»Er war vielleicht fünfzig Jahre alt, von schmaler Gestalt, mit blondem, leicht ergrautem Haar, das in kurzen Locken wirr um seinen Kopf stand, als würde er es ständig mit den Händen durchfahren.« So beschreibt die Ich-Erzählerin Charlotte Winter in Monika Marons neuestem Roman die Titelfigur Artur Lanz. Sie sieht ihn vor dem Supermarkt, dort, wo auch Obdachlose zusammenkommen. Winter sucht ein Gespräch mit einem verzagten Mann, der die Streuner fast bewundert: »Die haben es doch gut, die haben es hinter sich…Die stellen keine Fragen mehr, die brauchen keine Antworten mehr. Alle Fragen heißen nur noch Schnaps und Bier und alle Antworten auch, bis es endgültig vorbei ist.«
Es dauert Monate, bis sie ihn wiedertrifft und vom »Drama« erfährt, dass »in der Männerseele von Artur Lanz tobte«. Sein Einsatz zur Rettung seines Hundes aus einem Rapsfeld beglückte und veränderte Artur Lanz’ Sicht auf das Dasein derart, dass er alles hinter sich ließ, was sein Leben bisher strukturierte. »Ein tiefes Glück« stellte sich ein, und sein Körper empfand einen »süßen Schmerz.« Es ist einer der Schwachpunkte des Romans: Die Euphorie Arturs teilt sich dem Leser nicht mit. Man denkt unwillkürlich an den großartigen Dag Solstad und eine seiner Hauptfiguren, die ihr Leben ändert, weil sie einen Regenschirm nicht öffnen kann.
Hier bleibt das Ereignis Behauptung und die Folgen scheinen eher absurd: Artur Lanz ließ sich scheiden, mietete sich eine neue Wohnung, wurde herzkrank, und stürzte sich in ein »wirres Herumdenken«. Seine Arbeit als Physiker verrichtet er ohne Enthusiasmus als Broterwerb. Und er erzählt Winter von seinem Vater, den Eltern, der ehrgeizigen Mutter, seiner Kindheit, von der Hypothek, die er durch den Namen bekam, den ihm die Mutter gab: Artur – der Held der Artussage. Welche Verpflichtung. Aber, auch hier ernsthaft gefragt, sind zum Beispiel alle Felixe derart prädisponiert, wenn sie herausgefunden haben, nicht permanent glücklich sein zu können?
Man liest weiter. Beide, die Ich-Erzählerin und auch Artur, konzentrieren sich auf je verschiedenen Wegen um und über die Artussaga. Charlotte Winter, die man mit den üblichen Vorbehalten als das Alter Ego Monika Marons sehen könnte, glaubt, eine ertragreiche Figur für eine Erzählung kennengelernt zu haben. Artur glaubt, menschliches Verständnis zu finden. Aber er hat nichts Heldisches an sich. Und auch nichts Außergewöhnliches. Wie nebenbei rekapituliert Winter nach dem ersten Kennenlernen, das »das Geheimnis, das ich dem verlorenen Mann auf der Parkbank angedichtet hatte« verloren war. »Artur Lanz war ein gewöhnlicher, liebenswürdiger, zaghafter, an sich selbst leidender, widerstandsloser Mann geworden.« Und nun?
Arturs Vorname dient als Folie für die herausfordernde Frage, warum so etwas wie Heldentum und mit ihm der Held (oder die Heldin) eigentlich derart aus der Mode gekommen ist. Erster Anlaufpunkt für die Erörterung der Problematik ist eine Art Salon, zu dem die Erzählerin bei Adam, einem emeritierten Professor, ab und an eingeladen wird. Adam ist sich des Glückes seiner gerade noch »richtigen« Generation bewusst: »Ich gehöre zum Feindbild. Professor, eine zwanzig Jahre jüngere Frau, Gegner der Gendersprache, nicht schwul, bi, queer oder sonstiges, also stockkonservativ. Ich bin gerade noch so durchgekommen.« Die Vorstellung der Gesellschaft erzeugt dennoch ein leises Gruseln: »Das Ehepaar Müller-Hermsdorf, er ein ehemaliger, inzwischen auch emeritierter Kollege von Adam, seine Frau Psychologin, Wolf und Ulrike Zeisig, beide Künstler, Penelope Niemann, ehemalige Hamburger Kultursenatorin, und Eva, Adams zweite Frau, die zwanzig Jahre jünger war als er und eigentlich Gudrun hieß.«
Winter versucht die Vor- oder Nachteile des »postheroischen« Zeitalters zu erörtern und erntet das erwartete Kopfschütteln nebst »defätistischer Bemerkungen« vor allem der Frauen, auf die zu antworten sinnlos war. »Die Männer«, so Charlotte Winter, »fragten wenigstens«. Immerhin, so stellt man irgendwann fest, nennt sich ein Pizzaservice heutzutage noch »Lieferheld«. Für sich selber bilanziert Winter, dass »postheroisch nur ein Synonym für feige war, wie das Wort Mut in dem Wort Zivilcourage untergegangen war« und ein Indiz für den unterschwelligen Wunsch nach Untergang sein könnte.
Eigentlich war es ein Rätsel, warum Charlotte Winter immer wieder eingeladen wird, denn mit einem Bekennertum à la »Wir sind die Antikriegs‑, Antiatom‑, Antikolonial‑, die antifaschistische Generation…« hat sie rein gar nichts zu schaffen. Unergiebige Streits sind vorprogrammiert: »Fast immer, wenn er mich einlud, fand ich mich in einer Gesellschaft, der ich lieber ferngeblieben wäre.« Immerhin sind die Beschreibungen dieser Zusammenkünfte nebst dem leidvollen Umgang der sich progressiv gebenden Teilnehmer (vor allem der Teilnehmerinnen) kleine Perlen dieses Romans (und damit auch irgendwie Perlen im sozialen Leben der Erzählerin).
Als Pendant zu dieser Gesellschaft trifft sie sich einmal im Monat in einer der letzten Bars, in denen man noch rauchen darf, mit ihrer ältesten Freundin »Lady«, wie Winter sozialisiert in der DDR, ausgestattet mit einer gehörigen Portion deftig-realitätsgesättigten Urteilvermögens. Da lebt die Erzählerin richtig auf.
Der Roman bleibt arg bemüht wenn es um die Konstruktion des Heldentums aus der Artussaga und deren Transformation, oder, besser: Unmöglichkeit einer Transformation in die Gegenwart geht. Die Schilderungen der weiteren Treffen mit Artur Lanz (übrigens ohne jegliche erotische Konnotationen) tragen nicht dazu bei, die Faszination für diese Person zu steigern. Selbst die Schilderung einer außerehelichen Affäre Lanz’ und den hieraus resultierenden stillen Demütigungen seiner damaligen Ehefrau macht es nur kurz besser. Winter scheint zwischenzeitlich das Schreibprojekt aufgrund der Blässe der Figur aufgegeben zu haben (am Ende dann doch nicht – das Produkt hält man, so wird mindestens suggeriert, gerade in Händen).
Erst als Artur von seinem Arbeitskollegen Gerald erzählt, kommt der Roman wieder in Fahrt. Beide arbeiten an einem Institut, welches sich unter anderem mit Beschichtungen für Windkraftanlagen beschäftigt, die Tiere von den für sie meist tödlichen Rotorblättern fernhalten soll. Dieser Gerald, der vorsorglich keine Institutsmitglieder auf Facebook zu seinen Freunden genommen hat, schreibt dort von einem »Grünen Reich«, das aufgrund von für ihn übertriebenen Szenarien bezüglich der Folgen des Klimawandels drohe. Eine Mitarbeiterin, die sich anonym als Freundin Zugang zu den nur Freunden zugängigen Postings Geralds verschafft hat, thematisiert dies als unvereinbar mit den Werten des Instituts. Es gibt eine Anhörung, bei der Gerald auf das Recht der freien Meinungsäußerung als Privatperson pocht. Die Institutsleitung sieht die Werte des Unternehmens konterkariert. Gerald ist jedoch nicht domestizierbar; im Gegenteil. Seine Formulierung postet er nun öffentlich – in deutsch und englisch. Danach bricht er zu einem Urlaub nach Thüringen auf.
Als der »Vizechef der Rechten Partei« (der Name »AfD« fällt nicht), die Formulierung vom »Grünen Reich« aufnimmt, bekommt die Empörung im Institut eine neue Dimension. Subtil versucht Winter abermals, Artur zur Verteidigung seines Kollegen zu animieren. Dies obwohl er Geralds Zweifel und Befürchtungen nicht teilt. Aber »[K]ann man jemanden nur verteidigen, wenn er recht hat? Ist es nicht auch ein Recht, unrecht zu haben?« Artur versteht die Anspielungen nicht. Währenddessen erinnert sich Winter an eine Situation in der DDR, als das Spielen einer Schallplatte von Wolf Biermann auf einem Studentenfest zu einem Tribunal geführt hatte, bis »Lady« gegen die drohende Exmatrikulation für die Biermann-Auflegerin »das Schwert gezogen und gegen das Denunziantentum« erfolgreich »geschwungen« hatte. Es wurde nur eine Verwarnung ausgesprochen.
Die Schilderung des Scherbengerichts der Institutssitzung ist der Höhepunkt des Buches. Die bisweilen komischen Abläufe und das Resultat sollen hier nicht vorweg genommen werden. Nur so viel: Maron gelingt es, die politkorrekten Anklageellipsen, die inzwischen leidlich aus sogenannten »Feuilletondebatten« bekannt sind, präzise und unterhaltsam zu schildern und auf das Umfeld der Protagonisten zu projizieren. Und die vorherigen Überlegungen zum Heroismus in einer Wohlstandsgesellschaft bekommen eine weitere Dimension. Kleiner Wermutstropfen: Leider mutiert »Lady« am Ende zur Spengler-Jüngerin.
Ja, es schimmert eine Menge von Monika Marons Zeitgeistkritik in diesem Roman durch, die bisweilen fast essayistisch daherkommt. Die Empörungspalette reicht vom Gendersternchen über das sich stetig ausweitende Rauchverbot, die Rücksichtslosigkeit von Joggern bis zu »junge[n] Männer[n], die sich ihr Brusthaar […] mit heißen Wachsstreifen« epilieren und »denen man ihre Wildheit schon in der Kindheit mit Ritalin ausgetrieben oder in liebevollen Gesprächen verleidet hatte, die vielleicht selbst schon glaubten, für das Böse in der Welt seien nur die Männer verantwortlich gewesen«. Auch die Begeisterung erwachsener Menschen für Fantasy-Filme gefällt ihr nicht. Für sie sind dies Symptome eines »degenerierten Bewusstseinszustand[s]«. Wie so oft beklagt sie die mangelnde Freiheitsliebe der Deutschen und geisselt die Degeneriertheit und Unbildung der einstigen DDR-Regierenden. Das alles liest man durchaus gerne, weil es nicht verbissen vorgebracht und listig in die Handlung integriert wird. Und für eine Stehparty mit provokativem Smalltalk durchaus fürs erste genügend Material liefern dürfte.
Obwohl konventionell erzählt und die Titelfigur nicht besonders charismatisch daherkommt, gelingt es Maron, den Leser neugierig zu halten. Die vielleicht schönste Stelle ist allerdings die Erzählung eines Herbststurm-Wochenendes im November, als sich Charlotte Winter ausschließlich mit Fontanes »Stechlin« einlässt; losgelöst von allen tagesaktuellen Nachrichten und Ablenkungen. Eine Reise in das schier unendliche Land der Literatur. Jeder denkende Mensch weiß, wie nötig so etwas bisweilen ist. Aber ob sich wohl in einhundert Jahren irgendjemand mit Monika Marons »Artur Lanz« derart intensiv beschäftigen und auf die dann ferne Zeit des Postheroismus mit jener Mischung aus Wehmut und Trotz zurückblicken wird wie weiland die Erzählerin auf Fontane?
Es ist ja gegen eine Literatur, die ganz jung schon ihre Bedeutung entfaltet, nichts einzuwenden. Ich empfinde da schon ein bisschen Vergnügen, wenn ich mir vorstelle, wie sich die Käfig-Hühner im Feuilleton vor Unbehagen schütteln, wenn sie diesen »Realismus« schlucken müssen. Das Grauen: könnten diese Beschreibungen das sein, was unsere Zeitumstände ausmacht?! Könnte das stimmen?! Wie werden wir dastehen, eingefangen in unseren ewig gleichen Bewegungen, wenn die letzten Striche getan und alle Farben getrocknet sind?!
Der Realismus ist in dieser Hinsicht interessant, weil die heutige Realität schon reichlich verschwommen ist. Die Wahrnehmungen basieren auf medialem Hörensagen, die Erfahrungen stammen aus zweiter Hand, und das Wissen ist veraltet, ehe das Rentenkonto voll ist. Da wird der literarische Realismus zur Wette auf die langfristig womöglich genaueste Version über die Gegenwart. Der Literatur-Preis für die größte Ähnlichkeit mit den Zeitumständen geht an... Den besagten Hühnern muss sich doch der Magen umdrehen bei dem Gedanken: Was, wenn die Maron recht behält?! Was, wenn wir am Ende genau so dastehen, wie sie es schildert?!
Ja, da ist was dran. Man könnte auch fragen: Warum wird ein solcher Roman bereits als Provokation empfunden? An der Form – die ohnehin niemanden interessiert – kann es nicht liegen. Er ist literarisch konventionell erzählt und eher dem Realismus verhaftet.
Marons Botschaft – subkutan: Gegen die Wahnsinnsspitzen des Zeitgeists hilft nur Eskapismus. Das will in dieser direkten Form natürlich niemand hören.
Das Thema (die These) des Romans könnte sein: Vom vorzeitigen Ende des Helden-freien Zeitalters...
Ich habe das Schlagwort vom Postheroismus ja nie beachtet, weil es so viele Neologismen gibt, die nur Illustrationen sind. Aber jüngst hat mich Douglas Murray davon überzeugt, dass es ein absurdes Heldentum im Westen gibt, dass er Saint-George-Syndrom nannte. Der Ritter ersticht den Drachen (vergleichbar dem Kommunismus), erntet den Ruhm, und hält nach neuen Heldentaten Ausschau. Er findet kleinere Ungeheuer, erledigt sie, und räumt tüchtig auf. Schließlich bleiben nur noch die kleinsten Würmchen übrig, aber er hat sich längst an die Ehrerbietungen gewöhnt, und erwartet jedesmal denselben Bohai um seine Person.
Das kann man auf die Nachfahren des Ritters übertragen. Sie zertreten Würmchen und verlangen das Bundesverdienstkreuz. Ist das wirklich postheroisch, oder schon satyr-heroisch?!
Murray’s Parabel trifft schon den narzisstischen Kern dieses Verzichts, aber deutlicher noch wird Jordan Peterson: Du kannst niemanden pazifistisch begegnen, der bereit ist, sein Leben gegen Dich auf’s Spiel zu setzen... Das bedeutet in der Rückschau, dass 2001 mit dem Fanal des islamischen Terrors bereits das Ende des »postheroischen Zeitalters« eingeläutet hat, ohne dass wir es registriert hätten. Ich sehe es in beiden Fällen genauso: die Verstetigung des zivilen Lebens hinter physischen und metaphysischen »Schutzwällen« mag immer die Illusion von der Überflüssigkeit des Heldens mit sich bringen. Aber es ist nur eine Phase, die immer wieder unterbrochen werden kann...
@ Gregor Keuschnig und @ die_kalte_sophie
Jeder beliebige Hausbrand kann es nötig machen, dass jemand freiwillig (und geschickt/ zielgerichtet) sein Leben für andere aufs Spiel setzt. So Ausdrücke wie postheroisch verschleiern das. Insofern ist Hadmut Danischs Feuerwehrobsession haargenau am Punkt. Auch Richard Ford hat das kapiert und – in einer dollen Erzählung über – - – Feuerwehrleute thematisiert. Und ja doch: Wenn es heiß wird sind das fast nur Männer. – Dieses »fast« gilt in meinen Augen, hat aber einen ganz überhöhten Stellenwert bekommen. Es ist wie bei den Rennfahrern. Es gibt – fast – keine Michaela Schuhmacher, und das hat solide (biologische) Gründe.
Jordan B. Peterson bezieht diese Situationsbeschreibung des männlichen Helden in der postheroischen Welt ganz realistisch auf den Islam – wie Sarrazin und Murray und Monika Maron auch. – Und was passiert: Die (vermeintlich demokratische) Öffentlichkeit erklärt die drei zu ihren Feinden! Hinfort mit diesen IrrlehrerInnen aus unsrer reinen (J. Franzen – Purity!) Mitte. – »Isn’t it Ironic?« (Alanis Morissette)
Ihre Besprechung von Monika Marons Buch ist jedenfalls interesssant, Gregor Keuschnig, danke dafür. – Sie erinnerte mich an ein paar Gesellschafts-Marginalien von – - – Nikolaus Fest auf dessen Blog. Fest gelingen da, wie offenbar Monika Maron, richtige Kabinettsstückchen. Ich habe ihm das mal geschrieben – er schien verblüfft. – Es ist eben oft der geistesgegenwärtig und gelassen aufgegriffene Stoff, der den Text macht. Der Zeitungsmann Kleist wusste das auch, klar.
Außerdem habe ich die letzten Tage in einer altertümlich-verbummfidelten (=wunderbaren) Übersetzung des Don Quichotte von Ludwig Tieck und Walter Widmer gelesen – nicht zuletzt über »die mikomikonische Infantin«. Und über Sancho Pansa. Der sagt dem traurigen Ritter, dass er eine Hure getötet und einen Weinschlauch zerhauen habe und keinen Riesen und da sagt Don Quichotte: »Was spricht denn der Narr – bist Du bei Sinnen?«
Die Hundsfött’, so nicht aus dem Bett wollen, heißt es an einer anderen Quelle, laben sich an denen Romans als wenn es ihr eigen Leben wäre, so ca.
Es ist das aber einer der großen Vorteile von denen Romans, dass sie es uns ermöglichen, diese lebenswichtigen mannigfachen Unterschiede zwischen Phantasie und Wirklichkeit spielerisch zu erkunden – wenn sie gut sind, ne? -
Die Postmoderne hat das im großen und ganzen einfach nur vernebelt und der Dekonstruktivismus ad absurdum geführt.
Die vernunftgeborene Bipolarität von Phantasie und Wirklichkeit ist – in Wahrheit, hehe, – essentiell. Nicht zuletzt, wenn man interessante Spiele (=Lektüren) – und – - – - einen spielerisch aufgeklärten (=besseren, humaneren) Zugang zur Wirklichkeit haben möchte. Da dies der 271. Geburtstag von JWv Goethe ist, füge ich hinzu: Esssentiell für die Gewinnung von solchen spielerisch (und: reflexiv) verfeinerten Bewussstseinslagen ist ein Verständnis für die Unterscheidung von Nah- und Fernverhältnissen (kann man in den »Maximen und Reflexionen« nachlesen, da findet man: unter der Nummer 557 – »Das nahe Phänomen hängt aber mit dem fernen nur in dem Sinne zusammen, dass sich alles auf wenige große Gesetze bezieht, die sich überall manifestiren.« – Goethe sagt, dass diese Tatsache auch den Gebildeten nur schwer zugänglich sei – weil es auch denen so geht wie allen anderen, nämlich dass »es gegen ihre Natur ist« zu verstehen, dass isch ihre höchst persönlichen Erfahrungen nicht ohne erhebliche Abstraktionsleistungen verallgemeinern lassen.
Goethe sagt: Die Wahrheit zu erkennen ist ein sozusagen unnatürliches Geschäft, es widerstrebt selbst den Gebildeten (das – haargenau, sogar wortwörtlich (!) das, sagt auch – - – - Jonathan Haidt in dem von mir weiter oben verlinkten Vortrag, übrigens). – Nun, das, diese Goethesche Einsicht, hätte Richard Rorty vielleicht gefallen. -
- Ich hätte aber dann nachgelegt: Goethe sagt deswegen nicht, man solle es nicht probieren, herauszufinden, was wirklich der Fall sei. Dann, so phantasiere ich noch ein bisschen weiter, hätte Richard Rorty gelacht – zumindest an einem solchen Jubeltage der Deutschen doch immerhin, wie dem heutigen; schon allein aus Höflichkeit, n’ est-ce pas?
Der Feuerwehrmann als sozusagen letzter Held in der postheroischen Zeit kommt bei Maron sogar einmal kurz vor. Womit dann wieder der Bogen zum 11. September geschlagen ist...
Joe Biden: »Ein Schwarzer hat die Glühbirne erfunden, nicht ein weißer Typ namens Edison.«
Im Link unten mehr zur Rekation der Medien in GB und den USA:
Biden’s assertion, after talking to Jacob Blake Sr., at a Kenosha campaign event that, “A black man invented the light bulb, not a white guy named Edison”.
https://www.unz.com/isteve/24-hours-later-who-has-reported-that-biden-is-hotep-pilled-on-the-light-bulb-question/
Nette Geschichte. Es handelt sich wohl um ein Lieblingsnarrativ der Schwarzen-Bewegung, das Joe »Stumbling-Tongue« Biden in der Kirche von Kenosha zum Besten gibt. Er erwähnt auch das unsägliche Massaker von Tulsa, 1921, das weniger den Stolz als die Ressentiments der Schwarzen bedienen soll.
Das wird nix mit der Wiedervereinigung der U.S.A., wie jede gruppendynamische Erfahrung zeigt. Man kann nicht die eine Seite »einschleimen« und die andere Seite »mit Schuldvorwürfen bezähmen«, ohne dass einem regelmäßig die Dinge aus dem Ruder laufen. Biden ist einfältig, aber man kann sagen, der Herausforderer begegnet dem Amtsinhaber auf Augenhöhe, jedenfalls was das »moralische Niveau« anbelangt...
@ Sophie -
da – Joe Rogan und Matt Taibbi über Joe Biden
https://twitter.com/i/status/1303429887592669184
Ein Retweet von Scott Adams (der original tweet ist von DonaldTrump@ realDonalTrump)
Die Geschichte geht weiter – Joe Biden, Donald Trump, – Partly Truth and Partly Fiction (Chris Christofferson – Sunday Mornin’ Sidewalk)
How is this: Jeffrey Goldberg, Chefredakteur des Atlantic Monthly behauptete unlängst in einer Titelgeschichte, Trump habe US-Kriegsveteranen als Verlierer und Jammerlappen (»losers and suckers«) bezeichnet. – Goldberg berief sich auf »anonyme Quellen«. Joe Biden ist groß auf die Geschichte eingestiegen und hat Trump daraufhin als den niederträchtigsten Präsidenten bezeichnet. Der französische Botschafter in Washington und Trumps ehemaliger Sicherheitsberater und jetziger Intimfeind John Bolton sagten unterdessen: Die Geschichte des Atlantic stimmt nicht, Trump habe nie etwas derartiges gesagt.
Kommt der Twitterer Ghost of Daniel Parker und zeigt, dass die angeblichen Trump-Zitate im Atlantic – in der Schluß-Sequenz des Films The Godfather II – gesprochen werden. –
https://twitter.com/SeekerOTL/status/130306217445416550
Jeffrey Goldberg vom Atlantic, das übrigens der Witwe von Steve Jobs gehört, sagt dieser Twitterer weiter, sei ein großer Godfather-Fan. Er zitiert Artikel, in denen Goldberg ausführlich über The Godfather geschrieben hat. Zudem hat er mit Barack Obama darüber diskutiert.
Neuste Wendung – Jeffrey Goldberg sagt, die Trump-Zitate in seinem Artikel seien wohl nicht gesprochen worden – mit kryptischer Betonung auf dem Wort gesprochen.
Jemals was darüber in Deutschen Zeitungen gelesen, in den Nachrichten gehört oder gesehen? – Funny how that happens.
Nett, das es »weiter« geht. Aber das Thema ist hier Monika Marons Buch. Nicht Trump-Zitate.
Das Thema Heldentum bei M.M. hat offenbar zwei Wurzeln: der Einsatz für Meinungs- und Gedankenfreiheit in den spezifischen Berufen (Publizistik, Universität), und die Möglichkeit eines gesellschaftlichen Diskurses zwischen Menschen verschiedener Orientierung. Die Sphären der Öffentlichkeit und des Privaten.
@Gregor hat es gut herausgearbeitet: die Szenen mit den gesellschaftlichen Abenden (als Urmodell des bürgerlichen Zeitalters) signalisieren Entfremdung, Gleichgültigkeit, ja beinahe gewollte Förmlichkeit wie zu Zeiten nach der Reformation, mit läppischen Gesten der Verbundenheit. Damals keine Gespräche über Gott bei Tisch, heute keine Gespräche über Politik. Sodass eigentlich nur der Alltag und das Wetter übrig bleibt, weil Gespräche über Kunst unser Empfindungsvermögen sichtbar machen würde, und damit unsere moralische Konstitution offenbar wird. Man kann ja nicht über Kunst reden, ohne sogleich ein komplettes Geständnis über die Summe seiner Ansichten abzulegen (...umschreibend Virginia Woolf).
Heikel, aber auf jeden Fall die tragische Note unserer Zeit. Die spätbürgerliche Kunst nimmt an den »Distanzierungen« teil.
Naja, Themen gibt es genug: Essen, Lifestyle, Celebrity. Der bürgerliche Salon konsumiert die Yellow-Press. Natürlich »nachhaltig«.
Und dazu kommt: man nicht nicht-kommunizieren! Das heißt, auch bei den scheinbar belanglosen Themen wie Essen, Prominente, Mobilität, Kollegen, Livestyle, Stress, etc. werden permanent normative Aspekte formuliert. Inzwischen sind auch Gespräche über Sexualität möglich, in denen sich die Menschen als »Persona« definieren und ihre Selbstidealisierung aufrecht erhalten. Was kann man nicht alles sein, wenn man erst einmal die Hemmung abgelegt hat, über sich selbst Lügen zu erzählen, und sie selbst zu glauben... Die Befreiung des Diskurses durch die Fiktion der »Offenheit«. Diese Athletik der Pseudo-Introspektion steht in direkter »Resonanz« zum zweiten Laster unserer Zeit: die Authentizität der Einfühlung, mit der uns die Peace-and-Harmony Mafia terrorisiert.
Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wo das noch hingehen soll. Vom Standpunkt der »fühlbaren Absurdität« aus haben wir den Gipfel schon erreicht. Schade, dass M.M. das Heldentum abschätzig beurteilt. Sie selbst in Person verkörpert sehr wohl bürgerlichen Mut, aber diese Qualität ist offenbar an die direkte Transaktion, die öffentliche Replik, die spontane Einlasssung, das Interview gekoppelt. Als Mensch, als Typ gibt sie eigentlich eine positive Antwort...
Naja, Ihnen (und den zwei, drei Menschen, die hier noch mitlesen) kann ich es ja verraten: Maron beschreibt ja nur, dass es kein Heldentum mehr gebe. Der Verlauf des Romans zeigt in einem Punkt das Gegenteil. Als das Scherbengericht über den Institutsmitarbeiter tagt und sich die Schlinge um seinen Hals bedrohlich zuzuziehen scheint – da explodiert Artur Lanz und nimmt rigoros und lautstark Partei für seinen Kollegen. Das Heldentum liegt – wie sollte es für eine Ostdeutsche anders sein – im Widerspruch.
(Das Ende: die beiden verlassen das Unternehmen, gehen in die Schweiz und arbeiten am oder im »Cern«. Und wenn sie nicht gestorben sind...)
Öh – Cern,ja, natürlich – aber da flog ja auch einer wegen PC – Alessandro Strumina, ein Gastforscher, ne, in einer James Damore Parallelaktion.
https://www.welt.de/wissenschaft/article181736732/Eklat-am-Cern-Physik-wurde-von-Maennern-erfunden.html
Monika Maron hat da eine irschndwie vergiftete Spur gelegt. Der Matthias Matussek hat das sowenig gemerkt wie der Moritz von Uslar – und wie auch? Die Julia Encke in der FAS hat es ja auch nicht gemerkt. – Fehlt nur noch die Sandra Kegel, Claudi-Koppetsch-Fan-Lady von der Werktags-FAZ, dann stehen wieder alle Neune – im Namen Jürgen Kaubes und der Gleichberechtigung und des Fortschritts, jawoll, zackzack, sauber in einer Reihe da – bereit zum Umkegeln, hehe.
Matussek hat über von Uslar übrigens mal fallenlassen, dass der nicht gerade das sei, was man unter einer Leseratte verstehe. – Zu einem Protodenunziator Monika Marons/ Artur Lanz’ und Hilfsangetellten des ZEIT-Geists hats freilich gelangt. – Und, achgott ja, die FAZ – was tut sie: Sie historisiert (u. a.) Moritz von Uslars »Tempo«-Wurzeln (!), indem sie trockenen Augs die Rezension einer »wissenschaftliche Abhandlung über den Pop-Diskurs« ins Blatt hievt. – So im Hochsommer diesjahr geschehen zum Pläsir von Leuten, die Spaß daran haben, wenn der zeitgeistige Unsinn in Tortenförmchen ausgebacken wird, die – »Sonne, Mond und Sterne / Ham uns alle gerne« – Unsinn von kindergartenartiger All-Umfassendheit hervorzaubert. -
– Es ist »als weiter« (badisch) so, dass der »Überbau beliebig viele Zitate liefert, (...) Mitbringsel, praktisch unschädliche Liebesperlen«, wie auch dieses Zitat hier, ne?
In summa, ein wenig zu steil ok, aber doch beeindruckend flott: »Hafterleichterungen in allen möglichen Farben« liefert (immer noch der Überbau) und so – zum sanften Schluß, – des Dichters und dessen gebenedeiter Leserschaft in nunmehr trauter Nähe und Herzenssynchronizität (Sting) vergossene »Tränen der Dankbarkeit« hervorzaubert. – In summa – schöner gehts kaum, trotz alledem und alledem. Oh – hier hallt zum guten Schluß noch einmal ein von ferne an Artur Lanz gemahnendes Heldenecho durch. – »Ahh so rescht« (der Datterich).
Naja, der Mensch, der von Uslar rezensiert hat (in der FAS), ist ein veritabler Kleingeist. Über den darf man sich nicht aufregen. Dass er überhaupt publiziert wird, verstehe wer will...
@ Gregor Keuschnig -
– Ich bezog mich auf Moritz von Uslars ZEIT-Hit-piece über Monika Maron und auf Andrea Dieners Rezension des Buches »Zeitgeistjournalismus« (über TEMPO (wo u. a. Christian Kracht und – der junge Moritz von Uslar amteten) vom 22. 7. 2020. Darin das Kapitel 3 – »Inszenierung postheroischer Generationalität«, ne? Wie Friedrich Wilhelm Joseph Ritter von Schelling einst schrieb – ahh, ok, ich erinnere mich wieder, für den haben Sie mich ja in die Schranken gewiesen, hehe.
https://www.transcript-verlag.de/978–3‑8376–5129‑4/zeitgeistjournalismus/?c=311000198
PS
Ihren FAS Bezug vertseh’ ich nicht – kann sein, ist falsch, kann sein ist unwichtig, kann auch beides sein; ick wees et nich’.
Oha, dann habe ich mich geirrt. Ich dachte an diesen Text.
Dieners Text erfüllt in etwa die Erwartungen, die ich an sie habe. Etwa, wenn sie von der »Tempo-‘Clique’ « spricht. (Und klar, er wird vom Perlentaucher verlinkt!)