Heinz Rein: Fi­na­le Ber­lin

Heinz Rein: Finale Berlin
Heinz Rein: Fi­na­le Ber­lin

Spä­te­stens in der Schu­le kam man an ih­nen nicht mehr vor­bei. Da war der Kriegs­heim­keh­rer Beck­mann aus Bor­cherts »Drau­ßen vor der Tür«, der Sol­dat Fein­hals und die Ar­chi­tek­ten­fa­mi­lie Fäh­mel aus Bölls Wer­ken, spä­ter noch Clown Schnier und des­sen An­sich­ten. Os­kar Mat­zer­ath kann­te je­der (meist al­ler­dings oh­ne das Werk en dé­tail ge­le­sen zu ha­ben). Sel­te­ner wa­ren schon die Er­leb­nis­se mit dem des­il­lu­sio­nier­ten Bundestags­abgeordneten und Schön­geist Kee­ten­heuve (Koep­pens »Treib­haus«) oder dem Ma­ler Lud­wig Nan­sen aus der 60er Jah­re »Deutsch­stun­de« (Sieg­fried Lenz). All die­sen Fi­gu­ren ist ge­mein, dass sie heu­te noch Er­in­ne­run­gen her­vor­ru­fen und Re­fe­renz­grö­ßen der deut­schen Nach­kriegsliteratur wie selbst­ver­ständ­lich her­bei­zi­tiert wer­den. Aber wer kennt ei­gent­lich Joa­chim Las­sehn, den De­ser­teur aus Heinz Reins »Fi­na­le Ber­lin«? und wer kennt die­ses Buch, das be­reits 1947 er­schie­nen war und ve­he­ment-dra­sti­scher Spra­che die Schrecken des Krie­ges nicht nur er­zähl­te, son­dern vor dem Le­ser fast aus­spie?

Si­cher­lich, ver­ges­se­ne Bü­cher mit ver­ges­se­nen Schrift­stel­lern aus die­ser Zeit gibt es vie­le. Ne­ben Heinz Rein fal­len ei­nem auf An­hieb Hans Scholz (»Am grü­nen Strand der Spree« [die­ses Buch wur­de in den 1960er Jah­ren er­folg­reich für das Fern­se­hen ver­filmt]), Pe­ter Bamm und Hans Hell­mut Kirst ein, die al­le­samt mit dem Vor­wurf des Tri­vi­al­au­tors zu kämp­fen hat­ten. Aber auch äs­the­tisch an­spruchs­vol­le­re Au­toren wie Gert Le­dig und Jo­sef W. Jan­ker gin­gen im Li­te­ra­tur­be­trieb un­ter, vor al­lem weil sie nicht in das äs­the­ti­sche Kon­zept der Grup­pe 47 hin­ein­pass­ten, ei­ner in­for­mel­len Ver­ei­ni­gung, die suk­zes­si­ve die Ho­heit über die deut­sche Nach­kriegs­li­te­ra­tur über­nahm und schon vor der Usur­pie­rung durch die Kri­ti­ker-Vie­rer­ban­de (Reich-Ra­nicki, May­er, Kai­ser, Jens) ei­ne macht­vol­le Po­si­ti­on ein­nahm. Wer heu­te den Ka­non durch­schaut, den die­se We­ni­gen auf­ge­stellt ha­ben, ent­deckt über­all die im­mer­glei­chen Na­men: Hein­rich Böll, Gün­ter Eich, Gün­ter Grass, Al­fred An­dersch, Il­se Ai­chin­ger, In­ge­borg Bach­mann, Hans Ma­gnus En­zens­ber­ger, Mar­tin Wal­ser (der ei­gent­lich als »grup­pen­frem­der« Au­tor galt), ein biss­chen Wolf­diet­rich Schnur­re und Wal­ter Höl­le­rer noch. Al­le­samt Au­toren, die an den Sit­zun­gen der Grup­pe 47 zum Teil re­gel­mä­ssig teil­nah­men und da­durch bis heu­te das li­te­ra­ri­sche Bild der 1950er und 1960er Jah­re in Deutsch­land präg­ten.

Ach­te­te man pein­lichst dar­auf, kei­ne na­zi­be­la­ste­ten Schrei­ber in der Grup­pe zu ha­ben (was, wie sich spä­ter her­aus­stell­te, gründ­lich miss­lang), so konn­te man je­doch als Op­fer, das nicht den sol­da­ti­schen Weg ein­ge­schla­gen hat­te, kaum re­üs­sie­ren, wie am Bei­spiel Paul Ce­lan deut­lich wur­de. Exi­lan­ten mied man of­fi­zi­ell aus äs­the­ti­schen Grün­den – in Wahr­heit woll­ten sich die­se in der Re­gel nicht mit Wehr­macht­sol­da­ten oder »In­ne­ren Emi­gran­ten« mes­sen. Am­bi­tio­nier­te Pro­sa, die sich von der dem Rea­lis­mus ver­pflich­te­ten so­ge­nann­ten Trüm­mer­li­te­ra­tur ab­wi­chen, hat­te eben­falls kei­ne Chan­ce; sie wa­ren auf Für­spra­che au­ßer­halb der Grup­pe an­ge­wie­sen, was bei ei­ni­gen Aus­nah­men (Koep­pen, Sieg­fried Lenz) ge­lang.

Höl­len­ge­wit­ter oh­ne Scheu vor Pa­thos

So ist es nicht über­ra­schend, dass Heinz Rein, der Au­tor von »Fi­na­le Ber­lin«, nie­mals in der Grup­pe 47 ge­le­sen hat. Sein Ro­man ent­sprach mit sei­nem der­ben Splat­ter-Ex­pre­s­­sio­nis­mus nicht dem Ge­schmack der Grup­pe, die es vor­zog, den deut­schen Sol­da­ten nach dem Krieg als Op­fer der Um­stän­de dar­zu­stel­len. Reins Buch da­ge­gen zeigt in ex­pres­si­ven, zum Teil pa­the­tisch-bru­ta­len Bil­dern ein Ber­lin vom 15. April 1945 bis zur Ka­pi­tu­la­ti­on am 2. Mai. Es ist ein Ber­lin der Stra­ßen- spä­ter so­gar Häu­ser­kämp­fe – ei­ne Be­völ­ke­rung ein­ge­presst zwi­schen Ro­ter Ar­mee und rück­sichts­los ge­gen die ei­ge­ne Zi­vil­be­völ­ke­rung vor­ge­hen­der SS-Trup­pen. Es ist ein Ber­lin der bis zum Schluss an den Sieg Glau­ben­den, ein Ber­lin, das am En­de groß­flä­chig in Schutt und Asche liegt, über­sät mit Lei­chen bzw. Lei­chen­tei­len. Rein ent­wickelt ei­ne To­po­gra­phie des Schreckens; wer möch­te, kann Trup­pen- und Kampf­be­we­gun­gen auf ei­ner Kar­te ge­nau nach­voll­zie­hen. Ber­lin wird zur Höl­le, bar je­der Zi­vi­li­sa­ti­on.

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Ralf Roth­mann: Im Früh­ling ster­ben

Ralf Rothmann: Im Frühling sterben
Ralf Roth­mann:
Im Früh­ling ster­ben

»Das Schwei­gen, das tie­fe Ver­schwei­gen, be­son­ders wenn es To­te meint, ist letzt­lich ein Va­ku­um, das das Le­ben ir­gend­wann von selbst mit Wahr­heit füllt.« So be­ginnt Ralf Roth­mann sei­nen Ro­man »Im Früh­ling ster­ben«. Man sieht vor sei­nem gei­sti­gen Au­ge förm­lich den prä­ten­tiö­sen Aus­druck des Dich­ters oder Vor­le­sers, der be­deu­tungs­schwe­re Duk­tus, der den Le­ser, die Le­se­rin, auf die­se Li­te­ra­tur vor­be­rei­ten soll und un­um­wun­den si­gna­li­siert: Hier ent­steht et­was ganz Be­son­de­res, ein Mei­ster­werk. Das Schwei­gen, »wenn es To­te meint«, füllt das Le­ben mit »Wahr­heit«. Fra­gen, wes­sen Le­ben mit Wahr­heit ge­füllt wer­den soll und wie dies mit dem »tie­fen Ver­schwei­gen« ge­meint sein könn­te, wir­ken da eher stö­rend, nach dem Sinn die­ses Sat­zes zu su­chen erst recht.

Sechs­ein­halb Sei­ten skiz­ziert ein Ich-Er­zäh­ler mit star­ken Stri­chen das Le­ben sei­nes Va­ters Wal­ter Ur­ban. Das schweig­sa­me We­sen, sei­ne Hilfs­be­reit­schaft (»das Wort hoch­an­stän­dig fiel oft«), die Jacken von C & A, die er ger­ne trug. 30 Jah­re ar­bei­te­te er als Hau­er im Berg­werk in Es­sen, oh­ne Ge­hör­schutz. Er er­taub­te und ver­stand nur noch sei­ne Frau, »ob es ih­re Stimm­fre­quenz war oder die Art der Lip­pen­be­we­gung« weiß der Er­zäh­ler nicht. Nach der Früh­ver­ren­tung, die ihn kränk­te, war das Le­ben prak­tisch schon zu En­de. Es gab die Zei­tung, Heft­chen­ro­ma­ne und, lei­der, den Al­ko­hol. Schließ­lich der Krebs mit 60, das war 1987. Der Er­zäh­ler schenkt ihm ein Heft, in dem er et­was vom Krieg, von sei­nem Le­ben auf­schrei­ben soll, aber au­ßer ein paar Orts­na­men schreibt Wal­ter Ur­ban nichts hin­ein. Der Schrift­stel­ler sei doch er, be­merkt er spitz­bü­bisch. Auf dem Ster­be­bett be­ginnt er im Schlaf zu spre­chen. Er sei jetzt »wie­der im Krieg« sagt dann sei­ne Frau.

Und dann, auf Sei­te 13, be­ginnt ei­ne Ge­schich­te von Wal­ter Ur­ban ab Fe­bru­ar 1945. Er ist Mel­ker­lehr­ling in Nord­deutsch­land, der Prü­gel-Va­ter im Feld ir­gend­wo auf dem Bal­kan (straf­ver­setzt, weil er Ge­fan­ge­nen Zi­ga­ret­ten ge­ge­ben ha­ben soll), die Mut­ter mit sei­ner Schwe­ster in Es­sen. Es ist Sonn­tag und es gibt ein Fest. Der »Reichs­nähr­stand« gibt ei­nen aus. Man trifft sich im »Fähr­hof«, die Ka­pel­le, die aus Kriegs­ver­sehr­ten be­steht, spielt Hans Al­bers, Za­rah Le­an­der und Heinz Rüh­mann. Ir­gend­wo steht auch ein SS-Mann mit der Auf­schrift »Frunds­berg« – schö­ner Gruss von Roth­mann an Gün­ter Grass.

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Öde Be­lang­lo­sig­keit

»Der Pri­mus« lau­te­te der Ti­tel der Do­ku­men­ta­ti­on von Eri­ca von Moel­ler, die ge­stern in der ARD zu spä­ter Stun­de (22.50 Uhr) lief. Ge­zeigt wer­den soll­te das pri­va­te und po­li­ti­sche Le­ben von Franz Jo­sef Strauß, des­sen 100. Ge­burts­tag im Sep­tem­ber an­steht.

Die Klam­mer des Films bil­de­te der Wahl­kampf Strauß’ als Kanz­ler­kan­di­dat 1980. Dar­um her­um wur­de das Le­ben von den 1920er Jah­ren an chro­no­lo­gisch be­han­delt. Der latein­kundige Mi­ni­strant, der an­ti­na­zi­sti­sche Va­ter, der schwe­ren Her­zens dem Gym­na­si­um für sei­nen Sohn zu­stimm­te, schließ­lich der Mu­ster­schü­ler Franz Jo­sef, der als Ober­leut­nant der Wehr­macht in den letz­ten Ta­gen klei­ne und grö­ße­re Hel­den­ta­ten voll­brach­te. Schließ­lich der bay­ri­sche Po­li­ti­ker, der be­reits 1949 bei der le­gen­dä­ren Ein­la­dung Ade­nau­ers in Rhön­dorf da­bei war. Zur Si­cher­heit und um den Zu­schau­er nicht zu über­for­dern wur­den et­li­che Sze­nen nach­ge­spielt; teil­wei­se wur­de das Ma­te­ri­al aus dem Film »Kon­rad Ade­nau­er – Stun­den der Ent­schei­dung« von 2012 ver­wen­det. Strauß ist im po­li­ti­schen Bonn ein Kar­rie­rist. Ade­nau­er bremst ihn zu­nächst, macht ihn dann aber doch zum Ver­tei­di­gungs­mi­ni­ster. In der »Spiegel«-Affäre lässt der Al­te ihn fal­len. Ver­blüf­fend da­bei, dass Strauß loy­al blieb, d. h. die Rück­ver­si­che­rung Ade­nau­ers für sei­ne um­strit­te­ne Ver­haf­tungs­ak­ti­on zu Con­rad Ah­lers in Spa­ni­en hat Strauß öf­fent­lich nie er­wähnt.

Wolf­ram Bicke­rich, ehe­ma­li­ger »Spiegel«-Redakteur, und Aug­stein-Bio­graph Pe­ter Mer­se­bur­ger kom­men zu Wort und ana­ly­sie­ren Aug­steins fast ob­ses­siv-pa­tho­lo­gi­schen Hass auf (den po­li­ti­schen) Strauß, der zu­wei­len mit Jour­na­lis­mus nichts mehr zu tun hat­te. Zu Wort kom­men Franz-Ge­org Strauß und Mo­ni­ka Hohl­mei­er, zwei von drei Strauß-Kin­dern und Ed­mund Stoi­ber. Po­li­ti­sche Geg­ner wie auch der in sol­chen Fil­men zu­meist üb­li­che Hi­sto­ri­ker feh­len. Strauß’ Wahl­kampf von 1980 wird als teil­wei­se Hass­kam­pa­gne ge­gen ihn in­ter­pre­tiert, wenn er Stö­rer als »Ge­hirn­pro­the­sen­trä­ger« be­zeich­net, heißt es im Film, er ha­be schlag­fer­tig und wit­zig re­agiert und nicht ver­bis­sen. Zur Si­cher­heit fehlt dann aber das schweiß­nas­se Strauß-Re­de­ge­sicht dann doch nicht.

War­um Aug­stein Strauß als »ge­fähr­lich« ein­schätz­te, bleibt er­staun­li­cher­wei­se un­er­wähnt. Strauß war in sei­ner Ei­gen­schaft als »Atom­mi­ni­ster« näm­lich mit­nich­ten al­lei­ne für die fried­li­che Nut­zung der da­mals als Se­gen ge­prie­se­nen Kern­ener­gie be­fasst. Er in­ter­pre­tier­te sein Amt auch mi­li­tär-stra­te­gisch da­hin­ge­hend die frisch ge­grün­de­te Bun­des­wehr ato­mar zu be­waff­nen. Für Aug­stein et al. war die Vor­stel­lung ei­nes Deutsch­lands mit Atom­waf­fen ein Alp­traum, den es un­ter al­len Um­stän­den zu ver­hin­dern galt.

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Fried­rich Helms: Ta­ge­bü­cher 1945 / 1946–47

Friedrich Helms Tagebuch Wilhelmshorst 1945
Fried­rich Helms
Ta­ge­buch Wil­helms­horst 1945

Fried­rich Helms wur­de 1883 ge­bo­ren. Er leb­te in Ber­lin, wur­de dann, 1945, aus­ge­bombt und zog in sein Gar­ten­haus nach Wil­helms­horst bei Pots­dam. Helms war da­mals über 40 Jah­re in Dien­sten der Deut­schen Bank, zum Schluss als »Di­rek­tor«. Sei­ne Frau Ma­rie war 12 Jah­re jün­ger als er. Sie war »Pg«, al­so Mit­glied der NSDAP. Helms sel­ber wird als deutsch­na­tio­na­ler So­zi­al­de­mo­krat be­schrie­ben; er war Frei­mau­rer. Das Paar hat­te zwei Töch­ter. Viel weiß man über die­se Fa­mi­lie nicht. Fried­rich Helms führ­te Ta­ge­buch. Dies kam ir­gend­wann in den Be­sitz von Wal­ter Kem­powski, der in sei­nem »Echo­lot« »Abgesang’45« ein klei­nes Stück aus Helms’ Ta­ge­buch zi­tier­te. Der Pu­bli­zist und Ver­le­ger To­bi­as Wim­bau­er nahm sich des Ta­ge­buchs an und gab in sei­nem lei­der kürz­lich ge­schlos­se­nen »Eisenhut«-Verlag bis­her zwei Bän­de her­aus. Der er­ste um­fasst die Zeit von April bis De­zem­ber 1945; er setzt fast mit der Ka­pi­tu­la­ti­on des Deut­schen Reichs ein. Der zwei­te Band um­fasst die Jah­re 1946 und 1947.

In An­be­tracht des 70. Jah­res­ta­ges des En­des des Zwei­ten Welt­kriegs wur­de man me­di­al um­fang­reich ver­sorgt. Bei al­ler Aus­führ­lich­keit in den Schil­de­run­gen der letz­ten Ta­ge des Na­zi-Re­gimes und der an­schlie­ßen­den Be­sat­zung nebst geo­po­li­ti­scher Si­tua­ti­on blieb die Zeit un­mit­tel­bar nach dem Kriegs­en­de selt­sam dun­kel. Zwar gilt die Phra­se der »Stun­de Null« längst als wi­der­legt, aber was tat­säch­lich da­mals ge­schah wur­de in der po­pu­lä­ren und pu­bli­zi­sti­schen Ge­schichts­schrei­bung kaum be­han­delt. Es ging dann ir­gend­wie mit der Wäh­rungs­re­form 1948 und dem Grund­ge­setz der Bun­des­re­pu­blik 1949 wei­ter.

Der Grund für die­se Leer­stel­le liegt auch dar­in, dass die Schil­de­run­gen der Pro­ble­me der Be­völ­ke­rung un­mit­tel­bar nach dem Krieg sehr schnell als Ge­schichts­re­vi­sio­nis­mus hät­te aus­ge­legt wer­den kön­nen. Die­se Be­fürch­tun­gen gab es ja auch bei an­de­ren Themen­bereichen wie Ver­trei­bung und Bom­ben­krieg. Al­les, was nur im Ent­fern­te­sten das Tä­ter­volk hät­te als Op­fer dar­stel­len kön­nen, galt es zu ver­mei­den. Hin­zu kam, dass die nach­fol­gen­den Ge­ne­ra­tio­nen oft ge­nau die­se Er­zäh­lun­gen von ih­ren El­tern und Groß­eltern hör­ten und als Ab­len­kungs­ma­nö­ver ei­ner even­tu­el­len Mit­schuld in­ter­pre­tier­ten.

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Zie­gen am Berg – Zum 90. Ge­burts­tag von Phil­ip­pe Jac­cot­tet

Phil­ip­pe Jac­cot­tet zu­ge­eig­net ZIEGEN AM BERG Wie dar­ge­bracht, ein Schwung Milch, er­schien ihm ei­ne Zie­gen­her­de am Berg, im­mer brei­ter zer­streut. Nicht dass wir zu­sam­men je­mals hin­über­blick­ten. Doch wie ich lan­ge späh­te auf je­ne an­de­re Sei­te, sah ich (und wuss­te nicht, wo­durch dann jäh er­freut), wie dort am Ge­gen­hang, im Stei­gen, die ein­zel­nen, die ganz am ...

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Joa­chim Lott­mann: Hap­py End

Joachim Lottmann: Happy End
Joa­chim Lott­mann: Hap­py End
Ir­gend­wann hat das je­der ein­mal er­lebt. Man steht am Tre­sen in ei­ner Knei­pe und war­tet auf ein Bier. Da kommt ein Mensch (es ist im­mer ein Mann), nicht unsympa­thisch, stellt sich ne­ben ei­nem und be­ginnt, zu er­zäh­len. Über das Bier hier in der Knei­pe, die Be­die­nung, sei­ne Ar­beit, über Po­li­tik, sei­nen Ur­laub, sei­ne Be­zie­hung, die Un­ge­rech­tig­keit in der Welt – es geht ein­fach um Al­les. Erst ist man nett ab­ge­lenkt, nickt zu­wei­len aus Höf­lichkeit, aber ir­gend­wann wünscht man sich, dass ein ehe­ma­li­ger Schul­freund das Lo­kal be­tritt, das lei­se im Hin­ter­grund du­deln­de Ra­dio ei­ne welt­be­we­gen­de Nach­richt ver­kün­det oder min­de­stens dass das Mo­bil­te­le­fon klin­gelt – in­stän­dig er­sehnt man ei­nen so­zi­al halb­wegs glaub­wür­di­gen Grund, dem Re­de­schwall zu ent­flie­hen.

In et­wa ist das die Si­tua­ti­on mit Joa­chim Lott­manns neu­em Buch »Hap­py End«. Der wich­tig­ste Un­ter­schied ist, dass ich, der Le­ser, mich so­zu­sa­gen an Lott­manns Tre­sen ge­stellt ha­be. Und das da je­mand nicht über Be­zie­hungs­pro­ble­me er­zählt, son­dern be­reits auf den er­sten Sei­ten sei­ne Frau Eli­sa­beth, ge­nannt Sis­si, ei­ne 38jährige er­folg­rei­che Links­in­tel­lek­tu­el­le, die über das Elend in der Welt in Ver­gan­gen­heit und Ge­gen­wart ziel­si­cher schrei­ben kann und in »ger­ia­tri­schen« Fil­men heult, in den höch­sten Tö­nen lobt. Wei­ter geht es um Ur­laubs­rei­sen, Lek­tü­re­ein­drücke, Ko­lum­nen­schrei­be­rei (Schwer­punkt Tier­ko­lum­nen), sei­ne Ma­gen­schmer­zen, die auf ei­ne zu star­ke Ver­ein­nah­mung durch die so ver­göt­ter­te Frau hin­deu­ten und ei­ne Ge­heim­woh­nung in Wien. Dass ei­nem bei der Lek­tü­re der Kopf vor lau­ter Mü­dig­keit nicht auf das E‑­Book-Le­se­ge­rät fällt ver­mag man nur zu ver­mei­den, in­dem man die­sen ge­le­gent­lich schüt­telt. Ei­ne Me­lan­ge aus Hoff­nung, Pflicht­be­wusst­sein und Ma­so­chis­mus führt da­zu, dass man bis zum En­de liest.

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Prä­li­mi­na­ri­en zu ei­nem Li­te­ra­tur­preis

Ei­ne klei­ne Te­tra­lo­gie zum Bach­mann­preis 2015

Ser­vice für Schnell­leser:
I. Fla­tu­len­zen
II. Weg mit den Pa­ten­schaf­ten!
III. Die Kri­tik in der Kri­se
IV. Jour­na­li­sti­sche Do­mi­nanz oder: Ver­mut­lich kei­ne »Mup­pet-Show« in die­sem Jahr

Für Al­les­le­ser (ein Pleo­nas­mus):

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Der Ma­ler der Ap­ple-Mo­der­ne: Os­kar Schlem­mer

»Vi­sio­nen ei­ner neu­en Welt« in der Staats­ga­le­rie Stutt­gart

Ein Nach­klapp

Os­kar Schlem­mer ist ein be­lieb­ter Ma­ler: An ei­nem Frei­tag Nach­mit­tag sind die Aus­stellungsräume der Staats­ga­le­rie Stutt­gart gut ge­füllt. Das ty­pi­sche Pu­bli­kum für ei­nen Mu­se­ums­wo­chen­tag: Rent­ner-Grup­pen, Schü­le­rin­nen und Stu­den­tin­nen so­wie Kin­der. Wäh­rend die jun­gen Be­su­che­rin­nen und Be­su­cher meist un­an­ge­lei­tet, aber mit Block und Stif­ten in der Hand, durch die Sä­le ge­hen, tappt die Mehr­zahl der Se­nio­ren mit Kopf­hörern auf den Oh­ren und ei­nem vor der Brust bau­meln­den Au­dio-Gui­de von Bild zu Bild, Raum zu Raum. Die Be­trach­ter ge­ra­ten da­bei in selt­sa­me, mit­un­ter ko­mi­sche Kor­re­spon­den­zen zu den auf den Bil­dern rast­los hin und her, auf und ab schrei­ten­den Ge­stal­ten: Ir­gend­wie fremd­ge­steu­ert bei­de, stre­ben die Schlem­mer-We­sen ge­mes­se­nen Schrit­tes und meist äthe­risch strah­lend rank und schlank zu Hö­he­rem, wäh­rend sich die Ir­di­schen in ih­ren von Zeit, Schwer­kraft und Er­fah­rung in­di­vi­du­el­le ge­form­ten Lei­bern durch die Aus­stel­lung schie­ben.

Die Be­liebt­heit Schlem­mers beim Pu­bli­kum er­schließt sich so­fort: Sei­ne Bil­der bie­ten ei­ne auf­ge­räum­te, ge­ra­de­zu clea­ne Äs­the­tik in zu­rück­hal­ten­der, har­mo­ni­scher, freund­li­cher Far­big­keit. Ei­gent­lich im­mer sind mensch­li­che Ge­stal­ten zu er­ken­nen, meist in an­ge­deu­te­te ar­chi­tek­to­ni­sche Zu­sam­men­hän­ge ein­ge­fügt, in sug­ge­sti­ven Po­sen und Kon­stel­la­tio­nen. Ei­ne klas­si­sche Mo­der­ne, de­ren Ir­ri­ta­ti­ons­ver­mö­gen fast gänz­lich ver­schwun­den ist, die uns aber noch ein­mal das gro­ße Ver­spre­chen auf ei­ne bes­se­re, ef­fi­zi­en­te­re, schwe­re­lo­se Welt spür­bar macht, das die Mo­der­ne auch ein­mal war.

Os­kar Schlem­mers Ge­mäl­de müss­ten ei­gent­lich die Wän­de der Smart Ho­mes von Si­li­con Val­ley-Ty­coo­nen schmücken, fi­nan­ziert vom Ge­winn aus Goog­le- und Ap­ple-Ak­ti­en.

Dass sie das bis­her nicht tun, liegt nicht an den In­ter­net-Un­ter­neh­mern, son­dern an den Schlem­mer-Er­ben. Nach dem Tot von Tut Schlem­mer, der Wit­we Schlem­mers, ver­hinderten de­ren Er­ben nicht nur den Ver­kauf sei­ner Wer­ke fast voll­stän­dig, son­dern auch vie­le Aus­stel­lun­gen so­wie Pu­bli­ka­tio­nen. Der Ruf von Os­kar Schlem­mer als ei­ner zen­tra­len Fi­gur der klas­si­schen Mo­der­ne, – wie ihn auch die Stutt­gar­ter Aus­stel­lung fei­er­te –, ist des­we­gen eher my­thi­scher Na­tur. Auf­grund der Ma­chen­schaf­ten sei­ner Er­ben und der Ängst­lich­keit vie­ler Mu­se­en ist sei­ne kunst­hi­sto­ri­sche Ein­ord­nung heu­te un­ge­nau, mehr Be­haup­tung als An­schau­ung. Aber nun, 70 Jah­re nach sei­nem Tod, ist die Dis­kus­si­on wie­der er­öff­net, denn nun sind die Rech­te an den Bil­dern frei.

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