Können wir in Zukunft auf künstlerische Kreativität verzichten?
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Der 1979 in Paris geborene Bratschist Antoine Tamestit, der ein weites Repertoire von Bach und Mozart bis Schnittke und Neuwirth beherrscht, hatte seine ersten größeren Auftritte im Alter von zwanzig Jahren. Seitdem hat sich vieles verändert, der Stellenwert von Videos und sozialen Netzwerken präge längst auch die Klassische Musik. »Jeder möchte berühmt sein, schnell berühmt vor allem. Ich denke, es ist wichtig, zu der klassischen Musik an sich zurückzukommen«, sagte er unlängst im Interview mit der Potsdamer Zeitung. Dafür müsse man sich ihre Geschichte anschauen, als es keine Videos und keine Elektrizität gab. Wichtig sei, sich Zeit zu nehmen. »Ich versuche das, indem ich Bücher lese oder manchmal einen gesamten Tag damit verbringe, eine einzige Partitur zu studieren. Ich gehe in dem Punkt einen entgegengesetzten Weg, was nicht bedeutet, dass ich nicht auch Teil meiner Zeit sein muss. Aber um Kunst zu produzieren, mußt du irgendwie ein bißchen langsamer sein und ein Gehirn haben, das nicht überschwemmt von irrelevanten Informationen ist.«
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Hier eine ganz andere Stimme, sie gehört dem 1976 in Israel geborenen Historiker und Bestsellerautor Yuval Noah Harari. In seinem Buch Homo Deus stellt er dem Leser David Cope vor, einen – inzwischen emeritierten – Musikologieprofessor von der University of California. Cope hat Computerprogramme zur Erstellung von Klavierkonzerten und Chorälen, Symphonien und Opern geschrieben. Sein erstes Werk zur Erzeugung solcher Werke war der EMI (Experiments in Musical Intelligence), der auf Musik in der Manier von Johann Sebastian Bach spezialisiert war. »Es dauerte sieben Jahre«, schreibt der enthusiasmierte Harari, »doch als Cope damit fertig war, komponierte EMI 5.000 Choräle à la Bach in einem einzigen Tag. Enthusiastische Zuhörer priesen die mitreißende Vorführung und erklärten erregt, wie sehr die Musik ihr innerstes Wesen berührt hätte. Sie wußten nicht, daß sie mehr von EMI als von Bach geschaffen worden war, und als man ihnen die Wahrheit enthüllte, reagierten die einen mit verdrießlichem Schweigen, während die anderen sich lautstark ereiferten.«

