Der Ma­ler der Ap­ple-Mo­der­ne: Os­kar Schlem­mer

»Vi­sio­nen ei­ner neu­en Welt« in der Staats­ga­le­rie Stutt­gart

Ein Nach­klapp

Os­kar Schlem­mer ist ein be­lieb­ter Ma­ler: An ei­nem Frei­tag Nach­mit­tag sind die Aus­stellungsräume der Staats­ga­le­rie Stutt­gart gut ge­füllt. Das ty­pi­sche Pu­bli­kum für ei­nen Mu­se­ums­wo­chen­tag: Rent­ner-Grup­pen, Schü­le­rin­nen und Stu­den­tin­nen so­wie Kin­der. Wäh­rend die jun­gen Be­su­che­rin­nen und Be­su­cher meist un­an­ge­lei­tet, aber mit Block und Stif­ten in der Hand, durch die Sä­le ge­hen, tappt die Mehr­zahl der Se­nio­ren mit Kopf­hörern auf den Oh­ren und ei­nem vor der Brust bau­meln­den Au­dio-Gui­de von Bild zu Bild, Raum zu Raum. Die Be­trach­ter ge­ra­ten da­bei in selt­sa­me, mit­un­ter ko­mi­sche Kor­re­spon­den­zen zu den auf den Bil­dern rast­los hin und her, auf und ab schrei­ten­den Ge­stal­ten: Ir­gend­wie fremd­ge­steu­ert bei­de, stre­ben die Schlem­mer-We­sen ge­mes­se­nen Schrit­tes und meist äthe­risch strah­lend rank und schlank zu Hö­he­rem, wäh­rend sich die Ir­di­schen in ih­ren von Zeit, Schwer­kraft und Er­fah­rung in­di­vi­du­el­le ge­form­ten Lei­bern durch die Aus­stel­lung schie­ben.

Die Be­liebt­heit Schlem­mers beim Pu­bli­kum er­schließt sich so­fort: Sei­ne Bil­der bie­ten ei­ne auf­ge­räum­te, ge­ra­de­zu clea­ne Äs­the­tik in zu­rück­hal­ten­der, har­mo­ni­scher, freund­li­cher Far­big­keit. Ei­gent­lich im­mer sind mensch­li­che Ge­stal­ten zu er­ken­nen, meist in an­ge­deu­te­te ar­chi­tek­to­ni­sche Zu­sam­men­hän­ge ein­ge­fügt, in sug­ge­sti­ven Po­sen und Kon­stel­la­tio­nen. Ei­ne klas­si­sche Mo­der­ne, de­ren Ir­ri­ta­ti­ons­ver­mö­gen fast gänz­lich ver­schwun­den ist, die uns aber noch ein­mal das gro­ße Ver­spre­chen auf ei­ne bes­se­re, ef­fi­zi­en­te­re, schwe­re­lo­se Welt spür­bar macht, das die Mo­der­ne auch ein­mal war.

Os­kar Schlem­mers Ge­mäl­de müss­ten ei­gent­lich die Wän­de der Smart Ho­mes von Si­li­con Val­ley-Ty­coo­nen schmücken, fi­nan­ziert vom Ge­winn aus Goog­le- und Ap­ple-Ak­ti­en.

Dass sie das bis­her nicht tun, liegt nicht an den In­ter­net-Un­ter­neh­mern, son­dern an den Schlem­mer-Er­ben. Nach dem Tot von Tut Schlem­mer, der Wit­we Schlem­mers, ver­hinderten de­ren Er­ben nicht nur den Ver­kauf sei­ner Wer­ke fast voll­stän­dig, son­dern auch vie­le Aus­stel­lun­gen so­wie Pu­bli­ka­tio­nen. Der Ruf von Os­kar Schlem­mer als ei­ner zen­tra­len Fi­gur der klas­si­schen Mo­der­ne, – wie ihn auch die Stutt­gar­ter Aus­stel­lung fei­er­te –, ist des­we­gen eher my­thi­scher Na­tur. Auf­grund der Ma­chen­schaf­ten sei­ner Er­ben und der Ängst­lich­keit vie­ler Mu­se­en ist sei­ne kunst­hi­sto­ri­sche Ein­ord­nung heu­te un­ge­nau, mehr Be­haup­tung als An­schau­ung. Aber nun, 70 Jah­re nach sei­nem Tod, ist die Dis­kus­si­on wie­der er­öff­net, denn nun sind die Rech­te an den Bil­dern frei.

Wei­ter­le­sen ...

Wie dann doch al­les schief­ge­gan­gen ist: Chri­sto­pher Clarks Schlaf­wand­ler

Christopher Clark: The Sleepwalkers
Chri­sto­pher Clark:
The Sleep­wal­kers
Der Er­folg von Clarks »Schlaf­wand­lern« (Spie­gel-Top10; Nr. 1‑Bestseller auf Ama­zon) in Deutsch­land ist auch ein Tri­umph des Mar­ke­tings und der stra­te­gi­schen Pro­dukt­pla­nung. Ge­nau zum rich­ti­gen Zeit­punkt, am An­fang des gro­ßen Ge­denk­ma­ra­thons zum WWI, wird das Buch mit um­fang­rei­chen Wer­be- und PR-Ma­te­ria­li­en in den über­re­gio­na­len Feuil­le­tons plat­ziert, die ge­schickt die Neu­ro­sen rechts-bür­ger­li­cher deut­scher Pu­bli­zi­sten und des AfD-wäh­len­den Teils des Pu­bli­kums be­die­nen. Ein Ver­gleich der »Blurbs«, die das eng­li­sche Ori­gi­nal be­wer­ben, und der Sprech­bla­sen auf der deut­schen Über­set­zung ist hier sehr in­struk­tiv. (Mein Text be­zieht sich auf die eng­li­sche Ta­schen­aus­ga­be Chri­sto­pher Clark, The Sleep­wal­kers. How Eu­ro­pe Went to War in 1914, Lon­don: Pen­gu­in Books, 2013) Gleich vor­weg: Clark schreibt kei­ne Apo­lo­gie des Kai­ser­rei­ches.

Tat­säch­lich las­sen sich die gut 560 Sei­ten rei­ner Text (oh­ne Fuß­no­ten) her­vor­ra­gend le­sen. Ana­ly­ti­sche Pas­sa­gen, zum Bei­spiel zur kom­ple­xen und kom­pli­zier­ten Struk­tur der po­li­ti­schen Ent­schei­dungs­pro­zes­se in den be­tei­lig­ten Staa­ten und de­ren Be­deu­tung für die tat­säch­li­chen Hand­lun­gen und de­ren Ab­läu­fe, sind ge­schickt in die er­zäh­le­ri­schen Pas­sa­gen in­te­griert. Dass Clark wirk­lich gut er­zäh­len kann, ist ein gro­ßes Plus des Bu­ches: Ent­scheidende Epi­so­den auf dem Weg in den Krieg wer­den sehr pla­stisch, die Haupt­akteure wer­den in klei­nen Vi­gnet­ten vor­ge­stellt. So ist man qua­si live da­bei, als ser­bi­sche Put­schi­sten Kö­nig Alex­an­dar und Kö­ni­gin Dra­ga ab­schlach­ten und dann ei­ni­ge der Kö­nigs­mör­der Jah­re spä­ter die Sa­ra­je­vo-At­ten­tä­ter re­kru­tie­ren oder beim Be­such des fran­zö­si­schen Staats­prä­si­den­ten Poin­ca­ré in Ruß­land wäh­rend der Hoch­zeit der Ju­li-Kri­se 1914, in­klu­si­ve des Ner­ven­zu­sam­men­bruchs des fran­zö­si­schen Re­gie­rungs­chefs Vi­via­ni.

Wei­ter­le­sen ...