Ei­ne Fra­ge der An­ge­mes­sen­heit. Zum ich-zen­trier­ten Jour­na­lis­mus.

Ob es tat­säch­lich ei­ne län­ger­fri­sti­ge, sich stei­gern­de Ent­wick­lung ist, ver­mag ich trotz re­gel­mä­ßi­ger Lek­tü­re in öster­rei­chi­schen und deut­schen Qua­li­täts­zei­tun­gen nicht zu sa­gen; dass For­mu­lie­run­gen wie sie Mi­cha­el Sont­hei­mer in sei­nem Text in der taz zi­tiert, im­mer wie­der vor­kom­men, stimmt, als Be­leg für die be­haup­te­te Ent­wick­lung ge­nü­gen sei­ne drei Zi­ta­te si­cher­lich nicht1.

An­ge­sichts der Dis­kus­si­on un­ter dem Ar­ti­kel und die­ser leicht­fer­ti­gen Re­plik wä­re zu fra­gen, wann das jour­na­li­sti­sche Ich, al­so Sub­jek­ti­vi­tät an­ge­mes­sen ist und wann nicht. Des­wei­te­ren könn­te man über­le­gen was ei­ne Ver­schie­bung zu ei­nem per­sön­li­chen (sub­jek­ti­ven) Jour­na­lis­mus hin für sein Selbst­ver­ständ­nis und sei­ne Funk­ti­on be­deu­ten. Oder an­ders her­um: Wel­che Art von Jour­na­lis­mus wür­de sei­ner Funk­ti­on und sei­ner Not­wen­dig­keit im All­ge­mei­nen ge­recht?

Wenn die pri­mä­ren de­mo­kra­tie­re­le­van­ten Auf­ga­ben des Jour­na­lis­mus die Kri­tik (der Mäch­ti­gen) und die Be­reit­stel­lung von In­for­ma­tio­nen für die öf­fent­li­che po­li­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung sind, al­so die Auf­recht­erhal­tung der Dis­kus­sio­nen über das, was al­le an­geht und wor­über al­le mit­be­stim­men (Wah­len), dann soll­ten Kri­tik und In­for­ma­ti­on über rei­ne Sub­jek­ti­vi­tät hin­aus­ge­hen. War­um, ist ein­fach zu be­ant­wor­ten: Sie wä­ren sonst näm­lich schlicht ir­rele­vant, bloß Mei­nung, bloß ir­gend­ei­ne Äu­ße­rung.

Si­cher­heits- oder en­er­gie­po­li­ti­sche Fra­gen, um ak­tu­el­le Bei­spie­le zu nen­nen, be­dür­fen ei­ner ana­ly­ti­schen Her­an­ge­hens­wei­se und kei­ner sub­jek­ti­ven; ge­fragt ist nicht, ob sich je­mand in der U‑Bahn oder beim Flie­gen un­si­cher fühlt, son­dern wel­che Be­dro­hungs­sze­na­ri­en und Ent­wick­lun­gen wel­che Maß­nah­men und Ent­schei­dun­gen not­wen­dig ma­chen könn­ten. Wo ei­ne sol­che Her­an­ge­hens­wei­se nicht mög­lich sein soll­te, sagt man das: Un­wis­sen­heit, Un­si­cher­heit oder feh­len­de In­for­ma­tio­nen sind kein Aus­druck von Schwä­che, im Ge­gen­teil ei­ne et­wa­ige Flucht ins Sub­jek­ti­ve ist un­an­ge­mes­sen, denn Fra­gen die All­ge­mei­nes be­tref­fen, ver­lan­gen auch ei­ne Ant­wort, die sich dar­an ori­en­tiert (nicht, weil die sub­jek­ti­ve Ant­wort im­mer falsch liegt, son­dern weil nicht prüf­bar ist, wie sie zu­stan­de kam und für die, die sie be­trifft, nicht nach­voll­zieh­bar ist).

Kurz­um: Ein rein sub­jek­tiv blei­ben­der Jour­na­lis­mus gibt sei­ne ge­sell­schafts­po­li­ti­sche Funk­ti­on auf: Nicht, weil er kei­ne Mei­nun­gen und Hal­tun­gen mehr lie­fert, die kön­nen (und sol­len!) sich die mei­sten Le­ser selbst bil­den (Die Le­ser »kau­fen ein biss­chen Hal­tung, sie kau­fen ei­nen Blick auf die Welt, ein biss­chen Per­sön­lich­keit« — tat­säch­lich?), son­dern weil er kei­ne In­for­ma­tio­nen mehr zur Ver­fü­gung stellt, die ver­läss­lich da­zu bei­tra­gen, ge­sell­schaft­li­che Fra­gen und Pro­ble­me zu lö­sen. Sont­hei­mer weist dar­auf in­di­rekt hin (Jour­na­li­sten »woll­ten das Pu­bli­kum in­for­mie­ren«), spricht es aber nicht deut­lich ge­nug aus und bleibt bei der als Bei­spiel an­ge­führ­ten brü­ten­den Hit­ze in ei­ner Re­por­ta­ge hän­gen.

Ob je­mand über sei­ne ei­ge­ne Tä­tig­keit be­rich­tet oder ein Jour­na­list die­se kri­tisch be­fragt ist ein ent­schei­den­der Un­ter­schied, das Bei­spiel He­le­ne Fi­scher, wie­der­um aus der er­wähn­ten Re­plik, (»Aber der Mann kann selbst schrei­ben. Al­so kann er es doch auch selbst er­zäh­len, oder?«) ist un­ab­sicht­lich gut ge­wählt (zu so ei­nem Er­geb­nis wür­de die­ser Mann wohl kaum kom­men). Un­ver­mit­telt­heit ist, vor al­lem bei den The­men, bei de­nen ei­nem selbst Ex­per­ti­se fehlt, pro­ble­ma­tisch, weil In­ter­es­sen sonst nicht of­fen ge­legt wer­den (man muss nur an Po­li­ti­ker vor Wah­len den­ken); zur Un­ver­mit­telt­heit ge­sellt sich leicht und rasch die Selbst­ge­fäl­lig­keit (Re­fle­xi­on und da­mit auch Auf­klä­rung ha­ben im Sub­jek­ti­ven oh­ne­hin kei­ne Be­deu­tung). — Und je mehr Ge­schich­ten um ih­rer selbst Wil­len er­zählt wer­den, je li­te­ra­ri­scher ei­ne Re­por­ta­ge wird, de­sto ge­rin­ger wird ih­re Fak­ti­zi­tät (sie kön­nen wei­ter­hin ei­ne po­li­ti­sche Aus­sa­ge tä­ti­gen, ha­ben mit der Rea­li­tät ei­nes sy­ri­schen Flücht­lings aber wo­mög­lich nichts mehr ge­mein).

Der Le­ser wird im sub­jek­ti­ven Jour­na­lis­mus im­mer mehr zum Zu­se­her, zum Kon­su­men­ten, nicht zum Mit- und Sel­ber­den­ken­den: »Man kann da­bei sein, wie je­mand die Ant­wort auf ei­ne in­ter­es­san­te Fra­ge sucht und fin­det. [...] Ich darf ihn be­glei­ten und zu­se­hen, wie aus ei­nem Fra­ge­zei­chen ein Aus­ru­fe­zei­chen wird.« Und der Jour­na­lis­mus? Er klopft sich bei sei­ner Selb­st­ab­schaf­fung noch auf die Schul­ter: »Sehr viel bes­ser kann Jour­na­lis­mus doch gar nicht sein, oder?«


  1. Vielleicht kann der eine oder andere seine Beobachtungen beisteuern.  

10 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Das bringt es m. E. auf den Punkt: Der Re­zi­pi­ent wird zum Kon­su­men­ten ge­macht. In­zwi­schen sind in na­he­zu al­len Re­por­ta­gen im (deut­schen) Fern­se­hen die Jour­na­li­sten fast stän­dig im Bild. Ich woll­te ei­ne 30 Mi­nu­ten »zoom«-Sendung (ZDF) mal da­hin­ge­hend stop­pen, wie oft der Jour­na­list im Bild ist – es geht gar nicht, weil er fast im­mer ir­gend­wie im Bild und so­mit prä­sent ist. Wir se­hen ihn beim Au­to­fah­ren zu ei­nem Ter­min, im Ge­spräch mit ei­nem (meist un­kennt­lich ge­mach­ten) Zeu­gen oder ein­fach nur als Er­zäh­ler.

    War­um das ge­schieht ist klar: Es soll da­mit Au­then­ti­zi­tät er­zeugt wer­den. Den Aus­sa­gen, der Ten­denz des Be­richts, der Re­por­ta­ge soll Glaub­wür­dig­keit ver­lie­hen wer­den. Das ist vom »Script­ed Reality«-Format der Pri­vat­fern­seh­sen­der nur noch ei­nen Hauch ent­fernt. Als »nor­ma­ler« Kon­su­ment be­merkt man die zum Teil ma­ni­pu­la­ti­ve Kraft nicht. Wenn es sich aber um The­ma­ti­ken han­delt, von de­nen ich mehr als nur ei­ne Me­di­en-Ah­nung ha­be, dann mer­ke ich schnell, wie ober­fläch­lich der Te­nor ist. Das ist nicht im­mer der Fall, aber häu­fig.

    An­geb­lich kommt der »Ich-Jour­na­lis­mus« aus den USA. Ob es sich um ei­ne Re­ak­ti­on auf das Blog­ger-Phä­no­men han­delt? Soll der Jour­na­list, der Re­por­ter zur »Mar­ke« wer­den? Das gab es auch schon frü­her, aber nicht der­art in­sze­niert, son­dern eher ge­wach­sen.

    Mich stösst nicht ab, dass je­mand »Ich« sagt, aber mich stösst es im­mer ab, wenn die­ses »Ich« mir kei­ne Wahl lässt.

  2. Ver­fal­le ein­mal mehr ins Öf­fent­lich-Recht­li­che-bas­hing.
    Ge­ra­de läuft ei­ne Ban­ner-Kam­pa­gne vom ZDF, in der die Nach­rich­ten-Ko­ry­phä­en bei der Re­cher­che wie »ech­te Pro­fis« ab­ge­lich­tet wer­den. Sind die­se Be­wegt-Ban­ner, die man von Au­di, Mer­ce­des, etc. kennt. Teu­er, wer­tig! Ganz dra­ma­tisch, wan­dert der Blick des Me­di­en-Ex­per­ten lang­sam rich­tig Zu­schau­er. Letz­te Ein­stel­lung: Eye con­tant, trust me! I’m wi­th you!
    Ist doch der Bo­te wich­ti­ger als die Bot­schaft?!
    Oder ist es ei­ne so­zi­al­psy­cho­lo­gi­sche Pha­se, wo die Ö.R.-Personen ei­ne Funk­ti­on über­neh­men müs­sen, die von Sei­ten der de­mo­kra­ti­schen Re­prä­sen­tan­ten nicht mehr er­füllt wird?!

  3. Ja, nicht?! Das wä­re ei­ne Er­klä­rung: die po­li­ti­sche Klas­se kreist um sich selbst, die Ver­tre­tungs­funk­ti­on wird als Spie­gel­dra­ma in die vi­su­el­len Me­di­en er­satz­wei­se aus­ge­la­gert. Das Volk resp. der vor­mals sog. Bür­ger be­geg­net nur noch sei­nes­glei­chen. Ei­ne Ge­fan­gen­nah­me im Spie­gel­ka­bi­nett. Sind wir nicht al­le ein biss­chen Ö.R.?? Es ist ei­ne post-bür­ger­li­che To­ta­li­sie­rung ab­seits der par­la­men­ta­ri­schen Ver­hält­nis­se, die sich auch am Ni­veau­ver­lust nicht stößt. Ei­ne orwell’sche Bil­lig­va­ri­an­te. Nicht re­gie­ren, wird im­mer leich­ter. Es ist die leich­te­ste Sa­che der Welt ge­wor­den.

  4. Qua­li­tät mit Na­men zu ver­bin­den ist ja nicht falsch, das gilt für Per­so­nen wie Me­di­en, nur soll­te das dem Le­ser über­las­sen blei­ben und nicht in­sze­niert oder sug­ge­riert wer­den (selbst wenn sich das nicht ganz ver­mei­den lässt). — Ge­wach­sen, ja.

    Mit Blog­gern hat das m.E. nicht viel zu tun oder nur so­viel, dass bei­de un­ter ei­nem ähn­li­chen Druck ste­hen: In­ner­halb des der­zeit re­pro­du­zier­ten öko­no­mi­schen Pa­ra­dig­mas ist die Selbst­ver­mark­tung ei­ne weit ver­brei­te­te und »not­wen­di­ge« Pra­xis (ein Wech­sel von ei­nem Me­di­um zu ei­nem an­de­ren fällt ei­nem Jour­na­li­sten der sich ge­schickt als Mar­ke ver­kauft si­cher leich­ter, bzw. wird er eher nach­ge­fragt). Wo­mög­lich ist hier mehr öko­no­mi­schen Ur­sprungs als man zu­nächst den­ken mag.

    Ge­nau: Die Art wie das Ich auf­tritt ist ent­schei­dend (und auch wo).

    War das nicht frü­her schon so, dass Jour­na­li­sten Po­li­ti­ker spiel­ten (spie­len woll­ten; Sont­hei­mer spricht das auch an). Bzw. was wä­re heu­te an­ders oder neu? Dass es nur noch In­sze­nie­rung ist?

  5. Stimmt, die Selbst­ver­mark­tung, der Takt der Öko­no­mie trifft al­le, Blog­ger & Print-Ab­kömm­lin­ge. Die Schnel­lig­keit des Ge­sche­hens ist im Ver­gleich zu frü­her ei­ne maß­geb­li­che »Ver­än­de­rung«, Be­wer­tung: am­bi­va­lent.
    Ich seh au­ßer­dem noch ei­ne for­cier­te Funk­tio­na­li­tät, d.h. die Selbst­de­fi­ni­ti­on des »Sen­ders« wird wich­tig. Nicht was, son­dern war­um ge­sen­det wird...
    Die Li­te­ra­ten ha­ben dar­an nicht we­nig An­teil, ge­le­gent­lich »Kor­rup­ti­on« ge­nannt. Das wahr­haf­ti­ge Spre­chen kann im Wech­sel mit der In­sze­nie­rung ge­sche­hen, das ist künst­le­risch o.k. und wert­voll. Die rei­ne In­sze­nie­rung aber ver­weist auf ei­nen »lack of truth and know­ledge«, der m.A.n. nicht po­li­ti­scher son­dern sub­stan­zi­el­ler Na­tur ist. Die In­sze­nie­rung ist ein Fei­gen­blatt, das (nicht die Wahr­heit, son­dern) die Ab­senz der Wahr­heit ver­birgt.

  6. Die Be­deu­tung von Funk­tio­na­li­tät und Selbst­de­fi­ni­ti­on wür­den ver­stärkt da­zu füh­ren, dass dort ge­le­sen wird, wo man hört, was man hö­ren will (ei­ne Ur­sa­chen­be­schrei­bung las­se ich ein­mal).

    Künst­ler ha­ben spä­te­stens mit der Ro­man­tik be­gon­nen sich selbst zu in­sze­nie­ren, ge­fühlt wür­de ich aber sa­gen, dass die heu­ti­gen Ver­mark­tungs­tech­ni­ken qua­li­ta­tiv et­was an­de­res sind (wo­bei sich bei Künst­lern kom­mer­zi­el­le In­ter­es­sen mit Sen­dungs­be­wusst­sein u.ä. ver­men­gen kön­nen).

    Ei­ne In­sze­nie­rung wä­re da­hin­ge­hend zu prü­fen, ob sie im Dienst von ir­gend­et­was an­de­rem steht, et­wa der Ver­deut­li­chung und Her­stel­lung ei­ner »Stim­me«, ei­ner Sub­jek­ti­vi­tät, ei­ner an­de­ren Exi­stenz, usw., dient. Rei­ne In­sze­nie­rung wä­re ein ra­di­ka­les Spiel, dem ich, ob­wohl ich Ih­nen grund­sätz­lich zu­stim­me, doch auch auf­klä­re­ri­sche Mög­lich­kei­ten zu­spre­chen möch­te.

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  8. Ich bin gar nicht an ei­ner ethi­schen Hin­ter­fra­gung (aka »Kri­tik«) der Künst­ler in­ter­es­siert. Ich ha­be mich im­mer ge­wun­dert, wie klein­lich die Ge­sin­nungs­prü­fun­gen ver­lau­fen. Das wä­re die fal­sche Adres­se...
    In der Tat wä­re ei­ne ra­di­ka­le In­sze­nie­rung schon wie­der ei­ne Bre­chung, wel­che die in­ter­es­sen glei­te­ten oder »un­be­wuss­ten« In­sze­nie­run­gen ra­di­kal in Fra­ge stellt. Gibt im Mo­ment kei­ne Prot­ago­ni­sten, oder?! Ist auch anst­re­gend, 24h die La­dy Ga­ga der schö­nen Kün­ste zu sein. Würd ich nicht durch­hal­ten.

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