban­den in der Um­ge­bung.

Al­les ist schmut­zig, die Men­schen ver­roht, »Zeit ist nur ein Ab­grund zwi­schen den Träu­men«. Wie kann man hier sein Glück su­chen? »Sie ga­ben das in die Jah­re ge­kom­me­ne Ehe­paar«, heißt es ein­mal, »das we­der Ko­sten noch Mü­hen scheu­te, gut zu le­ben und, so lan­ge es ging, an die Wun­der der Hoff­nung zu glau­ben, al­so dar­an, daß al­les so lan­ge an­hielt, bis es der Ewig­keit in die Fal­le ging«. Aber sie kön­nen die­se Rol­le nicht spie­len. Für die Ein­hei­mi­schen sind sie kei­ne Gä­ste, son­dern Ein­dring­lin­ge, die nur des Gel­des we­gen vor­über­ge­hend ge­dul­det sind.

Als die Auf­stän­de nie­der­ge­schla­gen sind, er­greift He­len die Ge­le­gen­heit, nach Hau­se zu flie­gen. Sie will sich dort be­han­deln las­sen. Olav trifft sie noch am Flug­ha­fen, sie winkt ihm, als hät­ten sie sich ver­ab­re­det. Es ist die rüh­rend­ste, er­grei­fend­ste Sze­ne im Buch. He­len will ihn über­re­den mit­zu­kom­men, aber Olav bleibt. Ein trot­zi­ges Durch­hal­ten: »Nur dar­um ging es: Flüch­ten oder Stand­hal­ten, Er­in­nern oder Ver­ges­sen, Blei­ben oder Ge­hen, Wer­den oder Ver­ge­hen, ein an­dau­ern­des Ent­we­der-Oder und Jetzt oder Nie, nur dar­um ging es, aus sei­nem Le­ben et­was zu ma­chen, et­was, wo­zu man kei­ne an­de­ren braucht.« Ma­xi­me ei­nes Un­glück­li­chen.

Wem et­was be­wei­sen? Sich sel­ber? Wo­zu über­haupt? »Nach der Angst gab es nur noch den Tod.« Ei­ner die­ser Sät­ze, die wie Ein­schlä­ge wir­ken. Spät er­fährt man von Svy­ra, Olavs Toch­ter mit ei­ner an­de­ren Frau, die früh an Krebs starb. Die letz­ten Wor­te, die das Kind hör­te, war ein Streit der bei­den El­tern. Jetzt weiß man, war­um Olav kei­ne Kin­der mehr möch­te.

Olav, ein­sam, krank und »waf­fen­los«, er­tränkt sein sicht­ba­res Schei­tern in Un­men­gen Al­ko­hol. »Ich ha­be kei­ne Angst, ich fürch­te mich nur…« sagt er ein­mal. Er wird drang­sa­liert von der Po­li­zei, man fei­ert Par­tys in dem Haus, will ihn er­pres­sen mit As­sump­ta und de­ren klei­ner Toch­ter, an der er sich an­geb­lich ver­gan­gen ha­ben soll. Man lässt ihn be­zah­len. So »ver­kauft« ihm die Kin­der­ban­de ei­nen Af­fen, dem sie vor­her die Hän­de ab­ge­hackt hat­ten. Ir­gend­wann tau­melt Olav mit ei­nem Ei­mer, in dem das ver­stör­te Äff­chen mehr ve­ge­tiert als lebt über die In­sel und es könn­te ei­ne Sze­ne von Beckett sein aber eben ganz oh­ne Iro­nie.

Fels schwingt sich nicht zum mo­ra­li­schen Rich­ter über sei­ne Per­so­nen auf. Olavs durch das in­ten­si­ve Trin­ken ge­stör­ter, bis­wei­len dann ver­blüf­fend dif­fe­ren­zier­ter, fast syn­äs­the­ti­scher Wahr­neh­mungs­ap­pa­rat und die De­mü­ti­gun­gen und Er­pres­sun­gen der lo­ka­len In­sel­be­woh­ner, die al­le­samt nur nach Geld gie­ren, ste­hen ne­ben­ein­an­der. Dr Cha­lies Op­por­tu­nis­mus scheint die ein­zi­ge Über­le­bens­mög­lich­keit zu sein. Der Le­ser möch­te sich ab­wen­den, kommt sich wie ein Ein­dring­ling vor, wie ein Voy­eur des Un­glücks. Aber es ent­steht ei­ne Span­nung, be­son­ders als He­len wie­der zu­rück­kommt, mit Au­gen­klap­pe. Und es kommt zu ei­nem Show­down am Flug­ha­fen, des­sen (ein biss­chen ent­täu­schen­des) En­de hier aber nicht ver­ra­ten wer­den soll.

Was ist »Mond­be­ben«? Ei­ne Pa­ra­bel? Ein Lehr­stück? Von al­lem et­was? Es kann bis­wei­len ei­ne Stär­ke sein, dass sich ei­ne Pro­sa nicht so­fort ka­te­go­ri­sie­ren lässt. Das die Fra­gen im Ver­hält­nis zu den (ver­meint­li­chen) Ant­wor­ten über­wie­gen. Al­les in der Schwe­be bleibt. Und das ei­nem die Per­so­nen so schnell nicht mehr aus dem Kopf ge­hen. Auch wenn das Buch schon längst im Re­gal steht.