Jo­sef W. Jan­ker

1998 las ich Jo­sef W. Jan­kers »Zwi­schen zwei Feu­ern«. Der Ro­man hat kei­nen ein­zel­nen Haupt­prot­ago­ni­sten, son­dern meh­re­re. Ge­schil­dert wer­den Er­eig­nis­se des Zwei­ten Welt­kriegs in Russ­land bis un­ge­fähr An­fang 1945. Wie al­le Ro­ma­ne die­ses Gen­res er­zählt der Au­tor zu­nächst von den be­kann­ten Ge­ge­ben­hei­ten: der Käl­te, dem stumpf­sin­ni­gen Wa­che­schie­ben, dem ewi­gen »Auf-der-Hut-Sein«, usw. Es ist dann die ...

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Ni­co­lai Li­lin: Si­bi­ri­sche Er­zie­hung

»Bar­fuß« heißt ei­gent­lich Ni­co­lai. Je­der hat ei­nen sol­chen Kampf­na­men, ob nun »Igel«, »Mel«, »Tai­ga«, »Pflau­me«, »Ga­ga­rin« oder »Ne­bel«. Sie sind Si­bi­rer heißt es ein biss­chen pau­schal und gleich­zei­tig ge­heim­nis­voll und Mit­glie­der in ei­ner star­ken Welt. Sie ge­hö­ren zu den Ur­ki. Man hält das an­fangs für ei­nen in­di­ge­nen Stamm, aber »Ur­ki« ist ei­gent­lich nur ein Syn­onym für »Ga­no­ve«. Sie le­ben in Trans­ni­stri­en, weil ih­re Vor­fah­ren vor dem Kom­mu­nis­mus flie­hen muss­ten oder ge­flo­hen sind, wes­halb sie sich als po­li­ti­sche Wi­der­ständ­ler ge­rie­ren, denn sie wa­ren ge­gen den kom­mu­ni­sti­schen Staat. Aber sie sind ge­gen je­den Staat, denn kei­ne po­li­ti­sche Macht, un­ter wel­cher Flag­ge auch im­mer, ist so viel wert wie die na­tür­li­che Frei­heit ei­ner ein­zi­gen Per­son. Ein flam­men­des Plä­doy­er für die Frei­heit – und kei­nes ei­ner pseu­do-li­be­ra­len Par­tei. Hier ist ei­ne an­de­re Frei­heit ge­meint. Es ist ei­ne an­ar­chi­stisch-per­ver­tier­te Form ei­nes Frei­heits­be­griffs von Ver­bre­chern, die sich auch so be­zeich­nen und stolz sind, an­stän­di­ge Kri­mi­nel­le zu sein.

Kri­mi­nel­le mit ei­nem kom­pli­zier­ten und bis ins letz­te De­tail aus­ge­feil­ten Verhaltens‑, Eh­ren- und Sank­ti­ons­co­dex; nicht un­ähn­lich dem al­ba­ni­schen Ka­nun. Ni­co­lai Li­lin be­schreibt in sei­nem Buch »Si­bi­ri­sche Er­zie­hung« Auf­wach­sen und Er­zie­hung als Kri­mi­nel­ler und ver­schafft ei­nen um­fas­sen­den Ein­blick in Den­ken, Han­deln und Le­ben die­ser Men­schen, die Po­li­zi­sten Kö­ter nen­nen und nicht ein­mal mit ih­nen re­den. Sie, die Ver­wei­ge­rer jeg­li­cher Re­geln ei­ner Staats­ge­walt, ak­zep­tie­ren nur ih­re al­ten, über­lie­fer­ten Hand­lungs­ma­xi­me, die sie mit ei­nem Ge­rech­tig­keits­ge­ruch ver­se­hen, das un­ter Um­stän­den auch für vie­le Des­il­lu­sio­nier­te enorm at­trak­tiv ist.

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An­dre­as Mai­er: On­kel J.

Andreas Maier: Onkel J.
An­dre­as Mai­er: On­kel J.
In den letz­ten Jah­ren ha­be ich viel­leicht zwei oder drei Aus­ga­ben der Li­te­ra­tur­zeit­schrift »Voll­text« ge­kauft. Ein­mal weiß ich es ganz ge­nau, weil dort Al­ban Ni­ko­lai Herbsts Ro­man »Mee­re« ab­ge­druckt war. Tat­säch­lich der gan­ze Ro­man. Voll­text eben. Die an­de­ren Ma­le weiß ich die Kauf­grün­de nicht mehr. Die Aus­ga­be mit »Mee­re« hat­te ich nach der Lek­tü­re kur­ze Zeit spä­ter ei­ner Freun­din ge­schickt. Die an­de­ren Aus­gaben fin­de ich nicht mehr, was ei­gent­lich un­ge­wöhn­lich ist, da ich ei­gent­lich so schnell nichts weg­wer­fe. Neu­lich ha­be ich so­gar noch zwei Aus­ga­ben von »Li­te­ra­tu­ren« ge­fun­den, die drei, vier Jah­re alt wa­ren.

Da ich nun of­fen­sicht­lich so ober­fläch­lich die we­ni­gen Aus­ga­ben von »Voll­text« ge­le­sen ha­be, ist mir ent­gan­gen, dass dort An­dre­as Mai­er Kolum­nen ge­schrie­ben hat. Viel­leicht schreibt er dort noch im­mer Ko­lum­nen. Je­den­falls sind nun drei­und­zwan­zig Ko­lum­nen, die An­dre­as Mai­er von 2005 bis 2010 in »Voll­text« ge­schrie­ben hat, in ei­nem Büch­lein er­schie­nen. Es heißt »On­kel J.« und im Un­ter­ti­tel »Hei­mat­kun­de«. Es ist sehr schön, dass die­se Ko­lum­nen jetzt zusammen­gefasst er­schie­nen sind.

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Schrift­stel­ler und Werk

Ein Schrift­stel­ler schreibt zum gro­ßen Teil, da­mit man ihn liest (be­wun­dern wir je­ne, die das Ge­gen­teil be­haup­ten, aber glau­ben wir ih­nen nicht). Doch mehr und mehr schreibt er bei uns, um je­ne Wei­he zu er­rei­chen, die dar­in be­steht, nicht ge­le­sen zu wer­den. Von dem Au­gen­blick an näm­lich, wo er den Stoff für ei­nen pit­to­res­ken Ar­ti­kel in un­se­rer Pres­se mit gro­ßer Auf­la­ge lie­fern kann, hat er al­le Aus­sich­ten, von ei­ner gro­ßen An­zahl von Leu­ten ge­kannt zu wer­den, die ihn nie mehr le­sen, weil sie sich da­mit be­gnü­gen wer­den, sei­nen Na­men zu ken­nen und über ihn zu le­sen. Er wird in Zu­kunft be­kannt (und ver­ges­sen sein), nicht, wie er ist, son­dern nach dem Bild, das ein ei­li­ger Pres­se­jour­na­list von ihm ent­wor­fen hat.

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Frank Fi­scher: Die Süd­harz­rei­se

Frank Fischer: Die Südharzreise
Frank Fi­scher: Die Süd­harz­rei­se

Wie­so wer­den in den Zei­tun­gen ne­ben Bü­chern und Fil­men ei­gent­lich nicht sy­ste­ma­tisch Au­to­bah­nen re­zen­siert? fragt Frank Fi­scher am 3. Ok­to­ber 2008 um 4.28 Uhr bei Bad Lauch­städt. Da ist er schon seit fast vier­ein­halb Stun­den auf der A38 (bzw. das, was zu die­sem Zeit­punkt be­reits A38 war) un­ter­wegs. Am 2. Ok­to­ber um 23.59 Uhr von Leip­zig aus ge­star­tet bis nach Göt­tin­gen (21.20 Uhr, 612 km) und am 4.10. um 1:01 Uhr wie­der in Leip­zig ein­tref­fend (noch ein­mal rd. 250 km). Dar­aus ent­stand »Die Süd­harz­rei­se« – tat­säch­lich par­ti­ell so et­was wie ei­ne Re­zen­si­on der A38, et­wa wenn um 3.59 Uhr das Kreuz Ripp­ach­tal wie ei­ne ver­bor­ge­ne Va­ri­an­te der Schwe­be­bahn­li­ni­en von Got­ham Ci­ty wirkt (nur ein Bei­spiel für die im Buch im­mer wie­der auf­schei­nen­den, prä­gnan­ten Bil­der), die­ser »Hän­del-Au­to­bahn« (wie sie schon halb­of­fi­zi­ell ge­nannt wird; der Au­tor fin­det tref­fen­de­re und manch­mal fast zärt­li­che Be­zeich­nun­gen).

Ein we­nig er­in­nert das an Aste­rix’ und Obe­lix’ »Tour de France«, als die bei­den Un­be­sieg­ba­ren von je­dem be­such­ten Ort ei­ne (meist ku­li­na­ri­sche) Spe­zia­li­tät mit­brach­ten (wo­bei es Uder­zo und Go­scin­ny of­fen­ge­las­sen ha­ben, wie man die­se Köst­lich­kei­ten vor dem Viel­esser Obe­lix ins Ziel ret­ten konn­te).

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Cle­mens Mey­er: Ge­wal­ten


Ei­ne wil­de, alp­traum­haf­te Er­zäh­lung von ei­nem Mann, der an ein Bett ge­fes­selt, fi­xiert ist und ge­ra­de des­halb schier unge­ahnte Kräf­te be­kommt, be­ginnt mit dem Bett zu rei­ten, es be­wegt sich so­gar und er schreit. »Ge­wal­ten«. Da­bei Ge­dankenflut, Ga­lopp­ren­nen, Bars, be­son­ders das »Brick’s«, die ewi­gen 89er, die zur Ni­ko­lai­kir­che pil­gern. Leip­zig al­so. Hilf­lo­sig­keit, Ver­zweif­lung ge­paart mit Trotz und Auf­leh­nung. Ei­ne Schwe­ster kommt, er spuckt ihr ins Ge­sicht (ei­ne Kunst aus die­ser Ent­fer­nung und die­sem Win­kel) und sie kom­men mit ei­nem Kis­sen, wel­ches sie ganz lang­sam auf sein Ge­sicht le­gen und et­was War­mes schießt in sei­nen Arm, Er­in­ne­rung an New York, den Ma­ler Pau­le Ham­mer (sein Bild »AUA« ist das Co­ver des Bu­ches) und spä­ter dann ein Ich bin noch da, ihr Schwei­ne.

Ei­ne neue Ge­schich­te, ei­ni­ge Mo­na­te spä­ter. Der Le­ser er­fährt über die Zwi­schen­zeit nichts. Der Er­zäh­ler will sich mit ei­nem Mann am Leip­zi­ger Bahn­hof tref­fen, ei­nem In­ter­es­sen­ten für Film­dreh­bü­cher. Die gan­ze Sze­ne­rie im Bahn­hof ist na­he­zu kaf­ka­esk, der Agent sucht das schlech­te­ste Ca­fé aus, spricht lei­se, man fach­sim­pelt über Fil­me, Regiss­eure, Peckin­pah, Bog­d­a­no­vich, Sze­nen, bei­de sind Ken­ner, der Frem­de ver­lässt das Ca­fé für zehn Mi­nu­ten und kommt plötz­lich mit ei­ner Map­pe wie­der. Dann ein Schnitt. Plötz­lich in sei­nem ver­dun­kel­ten Zim­mer, so­zu­sa­gen ver­gra­ben, Bil­der an der Wand, die grin­sen, Abu Ghraib, Gu­an­tá­na­mo und die Ge­schich­te von K. Ein mo­der­ner K. und der Er­zäh­ler er­lei­det mit, die De­mü­ti­gun­gen. Re­mi­nis­zenz an Char­lie Chap­lin in »Mo­dern Times« in den rie­si­gen Zahn­rä­dern und dann die Rea­li­tä­ten der Woh­nung, die Zi­ga­ret­ten, die er weg­spült und dann kurz da­nach sucht, ob er nicht ei­ne da­ne­ben ge­wor­fen hat. Der Fall K. als »M.A.S.H.«-Film? Ge­dan­ken zum Is­lam, zum Glau­ben (ich kann das näm­lich nicht mehr), Goe­the und sein Re­spekt vor dem Ko­ran (gro­ße Dich­tung!). »My film is Gu­an­tá­na­mo« wird Cop­po­la pa­ra­phra­siert. Und dann ver­schmel­zen al­le Fi­gu­ren, die pri­va­ten, die Leu­te auf den Fo­to­gra­fien, die Frau, die ei­nen Häft­ling aus Abu Ghraib an der Lei­ne führt und plötz­lich ist er K., sieht sich Ver­hör­leu­ten ge­gen­über; de­li­riert. Die Ent­span­nung dann: das Ge­fühl, in sei­nem Zim­mer be­ob­ach­tet zu wer­den, wie in ei­nem »Bern­stein« ein­ge­schlos­sen.

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Die Un­fä­hig­keit, zu goog­len (2)

Ste­fan Win­ter­bau­er schaut ja ein biss­chen trau­rig auf dem Fo­to. Er hat auch ei­nen Ar­ti­kel ge­schrie­ben, der trau­rig ist. Trau­rig für Jour­na­li­sten.

Win­ter­bau­er schreibt für Mee­dia, des­sen Chef Ge­org Alt­rog­ge bei Ste­fan Nig­ge­mei­er für die Be­richt­erstat­tung über ei­nen ver­meint­li­chen Be­trug ei­nes Jour­na­li­sten stark kri­ti­siert wur­de. Alt­rog­ge hat nun et­was ge­macht, was sel­ten ist, er hat sich in die Dis­kus­si­on bei Nig­ge­mei­er ein­ge­bracht. So weit, so gut.

Ir­gend­wann ver­lief die Dis­kus­si­on je­doch nicht mehr so, wie sich je­mand wie Alt­rog­ge das of­fen­sicht­lich vor­stellt. Er stell­te dann ir­gend­wann die »Grund­satz­fra­ge«, die sehr ger­ne her­vor­ge­holt wird, wenn die Ar­gu­men­te brü­chig wer­den: nach der An­ony­mi­tät der Kom­men­ta­to­ren. Er schrieb dem Kom­men­ta­tor »treets« am 31.03.10 um 23.07 Uhr:

»Von Ih­nen wür­de ich mir wün­schen, dass Sie bei Ste­fan Nig­ge­mei­er wie bei Mee­dia un­ter Ih­rem Klar­na­men kom­men­tie­ren wür­den. Wenn ei­ner sich so wie Sie ann­onym [sic!] der­art aus dem Fen­ster lehnt, ist das lei­der nur fei­ge.«

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