Wolf­gang Herrn­dorf: Bil­der dei­ner gro­ßen Lie­be

Wolfgang Herrndorf: Bilder deiner großen Liebe
Wolf­gang Herrn­dorf:
Bil­der dei­ner gro­ßen Lie­be

Nicht un­be­dingt das Buch, son­dern die Re­ak­tio­nen hier­auf sind er­staun­lich: Da wird post­hum ein ei­gent­lich »un­voll­ende­ter Ro­man« (Un­ter­ti­tel) von Wolf­gang Herrn­dorf ver­öf­fent­licht und das gan­ze Feuil­le­ton ju­belt hym­nisch und türmt Ver­glei­che auf von Käst­ners »Fa­bi­an« über Noote­booms Phil­ip (»Das Pa­ra­dies ist ne­ben­an« – so lau­te­te der ur­sprüng­li­che Ti­tel die­ses wun­der­ba­ren Bu­ches), Mo­ritz’ »An­ton Rei­ser« (der kommt so­gar ein­mal vor) bis zu Goe­thes Mi­gnon-Fi­gur.

Es ist ein lei­der häu­fig zu be­ob­ach­ten­des Phä­no­men: die tra­gisch oder früh ums Le­ben ge­kom­me­nen Schrift­stel­ler wer­den die Lieb­sten und die Be­sten. Vor­her kaum zur Kennt­nis ge­nom­men, be­kom­men sie ei­ne Wiedergut­machung ge­ra­de­zu auf­ge­drängt. Wolf­gang Herrn­dorf hat die­sen Ge­sin­nungs­wech­sel sel­ber noch mit­er­lebt: Als er sei­ne schwe­re Krank­heit öf­fent­lich mach­te und dar­über im In­ter­net Ta­ge­buch führ­te nah­men plötz­lich die Sym­pa­thie­kund­ge­bun­gen der­art zu, dass dem Au­tor die­se Zu­wen­dung reich­lich su­spekt vor­kam (in »Ar­beit und Struk­tur« nach­zulesen) und mehr ver­stör­te als freu­te. Und nun er­scheint al­so ein nach­ge­las­se­ner Text Herrn­dorfs, 33 epi­so­den­ar­ti­ge, zum Teil nur lo­se mit­ein­an­der ver­bun­de­ne Ka­pi­tel über ei­ne Aus­rei­ße­rin na­mens Isa, die, das »wis­sen« die Re­zen­sen­ten merk­wür­di­ger­wei­se, 14 oder – wie es ein­mal heißt – 18 Jah­re alt ist (ei­ne der­art ex­pli­zi­te Al­ters­an­ga­be gibt es al­ler­dings nir­gends, nur ein­mal ein ab­schät­zen­der Count­down ei­nes Prot­ago­ni­sten). Isa ist ei­ner Ner­ven­heil­an­stalt oder ein­fach nur ei­nem Heim ent­lau­fen, irrt nun durch Städ­te, Dör­fer, Wäl­der, Fel­der. Au­ßer ih­rer Klei­dung be­sitzt sie nur ein Ta­ge­buch und zwei Ta­blet­ten. Mit der Ein­nah­me der letz­ten Ta­blet­te be­schließt sie, ge­heilt zu sein.

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Jour­na­li­sti­sche Pra­xis beim ORF?

Es war wohl ei­lig. Ben­ja­min Feich­ter er­bat bei mei­ner Ver­le­ge­rin, Bar­ba­ra Mi­k­law, ein pdf-Ex­e­m­­plar mei­nes Bu­ches »Der Ge­ruch der Fil­me«. Es soll­te um ei­nen Be­richt des ORF zur Film­schau »Pe­ter Hand­ke geht ins Ki­no« im METRO Kul­tur­haus in Wien ge­hen. Mit sich rin­gend und mit den üb­li­chen Hin­wei­sen zur Nicht­wei­ter­ga­be ver­se­hen, ent­sprach sie schließ­lich Herrn ...

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»Die gro­ße Ek­sta­se des Bild­schnit­zers Stei­ner«

Im METRO Ki­no­kul­tur­haus in Wien gibt es der­zeit ei­ne in­ter­es­san­te Film­schau: »Pe­ter Hand­ke geht ins Ki­no«. 27 Fil­me, die Pe­ter Hand­ke aus­ge­sucht hat, wer­den hier bis Mit­te No­vem­ber ge­zeigt wer­den. So­fern man die Zet­tel Hand­kes le­sen kann, sind nicht al­le sei­ne Wün­sche er­füllt wor­den, aber sehr vie­le. Das Pan­ora­ma der Aus­wahl ist breit ge­fä­chert: Es ...

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Der Is­la­mi­sche Staat: I. Ei­ne un­be­ant­wor­te­te Fra­ge.

In die­sem und den fol­gen­den Tex­ten sol­len ei­ni­ge Ge­dan­ken und As­so­zia­tio­nen die mit dem aus­ge­ru­fe­nen Ka­li­fat (dem Is­la­mi­schen Staat) im wei­te­sten Sinn in Zu­sam­men­hang ste­hen, for­mu­liert wer­den, mehr als The­sen und Aus­gangs­punk­te all­fäl­li­ger Dis­kus­sio­nen, denn als ab­ge­schlos­se­ne Über­le­gun­gen.

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Der Licht­samm­ler und sein Sohn

Ei­ne Be­geg­nung in Hi­ro­shi­ma

Es wird im Jahr 1978 ge­we­sen sein, zu ei­ner Zeit, als an den Uni­ver­si­tä­ten noch ein we­nig schöp­fe­ri­sche Un­ru­he zu fin­den war, da sah ich mich in ei­ner ba­sis­de­mo­kra­ti­schen Ver­samm­lung auf­ge­ru­fen, mei­ne Stim­me für Ro­bert Jungk ab­zu­ge­ben. Der Zukunfts­forscher, so wur­de er ti­tu­liert, soll­te ei­ne Pro­fes­sur an der Salz­bur­ger Uni­ver­si­tät er­hal­ten. Na­tür­lich hat­te ich von Ro­bert Jungk schon ge­hört, Bü­cher wie Der Atom­staat wa­ren den lin­ken Stu­den­ten zu­min­dest dem Na­men nach be­kannt. Hät­te ich mich, wie je­ne Kol­le­gen, die in Bus­sen von Salz­burg nach Zwen­ten­dorf ge­fah­ren wa­ren, im Wi­der­stand ge­gen das öster­rei­chi­sche Atom­kraft­werk en­ga­giert, ich hät­te wohl et­was mehr ge­wußt über den Mann dem wei­ßen Haar­schopf, wä­re ihm viel­leicht so­gar über den Weg ge­lau­fen. Aber daß wir uns längst mit­ten in ei­ner Um­welt­kri­se be­fan­den, die zu­neh­mend dra­ma­tisch wur­de, war mir da­mals noch nicht klar. Ro­bert Jungk hin­ge­gen war ei­ner der Er­sten und Hell­sich­tig­sten, wenn es um öko­lo­gi­sche The­men ging. Das weiß ich heu­te, und ge­nau­er weiß ich es auch nur, weil ich un­längst ei­nen Vor­trag von Pe­ter Ste­phan Jungk über sei­nen Va­ter ge­hört ha­be.

Von Pe­ter Ste­phan Jungk hat­te ich wäh­rend je­ner ba­sis­de­mo­kra­ti­schen Ver­samm­lung wo­mög­lich ein Buch in der Um­hän­ge­ta­sche: Stech­pal­men­wald, er­schie­nen in der ex­qui­si­ten Coll­ec­tion S. Fi­scher. Selt­sam, ich kam lan­ge nicht auf den Ge­dan­ken, zwi­schen die­sem Au­tor und dem be­rühm­ten Jour­na­li­sten Ro­bert Jungk ei­nen Zu­sam­men­hang her­zu­stel­len. Ich glau­be tat­säch­lich, Pe­ter – so nen­ne ich ihn in­zwi­schen – hat­te an­schei­nend nie mit den Schwie­rig­kei­ten zu kämp­fen, die sich ein­stel­len kön­nen, wenn der Sohn in die Fuß­stap­fen ei­nes be­rühm­ten Va­ters tritt. Die bei­den ver­stan­den ein­an­der sehr gut, Pe­ter be­zeich­net den Va­ter als sei­nen »be­sten Freund«, an den er noch heu­te je­den Tag we­nig­stens ein­mal den­ke, aber die Re­de im Frie­dens­mu­se­um von Hi­ro­shi­ma am 3. März 2014 war die er­ste öf­fent­li­che, schrift­lich fi­xier­te Äu­ße­rung über Ro­bert, der Freun­den und Fa­mi­li­en­mit­glie­dern »Bob« ge­ru­fen wur­de.

Das ein­stöcki­ge, von ei­nem Park um­ge­be­ne Frie­dens­mu­se­um wirkt flach, es paßt sich dem Erd­bo­den an, er­hebt sich nur we­nig über ihn und mime­ti­siert so die to­ta­le Zer­stö­rung, den ground ze­ro, den die Atom­bom­be am 6. Au­gust 1945 hin­ter­las­sen hat. Zu­gleich aber wächst hier et­was, die Zer­stö­rung hat nicht das letz­te Wort be­hal­ten, es wach­sen wun­der­ba­re Kusu-Bäu­me, die man in der er­sten Nach­kriegs­zeit ge­pflanzt hat. Als ich mit Pe­ter über die Brücke in die heu­ti­ge In­nen­stadt ge­he, deu­te ich auf das Spi­tal, in dem mei­ne Toch­ter zur Welt ge­kom­men ist, gleich ge­gen­über vom Mu­se­um, aus dem Zim­mer im drit­ten Stock, wo sie ih­re er­sten Atem­zü­ge ge­tan hat, streift der Blick über das Mu­se­um, die Bäu­me, die Hoch­häu­ser im Hin­ter­grund und die Lücke, die der Ab­riß des al­ten Base­ball­sta­di­ons vor ei­ni­gen Jah­ren hin­ter­las­sen hat. Ich er­wäh­ne den Ge­burts­ort mei­ner Toch­ter bei sol­chen Ge­le­gen­hei­ten gern, weil er mich an ei­nen der stärk­sten Freu­den­mo­men­te mei­nes Le­bens er­in­nert. Pe­ter schaut hin­über, nickt, und wir ge­hen wei­ter, so soll es sein. Klei­ne Ge­sten, kur­ze Blicke. Wo Tod war, soll Le­ben sein.

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Ei­ne Fra­ge der An­ge­mes­sen­heit. Zum ich-zen­trier­ten Jour­na­lis­mus.

Ob es tat­säch­lich ei­ne län­ger­fri­sti­ge, sich stei­gern­de Ent­wick­lung ist, ver­mag ich trotz re­gel­mä­ßi­ger Lek­tü­re in öster­rei­chi­schen und deut­schen Qua­li­täts­zei­tun­gen nicht zu sa­gen; dass For­mu­lie­run­gen wie sie Mi­cha­el Sont­hei­mer in sei­nem Text in der taz zi­tiert, im­mer wie­der vor­kom­men, stimmt, als Be­leg für die be­haup­te­te Ent­wick­lung ge­nü­gen sei­ne drei Zi­ta­te si­cher­lich nicht1.

An­ge­sichts der Dis­kus­si­on un­ter dem Ar­ti­kel und die­ser leicht­fer­ti­gen Re­plik wä­re zu fra­gen, wann das jour­na­li­sti­sche Ich, al­so Sub­jek­ti­vi­tät an­ge­mes­sen ist und wann nicht. Des­wei­te­ren könn­te man über­le­gen was ei­ne Ver­schie­bung zu ei­nem per­sön­li­chen (sub­jek­ti­ven) Jour­na­lis­mus hin für sein Selbst­ver­ständ­nis und sei­ne Funk­ti­on be­deu­ten. Oder an­ders her­um: Wel­che Art von Jour­na­lis­mus wür­de sei­ner Funk­ti­on und sei­ner Not­wen­dig­keit im All­ge­mei­nen ge­recht?

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  1. Vielleicht kann der eine oder andere seine Beobachtungen beisteuern.  

Bet­ti­na Fischer/Dagmar Fret­ter (Hrsg.): Ei­gent­lich Hei­mat

Bettina Fischer/Dagmar Fretter (Hrsg.): Eigentlich Heimat
Bet­ti­na Fischer/Dagmar Fret­ter (Hrsg.): Ei­gent­lich Hei­mat

Zum 25. Grün­dungs­ju­bi­lä­um der Kunst­stif­tung Nord­rhein West­fa­len wur­de ein Er­zähl­band kon­zi­piert, der, so im Vor­wort, zei­gen soll, »was das Land Nord­rhein-West­fa­len an Li­te­ra­tur zu bie­ten hat«. Her­aus­ge­kom­men ist ein Band mit 29 Er­zäh­lun­gen von Au­torin­nen und Au­toren, die je­weils mit ei­nem Ort in Nord­rhein-West­fa­len ver­knüpft sind; ei­nem Ge­burts­ort, Wohn­ort, Stu­dier­ort, manch­mal auch nur ei­nem Sehn­suchts- und Ver­gan­gen­heits­ort. Ge­plant sei dies nicht ge­we­sen, so die bei­den Her­aus­ge­be­rin­nen Bet­ti­na Fi­scher und Dag­mar Fret­ter, aber am En­de sei­en es mehr als man dach­te Hei­mat­ge­schich­ten ge­wor­den. Um kei­ne Miss­ver­ständ­nis­se auf­kom­men zu las­sen und der dro­hen­den Ver­ein­nah­mung durch den Kitsch ent­ge­gen­zu­wir­ken wur­de wohl der relati­vierende Ti­tel »Ei­gent­lich Hei­mat« ge­fun­den.

Was Se­pa­ra­ti­sten wie Wil­fried Schar­nagl nie ein­leuch­ten wird: Bin­de­strich­län­der sind nicht trotz son­dern we­gen ih­rer Viel­heit, ih­rer He­te­ro­ge­ni­tät, in­ter­es­sant. Das wird im vor­lie­gen­den Band sehr schön sicht­bar, ob­wohl es mit dem Ruhr­ge­biet und dem Groß­raum Köln durch­aus Schwer­punk­te gibt. Zu Be­ginn er­zählt Jörg Al­brecht (»Vor dem Road­movie«) von den Vor­be­rei­tun­gen zur 30-Jahr-Fei­er der leicht dys­to­pisch an­ge­hauch­ten »Ruhr­stadt« (53 Städ­te von Camp Lint­fort [sic!] bis Hamm ha­ben sich zu­sam­men­ge­schlos­sen), die im »näch­sten Jahr«, hier: 2045, an­ste­hen soll und von der Sehn­sucht sei­ner Be­woh­ner, die Zeit vor die­ser Ver­ei­ni­gung, die Zeit des wim­meln­den, un­or­ga­ni­sier­ten »Ruhr­ge­biets«, wie­der auf­le­ben zu las­sen.

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