Al­ban Ni­ko­lai Herbst: Klei­ne Theo­rie des Li­te­ra­ri­schen Blog­gens

Wäh­rend di­ver­se In­ter­net­ak­ti­vi­sten mit ih­ren schein­gewichtigen Pro­phe­zei­un­gen ent­we­der das Netz­paradies oder den Vor­hof der Höl­le aus­ge­ru­fen ha­ben und so­ge­nann­te »Al­pha-Blog­ger«, die schon län­ger zu­meist un­in­spi­riert ih­re Ich-AGs in Wer­be­spots, Talk­shows oder On­line­ko­lum­nen pfle­gen und da­bei nur ei­nen reiz- und in­halts­lo­sen Raum der Selbst­re­fe­ren­tia­li­tät fül­len (trau­riger Hö­he­punkt war das lä­cher­li­che In­ter­net-Ma­ni­­fest von 2009), schreibt Al­ban Ni­ko­lai Herbst seit sie­ben Jah­ren ei­nen Web­log, der, wür­de man ihn aus­drucken wol­len, in­zwi­schen Ar­no-Schmidt-Aus­ma­ße an­neh­men wür­de. Herbst, der Schrift­steller, be­treibt (s)einen Li­te­ra­ri­schen Web­log. Zu le­sen ist das vir­tu­el­le Kon­vo­lut seit 2004 un­ter dem wuch­ti­gen Ti­tel Die Dschun­gel. An­ders­welt.; die Web­adres­se weist in­des auf sei­nen Ur­heber hin (der längst nicht mehr der al­lei­ni­ge Au­tor ist). Auch wenn die zum Teil äu­ßerst theo­re­ti­sche, ja di­stan­zier­te Be­trach­tung an­de­res ver­mu­ten las­sen könn­te: Herbst ist tief in sein Ge­we­be ver­sun­ken, mit ihm und in ihm fast phy­sisch in­fil­triert. Da­bei ist auch die­ser Blog von nar­ziss­ti­schen Selbst­dar­stel­lun­gen nicht frei, aber im Ge­gen­satz zu den mei­sten ideo­lo­gisch ver­bohr­ten Netz­theo­re­ti­kern mit ih­ren ehr­pus­se­li­gen Allein­vertretungsansprüchen sind sei­ne Re­fle­xio­nen nicht nur les­bar, son­dern wer­den in der täg­li­chen Pra­xis ver­sucht. Der Le­ser kann die Ent­wick­lung des Den­kens zum und über den Li­te­ra­ri­schen Web­log über die Jah­re hin­weg nicht nur nach­le­sen, son­dern auch im Me­di­um sel­ber er­fah­ren. Dies in­klu­si­ve der fast zwangs­läu­fig ent­ste­hen­den Irr­tü­mer und not­we­ni­gen Kor­rek­tu­ren. Die »Klei­ne Theo­rie des Li­te­ra­ri­schen Blog­gens« ist in­zwi­schen on­line auf 131 Tex­te an­ge­wach­sen (Stand: 21. Ok­to­ber 2011). In der »edi­ti­on ta­ber­na kri­ti­ka« ist nun ei­ne Pa­per­back-Aus­ga­be mit 133 Tex­ten auf rd. 130 Sei­ten er­schie­nen.

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Brow­ser, Harm­schar, Zer­ve­lat­wurst

Kluge, 25. Ausgabe
Klu­ge, 25. Aus­ga­be

Wer kennt sie nicht, die­se Zei­ten der Le­se­un­lust, ei­ner Mi­schung aus Über­druß, Me­lan­cho­lie und Träg­heit. Ei­ne Art Mi­kro-Burn-Out (um im Duk­tus der Zeit zu re­den). Wie schön ist es dann, für ei­ne kur­ze Zeit in Ab­schwei­fun­gen und Ver­zettelungen zu fal­len, die nicht mit dem An­schau­en der Über­tragung des Fuß­ball­spiels zwi­schen dem VfL Bo­chum und En­er­gie Cott­bus oder dem Ver­fol­gen ei­ner Do­ku-Soap auf RTL tot­ge­schla­gen wird. Wie rei­ni­gend die­se Lee­re, die­ser Mo­ment, in dem plötz­lich al­les ver­blasst und das vor­mals Wich­ti­ge nach hin­ten ge­scho­ben wird. Die­ses Phä­no­men wird in der ak­tu­el­len Dis­kus­si­on um die Ge­fah­ren, die das In­ter­net mit sich bringt (bzw. mit sich zu brin­gen scheint) zu­meist als Ab­len­kung und Un­kon­zen­triert­heit be­schrieben. Kul­tur­kri­ti­sche Be­trach­tun­gen brand­mar­ken die­ses »Her­um­sur­fen« im Netz, die­ses von ei­nem Link zum an­de­ren Link her­um­klicken. Da­bei gibt es ei­nen sehr schö­nen Aus­druck hier­für, der fest in der ana­lo­gen Zeit ver­haf­tet scheint: Man kommt vom Hölz­chen aufs Stöck­chen.

Die Lust­lo­sig­keit, ei­ner Sa­che – war­um auch im­mer – strin­gent zu fol­gen ist po­si­tiv aus­ge­drückt die Lust, sich ein­fach ein­mal wie­der neu über­ra­schen zu las­sen. Hier­für brau­che ich nicht un­be­dingt das In­ter­net (eher im Ge­gen­teil: zu oft lan­det man doch wie­der auf das Alt­be­kann­te oder im Feuil­le­ton der FAZ) oder di­ver­se Ap­pa­ra­te mit oder oh­ne an­ge­bis­se­nes Obst. Es gibt ein Buch, in das ich mich manch­mal sehr ger­ne fal­len­las­se. Ein Buch, das man zu­nächst bei­läu­fig zur Hand nimmt um et­was nach­zu­schla­gen – und sich dann in ihm lust­voll ver­liert. Ich re­de vom Ety­mo­lo­gi­schen Wör­ter­buch der deut­schen Spra­che, dem »Klu­ge«.

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Nur zwei Cent

»Ja, ich bin Jour­na­li­stin. Und, ja: Ich ha­be ei­ne ei­ge­ne po­li­ti­sche Mei­nung« schreibt ERL­kö­ni­gin als Auf­ma­cher zu ih­rem Ar­ti­kel mit dem pa­the­ti­schen Ti­tel »Das Recht auf Mei­nung«. Pa­the­tisch des­halb, weil da­mit un­ter­schwel­lig sug­ge­riert wird, dass es ir­gend­je­mand gibt, der die­ses Recht in Ab­re­de stellt. (So im­mu­ni­siert man sich ge­gen Kri­tik.) Schnell wird man bei ERL­kö­ni­gin fün­dig: »An die Mär des ewig neu­tra­len Be­ob­ach­ters glau­be ich nicht.« Und em­pha­tisch fährt sie fort: »Sol­che Jour­na­li­sten brau­che ich per­sön­lich auch nicht. Als Le­ser – und das bin ich eben­falls täg­lich – will ich wis­sen, wie Men­schen, die in der Sa­che um ei­ni­ges nä­her dran sind als ich, The­men ein­ord­nen.«

Zu­nächst ein­mal stellt sich die Fra­ge, wer Jour­na­li­sten ein »Recht auf Mei­nung« be­strei­tet? Na­tür­lich sind Jour­na­li­sten kei­ne Mei­nungs­e­u­nu­chen. Aber was be­deu­tet dies für die all­täg­li­che Be­richt­erstat­tung? Geht es viel­leicht nicht eher dar­um, dass Mei­nungs­jour­na­lis­mus von der rein sach­li­chen »Nach­richt« (dem Nach­ge­reich­ten) zu tren­nen ist, um nicht – auch so ei­ne mo­di­sche For­mu­lie­rungs­flos­kel – den Le­ser zu be­vor­mun­den oder zu­min­dest (sanft oder per­fi­de?) zu ma­ni­pu­lie­ren?

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Ur­su­la Ti­mea Ros­sel: Man neh­me Sil­ber und Knob­lauch, Er­de und Salz

Ir­gend­wann, ziem­lich früh, kommt ei­nem das Bild von Dü­rers Kup­fer­stich des hl. Hie­ro­ny­mus im Gehä­us in den Sinn. Zu­mal wenn man spä­ter er­fährt, dass die Ab­kür­zung »hl.« auch »höl­lisch« hei­ßen könn­te. Hier er­zählt al­so die hl. (= höl­li­sche) Ti­mea am Kü­chen­tisch – viel­leicht ei­nen Schnee­lö­wen vor ih­ren Fü­ßen (dem sie frei­lich kei­nen Dorn aus der ...

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Um­ber­to Eco: Der Fried­hof in Prag

Umberto Eco: Der Friedhof in Prag
Um­ber­to Eco: Der Fried­hof in Prag

Rund 650.000 Ex­em­pla­re sind von Um­ber­to Ecos »Der Fried­hof in Prag« seit Ok­to­ber 2010 in Ita­li­en ver­kauft wor­den. In An­be­tracht des­sen, wel­che Bü­cher in Deutsch­land Mil­lio­nen­auf­la­gen er­zie­len, spricht das zu­nächst ein­mal deut­lich für die Kul­tur­na­ti­on Ita­li­en. In 40 Spra­chen soll das Buch über­setzt wer­den. Mit der deut­schen Aus­ga­be zieht der Han­ser-Ver­lag al­le Re­gi­ster sei­ner Mar­ke­ting-Kunst. Es gibt für das Kri­ti­ker­volk so­gar ein »Ein­le­se­buch« – un­ter an­de­rem mit Per­so­nen- und Zeit­re­gi­ster zum Ro­man und ei­nem Auf­satz über Ver­schwö­rungs­theo­rien von Phil­ipp Blom. Die­ser schreibt, es sei letzt­lich gleich­gül­tig, ob Verschwörungs­theorien wahr sei­en oder nicht. Sie müss­ten nur »aus­reichend viel Wahr­heit be­inhal­ten, um plau­si­bel zu sein«, aber ih­re »ei­gent­li­che Kraft« lä­ge im »emo­tio­na­len Sog…im Ver­spre­chen von Sinn, von ei­nem Gan­zen, an das man glau­ben kann und des­sen Teil man wird«. Das ist na­tür­lich nicht falsch, er­klärt aber nicht den Sog von Ver­schwörungstheorien, die, je nach La­ge, kom­pli­zier­te Vor­gän­ge ra­di­kal ver­ein­fa­chen oder auch ein­fa­che Er­eig­nis­se mit Kom­ple­xi­tät auf­la­den.

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Au­ßer Dienst, auf Jagd

A.d.L.e.R: Aus dem Le­ben ei­ner Rik­scha­fah­re­rin – Nr. 18

Von park­lie­gen und na­se­boh­ren kann über­haupt kei­ne Re­de sein. So ein Sti­pen­di­um ist furcht­bar an­stren­gend. Ich ar­bei­te rund um die Uhr, ich ken­ne kein Weekend, nachts träu­me ich da­von. Ich trei­be mich in Bi­blio­the­ken und Ar­chi­ven her­um, re­de mit Leu­ten, sit­ze Stun­den um Stun­den vorm Bild­schirm, schrei­be, lö­sche, kor­ri­gie­re. Die Au­gen wer­den zu­neh­mend schlech­ter, die Schul­ter ist ver­spannt. Ich ver­ges­se zu es­sen, ich le­se, schla­ge et­was nach, Wä­sche und Ge­schirr tür­men sich auf, Frucht­flie­gen meh­ren sich, al­les liegt über­all her­um, nichts wo es hin­ge­hört. Mit ei­ner Aus­nah­me: Von ih­ren Bil­dern an der Kühl­schrank­tür schau­en mich die Ro­man­fi­gu­ren an. Sie sind schon lan­ge tot, aber jetzt zie­ren sie sich, und ich lau­fe ih­nen nach.

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Ma­nue­la Fuel­le: Fen­ster auf, Fen­ster zu

Manuela Fuelle: Fenster auf, Fenster zu
Ma­nue­la Fuel­le:
Fen­ster auf, Fen­ster zu

An­fangs denkt man es geht um Wal­ter, Elas Va­ter. Der Va­ter, der »Mut­ter und Va­ter in ei­nem war«. Der Va­ter und sei­ne Schrul­len. »Epi­ku­reisch« nennt ihn Ela, die Ich-Er­­zäh­le­rin. Das stimmt nur be­dingt. Ob­wohl: Die Sparsam­keit geht schein­bar in skur­ril-krea­ti­vem Geiz über. Die Bröt­chen sind ihm zu teu­er. Nach ei­nem Ge­spräch mit dem Bäcker holt er für Klein­geld die »al­ten« Bröt­chen ab. Und steht ab so­fort um 2 Uhr mor­gens da­für auf. Dumm ist er auch nicht. Er be­schäf­tigt sich mit Spi­no­za oder He­gel. Hil­fe kann er nicht aus­hal­ten; die Rücken­schmer­zen wer­den ver­tuscht.

Aber es bleibt nicht bei den An­ek­do­ten. 1968 ist Ela fünf Jah­re alt, als sich die El­tern schei­den las­sen. Sie und ih­re Ge­schwi­ster soll­ten sich ent­schei­den – für den Va­ter oder die Mut­ter. Jetzt und so­fort. Dass die El­tern zu­sam­men­blei­ben soll­ten – ihr Wunsch – war nicht vor­ge­se­hen. Sie, die Äl­te­ste, ent­schied sich für den Va­ter. Jahr­zehn­te spä­ter wohnt Ela in Tü­bin­gen und er­hält mah­nen­de Brie­fe von ih­ren Ge­schwi­stern: Der Va­ter sei ver­wirrt, be­dür­fe der Hil­fe. Und weil sie, Ela, die­sem Ur­teil über ih­ren Va­ter im­mer wi­der­spro­chen ha­be, soll sie ihn su­chen. Denn er ist spur­los ver­schwun­den – we­der in der Stadt noch auf sei­nem Hof im Groß­raum Ber­lin auf­find­bar; kein Le­bens­zei­chen. Da­bei hat­ten die Ge­schwi­ster Pro­ble­me Ela tele­fonisch zu er­rei­chen. Die ging nicht an den Ap­pa­rat. Der Ap­fel, der nicht all­zu weit vom Stamm fällt.

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An­drzej Sta­si­uk: Hin­ter der Blech­wand

Andrzej Stasiuk: Hinter der Blechwand
An­drzej Sta­si­uk:
Hin­ter der Blech­wand
    Ich konn­te mich wirk­lich nicht er­in­nern, wann ich ihn zum er­sten Mal ge­trof­fen ha­be. Er war wie der Geist die­ser Stadt. Er ver­kör­per­te sie: grau, un­schein­bar, fast durch­sichtig. Der erst­ge­bo­re­ne Sohn der All­täg­lich­keit, von Ge­burt an im Schei­tern be­wan­dert. Aber man muß­te ihn nur an­schau­en, den Blick auf ihn hef­ten, um nicht durch ihn hin­durch­zu­se­hen, und schon war er ein an­de­rer. Wenn je­mand ihn wahr­nahm, wur­de er sicht­bar. Er sam­mel­te sich, ge­riet in Span­nung, sei­ne Ge­gen­wart ver­dich­te­te sich. Er war über­all, sah und wuß­te al­les, den Rest ahn­te er.

Die Re­de ist von Wła­dek. Er und der Er­zäh­ler, Pa­wel, kau­fen und ver­kau­fen haupt­säch­lich Tex­ti­li­en (Pa­ris – Lon­don – New York) auf den Wo­chen- und Jahr­märk­ten Ost­eu­ro­pas. Sie sind die (selbst­er­nann­ten) Kö­ni­ge des Plun­ders. Da­bei müs­sen sie sich zu­se­hends mit den An­bie­tern der asia­ti­schen Pro­duk­te mes­sen, die­sem Ramsch und Tand von er­bärm­li­cher Qua­li­tät. Klei­dungs­stücke, die schon nach kur­zer Zeit nur noch als Putz­lap­pen tau­gen. In den be­sten Mo­men­ten ver­nimmt man im Hin­ter­grund die­ser zum Teil rü­den Be­schimp­fun­gen des asia­ti­schen Bil­lig­krams ein zwi­schen Ehr­furcht und Fe­ti­schis­mus chan­gie­ren­des Sen­ti­ment zum das Ding, das, trotz al­ler kom­mer­zi­el­len At­ti­tü­den, mehr ist als nur schnö­des Han­dels­ob­jekt. (Oder ist man jetzt schon auf die Władek’sche Wer­bung rein­ge­fal­len?)

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