Gräu­el der Ge­gen­wart ‑10/11-

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Viel­leicht neigt je­der, der glaubt, ge­nau Be­scheid zu wis­sen, zur Rhe­to­rik. Es gibt dann beim Schrei­ben nichts mehr zu er­ar­bei­ten, zu er­for­schen, man ist nicht auf‑, son­dern ab­ge­klärt und wird sich von nichts über­ra­schen las­sen. Die Ge­dan­ken ver­fer­ti­gen sich un­ter sol­chen Vor­aus­set­zun­gen nicht beim Sprechen/Schreiben. Es geht nur noch dar­um, die pas­sen­den, d. h. wirk­sam­sten For­mu­lie­run­gen zu fin­den. Nach mei­nem Emp­fin­den ist das ein kal­tes Schrei­ben, die Rhe­to­rik ein kal­tes Sy­stem (was man durch­aus, von Fall zu Fall, schät­zen kann). In mei­nem ei­ge­nen Fall kommt es häu­fig vor, daß ich mich auf dem dis­kur­si­ven Weg nicht mehr aus­ken­ne, und auch jetzt in die­sem Mo­ment ist das ein we­nig der Fall. Viel­leicht bin ich da­mit nicht der ein­zi­ge; im schon ein gu­tes Stück fort­ge­schrit­te­nen 21. Jahr­hun­dert sind wir doch al­le – al­le? – ziem­lich rat­los; die Rat­lo­sig­keit ist un­se­re con­di­ti­on ac­tu­el­le. Mit mei­ner Kri­tik am hy­ste­ri­schen Li­te­ra­tur­be­trieb, am Op­ti­mie­rungs­wahn, am Bil­dungs­ab­bau, an der ge­sell­schaft­li­chen In­fan­ti­li­sie­rung und an­de­ren Phä­no­me­nen un­se­rer schö­nen, grau­en­haf­ten Ge­gen­wart, ern­te ich re­gel­mä­ßig Zu­stim­mung, nichts als Zu­stim­mung – frei­lich ge­paart mit der Be­mer­kung, lei­der kön­ne man nichts da­ge­gen ma­chen. Der Neo­li­be­ra­lis­mus ist auf zahl­lo­sen Schleich­we­gen to­ta­li­tär ge­wor­den; du mußt und willst mit­ma­chen, es gibt kei­nen Ort au­ßer­halb. Du mußt wol­len; du willst müs­sen. Un­ter­des­sen sind wir rat­los, ich und mei­ne Gleich­ge­sinn­ten, die – so mein Ein­druck – mehr­heits­fä­hig sein könn­ten.

War­um kann man nichts ma­chen? Et­wa weil das re­vo­lu­tio­nä­re Sub­jekt fehlt? Oder, be­son­ne­ner, das al­ter­na­ti­ve Sub­jekt? Mit der Ar­beit ist die Ar­bei­ter­klas­se ver­schwun­den (die oh­ne­hin vor­her schon »ver­bür­ger­licht« war). Und auf Min­der­hei­ten kann man nicht bau­en, sie bil­den kein kol­lek­ti­ves Sub­jekt. Oder? Bei For­re­ster blei­ben die­se Fra­gen un­be­ant­wor­tet, sie wer­den nicht ein­mal ge­stellt. Ih­re Rhe­to­rik läuft auf ei­nen Punkt am Ho­ri­zont hin­aus: be­din­gungs­lo­ses Grund­ein­kom­men für al­le! Vom Staat oder ei­ner an­de­ren Kör­per­schaft zu ga­ran­tie­ren­de Er­hal­tung al­ler, un­ab­hän­gig da­von, ob sie ar­bei­ten oder nicht. Das aber ist ei­ne Maß­nah­me, die al­lein nicht aus­reicht, weil sie nur fruch­ten kann, wenn sie von min­de­stens ei­ner zwei­ten be­glei­tet wird: Bil­dung für al­le, in ei­nem ra­di­ka­len Sinn, oh­ne Hier­ar­chien, oh­ne Prü­fun­gen, oh­ne Wett­be­werb, oh­ne zeit­li­che Gren­zen (die tat­säch­li­che Ent­wick­lung geht in die Ge­gen­rich­tung).

Al­lein, ob das die Sub­jek­te auch wol­len? Lie­gen sie nicht lie­ber auf der fau­len Haut? Zie­hen sie sich nicht end­los You­Tube- und Tik­Tok-Späß­chen, Por­no­gra­phie­sei­ten und Fuß­ball­spie­le, im bes­se­ren Fall: Net­flix­se­ri­en rein? Be­glei­tet von Bier- oder Was-weiß-ich-Kon­sum. So sieht doch das Schla­raf­fen­land aus, von dem die Mensch­heit über die Jahr­hun­der­te hin­weg ge­träumt hat und das sich jetzt in greif­ba­rer Nä­he be­fin­det. »Viel­leicht ist es aber auch ein Cha­rak­te­ri­sti­kum un­se­rer Zeit, daß ein Groß­teil der Kom­mu­ni­ka­ti­on in den Net­zen als Un­sinn an­ge­se­hen wer­den kann«, sag­te Jo­seph Wei­zen­baum schon im Jahr 2000, und der Un­sinn hat seit­dem ge­wiß nicht ab­ge­nom­men. Da­zu sein Seuf­zer: »Es scheint ein­fach un­ter uns Men­schen nicht so viel Krea­ti­vi­tät zu ge­ben.«

Doch wie ge­sagt, die Men­schen sind nicht ein­fach so, wie sie sind; sie sind ge­wor­den. In Wahr­heit muß auch das Schla­raf­fen­land täg­lich er­ar­bei­tet und in Stand ge­hal­ten wer­den. Das sü­ße Nichts­tun, wenn es wirk­lich süß schmecken soll, er­for­dert ak­ti­ve Men­schen; nicht ei­li­ge oder ge­streß­te, aber ak­ti­ve. Und das Lehr­per­so­nal die­ser neu­en päd­ago­gi­schen Pro­vinz müß­te zum grö­ße­ren Teil aus Künst­lern be­stehen.1 Aus Leu­ten, die die ei­ge­ne Schaf­fens­freu­de auch ver­mit­teln kön­nen. Ar­beit und Stu­di­um wä­ren dann Spiel, wie Charles Fou­rier es sich er­träum­te. Im heu­ti­gen Ja­pan be­ob­ach­te ich die ge­gen­tei­li­ge Ten­denz, ob­wohl in die­sem Land der Au­to­ma­ti­sie­rungs­grad der Pro­duk­ti­on hoch ist. Ar­beit und Frei­zeit sind hier streng ge­trennt, was sprach­lich in den bei­den ant­ago­ni­sti­schen Wör­tern shi­go­to und asobi zum Aus­druck kommt. Ar­beit, shi­go­to, wird als Nicht-Spiel ab­ge­grenzt und de­fi­niert. In der Fir­ma, im Bü­ro gibt es kei­nen Spaß, kein Ver­gnü­gen, kein Aus­pro­bie­ren, kei­ne spie­le­ri­sche An­nä­he­rung an Pro­blem­lö­sun­gen. Um­ge­kehrt hat das Spiel, die Frei­zeit, asobi, mit ernst­haf­ter Tä­tig­keit nichts zu schaf­fen, auch dann nicht, wenn das Hob­by – was oft der Fall ist – mit größ­ter Ernst­haf­tig­keit be­trie­ben wird. Ar­beits­ver­gnü­gen, spie­le­ri­scher Wett­be­werb zwi­schen den Ar­bei­ten­den, Be­deu­tung der Form, fall­wei­se Hint­an­stel­lung des Öko­no­mi­schen – Marx hat ei­ni­ges von Fou­riers Kon­zept des tra­vail-plai­sir über­nom­men. »Das Reich der Frei­heit be­ginnt erst da, wo das Ar­bei­ten, das durch Not und äu­ße­re Zweck­mä­ßig­keit be­stimmt ist, auf­hört.« Die­ser Satz steht im drit­ten Band des Ka­pi­tals (bis zu dem ich als Stu­dent nicht vor­drang). Wah­re De­mo­kra­tie wä­re erst un­ter sol­chen Vor­aus­set­zun­gen mög­lich; es könn­te in brei­tem Maß­stab das statt­fin­den, was Han­nah Are­ndt noch über die freie Tä­tig­keit, die die müh­se­li­ge Ar­beit ab­lö­sen soll, stellt: in­ter­sub­jek­ti­ver Aus­tausch. Die Leu­te hät­ten Mu­ße ge­nug, um sich mit ih­ren Mit­men­schen zu be­ra­ten und Ent­schei­dun­gen im Hin­blick auf das Ge­mein­wohl zu tref­fen, an­statt die­se ir­gend­wel­chen »Re­prä­sen­tan­ten« zu über­las­sen, zu de­nen im 21. Jahr­hun­dert nie­mand mehr Ver­trau­en hat – auch die nicht, die sie ge­wählt ha­ben. For­re­ster zu­fol­ge wur­de die­ser nicht bloß uto­pi­sche, son­dern rea­li­ter gang­bar ge­wor­de­ne Weg durch den von al­len tra­di­tio­nel­len po­li­ti­schen Par­tei­en wi­der­spruchs­los an­ge­nom­me­nen und in die ent­spre­chen­de gou­ver­nan­ce um­ge­setz­ten Neo­li­be­ra­lis­mus ab­ge­schnit­ten. Da­mals, um 1980, hät­te man den Berg der Ar­beit – ver­stan­den als fremd­be­stimm­te Müh­sal – lang­sam und ver­nünf­tig ab­tra­gen kön­nen. Die­se Be­frei­ung hät­te, so For­re­ster, ein Auf­blü­hen des Le­bens der Men­schen be­wirkt. Die Chan­ce wur­de ver­paßt; die Be­reit­schaft, nach Al­ter­na­ti­ven für die täg­li­che Tret­müh­le zu su­chen, ist weit­hin ab­han­den ge­kom­men.

»Stimmt ja al­les, aber lei­der kann man nichts ma­chen…« Mit sol­chen Sät­zen be­schwich­tigt man Kin­der und Nar­ren.

© Leo­pold Fe­der­mair

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  1. In Goethes pädagogischer Provinz (Wilhelm Meisters Wanderjahre) ist die Musikausübung das Alpha und Omega aller Bildung. 

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  1. Das »Mit­ein­an­der« zu pro­bie­ren, ha­ben mich im No­vem­ber ver­an­lasst, an der En­tre­pre­neur­ship Ma­ster­class von Gün­ter Fal­tin teil­zu­neh­men: »Für ei­ne bes­se­re, über­zeu­gen­de­re Öko­no­mie. Für bes­se­re Qua­li­tät, für spar­sa­me­ren Um­gang mit den Res­sour­cen. Für or­ga­ni­schen An­bau, für Rück­stands­kon­trol­len. Dies al­les, und eben trotz­dem ein nied­ri­ger Preis: fai­rer Han­del auch für den Kun­den. Mehr Pro­dukt­wahr­heit, mehr Trans­pa­renz – statt Auf­bau und Pfle­ge ei­ner Lu­xus­mar­ke.« Gün­ter Fal­tin, Wir sind das Ka­pi­tal – Auf­bruch in ei­ne in­tel­li­gen­te­re Öko­no­mie.

  2. Ich re­du­zie­re die Aus­füh­run­gen mal auf 2 Grund­fra­gen: Er­stens, in­wie­weit soll die Ge­sell­schaft in die De­fi­ni­ti­on und die Ver­tei­lung der Ar­beit ein­grei­fen?! Das ist die po­li­ti­sche Di­men­si­on. Zwei­tens, in­wie­weit kann der Mensch die Exi­sten­zia­le »Ar­beit« und »Frei­heit« zu­sam­men­füh­ren, bzw. kann er so­gar oh­ne Ar­beit le­ben, wenn die Be­dürf­nis­se ge­stillt sind?! Das ist die an­thro­po­lo­gi­sche Fra­ge.
    Die zwei­te Fra­ge fin­de ich span­nen­der, weil sie sehr spe­ku­la­tiv ist. Sie zeich­net sich erst am Ho­ri­zont ei­ner au­to­ma­ti­sier­ten und hoch-pro­duk­ti­ven In­du­strie ab. Sie ent­steht an der Gren­ze von Ka­pi­ta­lis­mus und Wild­nis. Ich ha­be dar­über nicht un­be­dingt ziel­ge­nau nach­ge­dacht, aber mir scheint, es ist die Fra­ge nach den Se­kun­där-Ge­win­nen von Ar­beit, und die Mög­lich­keit, jen­seits der Pro­duk­ti­vi­tät ih­ren Nut­zen ab­zu­schät­zen. Es geht ja das Ge­rücht um, dass die Mensch­heit oh­ne Ar­beit in kür­ze­ster Zeit ver­rückt wer­den wür­de, weil nie­mand oh­ne ih­ren »zwei­ten Mehr­wert« le­ben kann. Ei­ne Schwie­rig­keit des Mar­xis­mus be­stand (mut­maß­lich) dar­in, dass die Theo­re­ti­ker im­mer ver­sucht ha­ben, die­sen zwei­ten Mehr­wert zu ret­ten und in ein neu­es Sy­stem ein­zu­bet­ten, oh­ne die kon­tin­gen­ten Be­din­gun­gen des In­di­vi­du­ums wirk­lich be­rück­sich­ti­gen zu kön­nen. Ein Pla­nungs-Pa­ra­dies für al­le, ob­wohl kein ein­zi­ger Sitz­platz so rich­tig an­ge­passt wur­de...

  3. @die_kalte_Sophie
    Na­ja, die Deu­tun­gen ge­hen ja eher da­hin, dass Ar­beit ei­ne Last sei, die, schafft man sie erst ein­mal ab, ein groß­ar­ti­ges, krea­ti­ves Po­ten­ti­al der Mensch­heit ent­fal­tet, wel­ches mehr­wer­ti­ger (!) ist als die als stumpf­sin­nig empfunde,womöglich aus­beu­te­ri­sche Ar­beit. Nun ken­ne ich Men­schen, die oh­ne Ar­beit, d. h. na­tür­lich auch oh­ne Struk­tur, gro­ße Pro­ble­me im Le­ben ha­ben bzw. be­kom­men, und zwar nicht nur öko­no­mi­sche. Wir hat­ten ja an­hand des be­din­gungs­lo­sen Grund­ein­kom­mens die­se Kom­po­nen­te an­ge­spro­chen. Um den Ti­tel der Rei­he auch ein­mal an­klin­gen zu las­sen: Es ist nicht klar, wel­ches Gräu­el grau­en­haf­ter wä­re...

  4. Ich den­ke, daß ein Groß­teil der Be­völ­ke­run­gen oh­ne Ar­beit oder Aus­bil­dung und de­ren Struk­tu­ren (al­lein schon die Zeit­ein­tei­lung) gar kei­nen Halt fin­det. In sich selbst fin­den die mei­sten In­di­vi­du­en kei­nen. Das be­ob­ach­te ich jetzt in der On­line- und Home-Of­fice-Zeit – und da geht es noch gar nicht um Be­schäf­ti­gungs­lo­sig­keit, nur um die Locke­rung der Struk­tu­ren und mehr Ei­gen­ver­ant­wor­tung.

    So­phie, die kal­te, hat ver­mut­lich doch im­mer Eli­ten im Au­ge, klei­ne Min­der­hei­ten. Der Mar­xis­mus woll­te, wenn ich recht un­ter­rich­tet bin, den Ge­gen­satz von Ar­beit und Frei­zeit auf­he­ben. Ador­no jam­mer­te dar­über, daß Frei­zeit nur der Re­ge­ne­rie­rung der Ar­beits­kraft die­ne und Mu­ße als Be­din­gung von Krea­ti­vi­tät durch Kon­sum­zwang ver­drängt wor­den sei. Ar­beit spie­le­risch zu ma­chen, ist heu­te ein Kon­zept der Un­ter­neh­mens­or­ga­ni­sa­ti­on (wo­bei der Spiel­be­griff meist an Com­pu­ter­games an­ge­lehnt scheint). Im 21. Jahr­hun­dert dürf­te man den Men­schen mehr Gu­tes tun, wenn man ei­ne Bar­rie­re zwi­schen den bei­den Be­rei­chen auf­recht­hält.
    Und doch, als Be­woh­ner des El­fen­bein­turms, ver­zich­te ich un­gern auf die Uto­pie von Krea­ti­vi­tät von al­len und für al­le.

  5. Ja, die Ar­beit hat ei­nen fürch­ter­li­chen Ruf. Die neu­en un­ter­neh­me­ri­schen Kon­zep­te wir­ken da­ge­gen wie aus der Welt ge­fal­len. Jetzt soll es al­so Spaß ma­chen... Hei­li­ger Bim­bam!
    Lei­der ist das Kon­zept der Krea­ti­vi­tät auch schon ge­ka­pert wor­den, d.h. es ge­hen uns sprich­wört­lich die Vo­ka­beln aus, mit de­nen Uto­pien nor­ma­ler­wei­se ge­schrie­ben wer­den. Was hal­tet ihr denn von ei­nem am­bi­va­len­ten Ar­beits­be­griff, wür­de das nicht den mo­der­nen Er­fah­run­gen na­he­kom­men?!
    Ich nei­ge in­zwi­schen zu der An­sicht, dass die Er­fah­rung der Last un­er­setz­lich ist. Sie spielt nicht nur ei­ne Rol­le bei den ei­ge­nen Be­wer­tun­gen, son­dern macht auch er­wach­sen. Das fällt bei den ge­sell­schaft­li­chen Dis­kur­sen ko­mi­scher­wei­se un­ter den Tisch. Statt­des­sen ver­fällt die Öf­fent­lich­keit auf ei­ne nar­ziss­ti­sche Deu­tung, um all die Fuß­ball­spie­ler und Rock­stars zu wür­di­gen. Hans-Wer­ner Sinn mein­te zur Un­gleich­heit der Ein­kom­men: »Die ver­die­nen Mil­lio­nen, und de­nen macht das auch noch Spaß!« (Miss­bil­li­gen­des Lä­cheln)
    Ei­ne Ge­sell­schaft, die dar­auf ab­fährt, hat kei­ne gro­ße Zu­kunft. Aber wie kann man den Sinn ei­ner Last kom­mu­ni­zie­ren, oh­ne zu heu­cheln?! Au­then­tisch ist hier doch nur die Selbst­er­fah­rung.
    Mei­ne Hy­po­the­se: Hu­mans are a Beast of Bur­den! – But they don’t know...

  6. Ar­beit wird von der Lin­ken noch weit­ge­hend mit Stein­bruch, Berg­bau oder Fließ­band as­so­zi­iert. Da es kei­ne ge­sell­schaft­li­chen Uto­pien mehr gibt, die nicht schon ge­schei­tert sind, muss jetzt die Ar­beit als fremd­be­stimmt klas­si­fi­ziert wer­den, da­mit man sich von die­ser noch »be­frei­en« kann. Die Zau­ber­for­mel ist dann das be­din­gungs­lo­se Grund­ein­kom­men, wel­ches zum Krea­ti­vi­täts­schub füh­ren soll.

    Ich war­te im­mer noch auf die Ant­wort auf die Fra­ge, wie die­se ver­mut­lich letz­te Uto­pie be­zahlt wer­den soll. Viel­leicht wird die Pan­de­mie die Ant­wort un­frei­wil­lig so­zu­sa­gen sel­ber ge­ben, denn die Un­sum­men, die jetzt als Über­brückungs­hil­fen für Shut- und/oder Lock-Downs an­ge­bo­ten wer­den, sind de fac­to nicht vor­han­den. Ich bin ge­spannt, wer sie zu­rück­zahlt. Mein Tip: Man streicht ein­fach ir­gend­wann ein paar Nul­len und fängt wie­der von vor­ne an.

  7. @ Gre­gor
    Klar, in der Pan­de­mie gibt man be­den­ken­los aus. Oder mit Be­den­ken, aber so ist eben der Zwang der Ver­hält­nis­se. Und es kann schon sein, daß ein Zu­sam­men­bruch kommt und al­les neu auf­ge­baut wird. Wo­mög­lich wird dann auch De­mo­kra­tie wie­der gang­bar.
    Nach For­re­sters Dar­stel­lung, der ge­gen­über ich na­tür­lich skep­tisch bin, bringt uns das Ver­schwin­den der Ar­beit, wenn nicht nach Al­ter­na­ti­ven für die Ar­beits­ge­sell­schaft ge­sucht wird, eben­falls in ei­ne Ka­ta­stro­phe. Nur geht die­ser Pro­zeß schlei­chen­der, und we­der Re­gie­ren­de noch Be­völ­ke­rung sind be­reit, rie­si­ge Aus­ga­ben zu tra­gen. In der Pan­de­mie ist plötz­lich der gro­ße Schreck da.
    »Uto­pien«: Man müß­te es halt an­packen, Schritt für Schritt, oh­ne Zwang, al­les nach Strich und Fa­den zu ver­wirk­li­chen. Wenn wir schon auf Sta­ti­sti­ken zu­rück­grei­fen, hier die ab­strak­te­sten: Mi­li­tär­aus­ga­ben in Deutsch­land pro Jahr an die 50 Mil­li­ar­den Dol­lar. USA: mehr als zehn­mal so viel. Ver­mö­gen der Reich­sten (1 Pro­zent) in Deutsch­land, nach äl­te­ren Sta­ti­sti­ken: an die 5.000 Mia. Dol­lar. Das ruft nach Um­ver­tei­lung – und ich hö­re den Chor der Stim­men, daß das nicht mach­bar sei.

  8. Es gab Ge­ne­ra­tio­nen, die drei Wirt­schafts­zu­sam­men­brü­che mit­er­lebt ha­ben und je­des­mal ihr ge­sam­tes Spar­ver­mö­gen ver­lo­ren ha­ben. Der Zu­sam­men­bruch ist im Ka­pi­ta­lis­mus ein­ge­preist. 2008 hat man ihn ge­ra­de noch ab­ge­wen­det und was den Eu­ro an­geht, ist al­les of­fen. Die EZB kauft lu­stig wei­ter Staats­an­lei­hen, druckt prak­tisch Geld, ob­wohl sie dies nicht darf (es wird ver­brämt). Das ist pan­de­mie­un­ab­hän­gig. Ir­gend­wann wird es zum Crash kom­men. Dann kommt der gro­ße Gleich­ma­cher.

    Die Mi­li­tär­aus­ga­ben Deutsch­lands lie­gen bei 1,2% des BIP. Das ist – par­don – ein lä­cher­li­cher Be­trag. Die Bun­des­wehr ist prak­tisch wehr­un­tü­chig; die Aus­rü­stung größ­ten­teils ver­al­tet.

    Die Um­ver­tei­lung ist die nach dem BGE die zwei­te Milch­mäd­chen­rech­nung, die na­tür­lich nur glo­bal funk­tio­nie­ren wür­de (Ka­pi­tal­flucht). Ich wä­re erst ein­mal da­für, dass Un­ter­neh­men, die ih­ren Sitz in der EU ha­ben und hier agie­ren, ein­heit­li­che Steu­ern be­zah­len. Das wä­re the­reo­tisch so­fort mög­lich. Es be­dür­fe da­zu nur ei­nes Sat­zes in ir­gend­ei­ner EU-Ver­ord­nung. Für die Welt­re­vo­lu­ti­on ist das na­tür­lich als po­li­ti­sches Ziel ganz schlecht.

  9. Bit­te nicht die Ver­mö­gens­wer­te mit Li­qui­di­tät ver­wech­seln. Ver­mö­gen exi­stiert nur in den Bi­lan­zen, nur die Li­qui­di­tät kann ich »spon­tan dik­ta­to­risch« um­ver­tei­len, aber ih­re Be­trä­ge sind bei wei­tem ge­rin­ger.
    Bei­spiel: man kann ALDI ja kon­fis­zie­ren und an die Rus­sen ver­kau­fen, und die 30 Mil­li­ar­den ver­tei­len, aber das kann man nur ge­nau 1x ma­chen, und nicht je­des Jahr, und ALDI ge­hört dann den Rus­sen, was ja auch ir­gend­wie un­be­frie­di­gend ist...
    Noch­mal zu­rück zur Uto­pie der Ar­beit, bzw. der ge­sell­schaft­li­chen Im­ma­nenz des Ar­beits­be­griffs: es ist ja schon be­mer­kens­wert, dass die Kom­mu­ni­sten die­se »Ver­hand­lungs­tat­sa­che« Ar­beit auf­grei­fen, und zu ei­nem Phan­tas­ma um­for­men. Wenn wir uns die Rhe­to­rik an­se­hen (über die Zeit­läuf­te hin­weg), dann re­den al­le wie Ma­te­ria­li­sten. Hand­wer­ker. Dach­decker, Hon­ecker zu Eh­ren! Aber be­son­ders rea­li­täts­fest ist die Po­lit-Pro­mi­nenz ja nicht. Wie @Gregor schon sag­te, be­dient man sich im­mer noch sehr kör­per­li­cher Schreckens-Vi­sio­nen, und ver­zich­tet auf ei­nen Ab­gleich mit den neu­en Le­bens­ver­hält­nis­sen. Kann es sein, dass hier ein »kör­per­li­ches Ide­al« der Stär­ke vor­liegt, bzw. ei­ne Vi­si­on der Stra­fe und der De­mü­ti­gung?! Ich er­in­ne­re mich an die be­lieb­ten TV-Bil­der aus Gam­bia: die Kin­der, die im Erd­reich wüh­len auf der Su­che nach was-weiß-ich Ko­balt, Rho­di­um, usw.
    Und ich er­in­ne­re mich an Ge­org Or­well, der die Mi­nen­ar­bei­ter be­sucht hat, und zwei­mal schockiert war: erst mal, wie die Berg­leu­te schuf­ten, und dann, wie un­in­ter­es­sant sei­ne Be­rich­te für die Lin­ken in Lon­don wa­ren (»Das wuss­ten wir!«). Sprich, ne­ben ei­ner Vi­si­on der Pein (Mit­ge­fühl), gibt es ein drin­gen­des Be­dürf­nis nach ei­ner »zeit­ge­nös­si­schen Über­le­gen­heit«, um nicht zu sa­gen, ei­ne Ver­ar­bei­tungs­hil­fe für die Zu­mu­tung der Wirk­lich­keit.
    Wie un­er­träg­lich sie sein kann, nicht wahr?! Das sind die Gräu­el. Aber ei­ne Po­li­tik, die aus ei­ner sehr be­grenz­ten Vor­stel­lungs­kraft her­aus agiert, rück­ver­sich­tert nur durch den ei­ge­nen Echo­raum, kann BELIEBIG falsch sein. Das ist das Pro­blem mit Links.

  10. Ge­setzt, Ar­beit wä­re Selbst­aus­druck des Men­schen, Of­fen­bar­wer­den von Be­ga­bung und Nei­gung, ge­stal­te­te An­schluss­be­reit­schaft und das Maß für ein Tä­tig­wer­den in die­sem Sin­ne die Be­dürf­tig­keit des Mit­men­schen, dann wä­re die Fi­nan­zie­rungs­fra­ge des BGE ge­klärt. Es gä­be dann al­les, was es braucht und das Geld wä­re (was es ei­gent­lich auch jetzt ist) al­lein der Mitt­ler. In­so­fern wä­re Bil­dung der not­wen­di­ge Schlüs­sel zur Ver­wirk­li­chung solch ei­ner Uto­pie. Mir leuch­tet Götz W. Wer­ners Satz ein: Die Men­schen müs­sen ei­ne Idee den­ken kön­nen (wol­len), dann wer­den sich Lö­sun­gen für die zu klä­ren­den prak­ti­schen Fra­gen fin­den las­sen. Die an­ge­spro­che­ne Käl­te und das ver­zwei­fel­te Ge­ba­ren, mit Hil­fe von Selbst­op­ti­mie­rung ins War­me zu kom­men, be­schreibt auf der kli­ma­ti­schen Ebe­ne ei­ne um sich grei­fen­de Rat­lo­sig­keit, die al­len Sinn­fra­gen (Was ist der Mensch) aus­weicht, oder gleich die Sinn­haf­tig­keit sol­cher Sinn­fra­ge­rei selbst, mit di­stan­zer­zeu­gen­dem Zy­nis­mus, ne­giert.

  11. @ Gre­gor
    Die deut­schen Mi­li­tär­aus­ga­ben sind ein Klacks (Bil­dungs­aus­ga­ben fast vier­mal so­viel: gut so!), und doch sind es über 50 Mil­li­ar­den Dol­lar. Wo­zu Waf­fen? Wo­zu Atom­waf­fen? Ich weiß, man kann nicht mir nichts dir nichts ein­sei­tig ab­rü­sten. »Man kann« so vie­les nicht. Der er­ste Aus­lands­be­such D. Trumps war, wenn ich mich recht er­in­ne­re, in Sau­di Ara­bi­en. Er ju­bel­te, weil er de­nen Mi­li­tär­ge­rät im Wert von 1 Mil­li­ar­de Dol­lar an­ge­dreht hat­te (ei­ne Zahl die­ser Grö­ßen­ord­nung, wenn ich mich recht er­in­ne­re). Ar­beits­plät­ze? Nein! Und wenn: Brau­chen wir nicht! Sol­che je­den­falls nicht. Sau­di Ara­bi­en hat ein Mi­li­tär­bud­get von 8 Pro­zent des BIP.

  12. Trump ist kaum im Dunst­kreis deut­scher Po­li­tik zu ver­or­ten. Und das Mi­li­tär­bud­get von Sau­di Ara­bi­en kön­nen wir nicht än­dern. Deutsch­land hat üb­ri­gens – aus gu­tem Grund! – kei­ne Atom­waf­fen (au­ßer ei­ni­ge auf sei­nem Ter­ri­to­ri­um, die aber den USA ge­hö­ren). Im üb­ri­gen ist Deutsch­land in ein Bünd­nis ein­ge­bun­den. Das kann man na­tür­lich auch gleich über Bord wer­fen und so tun, als sei die Welt ein Hort des Frie­dens. Ist sie aber nicht.

    Grund­sätz­lich »kann man« na­tür­lich al­les. Öko­no­mi­sche und po­li­ti­sche Aut­ar­kie ha­ben im 20. Jahr­hun­dert meh­re­re Län­der ver­sucht. Zu­meist en­de­te es ent­we­der in ei­ne Art Stein­zeit­ge­sell­schaft (Kam­bo­dscha un­ter Pol Pot) oder in Krie­ge, um die not­wen­di­gen Res­sour­cen die man sel­ber nicht hat­te, zu er­obern. Der glo­ba­li­sier­te Ka­pi­ta­lis­mus hat gra­vie­ren­de Feh­ler und Un­ge­rech­tig­kei­ten, aber es gibt m. E. kaum ei­ne funk­tio­nie­ren­de Al­ter­na­ti­ve da­zu. Die »Gräu­el« wä­ren ein­fach an­de­re und wo­mög­lich gra­vie­ren­de­re als die der Ge­gen­wart.

  13. @Florian Ap­pel
    Ge­setzt, Ar­beit wä­re Selbst­aus­druck des Men­schen, Of­fen­bar­wer­den von Be­ga­bung und Nei­gung, ge­stal­te­te An­schluss­be­reit­schaft und das Maß für ein Tä­tig­wer­den in die­sem Sin­ne die Be­dürf­tig­keit des Mit­men­schen, dann wä­re die Fi­nan­zie­rungs­fra­ge des BGE ge­klärt.
    Par­don, das ist mir zu schwam­mig. Bit­te ent­wickeln Sie Re­chen­mo­del­le.

    Götz Wer­ner ist üb­ri­gens ein eher schlech­tes Bei­spiel. Sein Mo­dell sieht ei­ne Fi­nan­zie­rung über ei­ne er­höh­te Um­satz­steu­er vor. Das wä­re, sa­lopp aus­ge­druckt, das Prin­zip »lin­ke Ta­sche, rech­te Ta­sche«.

    Ge­naue­res kann man hier (pdf) nach­le­sen. Fa­zit aus die­sem Pa­pier:

    quo­te
    a) Wür­den die ge­sam­ten So­zi­al­trans­fers in ein be­din­gungs­lo­ses Grund­ein­kom­men um­ge­lenkt, könn­te ein mo­nat­li­cher Be­trag in Hö­he von 645 € ge­zahlt wer­den. Die­ser ver­rin­gert sich um die Ko­sten für die not­wen­di­gen Kran­ken­ver­si­che­rungs­bei­trä­ge.

    b) Um ein Grund­ein­kom­men in der von Götz Wer­ner als Ziel an­ge­ge­be­nen Hö­he von 1300–1500 € zu si­chern, wä­re ein Fi­nan­zie­rungs­vo­lu­men er­for­der­lich, das min­de­stens das Dop­pel­te der bis­he­ri­gen So­zi­al­trans­fers um­fasst. Ent­spre­chend müss­ten Steu­ern, Ab­ga­ben bzw. Bei­trä­ge er­höht wer­den.

    c) Ein be­din­gungs­lo­ses Grund­ein­kom­men in Hö­he von 645 € in der be­schrie­be­nen Form wür­de pro Kopf der Be­völ­ke­rung gleich­mä­ßig an­fal­len. Be­zie­her dar­über hin­aus ge­hen­der So­zi­al­trans­fers müss­ten mit dem Grund­ein­kom­men teil­wei­se er­heb­li­che Ein­schrän­kun­gen in Kauf neh­men. Dies gilt ins­be­son­de­re für die Be­zie­her von Ren­ten. An­de­rer­seits wür­de die Grup­pe der Be­völ­ke­rung, die im Mo­ment kei­ne oder nur ge­rin­ge So­zi­al­trans­fers be­zieht, zum Net­to­ge­win­ner der Ein­füh­rung ei­nes Grund­ein­kom­mens. Ein sol­ches Sy­stem hät­te al­so bei ei­nem kon­stan­ten Auf­wand an So­zi­al­trans­fers ei­ne er­heb­li­che Um­ver­tei­lung von Trans­fer­strö­men zu­un­gun­sten der bis­he­ri­gen Emp­fän­ger zur Fol­ge. Woll­te man sol­che Kür­zun­gen z. B. bei den Ren­ten ver­mei­den, wür­den für die Ge­wäh­rung ei­nes Grund­ein­kom­mens von 645 € wei­te­re, über die be­reits heu­te er­ho­be­nen Abgaben/Steuern/Beiträge hin­aus­ge­hen­de Be­la­stun­gen auf die Bür­ger zu­kom­men.
    un­quo­te

    Die Men­schen müs­sen ei­ne Idee den­ken kön­nen (wol­len), dann wer­den sich Lö­sun­gen für die zu klä­ren­den prak­ti­schen Fra­gen fin­den las­sen.
    Das ist ein fast ge­fähr­li­cher Satz, weil es be­deu­tet: Erst mal ma­chen, dann fin­den sich die Lö­sun­gen schon. Wohl­klin­gen­de Wor­te fürs Po­se­sie­al­bum er­set­zen kein ver­ant­wor­tungs­vol­les po­li­ti­sches Han­deln.

  14. Im üb­ri­gen (Zu­stim­mung @Gregor) ist das BGE nur ei­ne Sicht auf die »Hälf­te des Ka­pi­ta­lis­mus«. Wo sind die In­ve­sti­tio­nen?! In die­ser Halb-Welt gibt es nur Ar­beit und Ein­kom­men, – der Um­satz, die Ab­schrei­bun­gen und die In­ve­stio­nen wer­den nicht be­spro­chen. Das sind in der Re­gel die Pro­ble­me von Un­ter­neh­mern...
    Es ist son­der­bar, dass die Kri­tik im­mer nur die Hälf­te der Pro­ble­me ana­ly­siert. Es kommt da­mit still­schwei­gend zu ei­ner »In­du­strie-Kul­tur«, wo al­le Ein­hei­ten so viel arbeiten/produzieren, wie sie »wollen/können«... Die An­füh­rungs­zei­chen kann man gar nicht ge­nug be­to­nen. Die Ar­beit wird eher locker ver­rich­tet, toll für die Be­leg­schaft, aber die Prei­se müs­sen sta­bil blei­ben, weil man die Kauf­kraft er­hal­ten möch­te, und Sim-sa­la-Bim sind wir wie­der bei der Lohn­er­hö­hung, mit zu­gleich lee­ren Re­ga­len.
    Und für neue Ma­schi­nen (Bad News: Sie al­tern und ster­ben, ge­nau wie wir!) stel­len wir ei­nen An­trag bei der Zen­tra­len Pla­nungs­kom­mis­si­on. Wird schon durch­ge­hen!
    Die Dys­funk­ti­on des So­zia­lis­mus grün­det sich auf sein man­gel­haf­tes Nach­fra­ge-Feed­back (zu viel/ zu we­nig Pro­duk­ti­on für den Be­darf), und sein feh­len­des In­ve­sti­ti­ons-Ri­si­ko (wer hät­te nicht gern neue Ma­schi­nen, aber wem soll der Stabs­chef die Ge­neh­mi­gung ver­wei­gern, oh­ne sinn­los Geld zu drucken?!).

  15. Die von Vi­via­ne For­re­ster in Aus­sicht ge­stell­te Be­frei­ung aus dem ei­ser­nen Ge­fäng­nis der Hö­rig­keit ist ei­ne Ver­hei­ßung. Als Recht­fer­ti­gung dient die Un­zu­frie­den­heit, das vor­han­de­ne weit­her­um gras­sie­ren­de Künst­ler­pech, der Man­gel an Re­spekt, Be­ach­tung, Wert­schät­zung, mil­lio­nen­fach er­lebt, aber auch so schreck­li­che wie das kör­per­li­che Lei­den, die Krank­heit, ja selbst den Tod kann man bei der Öko­no­mie ab­la­den – und tut auch das ger­ne und mas­sen­haft, tag­ein, tag­aus.

    Wenn Lin­ke alt wer­den, wis­sen sie aus le­bens­lan­ger Er­fah­rung, wie­vie­le ver­schie­de­ne For­men die Un­zu­frie­den­heit mit dem Be­stehen­den an­nimmt – und man­che sind des­halb im­stan­de, ei­ne gro­ße Re­so­nanz bei ei­ner gro­ßen Grup­pe von Men­schen zu er­zie­len, wenn sie zu ih­rem letz­ten Be­frei­ungs­chlag sich auf­raf­fen. Die Rea­li­tät, auf die sich Mme. Vi­via­ne For­re­ster be­zie­hen, ist ei­ne su­jek­ti­ve. Die Spä­re, in der sich der All­tag in France oder Au­stria oder D voll­zieht, be­steht frei­lich nicht al­lein aus die­ser sub­jek­ti­ven Rea­li­tät, son­dern auch aus ei­ner physischen/technischen Welt und ei­ner hoch­funk­tio­na­len so­zia­len Welt, die ein­an­der brau­chen, um ef­fiz­eint zu sein (das ist im­mer noch Max We­ber). Für die­se – rea­le – Sei­te der Glei­chung in­ter­es­siert sich Mme. nur in­so­fern, als sie de­ren Schwä­chen (= de­ren po­ten­ti­el­le Hin­fäl­lig­keit) mo­niert. Da wir in ei­ner hoch­sä­ku­la­ri­sier­ten Ge­sell­schaft le­ben, ist das ehe­dem mas­sena­haft kon­su­mier­te Gen­re der re­li­giö­sen Er­bau­ungs­schrift ver­weist. Das hat Mm. For­re­ster ver­stan­den – und die­sem Be­dürf­nis hilft sie ab. – Die Men­schen mö­gen es, wenn man ih­nen ein we­nig den Druck nimmt, der von der Sünd­haf­tig­keit der Welt (= ih­rer
    Fehlerhaftigkeeit/Ungeerechtigkeit/Ineffizienz/Umweltschädlichkeit...) pro­du­ziert wird und ih­nen jetzt schon ein we­nig von dem Trost in Aus­sicht stellt, der tra­di­tio­nell der Trumpf der Jen­seits­vor­stel­lun­gen war. die Sa­che hat auch et­was Wie­der­täu­fe­ri­sches.

    Des­halb aber sa­ge ich Euch: Ge­het hin und lest die bei­den Ro­ma­ne: »Un­se­re Lie­be Frau vom Wald« und – »Ed King«. Das letz­te­re Buch zeigt, wie heils­be­dürf­tig al­le Men­schen sind – und wie sug­ge­sti­bel noch die größ­ten Po­ten­ta­ten (in Si­li­con Val­ley, an der West­kü­ste der USA – in ihm fin­de ich auch Spu­ren des for­mi­da­blen Reform(!)-Drogisten Götz (!) Wer­ner) – und das er­ste­re zeigt die näm­li­che Ge­schich­te aus der Per­spek­ti­ve der nied­ri­ge­ren Schich­ten (Holz­fäl­ler, Kran­ken­schwe­stern, Bag­ger­fah­rer, Lo­kal­jour­na­li­sten usw.) an der Nord­west­kü­ste der USA. Die­se Bü­cher sind gleich­sam die Kür zu Frau For­re­sters et­was aus­ge­lei­er­ten, weil schon oft vor­ge­spiel­ten dis­kur­si­ven, mas­sen­kom­pa­ti­blen Er­lö­sungs­phan­ta­sien.

  16. »Viel­leicht neigt je­der, der glaubt, ge­nau Be­scheid zu wis­sen, zur Rhe­to­rik. Es gibt dann beim Schrei­ben nichts mehr zu er­ar­bei­ten, zu er­for­schen, man ist nicht auf‑, son­dern ab­ge­klärt und wird sich von nichts über­ra­schen las­sen. Die Ge­dan­ken ver­fer­ti­gen sich un­ter sol­chen Vor­aus­set­zun­gen nicht beim Sprechen/Schreiben. Es geht nur noch dar­um, die pas­sen­den, d. h. wirk­sam­sten For­mu­lie­run­gen zu fin­den. Nach mei­nem Emp­fin­den ist das ein kal­tes Schrei­ben, die Rhe­to­rik ein kal­tes Sy­stem. . . .«

    Die­se Sät­ze sind, für mich, le­bens­wich­tig. Ge­nau Be­scheid zu wis­sen heißt nichts zu wis­sen. Die all­mäh­li­che Ver­fer­ti­gung der Ge­dan­ken beim Re­den (Kleist) ist ge­nau was ich beim Le­sen Ih­res Buchs... An­nä­he­run­gen an Pe­ter Hand­ke ... er­le­be, wie auch beim Le­sen von Hand­kes Werk. »Ich se­he die Schrift sei­nes (Hand­kes) Briefs, die zit­tert. Es ist ein fei­nes Schwan­ken und Zit­tern, das die Kraft um­gibt.« Ihr Schrei­ben ist ein war­mes Schrei­ben.

  17. @ Gre­gor K.
    Hi­sto­risch be­trach­tet, und über­haupt, rück­blickend, in un­se­ren Bio­gra­phien: Wenn sich et­was Grund­le­gen­des ge­än­dert hat, wur­de erst mal ge­macht. Je­de Ent­schei­dung birgt Ri­si­kos. Die man na­tür­lich ab­wä­gen soll. Die Co­ro­na-Zeit ist in man­cher Hin­sicht lehr­reich. Un­ter an­derm zeigt sie, daß Nichts­tun eben­so ge­fähr­lich ist wie blin­der Ak­ti­vis­mus. Der Weg da­zwi­schen ist oft eng.

  18. Der­je­ni­ge, der am mei­sten »ge­macht« hat, oh­ne Fol­gen zu be­den­ken, ist ge­ra­de in den USA ab­ge­wählt wor­den. Über­haupt ist die Au­ßen­po­li­tik der USA ein sehr gu­tes Bei­spiel da­für, wie Po­li­tik, die im­mer erst ein­mal dem Ak­tio­nis­mus ver­fällt, schei­tert und am En­de zwar ein Pro­blem löst, da­für aber min­de­stens zwei an­de­re neu er­schaf­fen hat.

    Co­ro­na ist da­hin­ge­hend nicht ver­gleich­bar, weil es mehr oder we­ni­ger un­ver­hofft kam.

  19. Mir scheint die Fra­ge nach der Fi­nan­zie­rung ei­nes BGE zu­nächst ver­nach­läs­sig­bar. Es han­delt sich beim BGE – so­weit ich es ver­ste­he – nicht um zu­sätz­li­che Geld­sum­men. Geld ist selbst kein Wirt­schafts­gut, son­dern ein Mitt­ler für de­ren Ver­kehr. D.h., nur wenn es Gü­ter und Dienst­lei­stun­gen gibt, lässt sich über ei­ne ge­rech­te Teil­ha­be (vor al­lem in Be­zug auf all­ge­mei­ne Grund­gü­ter) nach­den­ken. In­so­fern ist es ei­ne Milch­mäd­chen­rech­nung, an­hand der Staats­quo­te ei­nen theo­re­tisch aus­zahl­ba­ren Be­trag zu er­mit­teln, denn nicht ein­ge­rech­net wä­ren ja all die pri­vat­wirt­schaft­lich er­ziel­ten Ein­kom­men, wel­che jetzt schon über ei­nem be­din­gungs­lo­sen Min­dest­ein­kom­men lie­gen. Der Be­trag ei­nes BGE wä­re dort be­reits an­tei­lig ent­hal­ten.

    Ein­kom­men wer­den durch Prei­se fi­nan­ziert, die wir als Kon­su­men­ten zah­len. Wenn es Gü­ter und Dienst­lei­stun­gen gibt, dann ha­ben die ei­nen Preis und die­sen Preis zah­len wir aus un­se­ren Ein­kom­men. Und die ge­zahl­ten Prei­se sind ih­rer­seits wie­der Ein­kom­men. Geld ist in letz­ter Konsquenz im­mer Ein­kom­men. Auch Kre­di­te sind Ein­kom­men für In­ve­sti­ti­ons­wil­li­ge. Mit So­zia­lis­mus hat all dies nichts zu tun. Der selbst­re­gu­lie­ren­de Ma­ch­a­nis­mus An­ge­bot-Nach­fra­ge bleibt da­von un­be­rührt. Nur wä­re die Wahl­frei­heit eben auf den Be­reich der Ar­beit aus­ge­wei­tet (und nur so lie­ße sich über­haupt von „Ar­beits­markt“ spre­chen). Selbst­ver­ständ­lich kann es nach der hier vor­ge­stell­ten Les­art ein Grund­ein­kom­men nur ge­ben, wenn es die ent­spre­chen­den Gü­ter und Dienst­lei­stun­gen gibt. Wenn es sich so ver­hält, wie man­che Un­ken aus ste­hen­den Ge­wäs­sern qua­ken, dass näm­lich dann zu­vie­le Men­schen in ih­ren Hän­ge­mat­ten lie­gen blei­ben, dann ist ein BGE nicht mög­lich. Wo­mit wir beim Den­ken und der Bil­dung wä­ren.

    Mit „ei­ne Idee den­ken kön­nen“ ha­be ich ge­ra­de nicht „erst mal ma­chen“ sa­gen wol­len. Lö­sun­gen fin­den sich durch’s Den­ken, durch’s Wahr­neh­men (auch ei­ne Form des Den­kens), manch­mal heu­ri­stisch (auch hier braucht’s das Den­ken). Aber Den­ken bit­te „mit Herz“. Oder um es mit Alex­an­der Klu­ge zu sa­gen: „Ver­stand ist nur brauch­bar, wenn er ei­ne in­ten­si­ve, zu­ge­spit­ze Form von Ge­fühl ist“. Ich bit­te um Ver­zei­hung, wenn das wie­der (?), un­an­ge­mes­sen (?) nach Poe­sie­al­bum klingt. So ist es nicht ge­meint. Und wenn Poe­sie­al­bum, dann nur in der Form, dass ich mir durch­aus auch ver­ant­wor­tungs­vol­les po­li­ti­sches Han­deln aus ei­ner ums Poe­ti­sche er­wei­ter­ten Welt­schau vor­zu­stel­len ver­mag.

  20. @ Flo­ri­an Ap­pel u. Gre­gor Keu­sch­nig

    Geld als Ver­mitt­lungs­gut – oder eben rei­nes Tausch­mit­tel – das ist die Ein­satz­stel­le der an­thro­po­so­phi­schen Trak­ta­te, – - – - wie auch der Marx­schen Öko­no­mie. Die Stär­ke sol­cher grund­sätz­li­chen Über­le­gun­gen liegt – in ih­rer Grund­sätz­lich­keit. Sie er­laubt den­je­ni­gen, die sie den­ken, den mo­men­ta­nen flash, den schwin­deln ma­chen­den (=be­rau­schen­den) küh­nen Ad­ler­blick hin­un­ter auf die An­stren­gun­gen der ar­men Ir­ren in ih­ren all­täg­li­chen Mü­hen (Fi­nan­zie­rungs­fra­gen usw.). Hier tref­fen sich – Götz Wer­ner, Jo­seph Beu­ys, Ro­bert Ha­beck und – Ko­al Mo­ax, aber auch der Träu­mer vom sieb­ten Land, wenn er die bal­ka­ne­si­schen (=ur­sprüng­li­chen, = mensch­li­chen) Märk­te kon­templiert. »Es ist ei­ne in­ter­es­san­te Ge­gend / Teil­wei­se er­schreckend und teil­wei­se er­re­gend«, wenn ich nun Chris Kri­stoff­er­son noch herzitierend/paraphrasierend mich – öh – das hier ab­zu­run­den be­que­me, ne.

  21. Ganz zu schwei­gen von den Mil­lio­nen von dann Ar­beits­su­chen­den, die in Job­cen­tern und So­zi­al­äm­tern kei­ne Ver­wen­dung mehr fin­den wür­den, weil es ja au­sser dem BGE kei­ne So­zi­al­lei­stun­gen mehr gibt...

  22. @Gregor Keu­sch­nig, darf ich Sie bit­ten, bei Ge­le­gen­heit mei­ne Zei­len doch noch ein Stück wei­ter­zu­le­sen? Ih­rer Auf­for­de­rung an mich, Re­chen­mo­del­le zu ent­wickeln, ha­be ich ver­sucht, im Rah­men mei­ner be­grenz­ten Mög­lich­kei­ten we­nig­stens grund­sätz­lich Fol­ge zu lei­sten. Dass ich die Fi­nan­zie­rungs­fra­ge ei­nes BGE für nach­ge­ord­net er­ach­te, will al­lein zum Aus­druck brin­gen, dass m.E. zu­erst die Ideen in Be­zug auf die ver­meint­lich tri­via­len, aber ge­ra­de des­we­gen doch ent­schei­den­den Grund­fra­gen (Men­schen­bild, Ge­sell­schaft­ord­nung) skiz­ziert, be­wegt, ge­ord­net, aus­ge­tauscht, be­grif­fen wer­den wol­len und al­les Tech­ni­sche dar­aus spä­ter re­sul­tiert. Es mag sein, dass das hier an die­sem Ort schon zur Ge­nü­ge ge­sche­hen ist. Und selbst­ver­ständ­lich woll­te ich in die­sem Fal­le den Be­trieb nicht wei­ter mit Poe­sie­al­bum­sprü­chen auf­hal­ten.
    Nur klingt mir eben auch Leo­pold Fe­der­mai­ers Satz aus dem an­lass­ge­ben­den Es­say im Sinn: »In mei­nem ei­ge­nen Fall kommt es häu­fig vor, daß ich mich auf dem dis­kur­si­ven Weg nicht mehr aus­ken­ne, und auch jetzt in die­sem Mo­ment ist das ein we­nig der Fall.«

    Seit Jah­ren le­se ich die an­re­gen­den Bei­trä­ge und Dis­kus­sio­nen an die­sem Ort. Ich mei­ne, mich dar­an zu er­in­nern, dass Sie ein­mal in ei­nem Bei­trag aus­drück­lich da­zu er­mun­tert hat­ten, sich ins Dis­kus­si­on­ge­sche­hen ein­zu­klin­ken und nicht nur still vor sich hin mit-zu­le­sen. Ich ge­ste­he, den­noch et­was ge­zö­gert zu ha­ben, mei­ne er­sten Zei­len hier zu ver­öf­fent­li­chen. Ich hat­te selbst schon ver­mu­tet, ich schrie­be zu „un­ter­kom­plex“. Leo­pold Fe­der­mai­ers er­mun­tern­de Zu­stim­mung hat­te mich dann für den Mo­ment da­zu er­mu­tigt, „am Ball“ blei­ben zu dür­fen.

    Kur­zer Ex­kurs. Als frei­schaf­fen­der Mu­si­ker wä­re von mir wohl zu er­war­ten, in den Chor em­pör­ter Künst­ler ein­zu­stim­men und mit Ver­weis auf die ge­sell­schaft­li­che Not­wen­dig­keit von Kul­tur zu mah­nen, dass man „uns“ nicht ver­ges­sen dür­fe. An die­ser Stel­le kann ich mich ei­nes ge­wis­sen Poe­sie­al­bum­ge­fühls nicht er­weh­ren. Ich stö­re mich dar­an, dass jetzt je­de ge­sell­schaft­li­che Grup­pe un­ter Auf­bie­tung al­ler Thea­tra­lik em­pört auf ih­re Sy­stem­re­le­vanz pocht. Von wel­chem Sy­stem ist denn über­haupt die Re­de? Und ist Ge­sell­schaft nicht weit mehr als ein küh­les Sy­stem? Das Vi­rus trifft nicht ge­sell­schaft­li­che Ein­zel­grup­pen, son­dern uns al­le. Nicht ein­zel­ne Grup­pen be­dür­fen der So­li­da­ri­tät, son­dern al­le. Und al­le wä­ren in der La­ge, po­li­tisch be­schlos­se­ne Maß­nah­men so­li­da­risch mit­zu­tra­gen, wenn sie nicht in Sor­ge dar­über ge­ra­ten müss­ten, sich die­ses Mit­tun auch „lei­sten“ zu kön­nen.

    Es mag ja sein, dass es zum glo­ba­li­sier­ten Ka­pi­ta­lis­mus kei­ne (wün­schens­wer­te) Al­ter­na­ti­ve gibt. Aber bie­ten nicht ge­ra­de Aus­nah­me­zei­ten wie die­se die Chan­ce (und ver­lan­gen ge­ra­de­zu da­nach), frisch zu den­ken und (in zu­nächst ger­ne nur zeit­lich be­grenz­tem Rah­men) neue We­ge zu wa­gen?
    Das Nach­den­ken über ge­sell­schaft­li­che Be­din­gun­gen ei­nes be­din­gungs­lo­sen Grund­ein­kom­mens vor dem Hin­ter­grund ei­ner Aus­nah­me­si­tua­ti­on wie die­ser kann doch mehr sein, als träu­men­de Glas­per­len­spie­le­rei.

    Der Weg zwi­schen blin­dem Ak­tio­nis­mus und Nichts­tun ist eng. Und wei­ter Leo­pold Fe­der­mai­er: »Auch als Be­woh­ner des El­fen­bein­turms, ver­zich­te ich un­gern auf die Uto­pie von Krea­ti­vi­tät von al­len und für al­le.«

    Ich wer­de mich zu­künf­tig wie­der ger­ne auf’s Le­sen hier be­schrän­ken und bit­te nur um ei­nes: be­hal­ten Sie auch schlich­te­re Ge­mü­ter wie mich im Blick!

  23. Ein Hoch auf die Mu­si­ker, @Florian. Sie be­strei­ten die höch­ste Kunst, und er­fah­ren we­nig An­er­ken­nung. Ich bin eben­falls mit die­sen Mu­sen­kin­dern ver-band-(?!)-elt, und ich ken­ne ih­re Ein­kom­mens­pro­ble­me.
    Ich kann ih­ren Bei­trag in­so­fern ernst neh­men, als die Mu­sik die rein­ste au­to­poe­ti­sche Di­men­si­on auf­weist. Ih­re Schöp­fung und ihr Lohn fal­len prak­tisch in eins. Im­grun­de ist die Igno­ranz der Lei­stungs­ge­sell­schaft ihr ge­gen­über gar nicht mal so fies. Es wä­re na­tür­lich ver­spon­nen zu glau­ben, Mu­si­ker leb­ten von Luft und Lie­be, aber vom Stand­punkt ei­ner »Ver­all­ge­mei­ner­ten Öko­no­mie« ist da was dran. In die Er­schaf­fung und Pro­duk­ti­on von Mu­sik geht kein Fremd­in­ter­es­se ein. Es gibt kein Ge­ben und Neh­men, weil die Gren­zen des Sub­jekts auf­ge­ho­ben wer­den.
    Das ist in der grau­en Welt der Ar­beit na­tür­lich an­ders. Hier be­fin­den sich al­le au­ßer dem Ein­zel­un­terr­neh­mer in ei­ner Schräg­la­ge. Es muss all die Zeit über er­wo­gen wer­den, ob man be­reit ist, »mehr zu ge­ben«, als man kann, oder auf Be­dürf­nis­se zu ver­zich­ten, um den Un­ter­neh­mens­er­folg zu ge­währ­lei­sten. Da­bei er­scheint in der Brei­te ge­nau das, was ich oben den »zwei­ten Mehr­wert« ge­nannt ha­be, al­so Selbst­wirk­sam­keit so­wie An­er­ken­nungs- und Di­stink­ti­ons­ge­win­ne, als Bu­chungs­ge­gen­satz zur Aus­beu­tung. Ich fürch­te, das wird in kei­ner So­zio­lo­gie-Vor­le­sung rich­tig be­han­delt, weil die lib­i­nö­sen Kon­zep­te im­mer auf den KONSUM ab­zie­len. Das ist na­tür­lich ei­ne zu star­ke Ver­ein­fa­chung.
    Für den Ka­pi­ta­lis­mus gilt im­mer noch: Wenn ich schon ar­bei­ten muss, (an­statt zu mu­si­zie­ren), dann kann ich im­mer noch das Be­ste dar­aus ma­chen.
    Zur Geld­theo­rie woll­te ich be­mer­ken: Geld ist nicht nur ein Tausch­mit­tel, ge­nau­er ge­sagt ein all­ge­mei­nes Äqui­va­lent, son­dern auch ein »Han­dels­gut« und ei­ne »Res­sour­ce«. Das gilt für al­le Sub­jek­te. Die Fi­xie­rung auf den Tausch ist (wie beim Kon­sum) ei­ne un­ver­hält­nis­mä­ßi­ge Ver­ein­fa­chung die­ser Öko­no­mie.
    Ei­ne Kri­tik des Ka­pi­ta­lis­mus ha­be ich im­mer nur in der Form ei­ner ver­kürz­ten Dar­stel­lung ge­fun­den, eben­so wie die Ent­wür­fe des So­zia­lis­mus. Je ge­nau­er man die Sy­ste­me auf­schlüs­sel, de­sto we­ni­ger ist »von vor­ne her­ein klar«, wel­ches Sy­stem bes­ser ist. Ich bin mir selbst auch nicht zu 100% si­cher, aber die hi­sto­ri­schen Ex­pe­ri­men­te sind grau­en­haft ver­lau­fen.

  24. So­lan­ge ich in mei­nem Übeka­buff sit­ze, stel­le ich aus mir her­aus her, das ist frei­lich rich­tig. Aber oh­ne das ge­mut­maß­te (spä­te­re) Ge­gen­über wür­de ich we­nig­stens als der Nach­schöp­fe­ri­sche, als der ich mich im Sin­ne des Fremd­ma­te­ri­al-Ver­le­ben­di­gers ver­ste­he, so nicht tä­tig wer­den. Ein­fa­cher ge­sagt: wür­de ich nicht die Er­fah­rung ge­macht ha­ben, dass „mei­ne Kunst“ ge­braucht, weil ge­nos­sen, oder An­re­gun­gen (Sinn?) er­zeu­gend, wä­re, und mir dar­über­hin­aus Mit­tel (al­so mei­stens Geld) zu­gäng­lich ge­macht wür­den, die mei­ne Ar­beits­kraft er­hiel­ten, dann wür­de ich in die­sem Me­tier nicht ar­bei­ten (kön­nen). Bei der ori­gi­när ar­bei­ten­den Kom­po­ni­stin, oder ganz all­ge­mein Au­torin, ver­hält es sich im er­sten Punkt wo­mög­lich an­ders. Aber spä­te­stens im zwei­ten braucht auch sie letzt­lich je­man­den, der sagt, schön und gut, dass du bist und dass du machst, was du machst. Selbst ein Van Gogh brauch­te sei­nen Bru­der, um tä­tig sein zu kön­nen. Heißt Fremd­in­ter­es­se nicht: da ist je­mand, der hat et­was, das ich nicht ha­be und an dem möch­te ich ger­ne par­ti­zi­pie­ren? Auf Be­dürf­nis­se muss ich doch nur dann ver­zich­ten, wenn ich er­ken­ne, dass Be­dürf­nis­se an­de­rer jetzt vor­ran­gig sind (oder ver­letzt wür­den), oder dass es zu de­ren Be­frie­di­gung ge­ra­de kei­ne Mit­tel und We­ge gibt. Und was ist ei­gent­lich Un­ter­neh­mens­er­folg? Kann dass denn wirk­lich mehr sein, als die Be­reit­stel­lung von Din­gen und Lei­stun­gen, die ge­braucht wer­den? Ich stim­me @Sophie zu (vor­aus­ge­setzt ich schluss­fol­ge­re rich­tig), dass Wert­schät­zung im Wirt­schafts­sy­stem als Wert an sich nicht recht be­dacht wird. Aber wie auch soll­te sich dies ab­bil­den las­sen?
    Grund­ein­kom­men hie­ße für mich zu­al­ler­erst: Dein Grund­recht, ein Mensch zu sein, wol­len wir Dir, weil wir das da­zu Be­nö­tig­te ha­ben (für den Fall, dass wir es ha­ben), nicht nur ideell, son­dern leib­haf­tig zu­si­chern.
    Und noch­mal zur Geld­theo­rie: ich ver­ste­he, dass die Funk­ti­on von Geld auch die der Spei­che­rung von Mög­lich­kei­ten ist und als sol­che ge­han­delt wer­den kann. Aber rea­li­siert sich die­se Grö­ße letzt­lich nicht nur da, wo sie als Ein­kom­men je­man­dem zu­gu­te kommt?

  25. @ Flo­ri­an. In ih­ren Über­le­gun­gen fehlt de­fi­ni­tiv ein Ver­ständ­nis für den Be­griff Res­sour­ce. Sie brin­gen im­mer Bei­spie­le des Un­end­lich Teil­ba­ren, al­so Wis­sen, Ideen, äs­the­ti­sche Er­fah­rung, so­fern ver­mit­tel­bar.
    Da­ge­gen steht prak­tisch die Er­fah­rung der ge­sam­ten Mensch­heit: Knapp­heit an Gü­tern. Wir nä­hern uns ja ra­pi­de ei­nem schi­zo­phre­nen öko­lo­gi­schen Uni­ver­sum, wo die Knapp­heit von Res­sour­cen kom­plett er­setzt wird durch ei­ne »Ver­letz­lich­keit der Na­tur«, aber ich möch­te Sie den­noch bit­ten, die Rea­li­tät nicht aus den Au­gen zu ver­lie­ren. Ein Mi­ni­mum an Be­dürf­nis­sen zu for­mu­lie­ren, ist ei­ne selbst­ge­fähr­den­de An­ge­le­gen­heit... Mit an­de­ren Wor­ten: Sie wä­ren über­rascht, wie weit un­ten man die­ses Mi­ni­mum an­sie­deln kann. Zwei Dol­lar am Tag?! Dann sind schon rich­tig arm dran, aber »le­ben« im­mer noch. Ich wür­de vor al­len Re­gi­men war­nen, die sich an­ma­ßen zu wis­sen, was Sie zum Le­ben nö­tig ha­ben, und was nicht (Hartz IV = So­zia­lis­mus. Ge­nau die­sel­ben Här­ten)...
    Fremd­in­ter­es­se: Gibt es auch in der Mu­sik, zum Bei­spiel der Nach­bar, der mein Pia­no hasst. Ich ha­be kei­nes­wegs die Be­gier­de ge­meint, aber letzt­lich sind Sie na­tür­lich be­fugt, mei­ne Wor­te »zu ent­füh­ren«, und ih­nen ei­nen ganz an­de­ren Sinn zu ver­lei­hen.

  26. @Florian Ap­pel
    Es ist be­zeich­nend, dass die mei­sten BGE-Be­für­wor­ter da­mit ar­gu­men­tie­ren, dass man erst ein­mal da­mit be­gin­nen soll­te um dann ir­gend­wann zu se­hen, wie es wei­ter­ge­he. Wäh­rend die Geg­ner Rech­nungs­mo­del­le in die Dis­kus­si­on wer­fen.

    Neh­men wir an, Sie ent­decken in ei­nem Ge­schäft ei­nen Ge­gen­stand, den sie be­ruf­lich un­be­dingt ha­ben wol­len und von dem sie sich lang­fri­stig Ein­kom­mens­vor­tei­le er­hof­fen. Sa­gen wir ein be­son­ders schö­nes In­stru­ment, um in Ih­rem Be­ruf zu blei­ben. Es ko­stet ei­nen sehr ho­hen Be­trag, sa­gen wir 10.000 Eu­ro. Die­ses Geld ha­ben Sie nicht. Es ist Ih­nen auch nicht klar, wie sie die­ses In­stru­ment be­zah­len wol­len. Ei­ne Bank möch­ten Sie nicht kon­sul­tie­ren. Wür­den Sie es kau­fen in der stil­len Er­war­tung, dass es sich ir­gend­wann amor­ti­siert? He­gen Sie kei­nen Ge­dan­ken an die Nach­hal­tig­keit Ih­res Bud­gets? War­um soll aus­ge­rech­net ein Staats­we­sen plötz­lich al­le Nach­hal­tig­keits­über­le­gun­gen auf­ge­ben?

    Na­he­zu al­le Be­rech­nun­gen ge­hen da­von aus, dass durch den Weg­fall au­ßer­or­dent­li­cher So­zi­al­lei­stun­gen zu Gun­sten ei­nes BGE vor al­lem un­te­re Ein­kom­men und Klein­selb­stän­di­ge Nach­tei­le da­von ha­ben wür­den. Von den Mas­sen­ar­beits­lo­sig­kei­ten des Be­hör­den­per­so­nals, wel­ches dann nicht mehr ge­braucht wür­de, nicht zu re­den.

    Ich fin­de im üb­ri­gen den Ap­pell, dass das Mensch­sein da­mit be­ginnt, dass der Staat fi­nan­zi­el­le Mit­tel zur Ver­fü­gung stellt, reich­lich kru­de. Bei­spie­le in der Ver­gan­gen­heit ha­ben im üb­ri­gen ge­zeigt, wo­hin sol­ches Den­ken am En­de führt bzw. ge­lei­tet wer­den kann. @Sophie hat dar­auf hin­ge­wie­sen.